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Vielleicht denken Sie jetzt an drohend erho- bene Zeigefinger und Gewissenbisse . . . an- stößig! – oder aber: Anstoß zum Leben und Wachsen, Anleitung zum Gelingen von Be- ziehungen, universales Grundgesetz der Menschheit? Schlichte Klarheit Wert und Würde Eine Ermutigung Die Zehn Gebote – Fußfessel oder Wegzeichen auf der Lebensreise? Die Zehn Gebote sind Wegweiser und Einla- dung zum rechten Tun. Foto: Shutterstock Ingeborg Ladurner ist Hausfrau, Erwachsenen- bildnerin und ehemalige Mit- arbeiterin des Landesfrau- enreferats. Foto: Stocker INGEBORG LADURNER DIÖZESE INNSBRUCK ERZDIÖZESE SALZBURG Nr. 70 – Juli 2010 ALLTAG Lügen. Bis zu 200 Mal am Tag lügt der Mensch – die Bandbreite reicht von scheinheiligen Wünschen über Notlügen bis zur bö- sen Intrige. Seite 2 KUNSTGESCHICHTE Darstellung. Die Gebote- zyklen hatten primär eine didaktische Funktion. Die Darstellungen dienten der religiösen und sittlichen Erziehung. Seite 2 ERSATZGÖTTER Erstes Gebot. Viele Men- schen haben den Zugang zur Religion verloren und suchen Ersatzkulte. Fün- dig werden sie oft in ihrem direkten Umfeld. Seite 3 ANWEISUNGEN Entwicklung. Die „Zehn Gebote“ oder „Zehn Worte“ zählen zu den zentralsten in der Bibel verankerten Handlungs- anweisungen. Seite 3 INTERVIEW Worte zum Leben. Georg Fischer SJ über die Ent- stehung der Zehn Gebote, Übersetzungsschwierig- keiten und ihre Bedeutung heute. Seite 4

Nr. 70 – Juli 2010dioezesefiles.x4content.com/page-downloads/juli_10gebote.pdf · 2 TIROLER TAGESZEITUNG Nr. 207-BG Freitag, 30. Juli TIROLER TAGESZEITUNG 2010 KUNSTGESCHICHTE Moment

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Vielleicht denken Sie jetzt an drohend erho-bene Zeigefinger und Gewissenbisse . . . an-stößig! – oder aber: Anstoß zum Leben und Wachsen, Anleitung zum Gelingen von Be-ziehungen, universales Grundgesetz der Menschheit?

Schlichte Klarheit

Wert und Würde

Eine Ermutigung

Die Zehn Gebote – Fußfessel oder Wegzeichen auf der Lebensreise?

Die Zehn Gebote sind Wegweiser und Einla-dung zum rechten Tun. Foto: Shutterstock

Ingeborg Ladurnerist Hausfrau, Erwachsenen-bildnerin und ehemalige Mit-arbeiterin des Landesfrau- enreferats.

Foto

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cker

I N G E B O R G L A D U R N E R

DIÖZESE INNSBRUCKERZDIÖZESE SALZBURG

Nr. 70 – Juli 2010

ALLTAGLügen. Bis zu 200 Mal am Tag lügt der Mensch – die Bandbreite reicht von scheinheiligen Wünschen über Notlügen bis zur bö-sen Intrige. Seite 2

KUNSTGESCHICHTEDarstellung. Die Gebote-zyklen hatten primär eine didaktische Funktion. Die Darstellungen dienten der religiösen und sittlichen Erziehung. Seite 2

ERSATZGÖTTERErstes Gebot. Viele Men-schen haben den Zugang zur Religion verloren und suchen Ersatzkulte. Fün-dig werden sie oft in ihrem direkten Umfeld. Seite 3

ANWEISUNGENEntwicklung. Die „Zehn Gebote“ oder „Zehn Worte“ zählen zu den zentralsten in der Bibel verankerten Handlungs-anweisungen. Seite 3

INTERVIEWWorte zum Leben. Georg Fischer SJ über die Ent-stehung der Zehn Gebote, Übersetzungsschwierig-keiten und ihre Bedeutung heute. Seite 4

2 TIROLER TAGESZEITUNG Nr. 207-BG Freitag, 30. Juli 2010

KUNSTGESCHICHTE

Moment

30. Juli 2010 – Sonderbeilage

Gründungsherausgeber: Komm.-Rat Joseph S. Moser, April 1993 †; Herausgeber: Gesellschafterversammlung der Moser Holding AG;

Medieninhaber (Verleger): Schlüsselverlag J. S. Moser GmbH.; Hersteller: Intergraphik Ges. m. b. H.;

Sonderpublikationen, Leitung: Stefan Fuisz; Redaktion: Marianne Angerer, Karin Bauer, Christa Hofer, Walter Hölbling, Andrea Huttegger, Wolfgang

Kumpfmüller, Ingeborg Ladurner, Daniela Pirchmoser, Franz Stocker.Diözese Innsbruck, Abteilung ÖA: Karin Bauer. Erzdiözese

Salzburg, Amt für Kommunikation: Wolfgang Kumpfmüller.

Anschrift für alle: Ing.-Etzel-Straße 30, 6020 Innsbruck, Postfach 578,Tel. 0 512/53 54-0, Fax 0 512/53 54-3577. [email protected]

Für die ungelehrten Leut‘Religiöse Kunst spielte in der Kunstgeschichte im-mer eine bedeutende Rolle. Einen genaueren Blick auf die frühe religiöse Graphik warf die Münchner Kunsthistorikerin Veronika Thum. Sie untersuchte die Dekalogzyklen vom 13. bis 18. Jahrhundert. Wie Thum betont, waren im Mittelalter das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis die wichtigsten religi-ösen Lehrstücke. Seit dem 13. Jahrhundert fanden auch die Zehn Gebote einen festen Platz in der Ka-techese. „Die Gebotezyklen hatten dabei primär ei-ne didaktische Funktion. Die bildlichen Darstellun-gen dienten der religiösen und sittlichen Erziehung der Menschen, die nicht lesen konnten“, erläutert Thum. Die Darstellungen reichten von Gebotezyk-len in Kirchen – zum Beispiel als Fresken, Reliefs oder Tafelbilder – bis hin zu Einblattdrucken, die als Beichtspiegel oder Ablasszettel der Gewis-senserforschung dienen sollten. Während die Ge-botezyklen in den Kirchen quasi öffentliche Medien waren, stellten die Bilder in Handschriften eine Besonderheit dar, die nur einem sehr begrenzten Kreis zugänglich war. Mit der Erfindung des Pa-piers wurden Drucke erschwinglich und fanden seit etwa 1400 weite Verbreitung, vor allem als Einblattdrucke. Nach Gutenbergs Erfindung wur-den Bilder auf Einblattdrucken mit Texten ergänzt bzw. in mit Lettern gedruckte Bücher eingefügt. Nicht zuletzt aufgrund des erzieherischen Hin-tergrunds waren die Auftraggeber der bildlichen Gebotsdarstellungen kirchliche Einrichtungen wie Klöster und Pfarrgemeinden. Aber auch Theologen bestellten die Illustrationen für ihre Katechismen, ebenso Gemeinden und Städte. Im Laufe der Zeit veränderte sich die Art der Dar-stellung. „Vor der Reformation gab es drei Sche-mata: einfache Symbole, profane Szenen mit En-geln und/oder Dämonen als Streiter für das Gute bzw. Verführer zur Sünde sowie Alltagsszenen mit den Ägyptischen Plagen“, schildert Thum. „Vor der Reformation variierte die Reihenfolge der Gebote, wenn auch gering. Mit der Reformation wurde die Reihenfolge der Gebote dann vereinheitlicht und die Darstellung grundsätzlich geändert. Melanch-thon und Luther wählten biblische Szenen aus dem Alten Testament zur Illustration aus, also ,histo-risch wahre‘, durch die Bibel belegte Beispiele. Im Zeitalter der Konfessionalisierung wurden die biblischen Szenen in der Folge auch in katholische Darstellungen übernommen.“ Interessant für die Forschung ist auch, dass die Künstler der Gebote-zyklen vor der Reformation nicht bekannt sind. „Erst im Umfeld der großen Reformatoren tauchen dann Namen wie Lucas Cranach der Ältere, Hans Bal-dung Grien oder Hans Sebald Beham auf“, unter-streicht Thum. Reformation und Gegenreformati-on stellten den Höhepunkt der Dekalogdarstellung dar. Nach der Gegenreformation sind nur noch wenige Gebotezyk-len bekannt bzw. erhalten, dann überwiegend mit „historischen“ biblischen Szenen. Buchtipp: Veronika Thum, „Die Zehn Gebote für die ungelehr-ten Leut‘ “, Dt. Kunstverlag München/Berlin 2006. Das 236 Seiten umfassende Buch zeigt die Entwicklung und Bedeutung religiöser Bilddru-cke auf, ergänzt durch eine umfassende Aus-wahl an Einblattdrucken und Buchillustrationen.

C H R I S T A H O F E [email protected]

„Du sollst nicht lügen! Von einem der auszog, ehrlich zu sein“ von Jürgen Schmieder.

Klingt unglaublich, ist aber angeblich die Wahr-heit: 200 Mal lügt ein jeder von uns durchschnittlich pro Tag, das wird zumindest in wissenschaftlichen Studien behauptet. Bedeutet dieses Ergebnis etwa, dass wir gar nicht in der Lage sind, ehrlich zu sein? Der Journalist und Autor Jürgen Schmieder hat einen originellen Selbstver-such unternommen: 40 Tage lang sagte er nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Seine diversen Erfahrungen – sowohl positiver als auch ne-gativer Natur – sind im Buch „Du sollst nicht lügen! Von einem der auszog, ehrlich zu sein“ nachzulesen.

Ausnahmen hat es bei die-sem Wagnis für Schmieder wohl keine gegeben. Aber wie stand es um kleine, wirk-lich nur ganz winzige „Not-lügen“? – „Ich war ehrlich zu meinem Chef, ehrlich zu mei-ner Frau und ehrlich zu mir selbst“, reflektiert der Autor. Er gibt offen zu, dass Kom-plikationen dabei nicht aus-geschlossen gewesen wären, zum Beispiel hätten plötzlich Nächte auf der Couch, blaue Flecken und sogar ein verlo-

rener Freund zum Alltag des Journalisten d a z u gehört. Fra-gen wie „ F i n d e s t du meinen H i n t e r n zu fett?“ w a r e n mit Si-c h e r -h e i t n i c h t a n g e -nehm, wären jedoch zu 100 Prozent lügenfrei be-antwortet worden, bestätigt Schmieder. Trotz manch schwieriger und unange-nehmer Situationen zieht der

Autor ein positives Resümee aus dem Experiment: Die

Beziehung zu seiner Frau sowie das Verhältnis zu den Eltern hätten sich verbessert, freut er sich.

Info: Jürgen Schmie-der, Jahrgang 1979, ist Redakteur für sueddeut-sche.de sowie Reporter und Autor für die Süddeut-sche Zeitung.

Buchtipp: Jürgen Schmieder, „Du sollst nicht lügen! Von einem der aus-zog, ehrlich zu sein“, Mün-chen 2010, C. Bertelsmann.

40 Tage lange ehrlich seinBUCHTIPP

A N D R E A H U T T E G G E Randrea.huttegger@

kommunikation.kirchen.net

Bis zu 200 Mal am Tag lügt der Mensch, sagen Psychologen – die Bandbreite reicht von scheinheiligen Wün-schen über Notlügen bis zur bösen Intrige.

Konventionelle Phrasen

Grenzen einhalten

Gesellschaft produziert Kultur der Alltagslügen

Lügen sind ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Foto: Shutterstock

ZUR PERSON

Mag. Rudolf Kleissner ist Theologe und war lange im k i r c h l i c h e n Dienst tätig. Er studierte au-ßerdem Phi-losophie und Psychologie auf Lehramt. Derzeit arbeitet er in freier Praxis in Innsbruck für Lebens- und Sozialberatung, systemische Familientherapie, Mediation und Supervision.

Foto: Pirchmoser

D A N I E L A P I R C H M O S E Rpirchmoser.daniela@gmail .com

TIROLER TAGESZEITUNG Nr. 207-BG 3 Freitag, 30. Juli 2010

Der Sonntag als Unter-brechung der Arbeits-routine hat seinen fes- ten Platz in der christ-lich geprägten Welt.

Die Einhaltung der Sonn-tagsruhe geht auf das 3. Ge-bot zurück, in dem es heißt: „Du sollst den Tag des Herrn heiligen.“ Dem Schutz des Sonntags als arbeitsfreien Tag hat sich die „Allianz für den freien Sonntag“ verschrie-ben. Deren Koordinator für Tirol ist Bruno Holzhammer von der Katholischen Arbeit-nehmerInnenbewegung Ti-rol, die federführend an der Gründung der Allianz mitge-

wirkt hat. Vor allem der Han-del versuche immer wieder, die allgemeine Sonntagsruhe auszuhöhlen, sagt Holzham-mer: „Wir setzen uns dafür ein, dass die geltende Ge-setzeslage eingehalten wird und es keine Ausnahmerege-lungen gibt.“

Mit Aktionen, öffent-lichen Stellungnahmen und am Verhandlungstisch setzt sich die Allianz dafür ein, dass der Sonntag vor einer schleichenden Aushöhlung durch Wirtschaft und Politik geschützt und das öffentliche Bewusstsein für den gesell-schaftlichen und sozialen Wert der gemeinsamen freien Zeit geschärft wird. Wie Holz-

hammer betont, gebe es „kein wirtschaftliches Argument“ für die Öffnung der Läden an Sonn- und Feiertagen: „Wir brauchen sie nicht, weil wir keine wirtschaftliche Notlage haben. Die Sonntagsöffnung ist nur eine Verlagerung des Umsatzes von den Wochen-tagen auf den Sonntag.“ Ös-terreichweit müssten rund 15 Prozent der Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen ar-beiten. Die Allianz kämpfe im Sinne der Arbeitnehmer dafür, dass diese Zahl nicht steigt und die Sonntagsar-beit auf die notwendigen Be-reiche beschränkt bleibt. „Die allgemeine Sonntagsruhe ist wichtig als gemeinsame Zeit

für die Familien, als Zeit für kulturelle und religiöse Ver-anstaltungen“, betont Holz-hammer. In Tirol finde die Allianz Unterstützung durch den ÖGB, aber auch durch die Wirtschaftskammer und die Politik. So haben alle Par-teien des Landtages bereits vor Jahren beschlossen, dass der Schutz des arbeitsfreien Sonntags in die Landesver-fassung aufgenommen wird. „Dies wurde bisher jedoch noch nicht umgesetzt“, mahnt Holzhammer.

Weitere Informationen unter www.freiersonntag.at

Der Tag, der aus dem Rahmen fälltALLIANZ FÜR DEN SONNTAG

W A L T E R H Ö L B L I N Gwalter.hoelbl [email protected]

„Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“ lautet das ers- te der Zehn Gebote. Die „Konkurrenz“ schläft aber nicht und ist in den verschiedenen Glaubensrichtungen sowie im Alltag anzu-treffen.

Parallelen zur Religion

Ersatzkult

Moderne Götzen: Menschen suchen Ersatzkulte

Im Einkaufstempel den modernen Götzen huldigen. Karikatur: Antje Plaikner

A N D R E A H U T T E G G E Randrea.huttegger@

kommunikation.kirchen.net

ZUR PERSON

Meinrad Fö-ger ist Weltan-schauungsrefe-rent in der Erz-diözese Salz-burg. Kontakt: 0 662/80 47-20 67, E-Mail: [email protected], Inter-net: www.kirchen.net/welt anschauungen

Foto: Erzdiözese Sbg.

Keine toten BuchstabenDie „Zehn Gebote“ oder „Zehn Worte“ (so nennt sie die Bibel selbst: Dtn 4,13 und 10,4), zählen zu den zentralsten in der Bibel verankerten Handlungs-anweisungen des Judentums und Christentums. Die meisten dieser Gebote sind über Jahrtausende hinweg so etwas wie Grundpfeiler des menschli-chen Zusammenlebens und teilweise auch der Be-ziehung des Menschen zu Gott geworden.Unterschiedliche Übersetzungen: Erstaunlich ist, dass sich die christlichen Kirchen in ihren Lehr- traditionen zu den Zehn Geboten keineswegs so ei-nig sind, wie man das erwarten würde. Die Unter-schiede in den Formulierungen werden vor allem am Anfang und am Ende der Zehn Gebote deutlich. Andererseits sind diese Unterschiede ein Hinweis darauf, dass die Zehn Gebote nicht „toter Buch-stabe“ sind, sondern immer neu aktualisiert wer-den (müssen). Das zeigen nicht zuletzt die von den Kirchen verwendeten katechetischen Kurzformeln der Gebote. Das zeigen aber auch mitunter keines-wegs unerhebliche Nuancen in den Formulierun-gen (z. B. zum 6. Gebot: „Du sollst nicht ehebre-chen“ – „Du sollst nicht Unkeuschheit treiben“).Aufgeschrieben sind die Zehn Gebote in einan-der ähnlichen Fassungen zunächst in den beiden alttestamentlichen Büchern Exodus (Kapitel 20, Verse 1-7) und Deuteronomium (Kapitel 5, Verse 6-21). Der Zusammenhang, in dem beide Texte stehen, macht klar: Die jüdische Tradition – und in der Folge auch die gesamte christliche Tradition - sieht in den Zehn Geboten nicht einfach sinnvolle menschliche „Gesetze“, sondern Weisungen, die von Gott selbst kommen. Gott habe sie Moses am Berg Sinai in Stein gemeißelt übergeben, wird er-zählt. Die Schriften des Neuen Testaments setzen die Zehn Gebote als bekannt voraus. Jesus selbst modifiziert einzelne Gebote. Uneinheitliche Zählung: Die jüdische Lehrtraditi-on zählt das Verbot, neben Gott fremde Götter zu haben, und das Verbot, sich von Gott ein Bild zu machen, als zwei Weisungen. Die Verbote des Be-gehrens nach der Frau und des Begehrens nach dem Besitz des Nächsten wurden hingegen zu ei-nem Gebot zusammengezogen. Dieser Zählweise haben sich die orthodoxen, die reformierten und die anglikanischen Kirchen zu eigen gemacht. Katholiken und Lutheraner fassten das Bilder und das Götzenverbot zu einer Weisung zusammen. Die Verbote des Begehrens nach der Frau und dem Besitz des Nächsten verblieben als zwei Gebote. In dieser Tradition spielen Überlegungen und Lehr-praxis des hl. Augustinus (354-430 n. Chr.) eine sehr wichtige Rolle. Er war es, der sehr deutlich hervorhob, dass die ersten drei Gebote der Liebe zu Gott und die weiteren der Liebe zu den Mitmen-schen entsprechen. Bemerkenswert: Luther be-hielt die Zählweise des hl. Augustinus bei, während sie andere Reformatoren nicht übernahmen.Nicht „du sollst“, sondern „du wirst“: Interessant ist der Vorschlag neuzeitlicher Bibelwissenschaft-ler, den in den meisten deutschen Wiedergaben der Zehn Gebote gebrauchten Ausdruck „du sollst“ zu ersetzen durch den Ausdruck „du wirst“ (z. B. „du wirst nicht töten, du wirst nicht stehlen“). Das Heb- räische lasse beide Übersetzungen zu. Die Be-gründung: Mit der Übersetzung „du wirst“ komme klarer zum Ausdruck, dass das Einhalten der Wei-sungen eine „logische Folge“ des Glaubens an den einen Gott sei, wie er im ersten und zweiten Gebot eingeschärft wird.

HISTORISCHE ENTWICKLUNG

DIE ZEHN GEBOTE1. Du sollst an einen Gott glauben.2. Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren.3. Du sollst den Tag des Herrn heiligen.4. Du sollst Vater und Mutter ehren, damit du lange lebest und es dir wohl ergehe.5. Du sollst nicht töten. 6. Du sollst nicht Unkeuschheit treiben. 7. Du sollst nicht stehlen. 8. Du sollst nicht falsches Zeugnis geben. 9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau. 10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut.Information: katechetische Kurzform der Zehn Gebote, die in der Katholischen Kirche gebräuchlich ist.

F R A N Z S T O C K E [email protected]

4 TIROLER TAGESZEITUNG Nr. 207-BG Freitag, 30. Juli 2010

Als ich ein Teenager war, fand ich einen theologischen Text, in dem die Zehn Gebote als „Erlaubnisse“ formu-liert waren. Gewagt, sicherlich, doch diese Sichtweise hat sowohl etwas mit Gnade als auch mit Selbstbe-stimmung zu tun und ist zu einer Grundhaltung mei-nes Lebens geworden. Da ist also ein gütiger Gott, der sagt „du darfst“ und mir es- sentielle Berei-che dieses Dürfens aufzeigt, mich jedoch gleichzeitig da-ran erinnert, dass ich selbst Verantwortung dafür trage, wie ich meine Beziehung zu Gott und das Zusammen-leben mit meinen Mitmen-schen gestalte.

Christa Redikist Geschäftsführerin der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Foto: Innsbrucker Festwochen

UMFRAGE: Welche Rolle spielen die Zehn Gebote in Ihrem Alltag?

Die Zehn Gebote stellen einen grundsätzlichen Ver-haltenskodex dar, der ein friedliches Miteinander aller Menschen gewährleisten soll. Die Gebote 1, 2 und 4 bis 10 sind für mich unverrückbar und ich halte mich auch tunlichst daran. Beim 3. Gebot habe ich manch-mal Schwierigkeiten, es kann schon einmal vorkom-men, dass eine dringende Arbeit für meine Kunden oder im Haus und für meine Familie nicht ver-schiebbar sind, bilden aber die Ausnahme. In unserer schnelllebigen Zeit, wo al-les immer und überall ver-fügbar sein soll, ist dieses nicht leicht einzuhalten.

Wolfgang Kozákist aus Innsbruck undGeigenbaumeister. Foto: Kozák

Ich rufe mir im Alltag die Zehn Gebote nicht bewusst vor Augen, glaube aber dessen ungeachtet, dass ich diesen sowohl in meinem beruflichen als auch in meinem privaten Leben weitgehend gerecht werden kann. Für mich verkörpern diese Gebote eine Lebens-art, die in unserem Kulturkreis einer anständigen und vernünftigen Lebensführung gleichkommen und ich erwarte mir auch, dass mir andere Menschen auf diese Ebene begegnen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass oft-mals diese Erwartungs-haltung leider schon zu hoch ist.

Mag. Martin Krumschnabelist Bürgermeister der Stadt Kufstein. Foto: Krumschnabel

Mit dem Uni-Professor für Altes Testament Georg Fischer SJ sprach Moment über die Entstehung der Zehn Gebote, Überset-zungsschwierigkeiten und ihre Bedeutung heute.

Vertragskopie

Lebensgrundlage

Immer noch aktuell

ZUR PERSON

Univ.-Prof. Dr. Georg Fischer SJ ist Profes-sor für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck und seit 1972 Mitglied des Innsbrucker Jesuitenordens.

Foto: Angerer

Eine glückliche Verbindung von göttlicher Offenbarung und menschlicher Erfahrung

Die Zehn Gebote als Zehn Worte zum Leben. Foto: Shutterstock

D A S I N T E R V I E W F Ü H R T EMarianne Angerer

marianne.angerer@student. uibk.ac.at