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wort+wärch 2017 03 12 Kirchengeschichte In der Berner Reformation nahm der Staat die Kirche an seine Brust. Die damalige Prägung des Gemeinwesens wirkt bis heute nach. D er Rat von Bern hatte schon im 15. Jahrhundert in religiöse Belange eingegriffen. Gründe dafür waren Missstände in Pfarreien und Rivalitäten unter Orden. Bern war nie Bischofssitz, doch gab es um 1400 auf Stadtberner Gebiet – bei wenigen tausend Einwohnern – über 25 Klöster. Mehr und mehr traf der Rat Regelungen fürs kirchliche, mit dem Alltag verwobene Leben. 1504 verordnete er im Interesse der Handwerker und Kaufleute, die Festtage zu verringern. Motiviert war die Obrigkeit von der «Sorge um ein gutes Gleichgewicht zwischen geistlicher und weltlicher Macht zum Nutzen von Stadt und Landschaft». 1 «… allein das heylig evangelium» 1523 wurde in Zürich die Reformation beschlossen. Die Berner Obrigkeit wollte der Unruhe im eigenen Gebiet wehren und die Zwietracht in der Eidgenossenschaft eindämmen. Sie ordnete erst an, «nützid anders, dann allein das heylig evangelium, und die leer gottes frey, offenlich und unver- borgen (zu) verkünden» – doch weiter die Messe zu lesen, das alte Kirchenwesen fortzuführen und dabei Streit und Schmähung zu unterlassen. 2 Das Bestreben, die Auslegung der Bibel nach Luthers und Zwinglis Vorbild zuzulassen und zugleich der römischen Kirche die Treue zu halten, liess den Rat zögern und lavieren, bis 1527 die Anhänger der Erneuerung in ihm die Oberhand gewannen. Nach einer grossen Disputation im Januar 1528 verfügte der Rat die Reformation und bekräftigte den neuen Kurs nach der Pfarrersynode im Januar 1532 mit dem Berner Synodus (vergleiche Februarheft). Aufbau der Staatskirche Die Pfarreien des Stadtstaates hatten den Bischöfen von Konstanz und Lausanne unterstanden. In der Reformation übernahmen Schultheiss und Rat der Stadt Bern das Kirchenregiment. Der Aufbau der Staatskirche begann. Er war von Zwingli und seinem Nachfolger Heinrich Bullinger beeinflusst, doch schaute Bern auch Richtung Basel und nach der Eroberung der Waadt 1536 nach Westen. 3 Über die Reformation Genfs, von Calvin ab 1541 betrieben, hielt es schützend seine Hand. Was trat auf dem neuen Weg in den Vordergrund? Gute Werke waren aus Dankbarkeit für die göttliche Gnade geboten. Die Kirchgemeinden sollten die sittliche Erziehung leisten und den Notleidenden beistehen. Schon 1529 war in Bern der Mueshafen für Bedürftige eingerichtet worden – der Staat nahm sich der Armen an. Das Betteln wurde verboten. Mit der Aufhebung der Klöster wurde Kapital für Spitäler frei. Wöchentlich vier Predigten An die Stelle der lateinischen Messe trat der deutsche Predigtgottesdienst. Der Priester hatte im Jahreslauf Heiligen-Geschichten erzählt; nun war der Pfarrer als Diener des göttlichen Wortes gehalten, viermal wöchentlich die Bibel auszulegen. «Mehr als einer wird dabei seine Seele und seine Gemeinde zutode gepredigt haben» (Kurt Guggisberg). Bei vielen (theologisch kaum gebildeten) Verkündigern liess die Fähigkeit zu predigen zu wünschen übrig. Der Besuch der Predigten war den Untertanen vorgeschrieben, die Teilnahme am Abendmahl nicht. Die Sonntagsliturgie war in den ersten Jahrzehnten sehr einfach und nicht feierlich. Bei der Konzentration aufs Gotteswort kam die Musik unter die Räder. Der Münster- pfarrer Berchtold Haller setzte sich 1532 mit Verweis auf den Lobgesang der Mirjam für das Singen von Psalmen ein. Ab 1558 wurde im Münster sonntags ein Psalm gesungen. Zum Schlussgebet gehörte das Schuldbekenntnis. 1551 kam das «Canzel und Agend Büchli» heraus, das dann 230 Jahre lang fast unver- ändert in Geltung blieb. Pfarrer mit Familie und Landwirtschaft Der Zwangszölibat (mit dem Ärgernis der Priesterkonkubinen) fiel weg; im Pfarrhaus lebten nun Eheleute. Die meisten Pfarrer trieben nebenbei Landwirtschaft, denn für grössere Familien reichte das Einkommen NEUE KIRCHE, BESTIMMENDE OBRIGKEIT 1: m Berner Rathaus wurde die Reformation für Stadt und Landschaft beschlossen. 2: Gnade im Gericht: Die Reformation gab neue Gewissheit. 1

neUe kirche, BestiMMende oBrigkeit - egw.ch · die fähigkeit zu predigen zu wünschen übrig. der Besuch der ... Pflicht. im März 1529 wurde in jeder ... 1531 schloss der rat das

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wort+wärch 2017 – 0312 – Kirchengeschichte

In der Berner Reformation nahm der Staat die Kirche an seine Brust. Die damalige Prägung des Gemeinwesens wirkt bis heute nach.

Der rat von Bern hatte schon im 15. Jahrhundert in religiöse Belange eingegriffen. gründe dafür waren Missstände in Pfarreien und rivalitäten unter orden. Bern war nie Bischofssitz, doch gab es um 1400 auf stadtberner gebiet – bei wenigen tausend einwohnern – über 25 klöster.

Mehr und mehr traf der rat regelungen fürs kirchliche, mit dem alltag verwobene leben. 1504 verordnete er im interesse der handwerker und kaufleute, die festtage zu verringern. Motiviert war die obrigkeit von der «sorge um ein gutes gleichgewicht zwischen geistlicher und weltlicher Macht zum nutzen von stadt und landschaft».1

«… allein das heylig evangelium»1523 wurde in zürich die reformation beschlossen. die Berner obrigkeit wollte der Unruhe im eigenen gebiet wehren und die zwietracht in der eidgenossenschaft eindämmen. sie ordnete erst an, «nützid anders, dann allein das heylig evangelium, und die leer gottes frey, offenlich und unver-borgen (zu) verkünden» – doch weiter die Messe zu lesen, das alte kirchenwesen fortzuführen und dabei streit und schmähung zu unterlassen.2

das Bestreben, die auslegung der Bibel nach luthers und zwinglis vorbild zuzulassen und zugleich der römischen kirche die treue zu halten, liess den rat zögern und lavieren, bis 1527 die anhänger der erneuerung in ihm die oberhand gewannen. nach einer grossen disputation im Januar 1528 verfügte der rat die reformation und bekräftigte den neuen kurs nach der Pfarrersynode im Januar 1532 mit dem Berner synodus (vergleiche februarheft).

Aufbau der Staatskirche die Pfarreien des stadtstaates hatten den Bischöfen von konstanz und lausanne unterstanden. in der reformation übernahmen schultheiss und rat der stadt Bern das kirchenregiment. der aufbau der staatskirche begann. er war von zwingli und seinem nachfolger heinrich Bullinger beeinflusst, doch schaute Bern auch richtung Basel und nach der eroberung der waadt 1536 nach westen.3 Über die reformation genfs, von calvin ab 1541 betrieben, hielt es schützend seine hand. was trat auf dem neuen weg in den vordergrund? gute werke waren aus dankbarkeit für die göttliche gnade geboten. die kirchgemeinden sollten die sittliche erziehung leisten und den notleidenden beistehen. schon 1529 war in Bern der Mueshafen für Bedürftige eingerichtet worden – der staat nahm sich der armen an. das Betteln wurde verboten. Mit der aufhebung der klöster wurde kapital für spitäler frei.

Wöchentlich vier Predigtenan die stelle der lateinischen Messe trat der deutsche Predigtgottesdienst. der Priester hatte im Jahreslauf heiligen-geschichten erzählt; nun war der Pfarrer als diener des göttlichen wortes gehalten, viermal wöchentlich die Bibel auszulegen. «Mehr als einer wird dabei seine seele und seine gemeinde zutode gepredigt haben» (kurt guggisberg). Bei vielen (theologisch kaum gebildeten) verkündigern liess die fähigkeit zu predigen zu wünschen übrig. der Besuch der Predigten war den Untertanen vorgeschrieben, die teilnahme am abendmahl nicht.

die sonntagsliturgie war in den ersten Jahrzehnten sehr einfach und nicht feierlich. Bei der konzentration aufs gotteswort kam die Musik unter die räder. der Münster-pfarrer Berchtold haller setzte sich 1532 mit verweis auf den lobgesang der Mirjam für das singen von Psalmen ein. ab 1558 wurde im Münster sonntags ein Psalm gesungen. zum schlussgebet gehörte das schuldbekenntnis. 1551 kam das

«canzel und agend Büchli» heraus, das dann 230 Jahre lang fast unver-ändert in geltung blieb. Pfarrer mit Familie und Landwirtschaftder zwangszölibat (mit dem Ärgernis der Priesterkonkubinen) fiel weg; im Pfarrhaus lebten nun eheleute. die meisten Pfarrer trieben nebenbei landwirtschaft, denn für grössere familien reichte das einkommen

neUe kirche, BestiMMende oBrigkeit

1: m Berner rathaus

wurde die reformation

für stadt und landschaft

beschlossen.

2: gnade im gericht:

die reformation gab

neue gewissheit. 1

wort+wärch 2017 – 03 Kirchengeschichte – 13

vielerorts nicht. da nun auch leute aus dem volk evangeli-sche schriften und die Bibel selbst lasen, mussten die Pfarrer bei Ungenauigkeiten den vorwurf gewärtigen, sie hätten «luginen prediget». es kam zu störungen des gottesdienstes. viele Pfar-rer waren nicht-Berner; ge-gen sie «hielt sich lange ein fast unüberwindliches Misstrauen».4 zu den kri-tikern oberflächlicher, un-genauer und obrigkeitshöriger verkündigung gehörten von Beginn weg auch täufer.

Chorgerichtdie reformation sollte zu einer geistigen und sittlichen erneuerung im volk, zu ordnung und mehr wohlstand führen. für dieses ziel nahm die obrigkeit ihre junge kirche in Pflicht. im März 1529 wurde in jeder gemeinde ein chor- oder ehegericht eingesetzt. ihm gehörten neben dem Pfarrer zwei ehrbare gemeindeglieder an. das chorgericht konnte ermahnen und rügen, büssen und trülle und Pranger oder haft bis zu drei tagen anordnen. «wo der Pranger fehlte, wurden die delinquenten während des sonntäglichen kirch-gangs neben die kirchentüre gestellt.»5 andere mussten im gottesdienst vor versammelter gemeinde abbitte tun. im Unterschied zur ordnung, die calvin in genf einführte, gehörte der Bann nicht zu den strafen des chorgerichts; damit wurde dessen weltlicher charakter betont.

Ehe als Lebensordnungdie obrigkeit förderte die ehe (sie ist nach evangelischem verständnis kein sakrament). Männer konnten sie mit 16, frauen mit 14 Jahren eingehen. das Paar ging, um seinen ehewillen öffentlich zu bezeugen, sonntags in den gottes-dienst. dort konnten die anwesenden gemeindeglieder einspruch erheben. geschah dies nicht, wurde die ehe bestä-tigt und gesegnet.6 der ehebruch galt als scheidungsgrund und wurde bestraft (im wiederholungsfall mit verbannung). 1531 schloss der rat das freudenhaus der stadt und vertrieb die dirnen.

auch die zünfte wurden darauf verpflichtet, für anstand und tugend zu sorgen. Um laster und sünden zu bekämpfen, erliessen schultheiss und rat unaufhörlich sitten-Mandate. Pest, stürme und hochwasser wurden als strafen gottes

1 alfred ehrensperger, der gottesdienst in stadt und landschaft Bern

im 16. und 17. Jahrhundert, zürich, 2011, seite 100 2 Mandat «viti et

Modesti» vom 15. Juni 1523 3 ehrensperger, seite 213 4 kurt guggisberg, Bernische kirchengeschichte, Bern, 1958, seite 176 5 guggisberg, seite 179 6 ehrensperger, seite 195 7 guggisberg,

seite 183ff. zur zeit der reformation hatten in Bern etwa

5‘000 Menschen, auf der landschaft um die 70‘000 gelebt.

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gedeutet. Mit reue und gebessertem wandel sollte seinem zorn gewehrt werden.

Sonntagsheiligungder sonntag wurde geschützt: während der Predigt durfte nichts feilgeboten oder ausgeschenkt werden. dem torwart befahl der rat 1552, zur Predigtzeit keine spaziergänger aus der stadt zu lassen. fasnacht und kirchweih waren mit der reformation dahingefallen. ab 1550 war jährlich am ersten Maisonntag das Mandat gegen fluchen, schwören, spielen und tanzen von der kanzel zu verlesen. die Bussen wurden erhöht. 1559 folgte ein Mandat gegen die «zerschnittenen kleider» und das tragen goldener ringe, gegen aberglauben, wahrsagen und segnerei.

gebote, verbote und strafen «vermögen keine innerlich lebendige christlichkeit zu erzwingen». doch die Mass-nahmen verfehlten laut guggisberg ihre wirkung nicht. «das volk wurde arbeitsamer, lebte eingezogener, huldigte weniger ausgelassenen vergnügungen und wandte sich bürgerlicher tüchtigkeit zu.» innert Jahrzehnten vermehrte sich die Bevölkerung um die hälfte7.fortsetzung im nächsten heft: Bern und die täufer

Peter schmid, redaktion