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Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (2000) 145/4: 153-160 Magnetische Fleisslinien in Ho i emperatui Supraleitern Hugo Keller, Zürich Zusammenfassung Ein äusseres Magnetfeld kann in Form von quantisier- ten magnetischen Flusslinien in einen Supraleiter ein- dringen. Sind diese Flusslinien an Defekten im Materi- al fest verankert, so kann ein verlust freier elektrischer Strom fliessen. In den neuen Hochtemperatur-Supra- leitern (HTSL) zeigen die Flusslinien, ein ausserge- wöhnliches Verhalten. Wegen der ausgeprägten Schichtstruklur und der extrem kurzen Kohärenzlänge der HTSL sind die Flusslinien in diesen Materialien schon weit unterhalb der Supraleiter-SpruHgtempera- tur grossen thermischen Fluktuationen ausgesetzt, so dass sie sich aus ihren Verankerungen befreien können. Die Flusslinien sind dann frei beweglich wie die Mole- küle in einer Flüssigkeit, und der elektrische Wider- stand verschwindet nicht vollständig. Mit dem geziel- ten Einbringen von HaftzentreH im Supraleiter kann dieses für technische Anwendungen wichtige Problem umgangeH werdeH. Magnetic Flux Lines in High-Temperature Superconductors An external magnetic field may penetrate a supercon- ductor in the form of quantized magnetic flux lines. When these flux lines are strongly pinned on defects in the material, an electrical current can flow without dis- sipation. In the novel high-temperature superconduc- tors (HTSC) the flux lines exhibit an unusual behavior: Due to the pronounced layered structure and the extremely short coherence length of the HTSC, the flux lines in these materials are exposed to large thermal fluctuations, already well below the superconducting transition temperature, so that they become detached from the pinning centers. The flux lines can then move freely like the molecules in a liquid, and the electrical resistance does not vanish completely. By introducing artificial pinning centers into the superconductor, this problem which is important for technical applications may be overcome. Key words: Elektrischer Widerstand — Flusslinienbewegung — Flusslinien-Flüssigkeit — Flussliniengitter — Flusslinien-Phase — Hochtemperatur-Supraleitung — magnetisches Phasendiagramm — Typ-Il-Supraleiter 1 EINLEITUNG Nach der EHtdeckung der Hochtemperatur-Supraleiter (HTSL) im Jahre 1986 durch BedHorz und Maler (BEDNORz UND MÜLLER, 1986) hatteH WisseHschaftler kühne VisioHeH über Heuartige technische AnweHduHgeH dieser MaterialieH. Leider wurden diese anfänglich grosseH ErwartuHgen schon bald gedämp ft , als sich Hämlich herausstellte, dass HTSL in eiHem Magnetfeld ein aussergewöhnliches Verhalten zeigeH, das für viele technische AnweHduHgeH von Nachteil ist (BIS- HOP et al., 1993). In einem sogeHaHHteH Typ-II-Supraleiter (siehe Abschnitt 3), und zu dieser Klasse gehören auch die HTSL, dringt ein äusseres MagHetfeld in Form von quaHti- sierteH magnetischen FlussliHien' iH den Supraleiter ein. Im Gegensatz zu konventionellen Tieftemperatur-Supraleitern (TTSL) weiseH die Flusslinien in HTSL eiHe geriHge mecha- Hische Spannung auf, sind daher sehr biegsam uHd schon weit unterhalb der SpruHgtemperatur (T, X100 K) grosseH thermischen FluktuationeH uHterworfen. Diese ausserge- wöhHlicheH Eigenschaften der FlussliHieH sind verantwort- lich dafür, dass sich das Verhalten eiHes HTSL in einem Mag- netfeld erheblich von demjenigen eiHes klassischen TTSL In diesem Artikel wird der Begriff «magnetische Flusslinie» für einen ausgedehnten magnetischen Flussschlauch in einem Supraleiter ver- wendet. 153

Magnetische Fleisslinien in Ho i emperatui Supraleitern · Hugo Keller, Zürich Zusammenfassung Ein äusseres Magnetfeld kann in Form von quantisier-ten magnetischen Flusslinien in

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Page 1: Magnetische Fleisslinien in Ho i emperatui Supraleitern · Hugo Keller, Zürich Zusammenfassung Ein äusseres Magnetfeld kann in Form von quantisier-ten magnetischen Flusslinien in

Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (2000) 145/4: 153-160

Magnetische Fleisslinien in Ho i emperatuiSupraleitern

Hugo Keller, Zürich

Zusammenfassung

Ein äusseres Magnetfeld kann in Form von quantisier-

ten magnetischen Flusslinien in einen Supraleiter ein-

dringen. Sind diese Flusslinien an Defekten im Materi-

al fest verankert, so kann ein verlust freier elektrischer

Strom fliessen. In den neuen Hochtemperatur-Supra-

leitern (HTSL) zeigen die Flusslinien, ein ausserge-

wöhnliches Verhalten. Wegen der ausgeprägten

Schichtstruklur und der extrem kurzen Kohärenzlänge

der HTSL sind die Flusslinien in diesen Materialien

schon weit unterhalb der Supraleiter-SpruHgtempera-

tur grossen thermischen Fluktuationen ausgesetzt, so

dass sie sich aus ihren Verankerungen befreien können.

Die Flusslinien sind dann frei beweglich wie die Mole-

küle in einer Flüssigkeit, und der elektrische Wider-

stand verschwindet nicht vollständig. Mit dem geziel-

ten Einbringen von HaftzentreH im Supraleiter kann

dieses für technische Anwendungen wichtige Problem

umgangeH werdeH.

Magnetic Flux Lines in High-TemperatureSuperconductors

An external magnetic field may penetrate a supercon-

ductor in the form of quantized magnetic flux lines.

When these flux lines are strongly pinned on defects in

the material, an electrical current can flow without dis-

sipation. In the novel high-temperature superconduc-

tors (HTSC) the flux lines exhibit an unusual behavior:

Due to the pronounced layered structure and the

extremely short coherence length of the HTSC, the flux

lines in these materials are exposed to large thermal

fluctuations, already well below the superconducting

transition temperature, so that they become detached

from the pinning centers. The flux lines can then move

freely like the molecules in a liquid, and the electrical

resistance does not vanish completely. By introducing

artificial pinning centers into the superconductor, this

problem which is important for technical applications

may be overcome.

Key words: Elektrischer Widerstand — Flusslinienbewegung — Flusslinien-Flüssigkeit — Flussliniengitter —Flusslinien-Phase — Hochtemperatur-Supraleitung — magnetisches Phasendiagramm —Typ-Il-Supraleiter

1 EINLEITUNG

Nach der EHtdeckung der Hochtemperatur-Supraleiter

(HTSL) im Jahre 1986 durch BedHorz und Maler (BEDNORz

UND MÜLLER, 1986) hatteH WisseHschaftler kühne VisioHeH

über Heuartige technische AnweHduHgeH dieser MaterialieH.

Leider wurden diese anfänglich grosseH ErwartuHgen schon

bald gedämp ft, als sich Hämlich herausstellte, dass HTSL in

eiHem Magnetfeld ein aussergewöhnliches Verhalten zeigeH,

das für viele technische AnweHduHgeH von Nachteil ist (BIS-

HOP et al., 1993). In einem sogeHaHHteH Typ-II-Supraleiter

(siehe Abschnitt 3), und zu dieser Klasse gehören auch die

HTSL, dringt ein äusseres MagHetfeld in Form von quaHti-

sierteH magnetischen FlussliHien' iH den Supraleiter ein. Im

Gegensatz zu konventionellen Tieftemperatur-Supraleitern

(TTSL) weiseH die Flusslinien in HTSL eiHe geriHge mecha-

Hische Spannung auf, sind daher sehr biegsam uHd schon

weit unterhalb der SpruHgtemperatur (T, X100 K) grosseH

thermischen FluktuationeH uHterworfen. Diese ausserge-

wöhHlicheH Eigenschaften der FlussliHieH sind verantwort-

lich dafür, dass sich das Verhalten eiHes HTSL in einem Mag-

netfeld erheblich von demjenigen eiHes klassischen TTSL

In diesem Artikel wird der Begriff «magnetische Flusslinie» für einen ausgedehnten magnetischen Flussschlauch in einem Supraleiter ver-wendet.

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normalleitendeB0z(T) Phase

gemischtePhase

Meissner-Phase B01(T)

Temperatur T 1

Hochtemperatur-Supraleiter

Tc

Hugo Keller

unterscheidet. Das Studium von magHetischeH FlussliHien inHTSL ist eiH aktuelles Forschungsthema der modernen Fest-körperphysik, sowohl vorH experimeHtellen als auch vorntheoretischen StandpuHkt her (BLATTER et al., 1994; CRAB-TREE UND NELSON, 1997). In diesem Artikel werden eiHigewichtige Aspekte der «Flusslinien-Physik in HTSL» uHd de-reH Bedeutung für technische AHweHduHgen diskutiert.

2 FUNDAMENTALE EIGENSCHAFTEN VONSUPRALEITERN

Das PhäHomen der SupraleituHg wurde 1911 von Kamer-liHgh Onnes an der UHiversität Leiden erstmals im Queck-silber nachgewiesen. Als er die Eigenschaften einiger Me-talle bei tiefen Temperaturen untersuchte, eHtdeckte er ganzuHerwartet, dass der elektrische WiderstaHd von Quecksil-ber uHterhalb einer scharf defiHierteH SprungtemperaturTe = 4.15 K schlagartig auf einen unmessbar kleinen Wertfiel. Das Verschwinden des elekt rischen WiderstaHdes uHter-halb Te ist aber nicht die einzige fundameHtale EigeHschaft,die einen Supraleiter auszeichHet. Noch erstaunlicher ist dasVerhalten eines SupraleiteIs in einem äusseren MagHetfeld.Im Jahre 1933 faHden Meissner und Ochsenfeld, dass eiH Su-praleiter eiH MagHetfeld aus seinem InnereH vollständig ver-drängt (siehe Abb. 1 a). Dieses PhäHomeH wird als Meissner-Ochsenfeld-Effekt bezeichnet und ist unabhängig voH derthermischen Vorgeschichte, d. h. der supraleitende ZustaHdist eine echte thermodynamische Phase: Wird eiH Supraleiterim MagHetfeld unter T, abgekühlt oder wird eiH MagnetfelduHterhalb Te eingeschaltet, so werdeH in beiden Fällen an derOberfläche des SupraleiteIs supraleitende Abschirmströmeangeworfen, welche eiH Magnetfeld erzeugen, das im IHHe-ren des Supraleiters das äussere Magnetfeld exakt kompen-siert. Die Gebrüder London stellteH 1935 eiHe phänomenolo-gische Theorie fir eiHeH Supraleiter im Magnetfeld auf. Einwichtiges Ergebnis dieser Theorie ist, dass in eiHem Supra-leiter das äussere Magnetfeld und die Abschirmstromdichtevon der Oberfläche her ins InHere des Supraleiters mit einercharakteristischen Länge X expoHeHtiell abklingen. Diese fireiHeH Supraleiter fundameHtale Grösse wird als Eindringtie-fe (auch Londonsche EiHdringtiefe) bezeichnet. TypischeWerte sind a, P610 – 1000 nm, je nach Art des Supraleiters.

Im Jahre 1950 wurde von Ginzburg und LaHdau eine bisheute sehr aussagekräftige phäHomeHologische Theorie(GL-Theorie) entwickelt. IH dieser Theorie wird eine kom-plexe Wellenfunktion defiHiert, welche nur über eine cha-rakteristische Länge, die KohäreHzlänge , variieren kanH.Die Kohärenzlänge i; kaHH je nach Supraleiter-Typ (siehe

Tieftemperatur-Supraleiter

Abb. l. Magnetisches B-T-Phasendiagramm eines Typ-H-Supra-leiters: (a) konventioneller Tieftemperatur-Supraleiter (TTSL), (b)Hochtemperatur-Supraleiter (HTSL). Wegen den ungewöhnlichenEigenschaften der Flusslinien in einem HTSL unterscheidet sich diegemischte Phase eines HTSL von derjenigen eines TTSL erheblich.Neben einer festen Flusslinien-Phase (FL-Festkörper) besitzt einHTSL eine flüssige Flusslinien-Phase (FL-Flüssigkeit). Beide Pha-sen sind durch die Schmelzlinie B,,,(T) voneinander getrennt (nähe-re Erklärungen im Text).

Fig. 1. Magnetic B-T phase diagram of a type-II superconductor:(a) conventional low-temperature superconductor (LTSC), (b)high-temperature superconductor (HTSC). Due to the unusual pro-perties of the flux lines in HTSC, the mixed phase of a HTSC differssubstantially . from that of a LTSC. Beside of a solid flux-line phase(FL-solid) a HTSC has a liquid flux-line phase (FL-liquid). The twophases are separated by the melting line B,//(T) (see text . for a detai-led explanation).

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Magnetische Flusslinien in Hochtemperatur-Supraleitern

Abschnitt 3) Werte zwischeH 10 uHd 500 nm annehmen. DieWellenfuHktioH 'P spielt dabei die Rolle eines OrdHuHgspa-rameters, welcher bei steigender Temperatur im Sinne eiHesPhaseHüberganges 2. Ordnung bei T, verschwiHdet. Die phy-sikalisch relevante reelle Grösse Ni e ist proportioHal zurDichte der supraleitendeH LaduHgsträger. Ein zeHtraler Para-meter der GL-Theorie ist das VerhältHis der beiden funda-mentalen Längen eiHes Supraleiters x= 2J (GL-Parameter).

Sowohl die LoHdoH- als auch die GL-Theorie könnenzwar das phänomenologische Verhalten eiHes Supraleitersim MagHetfeld sehr gut beschreibeH, sind aber Hicht iH derLage, den der Supraleitung zugruHdeliegenden mikroskopi-schen Mechanismus zu erklären. Erst 1957 gelaHg es Bar-deeH, Cooper und Schrieffer das PhänomeH der Supraleitungauf mikroskopischer Ebene zu deuten. Bevor wir uHs mitdem GrundgedankeH der BCS-Theorie (Abkürzungen derNachHamen ihrer BegrüHder) etwas näher befasseH, wollenwir uHs die Frage stelleH, warum Metalle überhaupt eiHeHelektrischeH Widerstand zeigen. Im eiHfachsten Modell kannman sich ein Metall bestehend aus eiHem Kristallgitter ausAtomrümpfen und eiHem «Gas aus freieH ElektroHeH» vor-stellen. Im idealisierten Fall eines perfekten, völlig starreHKristallgitters können sich die ElektroHen sozusagen als freieWellen in eiHer vorgegebenen RichtuHg durchs Gitter bewe-geH; ein elektrischer Strom würde demHach ohHe Energie-verlust im Metall fliessen. In Wirklichkeit aber schwiHgendie eiHzelnen Atome aufgrund der TemperaturbeweguHg um

ihre Ruhelage im Kristallgitter. Als Folge davon geben dieElektronenwelleH Energie ans Gitter ab oder nehmen Ener-gie auf. Dieser Energieaustausch erfolgt jedoch iH ungeord-neter Form; es wird Wärme erzeugt. Damit im Metall eiHkonstanter elektrischer Strom aufrecht erhalten werden kann,muss den LeituHgselektronen mit Hilfe einer Spannungs-quelle dauernd EneIgie zugeführt werden, was sich als elek-trischer Widerstand äussert. Je tiefer die Temperatur, destokleiHer der Widerstand. Auch am absoluten Temperaturnull-punkt hat der Widerstand reinster Metalle wegen der soge-nannten NullpuHktschwingung und RestverunreiHigungeneiHen endlichen Wert. Warum aber fällt der Widerstand iH ei-Hem Supraleiter bei Te schlagartig auf exakt null? Dies ist of-fenbar nur möglich, wenn sich die Elektronen mit den Gitter-schwinguHgeH irgeHdwie so in geordneter Form arrangierenkönnen, dass sie eineH elektrischen Strom verlustfrei tragenköHneH. Diese Idee bildet die Grundlage der BCS-Theorie.Sie besagt, dass sich die Leitungselektronen im supraleiten-den ZustaHd zu geordneten PaareH (Cooper-Paaren) zusam-menschliessen, welche sich ungehindert, d. h. ohne Energie-verlust, durch das Kristallgitter bewegen köHHeH. Diese Coo-

per-Paare vereinen sich geordHet in einem makroskopischenQuantenzustand, welcher als BCS-GrundzustaHd bezeichnetwird. Die SupraleituHg ist ein makroskopisches QuaHtenphä-HomeH. Die Bindung der Cooper-Paare kommt durch eiHeschwach aHziehende Kraft zwischen den Elektronen zustaH-de, die durch Phononen (SchwiHguHgsquanten der Gitter-schwinguHgeH) vermittelt wird. MaH kann sich das so vor-stellen, dass das eine Elektron durch seine elektrische La-dung das Gitter etwas deformiert, eine GitterschwiHgung(PhoHoH) aHregt und dadurch eiH zweites Elektron ein weniganzieht. Diese durch die ElektroH-PhoHoH-Wechselwirkungschwach anziehende Kraft ist etwas grösser als die abstos-seHde elektrostatische Kraft zwischen den ElektroHeH. DiePaarbilduHg häHgt jedoch stark von der Temperatur ab. Nurunterhalb der Sprungtemperatur T e kaHH Supraleitung auftre-teH, da oberhalb T, die thermischen GitterschwinguHgeH dieBildung voH stabilen Cooper-PaareH verhindern. Die in derGL-Theorie phänomenologisch eingeführte Kohärenzlänge

ist im Rahmen der BCS-Theorie nichts aHderes als einMass für den Abstand zwischen den Elektronen eiHes Coo-per-Paares, bzw. die kleiHste räumliche Distanz, über die sichelektronische Eigenschaften im Supraleiter äHdern können.

KonventioHelle Supraleiter haben relativ tiefe Sprung-temperaturen T ^ 5 – 20 K. Die BCS-Theorie besagt, dass T,umso höher ist, je stärker die Elektron-Phonon-Wechselwir-kung ist. Eine starke Wechselwirkung der Elektronen mit denGitterschwiHguHgeH hat aber oberhalb T c, im sogeHanntennormalleitenden ZustaHd, einen hohen elektrischeH Wider-staHd zur Folge. Dies erklärt, warum im AllgemeineHschlechte Normalleiter (z. B. Blei) gute Supraleiter sind undgute Normalleiter (z. B. Kupfer) nicht.

3 MAGNETISCHE PHASEN INKONVENTIONELLEN SUPRALEITERN

Wie oben besprocheH, ist eiH Supraleiter durch zwei fun-dameHtale Längen, die EiHdriHgtiefe a, und die Kohärenz-länge , gekeHHzeichnet. Je Hach Grösse des GL-ParametersK = ?/ uHterscheidet sich das VerhalteH eiHes Supraleiters ineinem äussereH Magnetfeld. Wenn x < 0.71 spricht maH voneiHem Supraleiter vom Typ I. Zu diesem Typ gehören diemeisteH eiHfachen Metalle, die im Allgemeinen erst bei tiefenTemperaturen supraleitend werdeH (z. B. Blei : T e = 7.2 K).Erreicht das äussere Magnetfeld B einen materialspezifischkritischen Wert Be(T), so dringt das Magnetfeld iH den Supra-leiter eiH und zerstört die Supraleitung. Da Typ-I-Supraleiterrelativ kleine kritische Felder B c(T) haben, eignen sich dieseMaterialieH für die meisteH technischeH Anwendungen

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k

Hugo Keller

nicht. Supraleiter mit eiHem GL-Parameter x > 0.71 sind vornTyp II. Zu dieser Klasse gehören beispielsweise Niob (T, =9.2 K), die meisten LegieruHgeH, orgaHische Supraleiter unddie Hochtemperatur-Supraleiter (HTSL). Da k > , wird iHdiesen MaterialieH die Supraleitung nicht zerstö rt, auchweIn der Supraleiter teilweise von einem starken äusserenMagHetfeld durchdrungen wird. Erst weHH das MagnetfeldeiHen relativ hohen kritischen Wert übersteigt, bricht dieSupraleitung zusammeH. Typ-II-Supraleiter köHHeH dahergrosse Ströme verlustfrei transportieren, was für viele tech-Hische AnweHdungen notwendig ist.

Im Folgenden wo llen wir das magnetische Verhalten ei-nes Typ-II-Supraleiters diskutieren. Mit Hilfe der GL-Theo-rie konnte Abrikosov iH den fünfziger Jahren zeigeH, dass einTyp-II-Supraleiter, je nach Temperatur T uHd äusserem Mag-netfeld B, drei verschiedeHe magnetische Zustände eiHneh-men kann, die maH aHschaulich in einem B-T-Phasendia-gramm darstelleH kaHn (Abb. la). Für Temperaturen T < Teund für eiH äusseres Magnetfeld B kleiHer als das untere kriti-sche Feld B e (T) wird das Feld vollständig aus dem InHereHdes Supraleiters verdräHgt (Meissner-Ochsenfeld-Effekt).Diese Phase wird als Meissner-Phase bezeichnet. IIn BereichB ei (T) < B < B c2(T) (oberes kritisches Feld) tritt eine ge-mischte Phase auf. Die Probe bleibt zwar supraleitend, esdringt aber magnetischer Fluss teilweise in die Probe eiH. ImJahre 1957 hat Abrikosov vorausgesagt, dass der magneti-sche Fluss iH Form von quantisierten FlussliHieH, welche ineiHem regulären hexagonalen Gitter aHgeordnet sind, denSupraleiter durchdringt (Abb. 2a). Aus quantenphysikali-scheH GründeH trägt jede Flusslinie ein elemeHtares Fluss-quaHtum (Do = h/2e, wobei h die Plancksche Konstante und edie ElemeHtarladung bedeuten. Die Grösse 2e im FlussquaH-tum 00 bringt zum Ausdruck, dass die supraleitenden La-dungsträger Cooper-Paare sind. Die EigenschafteH eiHer ein-zelneH FlussliHie sind durch die KohäreHzläHge und dieEiHdriHgtiefe X bestimmt (Abb. 2b). Eine Flusslinie hat einenzyliHderförmigen normalleitendeH KerH mit einem Radiusvon ungefähr . Um deH KerH fliesst ein supraleiteHderKreisstrom j 3 , der den magHetischen Fluss am EiHdringen inden supraleiteHdeH Bereich hindert (Abb. 2b). Diese Iüeis-ströme erzeugen ein Magnetfeld, das voH der Flusslinienach-se her mit X, abklingt (Abb. 2b). Das Flussliniengitter wurde1967 von Träuble und EssmaHH mit Hilfe eines DekoratioHs-experimeHtes erstmals direkt nachgewieseH. Mit dieser Me-thode werdeH die an der Oberfläche der supraleitenden ProbeaustretendeH Flusslinien mit sehr feiHen Eisenpartikeln mar-kiert. Das so entstandene Muster kaHH dann im ElektroneH-mikroskop betrachtet werdeH. In den letzten Jahren ist es ge-

a)

Abb. 2. (a) Schematische Darstellung des regulären Flussliniengit-ters in einem Typ-II-Supraleiter. Jede magnetische Flusslinie (graueZylinder) trägt ein elementares Flussquantum to. Magnetfeld undSupraströrne sind für eine Fluss linie gezeichnet. (b) Örtliche Varia-tion der magnetischen Flussdichte B;,,t , der supraleitenden Ladungs-dichte ns = 1 111 1 2 und der Suprastromdichte j 5 in einem Supraleiter mitFlussliniengitter (ebener Schnitt durch zwei Fluss linien).

Fig. 2. (a) Schematic representation of the regularflux-line latticein a type-II superconductor. Each magnetic flux line (grey cylin-ders) carries an elementary flux quantum (Do. Magnetic field andsuperconducting current density are shown for one flux line. (b)Spatial variation of the magnetic. flux density B;,/,, the superconduc-ting carrier density ns = 1 1-11 1 2 , and the superconducting current den-sity js in a superconductor with a flux-line lattice (planar cutthrough two flux lines).

lungen, das Flussliniengitter auch mittels Rastertunnelmik-roskopie zu beobachten. Wird das obere kritische Magnet-feld B e2(T) überschritten, so verschwindet die SupraleituHg,uHd der Supraleiter geht iH die normalleiteHde Phase Tiber(Abb. 1 a). Wie kanH maH diesen ÜbergaHg veIstehen? Mitzunehmendem äussereH Magnetfeld B wird der Abstandzwischen deH FlussliHien immer kleiHer, bis sich schliesslichdie HormalleiteHden Kerne der Flusslinien bei B c2(T) so starküberlappen, dass keine supraleiteHden Bereiche mehr übrigbleiben und die Probe normalleitend wird.

Das Auftreten eines Flussliniengitters in eiHem idealendefektfreien Supraleiter bringt ein intriHsisches Problem mit

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Magnetfeld

Haftzentrum

Magnetische Flusslinien in Hochtemperatur-Supraleitern

sich, weHH eiH TraHsportstrom seHkrecht zum äusseren Mag-netfeld durch die Probe fliesst. Der Strom übt nämlich eineLorentzkraft auf das FlusslinieHgitter aus, so dass diesesseHkrecht zum MagHetfeld und zum Strom eine Driftbewe-guHg ausführt (Abb. 3a). Diese Driftbewegung verbrauchtEHergie uHd verursacht daher eiHeH elektrischen Widerstand.Ein idealer Typ-II-Supraleiter iH der gemischten Phase könn-te also keinen elektrischen Strom ohHe WiderstaHd traHspor-tieren. Das unerwünschte Phänomen der FlussliHieHbewe-gung kann durch deH EiHbau von Defekten (VerunreiHiguHgmit Fremdatomen) im Kristallgitter des Supraleiters unter-drückt werden. An diesen DefekteH, auch Haftzentren ge-nannt, können die Flusslinien sozusagen fest veraHkert wer-deH (Abb. 3b). Diese Verankerung verhindert die Flussli-nieHbeweguHg, solange die Stromdichte j einen kritischenWert j e nicht überschreitet. Die kritische Stromdichte j e isteiHe weitere wichtige Grösse für einen Supraleiter, die ausservom Material auch von der Temperatur und von der Magnet-feldstärke abhängt. Paradoxerweise sind also gerade die«schmutzigsten» Supraleiter diejeHigeH, die deH grösstenverlustfreien Strom tragen können.

4 MAGNETISC1lL PHASEN INHOCHTEMPERATUR -SUPRALEITERN

Schon bald nach der Entdeckung der HTSL haben experi-mentelle UntersuchuHgeH gezeigt, dass HTSL in einem äus-sereH MagHetfeld ein aussergewöhnliches Verhalten zeigen,das sich mit denn für Tieftemperatur-Supraleiter (TTSL) gül-tigen Modell von Abrikosov nicht beschreibeH lässt (BISHOPet al., 1993; BLATTER et al., 1994; CRABTREE UND NELSON,1997). So ist beispielsweise der elektrische Widerstand desstark aHisotropeH HTSL Bi 2Sr2CaCu2O8+8 in einem modera-ten Magnetfeld von 10 Tesla eIst bei tiefen Temperaturen (30 K) weit unterhalb voH Te 85 K kleiner als deIjeHige vonhochreiHem Kupfer. Die vorteilhaften supraleitenden Eigen-schafteH der HTSL scheineH also bereits in eiHem Magnet-feld weit uHterhalb der obereH kritischeH Feldstärke B c2 ver-lorenzugehen. Das B-T-Phasendiagramm eiHes HTSL unter-scheidet sich daher erheblich von dem eines konventioHelleHTyp-II-Supraleiters (Abb. 1). Damit wir die Gründe dafürbesser versteheH könHeH, wollen wir zuHächst ein paar be-soHdere EigeHschafteH der HTSL beleuchteH.

Das Ausgangsmaterial aller HTSL sind Kupferoxid-Ver-bindungen, in welchen man a priori eigentlich keiHe Supra-leitung erwarteH würde. Die Mutterverbindung ist ein anti-ferromagnetischer Isolator, der Hur durch geeignete Dotie-ruHg mit beweglicheH elektrischen Ladungsträgern metal-

a) idealer Typ-II-Supraleiter

elektrischer Strom

b) realer Typ-Il-Supraleitermit Haftzentren

Abb. 3. (a) In einem idealen Typ -II-Supraleiter übt ein elektrischerStrom eine Lorentzkraft auf die Flusslinien aus, so dass diese eineDriftbewegung erfahren, welche zu Dissipation im Supraleiter führt(endlicher elektrischer Widerstand). (b) In einem realen Typ -H-Su-praleiter sind die Flusslinien an Defekten (Haftzentren) fest veran-kert. Diese Verankerung verhindert eine dissipative Flusslinienbe-wegung, solange die Stromdichte j einen kritischen Wert je nichtüberschreitet.

Fig. 3. (a) In an ideal type-Il superconductor an electrical currentgives rise to a Lorentz force on the flux lines, leading to flux-line mo-tion with dissipation (finite electrical resistance). (b) In a real type-II superconductor the flux lines are pinned at defects (pinning cen-ters). The flux pinning hinders dissipative flux-line motion, as longas the current density j does not exceed a critical value

lisch uHd uHterhalb der Sprungtemperatur Te supraleitendwird. Die ausgeprägte Schichtstruktur der HTSL ist aufge-baut aus elektrisch leitendeH Schichten aus Kupferoxid(Cu02-Ebenen), die durch isoliereHde Schichten aus anderenOxideH voneinander getrennt sind (Abb. 4). Die Cu0 2

-SchichteH können je nach Typ des HTSL aus einer, zwei oder

Magnetfeld

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Hugo Keller

gar drei leitendeH Cu0 2-EbeHeH bestehen. Durch Dotierenentstehen iH deH isoliereHdeH Oxidlagen ReseIvoirs voH be-weglicheH elektrischen Ladungen, die iH die beHachbarteHCu02-Ebenen transferiert werden uHd diese elektrisch lei-teHd machen. In diesen untereinander Hur schwach gekoppel-teH Cu02-SchichteH spielt sich die Supraleitung ab. DieseneuartigeH MaterialieH habeH sehr ungewöhnliche metalli-sche EigeHschaften. Die aussergewöhnlichste ist eben, dasssie bei sehr hohen Sprungtemperaturen bis T, 130 K supra-leitend werden. Sie uHterscheideH sich auch durch andere Ei-genschaften voH den herkömmlichen TTSL. Ein Vergleicheiniger für die Supraleitung wichtiger Parameter ist iH Tab. 1zusammengestellt. HTSL haben im GegeHsatz zu koHventio-nellen TTSL eine extrem kleiHe KohäreHzlänge und einesehr grosse EindriHgtiefe X, d. h. HTSL sind extreme Typ-II-

isolierende OxidlageLadungsreservoir

Abb. 4. Schematischer Aufbau eines Hochtemperatur-Supralei-ters. Die ausgeprägte Schichtstruktur ist aufgebaut aus elektrischleitenden Lagen aus Kupferoxid (Cu02-Ebenen), die durch isolie-rende Lagen aus anderen Oxiden voneinander getrennt sind. Diesedienen als Ladungsreservoirs fir die leitenden Cu02-Ebenen, inwelchen die Supraleitung stattfindet.

Fig. 4. Schematic structure of a high-temperature superconduc-tor. The pronounced layered structure consists of electrically con-ducting sheets of copper oxide (Cu02 planes), which are separatedfrom each other by insulating sheets of other oxides. The insulatingsheets serve as charge reservoirs for the conducting Cu0 2-planes inwhich superconductivity takes place.

Supraleiter mit x =94 » 1. Ausserdem sind die HTSL we-gen der ausgeprägteH Schichtstruktur extrem aHisotrope Su-praleiter mit eiHem Anisotropieparameter y » 1 (Tab. 1).Der AHisotropieparameter y ist das Verhältnis der EindriHg-tiefeH für supraleitende LaduHgsträger, die senkrecht bzw.parallel zu den Cu02-EbeHeH fliessen. Für y» 1 findet dieSupraleitung bevorzugt in den Cu0 2-EbeHeH statt.

Wie wir iH Abschnitt 2 gesehen haben, liefert die BCS-Theorie eiHe umfassende mikroskopische BeschreibuHg derSupraleitung in den konveHtioHellen TTSL. HingegeH gibt esbis heute noch keiHe befriedigende mikroskopische Theorie,welche deH MechaHismus der Hochtemperatur-SupraleitungbeschreibeH kaHn. hnsbesondere köHHen im Rahmen derklassischeH BCS-Theorie die iH den HTSL erreichteH ausser-gewöhnlich hohen Sprungtemperaturen (T, 100 K) Hichterklärt werden. In diesem Artikel könneH wir leider auf dieseiHteressaHte Problematik nicht Häher eingehen.

Die Ursache des uHgewöhnlichen magnetischeH Verhal-tens der HTSL ist auf die besonderen mechaHischeH und ther-mischen EigeHscha ften der FlussliHieH zurückzuführeH(BLATTER et al., 1994; CRABTREE uHd NELSON, 1997). Auf-gruHd der mechanischen SpannuHg haben die FlussliHieH beieiHer seitlichen AusleHkuHg aus ihrer Ruhelage die Tendenzsich zusammenzuzieheH – ähnlich wie ein aH beiden Endenfest eiHgespaHHtes Gummiband, das seitlich ausgelenkt wird.Der eHtspaHHte Zustand entspricht miHimaler Energie. DieFlusslinien sind – wie die Atome in einem Kristallgitter –thermischen SchwankuHgeH unterworfen, wodurch sie we-gen der seitlichen AusleHkung gedehnt werden. Dieser Deh-HuHg wirkt aber die mechanische SpaHnung der FlussliHieHeHtgegen, welche die FlussliHieH iH die entspannte Gleichge-wichtslage zurückführeH möchte. Die elastischeH Eigen-schaften eiHer FlussliHie hängen voH der Kohärenzlänge 4und der EiHdriHgtiefe k ab. Je kleiner uHd je grösser k, desto

Tab. 1. Einige wichtige physikalische Parameter für einen Tief-temperatur-Supraleiter (Niob) und einen Hochtemperatur- Supralei-ter (Bi2Sr2CaCu2O8).

Tab. 1. Some important physical parameters för a low-temperatu-re superconductor (niobium) and for a high-temperature supercon-ductor (Bi2Sr2CaCu208).

Eigenschaft Niob Bi2Sr2CaCu2O8

SpruHgtemperatur T, (K) 9 85

EiHdringtiefe X (nm) 30 180

Kohärenzlänge (um) 40 1,5

GL-Parameter x = a,/ 0,75 120

Anisotropieparameter y 1 > 150

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Magnetische Flusslinien in Hochtemperatur-Supraleitern

weicher sind die Flusslinien, d. h. desto leichter werdeH siedurch thermische SchwaHkungen aus ihrer Ruhelage ausge-lenkt, uHd zwar umsomehr, je höher die Temperatur ist. Füranisotrope Supraleiter sind die mittleren AuslenkuHgen umden Faktor y grösser als für eiHeH isotropen Supraleiter. Ver-gleicht man die relevanteH Parameter , a, und y für eiHenTTSL mit denjenigen eiHes HTSL (Tab. 1), so stellt man nachobigeH Betrachtungen fest, dass die FlussliHien iH HTSL imGegensatz zu TTSL eine sehr geriHge mechaHische Span-HuHg aufweiseH uHd daher extrem biegsam sind. Zudem siHddie Flusslinien wegeH deH hohen SpruHgtemperaturen (Fe100 K) starkeH thermischen Fluktuationen uHterworfeH. Die-se ungewöhnlichen EigenschafteH der FlussliHieH bestim-meH das B-T-Phasendiagramm voH HTSL, das in der ge-mischten Phase voH demjeHigen eines koHveHtionellen Typ-II-Supraleiters erheblich abweicht. In Abb. lb ist das starkvereinfachte B-T-Phasendiagramm eiHes extrem anisotropenHTSL (z. B. Bi2 Sr2CaCu2O8+8) dargestellt. Für hinreicheHdtiefe Temperaturen, d. h. im Bereich B e (T) <B <B,,,(T), sinddie FlussliHien an den natürlichen HaftzentreH im Supraleiterfest veraHkert, da die thermischeH Schwankungen Hicht aus-reichen, sie von deH VerankerungeH zu befreien. In diesemBereich des Phasendiagramms (FlussliHieH-Festkörper) bil-den die Flusslinien eiH festes reguläres Abrikosov-Gitter,und der Supraleiter kann eiHeH Transportstrom j < j e verlust-frei trageH. Erreicht die Temperatur eiHen bestimmteH WertT,,,, der bei grosseH äusseren Magnetfeldern weit unterhalbvon T, liegt, so sind die thermischen FluktuatioHen der Fluss-linieH so gross, dass sie sich «schlagartig» aus ihren Veranke-ruHgen befreieH können. Das FlussliHieHgitter schmilzt sozu-sageH wie ein Stück Eis, wenn die thermischeH Fluktuationender Wassermoleküle zu stark werden. Für das SchmelzeH desFlussliHieHgitters gilt das sogeHanHte LindemaHn-Kriterium:Bei der Schmelztemperatur T,,, habeH die thermischenSchwankungeH der Flusslinien eineH bestimmten Bruchteil(5 bis 20%) des mittlereH Abstandes der FlussliHieH im Gittererreicht. T,,, hängt stark vom äusseren Magnetfeld ab. Im B-T-PhaseHdiagramm (Abb. lb) wird dies durch die Schmelzli-nie B,,,(T) ausgedrückt, welche die feste Phase (FL-Festkör-per) von der flüssigen Phase (FL-Flüssigkeit) trennt. In derflüssigen Phase köIneH sich die Flusslinien — ähHlich wie dieWassermoleküle im Wasser — frei bewegen, da sie voH deHHaftzeHtreH völlig losgelöst siHd. Theoretiker haben vorge-schlagen, dass FlussliHien in HTSL als wechselwirkende«teilchenähnliche Objekte» betrachtet werdeH köHHeH, miteinem reichhaltigen PhaseHdiagramm, zusammeHgesetzt ausverschiedeHeH FL-Phasen (BLATTER et al., 1994; CRABTREEUND NELSON, 1997). Im Gegensatz zu eiHer herkömmlicheH

Flüssigkeit (z. B. Wasser) sind die «Teilchen» iH einer FL-Flüssigkeit nicht punktförmige Atome oder Moleküle, son-dern linienförmige Objekte— ähHlich wie «gekochte Spaget-ti».

Das Schmelzen des FlussliHiengitters koHHte mit ver-schiedeHeH experimentellen Methoden nachgewieseH wer-den (BISHOP et al., 1993; LEE et al., 1993; CRABTREE UNDNELSON, 1997). Erste Evidenz für dieses Phänomen wurdeim elektrischen WiderstaHd von hochreiHem YBa2Cu3O7_3gefundeH. IH der flüssigeH Phase ist der elektrische Wider-stand wegeH der DriftbeweguHg der Flusslinien gross. Beider Schmelztemperatur T,,, «gefrieren» die Flusslinien zu ei-nem festen Gitter. Sie siHd aH den HaftzentreH fest verankert,und der elektrische Widerstand fällt bei T,,, abrupt auf Hull.Als weiteres Beispiel sei ein ErgebHis unserer ForschuHgs-gruppe erwähnt. Mit Hilfe der Myon-SpiH-RotatioH-(µSR)-Methode ist es uns erstmals gelungen, das SchmelzeH desFlusslinieHgitters im HTSL Bi 2 Sr2CaCu2O8+8 auf mikrosko-pischer Ebene zu beobachten (LEE et al., 1993). Mit der ftSR-Methode kann die lokale MagnetfeldverteiluHg p(B), welcheaufgruHd der räumlicheH Verteilung der FlussliHieH im IH-nern des Supraleiters entsteht, direkt gemessen werdeH. DerSchmelzvorgang äussert sich in eiHer abrupten Formände-rung von p(B) bei T,,,, wenn der Supraleiter von der festen indie flüssige Phase übergeht, was auf einen PhaseHübergaHgerster OrdHuHg hiHdeutet. Schliesslich haben MessungeH derspezifischeH Wärme am HTSL YBa2Cu3 O7 _6 eindeutig ge-zeigt, dass das Schmelzen des FlusslinieHgitters mit latenterWärme verbunden ist uHd damit ein PhasenübergaHg ersterOrdnung vorliegt (CRABTREE UND NELSON, 1997).

Gemäss den obigeH Betrachtungen wirkt sich die flüssigePhase sehr nachteilig auf die Supraleitung aus. Fliesst näm-lich eiH Transportstrom senkrecht zum äusseren Magnetfelddurch die Probe, so führen die FlussliHien eine Driftbewe-guHg aus, welche mit eiHem Energieverlust uHd daher mit ei-Hem eHdlichen elektrischeH Widerstand verbuHden ist. Fürextrem anisotrope HTSL wie beispielsweise Bi2Sr2Ca-Cu2O8+3 (y > 100) kann die flüssige Phase (FL-Flüssigkeit)sogar einen weseHtlich grösseren Teil im B-T-Phasendia-graimn einnehmen als die feste Phase (FL-Festkörper), wasnatürlich für technische AHweHdungen trotz der hohenSprungtemperatur sehr hinderlich ist. EiH wichtiges Ziel dergegenwärtigen Forschung ist es, diesem Nachteil durch ge-zielte Massnahmen zu begegnen. So können beispielsweiseim Supraleiter durch Beschuss mit hochenergetischeH IoHeHzylindrische Defekte erzeugt werdeH, welche den FlusslinieHals künstliche HaftzeHtren dieneH, vorausgesetzt das Mag-Hetfeld ist parallel zu deH Defekten. IH derartig behandelten

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Hugo Keller

Materialien konHte die kritische Stromdichte erheblich er-höht und die Schmelzlinie B,,,(T) zu weit höheren Tempera-turen verschoben werden, beides techHologisch wichtigeVoraussetzungen. AllerdiHgs ist diese Behandlungsmethodegrosstechnologisch kaum einsetzbar. Hingegen könHteH diesupraleitenden Eigenschaften kleinerer HTSL-Komponen-ten (z. B. SeHsoren) mit dieser Methode durchaus verbessertwerdeH.

5 AUSBLICK

Obwohl in den letzten JahreH wesentliche und vielverspre-chende Fortschritte im Bereich technischer AHweHduHgenvon HTSL erzielt wurden (MÜLLER, 1996), eHthält die Phy-sik der HTSL Hoch viele offene FrageH priHzipieller Art, wel-che Hicht zuletzt auch für AHweHdungen von BedeutuHgsiHd. Ein aktuelles Thema ist das Studium von magHetischeHFlusslinien in HTSL, welches zu einem eigeHständigen For-schungsgebiet der Physik der kondeHsierteH Materie gewor-den ist (BLATTER et al., 1994; CRABTREE UND NELSON,

1997). Bis heute gibt es Hoch keine umfasseHde mikroskopi-sche Theorie, welche die Ursache der Hochtemperatur-Su-praleituHg befriedigend erkläreH kann, obschon sich vieleHamhafte Wissenschaftler mit dieser fundamentalen Fragebefassen. Das LöseH dieser anspruchsvollen Aufgabe ist zur-zeit zweifellos eine der grössten HerausforderuHgen der mo-derneH Physik. Nicht zuletzt ist es für eiHe Weiterentwick-luHg des Gebietes wichtig, dass Heue Herstellungsmethodenentwickelt werden, welche die Präparation voH Materialienmit «massgeschneiderten» EigenschafteH ermöglichen, odergar zur EHtdeckung neuer Supraleiter führen.

6 DANK

Der Autor möchte alleH Mitgliedern der Forschungsgruppe«SupraleituHg uHd Magnetismus» der UHiversität Zürich fürihre fruchtbare Zusammenarbeit uHd dem SchweizerischenNatioHalfonds für die fiHaHzielle Unterstützung daHken.Dank gebührt auch J. Roos und A. Thellung für die sorgfälti-ge Durchsicht des MaHuskripts und die wertvollen Verbesse-rungsvorschläge.

7 LITERATUR

BEDNORZ, J.G. & MÜLLER, K.A. 1986. Possible High T e Supercon-ductivity in the Ba-La-Cu-O System. – Z. Phys. B – CondensedMatter 64, 189-193.

BISHOP, D.J., GAMMEL, P.L. & HUSE, D.A. 1993. MagnetischesVerhalten von Hochtemperatur-Supraleitern. – SpektrIm der Wis-senschaft (April 1993), 46-53.

BLATTER, G, FEIGEL'MAN, M.V., GESHKENBEIN, V.B., LARKIN,A.I. & VINOKUR, V.M. 1994. Vortices in high-temperature super-conductors. – Rev. Mod. Phys. 66, 1125-1388.

CRABTREE, G.W. & NELSON, D.R. 1997. Vortex Physics in High-Temperature Superconductors. – Physics Today (April 1997),38-45.

LEE, S.L., ZIMMERMANN, P., KELLER, H., WARDEN, M., SAVIC,I.M., SCHAUWECKER, R., ZECH, D., CUBITT, R., FORGAN, E.M.,KES, P.H., Li, T.W., MENOVSKY, A.A. & TARNAwSKI, Z. 1993. Evi-dence for Flux-Lattice Melting and a Dimensional Crossover inSingle-Crystal Bi2.15 Sr1.85CaCu2O8+8 from Muon Spin Rotation Stu-dies. – Phys. Rev. Lett. 71, 3862-3865.

MÜLLER, K.A. 1996. Kürzliche Fortschritte im Bereich der Hoch-temperatur-Supraleitung. – Mensch und Natur, Festschrift zur 250-Jahr-Feier der Naturf. Gesell. in Zürich, DIuck und Verlag: KO-PRINT AG, Alpnach Dorf, pp. 119-126.

Prof. Dr. Hugo Keller, Physik-Institut, UHiversität Zürich-Irchel, Winterthurerstrasse 190, CH-8057 ZürichE-Mail: [email protected]; Home page: http://www.physik.uHizh.ch/groups/groupkeller/

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