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Wir helfen Menschen. NR. 1/2010 Armut halbieren! Wir fordern eine Dekade der Armutsbekämpfung. Nachbarn

Nachbarn 1/2010

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Armut halbieren – Wir fordern eine Dekade der Armutsbekämpfung!

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Wir helfen Menschen.

NR. 1/2010

Armut halbieren!Wir fordern eine Dekade der Armutsbekämpfung.

Nachbarn

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Inhalt

2 Caritas Nachbarn 1/10 Illustration Titelbild: Melk Thalmann

Editorial 3Max Elmiger

Armut halbieren!

Caritas fordert eine Dekade der Armutsbekämpfung 4Für Betroffene ist Armut die alltägliche, belastende Realität. Doch Armut ist in der reichen Schweiz ein Tabu, auch politisch: Wir fordern eine nationale Politik, die vor allem eines will – Armut verhindern.

Vier Armutsbetroffene erzählen 6

Armut hat viele Gesichter. Wir porträtie-ren vier Menschen, die aus unterschied-lichen Gründen von Armut betroffen sind.

Caritas Zürich

Strategie zur Armutsprävention 10

Wie verschiedene Bilder der Armut die Politik in unserem Kanton massgeblich beeinflussen und was wir dagegen tun.

News 12

Neu eingekleidet 14

Eiskunstläuferin Sarah Meier in unserem Secondhandladen.

Start in die Schulzeit 16Das Projekt schulstart+ bietet Migranten-familien eine Einführung in unser Schul-system – für den erfolgreichen Start.

Freiwillig 17Freiwillige Mentorinnen und Mentoren helfen jugendlichen Migrantinnen und Migranten bei der Lehrstellensuche. Ein Engagement, das beide weiterbringt.

Persönlich 18Floriana Frassetto, Mitglied von Mum-menschanz, beantwortet zehn Fragen.

Caritas-Netz

Drehscheibe Caritas- Warenzentrale 19Vom luzernischen Rothenburg werden die Produkte, die in den Caritas-Märk-ten verkauft werden, in die ganze Schweiz verteilt.

News aus dem Caritas-Netz 20

Collage 21Armut bedeutet Ausgrenzung.

Hinweise und Veranstaltungen 22

Gedankenstrich 23Kolumne von Charles Clerc

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Editorial

3 1/10 Nachbarn Caritas

Max Elmiger Direktor Caritas Zürich

«Nachbarn» – Das Magazin der regionalen Caritas-Stellen – erscheint zweimal jährlich.

Gesamtauflage: 50 000 Ex. Auflage ZH: 13 600 Ex.

Redaktion: Ariel Leuenberger

Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt

Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern

Caritas Zürich | Beckenhofstrasse 16 | 8021 Zürich | Tel. 044 366 68 68

www.caritas-zuerich.ch | PC 80-12569-0

Impressum

L’organisation XY est certifiée par ZEWO depuis 19XX.

L’organisation XY est certifiée par ZEWO depuis 19XX.

Caritas Luzern ist seit 2004 ZEWO-zertifiziert.

Caritas Zürich ist seit 1992 ZEWO-zertifiziert.

Bekämpfung der Armut oder der Armen?

Liebe Leserin, lieber Leser Bei einem Vortrag ist mir ein ganz schlim-mer Patzer passiert: «Liebe Anwesende, mit dieser Strategie werden wir erfolgreich die Armen bekämpfen, das verspreche ich.» Aus dem Versprechen wurde ein grosser Versprecher. Kaum gesagt, habe ich es ge-merkt. Aber niemand hat reagiert.

Vielleicht hatte mir keiner zugehört? Oder man hat mir ohnehin nicht geglaubt? – Ein Versprecher kann auch ein Verspre-chen entlarven. Die Armut zu bekämpfen, ist eine Sisyphusarbeit. Wir werden es nicht schaffen, die Armut abzuschaffen, leider.

Bei der Armutsbekämpfung geht es nicht um abstrakte Zahlen, sondern um kon-krete Menschen. Wir arbeiten zusammen mit ihnen daran, einen Weg aus der Sack-gasse zu finden, sie aus der Armutsspirale herauszubegleiten. Jedes Schicksal ist ein-

zigartig. Den Armen gibt es nicht, schon gar nicht den typischen Armen. Und gibt es den guten Armen? In jeder Armutsbiogra-fie stecken so viel Licht und Schatten wie in jedem Lebenslauf.

Gehen wir auf jeden einzelnen Menschen mit Toleranz und Wertschätzung ein! Das ist das Versprechen der Caritas Zürich. Menschen sind Originale und sollen nicht zu Kopien gemacht werden mit Etiketten, die ihr Einkommen deklarieren. Wenn wir uns das ehrgeizige Ziel vornehmen, die Armut zu halbieren, dann tun wir das mit grossem Respekt vor jedem Einzelnen und im Wissen um unsere eigenen Gren-zen. Meine Mitarbeitenden, unsere Freiwil-ligen und auch Sie helfen uns dabei.

«Bei der Armutsbekämpfung geht es nicht um abstrakte Zahlen, sondern um

konkrete Menschen.»

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Armut halbieren

Wir fordern eine Dekade der Armutsbekämpfung

Nicht alle Menschen in der Schweiz tragen das gleiche Risiko, arm zu werden. Es sind vor allem vier Faktoren, die das Armuts-risiko bestimmen: das Bildungsniveau, die Zahl der Kinder, der Wohnort und die sozi-ale Herkunft. Armutsbetroffene Menschen müssen mit knappen finanziellen Mitteln auskommen, sind oft arbeitslos oder gehen einer unsicheren Erwerbsarbeit nach. Kin-der, die in solchen Haushalten aufwachsen, tragen ein grosses Risiko, als Erwachsene selber wieder zu den Armen zu gehören.

4

Für Betroffene ist Armut die alltägliche, belastende Realität. Doch Armut ist in der reichen Schweiz ein Tabu, auch politisch: In der Schweiz gibt es weder eine offizielle Armutspolitik noch eine Armutsstatistik. Caritas fordert eine nationale Politik, die vor allem eines will: künftige Armut verhindern.

Warum gibt es Arme in der Schweiz?Schätzungen der Caritas besagen, dass jede zehnte Person in der Schweiz in einem Haushalt lebt, der von einem Erwerbsein-kommen unterhalb der Armutsgrenze le-ben muss. Die wichtigste Ursache dafür ist wohl der wirtschaftliche Strukturwandel: Unternehmensaktivitäten mit tiefem An-forderungsprofil werden durch Maschinen ersetzt oder in Länder mit tieferen Löhnen verlagert. Im Dienstleistungssektor müssen die Kunden vieles selber übernehmen, was früher durch Angestellte erledigt wurde, sei

dies im Detailhandel, im öffentlichen und privaten Verkehr oder im Freizeitbereich.

Was tun gegen die Armut in der Schweiz?Ziel jeder Armutspolitik muss es sein, die Würde von armutsbetroffenen Menschen zu bewahren, ihnen einen Platz in der Ge-sellschaft bereitzuhalten, eine materielle Absicherung zu gewähren, Selbstbestim-mung und Selbstverantwortung zuzugeste-hen und Möglichkeiten zu bieten, damit sie aus der prekären Lebenslage herausfinden. Vor allem aber muss die Armutspolitik al-

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linien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) als allgemein verbind-lich erklären und die Zuständigkeiten für die soziale und berufliche Integration klar ordnen.

Sozialfirmen fördernEs braucht mehr Arbeit für Menschen, die keinen Zugang zu normalen Arbeitsver-hältnissen finden. Sozialfirmen können dies leis ten. Der Bund und die Kantone müssen solche Sozialfirmen fördern im Rahmen der interinstitutionellen Zusammenarbeit zwischen Arbeitslosen- und Invalidenver-sicherung sowie der Sozialhilfe.

Allen eine Ausbildung ermöglichenDer Bund muss die Ausbildung so organi-sieren, dass alle Menschen ohne prinzipielle Alterslimite einen Berufsabschluss machen können. Dazu müssen die entsprechenden Gesetze zur Berufsbildung und zur Arbeits-losenversicherung angepasst und die not-wendigen Mittel bereitgestellt werden. In der kantonalen und kommunalen Sozial-hilfe muss das Management der Übergänge von der Familie zum Kindergarten und zur Schule sowie von der Schule zur Berufsaus-bildung deutlich verbessert werden, damit alle jungen Erwachsenen so weit kommen, dass sie zumindest eine Lehre absolvieren können.

les tun, damit weniger Menschen in Armut geraten.

Darum braucht die Schweiz eine natio-nale Armutsstrategie, die sich an den Vorga-ben der sozialen Existenzsicherung, an der sozialen und beruflichen Integration sowie an der Vermeidung von Armut orientiert. Das Ziel muss sein, die Zahl der Armen in den nächsten zehn Jahren zu halbieren und das Risiko der Vererbung von Armut markant zu verringern. Konkret fordert die Caritas, dass sich Politik und Wirtschaft an folgenden vier Leitlinien orientieren:

Armut erkennen und dokumentierenDer Bund und die Kantone müssen konti-nuierlich über die Wirkung ihrer Armuts-politik Bericht erstatten. Im Rahmen ei-ner offenen Koordination muss der Bund mit den Kantonen verbindliche Ziele in der Armutspolitik aushandeln und mit Indika-toren den Zielerreichungsgrad messen und dokumentieren.

Die Grundsicherung in der Sozial-hilfe landesweit verbindlich regelnDer Bund muss ein Bundesrahmengesetz erarbeiten, worin Existenzsicherung und Integration verbindlich geregelt werden. Ebenso müssen die Unterstützungsbei-träge für den Grundbedarf festgeschrieben werden. Der Bund soll deshalb die Richt-

5Texte: Carlo Knöpfel; Illustration: Melk Thalmann, Bild: zvg 1/10 Nachbarn Caritas

Armutspolitik systematisch •beobachten Caritas wird die Beobachtung bzw. das Monitoring der Armutspolitik des Bundes und der Kantone systematisieren. In einem jährlichen Bericht wird sie dar-legen, wo in den verschiedenen Politik-bereichen Fortschritte, aber auch Rück-schläge zu verzeichnen sind.Sozialberatung verstärken• Caritas erweitert die Sozialberatung und die Überbrückungshilfen für Arme in pre-kären Lebenssituationen substanziell. Das heutige Angebot kommt rund 15 000 Per-sonen jährlich zugute, in Zukunft sollen dies 25 000 Personen sein.

Caritas-Märkte ausbauen• Das Netz der Caritas-Märkte wird mar-kant ausgebaut. So können armutsbe-troffene Menschen in der ganzen Schweiz Güter des täglichen Bedarfs zu sehr güns-tigen Preisen einkaufen. Konkret will die Caritas die Zahl der Caritas-Märkte von gegenwärtig 19 auf 30 erhöhen.Arbeitsplätze in Sozialfirmen schaffen• Die Caritas wird ihr bisheriges Angebot an Sozialfirmen erhöhen. Konkret will die Caritas 1000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen für Menschen, die im ersten Arbeitsmarkt keine Anstellung finden.

Dr. Carlo Knöpfel,Leiter Bereich Inland und Netz der Caritas Schweiz

Jetzt sind Bund und Kantone gefordert!

In der Schweiz ist zwar geregelt, wie die verschiedenen Leistungen der so-zialen Sicherheit die Existenzsiche-rung zu garantieren haben, aber in der Sozialhilfe ergeben sich wegen des bestehenden Föderalismus sehr un-terschiedliche Anwendungen. In den verschiedenen Kantonen gibt es zum Beispiel grosse Unterschiede bei der Berechnung der Durchschnittsmieten zur Festlegung des Anspruchs auf So-zialhilfebeiträge, oder der Grundbedarf der SKOS wird nicht überall in gleicher Höhe ausbezahlt. Auch die nötigen Massnahmen zur sozialen und beruf-lichen Integration sind nicht einheit-lich geregelt. Die kantonale Zustän-digkeit in der Sozialhilfe führt daher zu grossen Ermessens- und Beurteilungs-spielräumen.

Will man Armut in Zahlen ausdrücken, kommt man um das Festlegen einer numerisch fassbaren Armutsgrenze nicht herum. Diese Grenze zu bestim-men, ist eine politische Aufgabe, die in der Schweiz, im Gegensatz zu an-deren Ländern, nie in Angriff genom-men wurde. Sowohl der Blick in die Geschichte wie auch die Analyse der Gegenwart zeigen, dass eine der wich-tigsten Aufgaben im Zusammenhang mit der Verminderung der Armut in ei-ner koordinierten Armutspolitik be-steht. Das Gelingen einer solchen Poli-tik hängt nicht nur vom Willen einzelner Akteure, sondern auch von der öffent-lichen Bewertung der Armutsproble-matik ab.

Um die gesteckten Ziele zu erreichen, wird Caritas ihr Engagement in der Armutsbekämpfung in der Schweiz intensivieren. Sie will dies in vier Handlungsfeldern tun.

Das tut die Caritas bis 2020

Kommentar

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Armut halbieren

6 Caritas Nachbarn 1/10

«Meine Ehe zerbrach, als mein Sohn ein-jährig war. Das traf mich doppelt hart, weil ich kurz zuvor die Kündigung erhal-ten hatte. Damals landete ich das erste Mal beim RAV. Ich liess mich davon aber nicht entmutigen, sondern holte mit finanzi-

eller Unterstützung durch Stiftungen die Sekundarschule nach und absolvierte an-schliessend noch Weiterbildungen. Dann fand ich wieder eine Stelle – aber wegen der Krise bin ich nun erneut arbeitslos. Mit dem Geld vom RAV und einem 20-Prozent-

Zwischenverdienst komme ich auf rund 3000 Franken im Monat. Mir ist wichtig, dass mein Sohn unter den knappen Ver-hältnissen nicht leiden muss. Ich lege re-gelmässig Geld auf die Seite, damit ich ihm weiterhin die Mitgliedschaft im Fussball-club finanzieren kann, und ich achte da-rauf, dass er gleich gekleidet ist wie seine Schulkollegen. Auf den Gameboy, den er sich sehnlichst wünscht, muss er allerdings verzichten. Ich selber träume manchmal davon, später ein kleines Nähatelier zu er-öffnen und schöne Abendkleider zu kreie-ren.»

Als Alleinerziehende den Spagat zwischen Familie und Beruf zu schaffen, ist anspruchsvoll. Der 39-Jährigen ist es wichtig, dass ihr Sohn sich dennoch geborgen fühlen kann. Deshalb ermöglicht sie ihm trotz knappem Budget den Besuch des Schülerhorts.

«Ich möchte, dass mein Sohn kein Schlüsselkind wird»

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«Wenn ich wählen könnte, würde ich Hausabwart, denn ich bin handwerklich geschickt, kenne mich mit Reinigungsar-beiten aus und habe Freude am Gärtnern. Leider bin ich schon lange am Stempeln. Der letzte Zwischenverdienst dauerte bis

Ende 2009. Seither verbringe ich viel Zeit zuhause, setze Puzzles zusammen, mache mit Kollegen Musik – und bewerbe mich, wo ich nur kann. Ich bewohne ein Zim-mer im Personalhaus eines Altersheims. Es ist sehr klein, hat aber ein eigenes WC und

eine eigene Dusche. Damit bin ich zufrie-den. Denn ich weiss, wie es ist, obdachlos zu sein. Als ich meinen letzten richtigen Job verlor, kündigte man mir die Wohnung, weil ich die Miete schuldig blieb, und ich stand auf der Strasse. Nun muss ich erneut schauen, wie’s weitergeht, denn das Per-sonalhaus wird diesen Sommer abgeris-sen und ich muss mir etwas Neues suchen, was nicht einfach ist ohne Arbeit. Meiner Mutter habe ich kürzlich zum Geburts-tag die Küche geputzt – ein Geschenk, das nichts kostete und beiden von uns Freude machte.»

«Ich möchte einen Job, bei dem ich richtig zupacken kann»

Mit einer Anlehre als Automonteur und vielen Jahren als Hilfsarbeiter auf dem Bau ist es nicht einfach, den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu finden, auch wenn der 40-Jährige bereit ist für alle möglichen Jobs. Man könne bei jeder Arbeit etwas lernen, sagt er.

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Armut halbieren

8 Caritas Nachbarn 1/10

«Als Kind verbrachte ich viel Zeit im Spi-tal – am Krankenbett meiner Mutter, die an Multipler Sklerose litt. Dass ich mich als junges Mädchen für den Beruf der Pfle-geassistentin entschied, ist deshalb sicher kein Zufall. Nach der Heirat, als die Kin-

der kamen, habe ich dann allerdings im Service gearbeitet und als Putzfrau. Das war hart. Als nach der ersten Ehe auch die zweite Partnerschaft scheiterte, stand ich alleine mit der Verantwortung für drei Kinder da, ohne rechten Job. Via RAV

habe ich dann einen Pflegekurs absolvie-ren können. Heute habe ich einen Teilzeit-job in einem Altersheim, der mir sehr ge-fällt. Zum Lohn kommt noch die Alimente dazu; damit kommen wir gerade so über die Runden. Ausserordentliche Ausgaben sind stets ein Problem. Einmal in der Wo-che besuche ich eine Abendschule, weil ich Fachfrau Gesundheit werden möchte. All das zusammen – Familie, Haushalt, Beruf, Ausbildung – ist sehr viel. Ich muss immer aufpassen, dass ich mich nicht überfordere. Freizeit habe ich so gut wie keine.»

Mit 44 Jahren nochmals eine Ausbildung anzupacken, braucht Energie. Wenn auch noch Kinder da sind, die es ohne Partner grosszuziehen gilt, wird der Alltag erst recht zur Herausforderung. Die Mutter dreier Teenager fühlt sich oft ziemlich alleine.

«Ich möchte wieder einmal Zeit für

mich selber haben»

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9Texte: Ursula Binggeli; Fotos: Urs Siegenthaler 1/10 Nachbarn Caritas

«Als Kind habe ich oft meinem Vater in der Küche geholfen. Das hat mir gefallen. Ich habe damals viel Zeit im Restaurant ver-bracht, das meine Eltern zusammen ge-führt haben. Die Hausaufgaben habe ich meistens bei einem Handwerker in der

Nachbarschaft gemacht, in dessen Werk-statt ich mich wohl fühlte. Er unterstützt mich auch jetzt noch, er hat mir zum Bei-spiel den Zugang zum Rudersport ermög-licht. Dieser ist mir sehr wichtig, speziell jetzt, wo ich arbeitslos bin. Meine Koch-

lehre habe ich nach dem ersten Jahr wie-der abgebrochen, weil mir alles über den Kopf gewachsen ist: die Erwartungen des Lehrbetriebs, der Stoff der Berufsschule, einfach alles. Jetzt suche ich einen neuen Lehrbetrieb und hoffe, dass es klappt. Ich will es durchziehen dieses Mal, unbedingt. Schliesslich möchte ich später einmal auf eigenen Beinen stehen, und Kochen macht mir nach wie vor Spass. Essen übrigens auch! Obwohl meine Eltern beide aus dem Mittelmeerraum stammen, ist mein Lieb-lingsgericht ‹Ghackets mit Hörnli›.»

«Ich möchte Koch werden

wie mein Vater»

Der Wechsel von der Volksschule in die Lehre ist anspruchs-voll. Beim ersten Anlauf ist der 17-Jährige nach einem Jahr wieder ausgestiegen. Nun sucht er motiviert eine neue Lehr-stelle. Er weiss jetzt, dass er nicht aufgeben darf – auch bei Schwierigkeiten nicht.

CAZH.indb 9 12.3.2010 10:57:15 Uhr

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Armut halbieren – Caritas Zürich

Die Armutspolitik im Kanton Zürich ist, wie in allen anderen Kantonen auch, weder einem Departement zugeordnet noch in einem übergeordneten Strategie-papier definiert. Vielmehr findet sie in ver-schiedenen Politikbereichen statt. Armuts-politisch relevante Entscheide lassen sich nicht nur innerhalb der Familien- und der Bildungspolitik, sondern auch in der Woh-nungs-, der Gesundheits-, der Steuer- und der Arbeitsmarktpolitik ausmachen. Den-noch wird Armutspolitik allzu oft als reine Sozialhilfepolitik angesehen: Man versteht

darunter eher das Verteilen von Hilfsgel-dern als bildungs- oder gesundheitspoli-tische Debatten. Armutsbekämpfung kann aber nur erfolgreich sein, wenn alle Politik-bereiche koordiniert betrachtet werden.

Armutsbilder wandeln sichEine historische Analyse der Zürcher

Kantonspolitik zeigt, dass der Begriff «Armut» selten Verwendung findet. Die Mehrheit ist der festen Überzeugung, dass es Armut im reichen Zürich nicht gibt, nicht geben kann. Stellvertretend für «die

Armen» wurden in den letzten dreissig Jah-ren stets einzelne Betroffenengruppen aus der anonymen Masse herausgehoben und ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gestellt. So gab es in den 80er-Jahren die Tendenz, Armut als Problem der psychisch Kranken zu bagatellisieren. Später dann, als die Bilder der offenen Drogenszene am Letten um die Welt gingen, prägten diese unser Verständnis von Armut und Verwahrlosung. Während der Krise der 90er-Jahre wurde unter Armut vor allem die Arbeitslosigkeit und die Situation der

Gemeinsame Strategie zur Armutsprävention

«Wir sind arm»: Auch im reichen Kanton Zürich kommen rund 90 000 Menschen nicht ohne staatliche Hilfe über die Runden.

Armutsbilder sind die Leitmotive der Armutspolitik – doch sie werden der komplexen Wirklichkeit häufig nicht gerecht. Caritas Zürich will mit der neuen Kampagne «Wir sind arm» ein realistisches Bild der Armut in unserem Kanton zeigen und damit die Diskussion um eine gemeinsame Strategie zur Armutsprävention in Gang setzen.

10 Caritas Nachbarn 1/10

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11Text: Andrea Keller; Bild: Urs Siegenthaler 1/10 Nachbarn Caritas

Ausgesteuerten diskutiert. In der Folge definierte man die Reintegration in den Arbeitsmarkt als oberstes Ziel und nahm dabei in Kauf, dass dies zum Teil unter pre-kären Arbeitsbedingungen geschah. Ende der 90er-Jahre schliesslich konnte nicht länger ausgeblendet werden, dass der tief greifende Wandel der Lebensformen auch neue Armutsgruppen geschaffen hatte. Die Alleinerziehenden – meistens Mütter – wur-den neu als mehr oder weniger legitime Be-zügerinnen von Unterstützungsleis tungen anerkannt, die Existenznöte von Alimen-tenzahlenden – vor allem Vätern – jedoch erst Jahre danach öffentlich thematisiert.

Spätestens seit Anfang des neuen Jahr-tausends haftet dem Begriff der Armut et-was Unanständiges an. Die Schuldfrage ist allgegenwärtig. Was haben diese Leute falsch gemacht, dass sie unter das Existenz-

minimum gefallen sind? Im politischen Schlagabtausch spricht daher niemand von «den Armen». Viel angenehmer ist es, von den «unteren Einkommensschichten», den «Working Poor» oder aber den «armutsbe-troffenen Kindern» zu reden.

Armutspolitik ist nicht koordiniertDass die breite Öffentlichkeit kein klares

Bild der aktuellen Verhältnisse hat und glaubt, in Zürich stelle Armut schlimms-tenfalls ein Luxusproblem dar, ist nicht weiter verwunderlich: Die Not zeigt sich nicht, sie wird grösstenteils versteckt und verschämt. Die meisten Betroffenen sind bemüht, gegen aussen den Schein zu wah-ren. Die Sorge, wie sie das Geburtstagsge-schenk finanzieren, die Zahnarztrechnung bezahlen oder die Betreibung verhindern sollen, belastet hinter verschlossener Tür. Ihre Nachbarn sollen keinesfalls wissen, wie prekär die Lage ist; sie könnten urtei-

len, könnten verurteilen, und dieses Stigma der Selbstverschuldung verunmöglicht ein aufklärerisches Outing. Die Lage ist ver-zwickt, Aufklärung dringend notwendig. Denn Armutsbilder sind die Leitmotive der Armutspolitik, weil auch die Politik gegen Armut in der öffentlichen Diskussion vor allem von Emotionen gesteuert wird. Aber im Unterschied zu anderen Interessengrup-pen verfügen Armutsbetroffene nicht über eine Lobby, die sich systematisch für ihre Anliegen einsetzt. Die Koordination der Armutspolitik sowie die Entwicklung ei-ner gemeinsamen Strategie sind daher die gröss ten Herausforderungen bei der Ar-mutsbekämpfung. Dies setzt aber realitäts-nahe Armutsbilder voraus.

Die Realität zeigenWas also ist zu tun? Wie kann es ge-

lingen, eine stabile Basis für eine geeinte Armutspolitik im Kanton Zürich zu schaf-fen? Es gilt, der breiten Öffentlichkeit auf-zuzeigen, was es tatsächlich bedeutet, in unserem Kanton zu den sozial Benachtei-ligten zu gehören. Das bedeutet eben nicht, dass man auf Kosten des Sozialamtes ein genüssliches, gemütliches und glückliches Leben führt. Es ist auch nicht wahr, dass die Armen unter uns allesamt zu faul sind, um alleine über die Runden zu kommen. Die Ursachen für Armut, die Geschichten dahinter, sind so vielfältig wie die betrof-fenen Personen selbst. Natürlich gibt es Menschen, die stärker gefährdet sind als andere: Nach wie vor leben viele Alleiner-ziehende am Existenzminimum, und auch kinderreiche Familien, schlecht Ausgebil-dete und Menschen mit Migrationshinter-grund. Aber grundsätzlich kann es jeden treffen. Manchmal reicht die richtige bezie-hungsweise eben die falsche Dosis Pech im Leben; und dagegen ist schlicht niemand gefeit. In der Folge entspricht das reelle Bild der heutigen Armut viel eher einem Mo-saik, einer Gesamtheit aus verschiedenen kleinen Bildern. Was die Betroffenen eint, ist die belastende Situation.

Obwohl Sozialwerke und Auffangnetze in unserem Land eine gute Arbeit leisten und das Schlimmste verhindern, bleibt

die bedrückende Tatsache: Armut macht einsam und abhängig. Armut bedroht das Selbstwertgefühl und macht krank, psychisch wie physisch. Armut setzt un-ter Druck und prägt den Lebensweg Be-troffener. Dabei schadet Armut nicht nur der überraschend hohen Anzahl von Men-schen, die auf Unterstützung angewiesen sind, sondern der Gesellschaft an sich. Da-mit es nicht so weit kommt, dass jemand in Armut leben muss, ist eine Strategie zur wirksamen Armutsprävention gefragt. Eine solche Strategie kann nur mit tatkräftiger Unterstützung aus den politischen Reihen sowie dem Wissen und der Teilhabe der ge-samten Gesellschaft erfolgreich sein. Mit der klaren Zielsetzung, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, erarbeitete Caritas Zü-rich die Kampagne «Wir sind arm», welche im April 2010 startet und verschiedene Teil-projekte und Aktionen umfasst: von krea-tiv-werberischen Elementen, einer Ausstel-lung mit Aussagen von Betroffenen, einer Schreibwerkstatt bis hin zur interaktiven Performance. «Wir sind arm» macht deut-lich, dass wir von der heutigen und hiesigen Armut allesamt betroffen sind, nämlich als Gesellschaft, deren Stärke sich am Wohl der Schwachen misst, so wie es in der Präam-bel unserer Verfassung geschrieben steht. Entsprechend gilt es zu handeln.

Mehr zu Armutsbildern und Armuts­politik im Kanton Zürich erfahren Sie in unserem neuen Diskussionspapier «Armutsbekämpfung im Kanton Zü­rich: Versagt die Politik?», zu beziehen unter:www.caritas-zuerich.ch/diskussions-papiere

Mehr zu unseren Kampagnen erfahren Sie auf folgenden Webseiten:www.wir-sind-arm.chwww.armut-halbieren.ch

Die Stärke unserer Gesell-schaft misst sich am Wohl der Schwachen. Das steht in der Bundesverfassung.

Mehr erfahren

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Wenn die Krankenkasse nicht mehr bezahlt

Seit 2006 ist es den Krankenkassen möglich, ihre Leistungen gegenüber Versicherten zu stoppen, wenn es zu einer Betreibung der geschuldeten Prämien kommt. Für viele Leute, die knapp an der Armutsgrenze leben, ist das Risiko gross, dass sie we-gen ausserordentlicher Kosten in eine solche Situation kommen.

So geschehen bei der allein erziehen-den Frau Reust* und ihrem zwölfjährigen Sohn. Ihr Einkommen liegt an der Armuts-grenze. Wegen der teuren Zahnkorrektur ihres Sohnes kam Frau Reust in Not und

konnte ihre Krankenkassenprämien nicht mehr bezahlen. Ein gemeinsam mit ihr zu-sammengestelltes Budget zeigte Caritas Zü-rich, wie klein ihr Spielraum war. Mit ei-ner klaren Prioritätensetzung gelang es ihr, wenigstens die laufenden Prämien zu be-zahlen. Eine langwierige Abklärung und Geltendmachung von möglichen Ansprü-chen bewirkte, dass rückwirkend Prämi-enverbilligungen ausgelöst werden konn-ten, welche einige offene Prämien zu decken vermochten. Die Verlustscheine von Prä-mien wurden durch die Gemeinde über-nommen. Am meisten Probleme bereiteten

jedoch die Verlustscheine aus Franchisen und Selbstbehalten. Dass Frau Reust eine dringend benötigte Therapie noch vor der Aufhebung der Leistungssperre beginnen konnte, war nur durch Verhandlungen mit dem Arzt und dessen Goodwill möglich. Dieses Beispiel ist eines von vielen. Oft ha-ben wir es bei Caritas Zürich mit Leuten zu tun, deren medizinische Versorgung durch den Leistungsstopp nicht mehr gewährleis-tet ist. Stossend ist vor allem, dass viel Zeit vergehen kann, bis ein Verlustschein aus-gestellt ist. Während dieser Zeit bleibt der Leistungsstopp wirksam. Das heisst, ange-fallene Kosten bei Krankheit oder Unfall werden von der Krankenkasse nicht bezahlt oder der Arzt weigert sich gar, Betroffene zu behandeln. Es ist zu hoffen, dass diese emp-findliche Lücke im Gesundheitssystem, die vor allem Armutsbetroffenen zu schaffen macht, bald geschlossen werden kann.

Ein fehlender Berufsabschluss ist eine häufige Ursache für Armut. Herr Werden*, ein junger Familienvater, der sich infolge fi-nanzieller Probleme an die Sozialberatung der Caritas Zürich wandte, hat dies beson-ders deutlich erfahren müssen. Da er den praktischen Teil der Lehrabschlussprü-fung nicht bestand, fand er nur mit Mühe eine neue Stelle – zum Praktikantenlohn von 1650 Franken. Zum Glück hatte seine Frau eine Teilzeitstelle, sodass die Familie

Mit Beratung und Bildung effizient weiterhelfen

12 Caritas Nachbarn 1/10 *Zum Schutz der Betroffenen haben wir Namen und Bilder anderer Personen verwendet. Texte: Suzanne Schärli, Veronika Marmet; Bild: Andreas Schwaiger

Caritas Zürich

ganz knapp über dem Existenzminimum leben konnte. Zu gerne wollte er die Prü-fung wiederholen. Doch hatte er am Ar-beitsplatz keine Gelegenheit, sich auf den praktischen Prüfungsteil vorzubereiten. Der von der Berufsschule empfohlene Kurs, Kostenpunkt 1300 Franken, konnte er sich einfach nicht leisten. Caritas Zürich war ihm behilflich bei der Abklärung allfälliger Stipendien. Leider sind kantonale Stipen-dien für diese Situation nicht vorgesehen.

Wenn ausserordentliche Kosten anfallen, wirds sofort eng: Frau Reust* mit ihrem Sohn, der eine Zahnkorrektur brauchte.

Wir stellten deshalb ein Gesuch bei einer Stiftung. Die Kursauslagen wurden über-nommen und Herr Werden hat die prak-tische Prüfung bestanden. Heute verfügt er über den üblichen Anfangslohn in seiner Branche: 3200 Franken.

www.caritas-zuerich.ch/sozialberatung

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Caritas Zürich bietet diverse Dienstleis-tungen für armutsbetroffene Personen im ganzen Kanton an. Besonders präsent ist Caritas Zürich in den beiden grossen Städ-ten Winterthur und Zürich. Viele Armuts-betroffene leben jedoch ausserhalb dieser Ballungszentren. Aufgrund ihrer finanzi-ellen Lage sind diese Personen häufig in ih-rer Mobilität eingeschränkt und hatten bis anhin auch weniger Zugang zu den Dienst-leistungen. Um dies zu ändern, rief Cari-

«Caritas Mobil» geht in die Regionen des Kantons

tas Zürich im Sommer 2009 das Projekt «Caritas Mobil» ins Leben. Das während zwei Jahren laufende Projekt hat zum Ziel, den Bekanntheitsgrad unserer Angebote in jenen Gemeinden zu stärken, in denen wir bis anhin noch gar nicht oder weniger stark vertreten waren. Erster Standort von «Caritas Mobil» war Wetzikon. Dort wur-den im Herbst 2009 zwei Kurse von «schul-start+» und eine Geschenktausch aktion koordiniert durchgeführt. Zudem infor-

13Texte: Katja Schnyder-Walser, Daniel Eberhard; Bilder: Caritas Zürich 1/10 Nachbarn Caritas

KulturLegi in der ganzen Schweiz

Neues Design, nationale Angebote und eine neue Website: Im Jahr 2009 war die KulturLegi Kanton Zürich in-tensiv damit beschäftigt, nationale Neuerungen mitzugestalten und auf kantonaler Ebene umzusetzen. Da-mit Menschen mit knappem Budget von noch mehr Angeboten profitie-ren können.

Die nationale Koordinationsstelle «Kul-turLegi Schweiz» verfolgt seit langem das Ziel, dass alle Menschen mit knappem Bud-get eine KulturLegi bekommen können und in der ganzen Schweiz damit Vergünsti-

gungen erhalten. Dem sind wir im letzten Jahr einen grossen Schritt näher gekom-men.

Seit Herbst 2009 haben alle KulturLe-gis von Caritas ein neues, einheitliches Er-scheinungsbild, das sich auch auf der Web-site wiederfindet. Die rote Farbe löst das Pink ab und stellt damit einen Zusammen-hang zum Auftritt der Caritas her. Der Kul-turLegi-Stern bleibt der wichtigste Bestand-teil und wird nun neben dem Logo auch im Bildmaterial der KulturLegi eingesetzt.

Dank dieser Vereinheitlichung akzep-tieren mittlerweile fast alle unsere Ange-

Das neue, bunte Erscheinungsbild aller KulturLegis der Caritas gilt auch für die KulturLegi Kanton Zürich.

In den Zoo zum Preis von einem Hot Dog.

Dabei sein, auch mit wenig Geld.

www.kulturlegi.ch/zuerichwww.kulturlegi.ch/zuerich

* Schmales Budget, volles Programm: Mindestens 30% Rabatt bei Bildung, Sport und Freizeit.

* Schmales Budget, volles Programm: Mindestens 30% Rabatt bei Bildung, Sport und Freizeit.

botspartner die KulturLegi-Karten von Caritas. So kann nun eine Bernerin den «Landboten» abonnieren, eine Luzerner Familie den Zoo Zürich besuchen oder ein GC-Fan aus dem Kanton Zug Heimspiele des Zürcher Clubs im Letzigrund vergüns-tigt erleben. Die Benutzerinnen und Benut-zer der KulturLegi können damit neu aus rund 600 Angeboten der Bereiche Kultur, Sport und Bildung in der ganzen Schweiz auswählen.

www.kulturlegi.ch/zuerich

mierten wir die Bevölkerung an Stand-aktionen, an einer Medienkonferenz und mit Flyern über die bestehenden Angebote von URAT und der KulturLegi. Die vie-len Rückmeldungen während der Stand-aktionen in Wetzikon waren für die weitere Arbeit sehr inspirierend. Der Kontakt mit der Bevölkerung ist wichtig: Aus diesem Grund freuen wir uns auch darauf, 2010 an diversen Standorten im Kanton Zürich präsent zu sein.

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15Text: Ariel Leuenberger; Bild: Roth und Schmid Fotografi e 1/10 Nachbarn Caritas

«Der erste Eindruck zählt»

Sarah Meier, erfolgreichste Schweizer Eiskunstläuferin, hat sich in unserem Secondhand-Laden an der Birmensdorferstrasse 53 in Zürich neu eingekleidet. Und posierte in einem Designer-kleid von Stella McCartney.

noch kommentarlos und anonym irgendwo einwerfen. Gefragt ist Zeit für Gespräche, und diese Zeit nehmen sich die Angestell-ten im neuen Laden.

Caritas Zürich betreibt Secondhand-Lä-den in Zürich, Winterthur und Uster. Sie leben von Kleiderspenden aus Privathaus-halten und Boutiquen. Der Verkaufserlös kommt unseren Projekten zugute.

Unsere Standorte, die Öff nungszeiten sowie weitere Bilder fi nden Sie online.

www.caritas-zuerich.ch/secondhand

Ihre Frage an uns

Remo L. aus Küsnacht möchte von uns wissen: «Wieso bietet die Caritas Zürich Patenschaft en im Kanton Zürich an? Das ist doch etwas für Entwicklungsländer!»

Im Kanton Zürich sind ungefähr 20 000 Kinder von Armut betroff en. Auch sie ha-ben ein Anrecht auf Hilfe, genauso wie die Kinder in den Entwicklungsländern. Hier bei uns leiden armutsbetroff ene Kinder oft unter Ausgrenzung und sozialer Iso-lation. Sie können materiell weder in der Schule noch in der Freizeit mithalten, da die teuren Markenkleider oder die neusten Trainingsschuhe für sie unerschwinglich sind. Ihre Eltern können den Besuch von

Musik- oder Sportunterricht oder die Teil-nahme an einem Ferienlager oft nicht be-zahlen, die Kinder verbringen deshalb den grössten Teil ihrer Freizeit vor dem Fern-seher oder sie treiben sich auf den Strassen herum. Für ihre Entwicklung und ihre so-ziale Integration ist es jedoch wichtig, dass sie neben der Schule noch eine andere Er-lebniswelt haben, in der sie gefordert und gefördert werden. Mit einer Patenschaft der Caritas Zürich können armutsbetrof-fene Kinder ihre Freizeit sinnvoll nutzen und ihre Talente entdecken, weil wir ih-nen damit über eine längere Zeit beispiels-weise das Spielen eines Instrumentes oder das Fussballtraining ermöglichen.

Kinder erleben im Sport oder in der Musik Erfolge, auf die sie stolz sind. Sie können neue Freundschaft en knüpfen und haben neue Bezugspersonen und Freunde, was ihr soziales Umfeld erweitert und ih-nen neue Perspektiven zeigt. Ein Fussball-trainer kann so zur zentralen Figur im Le-ben eines Jungen werden.

Unsere Patenschaft en bieten Menschen, die helfen möchten, eine einfache und effi -ziente Art, regelmässig zu spenden und da-mit ganz gezielt benachteiligte Kinder hier im Kanton Zürich zu unterstützen.

www.caritas-zuerich.ch/patenschaft en

An dieser Stelle beantworten wir die Fragen der Leserinnen und Leser zu unserer Organisation und unserer Arbeit.

Das Outfi t von Sarah Meier trägt we-sentlich zum Gelingen ihrer Tourniere bei: «Der erste Eindruck zählt, da kommt es auf die Gesamterscheinung an», erklärt die Vize-Europameisterin. Das Kostüm ent-wirft sie gemeinsam mit ihrer Schneiderin. «Mir ist wichtig, dass ich mich darin wohl fühle und mich schön fi nde, wenn ich in den Spiegel schaue.»

Privat trägt Sarah Meier meist legere, sportliche Kleider, die sie oft dann kauft , wenn sie im Ausland unterwegs ist. Da hat sie Zeit und fi ndet Stücke, die hier niemand

trägt. Sie war erstaunt, solche besonderen Teile auch in unserem Secondhand-Laden an der Birmensdorferstrasse in Zürich zu fi nden.

Um an noch mehr spezielle Kleidungs-stücke zu gelangen, eröff nen wir unseren achten Secondhand-Laden an bester Lage – an der Asylstrasse 94 in Zürich. Hier kann unsere Kundschaft ihre schönen, intakten Kleiderspenden persönlich abgeben. Das entspricht einem Bedürfnis, denn viele ha-ben einen engen Bezug zu ihren Kleidern und wollen sie weder in einen Sack stecken

CAZH.indb 15 12.3.2010 10:57:54 Uhr

Page 16: Nachbarn 1/2010

Erfolgreich in die Schulzeit starten

In den Kursen von «schulstart+» lernen Migranten-Familien das Schweizer Schulsystem kennen und werden auf den Schuleintritt ih-rer Kinder vorbereitet. Die Kurse leisten aber auch wichtige Integra-tionsarbeit und stärken das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden.

«Viele Migrantinnen und Migranten sind der Meinung, dass das Schweizer Schulsystem genau gleich funktioniert wie in ihren Heimatländern», sagt Verbena Fanti. Seit zwei Jahren leitet sie für Caritas Zürich «schulstart+»-Kurse auf Portugie-sisch, die Eltern mit Migrationshintergrund auf den Eintritt ihrer Kinder ins Schweizer Schulsystem vorbereiten. «In den Heimat-ländern der Kursteilnehmenden bleiben die Kinder länger in den Familien und wach-sen eher mit ihren Cousinen und Cousins auf, als dass sie in eine Spielgruppe gehen», meint die studierte Archäologin. Viele der Kursteilnehmenden kämen selten in Kon-takt mit der Schweizer Kultur und wissen deshalb kaum, wie sie sich in neuen Situa-tionen zu verhalten haben. «Deshalb sind viele der Teilnehmenden zu Beginn der ‹schulstart+›-Kurse etwas unsicher», meint Verbena Fanti weiter. Frau Fanti kann den Müttern nachfühlen: Auch sie wurde mit ei-ner fremden Kultur konfrontiert, als sie vor zwanzig Jahren wegen ihres Schweizer Ehe-manns aus Brasilien einwanderte.

Angebote erleichtern die Integra-tion

Neben dem Zürcher Schulsystem wer-den den Teilnehmenden der «schulstart+»-Kurse auch viele Details vermittelt, wie die Gepflogenheiten im Kindergarten oder die kulturellen Angebote in den Wohnge-meinden. So besucht Verbena Fanti mit ih-rer «schulstart+»-Klasse jeweils eine Bibli-othek in einer der Gemeinden, in denen die Kurse stattfinden. «Durch die ‹schulstart+›-Kurse lernen die Teilnehmenden die Ange-bote in ihren Wohnorten zu nutzen und in-tegrieren sich so stärker», sagt Frau Fanti. So komme es häufig vor, dass sich die El-tern nach den «schulstart+»-Kursen für Deutschlektionen anmelden oder etwa beim MuKi-Turnen mitmachen. Frau Fanti hält es für wichtig, dass Migrantinnen und

Migranten die Schweizer Kultur verstehen und dass die hier geltenden Regeln akzep-tiert werden. «Es ist jedoch ebenso wichtig, dass die Kursteilnehmenden ihre eigene Kul-tur nicht verlieren», sagt sie. Ein Vorteil der «schulstart+»-Kurse sei, dass sie das Knüp-fen von Kontakten zwischen den Migran-tenfamilien ermöglichen. In den Kursen würden die Familien auch erkennen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und dass sie lernen können, diese zu lösen. «Viele der Familien sind vom öffentlichen Leben isoliert. In den ‹schulstart+›-Kursen können die Teilnehmenden in ihrer Mut-tersprache Erfahrungen austauschen und Freundschaften schliessen.»

Nachhaltige HilfeVerbena Fanti bleibt mit den Eltern oft

auch nach dem Ende der Kurse in Kon-takt und hilft bei kleineren und grösseren Alltagsfragen, z.B. bei der Korrespondenz

16 Caritas Nachbarn 1/10 Text: Daniel Eberhald; Bild: Reto Klink

Caritas Zürich

Die Kurse von «schulstart+» finden im ganzen Kanton Zürich in verschie­denen Sprachen statt, unter anderem in Deutsch, Albanisch, Türkisch oder Tamilisch. Helfen Sie mit, dieses ein­malige Projekt auch in Zukunft zu er­halten. Unterstützen Sie die Kurse von «schulstart+» mit dem beiliegenden Einzahlungsschein. Herzlichen Dank!

PC 80-12569-0

Helfen Sie mit!

Die Kurse erklären den Eltern unser Schulsystem, während die Kinder betreut spielen können.

mit den Behörden. «Das Allerschönste an meiner Aufgabe ist, wenn ich eine Mutter auf der Strasse treffe und diese mir erzählt, dass es ihrem Kind in der Schule gut gehe.» www.caritas-zuerich.ch/schulstart

CAZH.indb 16 12.3.2010 10:58:03 Uhr

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17*Zum Schutz der Betroffenen haben wir ein Bild anderer Personen verwendet. Text: Ariel Leuenberger; Bild: Urs Siegenthaler 1/10 Nachbarn Caritas

«Ein Lächeln aufs Gesicht zaubern»

Als Mentorin unterstützt Christiane Sittauer eine junge Migrantin bei der Suche nach einer Lehrstelle. Im Interview erzählt sie von den Einblicken in andere Lebensverhältnisse, die ihr durch das Engagement bei incluso gewährt werden.

Was hat Sie zu Ihrem Engagement bei incluso bewogen?

Da ich selbst keine Kinder habe, hatte ich das Bedürfnis, mich in meiner freien Zeit sozial zu engagieren. Ich habe lange überlegt, was zu mir passen könnte, und bin schliesslich im Internet auf incluso gestos-sen. Jungen Leuten bei der Stellensuche zu helfen, das kann ich leisten, da ich bei mei-ner beruflichen Tätigkeit viele Menschen einstelle und weiss, was dabei von Bedeu-tung ist. Ich betreue nun seit acht Monaten eine 15-jährige Brasilianerin, sie ist meine «Mentee».

Wie sieht diese Betreuung konkret aus?

Im Vordergrund steht die Hilfe bei der Zusammenstellung der Bewerbungsunter-lagen, das gemeinsame Aufsetzen eines Le-benslaufs, das Korrigieren von Bewerbungs-schreiben und so weiter. Das Herausfinden,

welche Ausbildung überhaupt die richtige ist, war ein weiteres wichtiges Thema bei unseren Treffen. Anfangs traten auch kul-turelle Unterschiede zwischen uns zu Tage. Zum Beispiel bezüglich der Pünktlichkeit mussten wir uns erstmal finden. In Bra-silien trifft man sich, wenn man dazu be-reit ist, hier bei uns ist man vergleichsweise sehr pünktlich. Dementsprechend musste ich häufig nachfragen, erinnern und sie mo-tivieren. Das erforderte viel Vorsicht, denn ich wollte sie weder überfordern noch be-muttern.

Welche Einblicke erhalten Sie in das Leben der jungen Migrantin?

Durch unsere Treffen habe ich ganz neue Einblicke in andere Lebensverhältnisse er-halten. Sie erzählte auch von ihrer Fami-lie und dass deren Möglichkeiten, sie zu unterstützen, eingeschränkt sind. Ihre El-tern fördern sie zwar, haben aber nur wenig

Zeit. Auch die fehlenden Sprachkenntnisse sind ein Handicap. Darum ist meine «Men-tee» so froh darüber, dass ich ihr helfe. Das Schönste für mich sind die positiven Feed-backs – wenn ich es schaffe, ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Zum Beispiel, als wir zusammen Passfotos machten, die Map-pen für die Bewerbung kauften und dann alles zusammengestellt haben. Da war sie zu Recht richtig stolz und hat gestrahlt.

Wie werden Sie bei der Arbeit mit Ihrer

«Mentee» unterstützt?Die Leute von incluso haben immer ein

offenes Ohr. Ich bin froh, wenn ich zu ge-wissen Vorgehensweisen jeweils noch die Meinung der Profis einholen kann. Zum Beispiel war meine «Mentee» zwei Tage lang schnuppern, und die dort Verantwortlichen konnten ihr anschliessend kein richtiges Feedback geben. Ich war unsicher, ob ich nun aktiv werden sollte und was das Beste sei, und hielt Rücksprache mit meiner An-sprechpartnerin bei incluso. Ich fühle mich vom incluso-Team gut beraten und kann ein solches Engagement jedem empfehlen, der bereit ist, seine Zeit und seine Gedan-ken zu investieren.

www.caritas-zuerich.ch/incluso

Möchten Sie jungen Migrantinnen oder Migranten bei der Suche nach einer Lehrstelle helfen? Melden Sie sich bei Monika Litscher, Leiterin incluso: Telefon 044 366 68 68 E-Mail [email protected]

Engagieren Sie sich!

Einblick in das Leben einer jungen Migrantin – und die Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche.*

CAZH.indb 17 12.3.2010 10:58:15 Uhr

Page 18: Nachbarn 1/2010

Caritas Nachbarn 1/10 Bild: zvg

Floriana Frassetto ist Gründungsmitglied der Th eatergruppe Mummenschanz. Für Caritas beantwortet sie zehn Fragen.

«Wir Menschen fühlen gleich, unabhängig von Nationalitäten»

Floriana Frassetto Die gebürtige Italienerin studierte an der Th eater-Akademie in Rom. Als sie Andrès Bossard und Bernie Schürch kennenlernte, gründete sie mit ihnen 1972 die Th eatergruppe Mummen-schanz. Seither hat sie das weltweit er-folgreiche Repertoire von Mummen-schanz miterfunden, mitgestaltet und in allen Produktionen mitgespielt.

Persönlich

18

Was würden Ihre Nachbarn über Sie sagen? Man sieht sie wenig. Sie ist auf der ganzen Welt zuhause.

Wann sind Sie glücklich? Wenn ich je-weils meine Familie wiedersehe und wenn ich aus dem Publikum ein spontanes, herz-liches Lachen höre, das übrigens auf allen Kontinenten gleich tönt. Das zeigt mir, dass wir Menschen unabhängig von Nationali-täten gleich fühlen.

Wie haben Sie das letzte Mal jeman-dem geholfen? Ich führe nicht Buch da-rüber, aber ich helfe gerne, wann immer ich kann.

Welches Erlebnis hat Sie besonders geprägt? Die Krebserkrankung meines Lebenspartners.

Warum braucht es Caritas? Um Spen-den zu organisieren und damit Menschen in Not helfen zu können.

Wofür lohnt es sich, zu streiten? Für Toleranz und gegenseitiges Verständnis.

Was stimmt Sie zuversichtlich? Das zunehmende Bewusstsein, dass wir un-serer Natur Sorge tragen und mit unseren Ressourcen verantwortungsvoll umgehen müssen.

Eine für Sie bedeutende Person in Ihrem Umfeld? Bertrand Piccard.

Woher stammen Ihre Werte? Aus mei-ner Erziehung, der Religion, der Literatur und der Kunst.

Welche Sünde begehen Sie mit Freude? Rauchen.

Informationen zur Th eatergruppe unterwww.mummenschanz.com

CAZH.indb 18 12.3.2010 10:59:09 Uhr

Page 19: Nachbarn 1/2010

Rund 700 000 Liter Milch, gegen 240 000 Kilogramm Mehl, etwa 100 000 Kilogramm Teigwaren, rund eine Million Joghurts – in diesen Dimensionen bewegt sich der jähr-liche Bedarf der 19 Caritas-Märkte in der Schweiz. In diesen Märkten können Ar-mutsbetroffene Lebensmittel und andere wichtige Produkte zu einem besonders günstigen Preis einkaufen.

Um solche Mengen zu bewältigen, braucht es eine Drehscheibe: die Caritas-Warenzentrale in Rothenburg. Hier arbei-tet, gemeinsam mit rund zehn Personen, Rolf Maurer, Geschäftsleiter der Genos-senschaft Caritas-Markt. Der langjäh-rige Coop-Kadermann kennt die Branche: «Die Caritas-Warenzentrale funktioniert eigentlich genau gleich wie diejenige eines normalen Detailhändlers. Wir müssen je-doch nicht Margen erwirtschaften, sondern

möglichst günstige oder kostenlose Ware beschaffen.»

Dabei handelt es sich etwa um Produkte mit Fehlverpackung, Ware, von der zu viel produziert wurde, oder Lebensmittel mit kurzem Ablaufdatum. Im Moment beschäf-tigt sich Maurer zum Beispiel mit 240 Ki-logramm Hefe, die ihm ein Lieferant gratis angeboten hat, weil sie ihr Ablaufdatum in

drei Wochen erreichen wird: «Wir können ihm sicher nicht die ganze Menge abneh-men und müssen sehr schnell handeln, da-mit die Hefe, wie alle Angebote in den Cari-tas-Läden, noch verkaufsfrisch ist.»

Die Zusammenarbeit zwischen Lie-feranten und Caritas-Warenzentrale hat sich über die Jahre eingespielt. Heute wer-den die Caritas-Märkte von Detailhänd-lern und Produzenten nicht mehr als po-tenzielle Konkurrenten betrachtet: «Geben

«Wir brauchen noch mehr Ware»

Drehscheibe Caritas-Warenzentrale: Im luzernischen Rothenburg werden die Produkte, die in den Caritas-Märkten verkauft werden, akquiriert, bestellt, gelagert und in Zusammen-arbeit mit einem Transportunternehmen in die ganze Schweiz verteilt.

sie uns ihre Produkte, helfen sie Armutsbe-troffenen, die sich diese in einem anderen Laden sowieso nicht leisten könnten. Aus-serdem spart sich der Lieferant die Entsor-gung der Ware, die er nicht mehr verkau-fen kann – pro Palette kostet sie 300 bis 500 Franken», erzählt Maurer.

Um bei potenziellen Lieferanten nicht in Vergessenheit zu geraten, setzt die Wa-renzentrale einen Mitarbeiter ein, der sie laut Maurer «aktiv bearbeitet». Er hat auch diejenigen Unternehmen im Auge, die nach wie vor Lebensmittel wegwerfen, die für die Caritas-Märkte geeignet wären: «Eigentlich eine Schande», sagt Maurer, «aber wir dür-fen sie nicht anprangern, sondern müssen sie überzeugen. Wir brauchen noch mehr Ware.»

Denn die Nachfrage nach den Ange-boten der Caritas-Märkte steigt: 2008 er-reichten sie einen Umsatz von 6,5 Millionen Franken, 2009 waren es bereits 7,2 Millio-nen Franken. Und für 2010 rechnet Maurer mit einer weiteren Zunahme. Er befürchtet, dass sich 2010 die Krise weiter auswirkt, «wenn diejenigen, die ihre Arbeit verloren haben, beim Sozial amt landen».

Mit dem steigenden Bedarf in den Märkten wurde das Prinzip, nur Ware zu verkaufen, welche die Warenzentrale gratis erhalten hat, aufgegeben. «Vor etwas mehr als zwei Jahren waren 70 Prozent unseres Angebots Gratisware, heute sind es nur noch 40 Prozent», weiss Maurer. Deshalb kauft die Warenzentrale heute beispiels-weise Grundnahrungsmittel möglichst günstig ein – verkauft werden sie dann un-ter dem Einstandspreis. Damit das möglich ist, hat man neben den Lieferanten von Gra-tisware auch Firmen gesucht, die Produkte sehr billig abgeben oder den Einkauf spon-sern. «Wir mussten und müssen neue Wege suchen», sagt Maurer.

Die Warenzentrale des Caritas-Markts beliefert 19 Caritas-Märkte in der ganzen Schweiz.

Caritas-Netz

Text: Bettina Büsser; Bild: Heinz Dahinden 1/10 Nachbarn Caritas 19

«Früher waren 70 Prozent unseres Angebotes Gratisware, heute sind es nur noch 40 Prozent.»

CAZH.indb 19 12.3.2010 10:59:17 Uhr

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Ausgesteuert und auf Sozialhilfe angewie-sen zu sein heisst, in äusserst prekären Ver-hältnissen zu leben, oft über Jahre hinweg. Der Integrationsbetrieb «Haushalts-Fee» der Caritas Thurgau bietet Menschen in sol-chen Verhältnissen eine Beschäftigung und dadurch Stabilität.

In der Küche wird eifrig der Glaskera-mikherd geputzt und hinten im Bad rauscht die Duschbrause. Ein angenehmer Geruch von Sauberkeit zieht durch die Maisonette-Wohnung. Meistens ist niemand zuhause, wenn geputzt wird. Das kommt den bei-den Mitarbeitenden nicht ungelegen, denn Anonymität ist ihnen wegen ihrer desola-ten Situation wichtig.

«Ich gehe an jeden Einsatz mit, leite an und kontrolliere am Schluss die Arbeit», sagt die Einsatzleiterin und lässt ihren Blick prüfend über die Abzugshaube gleiten. Sie führt auch die Kundengespräche und er-stellt die Einsatzpläne. Das Coaching der Mitarbeitenden wird durch einen Sozial-arbeiter gewährleistet, der mit den zuwei-senden Gemeinden den Kontakt pflegt.

www.caritas-thurgau.ch/Haushalts-Fee

20 Caritas Nachbarn 1/10 Texte: Adrian Wismann; Bilder: Restau-Verso, Caritas Thurgau; Collage rechts: Martin Blaser

Caritas-Netz

Als Haushaltsfee im Einsatz

«Restau-Verso» – Restaurant und Sozialfirma

Im September 2009 öffnete «Restau-Verso» in der Industriezone des Kantonshaupt-ortes seine Tore. Neben dem einladenden Restaurant gehören ein Self-Service, ein Take-away und ein Traiteur zum Angebot. Mit der kostenlosen Ausleihe von Velos an Kunden wird zusätzlich die gesunde Mo-bilität gefördert. Die von Caritas Jura ins Leben gerufene Sozialfirma (siehe Kasten) eröffnet 16 IV-Bezügern und 3 Küchenpro-fis mit Führungskompetenzen neue beruf-liche Perspektiven.

Sechs Monate nach der Eröffnung hat sich das «Restau-Verso» mit rund 70 Mahl-zeiten pro Tag bereits eine treue Kundschaft geschaffen. Mitarbeitende aus den Betrie-ben in der Umgebung, aber auch aus der Stadt selber nutzen diese Angebote gerne. Ein Beweis dafür, dass sich wirtschaftliche und soziale Ansätze durchaus ergänzen können.

Weitere Informationen unter www.restau-verso.ch

Eine Sozialfirma ist ein Unternehmen mit doppelter Zielsetzung: Es schafft erstens Arbeit für Personen mit Be-hinderungen oder Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt. Zweitens stellt das Unternehmen marktgerechte Pro-dukte und Dienstleistungen her und deckt so nach der Aufbauphase min-destens 50 Prozent seiner Ausgaben durch Einnahmen aus dem Verkauf die-ser Produkte. Mindestens 30 Prozent der Belegschaft sind Personen mit Be-hinderungen oder Benachteiligungen. Alle Arbeitnehmerinnen und Angestell-ten haben einen unbefris teten Arbeits-vertrag und erhalten in der Regel einen Lohn nach orts- und branchenüblichen Ansätzen. Weitere Informationen bei der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Sozialfirmen (ASSOF): www.swisssocialfirms.ch

Was ist eine Sozialfirma?

Mit der Gründung von Sozialfirmen soll die Armut in der Schweiz wirksam bekämpft werden. Ein Beispiel ist «Restau-Verso» im jurassischen Délemont.

Vorbereitungsarbeiten in der Küche des Restau-Verso. Bald treffen die ersten Gäste ein.

Eine Arbeitsmöglichkeit für Menschen in prekären Ver-hältnissen

4_nat.indd 20 12.3.2010 16:35:25 Uhr

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19Collage: Martin Blaser 1/10 Nachbarn Caritas

Armut bedeutet Ausgrenzung und soziale Isolation

CAZH.indb 21 12.3.2010 10:59:40 Uhr

Page 22: Nachbarn 1/2010

22 Caritas Nachbarn 1/10 Texte: Caritas Zürich

Hinweise

Gutes tun – auch nach dem Tod

Hinterlassen Sie etwas Gutes, das über ihr Leben hinaus Bestand hat.

Die Armut der Eltern vererbt sich in den meisten Fällen an die Kinder weiter. Helfen Sie uns, dies zu verhindern, und be-rücksichtigen Sie Caritas Zürich mit einem Legat oder einer Schenkung. Denn Kinder tragen unser Erbe weiter, auch wenn wir einmal nicht mehr sind.

Ein Legat an Caritas Zürich sichert ei-nen wichtigen Teil der Finanzierung un-serer Projekte. Es kann die Lebensperspek-tive einer von Armut betroffenen Familie grundlegend verändern und hilft so, über das Leben hinaus Gutes zu tun.

Bestimmen Sie noch zu Lebzeiten sel-ber, wem Ihr Vermächtnis zugute kommt. Nur so können Sie sicher sein, dass Ihr Geld im gewünschten Sinne eingesetzt wird.

Beim Regeln des Nachlasses steht Ihnen der ehemalige Direktor der Caritas Zürich, Herr Guido Biberstein, gerne zur Verfü-gung. Kompetent und diskret beantwor-tet er Ihre Fragen und unterstützt Sie beim Aufsetzen Ihres Testaments.

Guido BibersteinEhem. Direktor Caritas ZürichTelefon 044 713 27 [email protected]

Mit einer Patenschaft von Caritas Zürich helfen Sie ganz gezielt armutsbetrof-fenen Kindern im Kanton Zürich.

Unsere Patenschaften ermöglichen ar-mutsbetroffenen Kindern den Besuch von Sport- oder Musikunterricht und helfen ihnen damit, sich aus der sozialen Isola-tion zu befreien, welche die Armut mit sich bringt.

Die Patenschaften bieten Menschen, die helfen möchten, eine einfache und effizi-ente Art, regelmässig zu spenden und da-mit ganz gezielt benachteiligte Kinder hier im Kanton Zürich zu unterstützen.

www.caritas-zuerich.ch/patenschaften

Tag der Armut

Wer wissen möchte, wie es sich anfühlt, hier und heute zu den sozial Benach­teiligten zu gehören, findet am Caritas-Tag der Armut vom 24. April eine Ant­wort auf dem Hirschenplatz. Im Zürcher Niederdorf präsentieren wir ein Infor­mations- und Unterhaltungsprogramm rund um die lokale Armut. Bestandteile davon sind Teilprojekte der Kampagne «Wir sind arm»: Mit einer Performance professioneller Theaterschaffender und gesammelten Aussagen von Betrof­fenen wird der Öffentlichkeit zugäng­lich gemacht, was meist verschwie­gen und verborgen bleibt: die Notlage unserer Mitmenschen mit zu knap­pem Budget. Es geht um Mädchen, die ohne Geschenk an den Kindergeburts­tag müssen, um Ferien, die zwischen Supermarktregalen verbracht werden, und um Singles, die allein bleiben, weil sie glauben, einem Partner nichts bie­ten zu können. Samstag, 24. April 2010

10 bis 16 UhrHirschenplatz, Zürich www.wir-sind-arm.ch

«Luutstarch» am Openair Landesmuseum

«Luutstarch» ist ein lautes und starkes Zeichen gegen Ausgrenzung und für Perspektiven. Damit engagiert sich Ca­ritas Zürich für Jugendliche, zusammen mit anderen Organisationen. Besuchen Sie unsere Bühne am Openair Landes­museum oder unsere Solidaritätsparty im Jugendkulturhaus Dynamo. Wir bie­ten Musik, Ateliers, Informationen und Aktionen gegen Ausgrenzung und für Perspektiven. Samstag, 19. Juni 2010

12 bis 02 Uhr, Innenhof desLandesmuseums und Jugend-kulturhaus Dynamo, Zürichwww.luutstar.ch

Grundkurs zurSterbebegleitung

Grundkurs für alle, die sich mit dem Thema «Sterben und Trauern» ausein­andersetzen möchten oder jemanden in der letzten Lebensphase begleiten. Kurs in Zusammenarbeit mit der

Paulus-Akademie. 26. Mai bis 8. September 2010www.paulus-akademie.ch

Generalversammlung Caritas Zürich Zu unserer Generalversammlung sind alle Interessierten herzlich eingeladen. Bitte melden Sie sich telefonisch (044 366 68 68) oder online via Caritas-Zürich-Website an. Dienstag, 15. Juni 2010, ab 18 Uhr

Sumatra-Saal, Freie Kath. Schule,Sumatrastrasse 31, Zürichwww.caritas-zuerich.ch/events

Caritas Zürich in Effretikon

Caritas Zürich präsentiert Ende Mai mit der kath. Pfarrei St. Martin die Ausstel­lung «Wir sind arm» in Effretikon und in­formiert mit einer grossen Standaktion zum Thema Armut. 22.–28. April 2010

Kath. Kirchgemeindehaus Samstag, 29. April 2010

Standaktion auf Märtplatz www.caritas-zuerich.ch/events

«Armut-bei-uns»-Woche in Dietikon

Mit der kath. Pfarrei St. Agatha veran­stalten wir diverse Anlässe zum Thema Armut. Auftakt ist die Vernissage der Ausstellung «Wir sind arm». 9.–17. Juli 2010, Foyer Stadthaus Samstag, 17. Juli 2010

Kirchplatz, Dietikon www.caritas-zuerich.ch/events

Veranstaltungen

Übernehmen Sie eine Patenschaft

CAZH.indb 22 12.3.2010 10:59:41 Uhr

Page 23: Nachbarn 1/2010

Illustration: Melk Th almann; Bild: zvg 1/10 Nachbarn Caritas 23

Gedankenstrich Charles Clerc.

machen muss, ist arm, kann nicht am heu-tigen Leben teilnehmen, wird an den Rand gedrängt, fällt raus.

700 000 bis 900 000 sollen es in der Schweiz sein. Immerhin ungefähr ein Zehntel! Und diese Zahl will Caritas bis 2020 halbieren.

Halbieren hat mit teilen zu tun. Dass, wer hat, teilen sollte mit denen, die da nicht haben, ist in jeder halbwegs anständigen Zivilisation guter Brauch.

Nur, barmherzig teilen, wie einst St. Martin seinen Mantel, ist recht und gut, aber in heutigem Sinn nicht wirklich ge-recht.

Wirklich gerecht teilen heisst Regeln aufstellen, die das Recht an der Teilhabe sichern. Man (das heisst die Politik, letzt-lich wir alle) sollte sich mal richtig drum kümmern. Auch das ist einfach – eigent-lich. Natürlich kostet es etwas: «Vo nüüt chunnt nüüt.» Aber leisten könnten wir es uns allemal.

Drum gibt es eigentlich keinen Grund, nicht zu probieren, die Armut zu halbie-ren.

Wir sollten es tun. Tun wir es?

Charles Clerc,ehemaliger Redaktor

und Moderator Tagesschau16 Jahre war Charles Clerc als Redaktor und Moderator der

Tagesschau beim Schweizer Fern-sehen tätig. Sein Markenzeichen

war jeweils sein Schlusssatz «Und zum Schluss noch dies ...».

Nein, ich bin nicht arm. Ich esse gut und gern (und zu viel), wohne behaglich, kleide mich anständig (lieber Schurwolle als Po-lyester); es reicht für Th eater und Konzert, für Griechenlandferien und Reisen nach Afrika; für Kino, Bücher und CDs. Die Steuern sind bezahlt und die Krankenkas-senprämien gehen jeden Monat automa-tisch vom Konto ab. Sogar die, obwohl von Räubern abgekartet, vermögen nicht, mich in grosse Not zu stürzen.

Mir geht’s gut. Vergleiche ich mich al-lerdings mit denen, die am Monatsende nicht nur gutes Geld bekommen, sondern auch noch Boni, bin ich wohl ziemlich arm dran.

Also alles nur relativ? Ist arm, wer sich nicht so viel leisten kann wie andere?

Etwas komplizierter ist das schon – und doch wieder ganz einfach: Wer Monat für Monat die Miete mühsam zusammenkrat-zen muss, sich viermal überlegen muss, ob es für eine neue Hose reicht, von Ferien zwar träumen darf, aber zuhause bleiben muss, wem Kino, Bücher, Th eater uner-schwinglich sind und wen die Kranken-kassenprämien in den Ruin stürzen, kurz, wer es mit knapp mehr als 2000 Franken

Armut halbieren

CAZH.indb 23 12.3.2010 10:59:45 Uhr

Page 24: Nachbarn 1/2010

Samstag, 24. April 2010

Zürich, HirschenplatzDetailliertes Programm unter: www.wir-sind-arm.ch

Armut in der reichen Schweiz ist ein Tabu. Doch sie kann jeden und jede treffen: Von Armut bedroht ist, wer ar-beitslos oder krank wird, wer ungenü-gend ausgebildet ist, wer drei oder mehr Kinder hat, wer eine Scheidung durchmacht, alleinerziehend ist oder einfach nur Pech hat.

Vier Bereiche sind im Kampf gegen die Armut zentral:

Armut erkennen und dokumentieren, • sensibilisieren;die Grundsicherung in der Sozialhilfe • landesweit verbindlich regeln;Sozial� rmen fördern;• allen eine Ausbildung ermöglichen.•

Am 24. April macht Caritas in der ganzen Schweiz auf diese Anliegen aufmerksam.

Erfahren Sie mehr über die Aktionen in unserer Region auf Seite 22 oder unter www.wir-sind-arm.ch.

Nationaler Aktionstagam 24. April 2010

CAZH.indb 24 12.3.2010 11:00:33 Uhr