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Am 1. Dezember 1949 verstarb OTTO I~IESSER, der im letzten Jahrc die verantwortungsvollste Arbeit fiir die Schriftleitung dieses Archivs geleistet hat. Als seine Mitarbeiter an diesem Organ der Wissenschaft betrauern wir in ihm nicht nur den sachkundigen, eifrigen und zuver- l~ssigen FSrderer der vorsehwebenden Aufgabe, sondern auch eine besonders liebenswerte Pers6nlichkeit von reinem Edelmut. Berlin-Dahlem, den 20. Januar 1950. :F. B(~CHNER, L. HEILMEYER, W. HEUBNER, F. S~Rr~o~R.

Otto Riesser†

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Am 1. Dezember 1949 verstarb OTTO I~IESSER, der im letzten Jahrc die verantwortungsvollste Arbeit fiir die Schriftleitung dieses Archivs geleistet hat. Als seine Mitarbeiter an diesem Organ der Wissenschaft betrauern wir in ihm nicht nur den sachkundigen, eifrigen und zuver- l~ssigen FSrderer der vorsehwebenden Aufgabe, sondern auch eine besonders liebenswerte Pers6nlichkeit von reinem Edelmut.

Berlin-Dahlem, den 20. Januar 1950.

:F. B(~CHNER, L. HEILMEYER, W. HEUBNER, F. S~Rr~o~R.

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] I (~ERT TAUBMANN :

Otto Riesser t . Die deutsche Pharmakologie hat im abgelaufenen Jahr schwere

Verluste erlitten: LIPSCHITZ, GREMELS, KUELZ und als letzten OTTO RIESSER. Von diesem Mann, seiner PersSnlichkeit und Leistung, soil hier berichtet werden. Bei einem Menschen so klarer und eigener Pr~gung ist es nicht mSglich, das Wisscnschaftliche vom allgemein Menschlichen zu trennen, beides bild'et eine Einheit und soll auch so wiedergegeben werden.

OTTO RI~SSER ist am 9. Juli 1882 zu Frankfurt am Main geboren. Sein Vater war Jakob Riesser, Finanzwissenschaftler und Bankfach- mann, der sich sparer als Griinder des Hansabundes, Mitbegrfinder des Bankvereins und im politischen Leben einen Namen machte. Seine Mutter Emilie war eine geborene Edinger. ])as ist hier mehr als eine nur genealogische Feststellung: Rfickschauend kann man sagen, daft RIESSERs Eignung und Neigung zur Biologie im weitesten Sinne - - ihm selbst lange nicht bewuBt - - mfitterliches Erbe war, ebenso wie das GehSrleiden, das ihn schon in jungen Jahren entscheidend gepr~gt hat. Zweifellos war es eine seiner gro~en charakterlichen Leistungen, daB dieses Leiden nie zu jenem Bild des miBtrauischen Unzufriedenen fiihrte, das wir aus der Klinik kennen, sondern, dab durch Erkenntnis und Selbstzucht genau das Gegenteil dieser Einstellung entstand, ein unbeirrbarer Glaube an das Gute, ein Vertrauen zu seiner Umgebung, das eher einmal zu weir gehen konnte.

Seine erste Jugend und Schulzeit verlcbte RIESS]~R in Berlin. Seine Schule, kcnnzeichnend genug, war das FranzSsische Gymnasium. Wenn ihm sp~ter der Begriff des Humanismus fiber allem stand, so ist liier der Grund gelegt worden. Wir Heutigen kSnnen uns keine Vorstellung mehr machen yon einer Schule, in der ])eutsch nur in der Deutsch- stunde gesprochen wurde, sonst FranzSsisch oder die Sprache des Lehr- fachs. Mathematik, mit der I~I~SSEt¢ Zeit seines Lebens herzlich schlecht stand, wurde franz6sisch gelehrt. Die Anforderungen waren enorm, seine Leistungen wohl kaum so, daB ]~I~SSER bei unserem heutigen Auslese- prinzip zum Studium zugelassen worden w~re.

Von der Sicherheit des Daseins, in der ein junger Mann damals aufwuchs, kSnnen wir uns heute schwer mehr eine Vorstellung machen. Wirtschaftliche Sorgen und Bedrohungen gab es nicht, die Ferienreise in die Schweiz war eine Selbstverst~ndlichkeit, ebenso wie ein Auslands- aufentha]t im AnschluB an das Abitur und das Beziehen einer ange- messenen Universit~t. Es ist nicht uninteressant zu hSren, dab RIESSER am Ende seiner Schulzeit sich fiber den Beruf, auf den er hinsteuern wollte, durchaus nicht klar war. Jedenfalls war von einem durch nichts zu hemmenden Drang zur Medizin nichts zu bemerken. Merkwiirdiger- weise --- so kSnnen wir heute sagen - - war der Beruf eines Technikers

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und Maschinenbauers erwogen worden. Da aber schon damals sein GehSr sich merklieh verschlechterte und der Hausarzt mit Riieksieht auf den L~rm in Maschinenr~iumen diesem Beruf widerriet, wurde der Plan aufgegeben. Da aber offenbar die wissenschaftlieh industrielle Orientierung des Vaters bei den ~berlegungen nieht ohne EinfluB war, fie1 die Wahl fiir die Studien in Heidelberg auf die Chemie. ~IESSER sagt selbst, da$ er etwa in seinem dritten Studiensemester begriffen habe, um was es sieh bei der Chemie eigentlich handele. In diese erste Heidelberger Zeit f/~llt auch das wachsende Interesse am studentischen Verbindungsleben, dem er dann als Bursehenschafter w~hrend seines ganzen Lebens trotz maneher zeitbedingter Widerst~nde treu geblieben ist. Er Melt das Verbindungswesen f~ir ein wesentliehes und wiehtiges Erziehungselement ffir unseren akademisehen Nachwuchs.

Die ernste Arbeit begann erst um 1902, als RIESSE~ ffir drei Semester in Berlin bei LA~DOLT anorganisch arbeitete. Die Arbeit ging so sehwer voran und die Technik des Experimentierens machte solche Schwierig- keiten, dab er oft daran war, umzusatteln. SchlieBlieh ffihrten aber, wie immer bei RIESS:Ea, die Schwierigkeiten des Lernens nur zu grSBerer Grfindlichkeit, und am SchluB dieser drei Semester wurde das anorga- nische Verbandsexamen bestanden.

Naeh diesem ersten Erfolg ging es wieder nach Heidelberg. Hier nahmen seine Studien eine, ich mSchte sagen die entscheidende Wendung. RIESSER h5rte Physiologie der Pflanzen und war so begeistert davon, dab er auch die Zoologie mit einbezog. ])ann stellte er fest, dab er eigent- lieh nur noch Anatomie mxd Physiologie des Menschen zu kennen brauchte, um das medizinische Physikum zu machen. Es scheint, dab dieses vollkommen absichtslose Hineinwachsen in eine bestimmte Studienrichtung auBerordentheh kennzeichnend und interessant ist. Man mSehte meinen, dab die inneren Notwendigkeiten hier besser zum Zuge gekommen sind, als bei mancher yon Jugend auf festgelegten Berufswahl. Jedenfalls wuchs hier unter der beratenden Assistenz Ludwig Edingers, seines Onkels, der EntschluB, Chemie und Medizin zu vereinen, um sich der physiologischen Chemie zu widmen. Der Weg fiihrte ihn zu KOSSEL, der ihn als Doktoranden fiir seine - - wohlver- standen chemische - - Doktorarbeit annahm. Hier entstand 1906 seine erste Dissertation fiber die optisehen Isomeren des Arginins und des Ornithins. Doktorarbeiten waren darnels keine ganz leichte Saehe. Diese dauerte zwei Jahre, hatte aber auch ihren Welt. Wichtiger w~hrend dieser Zeit waren wohl noch der persSnliehe EinfluB und die Schule KOSSELs, das Fundament fiir seine ganze sp/£tere Arbeit.

1906 promovierte RIESSER in Chemie, Physik und Zoologie. I)amit war seine Heidelberger Zeit beendet. Eines muB aber noch erw/~hnt werden, wozu ebenfalls in Heidelberg der Grund gelegt wurde: die

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Liebe zum Sport, dem er bis in seine letzten Jahre treu geblieben ist. Es ist wahrscheinlieh, dab die sportliche Muskelleistung zusammen mit seiner physiologisch-ehemisehen t~iehtung ihn zu dem gemacht haben, als den wir ihn heute alle kennen: zu dem Muskelphysiologen. Als Dr. chem. und cand. med. kam er nach Berlin zurfick. Er wurde Mitarbeiter von TmE~FELI)ER. 11/2 Jahre wurden an das Problem des Gehirnsphingosins gewandt, ohne dab dabei viel mehr herauskam, als eine sehr eingehende experimentelle Sehulung. Daneben wurde das Medizinstudium weitergeffihrt. Allerdings begann die zunehmende Schwerh5rigkeit hier bereits ernsthafte Sehwierigkeiten zu maehen. Damals entstand eine kleine Arbeit fiber das Hippomelanin, die haupt- s~iehlieh dureh die Mitarbeit yon t~o~A interessant ist.

Im Sommer 1908 wurde ihm eine Assistentenstelle bei JAFF~ in K6nigsberg angeboten. Die Zeit bei ihm, der in RIESSERs Erzahlungen nie anders als ,,Onkel JAFF£" hieB, muB besonders anregend und harmonisch gewesen sein. JA~F~, der sieh besonders mit Fragen des intermedifiren Stoffweehsels besehaftigte, braehte ihm die Kenntnis des eolorimetrisehen Naehweises des Kreatinins, das aus vielen seinen Arbeiten nieht wegzudenken ist. Die intensivste Anregung allerdings erhielt l~i~ssE~ von ALeXAnDeR ELLINGER, mit dem er dauernd herzlieh befreundet blieb. Die Bedingungen, unter denen damals gearbeitet wurde, kennt man heute kaum mehr. Je ein halber Tiseh ffir I~I~SSEI~ und ELLI~G~R und R/iumung des Zimmers, wenn ein Kurs abgehalten wurde. Eine yon damals stammende Bemerkung I{IESSERs mSehte ieh uns Pharmakologen nieht vorenthalten: JArF£s Kolleg habe ieh nieht gehSrt. Was ging mieh denn die Pharmakologie an ? - - Es folgten einige Arbeiten fiber Entstehung des Kreatinins, die RIESSEI~ bereits als gedanklich und experimentell selbst~ndigen Arbeiter zeigen.

191I maehte er, was damals noeh m6glieh war, ohne Staatsexamen den mediziniseben Doktor. Seine (zweite) Dissertation behandelte die Chemie des Uroroseins.

1913 bereits habilitierte er sieh in der medizinisehen Fakultat ffir medizinische Chemie. Als dann der Krieg ausbraeh, meldete sieh RIESSEI~ zuln Dienst in einem K6nigsberger Lazarett. Von dort aus gelang es ihm, durch unausgesetzte Beli~stigung seiner Vorgesetzten, an die Front zu kommen, und zwar zun~ehst nach Tirol. Von hier g inge r an ein Lazarett in Frankfurt. Die Zeit gestattete es, intensiv im Physiologischen Insti tut bei B~THE ZU arbeiten. Die Arbeit, die bier entstand, war bereits ganz seine eigene Angelegenheit : Beziehungen des Nervus sympathieus zum Muskeltonus und zum Muskelkreatinin. Damit habilitierte er sich in Frankfurt, diesmal fiir Pharmakologie. Nach einigen weiteren Arbeiten, die ihn auch mit LlrSCHITZ zusammen- ffihrten, Melt es ihn nieht mehr zu ttause, und es gelang ihm, wieder an

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die Front zu kommen, diesmal nach Osten. Da dies aber offenbar eine ruhige und uninteressante Angelegenheit war, meldete er sich nach dem Westen, wohin er noch zeitig genug kam, um die grol~e Schlacht ab Ende 1917 mitzumaehen. Diese Dinge sind fiir seine wissenschaftliche Entwicklung unwesentlich, aber sie kennzeiehnen den 1Yfenschen. Seine Ernennung zum Professor erfuhr er in einer KreidehShle der Champagne sitzend beim Durchbl~ttern alter Frankfurter Zeitungen.

1919 wurde die Sehnsucht nach seiner physiologischen Chemie so groB, daB er yon ELLINGER fort zu EMBDE:N ging und yon der Frank- furter Fakult~t zus~tzlieh zu seiner Venia fiir Pharmakologie aueh die ftir die gesamte Physiologie erhielt. Hier entstanden nun die zahlreichen Arbeiten fiber Tonus und Kontraktur, in denen das Grundthema in immer neuen Versuchsanordnungen unter Einwirkung aller praktisch in Frage kommenden Pharmaka gepriift wurde.

Es ist hier vielleicht der Ort, noch einmal zu sagen, daB RIEssE~ niemals im exakten Sinne des Begriffs Pharmakologe gewesen ist. Seine Liebe und seine Arbeit gehSrten immer der physiologischen Chemie, und diese Linie ist durch sein ganzes Lebenswerk hindurch zu verfolgen. DaI~ diese Tatsache eine Steigerung seiner Leistung und diese Fest- stellung keine Minderung ihres Wertes bedeutet, wissen wir alle, die RIESSER und seine Arbeit kennen. Aus seinen zahlreichen Unter- suehungen daft vielleieht die Feststellung der Acetyleholinkontraktur erw/ihnt werden, die den Ausgangspunkt bildete fiir eine noch heute nicht abgeschlossene Ffille von Arbeiten in zahlreichen Instituten. Es scheint, dab diese erste Acetylcholinarbeit RIESSEI~s nicht unwesentlieh dazu beigetragen hat, der Substanz die Funktion eines allgegenwi~rtigen Hormons zuzuerkennen, w/~hrend sie bis dahin mehr die Rol]e eines interessanten, aber etwas abseitigen biogenen Amins gespielt hatte.

Um diese Zeit, es mag 1920 gewesen sein, erhielt RIESS~R zum ersten Male einen Ruf, und es ist typisch fiir den Menschen, wie er darauf reagierte. Er lehnte ihn ab, haupts~ehlich, weft er gegen den Willen der Fakult/~t zustande gekommen war. Er vertrat immer die Anschauung, dab jede demokratische Institution zur Farce werden muI3, wenn man ihre Entschlfisse nicht als bindend anerkennt. Immerhin diirften die jungen Extraordinarien und Dozenten, die einen ersten l~uf ablehnen, nicht besonders h/£ufig sein.

Der ni~chste Ruf, der an ihn erging, kam aus Greifswald. Diesmal nahm er an. Er wurde damit der Naehfolger von HUGO SCHULZ. Eine wissensehaftliehe Briieke zwisehen den Gedankenkreisen dieser beiden M~nner scheint nieht mSglich zu sein. RIESSER hat sie dennoch ge- schlagen. In seiner ersten strlkte pharmakologischen Arbeit konnte er zeigen, dab an SCHULZ' homSopathisehen Schwefeldosen ,,etwas dran sei", d.h. , dab man mit auBerordentlieh hohen Verdiinnungen yon

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VI GERT TAVB~A~:

Schwefel mel~bare pharmakologische Ergebnisse erhalten k6nne. Sein neues Amt hatte er im Herbst 1921 angetreten. Die apparative Aus- stattung muitte, was zweifellos ein Glfick bei RIESSERs Forschungs- richtung war, vollkommen neu beschafft werden, denn H v c o SCHULZ hatte keine Apparate gebraucht.

:Die neue Selbst~ndigkeit und Verantwortlichkeit nutzte RIESSn~ zu einer Fiille yon Arbeiten, die im wesentlichen Erweiterungen und Vertiefungen seiner muskelphysiotogischen ~berlegungen dar- stellten. Sein Name als eines Spezialisten auf diesem Gebiete war inzwischen bekannt geworden. In- und Ausl~nder erschienen, um bei ihm Methodik und geistige Struktur dieser Arbeit zu lernen. Das Haus war roll von Japanern, in Greifswald ebenso wie sparer in Breslau. Noch sp~ter konnte man zuweilen in japanischen Arbeiten an Hand sinnf~lliger Ahnlichkeiten Beziehungen zu RIESSE~s Institut erkennen. Doch waren unter RIESSERs in- und ausl~ndischen Mitarbeitern aus- gezeichnete Leute - - die Japaner besonders unermiidlich im Bew~ltigen der oft diffizilen Technik. Fiir den gr6t]ten Gewinn seiner Greifswalder Zeit hat RIESSER immer SI io~so~ gehatten, der ibm zweifellos seine arbeitsphysiologischen Grundlagen verdankte und Wesentliches auf diesem Gebiete geleistet hat.

1928 kam die Berufung nach Breslau zum Nachfolger von POHL. Wenigstens der Name dieses alten Herrn mit seinem altSsterreichischen Charme soll hier noch einmal erw~hnt werden. Er ist in der Turbulenz der folgenden Jahre so still verschwunden, dab wir nicht einmal Zeit und Umst~nde seines Todes genau kennen. Auch in Breslau scharte sich um I~IESSEa eine grol]e Zahl yon Mitarbeitern und Doktoranden, die Themenstellung betraf auch bier ganz fiberwiegend den Muskel- stoffwechse]. Doch war die Pharmakologie ,,klassischer Observanz" wohl gelitten und erfreute sich verst~ndnisvoller F6rderung, ohne den geringsten Anspruch, sie fiir den Kreis spezifisch RIESSERscher Arbeiten einzuspannen.

In die Lehrti~tigkeit land er sich mit erstaunlichem Geschick hinein. Diese Leistung ist um so h6her zu veranschlagen, als ihm viele, besonders die nach der Klinik orientierten Fragen, fremd sein mul~ten. :Die Vor- lesungsversuche verliefen, nicht zum wenigsten dank der unermfidlichen T~tigkeit seines allgegenw~rtigen Laboranten NAGI~L, immer zur Zu- friedenheit aller Beteiligten. Dieser hSchst sch~tzbare Adlatus h~tte sein eigenes Kolleg dariiber halten kSnnen, wie man einen Kollegversuch zum gewiinschten Ergebnis ffihrt. Die Zahl der in diesen Jahren ent- standenen Arbeiten ist groin. Immer wieder wurde das Problem des Muskelstoffwechsels unter verschiedenen Aspekten untersucht. Aus Arbeiten in Neapel gewann er die Konzeption einer vergleichenden Muskelphysiologie. :Daneben liefen Arbeiten, die aus praktischen Fragen

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des Sports abgeleitet waren. Hierzu geh6rt auch die Untersuchung fiber die physiologisehe Wirkung des Hochgebirgsklima, die er am Jung- fraujoch durchffihrte.

Inzwischen niiherte man sich dem Jahre 1933. Die Studenten begannen unruhig zu werden, wenn aueh von dieser Seite Fiflle un- korrekten Benehmens nicht vorgekommen sind. Ende 1933 war es dann so weir, da$ RIESS~R als Jude seiner Stellung enthoben warde und das Inst i tut verlassen mul~te. Vorher mul3te in aUer Eile noch unter etwas tragikomischen Umst~nden eine Habilitation ausgesprochen werden. ])as ffihrt zu der Frage, warum er, der fiber eine solehe Ffille guter und ausgezeichneter Mitarbeiter verffigte, so ex t rem selten eine Habilitation vorgeschlagen hat. Miler doch mancher akademiseher Lehrer seinen Wert nach der Zahl der yon ihm kreierten I)ozenten. Ober diesen Punkt ist zwar nie gesprochen worden, doch ist, wie ich glaube, die Begrfindung darin zu suchen, dab RIESSER eben im Grunde seiner Seele Physiologe war, wenn er auch das Fach der Pharmakologie vertrat, ffir das er aber aus der groBen Schar seiner ~V[itarbeiter nur selten eigentliehe Pharmakologen vorsehlagen konnte.

Die erste Zeit der erzwungenen Ruhe nutzte er, um ein Lehrbuch zu sehreiben, das allerdings sehr schnell aus der Buchhandlung fort und auf den Index librorum prohibitorum kam. Es war ein ffir RIESSERs Art und Darstellung sehr kennzeichnendes Buch. Die Dinge warerf klar und einfach - - manchmal zu einfach - - dargestellt. Es war ffir den Studenten bestimmt und soUte ihm bei aller Grfindlichkeit das Leben nicht zu schwer maehen. HEUB~ER gefiel es gar nicht, er bemerkte aber, er wisse schlechterdings nicht, wie man es besser machen solle. RIESSE~s vornehme Denkart reagierte auf diese Kritik in der Weise, dab das freundschaftliche Verh/~ltnis der beiden M~nner nur noch vertieft wurde.

Anfang 1936 ging RIESSER aus dem immer unfreundlieher werdenden Breslau fort, zun~chst nach Frankfurt. Ein Aufenthalt a m schweizeri- sehen Forschungsinstitut in Davos gab ihm noch einmal die MSglich- keit zu geordnetem wissensehaftlichen Arbeiten.

Im Winter 1937/38 machte er den Versuch, am Biologischen Insti tut in Frankfurt bei BLVM FuB zu fassen. Der 11. November 1938 vernichtete auch diese Erwartung.

Im Friihjahr 1939 g inge r nach Holland und konnte dort zuni~ehst bis Ende 1941 ungestSrt arbeiten. Er verfolgte nun intensiver die Arbeits- richtung, die bereits frfiher in vereinzelten VerSffentlichungen - - wenn auch nicht mit deutlichem Zusammenh~ngen - - aufgetaucht war: den Kohlenhydratstoffwechsel und die Frage seiner hormonalen Regulierung.

Als er Ende 194I auch diese Arbeitsst~tte verlassen muBte, machte er es dennoch mSglich, unter sehr einfachen/iuBeren Bedingungen eine

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ganze Reihe von Arbeiten zu diesem Themenkreis durchzufiihren. Die seelischen und kSrperlichen Strapazen der Zeit bis 1945 haben ihn wesentlich weniger vergndert, als wir hier, yon einer Verbindung mit ihm fast abgeschnitten, hoffen durften.

August 1945 konnte er nach Deutschland und zu seiner Familie zuriickkehren. M6glichkeit zu einer wissenschaftlichen Arbeit bestand damals noch nicht. Dies erkl~rt das Intermezzo seiner T~tigkeit als Referent im Kultusministerium. Er lie6 diese ffir ihn g~nzlich unge- eignete T~tigkeit gern im Stich zugunsten eines Lehrauftrages fiir Grenzgebiete der Pharmakologie und Physiologie, der ihm im April 1946 in Frankfurt erteilt wurde. Es ist unniitz, dariiber zu streiten, ob dies die rechte und ausreichende Form seiner Rehabilitierung war, denn ihm selbst war die Form gleichgiiltig, wenn sie nut die M6glichkeit enthielt, wieder zu arbeiten, und diese M6glichkeit wurde ihm yon seiner alten Mutterwissenschaft, der physiologischen Chemie, freundlich geboten.

:Nun h~tte nach menschlichem Ermessen alles gut gehen k6nnen. Sein reicher Fundus an Ideen, den er in vollkommener Frische ver- waltete, die wieder zunehmende Zahl seiner Mitarbeiter sprachen dafiir, dab hier unter dem Gesichtswinkel des Altgewordenen, aber Jung-

U bersmhtsreferat gebliebenen noch Wertvolles zu erwarten stand. Sein "* " fiber die Muskelpharmakologie auf dem Pharmakologentag in Diissel- doff zeigte die ganze Ffille der Tatsachen und der Probleme des wesent- lich yon ihm geschaffenen Zweiges unserer Wissenschaft.

Ein Duodenalgeschwfir und die notwendige Krankenhausbehandlung schienen die Plane nur verzSgern zu k6nnen. Die ihm inzwischen auf- getragene kommissarische Verwaltung des Pharmakologischen Institutes h~tte dafiir eine breitere materielle Basis gegeben. Nicht zum wenigsten seiner Ungeduld, sich wieder zu bet~tigen, war es zuzuschreiben, dab er - - entgegen mancher Warnung - - auf der Operation bestand. Er wollte nur als vollkommen gesunder Mensch sein Amt antreten. Er hat die Anforderungen dieser Operation nicht fiberstanden. Damit ist ein Leben beendet, bevor es ftir die Wissenschaft erffillt war 1.

GERT TAUBMAN~'.

1 Auf die Wiedergabe einer Bibliographie der Arbeiten RIESSERS wurde bewu~t vel~ichtet, da diese ohne die im Druck befindlichen und nicht abgeschlosseneT~ Arbeiten 163 Titel umfaBt und den zur Verfiigung gestellten Raum weir fiber- sehritten hiitte.