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SEG mente 11 Notarzt und Rettungsassistent beim Terroranschlag K. Maurer, Th. Mitschke (Hrsg.) S. Müller, A. Jansch, M. Tullius, G. Toretti, P. Fischer

Notarzt und Rettungsassistent beim Terroranschlag

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Die Autoren des SEGmente-Bandes haben Erfahrungen aus internationalen und nationalen Lagen zusammengetragen und geben wertvolle Tipps für den Einsatz in Terror- und Bedrohungslagen. Die Beiträge sollen Einsatzkräfte vor Ort besser auf diese Ausnahmesituationen vorbereiten. Das Buch ist durch ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen eines Projektes zur Vorbereitung von Schutz- und Rettungskräften auf Terroranschläge, Krisen und Katastrophen (VoTeKK) entstanden. Es wurde ein Kurs mit dem Titel des Buches entwickelt und an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe durchgeführt. Die Diskussionen und Ergebnisse dieses Kurses sind in das Buch eingeflossen und machen es zu einem Kompendium ganz neuer Art.

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SEGmente 11Notarzt und Rettungsassistent

beim Terroranschlag

SEGmente 11Notarzt und Rettungsassistent beim Terroranschlag

ISBN 978-3-943174-06-9 · www.skverlag.de

Mit diesem Buch halten Sie ein Kompendium einer ganz neuen Art in der Hand. Die Au-toren haben Erfahrungen aus internationalen und nationa-len Lagen zusammengetragen und geben wertvolle Tipps für den Einsatz in Terror- und Be-drohungslagen. Die Beiträge in diesem SEGmente-Band sollen Einsatzkräfte vor Ort besser auf diese Ausnahmesituationen vorbereiten.Das Buch ist durch ein För-derprogramm des Bundesmi-nisteriums für Bildung und

Forschung im Rahmen eines Projektes zur Vorbereitung von Schutz- und Rettungskräften auf Terroranschläge, Krisen und Katastrophen (VoTeKK) entstanden. Es wurde ein Kurs mit dem Titel des Buches entwickelt und an der Akade-mie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevöl-kerungsschutz und Katastro-phenhilfe durchgeführt.

K. Maurer, Th. Mitschke (Hrsg.)S. Müller, A. Jansch, M. Tullius, G. Toretti, P. Fischer

K. Maurer, Th. Mitschke (Hrsg.)S. Müller, A. Jansch, M. Tullius, G. Toretti, P. Fischer

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Anmerkungen des Verlags

Die Herausgeber bzw. Autoren und der Verlag haben höchs-te Sorgfalt hinsichtlich der Angaben von Therapie-Richtlinien, Medikamentenanwendungen und -dosierungen aufgewendet. Für versehentliche falsche Angaben übernehmen sie keine Haf-tung. Da die gesetzlichen Bestimmungen und wissenschaftlich begründeten Empfehlungen einer ständigen Veränderung un-terworfen sind, ist der Benutzer aufgefordert, die aktuell gülti-gen Richtlinien anhand der Literatur und der Beipackzettel zu überprüfen und sich entsprechend zu verhalten. Die Angaben von Handelsnamen, Warenbezeichnungen etc. oh-ne die besondere Kennzeichnung ®/™/© bedeuten keinesfalls, dass diese im Sinne des Gesetzgebers als frei anzusehen wären und entsprechend benutzt werden könnten. Der Text und/oder das Literaturverzeichnis enthalten Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat. Deshalb kann er für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Sei-ten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seite ver-antwortlich. Aus Gründen der Lesbarkeit ist in diesem Buch meist die männliche Sprachform gewählt worden. Alle perso-nenbezogenen Aussagen gelten jedoch stets für Frauen und Männer gleichermaßen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen oder Textteilen, vorbehalten. Einspeicherung in elektronische Systeme, Funksendung, Ver-vielfältigung in jeder Form bedürfen der schriftlichen Zustim-mung der Autoren und des Verlages. Auch Wiedergabe in Aus-zügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung.

© Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2012, Titelbilder: T. Trütgen, vogelheim.tvSatz: Bürger Verlag GmbH & Co. KG, EdewechtDruck: M.P. Media-Print Informationstechnologie Gmbh, Paderborn

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Herausgeber: KlausMaurerThomasMitschke

Mitbegründer: HannoPeter✝

Band11

Notarzt und Rettungsassistent beim Terroranschlag

StefanMüllerArneJanschMarkusTulliusGuidoTorettiPhilippFischer

Verlagsgesellschaft Stumpf & Kossendey mbH, Edewecht 2012

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Inhalt

Abkürzungen 6

Vorwort 7

1 BedrohungenundHerausforderungendurchTerroranschläge 9

1.1 Psychologie des Terrors 9

1.2 Herausforderungen an den Rettungsdienst bei einem Terroranschlag 11

1.3 Arten der Bedrohungen 13

2 VorbereitungaufTerroranschläge 192.1 Gefahrenlage in Deutschland:

Ihre Wahrnehmung ist Ihre Realität! 19

2.2 Einblick in besondere internationale Terroranschläge 20

2.3 Wie sieht die aktuelle Bedrohungslage in Deutschland aus? 22

2.4 Erfahrungen aus den Terroranschlägen in Israel, Madrid, London und Oslo 25

2.5 Phänomen Amok – Erfahrungen aus vergangenen Ereignissen 29

3 Explosions-undSchussverletzungen 363.1 Schussverletzungen 36

3.2 Explosionsverletzungen 39

3.3 Gefahren durch sprengfähige Stoffe und Gegenstände 42

3.4 Tourniquets 49

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4 VorgehenundVerhaltenineinerTerrorlage 53

4.1Aufgaben des ersteintreffenden Rettungsmittels beim MANV 53

4.2 Rettungsdienstliche Taktiken in der Bedrohungslage 56

4.3 Sichtung 64

5 ZusammenarbeitmitPolizeikräften 715.1 Beweismittelvernichtung 71

5.2 Konzepte zur Zusammenarbeit von Polizei und Rettungsdienst 74

6 SpezielleAusrüstung 836.1 Tourniquets 83

6.2 Intraossärer Zugang 85

6.3 Hämostyptika und spezielle Verbandmittel 87

6.4 Entlastung eines Pneumothorax 90

Anhang 94

Autoren 95

Abbildungsnachweis 98

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6

AAAACEEEE Gefahrenmatrix: Atemgifte, Angst, Ausbreitung, Atomare, Chemische, Elektrizität, Explosion, Einsturz, Erkrankung/ Verletzung

AKNZ Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz

BBK Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

CAT Combat Application Tourniquet

CBRNE(S) Das Kürzel steht für »chemisch«, »biologisch«, »radio-nukle-ar«, »explosiv« und »Schusswaffe«

CoTCCC Committee of Tactical Combat Casualty Care

DGU Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie

HEIKAT Handlungsempfehlungen zur Eigensicherung für Einsatz-kräfte der Katastrophenschutz- und Hilfsorganisationen bei einem Einsatz nach einem Anschlag

ICR Interkostalraum

IED Improvised Explosive Device (Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung)

KTU Kriminaltechnische Untersuchung

MANV Massenanfall von Verletzten

mSTaRT modifiziertes Schema: Simple Triage and Rapid Treatment

SEK Spezialeinsatzkommando

SOFTT Special Operational Forces Tactical Tourniquet

TATP Triacetontriperoxid, hochexplosiver Stoff

TCCC Tactical Combat Casualty Care

TEMS Tactical Emergency Medical Support

USBV Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen

UXO Unexploded Ordnance (»Blindgänger«)

VBIED Vehicle Born Improvised Explosive Device (nicht kommerzi-ell/industriell hergestellter Sprengsatz in einem Fahrzeug)

VoTeKK Projekt zur Vorbereitung auf Terroranschläge, Krisen und Katastrophen des BBK

ZMZ Zivil-Militärische Zusammenarbeit

Abkürzungen

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Vorwort

»Notarzt und Rettungsassistent beim Terroranschlag« – das Thema dieses Bandes aus der SEGmente-Reihe hätte noch vor einer Dekade im deutschsprachigen Schrifttum nicht das Interesse bei den Einsatzkräften der Polizei, der Feuer-wehr und des Rettungsdienstes geweckt wie zum gegen-wärtigen Zeitpunkt. Heute hat sich das Risikobewusstsein auch in der Bevölkerung eher vom Ob zum Wann eines der-artigen Anschlagsszenarios geändert.

Somit füllen die Autoren dieses Buches eine Wissenslü-cke im Hinblick auf die komplexen physikalischen Phäno-mene von Sprengstoffexplosionen und deren pathophysio-logischen Konsequenzen im Organismus der Betroffenen. Dieses Wissen war bis dato nur Experten vornehmlich im militärischen Bereich vorbehalten.

Ein besonderes Dilemma bei dem Szenario eines Terror-anschlags liegt für das Einsatzpersonal des Rettungsdiens-tes darin, dass die polizeiliche und feuerwehrtechnische Ge-fahrenabwehr absoluten Vorrang vor den Maßnahmen der Lebensrettung hat. Der Stress und die sich daraus ergeben-den Diskussionen sind nur durch ein integratives Vorgehen aller Kräfte der Polizei, der Feuerwehr, des Rettungsdienstes und der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) zu lösen. Dies machen die Autoren deutlich.

Dieser SEGmente-Band vermittelt jedoch nicht nur Wis-sen und hilft bei der Klärung strittiger Fragen, sondern wirft auch einen Blick auf die besonderen Techniken und Materi-alien, die in der Praxis beherrscht und angewendet werden müssen.

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Man kann nur hoffen, dass das, was Soziologen feststell-ten, zutrifft:

Bösmenschen werden bei guter Vorbereitung der Be-wältigung eines zu erwartenden Schadens entmutigt, einen solchen Anschlag zu planen und auszuführen!

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Bernd-Dieter Domres, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für KatastrophenMedizin (DGKM) und Präsident des Deutschen Instituts für Katastrophenmedizin

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1 Bedrohungen und Herausforderungen durch Terroranschläge

1.1 PsychologiedesTerrors

1.1.1 Hintergrund

Terrorismus ist keine neue Erscheinung oder Herausforde-rung. Schon immer wurden extreme Gewalt und Wider-stand von nichtstaatlichen Gruppen gegen die Staatsgewalt im Sinne der asymmetrischen Kriegsführung eingesetzt. Je nach Betrachtungsweise sind es entweder Terroristen, die diese Taten ausführen, oder Freiheitskämpfer bzw. Revolu-tionäre.

Eine allgemeingültige Definition des Begriffs Terroris-mus (lat. terror: »Furcht«, »Schrecken«) ist bislang nicht ge-lungen, grundsätzlich werden durch einen Terroranschlag jedoch zwei Phänomene verbunden:

Terror:Damit ist die Verbreitung von Angst und Unsicherheit durch brutale Handlungen mit meist politischer oder religi-öser Zielsetzung gemeint (1).

Anschlag:In der Regel wird im Rahmen des modernen Terrorismus be-vorzugt die Anschlagstechnik in ihren verschiedensten Aus-prägungen verwendet. Dazu werden mit minimalem mate-riellen und personellen Aufwand vulnerable Ziele beispiels-weise in Form von Attentaten, durch Fahrzeugbomben oder den Einsatz von Selbstmordattentätern effektiv angegriffen. Diese Art der sogenannten asymmetrischen Kriegsführung

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vermeidet die offene Konfrontation mit einem überlegenen Gegner und ist schwer zu unterbinden. Darüber hinaus füh-ren diese Terroranschläge zu vielen Opfern und geschädig-ten Personen im Sinne eines Massenanfalls von Verletzten (MANV). Auch wenn konventionelle Sprengstoffanschläge ungleich häufiger vorkommen, bestehen dennoch die Mög-lichkeiten der biologischen, chemischen oder nuklearen Kontamination durch Anschlagswaffen und der damit ver-bundenen Provokation von Angst und Hilflosigkeit (2).

1.1.2 Zielsetzung

Der Terror dient als Druckmittel und soll vor allem Besorg-nis und Schrecken verbreiten, Sympathie und Unterstüt-zungsbereitschaft in der Bevölkerung erzeugen und die Hilf-losigkeit des Staates sowie des Einzelnen demonstrieren. Terrorismus ist keine militärische Strategie, sondern primär eine Kommunikationstaktik. Es wird hier vor allem eine ver-änderte Risikowahrnehmung der Medien, der Bevölkerung und der Politik erzwungen. Terroristen streben zwar nach Veränderungen der bestehenden Ordnung, doch greifen sie nicht militärisch nach Raum (wie z.B. der Freiheitskämpfer), sondern möchten das Denken besetzen und dadurch Verän-derungsprozesse erzwingen (2).

Seit dem 11. September 2001 hat der Terrorismus eine neue Dimension erreicht, da sich hier mit nahezu 3.000 Op-fern und der exponierten Örtlichkeit ein neues Bild in Bezug auf den Terrorismus in das Gedächtnis der Bevölkerung ein-gegraben hat (2). Die Nutzung von Selbstmordattentaten als besonders effektive Anschlagstechnik verursacht dabei eine besondere Verunsicherung.

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Die weitaus seltenere Nutzung von unkonventionellen Waffen wie biologischen Agenzien, chemischen Wirkstof-fen oder radioaktiven Materialien verbreitet dabei eine be-sondere Form der Angst und Furcht (3).

1.2 HerausforderungenandenRettungsdienstbeieinemTerroranschlag

Durch einen terroristisch motivierten Anschlag, insbeson-dere mit Sprengstoff, kommt es innerhalb kürzester Zeit zu einer beabsichtigten hohen Anzahl von Verletzten und To-ten (4). Daraus folgt ein Mangel an personellen und materi-ellen Ressourcen. Dieser Massenanfall von Verletzten kann und darf nicht wie der oft beübte statische MANV abgear-beitet werden!

1.2.1 Unterschiede

Hierbei handelt es sich um eine dynamische Lage, was wie-derum bedeutet, dass ständig neue Erkenntnisse zu sicher-heitsrelevanten Vorkommnissen die Einsatzkräfte in der Handlungsmöglichkeit und medizinischen Versorgung ein-schränken oder sogar gefährden und wir uns permanent der aktuellen Lage anpassen müssen.

Dadurch kann sich die Chaosphase deutlich verlängern, da das Rettungsdienstpersonal vor Ort aufgrund der Gefähr-dung weder Aufklärungsergebnisse liefern kann, noch ers-te Maßnahmen wie zum Beispiel eine Vorsichtung an der Schadensstelle treffen wird. Bedingt durch diese Schwie-rigkeiten kommt es zu einem längeren Informationsdefizit, wobei eine Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften un-abdingbar wird (5).

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1.2.2 Gefahren

Bei solchen Ereignissen kann »blinder Aktionismus« des Rettungsdienstes bzw. die reflexartige Haltung, umgehend helfen zu wollen, schwerwiegende Folgen für das betreffen-de Rettungsteam, aber auch für nachfolgende Kräfte haben.

Unbedachtes Vorgehen an der Schadensstelle oder fal-sches taktisches Verhalten gefährdet das Rettungsdienst-personal zum Beispiel durch noch nicht vollständig um-gesetzte improvisierte Sprengsätze oder einen gezielten Zweitanschlag auf die Einsatzkräfte.

Auch wenn dringend Hilfe angebracht ist, müssen die Ei-gensicherung und der Eigenschutz Vorrang haben, eine Ein-schätzung der Bedrohungslage und die Freigabe durch Si-cherheitskräfte sind dringend geboten. Denken Sie daran, dass Sie als ausgebildete Spezialkraft eine Ressource dar-stellen, die nicht in beliebiger Anzahl zur Verfügung steht! Sie sind in einem solchen Einsatz nicht zu ersetzen und dür-fen sich daher nicht unkalkuliert in Gefahr begeben.

1.2.3 Besonderheiten

Die im rettungsdienstlichen Routineeinsatz überwiegend durchgeführte Individualmedizin tritt hier in den Hinter-grund, nicht nur zugunsten einer (Vor-)Sichtung, um das Bestmögliche für eine Vielzahl von Opfern zu gewährleis-ten, sondern auch vor dem Hintergrund, dass unter Um-ständen keine Behandlung durchgeführt werden kann, da dies die Sicherheitslage nicht zulässt. Dies stellt eine enor-me Belastung für den Rettungsdienstmitarbeiter dar.

Im Regelrettungsdienst sind nur 4,7 Prozent (Traumare-gister der DGU) der Unfallereignisse penetrierende Verlet-zungen (6), daher stellen Verletzungsmuster durch Spreng-stoffanschläge, Splitter- und Schussverletzungen besondere

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4 Vorgehen und Verhalten in einer Terrorlage

4.1 AufgabendesersteintreffendenRettungsmittelsbeimMANV

Die ersteintreffenden Rettungsmittel haben die besondere Aufgabe, bei Eintreffen an der Schadensstelle die Lage ent-sprechend einzuschätzen und »auf MANV umzuschalten« (1).

So müssen die Individualmediziner zuerst weg vom Pa-tienten und hin zum organisatorischen Rahmen, um das bestmögliche Ergebnis für alle beteiligten Patienten zu er-zielen. Dies erfordert ein Höchstmaß an Disziplin!

Zu diesen Maßnahmen gehören:

˘ Bereits vor Verlassen des Fahrzeuges eine Mel-dung über Funk abgeben, diese sollte folgende Angaben enthalten:˘ Schadensereignis˘ Schadensausmaߢ Gefahren (z.B. Terror oder Chemikalien)˘ Wie viele (Einsatzkräfte u. Patienten)˘ Anfahrtrichtung für nachrückende Kräfte.

˘ Sind bereits andere Kräfte von Feuerwehr oder Polizei vor Ort: Kontakt suchen, um die Lagebeur-teilung zusammenzuführen.

˘ Zu Fuß die Schadensstelle abgehen – sofern mög-lich, um sich einen Überblick zu verschaffen.

˘ Keine Behandlung beginnen.˘ Konkrete zweite Rückmeldung geben, diese sollte

folgende Angaben enthalten:

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˘ Was ist passiert? Ist das Ereignis abgeschlos-sen?

˘ Bestehen oder drohen Gefahren für Einsatz-kräfte und/oder Betroffene (zum Beispiel: Kon-tamination, Feuer, Einklemmung)?

˘ Wie viele Personen sind insgesamt betroffen? Unterscheidung von leicht (stehenden, lau-fenden) und schwer (liegenden) Verletzten.

˘ Welche weiteren Kapazitäten sind erforderlich (Dekontamination, Patientenversorgung, Be-treuung, Transport, Brandschutz, technische Rettung, Polizei …)?

˘ Keine konkreten Einsatzmittel, sondern Dienstleistungen anfordern.

Anschließend könnte sich vom Team des ersteintreffenden Rettungsmittels – je nach äußeren Umständen – ein Mit-glied nach vorn zur Schadensstelle hin arbeiten und ein weiteres nach hinten zwecks Organisation der Einsatzstelle.

4.1.1 Schadensstelle

Hier gilt es zuerst abzuschätzen, wo sich spontan Patienten- ablagen gebildet haben. Diese sind zu beurteilen. Individu-almedizin ist auf jeden Fall in der Frühphase und bei einem Mangel an Rettungskräften zu unterlassen. Hier darf man sich auf das Offenhalten der oberen Atemwege (z.B. durch stabile Seitenlage oder die Einlage von Naso-/Oropharynge-altuben) sowie das Tourniquet bei spritzenden Blutungen der Extremitäten beschränken. Ein unkontrollierter Trans-port ist unbedingt zu vermeiden, auch sollten die Leichtver-letzten – wenn möglich – gesammelt werden, um eine Über-schwemmung von nahegelegenen Notaufnahmen zu ver-

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meiden. Mittels einer Vorsichtung kann dann die Schadens-stelle weiter strukturiert werden.

4.1.2 RückwärtigeOrganisation

Die nachrückenden Kräfte werden über Funk koordiniert, so kann rasch die Einrichtung eines Bereitstellungsrau-mes/Rettungsmittelhalteplatzes erfolgen, um eine Über-schwemmung der Einsatzstelle zu verhindern (2). Auf diese Weise können nachfolgende Kräfte kontrolliert zur Einsatz-stelle »gezogen« werden. Nach Möglichkeit sollte ein fes-ter Ansprechpartner am Bereitstellungsraum benannt wer-den. Weiterhin ist die Frage zu klären, ob ein Hubschrauber-landeplatz nötig ist. Die Sicherheitslage lässt sich mit dem GAMS-Schema der Feuerwehr (3) skizzieren, wenngleich es im Rahmen eines Terroranschlags zu kurz greift.

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Abb. 9 ˘ GAMS-Schema

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4.2 RettungsdienstlicheTaktikeninderBedrohungslage

Vorgestellte Taktiken und Handlungsempfehlungen haben mangels einer Erprobung im Einsatz einen hypothetischen Charakter, können jedoch an die Stelle eines taktischen Va-kuums treten.

Zu Beginn stellt sich die Frage, ob ein Anschlag als sol-cher überhaupt erkannt wird. Bei Anhaltspunkten, dem ge-ringsten Zweifel oder auch nur einem »Bauchgefühl« verfal-len Sie nicht in den Modus der routinierten statischen Lage; agieren Sie stattdessen im dynamischen Prozess der Bedro-hungslage, bis Erkenntnisse der polizeilichen Gefahrenab-wehr eine Beurteilung für das weitere Vorgehen ermögli-chen. Die mentale Beschäftigung mit dieser Situation und ein »Leben in der Lage« sind dazu wichtige Voraussetzun-gen (4).

Die vorgestellten Strategien und Taktiken bieten keinen absoluten Schutz, können aber eigene Ausfälle und Opfer eingesetzter Kräfte minimieren.

4.2.1 Grundsatz»EigensicherungundEigenschutz«

Denken Sie bitte daran, dass Sie als professioneller Hel-fer und Retter über eine Ausbildung verfügen, die in einer solchen Lage nicht zu ersetzen ist. Nur Sie können mit Ih-rem Wissen den Opfern adäquate Hilfe zukommen lassen und dürfen nicht ausfallen. Daher begeben Sie sich nicht in unkalkulierbare Gefahr und tragen Sie Ihre vollständige Schutzausstattung.

In Abstimmung mit der Polizei muss sich jeder Rettungs-dienstmitarbeiter über die Einteilung der Einsatzstelle be-wusst sein. Hier bietet sich die Einteilung von drei Zonen

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gemäß dem Gefährdungsgrad an (siehe Kapitel 5 »Zusam-menarbeit mit Polizeikräften«).

Abb. 10 ˘ Zonenmodell

Nach Explosionen verdächtigen Ursprungs muss durch Messungen nachgeprüft werden (lassen), ob radioaktives Material sowie biologische oder chemische Schadstoffe ver-teilt wurden (cave: Kontaminationsverschleppung). Zeit, Distanz und Schutzausstattung sind drei wichtige Faktoren, die die Auswirkungen durch Kontamination reduzieren (5).

4.2.2 »Spezialistensindspezial«

Auch ein spezialisiertes medizinisches Wissen, zum Beispiel über Frühsymptome bei der Aufnahme chemischer Wirk-stoffe oder biologischer Agenzien, Schusswunden oder Ver-letzungsmuster durch Explosionen, ist erforderlich, um ei-ne frühestmögliche Einschätzung der Lage abgeben zu kön-nen und weitere Maßnahmen einzuleiten. Für Ihre spezielle Ausbildung gibt es keinen unbeschränkten Ersatz!

A

A=heißeZoneB=warmeZoneC=kalteZone

B

B B

CC

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beim Terroranschlag

SEGmente 11Notarzt und Rettungsassistent beim Terroranschlag

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Mit diesem Buch halten Sie ein Kompendium einer ganz neuen Art in der Hand. Die Au-toren haben Erfahrungen aus internationalen und nationa-len Lagen zusammengetragen und geben wertvolle Tipps für den Einsatz in Terror- und Be-drohungslagen. Die Beiträge in diesem SEGmente-Band sollen Einsatzkräfte vor Ort besser auf diese Ausnahmesituationen vorbereiten.Das Buch ist durch ein För-derprogramm des Bundesmi-nisteriums für Bildung und

Forschung im Rahmen eines Projektes zur Vorbereitung von Schutz- und Rettungskräften auf Terroranschläge, Krisen und Katastrophen (VoTeKK) entstanden. Es wurde ein Kurs mit dem Titel des Buches entwickelt und an der Akade-mie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevöl-kerungsschutz und Katastro-phenhilfe durchgeführt.

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