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In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan- weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern. Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel „Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“. Originalklausuren mit Musterlösungen zu weiteren Fächern finden Sie auf www.duden.de/abitur in der Rubrik „SMS Abi“. Das Passwort zum Download befindet sich auf der vorderen Umschlagklappe. Die Veröffentlichung der Abitur-Prüfungsaufgaben erfolgt mit Genehmigung des zuständigen Kultusministeriums. Das Schnell-Merk-System fürs Abi – aufschlagen, nachschlagen, merken Buch … Prüfungswissen für Oberstufe und Abitur systematisch aufbereitet nach dem SMS-Prinzip Extrakapitel mit Prüfungsaufgaben zu allen Unterrichts- einheiten, zu Operatoren und Anforderungsbereichen … und Download Originalklausuren mit Musterlösungen als Beispiele für den Umgang mit Operatoren kostenlos auf www.duden.de/abitur Für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft Originalklausur mit Musterlösung Abitur Geschichte Aufgabe I: Nationalstaat / freiheitlich-demokratische Ordnung Aufgabe II: Industrialisierung Aufgabe III: Internationale Politik im 19./20. Jahrhundert Aufgabe IV: Deutschland seit 1945

Originalklausur · 2 I DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT NATIONALSTAATLICHEN UND FREIHEITLICH-DEMOKRA TISCHEN ORDNUNGSVORSTELLUNGEN IN DEUTSCHLAND Charakterisieren Sie die Stellung von

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In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan-weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern.

Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel „Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“.

Originalklausuren mit Musterlösungen zu weiteren Fächern finden Sie auf www.duden.de/abitur in der Rubrik „SMS Abi“. Das Passwort zum Download befindet sich auf der vorderen Umschlagklappe.

Die Veröffentlichung der Abitur-Prüfungsaufgaben erfolgt mit Genehmigung des zuständigen Kultusministeriums.

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■ Prüfungswissen für Oberstufe und Abitur ■ systematisch aufbereitet nach dem SMS-Prinzip ■ Extrakapitel mit Prüfungsaufgaben zu allen Unterrichts- einheiten, zu Operatoren und Anforderungsbereichen

…undDownload■ Originalklausuren mit Musterlösungen als Beispiele für den Umgang mit Operatoren ■ kostenlos aufwww.duden.de/abitur

Für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte,Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft

Originalklausurmit Musterlösung

In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan-weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern.

Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel „Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“.

Originalklausuren mit Musterlösungen zu weiteren Fächern finden Sie auf www.duden.de/abitur in der Rubrik „SMS Abi“. Das Passwort zum Download befindet sich auf der vorderen Umschlagklappe.

Die Veröffentlichung der Abitur-Prüfungsaufgaben erfolgt mit Genehmigung des zuständigen Kultusministeriums.

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■ Prüfungswissen für Oberstufe und Abitur ■ systematisch aufbereitet nach dem SMS-Prinzip ■ Extrakapitel mit Prüfungsaufgaben zu allen Unterrichts- einheiten, zu Operatoren und Anforderungsbereichen

…undDownload■ Originalklausuren mit Musterlösungen als Beispiele für den Umgang mit Operatoren ■ kostenlos aufwww.duden.de/abitur

Für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte,Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft

Originalklausurmit Musterlösung

AbiturGeschichteAufgabeI: Nationalstaat / freiheitlich-demokratische OrdnungAufgabeII: IndustrialisierungAufgabeIII: Internationale Politik im 19./20. JahrhundertAufgabeIV: Deutschland seit 1945

4274

GESCHICHTE

als Leistungskursfach

bzw. als Teilfach des Leistungskursdoppelfachs

SOZIALKUNDE / GESCHICHTE

Als Hilfsmittel kann ein zugelassener Geschichtsatlas benutzt werden.

Bei jeder Teilaufgabe steht die maximal erreichbare Anzahl von Bewertungs-einheiten (BE) .

2

I

DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT NATIONALSTAATLICHEN UNDFREIHEITLICH-DEMOKRA TISCHEN ORDNUNGSVORSTELLUNGEN

IN DEUTSCHLAND

Charakterisieren Sie die Stellung von Reichstag und Bundesrat in derReichsverfassung von 1871! [.14 BE]

Erschließen Sie die Aussage der Karikatur (MI) und interpretieren Sie sieim Hinblick auf die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Reichs-kanzler und dem Reichstag in den Jahren 1878/79! [16 BE]

2

[30 BE]~

3. Erarbeiten Sie aus dem Text (M2) Max Webers Argumente für eine Volks-wahl des Reichspräsidenten und erschließen Sie die grundlegende politischeEinstellung des Autors!

Setzen Sie sich mit Max Webers Position zur Rolle des Parlaments und desStaatsoberhaupts kritisch auseinander! Beziehen Sie Ihre Ausführungen aufdie Zeit zwischen 1919 und März 1933!

3.2

[Summe: 60 BE]

(Fortsetzung nächste Seite)

3

MI: Karikatur aus der Zeitschrift "Kladderadatsch" von 1878

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M2: Artikel von Max Weber in der "Berliner Börsenzeitung" vom 25. Feb-ruar 1919 (Auszüge)

Der erste Reichspräsident ist von der Nationalversammlung gewählt worden.Der künftige Reichspräsident muß unbedingt vom Volke unmittelbar gewähltwerden. Die entscheidenden Gründe dafilr sind die folgenden:1. Da der Bundesrat [ ...] jedenfalls in irgendeiner Gestalt in die neue Reichsver-fassung übernommen werden wird -denn es ist vollkommen utopisch zu glau-ben, daß die Träger der Regierungsgewalt und Staatsmacht: die von den Völkernder Einzelfreistaaten bestellten Regierungen, sich bei der Willensbildung desReichs, vor allem: der Reichsverwaltung, ausschalten lassen -, so ist die Schaf-fung einer unzweifelbar auf dem Willen des Gesamtvolkes, ohne Da-zwischenkunft von Mittelsmännern, ruhenden Staatsspitze ganz unumgänglich.10

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2. [ ...] Möchte sie [die Sozialdemokratie I doch bedenken, daß die vielberedete"Diktatur" der Massen eben: den "Diktator" fordert, einen selbstgewählten Ver-trauensmann der Massen, dem diese so lange sich unterordnen, als er ihr Ver-trauen besitzt. Eine kollegiale Spitze, in der dann natürlich alle größeren Bun-desstaaten und ebenso alle größeren Parteien jede ihren Vertreter verlangenwürden, oder eine parlamentsgewählte Spitze [ ...] könnte in die Verwaltungniemals jeneEinheit bringen, ohne welche ein Wiederaufbau unserer Wirtschaft,gleichviel auf welcher Grundlage, unmöglich ist. Man sorge daftir, daß derReichspräsident ftir jeden Versuch, die Gesetze anzutasten oder selbstherrlich zuregieren, "Galgen und Strick" stets vor Augen sieht.. Man schließe eventuell, umjede Restauration auf dem Wege des Plebiszits zu hindern, Mitglieder der Dy-nastien aus. Aber man stelle das Reichspriisidium fest auf eigene, demokratischeFüße.3. Nur die Wahl eines Reichspräsidenten durch das Volk gibt Gelegenheit undAnlaß zu einer Führerauslese und damit zu einer Neuorganisation der Parteien,welche das bisherige ganz veraltete System der Honoratiorenwirtschaft über-windet. Bliebe dies bestehen, so hätte die politisch und wirtschaftlich fortschritt-liche Demokratie in absehbarer Zeitausgespielt. Die Wahlen haben gezeigt, daßes den alten Berufspolitikern überall gelingt, entgegen der Stimmung der Wäh-lermassen, die Männer, die deren Vertrauen genießen, zugunsten politischer La-denhÜter auszuschalten. Eine radikale Abwendung gerade der besten Köpfe vonallerPolitik ist die Folge gewesen. Nur die Volkswahl des höchsten Reichsfunk-tionärs kann hier ein Ventil schaffen.4. Die Wirkung des Verhältniswahlrechts verstärkt dies Bedürfnis. Bei dennächsten Wahlen wird eintreten, was bei diesen sich erst im Keim zeigte: dieBerufsverbände [...] werden die Parteien zwingen, lediglich zum Zwecke desStimmenfangs deren (der Berufsverbände) besoldete Sekretäre an die Spitze der

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Listen zu stellen. Das Parlament wird so eine Körperschaft werden, innerhalbderer solche Persönlichkeiten, denen die nationale Politik "Hekuba"l ist, dievielmehr, der Sache nach, unter einem "imperativen" Mandat von Ökonomi-schen Interessen handeln, den Ton angeben: ein Banausenparlament ~ unfähig,

in irgendeinem Sinne eine Auslesestätte politischer Führer darzustellen. Diesmuss hier offen und nackt gesagt werden. Zusammen aber mit dem Umstand,daß der Bundesrat durch seine Beschlüsse den Ministerpräsidenten (Reichskanz-ler) weitgehend bindet, bedeutet dies eine unvermeidliche Schranke der rein po-litischen Bedeutung des Parlaments als solchem, die unbedingt ein auf dem de-mokratischen Volkswillen ruhendes Gegengewicht fordert.5. Der Partikularismus ruft nach einem Träger des Reichseinheitsgedankens-Wir wissen nicht, ob die Entwicklung rein regionaler Parteien nicht weiter fort-schreitet. Stimmung dafür ist da. Das wird auf die Mehrheitsbildung und die Zu-sammensetzung der Reichsministerien unweigerlich auf die Dauer zurückwir-ken. Die Wahlbewegung bei der Bestellung eines volksgewählten Reichspräsi-denten bildet einen Damm gegen das einseitige Überwuchern solcher Tenden-zen, denn es zwingt die Pa~eien, sich durch das Reich hin einheitlich zu organi-sieren und zu verständigen, ebenso wie der volksgewählte Reichspräsident selbst

dem -leider unvermeidbaren -Bundesrat ein Gegengewicht im Sinne derReichseinheit gegenüberstellt, ohne doch die Einzelstaaten mit Vergewaltigungzu bedrohen.6. Früher, im Obrigkeitsstaat, mußte man für die Steigerung der Macht der par-lamentsmehrheit eintreten, damit endlich die Bedeutung und damit das Niveaudes Parlaments gehoben würde. Heute ist die Lage die, daß alle Verfassungs-entwürfe einem geradezu blinden Köhlerglauben an die Unfehlbarkeit und All-macht der Mehrheit -nicht etwa des Volkes, sondern der Parlamentarier -ver-fallen sind: das entgegengesetzte, ganz ebenso undemokratische Extrem. Manschränke die Macht des volksgewählten Präsidenten ein wie immer und sorgedafür, daß er nur in zeitweilig unlösbaren Krisenfällen (durch suspensives Vetound Berufung von Beamtenministerien) [...] in die Reichsmaschinerie eingrei-fen kann. Aber man gebe ihmdurch die Volkswahl einen eigenen Boden unterdie Füße. Sonst wankt in jedem Fall einer Parlamentskrise -und bei mindestensvier bis fünf Parteien wird eine solche nicht zu den Seltenheiten gehören -derganze Reichsbau.7. Nur ein volksgewählter Reichspräsident kann in Berlin neben der preußischenStaatsspitze eine andere als eine rein geduldete Rolle spielen. [. ..] Ein nichtdurch Wahl des Gesamtvolks gewählter Reichspräsident würde daher der preu-ßischen Staatsspitze gegenüber eine geradezu erbärmliche Rolle spielen und dieÜbermacht Preußens in Berlin und dadurch im Reich erneut und in sehr gefähr-licher, weil partikularistischer Formerstehen.

(Fortsetzung nächste Seite)

Rekuba sein: gleichgültig sein, nicht mehr interessieren

6

Es ist an sich verständlich, wenn Parlamentarier ungern das Opfer der Selbstver-leugnung bringen, die Wahl des höchsten Reichsorgans aus den eigenen Händenzu geben. Aber es muß geschehen, und die Bewegung dafür wird nicht rastenund ruhen. Möge die Demokratie nicht ihren Feinden diese Agitationswaffe ge-gen das Parlament in die Hand drücken. Wie diejenigen Monarchen nicht nuram vornehmsten, sondern auch am klügsten handelten, welche rechtzeitig ihreeigene Macht zugunsten parlamentarischer Vertretungen begrenzten, so mögedas Parlament die Magna Charta der Demokratie: das Recht der unmittelbarenFührerwahl, freiwillig anerkennen. [. ..] Ein unter bestimmten Parteikonstellati-onen und -koalitionen vom Parlament gewählter Reichspräsident ist mit Ver-schiebung dieser Konstellation ein politisch toter Mann. Ein volksgewählter Prä-sident als Chef der Exekutive, der Amtspatronage2 und (eventuell) Inhaber einesaufschiebenden Vetos und des Befugnisses der Parlamentsauflösung und Volks-befragung ist das Palladium3 der echten Demokratie, die nicht ohnmächtigePreisgabe an Klüngel, sondern Unterordnung unter selbstgewählte Führer be-deutet.

RO

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2 Günstlingswirtschaft. Protektion

3 ~('hiit.7"ntl"" H,,;li!711lm S"h111.7

II

DIE INDUSTRIALISIERUNG -BEDINGUNGEN UND FOLGENIN STAAT UND GESELLSCHAFf

1 Skizzieren Sie staatliche Reformen im Bereich der Landwirtschaft in deut-schen Staaten während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts!

[10 BEI

2 Fassen Sie die Auffassungen und Wertungen Ernst Moritz Arndts (MI) zu-sammen und entwickeln Sie drei begründete Thesen zur Beurteilung we-sentlicher Aussagen des Textes! [18 BE]

~ [18 BE]

3. 'Erschließen Sie die Karikatur (M2) !~

Überprüfen Sie die Zukunftsprognose, die die Karikatur (M2) enthält, an-hand der Statistik (M3)! Erläutern Sie auch die Grenzen der Aussagefähig-keit der Statistik zu diesem Problem!

3.2

4 Erörtern Sie die wirtschaftliche und politisch-gesellschaftliche Stellung desgroßgrundbesitzenden deutschen Adels und ihren Wandel seit Beginn des19. Jahrhunderts bis zum Ende des Kaiserreichs! [14 BE]

[Summe: 60BEJ

(Fortsetzung nächste Seite)

MI: Ernst Moritz Arndt: Ein Wort über die Pflegung und Erhaltung derForsten und der Bauern im Sinne einer höheren, d. h. menschlichen Gesetz-gebung (1816; Auszüge)

Wer weiß nicht aus Erfahrung, ja wer llihlt nicht, wenn er an seine eigene Brustklopft, daß in Nöten und Gefahren das Vaterland am sichersten auf diejenigenrechnet, welche Besitz haben, seien sie Edelleute oder Bürger und Bauern? Wenaber Häuser und Äcker nicht festhalten, der mag seine leichte Habe und sein leich-tes Herz wohl anderswohin tragen und sich bald einbilden, es sei auch da ein Va- -terland. Vor allem aber sind viele freie Bauern die rechte Stütze, ja der rechteEckpfeiler eines Staates, nicht nur, weil sie auf das innigste an die Erhaltung desVaterlandes geknüpft sind, sondern weil ihre Arbeiten und Geschäfte Leibesstärkeund frischen Naturmut nähren, wodurch man der rechte tüchtige Kriegmann wird.Ich habe Länder gelobt und werde sie je und je loben, wo über die Hälfte, ja wooft Zweidrittel aller Grundstücke unter mittelmäßige Besitzer verteilt sind, wo vie-le freie Bauern wohnen. [...] Der Mensch, welcher weiß, was die Herrlichkeit ei-nes Staates ist, fährt niit einem unbehaglichen Gellihle durch die schimmerndenadligen Herrensitze hin, wo die Bauerndörfer zerstört [...] und wo Haufen vonTagelöhnern und Lohnknechten die einzigen Besteller der Felder sind; auch wirder nicht geblendet durch den vergänglichen und flüchtigen Glanz und Reichtum,den Fabriken geben, welche auf gewisse Weise immer einen Teil des Menschen-geschlechts leiblich und geistig verderben -ihn kann allein das Bleibende freuen,das durch die Zeiten dauert: die bleibende Tugend und das bleibende Glück. Diesesieht er nirgends so befestigt als bei dem freien Bauer, der niit mittelmäßigemVermögen seinen eigenen Acker pflügt. Die Länder, wo wenjge Menschen im Be-sitz ungeheurer Reichtümer endlich fast alle Grundstücke ihr Eigentum und alleLandbewohner ihre Tagelöhner und Knechte nennen und auch die, wo eine Über-triebene Verteilung und Zerstückelung der Hufen herrscht, zerstören den gediege-nen Kern eines Volkes und werden auf die Länge nicht bestehen können. [...]Auch offenbart sich hier [in England], welche Folge die zu.große Ungleichheit desVermögens, besonders insofern sie die kleinen Besitzer verschlingt, und ein dieWelt umfassendes Fabrikwesen hat. [...] In unserm Vaterlande, in Deutschland,sind wir soweit noch nicht, am wenigsten ist uns jetzt der Reichtum gefährlich.Doch sind Landschaften, wo das alte Verhältnis der Hörigkeit und Leibeigen-schaft, über dem und über dessen Mißbräuchen die Regierungen nicht immer diegehörige Hut und Wache hielten, die Bauern zu sehr zerstört hat. In andern Land-schaften möchten sie durch die so genannte französische Freiheit untergehen, kraftwelcher sie verkaufen, vertauschen, verpfänden, versetzen, ja zerfetzen und zer-stückeln dürfen, wie ihnen gefällt, was vorher durch mancherlei Bande gebundenwar, so daß jetzt Krämer und Juden und Judengenossen zum Besitz von Hufen undHöfen gelangen oder diese Hufe auch unter drei, vier Teilhaber oder Erben verteilt

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(Fortsetzung nächi;t.e ~eit.e)

und zerstückelt werden können. So daß bei einer übel verstandenen Freiheit dasVerhältnis des Grundbesitzes, das ein festes und ehrbares Verhältnis sein sollte,ein krämerliches undjüdisches und fast vagabundisches Verhältnis wird.Solche Übel also, welche die Staatsgesellschaft in ihren edelsten Teilen angreifenund verletzen, müssen abgewendet werden und können abgewendet werden durcheine weise Gesetzgebung [. ..]. Das Land und der Landbesitz dürfen nicht frei ge-lassen werden, wie die Personen; das haben alle Gesetzgeber gefühlt, die sich aufihr großes Werk verstanden. Der Mensch, der in sehr entwickelten und verwickel-ten Zuständen der politischen Gesellschaft die Ordnung der Natur und also auchdie Ordnung der Gesellschaft verkehrt, muß der zu großen Willkür, die endlicheinem baren Zufall gleich wird, ein Maß und ein Ziel setzen: Er muß Ackergesetzegeben, der Bauer und der kleine Grundbesitzer muß ein unmittelbarer Lehnmann,er muß der Hörige des Staates werden.

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M2: Karikatur aus den "Fliegenden Blättern" von 1845

I813.

1.945.

(Fortsetzung nächste Seite)

11

M3: Einsatz ausgewählter Maschinenarten in der deutschen Landwirtschaft1895 und 1907 (in Prozent der angegebenen Betriebgrößenklassen)

Von je 100 der Betriebe benutzten die genannten Maschinen (einschließlich gemieteter Ma-schinen):

12

III

VON I)ER EUROPÄISCHEN GLEICHGEWICHTSPOLITIKZUR WELTPOLITIK -INTERNATIONALE POLITIK

IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT

I Geben Sie einen Überblick über die Ursachen des Ersten Weltkriegs!

[14 BE]

2 [26 BE]

2.

2.2

Erarbeiten Sie die in MI undMZ enthaltenenPositionen zum Völkerbund!

Überprüfen Sie, inwieweit diese Positionen das Scheitern des Völkerbundsin den I930er Jahren hinreichend erklären!

Der Journalist Henry Luce bezeichnete bereits im Jahr 1941 das 20. Jahr-hundert als ..American Century". Erörtern Sie, inwieferndiese Einschätzungin der Zeit nach 1941 zutrifft! [20 BE]

[Summe: 60 BE]

(Fortsetzung nächste Seite)

13

MI: Robert Lansing, amerikanischer Staatssekretär des Auswärtigen von1915 bis 1920, äußerte sich am 8. Mai 1919 zum Versailler Vertrag

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Gestern wurden die Friedensbedingungen d.en deutschen Bevollmächtigten Über-geben, und zum ersten Male in diesen Tagen fieberhaft erregter Vorbereitung hatman Zeit, den Vertrag als ein vollständiges Schriftstück in Augenschein zu neh-men. Der Eindruck, den er macht, ist enttäuschend, erweckt Bedauern und Nieder-geschlagenheit. Die Friedensbedingungen erscheinen unsagbar hart und demÜti-gend, während viele von ihnen mir unerfüllbar scheinen.Der durch den Vertrag geschaffene Völkerbund soll -darauf vertraut man -denkünstlichen Aufbau am Leben erhalten, der auf dem Wege des Kompromisses derwiderstreitenden Interessen der Großmächte errichtet wurde, und ein Keimen derKriegssaat, die in so vielen Paragrafen ausgesät ist und unter normalen Bedingun-gen bald -Früchte tragen würde, verhindern. Der Bund könnte ebenso gut dasWachstum der Pflanzenwelt in einem tropischen Dschungel verhindern. Kriegewerden früher oder späterentstehen.Man muß von vornherein zugeben,daß der Bund ein Werkzeug der Mächtigen ist,um das normale Wachstum nationaler Macht und nationaler Bestrebungen bei je-nen aufzuhalten, die durch die Niederlage machtlos geworden sind. Prüft den Ver-trag, und ihr werdet finden, daß Völker gegen ihren Willen in die Macht jener ge-geben sind, die sie hassen, während ihre wirtschaftlichen Quellen ihnen entrissenund anderen übergeben sind.Haß und Erbitterung, wenn nicht Verzweiflung, mÜs-sen die Folgen derartiger Bestimmungen sein. Es mag Jahre dauern, bis diese un-terdrückten Völker im Stande sind, ihr Joch abzuschütteln, aber so gewiß, wie dieNacht auf den Tag folgt, wird die Zeit kommen, da sie den Versuch wagen.Dieser Krieg wurde von den Vereinigten Staaten geführt, um für immer Zuständezu vernichten, die ihn hervorbrachten. Diese Zustände sind nicht zerstört worden.Andere Zustände, andere Bedingungen haben sie verdrängt, die nicht minder alsjene den Haß, die Eifersucht, den Argwohn wecken. An Stelle des Dreibunds undder Entente hat sich der Fünfbund1 erhoben, der die Welt beherrschen soll. DieSieger in diesem Kriege gedenken ihren vereinten Willen den Besiegten aufzu-zwingen und alle fiteressen ihren eigenen unterzuordnen.Es ist wahr, daß sie, um die wach gewordene öffentliche Meinung der Menschheitzu befriedigen und dem Idealismus der Moralisten etwas zu bieten, die neue Alli-anz mit einem Heiligenschein umgeben und "Bund der Völker" genannt haben.Doch wie man ihn auch nennen oder sein Wesen verkleiden mag, er bleibt eineAllianz der fünf großen Militärmächte.

(Fortsetzung nächste Seite)

1 Fünfbund: gemeint sind die inder Präambel der Völkerbundsatzung eigens aufgeführten

Rauntmächte des Völkerbunds USA. Großhrit:lnni"n Fr"nkr,,;l'h Tt"lipn 11nrl !"n"n

14

35 Wozu die Augen vor der Tatsache verschließen, daß die Macht, durch Anwendungvereinter Kraft der "Fünf" Gehorsam zu erzwingen, das Grundprinzip des Bundesist. Gerechtigkeit kommt in zweiter Linie, die Macht geht vor.Der Bund, wie er jetzt besteht, wird der Habgier und Intrige anheim fallen; und dieBestimmung der Einstimmigkeit im Rate, die eine Schranke hiergegen bietenkönnte, wird durchbrüchen werden oder die Organisation machtlos machen. Siesoll dem Unrecht den Stempel des Rechts aufdrücken. Wir haben einen Friedens-vertrag, aber er wird keinen dauernden Frieden bringen, weil er auf dem Treibsanddes Eigennutzes gegründet ist.

40

(Fortsetzung nächste Seite)

M2: Karikatur aus der Zeitschrift ..Punch" vom 10. Dezernher 1919

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16

IV

DEUTSCHLAND SEIT 1945

Skizzieren Sie den Wandel gesellschaftlicher Grundstimmungen und dieEntwicklung der politischen Mehrheitsverhältnisse in der Bundesrepublik von

1949 bis zur Mitte der 1960er Jahre! [14 BE]

[26 BE]2

2.1 Erarbeiten Sie aus dem Text die Sicht des Verfassers auf Gesellschaft, wirt-

schaft und Politik der Bundesrepublik Deutschland sowie seine Zielsetzung!

2.2 Diskutieren Sie ausgehend vom Text., inwieweit auf die BundesrepublikDeutschland bezogene Zielsetzungen der Studentenbewegung verwirklicht

werden konnten!

Erörtern Sie die Reformfähigkeit der DDR in Hinblick auf 1989/90!3[20 BE]

[Summe: 60 BE]

(Fortsetzung nächste Seite)

7

Rudi Dutschke: Besetzt Bonn! (Erstveröffentlichung September 1967;

Auszüge)

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Seit Jahrzehnten indoktrinieren unsere "Herren an der Spitze" die Menschenmit ihrem Feindmythos. Die gesellschaftlich notwendige Lüge von der kom-munistischen Subversionstätigkeit in den "freien" Ländern dient als Rechtferti-gung, um die den Frieden gefährdende, die kapitalistische Wirtschaft aber sta-bilisierende Rüstungsindustrie und die Bundeswehr aufrechtzuerhalten, dientder V erhüllungder wirklichen Funktion der Notstandsgesetze: innenpolitische

Strukturveränderungen apriori auszuschalten.Seitdem jedoch der antikommunistische Feindmythos immer weniger auftecht-erhalten werden kann, die Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washingtonhat hierzu unter anderem beigetragen, seitdem sogar Adenauer, Barzell undandere bürokratische Charaktermasken~ der Sowjetunion einen "ftiedlichenCharakter" konzedieren, sollte die Funktion der Bundeswehr, [...] der Not-standsgesetze etc. noch klarer gesehen werden können: der Feind, gegen dentäglich das ganze System mobilisiert wird, ist die reale Möglichkeit, die beste-hende Ordnung abzuschaffen, ist die Möglichkeit, überflüssige Herrschaft zubeseitigen, d. h. die nur aus Herrschafts- und Profitinteressen hohe Arbeitszeitauf ein dem hohen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte entsprechendesMinimum zu reduzieren, ist die Möglichkeit, die irrationale Rüstung [...] abzu-schaffen. [...]Durch Konzessionen wie Erhöhung des Arbeitslosengeldes, durch SchillerscheReime3 über die kommende Konjunktur, durch gelenkte Krisenpsychose, durchcircensisch inszenierte Schauspiele wie Staatsbesuche und Trauerfeierlichkei-ten werden die Massen noch bei der Stange gehalten.Hinzu kommt, daß es dem System gelungen ist, durch langjährige funktionaleManipulation die Menschen auf die Reaktionsweise yon Lurchen zu regredie-ren. Wie Pawlowsche Hunde4 reagieren sie auf die Signale der Mächtigen; injedem vierten Jahr dürfen sie den Nachweis ihrer geistigen Reduziertheit undUnmündigkeit ablegen. Nur wenige, besonders die privilegierten Studenten,haben die Chance, die subtilen Herrschaftsmechanismen ZU durchschauen, an

ihrer Beseitigung zu arbeiten.Die wesentlichen Träger der Manipulation und Anpassung der Menschen sinddie Massenmedien, Zeitungen, Rundfunk ~nd Fernsehen.

(Fortsetzung nächste Seite )

I Rainer Barzel; CDU-Politiker, 1967 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

2 gemeint sind Politiker (Jargon der Studentenrevolte)

3 Anspielung aufBundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD)

4 Anspielung auf ein Experiment des russischen Verhaltsforschers Iwan Pawlow, der Hunde

darauf abrichtete, beim Läuten eines Glöckchens sofort Speichelfluss zu bekommen, wie ersonst bei Anblick von Futter auftritt (sog. "klassische Konditionierung").

18

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In der Bundesrepublik und besonders in West-Berlin beherrscht der springer-Konzerns die Massenzeitungen, die noch immer bedeutendste Indoktrinie-rungsebene. Er entfaltet seit langer Zeit im Interesse der bestehenden Ordnungeine planmäßige Verhetzung aller Kräfte, die das Freund-Feind-Schema derMeinungsmacher nicht akzeptieren wollen!Infolge der Politisierung einer relativ breiten studentischen Minderheit (4000bis 6000 im antiautoritären Lager) ist in West-Berlin eine für das System be-drohliche Situation entstanden: durch die Vereinigung von Teilen der Lohnab-hängigen in den Fabriken mit diesem Lager innerhalb der Studentenschaftkönnte der Senat, genauer die gesellschaftliche Struktur "gekippt" (Albertz6)werden.Haupthindernis ist die Tyrannei der Manipulation und ihrer Produzenten. DieseBeherrschung muß durchbrochen werden -wenn auch vorerst nur für einenoder mehrere Tage.Wir werden in einem Pressetribunal7 den empirischen Nachweis führen, daßdie Volksverhetzung und Entmündigung der Menschen durch Manipulation beiuns die Ergänzung zum Völkermord in Vietnam. zur gewaltsamen Nieder-schlagung aller sozialrevolutionären Bewegungen in der Dritten Welt darstellt.Dann haben wir das Recht und die Pflicht, die antidemokratische Tätigkeit derManipulateure direkt anzugreifen! [...]Durch "betriebsnahe Bildungsarbeit", durch direkte Lohnarbeit von oppositio-nellen Studenten in Betrieben, durch gemeinsame Großveranstaltungen zwi-schen bestimmten Industriegewerkschaften und studentischer Opposition wirddie faktische Entfremdung zwischen Lohnabhängigen und Studenten nichtüberwunden, aber als Gefahr für beide Seiten möglicherweise begriffen wer-den. [. ..]Die Parole der Enteignung des Springer-Konzerns wird nur dann gesellschaft-lich wichtig. wenn es gelingt, breite Teile der Lohnabhängigen und des antiau-toritären Teils der Studentenschaft organisatorisch und politisch in Aktionen zuvereinigen. Das ist die Aufgabe der ganzen vor uns liegenden Periode, ist nichtkurzfristiges Resultat.Dazu gehören auch direkte Aktionen gegen die Notstandsgesetze. Diskutieren-de Kongresse und konzessionierte Demonstrationen in politisch-strategischunwichtigen Städten bringen uns keinen Schritt weiter. Am Tage der zweitenLesung der Notstandsgesetze sollte Bonn eine Besetzung durch Notstandsgeg-ner erleben! Ein "Go-ln"8 des bewußtesten Teils der Bevölkerung ins Parla-

(Fortsetzung nächste Seite)

sSpringer ist ein Medienunternehmen, das u. a. die Bouleyardzeitung "Bild" produziert.6 Heinrich Albertz: SPD-Politiker, 1966/67 Regierender Bürgermeister yon Berlin/West7 Veranstaltung der Stundentenbewegung, in der in einer öffentlichen Untersuchung gegen be-

hauptete Rechtsyerstöße der Presse yerhandelt wird.8 Aktionsform der Studentenbewegung, in der eine Institution durch "Hineingehen" lahm gelegt

werden soll.

19

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75

80

ment brächte vielleicht für Stunden real-demokratischen Geist in die formierteund bürokratisierte Akklamationsmaschine der Regierung. Allein solche Of-fensivaktionen ermöglichen es uns, weitere Minderheiten innerhalb und außer-halb der Universität gegen das System zu mobilisieren. [. ..]Die Aktionen gegen den Springer-Konzern und die Notstandsgesetze treffenzentrale Nervenpunkte: die funktionale Beherrschung der Menschen durchManipulation und angedrohte (potentielle) direkte Repression. An ihnen kanndie Irrationalität und Unmenschlichkeit des Systems nachgewiesen werden. Die

kritische Vernunft und das emanzipatorische Interesse der radikalen Oppositionhaben sich in diesen Aktionen zu bewähren. [...] So bleibt die Voraussetzungeiner befreienden Vergesellschaftung der wichtigsten Bereiche des gesell-schaftlichen Lebens die durch Aufklärung und Aktionen gegen das Systemvermittelte tendenzielle Loslösung der Lohnabhängigen vom staatlich-

gesellschaftlichen Apparat.Denn die Befreiung der Lohnabhängigen kann nur durch ihre praktisch-umwälzende Bewußtwerdung geschehen, nicht durch eine Partei, eine Bürokra-ti~ ()rl~T rllITch ein Parlament.Ro;

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Musterlösungen für die Prüfungsaufgaben Abitur Prüfungsfach: Geschichte (Bayern 2008) Autorin: Krista Düppengießer Hinweis: Die gesamte Abiturprüfung besteht aus den Aufgabenstellungen I bis IV. Hier werden die Lösungen der Aufgaben I, III und IV beschrieben.

Aufgabenstellung I

1. Aufgabe In der Verfassung des Deutschen Reiches, die der des Norddeutschen Bundes entsprach., waren die Monarchen der 22 Fürstentümer und die Senate der drei Freien Städte Hamburg, Lübeck und Bremen der Souverän des Bundesstaats. Die 25 Bundesstaten (seit 1911 auch Elsass-Lothringen, doch ohne Stimmrecht) entsandten proportional Vertreter der Regierungen in den Bundesrat. Hier hatte Preußen, seinem tatsächlichen Gewicht entsprechend, das Übergewicht mit 17 von 58 Stimmen. Der Bundesrat wirkte unter dem Vorsitz des Reichskanzlers, der in der Regel auch Ministerpräsident von Preußen war, in der Gesetzgebung mit dem Reichstag, der Volksvertretung, zusammen. Die Wahlberechtigten (Männer über 25 Jahre) wählten in einer allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahl die 382 Abgeordneten (seit 1873 397). Der Bundesrat und der Reichstag wurden vom Deutschen Kaiser (= König von Preußen), der das Präsidium im Deutschen Reich innehatte, einberufen und geschlossen, der Reichstag konnte durch den Bundesrat bei kaiserlicher Zustimmung aufgelöst werden. Der Umstand, dass der Bundesrat nicht aufgelöst werden konnte, zeigt, dass er mächtiger war als das Parlament. Zudem hatte nur er die Gesetzesinitiative. Die Gesetzgebung erfolgte nach Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse von Bundestag und Reichstag, innerhalb der Organe galt also das Mehrheitsprinzip. Die Reichsregierung war vom Parlament unabhängig; die Bundesstaaten hatten, z. T., Reservatrechte.

2. Aufgabe Die Karikatur aus der satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“ von 1878 zeigt den Reichskanzler Bismarck in der Rückenansicht mit zur Beobachtertribüne nach links oben gewandtem Kopf bzw. Blick. Die Hände hat er auf der Brüstung der Rednerpodiums aufgestützt, die Ellbogen durchgedrückt. Seine Körperhaltung vermittelt zugleich Ruhe und Entschlossenheit. Vor dem Redner sitzen dicht gedrängt in Gehröcke gekleidete, recht beleibte ältere Herren, die dem Reichskanzler sehr ähnlich sehen, vor allem wegen ihres Schnauzbartes und spärlichen Haarwuchses. Einige scheinen sich zu unterhalten, der

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Gesichtsausdruck aller ist grimmig und entschlossen. Hinter der Zuhörerschaft befinden sich zwischen einer Brüstung und der holzvertäfelten Wand vier Beobachter auf einer Tribüne. Drei sitzen, einer steht hinter ihnen, der stehende und der rechts außen sitzende lesen. Auch sie sehen wie Doppelgänger Bismarcks aus. Der Karikaturist thematisiert mit dieser Zeichnung das Verhältnis zwischen dem Reichskanzler und dem Reichstag im Jahre 1878. Er bezieht sich insbesondere auf den von Bismarck 1878/79 durchgeführten Wechsel vom Freihandel zur Schutzzollpolitik, mit dem er das Bündnisgefüge im Reichstag änderte. Bisher hatte der konservative Bismarck mit der rechtsliberalen Nationalliberalen Partei und der gemäßigt konservativen Deutschen Reichspartei eng zusammengearbeitet; von nun an unterstützten die Deutsch-Konservative Partei, andere konservative Parteien und das Zentrum die Politik der Regierung im Reichstag. Das Zentrum war zwar im Kulturkampf (seit 1871) der Hauptgegner Bismarcks und lehnte auch das Sozialistengesetz von 1878 ab, doch war nur die SAP (seit 1890 neu gegründet als SPD) weltanschaulich von Bismarcks Politikverständnis so weit entfernt, dass eine Zusammenarbeit mit den Sozialisten für den preußischen Monarchisten nicht in Frage kam. Die ökonomischen Gründe für die Abkehr von der bisher praktizierten liberalen Wirtschaftspolitik und der Zusammenarbeit mit den Liberalen war die erste große Depression seit 1873 nach der konjunkturellen Überhitzung der Gründerjahre und die chronische Finanzschwäche des Reiches. Diese konservative Wende vollendete der Kanzler durch die Kooperation mit dem Zentrum, ohne das er keine Reichstagsmehrheit gegen die Liberalen erringen konnte. Die neue konservativ-katholische, agrarisch-industrielle Reichstagsmehrheit beschloss Schutzzölle und eine Tabaksteuererhöhung (die z. T. den Reichseinkünften zufloss). 1880 wurde schließlich ein erstes Gesetz zur Milderung des Kulturkampfes beschlossen. Gehalt der Karikatur ist die These, dass der übermächtige Bismarck den Reichstag so in der Hand habe, dass die Abgeordneten ihre eigene politische Position aufgäben, sogar ihre eigene Identität verlören und zu willfährigen Handlangern eines machtbewussten Politikers würden. Bismarck betrieb in der Tat eine sog. Schaukelstuhlpolitik, und sein Verhältnis zu den Parteien war rein taktisch, seine Politik Interessenpolitik, seine Ideale monarchisch.

3. Aufgabe 3.1 In einem komplexen Artikel in der „Berliner Börsenzeitung“ vom 25.2.1919 plädiert der Nationalökonom Max Weber für die Direktwahl des künftigen Oberhaupts der Weimarer Republik. Dafür führt er sieben Argumente an:

Eine „auf dem Willen des Gesamtvolks… ruhende(..) Staatsspitze“ sei als Gegengewicht zum Bundesrat unumgänglich (Z. 9f). Denn es sei utopisch zu glauben, dass die Regierungen der Einzelstaaten auf die Beteiligung an der Willensbildung des Reiches verzichten würden (Z. 4-8).

Nur ein „Diktator“, ein „selbst gewählter Vertrauensmann der Massen“ (Z. 13f) könne die Massen lenken, nicht eine komplizierte kollegiale Spitze (Z. 15-19). Allerdings dürfe ein solcher demokratischer Reichspräsident die Gesetze nicht antasten, nicht selbstherrlich regieren noch ein Mitglied eines Fürstenhauses sein (Z. 19-24).

Nur die Volkswahl des Oberhaupts beschränke die politische Bedeutung des Parlaments, was notwendig sei, da das künftige Verhältniswahlrecht die Berufsverbände aufwerten und an die Spitze der Parteilisten bringen werde. Dadurch würden diese nicht genuin politisch agieren, sondern „unter einem „imperativen“ Mandat ökonomischer Interessen“ (Z. 41f). Der Reichspräsident vertrete dagegen den reinen Volkswillen.

Dieser Präsident stelle ein Gegengewicht sowohl gegenüber dem Bundesrat (Einzelstaaten) als auch dem Partikularismus regionaler Parteien dar. Er stärke also die Reichseinheit.

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In der neuen Republik müssten die Bedeutung und das Niveau des Parlaments nicht gehoben, wie im alten Obrigkeitsstaat, sondern im Gegenteil eingeschränkt werden. Weber sieht Parlamentskrisen voraus („und bei mindestens vier bis fünf Parteien wird eine solche nicht zu den Seltenheiten gehören“ (Z. 70f)! Dann solle der Reichspräsident mit einem suspensiven Veto und mittels der Berufung von unpolitischen Beamtenministerien der Reichsmaschinerie Stabilität geben (Z. 67-72).

Nur ein vom Volk gewählter Präsident könne in Berlin neben der preußischen Spitze bestehen und die, nun partikularistische, Übermacht Preußens verhindern.

Daraus schlussfolgert der Autor, dass die Parlamentarier in Selbstverleugnung die Wahl des Oberhaupts dem Volk überlassen sollten. Diesen Reichspräsidenten, von Parteienkonstellationen und Amtspatronage unabhängig, ausgestattet mit einem aufschiebenden Veto und den Rechten der Parlamentsauflösung und Volksbefragung, nennt er „das Palladium der echten Demokratie“ (Z. 92). Das Parlament möge „ die Magna Charta der Demokratie: das Recht der unmittelbaren Führerwahl, freiwillig anerkennen“ (Z. 86f, s. 79-94). Der historisch gebildete Verfasser steht weder der Sozialdemokratie (vgl. Z. 12) noch den Konservativen nahe, er ist ein Liberaler (1918 Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei, DDP). Max Weber (1864-1920)., Nationalökonom, Wirtschaftshistoriker und Begründer der Soziologie, vertritt hier eine differenzierte demokratische Position; er ist antimonarchistisch (vgl. 19-23), unitarisch (vgl. Z. 49-56, 73-78), misstraut den Parteien, mehr noch den Interessenverbänden (vgl. 25-44) und verficht in diesem Auszug die direkte Demokratie innerhalb eines repräsentativen Systems. 3.2 Die Rolle des Parlaments hat Weber zutreffend prognostiziert. Die Parteien verharrten, bis auf das Zentrum, in der Rolle, die sie im Kaiserreich gehabt hatten, in der Opposition zur Regierung. Sie handelten partikularistisch, auf die Wahrung der Interessen der eigenen Klientel bedacht, die ihnen wichtiger war als das Gemeinwohl. Das trifft besonders auf die Parteien zu, die die Republik generell ablehnten, die DNVP, NSDAP und KPD. Die Bedeutung der liberalen DDP ging von 8,2% bei der Reichstagswahl 1920 auf 0,9% im November 1930 zurück. Die (M)SPD wirkte stabilisierend, obwohl sie im Reichstag fast fünf Jahre lang in der Opposition war. Aber in Preußen bildete sie mit dem Zentrum 1919-1932 die Regierung. Das Zentrum war bis 1932 in allen Kabinetten des Reichs vertreten. Die rechtsliberale DNVP schwankte zwischen Obstruktion und Unterstützung, doch stellte sie mit Gustav Stresemann den Reichskanzler, der 1923 den Ruhrkampf und die Inflation beendete, und in den Folgejahren den Außenpolitiker, der Deutschland aus der internationalen Isolation befreite. Die Parteien waren zu dauerhaften Kompromissen unfähig und unwillig:

Seit dem Ende der großen Koalition (SPD, Zentrum, BVP, DDP und DVP) 1923 regierten Minderheitsregierungen. Die die Republik ablehnenden Parteien gewannen bis 1932 an Zustimmung, bes. die extremen.

Die Juni 1928 gebildete zweite große Koalition zerbrach im März 1930 anlässlich eines Streits über eine geringfügige Erhöhung der Arbeitslosenversicherung. Sowohl SPD (Arbeiter) als auch DVP (Unternehmer) lehnten sie angesichts der Wirtschaftskrise ab.

Deshalb erschien der Übergang zu nicht aus dem Parlament hervorgegangenen Präsidialkabinetten als gangbarer Ausweg.

Nun, 1932, wird die Rolle des Staatsoberhaupts entscheidend: Analog zu Webers Vorstellungen wurde der Reichspräsident in unmittelbarer Volkswahl auf sieben Jahre gewählt. Er hatte, im Sinne Webers, das Recht der Reichstagsauflösung (§ 25), allerdings kein Vetorecht. Anders als von Weber gewollt, konnte er aber „die Gesetze antasten“ mittels Notverordnungen nach § 48.

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Nach dem Tod des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert (MSPD) 1925 war der Kandidat der rechten Parteien und der BVP, der ehemalige Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg vor den Kandidaten der Weimarer Koalition (Zentrum, SPD, DDP) und der KPD gewählt worden. Wider Erwarten hatte sich der Sieger von Tannenberg und Mitverantworter der Dolchstoßlegende in seiner ersten Amtsperiode an den Geist der Verfassung gehalten. Doch in der Endphase der Weimarer Republik stützte er mit seinen Vollmachten drei Minderheitskabinette ohne (Brüning) bzw. gegen (von Papen, von Schleicher) das Parlament. Die Präsidialkabinette konnten jedoch den Aufstieg der NSDAP nicht bremsen und der Wirtschaftskrise nicht Herr werden. An dieser Ereignisabfolge erkennt man zwar das Bemühen der Regierungen und des Präsidenten, die Republik zu retten, aber auch deren Aussichtslosigkeit angesichts der Wahlerfolge der NSDAP:

30.3.1930 Bildung des Minderheitskabinetts durch Heinrich Brüning (Zentrum) mit Tolerierung durch die SPD

18.6.1930 Auflösung des Reichstags, nachdem er einen sozialdemokratischen Antrag auf Ablehnung der ersten großen Notverordnung angenommen hatte

30.5.1932 Rücktritt des Kabinetts Brüning 1.6.1932 Bildung des Kabinetts von Papen ohne parlamentarische Mehrheit 31.7.1932 Reichstagswahlen: NSDAP mit 37, 8% stärkste Fraktion 13.8.1932 Hindenburg verweigert Hitler das Kanzleramt 12.9.1932 Auflösung des Reichstags, nachdem der die Aufhebung einer Notverordnung verlangt hatte

6.11.1932 Reichstagswahlen: NSDAP 33, 5%, Gewinne der DNVP und KPD 17.11.1932 Rücktritt von Papens 2.12.1932 Bildung des Präsidialkabinetts von Schleicher, Scheitern der Spaltung der NSDAP durch ein Bündnis mit ihrem linken Flügel (Plan, eine Regierung mit Unterstützung der Gewerkschaften zu bilden)

4.1.1933 Absprache zwischen von Papen und Hitler über eine künftige Regierung mit Hitler als Kanzler

28.1.1933 Rücktritt von Schleichers, nachdem Hindenburg seinen Vorschlag einer befristeten Diktatur zur Vermeidung Hitlers als Reichskanzler abgelehnt hat

30.1.1933 Hindenburg ernennt Hitler zum Reichskanzler 21.3.1933 Tag von Potsdam: scheinbare Versöhnung der preußischen –kaiserlichen Tradition mit dem Nationalsozialismus.

Die Weimarer Republik ist aus vielen Gründen, jedenfalls aber von innen heraus gescheitert. Sie ist nicht entschieden genug gewollt noch verteidigt worden. Max Webers Vorschläge und Prognosen sind überwiegend verwirklicht bzw. eingetroffen. Entscheidend für das Scheitern der Republik war jedoch der Mangel an Zustimmung zu ihr, nicht das Verfassungskonstrukt.

Aufgabenstellung III

1. Aufgabe Auf Grund seiner Außen- und Bündnispolitik seit 1890 war Deutschland zunehmend in Isolation geraten, bis es nur noch Österreich-Ungarn als zuverlässigen Bündnispartner besaß. Dagegen hatte sich Frankreichs Isolation aufgelöst. Mit Russland war es seit 1892 verbündet, mit England glich es die kolonialpolitischen Rivalitäten aus. Deutschland verärgerte England, indem es dessen imperialistische Interessen und sein Selbstverständnis als führende Seemacht ignorierte. Schließlich einte Deutschlands Großmachtgehabe die anderen europäischen Mächte:

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1898-1901 Deutschland lehnt mehrere Bündnisangebote Englands ab, da man eine Verständigung Englands mit Russland oder Frankreich für unmöglich hält

1898 Faschodakrise: Nach Truppenberührungen bei Faschoda am oberen Nil grenzen England und Frankreich ihre Interessensphären ab (oberes Niltal an England, westlicher Sudan an Frankreich)

1899 Sudanvertrag: England und Frankreich grenzen ihre Interessensphären in Zentralafrika ab

1902 Interessenausgleich zwischen Frankreich und Italien in Nordafrika (Marokko an Frankreich, Tripolis an Italien): Aufweichung des Dreibunds

1904 Entente cordiale zwischen England und Frankreich: Bekräftigung des Interessenausgleichs in Afrika

1907 Interessenausgleich zwischen England und Russland in Asien.

Am 26.6.1914 ermordeten Mitglieder der nationalistischen serbischen Geheimorganisation „Schwarze Hand“ den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo. Das stürzte Europa in eine Krise, die zum Ersten Weltkrieg führte. Bezüglich des Kriegsausbruchs kann man zwischen Anlass, kurz-, mittel- und langfristigen Ursachen unterscheiden: Anlass: Ermordung des österreichischen Thronfolgers (28.6.) kurzfristige Ursachen:

deutscher „Blankoscheck“ an Österreich (6.7.) österreichisches Ultimatum an Serbien (23.7.) Mechanismus der Bündnisse und militärischen Aufmarschpläne überstürzte Mobilmachungen und Ultimaten

mittelfristige Ursachen: Verhärtung des Bündnissystems seit 1902 internationale Krisen seit 1905 Wettrüsten, deutsch-englische Flottenrivalität kriegslüsterne öffentliche Meinung allgemeine Vorstellung von der Unvermeidbarkeit eines begrenzten europäischen Kriegs

Schwäche des Osmanischen Reichs langfristige Ursachen:

internationale Beziehungen seit 1871 Imperialismus Probleme des österreichischen Vielvölkerstaats (Autonomiebestrebungen, Panslawismus).

2. Aufgabe 2.1 M1: Robert Lansing, amerikanischer Staatssekretär des Auswärtigen 1919-1920, äußerte sich am 8.5.1919 zum Versailler Vertrag und zum Völkerbund, dessen Satzung am 28.4.1919 beschlossen worden war und der am 10.1.1920 als Teil des Versailler Vertrags in Kraft treten sollte. Sowohl dem Friedensvertrag als auch dem Völkerbund /Z. 7-13) spricht er die Eignung ab, das mit ihnen verfolgte Ziel, eben die Friedenswahrung, auf Dauer zu verwirklichen. Die Friedensbedingungen bezeichnet Lansing als „unsagbar hart und demütigend“ und teils als „unerfüllbar“ (Z. 5f). Die USA seien in den Ersten Weltkrieg eingetreten, „um für immer Zustände zu vernichten, die ihn hervorbrachten“ (Z. 23f). Doch diese Zustände seien nicht vernichtet, sondern nur von einem anderen, nicht weniger friedensfeindlichen Machtgefüge

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verdrängt worden: ein „Fünfbund“ aus den USA, England, Frankreich, Italien und Japan habe nämlich den Dreibund von Deutschland, Österreich und Italien und die Entente cordiale von England und Frankreich ersetzt und wolle nun die Welt beherrschen (Z. 23-29). Prägnant formuliert er: „Die Sieger in diesem Kriege gedenken ihren vereinten Willen den Besiegten aufzuzwingen und alle Interessen ihren eigenen unterzuordnen“ (Z. 27-29). Deshalb werde die idealisierend „Bund der Völker“ genannte Allianz der fünf großen Militärmächte“ (Z. 34) den nächsten Krieg nicht verhindern; das Prinzip der Einstimmigkeit im Völkerbundsrat werde entweder durchbrochen werden oder die Organisation machtlos machen (Z. 39f). Denn der Völkerbund solle lediglich dem Unrecht der Dominanz den Anschein des Rechts verleihen (Z. 38-43). M2: Die Karikatur aus der englischen satirischen Zeitschrift „Punch“ vom 10.12.1919 zeigt eine Kluft. Der Abgrund zwischen zwei Felsenkanten wird von einer steinernen Brücke überspannt, deren Schlussstein nicht eingesetzt ist, so dass die beiden Brückenhälften durch eine Stahlklammer verbunden sind. Die linke Brückenhälfte ist mit „BELGIUM FRANCE“ beschriftet, die rechte mit „ENGLAND ITALY“. Eine männliche, einen Zigarillo rauchende Gestalt liegt mit übereinander geschlagenen Beinen und auf dem Bauch verschränkten Händen auf dem Rücken nahe am Abgrund auf dem rechten Felsen. Sie ist mit Schuhen, heller Hose, Frack und einem hohen Hut mit Sternenbanner-Streifen bekleidet. Mit dem Nacken lehnt sie sich an einen Stein an, auf dem „keystone“ und „USA“ untereinander stehen. Auf dem linken Felsen steht nahe der Brückenhälfte ein hölzernes Schild auf vier Beinen mit der Aufschrift: „This – LEAGUE OF NATIONS – BRIDGE – was designed by – the PRESIDENT of the – USA“. Die Karikatur hat die Unterschrift: „The gap in the bridge“. Damit thematisiert der Karikaturist die Nicht-Mitgliedschaft der USA jm Völkerbund. Von den die Brücke bildenden Nationen sind England, Frankreich und Italien zusammen mit Japan und vier nicht ständigen Mitgliedern die vier ständigen Mitglieder der Exekutive des Völkerbunds, des Völkerbundrats, also die ihn tragenden Mächte. Den USA wird vorgeworfen, dass sie sich nicht, wie es ihrer Bedeutung als Supermacht entspräche, an dieser Friedensorganisation beteiligten und diese dadurch schwächten. Die Materialien beinhalten unterschiedliche Perspektiven, denen gemeinsam ist, dass die Effizienz des Völkerbunds in der internationalen Friedenswahrung in Frage gestellt wird. Der Umstand, dass der amerikanische Staatssekretär USA in den „Fünfbund“ eingeschlossen hat, der den Völkerbund beherrschen werde, erklärt sich damit, dass der amerikanische Senat erst im März 1920 den Versailler Vertrag und damit die Mitgliedschaft im Völkerbund ablehnen sollte. Der Karikaturist sieht den Bund allerdings bei weitem nicht so kritisch wie der Staatssekretär, einen Machtmissbrauch der dominierenden Nationen konstatiert er nicht. 2.2 Der Staatssekretär des Auswärtigen hält den Völkerbund für eine friedensfeindliche Allianz der fünf Großmächte, die USA eingeschlossen. Der englische Karikaturist hält ihn für „brüchig“, da der wichtigste Staat, eben die USA, kein Mitglied sind. In den 1920er Jahren operierte der Völkerbund im Sinne der Stabilisierung der in den Pariser Vorortverträgen geschaffenen Ordnung. Höhepunkt waren die Locarno-Verträge 1925, denen 1926 der Beitritt Deutschlands als ständiges Mitglied im Völkerbundsrat folgte. Sein Abstieg setzte 1932 mit Genfer Abrüstungskonferenz ein. Frankreich, England, Italien und die USA anerkannten hier den deutschen Anspruch auf militärische Gleichberechtigung im Rahmen einer allgemeinen Abrüstung. Doch Hitler entzog sich der Abrüstungsverpflichtung, zog die deutschen Vertreter von der Konferenz ab und verkündete den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund (14.10.1933). Die Genfer Konferenz wurde 1935 ergebnislos abgebrochen. Auch Japan trat 1933 aus dem Völkerbund aus, da der seine Besetzung der Mandschurei missbilligte. 1937 folgte das faschistische Italien. Der den Versailler Vertrag

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konsequent brechenden Expansionspolitik des Dritten Reiches bis 1939 hatte die Organisation nichts entgegenzusetzen. Doch diese Erfolglosigkeit liegt weder an einem nur auf den eigenen Vorteil bedachten Auftreten der Siegermächte noch an der Absenz der Vereinigten Staaten. Diese waren ja an internationalen Konferenzen beteiligt, namentlich an den die deutsche Reparationsfrage klärenden Konferenzen um den Dawes- (1924) und den Young-Plan (1929). Andererseits sind die Locarno-Verträge oder die wiederholte Hinnahme des Bruchs des Versailler Vertrages durch Hitler der Beweis dafür, dass die ehemaligen Siegermächte bereit waren, die Härten des Friedensvertrags zu mildern. Bis zur Gründung des Völkerbunds galt der Krieg als ultima ratio der Politik, völkerrechtlich war er lediglich eingeschränkt (z. B. Schutz der Zivilbevölkerung), doch nicht geächtet. Der Bund war mit den Hauptzielen eines allgemeinen Friedens und internationaler Sicherheit gegründet worden, enthielt allerdings nur relative Kriegsverbote. Aus seinem Geist entstand jedoch der Briand-Kellogg-Pakt 1928 mit dem allgemeinen Verbot des Angriffskrieges. Die kollektive Sicherheit sollte durch Sanktionen erzwungen werden, dieser Artikel (16) wurde allerdings nur einmal, 1925 gegen Italien, erfolglos angewandt. Wenn auch die Ansätze zu einer Weltfriedensordnung und zu einer Weiterentwicklung des Völkerrechts durch die Angriffs- und Expansionskriege der dreißiger Jahre zunichte gemacht wurden, so sind sie nach 1945 doch fortgesetzt worden. Der Völkerbund scheiterte an der Entschlossenheit des nationalsozialistischen Deutschland, faschistischen Italien und militaristisch-nationalistischen Japan.

3. Aufgabe Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich die USA und die UdSSR als Weltmächte kristallisiert, und eine bipolare Weltordnung entwickelte sich. Im Kalten Krieg standen sich die beiden Blöcke feindlich gegenüber, jede Hegemonialmacht versuchte, ihren Einflussbereich auszuweiten. Die UdSSR hatte sich einen Cordon von in den RGW und Warschauer Pakt eingebundenen Satellitenstaaten geschaffen, die ihr politisches, ökonomisches und gesellschaftliches System übernahmen. Die USA übten, als die Vormacht von Freiheit und Demokratie, einen informellen Einfluss im „Westen“ aus, der allerdings den Wirtschaftsimperialismus der Vorkriegszeit bes. in Lateinamerika und im Pazifik nicht ausschloss. Diese Bipolarität dauerte bis zum Zusammenbruch des Kommunismus 1989/90 an, so dass man auf den ersten Blick nicht von einem „American Century“ sprechen kann. Der Ausdruck könnte jedoch zutreffend erscheinen, wenn man auf die Attraktivität des „American Way of Life“ abzielt. Nimmt man die BRD als Beispiel, so ist die Amerikanisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur eine durchschlagende Tendenz, die bis heute unvermindert anhält. Diese Verbindung von Freiheit und Individualismus mit Konsum und Hedonismus übt auch auf die ehemaligen sozialistischen Gesellschaften eine konkurrenzlose Anziehung aus. Selbst islamische Regierungen meinen ihre Bürger vor der Anziehungskraft der westlichen Lebensweise schützen zu müssen. Mit der Amerikanisierung sind so unterschiedliche Begriffe verbunden wie z. B. Rock’n Roll, Coca Cola, Automatisierung, auch im Haushalt, Jugendkultur, Fast Food, Hedge Fonds, Hollywood. Nach dem Zerfall des Ostblocks (1.7. 1919 Auflösung des Warschauer Pakts) wurde die Sowjetunion durch Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) ersetzt. Die USA waren als einzige Weltmacht übrig geblieben, im Oktober 1990 verkündete der amerikanische Präsident George H. Bush (1989-1993, Republikaner) das Ende des Kalten Kriegs. Er nahm die damit verbundene Verantwortung an. Das gilt in noch stärkerem Maße für seinen Sohn und zweiten Nachfolger (1993-2001 Bill Clinton, Demokrat) George W. Bush (2001-2008, Republikaner), der einen „Kreuzzug“ mit teilweise chiliastischen Zügen gegen „Schurkenstaaten“ und die „Achse des Bösen“ führt. Dabei lässt die Überzeugung, die richtige moralische und politische Position zu vertreten, gelegentlich die Wahl der Mittel

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fragwürdig erscheinen. Diese Vorwärtsverteidigung richtet sich in erster Linie gegen den islamischen Fundamentalismus und hat in jüngster Zeit zu mehreren kriegerischen Unternehmungen geführt:

Januar-Februar 1991 (zweiter) Golfkrieg der USA, Englands, Frankreichs, Saudi-Arabiens, Marokkos, Syriens und Ägyptens gegen den Irak Sadam Husseins mit dem Ziel, den Rückzug der irakischen Truppen aus Kuwait zu erreichen und die militärische Infrastruktur des Irak zu zerstören; erfolgreich

nach dem Terroranschlag vom 11.9.2001 Bildung einer Koalition fast aller Staaten der Welt gegen den internationalen Terrorismus durch George W. Bush

2001Krieg gegen Afghanistan, die Hochburg von El-Quaida, mit dem Ziel, das dort herrschende fundamentalistische Taliban-Regime durch eine demokratische Regierung zu ersetzen und El-Quaida zu schwächen; erfolgreich

März 2003 (dritter) Golfkrieg unter George W. Bush mit einer „Koalition der Willigen“ gegen den Irak mit dem Ziel, den Diktator Sadam Hussein zu stürzen, und der falschen Begründung, dass dieser über Massenvernichtungswaffen verfüge; erfolgreich, allerdings, wie in Afghanistan, große Problem beim Wiederaufbau und der Demokratisierung.

Aufgabenstellung IV

1. Aufgabe Die junge Republik hatte große Lasten zu bewältigen, bes. den Wiederaufbau der zerbombten Städte und zerstörten Infrastruktur und die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen. Das wurde in einer Aufbruchsstimmung in der Bevölkerung erreicht, in der die Auseinandersetzung mit der Schuld der Vergangenheit ausgeblendet war. Das politische Parteienspektrum der BRD war relativ einheitlich und übersichtlich, eingegrenzt durch die 5-%-Klausel (seit 1953). Es gab nur wenige große Parteien, die CDU/CSU, SPD und die kleinere FDP, die alle Volksparteien waren, also nicht nur die Interessen einer Schicht vertraten. Das galt auch für die SPD, seitdem sie im Godesberger Programm1959 auf die sozialistische Rhetorik und Programmatik verzichtet hatte. Die prägende Gestalt der Politik der BRD war Konrad Adenauer (CDU), vom ersten Bundestag 1949 bis zu seinem Rücktritt 1963 Bundeskanzler. Er setzte die Westintegration, zu der auch die Wiederbewaffnung (1956) gehörte, gegen Widerstände in der Bevölkerung und gegen die SPD durch. Wirtschaftpolitisch wurde die „soziale Marktwirtschaft“ eingeführt, namentlich durch den Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU). Ausgehend von den Kriegszerstörungen, entwickelte sich innerhalb einer günstigen Weltwirtschaftslage das deutsche „Wirtschaftwunder“ der 50er Jahre. 1957 wurde die Rentenreform beschlossen, 1858 herrschte Vollbeschäftigung, es standen ausreichend Wohnungen zur Verfügung, der Lebensstandard war auf ein hohes Niveau gestiegen (Urlaubsreise), die Fünf-Tage-Woche begann sich durchzusetzen. Dieser rasante ökonomische Erfolg stabilisierte die Regierung der CDU/CSU, obwohl Adenauer einen energischen, fast autoritären Regierungsstil pflegte. Mit dem Slogan der Bundestagswahl 1957 „Keine Experimente!“ errang die Union sogar die absolute Mehrheit. Doch nach der Wahl von 1961 (45, 4%) musste sie eine Koalition mit der FDP eingehen, die den liberaleren Erhard als Bundeskanzler favorisierte. Nach der Spiegel-Affäre 1962 und Niederlagen in Landtagswahlen trat der 87-jährige Adenauer zurück, ihm folgte Erhard. 1965 erzielte die Union 47, 6 %; die christlich-liberale Koalition baute den Sozialstaat weiter aus (Kindergeld, Kriegsopferversorgung, Wohngeld, Studentenförderung, vermögenswirksame Leistungen). Mitte der 60er Jahre wurde das Wirtschaftswachstum jedoch durch eine Wirtschaftskrise beendet, erstmals seit dem Krieg stieg die Arbeitslosenzahl. Als einschneidende Maßnahmen zur Sanierung des Haushalts

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unumgänglich waren, trat die FDP im November 1966 aus der Regierung aus. Daraufhin wählte der Bundestag mit der Mehrheit der Stimmen aus CDU/CSU und SPD Kurt Georg Kiesinger (CDU) zum Kanzler einer Großen Koalition (bis 1969). Deren 87 % marginalisierten die FDP (9, 5 %) als einzige Oppositionspartei. Die Bevölkerung war politisch verunsichert und neigte zu einem Protestwahlverhalten in Landtagswahlen. In Hessen, Bremen und Bayern zog die 1964 gegründete rechtsradikale Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) in die Länderparlamente ein. Der Stimmenverlust der Union und ein Nachlassen der Aufbruchstimmung gehen im fraglichen Zeitraum miteinander einher und leiten über zu einer ökonomisch, gesellschaftlich und politisch schwierigen Periode. Der Konsens der Nachkriegszeit war zerbrochen.

2. Aufgabe 2.1 Das Pamphlet eines Protagonisten der antiautoritären Studentenrevolte, Rudi Dutschkes, „Besetzt Bonn!“, zuerst im September 1967 veröffentlicht und hier in Auszügen vorliegend, ist symptomatisch für die kritische Haltung der 68er-Bewegung zur BRD. Der Autor, Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds, unterstellt den „Herren an der Spitze“ (Z. 1) einen „antikommunistischen Feindmythos“ (Z. 8). Die Behauptung einer Gefahr aus dem Ostblock, einer kommunistischen Subversionstätigkeit“ (Z. 2f) sei eine „notwendige Lüge“ (Z. 2), um den Kapitalismus, insbesondere die Rüstungsindustrie sowie die Bundeswehr und die Notstandsgesetze, zu rechtfertigen (Z. 1-13). Mit ihnen sollten „innenpolitische Strukturveränderungen a priori“ ausgeschaltet werden(Z. 6f). Die geistig rückständige Masse der Bundesbürger werde durch sozialpolitische Konzessionen, „gelenkte Krisenpsychose“ und „circensisch inszenierte“ Staatsschauspiele bei Laune gehalten (Z. 20-23). Zudem sei sie durch eine „langjährige funktionale Manipulation“ (Z. 24f) zum Reaktionsniveau von Lurchen oder Pawlowschen Hunden regrediert (Z. 24-26). Für die Indoktrination macht Dutschke bes. die Massenmedien und hier den Springer-Konzern verantwortlich (Z. 31-37). Seine Sicht der bundesrepublikanischen Gesellschaft ist simplifizierend, arrogant und dichotomisch: auf der einen Seite stehen „die Menschen“ (Z. 25), geistig reduziert und unmündig, mit dem „System“ zufrieden und es alle vier Jahre wiederwählend (vgl. Z. 26-28), auf der anderen die „privilegierten Studenten“ (woher?; Z. 28), die als „bewußteste(r) Teil der Bevölkerung“ (Z. 68) mit einem Teil der Arbeitnehmer die Strukturveränderungen bewerkstelligen sollen. Die Maßnahmen, die der Studentenführer vorschlägt, sind kein revolutionären: primär eine „betriebsnahe Bildungsarbeit“ (Z. 53) zur Aufklärung der Arbeiter über ihre Unterdrückung durch eine „direkte Lohnarbeit von oppositionellen Studenten“ (Z. 53f), sekundär Großveranstaltungen von Gewerkschaften und Studenten und typische Aktionen der 68er-Bewegung wie „Go-in“ oder ein Pressetribunal (Z. 47-58, 64-72). Die Enteignung des Springer-Konzerns soll erst erfolgen, wenn Arbeiterschaft und Studentenopposition breit organisiert seien (Z. 59-63). Die Endziele „einer befreienden Vergesellschaftung der wichtigsten Bereiche des gesellschaftliche Lebens“ (Z. 79f) und der „Loslösung der Lohnabhängigen vom staatlich-gesellschaftlichen Apparat“ (Z. 81f) müssten als Voraussetzung die Aufklärung und Politisierung der Betroffenen haben (Z. 68-85). Die freiheitlich-demokratische Grundordnung der BRD ist für den Verfasser ein irrationales und unmenschliches „System“ (Z. 76). Seine Ziele sind hier nicht eindeutig offenbart, tendieren aber zur Errichtung einer sozialistischen Struktur. Auffällig ist seine Stellung zur Arbeiterschaft und avantgardistischen Studentenschaft, die an Lenins Einschätzung der Masse des Volks und der Parteielite erinnert. Allerdings verweist Dutschkes Betonung der „Bildungsarbeit“ auf einen aufklärerischen Impetus und erinnert an Lassalle.

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2.2 Zu Beginn der 70er Jahre zerfiel die „Außerparlamentarische Opposition“ (APO): die meisten 68er zogen sich ins Privatleben zurück, andere traten den „Marsch durch die Institutionen“ an, eine Randgruppe versucht den studentischen Protest aufrechtzuerhalten (u. a. Sozialistischer Hochschulbund), und eine Splittergruppe radikalisierte sich und wurde kriminell (u. a. die Baader-Meinhof-Gruppe). Enteignungen bzw. Vergesellschaftungen fanden in der BRD nicht statt, die Notstandsgesetze blieben in Kraft, der Springer-Konzern blieb meinungsbildend, die Bundeswehr übernahm mehr und mehr Auslandseinsätze innerhalb und außerhalb der NATO. So gesehen, konnte die 68er-Bewegung dem verhassten „System“ nichts anhaben. Doch vollzogen sich in der, der Großen Koalition nachfolgenden, sozialliberalen Ära (1969-1982) eine gewisse Liberalisierung und Demokratisierung in der Gesellschaft durch z. B.:

die Senkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre die Bildungsreform zur Verbesserung der Chancengleichheit eine Reform des Ehe- und Familienrechts (Gleichberechtigung der Geschlechter, bei Scheidung Zerrüttungsprinzip)

eine „Liberalisierung“ des Strafrechts (Resozialisierung statt Feststellung von Schuld und Sühne)

die Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung im neuen Betriebsverfassungsgesetz den Ausbau des Sozialstaats.

Allerdings reagierte der Staat wehrhaft auf den Terror der radikalisierten 68er; 1972 beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder den sog. Extremistenerlass (Routinekontrolle der Zugehörigkeit zu einer extremistischen Vereinigung bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst). Die Abwehrt der meisten terroristischen Anschläge fiel in die Regierungszeit Schmidt/Genscher (ab 1976) mit dem Höhepunkt der Entführung einer Lufthansa-Maschine nach Mogadischu in Somalia durch die Rote-Armee-Fraktion (RAF), um inhaftierte Terroristen freizupressen. Die Standhaftigkeit der Bundesregierung und der Sympathieverlust in der öffentlichen Meinung führten schließlich zur Kapitulation der RAF in den 90er Jahren. Die sozialliberale Koalition hielt im Streit um die Nachrüstung auch am NATO-Doppelbeschluss, der Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa bei gleichzeitigen Abrüstungsverhandlungen als Gegengewicht gegen die 1976 begonnene Aufstellung sowjetischer SS-20-Mittelsteckenraketen fest. Die dagegen protestierende Friedensbewegung konnte die Bündnistreue der BRD nicht erschüttern, der Doppelbeschluss wurde von der folgenden Regierung Kohl im November 1983 ratifiziert. Aus dieser Protestbewegung gingen die 1980 gegründeten „Grünen“ hervor, eine neue, ökologisch ausgerichtete, das Parteienspektrum erweiternde Partei. Hier hat sich der Widerstand gegen Entscheidungen oder Versäumnisse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft parteipolitisch formiert, anders als der von der 68-Bewegung beschrittene Weg und in Akzeptanz der Ordnung der BRD.

3. Aufgabe In der Ära Honecker (1971-1989) etablierte sich die DDR als international respektierter Staat, 1973 wurde sie in die UNO aufgenommen und beteiligte sich 1975 an der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki. Im „real existierenden Sozialismus“ bemühte sich das Regime, den Lebensstandard der Bevölkerung anzuheben, um den Erfolg des Sozialismus zu demonstrieren und die Bevölkerung ruhig zu stellen. Tatsächlich stieg das Realeinkommen. Doch entsprach ihm kein verbessertes Warenangebot. Zwar waren Grundnahrungsmittel staatlich bezuschusst und billig, aber alles, was darüber hinaus ging, war teuer oder nicht erhältlich. Unter Honecker expandierte das Ministerium für

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Staatssicherheit enorm und kontrollierte die Menschen im Sinne des totalitären Führungsanspruchs der SED. Da die Hebung des Lebensstandards mit Devisen erkauft werden musste, über die die DDR auf Grund der eingeschränkten Handelsbeziehungen mit dem Westen nicht in ausreichendem Maße verfügte, verschuldete sie sich im Westen immer stärker, bis sie zu Beginn der 80er Jahre zahlungsunfähig war. Die Milliardenkredite der Bundesregierung Kohl/Genscher verzögerten allerdings den Staatsbankrott bis 1998. Mitte der 80er Jahre wurde die Opposition lauter und stärker. Die DDR-Bürger hofften, ermutigt durch die Reformen des neuen Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow (seit 1985), auf Reformen im eigenen sozialistischen Bruderstaat. Sie litten unter

dem niedrigen Lebensstandard der persönlichen Unfreiheit (bes. der Verweigerung der Freizügigkeit) der (materiellen)) Kluft zwischen Funktionären und Volk der Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität.

Als die Volkskammerwahlen vom Mai 1989 offensichtlich zugunsten der SED manipuliert wurden, brach der aufgestaute Unmut los. Aber die Parteiführung reagierte auf die Demokratisierungsforderungen mit Unterdrückung, obwohl in der UdSSR, Polen und Ungarn Reformen schon zugelassen worden waren. Ausreisewillige DDR-Bürger flohen in die bundesdeutschen Botschaften in reformorientierten Ostblockstaaten, es kam zu einer Massenflucht über die ungarisch-österreichische Grenze in die BRD. Nach Wochen erst erlaubte die DDR-Führung unter dem Druck der Weltöffentlichkeit die Ausreise der Botschaftsflüchtlinge nach Westdeutschland (30.9.1989). Daraufhin begann in Leipzig die „friedliche Revolution“ (2.10.1989): Während Hunderttausende demonstrierten, feierte die SED am 7.10.1989 den 40. Jahrestag der Staatsgründung und ließ Demonstranten niederknüppeln. Selbst die Ermahnung durch Gorbatschow, der den Feiern beiwohnte („Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“), beeindruckte das Politbüro nicht; nach der Aufgabe der Breschnew-Doktrin durch Gorbatschow 1988 bestand die SED-Führung darauf, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln. Doch als die Demonstrationen zunahmen, setzte das Politbüro den starrsinnigen Honecker als Ersten Sekretär, Staatsratsvorsitzenden und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrats ab. Sein Nachfolger als Erster Sekretär und Staatsratsvorsitzender, Egon Krenz, kündigte Reformen wie Reiseerleichterungen an, doch hatte die SED ihre Glaubwürdigkeit verloren, die Demonstrationen hielten an. Am Abend des 9.11. gab das Politbüromitglied Günter Schabowski, völlig überraschend und von den Auswirkungen überrollt, die Öffnung der Grenze zur BRD und nach Westberlin bekannt. Der Schießbefehl wurde außer Kraft gesetzt und die Grenzanlagen abgebaut. Ende November legte der Bundeskanzler Helmut Kohl ein Zehn-Punkte-Programm einer Vertragsgemeinschaft mit einer demokratisierten DDR vor. Aus einem Staatenbund sollte ein deutscher Gesamtstaat entstehen. Die SED gab ihr Machtmonopol aus, änderte ihren Namen in „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) und musste zusammen mit den Blockparteien und der Bürgerbewegung und Kirchenvertretern im Dezember am „Runden Tisch“ über eine Demokratisierung des Systems beraten. Doch inzwischen wurde in den Massendemonstrationen gerufen: „Wir sind ein Volk!“ Nun beschleunigten sich sowohl der Zusammenbruch des Unrechtsstaats als auch der Prozess der Vereinigung. Die Volkskammerwahl vom 18.3.1990, die erste freie Wahl seit 58 Jahren, brachte bei einer Wahlbeteiligung von 93, 2 % eine überwältigende Zustimmung für die „Allianz für Deutschland“. Dieses Wahlbündnis aus CDU, Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutscher Sozialer Union (DSU) trat wie die CDU/CSU in Westdeutschland für eine rasche Vereinigung der beiden deutschen Staaten ein. Dieser Ereignisüberblick ergibt, dass die Führung der DDR sich Reformen verweigerte und der historische Prozess sie überrollte. Der ganze Ostblock kollabierte, der Sozialismus war durch Reformen nicht mehr zu retten.

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Die hier abgedruckten Lösungsvorschläge sind nicht die amtlichen Lösungen des zuständigen Kultusministeriums. Impressum: Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, vorbehaltlich der Rechte die sich aus den Schranken des UrhG ergeben, nicht gestattet. © Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2008 Redaktionelle Leitung: Simone Senk Redaktion: Christa Becker Autorin: Krista Düppengießer

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