Monay

Embed Size (px)

Citation preview

  • 7/30/2019 Monay

    1/7

    707WSI Mitteilungen 12/2005

    1Einleitung

    In der Europischen Whrungsunion grtes. Bis hin zu lautem Nachdenken fhren-der Politiker ber einen Austritt aus demVerbund reichen inzwischen die Sympto-me einer groen Krise, die die junge Unionerfasst hat. Was ist geschehen? Eine Reihevon Lndern hat seit Beginn der Unionmassiv an Wettbewerbsfhigkeit verloren.Ihr realer Wechselkurs, den es im Gegen-satz zum nominalen Wechselkurs auch in-nerhalb einer Whrungsunion noch gibt,hat sich aufgewertet.1 In der Vergangenheitkam in solchen Situationen regelmig dasVentil einer nominalen Abwertung zumEinsatz. Dieses steht nun nicht mehr zurVerfgung. Daraus wird von vielen im In-und Ausland geschlussfolgert, nur ein Aus-tritt aus der Whrungsunion knne dieWettbewerbsfhigkeit der zurckgefalle-nen Nationen wiederherstellen.

    Dieser Kurzschluss offenbart, dass dieRatio einer Whrungsunion noch immernicht verstanden wird insbesondere nichtin Deutschland, dessen realer Wechselkursabgewertet hat und das dadurch massiv anWettbewerbsfhigkeit gegenber seinenWhrungsunionspartnern gewonnen hat.In der gleichen Weise wie die meisten Be-obachter in Deutschland von Anfang annur politische Grnde fr die Teilnahme ander Europischen Whrungsunion (EWU,auch Euroraum genannt) gelten lieen,

    Mittel der Wirtschaftspolitik ausgedienthaben. Durchschauen die Menschen ein-mal, dass Inflation sie nur ber die wahrenVerhltnisse tuscht, lassen sie sich auchvon einer Abwertung nicht mehr hintersLicht fhren. Wenn die jeweilige nationaleWirtschaftspolitik einschlielich der Lohn-politik diese Erkenntnis in der Realitt um-setzt, wird sie in allen Lndern annherndgleich niedrige Inflationsraten realisieren.Dann ist internationale Arbeitsteilung zwi-

    Die deutsche Lohnpolitik sprengt dieEuropische Whrungsunion

    Heiner FlassbeckFriederike Spiecker

    Warum lernen wir nicht aus der Geschichte? Weniger als zehn Jahre nach der deutschen Vereinigung und ihren krassen wirtschaftspo-litischen Fehlentscheidungen begann auf europischer Ebene ein Prozess,der auf mittlere Sicht die Europische Whrungsunion zer-stren muss. Heute sind sich fast alle konomen ber die Ursachen des deutsch-deutschen Scheiterns einig: Der rasche bergang derostdeutschen Wirtschaft zur harten D-Mark und die schnelle Lohnangleichung waren die entscheidenden Faktoren, die den deutschenOsten de-industrialisiert und zu einem reinen Transferempfnger degradiert haben. In der Europischen Whrungsunion passiert imMoment in dramatischem Tempo genau das Gleiche, aber die Experten wiegeln ab. Deutschland senke zwar seine Lhne im Verhltniszu seiner Produktivitt und im Verhltnis zu vielen Partnerlndern und treibe die Partner ins Leistungsbilanzdefizit, doch das sei oh-ne Weiteres hinnehmbar, weil dort die Realzinsen wesentlich niedriger seien.Da sich die Vernderung des realen Wechselkurses im Zeit-ablauf kumuliert, so jngst die Mehrheit des Sachverstndigenrates im Jahresgutachten 2005, sei der Wettbewerbskanal langfristigein wirksamer Anpassungsmechanismus,der eine Destabilisierung der Whrungsunion in Folge bestehender Inflationsdifferenzen ver-hindert (Ziffer 599). Das ist fundamental falsch.

    sehen sie jetzt im Versagen der anderenden entscheidenden Grund fr die entstan-denen Schwierigkeiten.Die Rolle Deutsch-lands beim Entstehen der Krise wird kaumproblematisiert. Deutschland tut nach An-sicht der Mehrheit der deutschen Exper-ten, der Deutschen Bundesbank und zu-mindest implizit auch der EuropischenZentralbank, was es zum Abbau der Ar-beitslosigkeit tun muss, ohne die Inflationin Europa anzuheizen:es versucht seine Ar-beitskosten zu senken. Mehr knne nie-mand von Deutschland erwarten. Unddoch ist diese Position vllig unhaltbarund, schlimmer noch, inkonsistent mitdem Wunsch nach dauernder Geldwertsta-bilitt, der wie kein anderer die deutschePosition bei den Verhandlungen um dieGrndung der EWU dominiert hat.

    2Leben gem den eigenenVerhltnissen

    Der Zusammenschluss mehrerer Staatenzu einem Festkursverbund oder einerWhrungsunion ist immer dann mglichund sinnvoll, wenn sich die Partnerlndereinig sind in der Erkenntnis, dass die n-derung des Geldwertes in der Zeit, also In-flation oder Deflation, kein Mittel sinnvol-ler Wirtschaftspolitik ist. Aus dieser Er-kenntnis folgt nmlich unmittelbar, dassauch nderungen des Geldwertes imRaum, also Wechselkursnderungen, als

    Heiner Flassbeck, Prof. Dr. Diplom-Volks-

    wirt, ist Direktor der Division on Globaliza-

    tion and Development Strategies der

    UNCTAD in Genf und Professor an der

    Universitt Hamburg.

    e-mail: [email protected]

    Friederike Spiecker, Diplom-Volkswirtin,

    Mitarbeiterin des DIW Berlin, zurzeit im

    Erziehungsurlaub.

    Die Autoren dankenJohann Jckel fr seine

    Mitarbeit.

    1 Der reale Wechselkurs bezeichnet das Verhltnis,zu dem ein reprsentativer Gterkorb eines Landesgegen den reprsentativen Gterkorb eines ande-ren Landes getauscht werden kann. Der realeWechselkurs trgt also den Inflationsdifferen-zen zwischen Volkswirtschaften Rechnung. DieWhrung des Landes mit der hheren Inflationwertet real auf, sofern der nominale Wechselkursnicht entsprechend fllt.

  • 7/30/2019 Monay

    2/7

    708 WSI Mitteilungen 12/2005

    schen diesen Staaten bei festen Wechsel-kursen bzw.bei gleicher Whrung mglichund sinnvoll, weil die Kosten von Wechsel-kursspekulationen und die Kosten vonWechselkursnderungen eingespart wer-den. Die internationale Arbeitsteilung in-

    nerhalb eines solchen Whrungsraumesfunktioniert dann nicht anders als die na-tionale.

    Wie aber knnen in jedem Land gleichniedrige Inflationsraten erreicht werden?Indem in jedem Land anerkannt wird, dassman sich auf Dauer an seine Verhltnisseanpassen muss, also langfristig weder bernoch unter seinen Verhltnissen lebenkann.Das wiederum heit,dass jedes Landmittel- bis langfristig genauso viel konsu-miert, wie es produziert. Das bedeutet imErgebnis, dass man im Durchschnitt derJahre eine halbwegs ausgeglichene Leis-

    tungsbilanz aufweist.Warum das so ist, lsst sich am Beispiel

    eines einzelnen Wirtschaftssubjektes ver-anschaulichen. Will ein einzelnes Wirt-schaftssubjekt ber seine Verhltnisse le-ben, also mehr Gter beanspruchen, als esselbst produziert,muss es sich verschulden.Dafr muss es einen Glubiger finden, alsojemanden, der ihm im wahrsten Sinne desWortes glaubt, dass es auf Dauer in der La-ge ist, die ber sein derzeitiges eigenes Ein-kommen hinausgehenden Konsuman-sprche eines Tages wieder zurckzahlenzu knnen, einschlielich der vereinbartenVerzinsung. Der Glubiger leiht demSchuldner von seiner Kaufkraft. Eines Ta-ges muss der Schuldner dann unterseinenVerhltnissen leben, weniger verbrauchenals er produziert bzw. an Einkommen er-zielt, um seine Schulden zu begleichen. Imlangfristigen Durchschnitt muss er alsogem seinen wirtschaftlichen Mglichkei-ten leben. Anderenfalls wird dieses Wirt-schaftssubjekt zahlungsunfhig, geht alsUnternehmen Pleite, verschwindet vomMarkt oder muss als Privatperson durchTransferzahlungen untersttzt werden.

    Das gilt auch umgekehrt: Wer unter sei-nen Verhltnissen leben, d.h. sparen will,muss jemanden finden, der ber seine Ver-hltnisse leben, sich verschulden mchte.Denn sonst kann der Sparwillige das Ein-kommen, aus dem er sparen will, gar nichtin der geplanten Hhe erzielen. Sein Ein-kommen bzw. seine Kaufkraft besteht jaaus dem Gegenwert der Gter, die er pro-duziert und verkauft. Leiht sich niemandvon dem Sparwilligen die ber dessen eige-ne Konsumplne hinausgehende geplante

    Kaufkraft, bleibt der Sparwillige sozusagenauf diesem berschuss sitzen und reali-siert in eben dieser Hhe kein Einkommen.Er mag zwar mehr produziert haben als erkonsumieren wollte,aber mit dem Verkaufdieses Mehr an Gtern am Markt ist es

    nichts geworden, wenn niemand bereitwar, sich zu verschulden. Folglich ist esdann auch mit dem Sparen nichts gewor-den.

    So wie unmittelbar einleuchtend ist,dass ein potenzieller Schuldner nur dannetwas ber sein eigenes Einkommen hinauskonsumieren, also sich verschulden kann,wenn ein anderer bereit ist, auf die ent-sprechende Gtermenge, sprich Kaufkraft,zu verzichten, weil jedes Gut nur einmalverbraucht werden kann,so logisch ist auchder umgekehrte Fall. Ersparnis und Ver-schuldung gleichen sich immer aus, die

    ausgeliehene Kaufkraft ist immer gleich derverliehenen, die Kaufkraft insgesamt ent-spricht der Summe der Produktion. DurchSparen irgendeines oder beliebig vielerWirtschaftssubjekte kann sie nicht ver-mehrt werden.2

    Irgendwann muss der Sparer seineGlubigerposition wieder auflsen, alsoberseine Verhltnisse leben, mehr ver-brauchen als er aktuell an Einkommen er-zielt.Wenn er bis an sein Lebensende Glu-biger bleibt, muss er sein Vermgen verer-ben. Oder er verschenkt seine Konsuman-sprche, sprich erlsst seinen Schuldnerndie Rckzahlung der Schulden, was eben-falls nichts anderes als ein Transfer vonKaufkraft bedeutet.

    Was fr ein einzelnes Wirtschafts-subjekt gilt, gilt hier ganz hnlich fr Staa-ten. Der Hauptunterschied besteht darin,dass eine Volkswirtschaft nicht Pleite ge-hen und vom Markt verschwinden kannwie ein Unternehmen, weil die in demLand lebenden Menschen weiter existierenmssen. Tritt wegen berschuldung, alsomittel- bis langfristigem Leben-ber-die-eigenen-Verhltnisse,Zahlungsunfhigkeit

    ein, gert das Land in Abhngigkeit seinerGlubiger, die es durch Schuldenerlass bzw.Transferzahlungen aus der Krise fhrenmssen.Auch kann ein Land nicht sterben,ist sein Zeithorizont nicht begrenzt wie dereines einzelnen Wirtschaftssubjektes. Eskann also im Falle einer anhaltendenGlubigerposition nichts vererben, wohlaber Konsumansprche verschenken, d.h.Schulden erlassen.

    Ein weiterer Unterschied zum einzel-nen Wirtschaftssubjekt besteht darin, dass

    ein Land kein selbststndig handelndesSubjekt ist, sondern in wirtschaftlicherHinsicht aus einer Vielzahl einzelwirt-schaftlich ttiger Privatpersonen und Un-ternehmen besteht. Daraus folgt,dass nichtdas Land als solches agiert, sondern wirt-

    schaftlich handelnde Personen, die relativhomogen auf bestimmte wirtschaftspoliti-sche Signale reagieren.

    3Die lohnpolitische Spiel-regel

    Das wirft die Frage auf, wie man all dieseWirtschaftssubjekte zur Einhaltung der Re-gel bewegen kann,dass das Land insgesamtund langfristig nicht mehr verbrauchen

    darf, als es produziert. Denn beispielsweiseder einzelne Konsument interessiert sichmeist wenig dafr, ob das von ihm gekauf-te Gut aus dem In- oder Ausland stammt,weit mehr aber fr die Frage, welches An-gebot bei gleicher Qualitt das preisgnsti-gere ist. Auch ein Unternehmen, das Vor-leistungen importiert, beschftigt sichnicht mit der Frage, ob es in gleicher HheAbsatz bei auslndischen Kunden hat. DerAusgleich muss also quasi automatisch er-folgen durch eine Spielregel,an die sich dieWirtschaftssubjekte aller Lnder halten.

    Diese Spielregel ergibt sich ganz un-mittelbar aus dem Zwang zur Anpassungan die eigenen Verhltnisse. Die eigenenVerhltnisse werden wiederum vorgegebenvon der Produktivkraft jeder Volkswirt-schaft, also der Fhigkeit, Einkommendurch eine mehr oder weniger geschickteKombination von Arbeit und Kapital zu er-zielen.Die Vernderung der Produktivkraftbestimmt das Tempo der Zunahme derEinkommen aller am Arbeitsleben beteilig-ter Wirtschaftssubjekte. Folglich mssendie Reallhne und die realen Kapitalein-kommen im Durchschnitt einer Volkswirt-

    schaft auf lange Sicht so steigen wie die ge-samtwirtschaftliche Produktivitt. Denndann erhalten alle Arbeitseinkommensbe-

    2 Diese Rechenlogik scheint brigens manch einemWirtschaftsexperten nicht ganz gelufig zu sein,denkt man an die Diskussion um die ffentlicheVerschuldung. Dass nmlich hinter jedem Euro,den der Staat schuldet, ein Glubiger stehen muss(und Glubiger sind zum groen Teil inlndischeSparer und Steuerzahler), wird oft ausgeblendet.

  • 7/30/2019 Monay

    3/7

    709WSI Mitteilungen 12/2005

    zieher und alle Eigentmer von Kapital zu-sammen so viel reale Kaufkraft, wie sie G-ter hergestellt haben.

    Entscheidend fr die Frage, ob eineVolkswirtschaft sich relativ reibungslos anihre Verhltnisse anpasst, sind die Lohn-vereinbarungen. Hier werden die entschei-denden Weichen gestellt, da sich die Ge-winne der Unternehmen eher passiv als Er-gebnis von Lohnverhandlungen und vielenanderen Faktoren am Ende des Prozesses residual ergeben. In den Lohnverhand-lungen wird aber nicht ber Reallhne,sondern nur ber Nominallhne verhan-delt. Folglich muss in die Lohnverhandlun-gen eine Vorstellung darber eingehen, wiesich das Preisniveau entwickeln wird. Idea-lerweise legen hier beide Tarifparteien einepolitische Norm zu Grunde, weil die Infla-tionsrate selbst in hohem Mae von denTarifparteien determiniert wird.

    Folglich lautet die Spielregel fr dieLohnpolitik: Die Nominallhne mssenim Durchschnitt einer Volkswirtschaft sosteigen wie die Summe aus gesamtwirt-schaftlichem Produktivittswachstum3

    und der von der Gesellschaft im einheitli-

    chen Whrungsraum gewnschten Infla-tionsrate. Dann steigen die gesamtwirt-schaftlichen Lohnstckkosten in Hhe derZielinflationsrate. Dass die gesamtwirt-schaftlichen Lohnstckkosten mittelfristigden Anstieg der Preise bestimmen, liegtdaran, dass alle in den Preis eines Gutes ein-gehenden Kosten letztendlich auf dem Fak-tor Arbeit beruhen. Auch Kapitalkostensind wie alle brigen Vorleistungen Kosten vorgetaner Arbeit,denn auch Ma-schinen sind irgendwann einmal mit Hilfe

    von Arbeit hergestellt worden.4 Wer demtheoretischen Argument nicht traut, lassesich von der Empirie berzeugen, die inAbbildung 1 sichtbar wird.

    Wie die genannte Spielregel konkret ineinem Land umgesetzt wird, hngt vom je-weiligen Lohnfindungsmechanismus ab. Jenachdem, ob Vertrge zwischen groen Ta-rifparteien, auf Branchen- oder Betriebs-ebene oder einzelwirtschaftlich ausgehan-delt werden, knnen sehr unterschiedlicheLohnabschlsse fr einzelne Branchen,Be-triebe, Regionen oder Qualifikationen zu-stande kommen. Welches Lohnbildungs-system geeignet ist, die fr die Geldwert-stabilitt erforderliche Lohnregel durchzu-setzen und gleichzeitig mglichst hoheAnreize fr Produktivittssteigerungen zusetzen, soll hier nicht diskutiert werden.

    4Abweichen von der Spiel-regel bei flexiblen Wech-selkursen

    Was geschieht, wenn sich ein einzelnesLand, das keiner Whrungsunion angehrtund entsprechend flexible Wechselkursehat, nicht an die lohnpolitische Spielregelhlt und, sagen wir,ber seine Verhltnisselebt? Wenn also Lohnvereinbarungen ober-halb der Produktivitt plus Zielinflations-rate getroffen werden? Dann steigen dieLohnstckkosten dieser Volkswirtschaftund damit seine tatschliche Inflation str-ker als die Zielinflationsrate, die Geldwert-stabilitt in der Zeitnimmt ab. Halten sich

    gleichzeitig die Handelspartner der be-trachteten Volkswirtschaft ihrerseits an dielohnpolitische Spielregel und streben siedie gleiche Zielinflationsrate an, nimmtauch die Geldwertstabilitt des Landes imRaum ab: Die Whrung des Landes wird

    durch die Devisenmrkte abgewertet odermuss in einem politischen Prozess im wei-testen Sinne abgewertet oder zur Abwer-tung freigegeben werden.

    Die Korrektur der preislichen Wettbe-werbsfhigkeit des Landes ist unumgng-lich. Kein Land der Welt kann auf Daueram Weltmarkt bestehen, wenn die Unter-nehmen dieses Landes im Durchschnitt zuteuer produzieren. Hat einmal die Wettbe-werbsfhigkeit durch zu hohe Lohnsteige-rungen gelitten, muss dies korrigiert wer-den. Bei flexiblen Wechselkursen oder injedem anderen Regime anpassungsfhiger

    Wechselkurse wird durch die nominale Ab-wertung den realen Verhltnissen wiederRechnung getragen.

    Was geschieht im umgekehrten Fall,wenn ein Land mit flexiblen Wechselkur-sen unter seinen Verhltnissen lebt? Dannwertet seine Whrung ber kurz oder langauf: Die Zunahme der preislichen Wettbe-werbsfhigkeit auf dem Weltmarkt wirdauf diese Weise wieder abgebaut, die Preis-niveaudifferenz gegenber dem Auslandausgeglichen.

    5Abweichen von derSpielregel innerhalb einerWhrungsunion

    Und wie stellt sich die Situation innerhalbeiner Whrungsunion dar? Welche Folgenhat ein Abweichen von der lohnpolitischenSpielregel durch ein einzelnes Mitglieds-land, wenn es mangels eigener Whrung

    3 Hier wie in allen folgenden Ausfhrungen istselbstverstndlich ein Trend der Produktivitt ge-meint und nicht ein einzelner Jahres- oder garQuartalswert.

    4 Ein weiterer Faktor, von dem die Inflationsrate ab-hngt, sind die Importpreise, in einem rohstoffar-men Land wie der Bundesrepublik Deutschlandnamentlich die Rohstoffpreise. Diese werden abernicht direkt von den Wirtschaftssubjekten im In-land bestimmt, allenfalls durch ihr Nachfragever-halten mit beeinflusst und stehen insofern nicht alsInstrument zur Einhaltung der Spielregel zurVerfgung.

    jhrlicheVernderungsrate

    in%

    Abb. 1: Lohnstckkosten1) und Inflation2) in der EU-151980 bis 2005 - in % -

    1) Gesamtwirtschaftliche Lohnstckkosten.2) Deflator des Bruttoinlandsprodukts.

    Quelle: AMECO-Datenbank, Stand: April 2005.

    0

    2

    4

    6

    8

    10

    12

    14

    1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004

    Lohnstckkosten Inflation

  • 7/30/2019 Monay

    4/7

    710 WSI Mitteilungen 12/2005

    weiche genau eine Periode lang mit seinenNominallhnen von der lohnpolitischenSpielregel nach oben ab, anschlieend ver-halte es sich wieder genau entsprechend derSpielregel, sodass seine Inflationsrate wie-der auf das Niveau der Zielrate falle. Dann

    sind die Produkte des Landes in der erstenPeriode teurer als die der internationalenKonkurrenz, die Wettbewerbsfhigkeitsinkt und das Land verliert Marktanteile.Gleichzeitig wirkt der im Vergleich zurKonkurrenz niedrigere Realzins stimulie-rend.

    In der nchsten Periode steigen die Pro-duktpreise des Landes genau so stark wiedie der internationalen Konkurrenz, je-doch ausgehend von einem hheren Ni-veau erneut bietet das Land also teurer anals die Konkurrenz und verliert wiederumMarktanteile. Gleichzeitig kann es aber

    nicht mehr von einem gnstigeren Real-zins profitieren,weil es eben die gleiche In-flation aufweist wie die anderen Lnder.Ein zustzlicher Wachstumsimpuls bleibtaus. Mit anderen Worten: Der Realzinsef-fekt kann ein lohnpolitisches Abweichenvon der Spielregel, egal wie kurz es dauert,nie ausgleichen, weil er den Preisniveauun-terschied nicht beseitigen kann, der durchdas (einmalige) Abweichen entstanden ist.Das Preisniveau ist aber die entscheidendeGre beim Kampf um die Marktanteileinnerhalb einer Whrungsunion, nicht dieVernderungsrate. Der Kufer interessiertsich nicht dafr,ob das teurere Produkt umden gleichen Prozentsatz teurer gewordenist wie das billigere, er interessiert sich frden absoluten Preis. Das heit aber, dassder Verlust an Marktanteilen nur gestopptund wieder ausgeglichen werden kann,wenn das Land sein lohnpolitisches Fehl-verhalten komplett korrigiert und so langeunterhalb der Zielinflationsrate bleibt, bissich sein Preisniveau wieder dem der Wett-bewerber angenhert hat. Anderenfalls istder Marsch in die Transferunion unver-meidlich, ganz gleich welche Rolle der

    Realzinseffekt fr die Wachstumsratespielt.

    porte die dmpfende Wirkung einerzurckhaltenden Lohnpolitik auf Dauernicht ausgleichen, wenn der private Ver-brauch ein greres Gewicht als derAuenhandel (Export und Importsubsti-tution) hat. Unabhngig davon gilt aber in

    jedem Fall, dass die dauerhafte Verschul-dung des Auslands beim Land des Grtel-enger-Schnallens gerade auch in einerWhrungsunion dieser Strategie eine klareGrenze setzt, nmlich die der Zahlungs-fhigkeit und des bergangs in eine Trans-ferunion, also in eine Gemeinschaft, in derdie vor der Zahlungsunfhigkeit stehendenLnder von den restlichen Lndern der Ge-meinschaft freigehalten werden.

    Halten sich die durch die Strategie derLohnzurckhaltung benachteiligten Part-nerlnder der Whrungsunion bei denLohnabschlssen im Durchschnitt weiter

    an die von der Zentralbank vorgegebeneZielinflationsrate plus nationale Produkti-vitt, verlieren sie laufend Marktanteile andie Abweichler. Auf Dauer ist dann eineTransferunion unvermeidlich.

    Kopieren die Partnerlnder hingegendie Strategie des Grtel-enger-Schnallens,knnen sie im Preissenkungswettlauf mit-halten. Das bedeutet aber zwingend, dassdie Zielinflationsrate in der Whrungsuni-on nicht gehalten werden kann, sonderneine Abweichung nach unten erfolgt.Bei ei-ner Zielrate von 2 % nhert man sich dannunversehens der Deflation, deren einmalbegonnenem Teufelskreis zu entkommennur schwer mglich ist.

    6Exkurs: Realzinseffektversus Wechselkurseffekt

    Innerhalb einer Whrungsunion wird einezentrale Geldpolitik gemacht, sind also fralle Mitglieder die Zinsvorgaben der Zen-tralbank gleich. Ein Land mit einer ber-

    durchschnittlichen Inflationsrate weist imVergleich zu seinen Whrungsunionspart-nern niedrigere Realzinsstze auf, die aufInvestitionen und damit Wachstum stimu-lierend wirken. Dennoch kann dieser Real-zinseffekt anders als dies z. B. der Prsi-dent der Deutschen Bundesbank meint5 die Marktanteilsverluste gegenber denHandelspartnern niemals ausgleichen.Woran liegt das?

    Betrachten wir ein einfaches Beispiel:Ein Mitgliedsland der Whrungsunion

    kein Ab- bzw. Aufwertungsventil gegen-ber den Partnerlndern der Whrungs-union mehr gibt? Dann tritt der Fall ein,der oben fr ein einzelnes Wirtschaftssub-jekt beschrieben wurde: Wer einmal berseine Verhltnisse lebt, verliert Marktantei-

    le, weil er teurer anbieten muss als die aus-lndische Konkurrenz.Erst wenn eine Kor-rektur der Lohnentwicklung in gleicherHhe nach unten erfolgt, kann die ur-sprngliche Wettbewerbsfhigkeit zurck-gewonnen werden. Geschieht dies nicht,gert das Land in die Abhngigkeit seinerWhrungsunionspartner, die ihm letztenEndes Transfers zahlen mssen.

    Wer einmal unter seinen Verhltnissenlebt, gewinnt hingegen Marktanteile vonseinen Whrungsunionspartnern. DasLand, das seinen Grtel enger schnallt, alses der von der Zentralbank vorgegebenen

    Zielinflationsrate plus Produktivittsfort-schritt entspricht, segelt im whrungspoli-tischen Windschatten seiner Whrungs-unionspartner: Es muss nicht wie im Fallflexibler Wechselkurse mit einer nomina-len Aufwertung rechnen, die die reale Un-terbewertung seiner Whrung korrigiertund damit den Wettbewerbsvorteil zunich-te macht. Denn Marktanteilsgewinne in-nerhalb der Whrungsunion interessierendie Devisenmrkte nicht. Solange sichnicht die Auslandsposition der gesamtenWhrungsunion verndert, besteht fr dieDevisenhndler kein Korrekturbedarf.Sollte die Glubigerposition der Wh-rungsunion gegenber Drittlndern je-doch durch die gesteigerte Wettbewerbs-fhigkeit des einen Mitgliedes zunehmenund eine Aufwertung der Whrung nachsich ziehen, trifft diese Verschlechterungder Wettbewerbsbedingungen auf denDrittmrkten alle Partnerlnder derWhrungsunion und nicht nur den Spiel-verderber. Folglich korrigiert eine solcheAufwertung die bereits verzerrten Verhlt-nisse innerhalb der Union nicht.

    Doch das Unter-den-eigenen-Verhlt-

    nissen-Leben hat selbstverstndlich bin-nenwirtschaftliche Konsequenzen.Der pri-vate Verbrauch muss sich auf langsamerwachsende reale Arbeitseinkommen stt-zen, was die von der inlndischen Nachfra-ge abhngigen Branchen in Bedrngnisbringt. Letzten Endes mssen die Unter-nehmen auf die schwchere Nachfrageent-wicklung im Inland mit geringeren Preis-steigerungen als ursprnglich geplant odersogar mit Preisnachlssen reagieren. Dabeikann die gnstigere Entwicklung der Ex-

    5 Vgl. Weber 2005, S. 29. Der Bundesbankprsidentstellt in diesem Vortrag fest, dass der Wechselkurs-effekt den Realzinseffekt ausgleichen knne, weiler sich kumuliert. Es ist aber genau umgekehrt:Weil sich der Wechselkurseffekt kumuliert, kannder Realzinseffekt ihn niemals ausgleichen. Vgl.zum gleichen Fehler: SVR (2005), Ziff. 599.

  • 7/30/2019 Monay

    5/7

    711WSI Mitteilungen 12/2005

    7Die deutsche Ankerrolleauf dem Weg zur Europi-schen Whrungsunion

    In welchem Mae Deutschland die Ent-wicklung hin zur EWU geprgt hat, kannman an der Konvergenz der europischenLohnstckkosten (gemessen in Landes-whrung) ablesen (Abbildung 2).Whrendder gesamten 80er Jahre und bis zum end-gltigen bergang in die Whrungsunionwar Deutschland der Anker, an dem sichdie Anpassung der anderen jederzeit aus-richtete. Abbildung 2 verdeutlicht, dassauch Deutschland nach der zweiten l-

    preisexplosion zu Beginn der 80er Jahreein Inflationsproblem hatte, weil dieWachstumsrate der Lohnstckkosten diedamals von der Deutschen Bundesbankgesetzte Inflationsnorm weit berstieg.Dennoch war Deutschland auch damalsden europischen Partnern in Sachen Kos-tendisziplin weit berlegen. Deutschlandhatte 1980 mit Lohnstckkostenzuwch-sen in der Grenordnung von 7 % zukmpfen. In den Lndern, die spter diePartner in der Whrungsunion werdensollten, lagen die Steigerungsraten derLohnstckkosten deutlich und vor allember einen viel lngeren Zeitraum hher,1983 waren es z. B. mehr als 7 Prozent-punkte Unterschied zu (West-)Deutsch-land.

    Deutschland erreichte schon Mitte der80er Jahre die Norm von 2 %, die bis in dieWhrungsunion hinein gltig bleiben soll-te. Nur einmal noch, im Zuge der deut-schen Wiedervereinigung, wurde dieseNorm fr kurze Zeit berschritten, vor al-

    lem, weil die Lhne in Ostdeutschland oh-ne jeden Kontakt zur dortigen Produkti-vitt rasch an das Westniveau angeglichenwerden sollten.Fr Westdeutschland gab esin dieser Periode angesichts boomenderBeschftigung und sinkender Arbeitslosig-keit zwar auch eine leichte Abweichungnach oben, ein Verlust an Wettbewerbs-fhigkeit gegenber den anderen EWU-Partnern drfte hier aber nicht oder nichtin nennenswertem Umfang eingetretensein.6

    Aus diesem Befund folgt, dass West-deutschland brigens schon seit dem En-

    de des Zweiten Weltkriegs bis zum ber-gang in die EWU niemals ein von derLohnpolitik induziertes Wettbewerbs-fhigkeitsproblem hatte. Bis zum Ende desBretton Woods Systems, dem Ende derWechselkursanbindung an Gold, am An-fang der 70er Jahre ist das ohnehin evidentund unbestritten. Aber auch danach warWestdeutschland immer das klassischeHartwhrungsland in Europa und in derWelt, das heit das Land, das die Mast-be in Sachen Lohndisziplin und Stabi-littskultur fr die anderen setzte.7 Wenneinmal ein Problem mit der internationa-len Wettbewerbsfhigkeit auftrat, dannwar das einer berschieenden nominalenAufwertung der D-Mark geschuldet, nichtaber einer aus dem Ruder geratenen Lohn-politik.

    Mit der Vorbereitung auf die EWU hatsich aber die Rolle der Lohnpolitik inDeutschland fundamental gewandelt.Nachdem ein von der Politik initiiertesBndnis fr Arbeit im Jahre 1996 be-schlossen hatte, die Produktivitt fr dieBeschftigung zu reservieren, war die Zeitder Lohnpolitik als deutscher und europi-

    scher Stabilittsanker beendet (Flassbeck2000).Abbildung 2 zeigt,dass die deutschenLohnstckkosten schon ab Mitte der

    6 Die Datenlage ermglicht keine exakte Trennungvon Ost- und Westdeutschland.

    7 Das gilt im brigen selbst fr die Phase einer aus-gesprochen aggressiven Lohnpolitik Mitte der70er Jahre. Damals stiegen im Rest der Welt Lh-ne und Lohnstckkosten noch weit strker als inDeutschland.

    Abb. 2: Lohnstckkosten1) in Deutschland2) und den brigen EWU-Mitgliedslndern3) 1980 bis 1998 - in % -

    1) Gesamtwirtschaftlich, in Landeswhrung. - 2) Westdeutschland, ab 1991 Deutschland.3) EWU (= Euroraum) ohne Deutschland. - 4) Logarithmischer Trend.

    Quelle: AMECO-Datenbank, Stand: April 2005; eigene Berechnungen.

    -2

    0

    2

    4

    68

    10

    12

    14

    1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998

    JhrlicheVernderun

    gsratein%

    Trend4) EWU ohne Deutschland

    DeutschlandTrend4)

    jhrlicheVern

    derungsrate

    in%

    Abb. 3: Lohnstckkosten1) in Deutschland und den brigen EWU-Mitgliedslndern2) 1999 bis 2005 - in % -

    1) Gesamtwirtschaftlich, In Landeswhrung.2) EWU (= Euroraum) ohne Deutschland.

    Quelle: AMECO-Datenbank, Stand: April 2005; eigene Berechnungen.Werte fr 2005 sind Prognose der EU-Kommission.

    -2

    -1

    0

    1

    2

    3

    4

    1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

    DeutschlandEWU ohne Deutschland

  • 7/30/2019 Monay

    6/7

    712 WSI Mitteilungen 12/2005

    1990er Jahre unter die Norm von 2 %tauchten. Besonders dramatisch aber wirddie Entwicklung mit dem eigentlichen Be-ginn der Whrungsunion im Jahre 1999.WieAbbildung 3 zu entnehmen, bewegensich die brigen Lnder in der Union nur

    geringfgig ber der Ziellinie von 2 %,nmlich im Durchschnitt der Jahre 1999bis 2004 um knapp 0,5 Prozentpunkte.Deutschland hingegen weicht von der Zie-linflationsrate im gleichen Zeitraum umdurchschnittlich 1,5 Prozentpunkte nachunten ab, ist im Jahr 2004 sogar in die ab-solute Lohndeflation gefallen.

    Damit hat Deutschland gerade zu demZeitpunkt die Ankerrolle aufgegeben, wosie ntiger denn je gewesen wre. Eine eu-ropische Whrungsunion, die sich ein In-flationsziel von knapp unter 2 % gesetzthat, kann nicht funktionieren, wenn im

    grten und wettbewerbsstrksten Mit-gliedsland die Lohnstckkosten stagnierenoder gar fallen. Das ist angesichts der Evi-denz des Zusammenhangs von Lohnstck-kosten und Inflation unbestreitbar. Den-noch wird dieser schlichte Zusammenhangignoriert, weil seine explizite Anerkennungviele herkmmliche Vorurteile ber denHaufen werfen wrde.

    8Ratlosigkeit der Europi-schen Zentralbank

    Derzeit fragt sich die ganze Welt, was inder EWU los ist, doch die entscheidendeInstitution, die Europische Zentralbank(EZB), scheint ratlos. Sie diskutiert zwardie Probleme im Allgemeinen, htet sichaber,Klartext zu reden, obwohl die Faktenauf ihrem eigenen Tisch liegen. Erst jetzt,mehr als sechs Jahre nach Beginn der ab-soluten Festschreibung der Wechselkursein Europa,hat sich zwar die EZB als Hte-rin der Whrung zu diesem Thema zu

    Wort gemeldet. In ihrem Monatsberichtvom Mai 2005 hat sie implizit zugegeben,dass die deutsche Lohnsenkungspolitikerhebliche Probleme fr andere Lnderund fr die Whrungsunion als Ganzesschafft, explizit erwhnt hat sie Deutsch-land nicht.

    Warum ist es so schwer, Ross und Rei-ter in dieser europischen Krise eindeutigzu benennen? Nun, sobald das konkreteRoss und sein Reiter auftauchen, fallenmanchen die Augen aus, weil sie nicht glau-

    ben knnen und wollen, was sie sehen. Daerscheint in der Tat die unglaublich flexibledeutsche Volkswirtschaft, die mehr als alleanderen mit ihren Lhnen nach unten ab-gewichen ist und folglich einige lahme Mit-streiter in Sdeuropa aus dem Felde

    schlgt. Die mit Abstand flexibelsten Lh-ne hat Deutschland, das Land also, in demdie eigenen Politiker und konomischenKommentatoren nicht mde werden, denunflexiblen Arbeitsmarkt und die unfle-xiblen Lhne zu rgen.

    Vor Jahren wurde schon davor gewarnt,dass die Fortsetzung der deutschen Lohn-senkungspolitik einen enormen Sprengsatzfr die EWU darstellt (Flassbeck 1997).Nicht zuletzt nach den Erfahrungen mitder deutschen Whrungsunion war klar,dass die EWU unter diesen Bedingungenentweder in eine Deflationsspirale geraten

    oder sich, wie Deutschland nach 1990, zueiner Transferunion entwickeln wrde, dieEuropa politisch in ein Desaster fhrenmuss.

    Nach den Berechnungen der EZB sinddie gesamten Arbeitskosten in Deutschlandim Zeitraum von 1999 bis 2003 in jedemJahr um 1 % weniger stark gestiegen als imDurchschnitt der Union. Die Produktivittin Deutschland stieg sogar etwas strker alsin den anderen Lndern, sodass die fr diegesamtwirtschaftliche Wettbewerbsfhig-keit entscheidenden Lohnstckkosten so-gar um 1,1 % hinter den anderen Mit-gliedslndern zurckgeblieben sind. Dabeispielsweise Spanien um 1,1 % in der Ge-genrichtung vom Durchschnitt abwich, er-gibt sich eine jhrliche Verbesserung derdeutschen gegenber der spanischen Wett-bewerbsposition um 2,2 % und in derSumme ber die betrachteten vier Jahrehinweg ein Zurckfallen der spanischenWirtschaft um fast 10 %. Portugal weistnach dieser Rechnung schon eine berbe-wertung, also einen Verlust an Wettbe-werbsfhigkeit, in der Grenordnung von20 % seit Beginn der Whrungsunion auf.

    Wie steht es mit Italien? Nach Berech-nungen der EU Kommission liegt in Italiendie Wachstumsrate der Lohnstckkostenvon 1999 bis 2004 bei durchschnittlich2,8 %, die deutsche bei 0,5 %. Italien istfolglich von der Norm um 0,8 Prozent-punkte nach oben, Deutschland um 1,5Prozentpunkte nach unten abgewichen.Italien hat inflationr gesndigt, Deutsch-land deflationr. Selbst wenn man, wie esdie EZB anstrebt,mit der Inflationsrate et-was unter 2 % bleiben will, fhrt kein Weg

    an der Erkenntnis vorbei, dass Deutschlandder grere Snder ist.

    Da hilft auch die bliche Ausrede nicht,Deutschland habe an Wettbewerbsfhig-keit nur aufgeholt, was es im Zuge der Ver-einigung verloren hat. Wenn das so wre,

    wrde nicht Deutschland seine Exporter-folge feiern und Italien am Boden liegen.Auerdem zeigt unsere langfristige Be-trachtung der Lohnstckkosten und dieWrdigung der Tatsache,dass Deutschlandder Anker des europischen Whrungs-systems war, dass das vermutete langfristi-ge Problem nicht existiert.

    Die EZB beklagt in ihrem Bericht zwarsehr deutlich unflexible Arbeitsmrkte ineinigen Mitgliedslndern, sie zieht jedochkeine Schlussfolgerungen daraus. Die Tat-sache, dass Deutschland, folgt man denBerechnungen der EZB, Lhne aufweist,

    die wesentlich schneller und strker aufMarktsignale und Schocks reagieren als inanderen Lndern, taucht nicht auf. Auchdie nahe liegende Schlussfolgerung, dasssich die sdeuropischen Lnder der deut-schen Flexibilitt anpassen mssen, um frdie Union insgesamt die von der EZB ge-forderte marktgerechte Arbeitsmarkt-flexibilitt zu schaffen,zieht die EZB nicht.Sie htte dann ja erklren mssen, wiesoauch in Deutschland mit seinen hochflexiblen Lhnen die Arbeitslosigkeitnicht verschwindet, sondern steigt. Nochschlimmer aber ist, dass die obersten eu-ropischen Whrungshter verschweigen,dass auch fr ihr eigenes und nach eige-nem Verstndnis einziges Ziel, die Preis-stabilitt, ein europischer Arbeitsmarktnach Art der Deutschen ein Desaster wre.Da fr die EZB auer Frage steht, dass dienationalen Lohnstckkosten fr die Er-klrung der nationalen Preissteigerungs-raten entscheidend sind, sind natrlichauch die europischen Lohnstckkostenfr Europas Inflation entscheidend.8 Diedeutsche Lohnsenkungspolitik, bertra-gen auf die gesamte Union, fhrt aber di-

    rekt in die Deflation.

    8 Auf europischer Ebene ist der Zusammenhangsogar noch enger, weil Europa als Volkswirtschaftgeschlossener ist als seine Mitgliedslnder, der An-teil der Importkosten an den Gesamtkosten folg-lich geringer ist.

  • 7/30/2019 Monay

    7/7

    713WSI Mitteilungen 12/2005

    9Arbeitslosigkeit und Lohn-deflation

    Gegen solche einfachen und gerade imLichte der deutschen Whrungsunion9 schwer zu widerlegenden berlegungenzur Logik der Lohnpolitik in einer Wh-rungsunion wird man einwenden, inDeutschland herrsche aber hohe Arbeits-losigkeit, und daher msse es auch einerWhrungsunion mglich sein, ber sin-kende (bzw. gegenber der Produktivittzurckbleibende) Reallhne Vollbeschf-tigung wiederherzustellen.Doch auch die-ser Einwand fhrt in die Irre. Denn dasMuster zur Erklrung des Entstehensneoklassischer Arbeitslosigkeit ist fast

    deckungsgleich mit dem Muster zur Er-klrung des Verlustes von Wettbewerbs-fhigkeit durch zu stark steigende Lhne.Das ber-die-Verhltnisse-Leben, das inder Whrungsunion mit dem Verlust derWettbewerbsfhigkeit bestraft wird, istsozusagen ein Synonym fr die neoklassi-sche Vorstellung von unsolider Lohnpoli-tik.

    Wenn in einem Land, das Mitglied ineiner Whrungsunion ist,die Nominallh-ne strker steigen, als es dem Zuwachs ausProduktivitt und Zielinflationsrate ent-spricht, verliert es an Wettbewerbsfhig-keit, und es entsteht zugleich nach neo-klassischem Verstndnis Arbeitslosigkeit,weil in der Regel dann auch die Reallhnestrker als die Produktivitt gestiegen sind.

    Da sich die Preise fr handelbare Gter in-nerhalb einer Whrungsunion etwa gleichentwickeln, steigen in diesem Fall haupt-schlich die Preise fr nicht-handelbareGter in dem Land strker,in dem die Lh-ne die Norm berschreiten. Diese Infla-

    tionszunahme drfte aber nicht ausrei-chen, um ein im Vergleich zur Produkti-vittsentwicklung bermiges Ansteigender Reallhne zu verhindern und hilft nichtgegen Marktanteilsverluste im Auenhan-del.

    Ist also gem neoklassischer Logiklohnbedingt Arbeitslosigkeit entstanden,mssen in der Folge die Zuwchse derReallhne so lange und so stark hinter demProduktivittsfortschritt zurckbleiben,bis die Vollbeschftigung wiederhergestelltist. Das ist aber exakt die Regel,die auch frdie Wiederherstellung der internationalen

    Wettbewerbsfhigkeit gilt. Wer also be-hauptet, in Deutschlandherrsche reallohn-bedingte Arbeitslosigkeit, muss zeigen, dassdie Reallhne in der Vergangenheit berdie Produktivitt hinausgeschossen undnicht mehr zurckgekehrt sind.10 Autoren,die diese Position vertreten, htten aller-dings auch von vornherein strikt gegen dieEWU sein mssen, weil Deutschland dannja mit weit berhhten Lhnen in das Fest-kurssystem eingetreten wre. Darber hi-naus mssten sie aber erklren, wie eskommt, dass das seit vielen Jahren zu be-obachtende Zurckbleiben der Lhne zwardie deutsche Wettbewerbsfhigkeit wieder-hergestellt, Deutschland aber gleichzeitignoch weiter vom Ziel der Vollbeschftigungentfernt hat.11

    Kurzum, die Mr von den zu hohendeutschen Arbeitskosten ist in jeder Hin-sicht leicht widerlegbar.Nicht Deutschlandhat in der Vergangenheit ber seine Ver-hltnisse gelebt, sondern die Lnder,derenWhrungen regelmig abgewertet werden

    mussten. In jngster Vergangenheit hat ge-rade Deutschland einen massiven Versuchunternommen,der neoklassischen Arbeits-losigkeitsthese entsprechend die Reallhnezu senken. Das hat zwar die Wettbewerbs-fhigkeit in der Whrungsunion und ge-genber dem Rest der Welt dramatisch ver-bessert, zum Abbau der Arbeitslosigkeitaber gerade nicht beigetragen. Wenn esnoch eines Beweises bedurft htte, dass diedeutsche Arbeitslosigkeit nicht vom TypNeoklassik ist, hiermit wre er erbracht.

    9 Es ist nicht nachzuvollziehen, wie z. B. H.-W. Sinn,der die zu hohen Lohnkosten in Ostdeutschlandund die daraus folgenden Probleme weitgehendkorrekt analysiert, die Transfer-Probleme, dieDeutschland in der EWU schafft, vollstndig igno-riert. Mehr noch, wrde man seinen Vorschlgenfolgen, die Lhne und die Lohnnebenkosten inDeutschland dramatisch nmlich 10 bis 15 % absolut zu senken (Sinn 2003, S. 95), wre eineeuropische Transferunion deutschen Ausmaesoder eine tiefe Deflation unabwendbar.

    10 Dieser Nachweis ist allerdings nicht zu erbringen,(Flassbeck/Spiecker 2000).

    11 Das einzige Argument, das zur Verteidigung derneoklassischen Position von deutschen kono-men regelmig angefhrt wird, ist die unechteProduktivitt, die These also, die Produktivitts-fortschritte seien ihrerseits lohninduziert, damit Ar-beitsplatz vernichtend und folglich nicht als Basisfr die Lohnformel zu verwenden. Zur Unhaltbar-keit dieser These vgl. Flassbeck/Spiecker (2000).

    Flassbeck, H. (1997): Und die Spielregeln fr die Lohnpolitik? ber Ar-

    beitnehmereinkommen und Wettbewerbsvorsprnge einer Volkswirt-

    schaft in der Europischen Union, Frankfurter Rundschau vom 31.10.

    Flassbeck, H. (2000): Wie reserviert man die Produktivitt fr die Be-

    schftigung? Ein Diskussionspapier fr die home page www.Flassbeck.de

    Flassbeck, H./Spiecker, F. (2000): Lhne und Arbeitslosigkeit im interna-

    tionalen Vergleich. Eine Studie fr die Hans-Bckler-Stiftung und den

    Bundesvorstand des DGB, erschien am 4. 10. 2000 in einer Kurzfassung

    unter dem Titel Das Geheimnis der Vollbeschftigung im Handelsblatt

    und in einer leicht gekrzten Fassung unter dem Titel Reallhne und Ar-

    beitslosigkeit: Es gibt keine Wahl in WSI-Mitteilungen 11, S. 706717

    Sinn, H.-W. (2003): Ist Deutschland noch zu retten?, Mnchen

    SVR-Sachverstndigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen

    Entwicklung (2005): Jahresgutachten 2005/2006: Die Chancen nutzen

    Reformen mutig voranbringen, Wiesbaden

    Weber, A. (2005): European Financial Integration and Monetary Policy

    Public lecture at the International Center for Monetary and Banking

    Studies, Geneva

    LITERATUR