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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution 4.0 International License. Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz. 1010 F. A. ANDERER Versuche zur Bestimmung der serologisch determinanten Gruppen des Tabakmosaikvirus Von F. A. Anderer Aus dem Max-Planck-Institut für Virusforschung, Tübingen (Z. Naturforschg. 18 b, 1010— 1014 [1963] ; eingegangen am 26. August 1963) Twenty peptides of tobacco mosaic virus protein covering the whole amino acid sequence of the polypeptide chain have been tested for their capacity to inhibit the quantitative precipitation of tobacco mosaic virus with the specific antibodies. Only four amino acid sequences, representing 15 —20% of the polypeptide chain, have been found to diminish quantitative precipitation of TMV with anti TMV serum. Lack of additivity of the individual inhibition values gives evidence that the specific antibodies are not directed against isolated amino acid sequences. Die Bestimmung der serologisch determinanten Gruppen von Antigenen ist eines der Hauptprobleme der Immunchemie. Untersuchungen an Polysaccha rid-Antigenen 1 und Faserprotein-Antigenen 2 haben gezeigt, daß hier die serologisch determinanten Gruppen mit den terminalen Sequenzen der Poly saccharide bzw. der Polypeptidketten identisch sind. Bei globulären Proteinen haben entsprechende Unter suchungen noch keine klaren Ergebnisse erbracht. Es wird jedoch allgemein angenommen, daß bei der serologisch determinanten Struktur von globulären Proteinen nicht nur bestimmte Sequenzen der Pri märstruktur maßgebend sind, sondern daß zusätzlich durch die sekundäre und tertiäre Struktur an der Oberfläche des Moleküls ein bestimmtes räumliches „Muster“ ausgebildet wird, das dann für die spe zifischen serologischen Reaktionen mitverantwortlich ist. Zur endgültigen Klärung dieser Frage schien das Tabakmosaikvirus (TMV) ein besonders geeignetes Untersuchungsobjekt, bei dem zunächst die an der serologisch determinanten Struktur beteiligten Ami nosäuresequenzen ermittelt werden sollten, während die Versuche über den Einfluß der tertiären Struktur in einer anderen Arbeit beschrieben sind 3. Bekannt lich besteht das TMV aus einem Molekül Ribo- 1 Übersicht: E. A. K abat u. M. M. M ayer , Experimental Im- munochemistry. C. C. Thomas Publ. 1962, Springfield, 111. 2 J. J. Cebra, J. Immunology 86. 205 [1961]. 3 F. A. Anderer u. D. Handschuh, Z. Naturforschg. 18 b, 1015 [1963]. 4 Übersicht: A. Klug u. D. L. D. Caspar, Advances Virus Res. 7,225 [I960], 5 F. A. Anderer, H. Uhlig, E. Weber u. G. Schramm, Nature [London] 186,92 [I960]. 6 F. A. Anderer u. D. Handschuh, Z. Naturforschg. 17 b, 536 [1962]. nucleinsäure und rund 2130 gleichen Polypeptid ketten, die im intakten Virus als strukturidentische Proteinuntereinheiten in einer Makrohelix angeord net sind4. Die Polypeptidketten enthalten je 158 Aminosäuren, deren Reihenfolge in früheren Arbei ten beschrieben wurde 5~~. Untersuchungen verschiedener Autoren8-10 wei sen darauf hin, daß die Nucleinsäure des TMV nicht an der serologisch determinanten Struktur beteiligt ist. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, die maxi male Größe der mit dem spezifischen Antikörper reagierenden Oberflächeneinheit zu kalkulieren, in dem man die maximale Antikörper-Bindungskapazi- tät von intaktem Virus und von Virusprotein ver gleicht. Das Verhältnis Antikörper-N/Antigen-N, das maximal in einem Präzipitat von TMV bei extre mem Antikörper-Uberschuß erhalten wurde, betrug 3,4 —4,1 : 1 10’ n. Bei der Verwendung von A-Pro- tein (dissoziiertes natives Virusprotein mit Mol.- Gew. 90 0 0 0 12) als Antigen wurde dagegen ein Verhältnis von mindestens 6:1 gefunden10, was letztlich bedeutet, daß ein Antikörper mit durch schnittlich 1 —2 Proteinuntereinheiten (Mol.-Gew. 17 530) reagiert. Diese Unterschiede sind auf steri sche Hinderung der vollständigen Antikörper-Ab sorption zurückzuführen, die sich beim intakten 7 A. Tsugita, B. T. Gish. J. Young, H. Fraenkel-Conrat, C. A. Knight u. W. M. Stanley, Proc. nat. Acad. Sei. USA 46, 1463 [I960], 8 P. Starlinger, Z. Naturforschg. 10 b, 339 [1955]. 9 H. G. Aach, Biochim. biophysica Acta [Amsterdam] 32, 140 [1959]. 10 A . K l e c z k o w s k i , J. Immunology 4, 130 [1961]. 11 G. Schramm u. H. Friedrich-Freksa, Hoppe-Seyler’s Z. phy siol. Chem. 270, 233 [1941]. 12 G. Schramm, G. Schumacher u. W. Zillig, Z. Naturforschg. 10b. 481 [1955].

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution4.0 International License.

Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschungin Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung derWissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz.

1010 F. A. ANDERER

Versuche zur Bestimmung der serologisch determinanten Gruppen

des Tabakmosaikvirus

V o n F. A . A n d e r e r

Aus dem Max-Planck-Institut für Virusforschung, Tübingen(Z. Naturforschg. 18 b, 1010— 1014 [1963] ; eingegangen am 26. August 1963)

Twenty peptides of tobacco mosaic virus protein covering the whole amino acid sequence of the polypeptide chain have been tested for their capacity to inhibit the quantitative precipitation of tobacco mosaic virus with the specific antibodies. Only four amino acid sequences, representing15 — 20% of the polypeptide chain, have been found to diminish quantitative precipitation of TMV with anti TMV serum. Lack of additivity of the individual inhibition values gives evidence that the specific antibodies are not directed against isolated amino acid sequences.

Die Bestimmung der serologisch determinanten

Gruppen von Antigenen ist eines der Hauptprobleme

der Immunchemie. Untersuchungen an Polysaccha­

rid-Antigenen 1 und Faserprotein-Antigenen 2 haben

gezeigt, daß hier die serologisch determinanten

Gruppen mit den terminalen Sequenzen der Poly­

saccharide bzw. der Polypeptidketten identisch sind.

Bei globulären Proteinen haben entsprechende Unter­

suchungen noch keine klaren Ergebnisse erbracht.

Es wird jedoch allgemein angenommen, daß bei der

serologisch determinanten Struktur von globulären

Proteinen nicht nur bestimmte Sequenzen der Pri­

märstruktur maßgebend sind, sondern daß zusätzlich

durch die sekundäre und tertiäre Struktur an der

Oberfläche des Moleküls ein bestimmtes räumliches

„Muster“ ausgebildet wird, das dann für die spe­

zifischen serologischen Reaktionen mitverantwortlich

ist.

Zur endgültigen Klärung dieser Frage schien das

Tabakmosaikvirus (TMV) ein besonders geeignetes

Untersuchungsobjekt, bei dem zunächst die an der

serologisch determinanten Struktur beteiligten Ami­

nosäuresequenzen ermittelt werden sollten, während

die Versuche über den Einfluß der tertiären Struktur

in einer anderen Arbeit beschrieben sind 3. Bekannt­

lich besteht das TMV aus einem Molekül Ribo-

1 Übersicht: E. A. K abat u. M . M . M a y e r , Experimental Im- munochemistry. C. C. Thomas Publ. 1962, Springfield, 111.

2 J. J. C e b r a , J. Immunology 86. 205 [1961].3 F. A . A n d e r e r u . D. H a n d s c h u h , Z. Naturforschg. 18 b, 1015

[1963].4 Übersicht: A. K lu g u . D. L. D. C a s p a r , Advances Virus

Res. 7,225 [I960],5 F. A . A n d e r e r , H. U h l i g , E. W e b e r u . G. S c h ra m m , Nature

[London] 186,92 [I960].6 F. A . A n d e r e r u . D. H a n d s c h u h , Z. Naturforschg. 17 b, 536

[1962].

nucleinsäure und rund 2130 gleichen Polypeptid­

ketten, die im intakten Virus als strukturidentische

Proteinuntereinheiten in einer Makrohelix angeord­

net sind4. Die Polypeptidketten enthalten je 158

Aminosäuren, deren Reihenfolge in früheren Arbei­

ten beschrieben wurde 5~~.

Untersuchungen verschiedener Autoren8-10 wei­

sen darauf hin, daß die Nucleinsäure des TMV nicht

an der serologisch determinanten Struktur beteiligt

ist. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, die maxi­

male Größe der mit dem spezifischen Antikörper

reagierenden Oberflächeneinheit zu kalkulieren, in­

dem man die maximale Antikörper-Bindungskapazi-

tät von intaktem Virus und von Virusprotein ver­

gleicht. Das Verhältnis Antikörper-N/Antigen-N, das

maximal in einem Präzipitat von TMV bei extre­

mem Antikörper-Uberschuß erhalten wurde, betrug

3,4 —4,1 : 1 10’ n . Bei der Verwendung von A-Pro-

tein (dissoziiertes natives Virusprotein mit Mol.-

Gew. 90 00012) als Antigen wurde dagegen ein

Verhältnis von mindestens 6 : 1 gefunden10, was

letztlich bedeutet, daß ein Antikörper mit durch­

schnittlich 1 —2 Proteinuntereinheiten (Mol.-Gew.

17 530) reagiert. Diese Unterschiede sind auf steri­

sche Hinderung der vollständigen Antikörper-Ab­

sorption zurückzuführen, die sich beim intakten

7 A. T s u g i t a , B. T. G is h . J. Y o u n g , H. F r a e n k e l- C o n r a t , C . A. K n ig h t u . W. M. S t a n le y , Proc. nat. Acad. Sei. USA 46, 1463 [I960],

8 P. S t a r l i n g e r , Z . Naturforschg. 10 b, 339 [1955].9 H. G . A a c h , Biochim. biophysica Acta [Amsterdam] 32,

140 [1959].10 A . K le c z k o w s k i , J. Immunology 4, 130 [1961].11 G . S c h ra m m u. H. F r ie d r ic h - F r e k s a , Hoppe-Seyler’s Z. phy­

siol. Chem. 270, 233 [1941].12 G . S c h ra m m , G . S c h u m a c h e r u. W. Z i l l i g , Z . Naturforschg.

10b. 481 [1955].

SEROLOGISCH DETERMINANTE GRUPPEN DES TMV 1011

Virus stärker bemerkbar macht als beim A-Protein.

Es ist daher denkbar, daß bei weiterer Dissoziation

des A-Proteins keine sterische Hinderung mehr be­

steht und letztlich eine Kombination von einer Pro­

teinuntereinheit mit einem Antikörper noch möglich

ist.

Diese Überlegungen weisen darauf hin, daß die

Größe der serologisch determinanten Gruppe des

TMV ungefähr dem Oberflächenanteil einer Protein­

untereinheit gleichkommt, keinesfalls jedoch größer

anzunehmen ist.

Die maximale Größe einer solchen Oberflächen­

einheit, die sich im intakten TMV periodisch wieder­

holt, kann aus der Ganghöhe und der Zahl der

Untereinheiten je Windung der Makrohelix zu un­

gefähr 700 A2 berechnet werden. Die gleiche Grö­

ßenordnung wurde für den reagierenden Flächen­

anteil einer Valenz eines Antikörpers (Kaninchen­

serum) experimentell bestimmt13. Aus den Meß­

daten der Röntgenkleinwinkelstreuung läßt sich an­

dererseits der Querschnitt eines Antikörpers zu un­

gefähr 800 A2 beredinen 14’ 15, was als maximaler

Wert für die reagierenden Bezirke angesehen wer­

den kann, wenn man annimmt, daß diese durch die

entgegengesetzten Enden des langgestreckten Anti­

körpermoleküls repräsentiert werden.

Es wurden nun Versuche unternommen, um die

Bereiche der Polypeptidketten, die an der serologisch

determinanten Oberfläche des TMV beteiligt sind,

näher zu charakterisieren. Einige vorläufige Ergeb­

nisse wurden bereits mitgeteilt16. In der vorliegen­

den Arbeit soll die Hemmung der Antigen-Antikör­

per-Reaktion durch definierte Peptide untersucht wer­

den, die durch enzymatische Spaltung des TMV-Pro-

teins gewonnen wurden.

Material und Methoden

Zu sämtlichen Untersuchungen wurde TMV vulgare verwendet. Das benützte Antiserum stammte von einem einzigen Kanindien, um individuelle Unterschiede in der Antikörper-Spezifität auszuschließen.

Das Peptidmaterial wurde durch enzymatische Spal­tung von denaturiertem TMV-Protein nach früher be­schriebenen Methoden erhalten 6> 17,18. Die gereinigten Peptide wurden auf Sephadex G 25-Säulen (4-160 cm)

entsalzt. Bei hoch aggregierten Peptidlösungen wurde das maximale Teilchengewicht der Aggregate in der Phywe-Ultrazentrifuge (Normalzelle) oder mit Sepha- dex-Säulen bestimmt. Die absolute Konzentration der Peptide wurde nach Totalhydrolyse mit dem automati­schen Aminosäure-Analysator (Beckman-Spinco) festge­stellt. Folgende Peptide wurden untersucht (in Klam­mern die maximale Peptidkonzentration in //Mol/ml) :

Pos. 1-10 ( 4,3) Pos. 93-112 (10,0)1-41 (10,0) 113-122 (26,6)

17-23 (10,0) 114-122 (12,0)18-23 (11,2) 123-134 (2,25) 42-46 (24,0) 123-128 (10,0) 47-61 (11,9) 129-131 ( 5,7)62 — 68 (11,5) 135-141 (38,0)69-71 ( 9,0) 142-158 (12,8)72-90 ( 9,8) 151-158 (10,0)91-92 (38,0) 153-158 (14,0)

Die Benennung der Peptide erfolgte entsprechend der Positionen der Aminosäurereste in der Polypeptid­kette 6.

P r ä z i p i t a t i o n s h e m m u n g s - T est

Zu einer Verdünnungsreihe von je 1 ml des zu unter­suchenden Peptides oder Peptid-Gemisches wurde0,1 ml Anti-TMV-Serum (Originalserum 1 : 64 ver­dünnt) zugegeben und 2 Stdn. bei 37 °C inkubiert. An­schließend wurde 0,1 ml einer TMV-Lösung (1,5 mg/ml) zugefügt, eine weitere Stde. bei 37 °C und schließlich 4 Tage bei 4 °C belassen. Während dieser Zeit wurden die Proben täglich einmal leicht durchgewirbelt. Danach wurde in der Kälte bei 3000 Upm abzentrifugiert und das Präzipitat zweimal mit je 5 ml kalter physiologi­scher Kochsalzlösung (0,02-m. Phosphat gepuffert, ph 7,4) gewaschen und das Sediment mit FoLiN-Reagenz 19

mg TMV ■

Abb. 1. Quantitative Präzipitations-Kurve mit TMV und kon­stanten Mengen Anti-TMV-Serum. Das Antigen/Antikörper­verhältnis, das für die Präzipitationshemmungs-Tests ausge­

wählt wurde, ist durch den Punkt □ der Kurve gegeben.

13 D. H. C a m p b e l l u . N. B u lm a n , Fortschr. Chem. org. Natur­stoffe 9, 443 [1952],

14 0. K r a t k y u . B. P a l e t t a , Angew. Chem. 67, 602 [1955].15 O . K r a t k y , I. P i l z , P . J. S c h m itz u . R. O b e r d ö r f e r , Z. Na­

turforschg. 18 b, 180 [1963].

16 F. A. A n d e r e r , Biochim. biophysica Acta [Amsterdam] 71, 246 [1963].

17 F. A . A n d e r e r , Z. Naturforschg. 17 b, 526 [1962].18 F. A . A n d e r e r , Z. Naturforschg. 17 b, 530 [1962].19 0. H. L o w r y , N. J. R o s e b r o u g h , A. L. F a r r u . R . J. R a n ­

d a l l , J. biol. Chemistry 193, 265 [1951].

1012 F. A. ANDERER

quantitativ bestimmt. Mit den Kontrollen (statt 1,0 ml Peptidlösung, 1,0 ml physiologische Kochsalz-Phosphat- Lösung) wurde analog verfahren.

Für diese Hemmungsteste und für die Kontrollen wurde die Konzentration von TMV- und Anti-TMV- Serum so gewählt, daß die Bedingungen einem Punkt innerhalb der Äquivalenzzone entsprachen, der jedoch ziemlich nahe an der Grenze zum Gebiet des Antigen- überschusses lag (s. Abb. 1). Damit sollte erreicht wer­den, daß möglichst alle präzipitierenden Antikörper di­valent mit dem Antigen verbunden sind, um die Hem­mung der Präzipitinreaktion durch die Peptid-Haptene empfindlicher zu machen. Der Anteil der Antikörper im Präzipitat der Kontrollen betrug ungefähr 25 Prozent.

Ergebnisse

Partielle enzymatische Hydrolysate von denatu­

riertem TMV-Protein, die durch Einwirkung von

Trypsin, Chymotrypsin, Pepsin oder Papain erhal­

ten wurden, zeigten im Präzipitationshemmungs-

Test keinerlei Hemmeffekt. Der antigene Charakter

des TMV-Proteins ist verschwunden, wenn maximal

4 Peptidbindungen durch Einwirkung der einzelnen

Enzyme gespalten sind 3. Die in Lösung vorhande­

nen, noch relativ großen Spaltpeptide hatten auch

keinerlei Hemmwirkung auf die Präzipitin-Reaktion

von TMV und Anti-TMV-Serum.

Der Hemmungseffekt von Haptenen ist jedoch

stark von der Konzentration abhängig. Die maxi­

male Konzentration an gespaltenen Polypeptidket­

ten, die in den enzymatischen Hydrolysaten erreicht

werden konnte, betrug ungefähr 0.5 //Mol pro ml.

Das entspricht einem 60-fachen Überschuß gegen­

über der Menge der Peptide, die bei den Hemmungs­

versuchen gebunden im Virusantigen Vorlagen. Die­

ser Überschuß ist möglicherweise nicht groß genug,

um einen meßbaren Hemmungseffekt zu zeigen. Es

war daher angebracht, einzelne gereinigte Peptide

oder Gemische aus zwei bis drei Peptiden auf ihren

Haptencharakter zu untersuchen. Durch geeignete

Auswahl der Antigen- und Antiserum-Konzentration

konnte schließlich das Antigen/Hapten-Verhältnis

1 : 1000 bis 1 : 4000 erhalten werden. Dabei stellte

sich heraus, daß mehrere Spaltstücke aus der Poly­

peptidkette des TMV einen deutlichen Hemmungs­

effekt zeigten. In Abb. 2 sind von 20 geprüften Pep­

tiden, die alle Aminosäure-Positionen der Polypep­

tidkette enthalten, nur 5 Peptide aufgeführt, die die

quantitative Präzipitinreaktion zwischen TMV- und

Anti-TMV-Serum hemmten. Zwei weitere Peptide,

Position 153 — 158 und Position 151 — 158, deren

Hemmkurven nicht eingezeichnet sind, um das Dia­

gramm übersichtlich zu gestalten, verhalten sich im

Präzipitationshemmungs-Test ähnlich wie Peptid

Position 142 — 158.

Abb. 2. Präzipitationshemmung in Abhängigkeit von der Kon­zentration der Peptid-Haptene bei konstanten Mengen TMV

und Anti-TMV-Serum.

Diese im Hemmungstest wirksamen Peptide re­

präsentieren 15 — 25% der Aminosäuresequenz der

Polypeptidkette. Außer diesen Peptiden zeigten noch

die Peptide Position 114 — 122, Pos. 47 — 61, Pos.

69 — 71 und Pos. 91—92 einen geringfügigen

Hemmeffekt (maximal 5 — 10%). Da jedoch die ge­

fundenen Hemmwerte Schwankungen von ± 5% auf­

wiesen, ist anzunehmen, daß die Hemmung dieser

Peptide auf unspezifische Wechselwirkungen zurück­

zuführen ist.

Von den als Hapten wirksamen Peptiden (Pos.

18 - 23, Pos. 62 - 68. Pos. 123 - 134 bzw. 129 bis

131, Pos. 142 — 158 bzw. 153 — 158) wurden alle

möglichen Zwei- und Dreikomponenten-Gemische

hergestellt und auf ihre Hemmwirkung getestet. Mit

keinem dieser Peptidgemische konnte eine Hemmung

erzielt werden, die der Summe der entsprechenden

Hemmwerte der einzelnen Komponenten gleichkam.

Die Beurteilung der Hemmeffekte ist schwierig, da

viele der untersuchten Peptide in Lösung stark ag­

gregiert sind. Durch Messung mit der Ultrazentri­

fuge und durch Anwendung des Molekularsieb-Ver-

fahrens konnten insbesondere bei Tryptophan-halti­

gen Hexa-, Hepta- und Octapeptiden (ca. 10 «Mol/

ml) Aggregate mit Teilchengewichten von 50 000

bis 100 000 festgestellt werden. Dieses Aggrega­

tionsverhalten wirkt sich auf den Verlauf der Hem­

mungskurven aus. Typisch ist das Ergebnis mit Pep­

tid Position 142 — 158 in Abb. 2, wo die Hemmung

bei abnehmender Peptidkonzentration zuerst zu­

nimmt. denn durch die Dissoziation der Aggregate

bei der Verdünnung wird die Anzahl der wirksamen

SEROLOGISCH DETERMINANTE GRUPPEN DES TMV 1013

Haptenmoleküle vergrößert. Andere, teilweise auch

unwirksame Peptide (Peptid Position 1 —41, Pos.

1 — 10 und Pos. 17 — 23) sind in konzentrierten Lö­

sungen hoch aggregiert; Peptid Pos. 1 —41 bis zu

einem Teilchengewicht von über 100 000 20.

Diskussion

Einen starken Hemmeffekt zeigten in dem durch­

geführten Test nur die Aminosäure-Sequenzen Pos.

18-23 , Pos. 62 - 68 , Pos. 123-134 bzw. 129

bis 131 und Pos. 142 — 158 bzw. 153 — 158. Eine

Beteiligung aller hemmenden Peptide an der serolo­

gisch determinanten Gruppe bzw. am Oberflächen­

anteil der Proteinuntereinheit im TMV ist jedoch

aus sterischen Gründen nicht möglich, da im Modell

einerseits die zur Verfügung stehende Oberfläche

nicht ausreicht und andererseits (ohne die zur Ver­

fügung stehende Oberfläche zu berücksichtigen) die

Masse der Polypeptidkette an der Oberfläche des

TMV so dicht zusammengedrängt werden müßte,

daß es der ziemlich gleichmäßigen radialen Vertei­

lung der Elektronendichte im intakten Virus wider­

sprechen würde 22’ 23.

Sicher ist jedoch, daß die C-terminale Sequenz

der Polypeptidkette an der serologisch determinan­

ten Struktur des TMV beteiligt ist. Durch Unter­

suchung von H a r r i s und K n i g h t 21 ist bekannt, daß

die C-terminale Aminosäure Threonin an der Ober­

fläche des TMV liegt, da sie sich durch Carboxypep-

tidase abspalten läßt. Das so behandelte Virus und

sein spezifisches Antiserum geben eine serologische

Kreuzreaktion mit intaktem TMV bzw. dem entspre­

chenden Antiserum. Danach ist eine Beteiligung der

C-terminalen Aminosäure Threonin an der serolo­

gisch determinanten Gruppe des TMV ziemlich wahr­

scheinlich. Eine Bestätigung hierfür erhalten wir

durch die ausgeprägte Hemmwirkung der C-termina­

len Peptide, Pos. 142 — 158, Pos. 151 — 158 und Pos.

153 — 158. Ferner konnte in einer früheren Arbeit16 gezeigt werden, daß ein synthetisches Antigen mit

dem C-terminalen Hexapeptid der Polypeptidkette

20 H . F r a e n k e l- C o n r a t u. L. K . R a m a c h a n d r a n , Advances Pro­tein Chem. 14, 175 [1959].

21 J. H . H a r r i s u. C. A. K n ig h t , Nature [London] 170, 613 [1952] ; J. biol. Chemistry 214, 215 [1955].

22 D. L. D. C a s p a r , Nature [London] 177, 928 [1956].23 R. E. F r a n k l i n , A. K lu g u . H . C. H o lm e s (1957), Ciba

Foundation Symp. on the Nature of Viruses, p. 39.Churchill, London.

des TMV als determinanter Gruppe mit TMV serolo­

gisch verwandt ist, da die entsprechenden Antikörper

mit TMV präzipitieren und die Virus-Infektiosität

neutralisieren.

Auch für die Sequenz Pos. 18 — 23 gibt es Be­

funde, die auf eine exponierte Lage an der Virus­

oberfläche hinweisen und dadurch eine Beteiligung

an der serologisch determinanten Struktur wahr­

scheinlich machen. Bei der Behandlung des Virus

mit heißer Trichloressigsäure24 oder Hydroxyl­

amin 2o- 26 wird bevorzugt eine einzige labile Asp-

Pro-Bindung nahezu quantitativ gespalten, obwohl

insgesamt zwei Asp-Pro-Bindungen in der Polypep­

tidkette des TMV Vorkommen (Pos. 19 — 20 und

77 — 78 )27. Die Befunde von Braunitzer 28 weisen

darauf hin, daß die Peptidbindung zwischen Posi­

tion 19 und 20 bevorzugt gespalten wird, was durch

eine sterisch exponierte Lage an der Oberfläche des

Virus erklärt werden könnte.

Für die anderen beiden als Hapten wirksamen

Aminosäuresequenzen (Pos. 62 — 68 und 123 — 134)

gibt es vorläufig keine weiteren Kriterien für ihre

räumliche Anordnung im nativen Virus. Die Hemm-

kurven allein können hierbei nicht als entscheidendes

Kriterium benützt werden, da einerseits die absolute

Konzentrationen der Peptidhaptene wegen der Ag­

gregatbildung in Lösung nicht der Zahl der wirk­

samen Haptenmoleküle entspricht und andererseits

die Hemmwerte der einzelnen Peptide wegen ver­

schieden starker Aggregation nicht zueinander in Be­

ziehung gesetzt werden können.

Im Vergleich mit analogen Untersuchungen an

Polysacchariden und Faserproteinen hat der Präzipi­

tationshemmungs-Test mit Haptenen im System

TMV/Anti-TMV-Serum nicht die Erwartungen er­

füllt. Die maximale Hemmwirkung, die mit den ge­

reinigten Peptidfraktionen erreicht wurde, ist we­

sentlich niedriger als die maximale Hemmwirkung

der serologisch determinanten terminalen Oligo-Sac-

charide im Dextran/Antidextran-System von Kabat 29 oder der terminalen Peptide im System Seiden­

fibroin/An tiseidenfibroin von Cebra 2.

24 G. S c h ra m m u . G. B r a u n i t z e r , Z. Naturforschg. 8 b, 61[1953].

25 G. B r a u n i t z e r , Biochim. biophysica Acta [Amsterdam] 19,574 [1956],

26 L. K . R a m a c h a n d r a n u . K . N a r i t a , Biochim. biophysicaActa [Amsterdam] 30,616 [1958].

27 F. A . A n d e r e r , Z. Naturforschg. 14 b, 363 [1959].28 G. B r a u n i t z e r , Naturwissenschaften 42, 371 [1955].29 E. A. K a b a t , J. Amer. chem. Soc. 76, 3709 [1954].

1014 SEROLOGISCH DETERMINANTE GRUPPEN DES TMV

Diesem Befund können zwei Ursachen zugrunde

liegen. Das spezifische Serum gegen TMV besteht

aus einem Gemisch von Antikörpern, die jeweils ge­

gen einzelne Aminosäure-Sequenzen an der Ober­

fläche des Virus gerichtet sind, so daß immer nur

ein bestimmter Anteil der Antikörper durch ein ein­

zelnes Peptidhapten quantitativ gehemmt werden

kann, während die verbliebenen Antikörper mit

TMV präzipitieren. Dagegen spricht jedoch, daß sich

die Hemmwerte der einzelnen Peptide nicht additiv

verhalten, wenn zwei oder drei der wirksamen Pep­

tide im Gemisch als Hapten eingesetzt werden. Eine

andere Erklärung bietet sich an. wenn man annimmt,

daß die serologisch determinanten Gruppen des

TMV nicht durch einzelne Sequenzbereiche der Pri­

märstruktur gebildet werden, sondern durch mehrere

Sequenzbereiche, die in der Primärstruktur durch

andere Aminosäure-Sequenzen getrennt sind, jedoch

durch entsprechende Faltung der Polypeptidkette im

nativen Zustand räumlich eng an der Oberfläche des

Virus zusammenrücken und dadurch eine größere

Struktureinheit bilden. Der spezifisch affine Mole­

külbezirk im Antikörper müßte daher entsprechend

groß sein, was letztlich auch die Wahrscheinlichkeit

für eine unspezifische Wechselwirkung zwischen

Testpeptiden und Antikörper vergrößert. Anderer­

seits erscheint dadurch auch die relativ kleine Hemm­

wirkung der in Abb. 2 angeführten Peptide ver­

ständlich. da diese gemäß dem obigen Postulat nur

als partiell determinante Gruppen anzusehen sind.

Zur endgültigen Klärung dieser Frage müßten je­

doch weitere Kriterien, insbesondere die tertiäre

Struktur betreffend, herangezogen werden, mit

denen sich die nächste Arbeit befaßt 3.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß unter ge­

wissen Vorbehalten die Präzipitationshemmungs-

Reaktion auch bei globulären Proteinen zur Bestim­

mung der serologisch determinanten Aminosäure-

Sequenz benützt werden kann. In der vorliegenden

Arbeit konnte auf Grund der durchgeführten Unter­

suchung für einen Großteil der Peptide aus TMV-

Protein (75 — 85% der Aminosäure-Sequenz) ausge­

schlossen werden, daß sie an den serologisch deter­

minanten Gruppen des TMV beteiligt sind. Für die

endgültige Festlegung der entsprechenden Amino­

säure-Sequenzen müssen jedoch noch andere Krite­

rien herangezogen werden, wie z. B. die serologische

Untersuchung von künstlichen Antigenen mit den in

Frage kommenden Peptiden als determinante Grup­

pen, was im Falle des C-terminalen Hexapeptids aus

TMV-Protein zu einem positiven Ergebnis geführt

hat16.

Prof. Dr. G. S c h ra m m danke ich für die Förderung der Arbeit und Frl. H. v o n S c h ü t z für ihre sorgfältige technische Assistenz.