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2 Christoph Merian Stiftung (Hg.) Christoph Merian Verlag Pionierbauten im Dreispitz Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

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Herzog & de Meuron formulierten vor mehr als zehn Jahren ihre ‹Vision Dreispitz›: Ein 50 Hektar grosses Gewerbeareal in Basel-Münchenstein entwickelt sich derzeit zu einem neuen urbanen Quartier. Die Christoph Merian Stiftung hat als Grundeigentümerin einen Wandel weg vom Gewerbeareal und hin zum gemischten Stadtquartier eingeleitet. Kultur ist die dazu notwendige Triebfeder: Rund um den Freilagerplatz entsteht ein neues Quartier, belebt von Studierenden der Hochschule für Gestaltung und Kunst und bereichert durch regionale und internationale Kunst- und Kulturschaffende. Einzelne Lagerhallen und Gewerberäume werden umgenutzt und visionäre Neubauten befinden sich im Bau. Das Buch stellt die Pionierbauten vor und lässt aktuelle Nutzerinne

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Christoph Merian Stiftung (Hg.)

Christoph Merian Verlag

Pionierbautenim Dreispitz

Vom Gewerbeareal zum

Stadtquartier

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Pionierbauten im Dreispitz Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

Christoph Merian Stiftung (Hg.)

Christoph Merian Verlag

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Christian Felber

Der Dreispitz: ein neuer Stadtteil zwischen zwei Kantonen 4

André Salvisberg

Vom freien Land zum zollfreien Lager 8

Von Pionieren, Taten und Bauten: drei Interviews 16

Felix Leuppi

«Die Pionierbauten entfalten ihre Wirkung» 17

Andrea Deplazes

«Eine kluge Umsetzung» 20

Beat von Wartburg

«Ich hoffe, dass die Transformation nie beendet sein wird» 22

Die kulturelle Eroberung 26

Dreispitzhalle 51

Martina Desax

Eine Eventhalle als Katalysator und Anziehungspunkt 60

Martina Desax

Black and White 66

Oslo 73

Martina Desax

Ein Haus für die Kunst und das Gewerbe 82

Thomas Jenny

Der Weg des Radio X an die Oslo-Strasse 96

Rakete 103

Christoph Meneghetti

Der Kreativwirtschaft einen Ort und ein Gesicht geben 108

Jonathan Koellreuter

Die Rakete ist gestartet 116

Urban Farmers 127

Martina Desax

Nahrungsproduktion auf dem Flachdach 131

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Freiräume 135

Felix Leuppi

Vom Zwischenraum zum Freiraum 137

Martina Desax

Ein neuer Platz sucht seine Gestalt 144

Freilager-Platz 8 – 10 151

Martina Desax

Die Magie der robusten Schlichtheit 155

Sabine Himmelsbach

Medien, Technologie und Kunst im HeK 167

Alexandra Stäheli

Vom iaab zum Atelier Mondial 172

Guy Krneta

Schreiben im bewegten Dorf Dreispitz 182

Autorinnen, Autoren und Interviewpartner 185

Quellen- und Literaturverzeichnis 186

Bildnachweis 187

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Der Dreispitz: ein neuer Stadtteil

zwischen zwei Kantonen

Die Entwicklung eines landwirtschaftlichen Gebiets über Transporthallen zu

einem verdichteten urbanen Areal: Welche Kräfte sind dabei am Werk? Wie

kann man sie befördern und dabei dem Anspruch auf Nach haltigkeit gerecht

werden? Mit welchen einzelnen Schritten und auf der Basis welcher Bau-

werke kann eine positive Gesamtentwicklung in Gang gesetzt werden? Unter

welchen Bedingungen rechnet sich das ökonomisch?

Christian Felber

Die Voraussetzungen für die Stadtentwicklung Dreispitz hat der Basler Christoph

Merian (1800 – 1858) im 19. Jahrhundert gelegt: Er kaufte Landwirtschafts land im

grossen Stil und lebte nach der Überzeugung, dass alle Kraft aus dem Boden komme

und die Agrarwirtschaft die einzige Quelle gesellschaftlichen Reichtums sei. Äcker

und Wiesland auf dem Dreispitz vermachte er seiner Stiftung,1 und diese hat im

Laufe der Jahrzehnte weitere Parzellen dazu gekauft. 500 000 Quadratmeter Land,

das entspricht rund siebzig Fussballfeldern, sind so auf dem Dreispitz zusammen­

gekommen; und durch das Wirken der Stiftung zusammengeblieben. Die Christoph

Merian Stiftung hat einzelne Baufelder im Baurecht abgegeben und sorgt dank ihrem

Eigentum des Grundes für den Zusammenhalt. Sie steuert die Entwicklung durch

Baurechtsverträge, durch Investitionen sowie durch Dienstleistungen vor Ort. Und

sie prägt die Transformation durch Verhandlungen mit den Anspruchs gruppen, die

in der bereits dicht bebauten Umgebung sehr zahlreich sind.

Als Wegbereiterin und Motor der langfristig angelegten Entwicklung, als Grund­

besitzerin und als Investorin hat die Christoph Merian Stiftung ihre Chance genutzt.

Sie hat mit den in den letzten sechs Jahren errichteten vier Pionierbauten eine neue

Präsenz des Areals geschaffen, sie hat das Gebiet auf die Landkarte gebracht und für

eine Belebung gesorgt. Wie hat die Christoph Merian Stiftung diese Veränderungen

initiiert?

Über Jahrzehnte hat die Stiftung gute und wertschätzende Beziehungen zu den

Behörden in den beiden Kantonen Basel­Landschaft und Basel­Stadt sowie zur

Gemeinde Münchenstein aufgebaut. Diese Beziehungen halfen, als es im Jahre 2002

darum ging, mit den Architekten Herzog & de Meuron eine Vision für das Gebiet zu

erarbeiten. Der Dreispitz ist für Schweizer Verhältnisse gross und zudem in zwei

Kantonen gelegen. So war es der Stiftung von Anfang an klar, dass sie ihre Ziele

nur gemeinsam mit den beteiligten Gemeinwesen erreichen kann. Die Gemeinde

Münchenstein, die beiden Halbkantone und die Christoph Merian Stiftung bildeten

eine Planungsgemeinschaft, die nun seit über zehn Jahren am Werk ist und die die

Erneuerung dieses Areals zu ermöglichen sucht.

Diese Gemeinschaft war nicht die einzige grosse Voraussetzung: Es gelang der

Stiftung, das Gebietsmanagement, das seit fünfzig Jahren in ihrem Auftrag durch das

Finanzdepartement Basel­Stadt ausgeübt wurde, herauszulösen und zur Stiftung zu­

rückzubringen. Ohne direkten Zugriff auf das Gebietsmanagement, auf die Vergabe

von Baurechten und auf die Steuerung der Investitionen wäre die Entwicklung im

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Keime erstickt. Die Vereinfachung der Eigentums­ und Managementstrukturen bil­

dete die zweite Voraussetzung. Auch ohne direkte Beziehungen zu den rund vierhun­

dert im Gebiet tätigen Unternehmen wären die Veränderungen nicht geglückt, denn

eigene Kenntnisse der Bedürfnisse der vor Ort tätigen Unternehmen und Investoren

sind unabdingbar, um einen Stadtteil zu entwickeln. Erfahrungen zur Weiter ent­

wicklung waren ja bereits vorhanden: Städtebaulich gesehen hatte die Stiftung

Vorhaben in vergleichbarer Grössenord nung bereits in den 1950er­Jahren im Gellert­

quartier und in den 1970er­Jahren im St. Alban­Tal realisiert, wo heute die Papier­

mühle und das Museum für Gegenwartskunst angesiedelt sind.

Zu guter Letzt war aber auch bei der Christoph Merian Stiftung selber ein Um­

denken nötig: Noch um 1990 führte sie wegen Entschädigungen für Bau rechte

Prozesse bis zum Bundesgericht: Die Kultur der juristisch perfekten Verwaltung

eines Gebietes musste einer kundenorientierten Haltung weichen. Die Stiftung musste

zur Unternehmerin werden; sie musste bereit sein, Risiken einzugehen und selbstbe­

wusst in der Öffentlichkeit aufzutreten. Ohne diesen Kulturwandel wäre die Ent­

wicklung gescheitert.

Zum ökonomischen Setting

In anderen europäischen Beispielen, etwa Lyon Confluence oder HafenCity Hamburg,

kauft in der Regel die Stadt­ oder Regionalregierung ein brachliegendes Gebiet,

entwickelt es und veräussert es parzellenweise an Investoren. Die öffentliche Hand

zahlt, finanziert durch den Verkauf der Parzellen, die Erschliessung. Im besten Falle

geht die Rechnung auf. Am Schluss hat die Stadt zwar einen neuen Stadtteil, aber

keine Eigentumsrechte und keine direkten Erträge mehr. Sie kann lediglich auf

Steuern hoffen.

Im Dreispitz will die Stiftung das Land im Eigentum behalten. Im Vergleich zu

Lyon oder Hamburg fällt weiter auf, dass kein Exodus des Gewerbes stattfindet und

kaum Brachland besteht. Während der ganzen Dauer der Baumassnahmen arbeiten

rund viertausend Menschen auf dem Gebiet des Dreispitz und die Stiftung verdient

Geld. Am Ende, also nach abgeschlossener Umwandlung, erwartet sie höhere Er­

träge. Die Stiftung muss auf eine langfristige Ertragsquelle zählen können, damit sie

ihre gemeinnützigen Engagements finanzieren kann. Die Transformation des Drei­

spitz ist ein ökonomisches Projekt, das mit sozialer Verantwortung und einer städte­

baulichen Vision vorangetrieben wird.

Die Stiftung als Motor

Den ersten nennenswerten Schritt zur Realisierung des Stadtumbaus machte die

Christoph Merian Stiftung im Jahre 2005, als sie alle zwölf Gebäude der Basler Frei­

lager AG kaufte. Das war der Ausgangspunkt für den ersten Quartier plan. Dieser

trat 2009 als ‹Quartierplan Kunstfreilager› in Kraft und legte die baurechtlichen

Grundlagen für die Entwicklung eines 58 000 Quadratmeter umfassenden Gebietes

fest – dieser Teilraum des Dreispitz wird heute als ‹Frei lager› bezeichnet. Auf dieser

Basis konnte als erste Investorin die Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW

verpflichtet werden. Aber es sollte noch mehrere Jahre dauern, bis weitere Inves ­

toren Baurechtsverträge unterzeichneten. Mut und Weitsicht auf Seiten der investie­

renden Unternehmer sind nötig, wenn man sich in einem neuen Stadtgebiet ansiedeln

will. Zuvor musste die Christoph Merian Stiftung selber Pioniertaten vollbringen,

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einen Veranstaltungsort einrichten (Drei spitz halle), ein Ateliergebäude renovieren

(Oslo­Strasse 8 – 10) und so der Öffentlichkeit zeigen, dass es möglich ist, auf dem

Dreispitz auch Raum für Kreative zu schaffen. Anschliessend folgten die weiteren

Pionierbauten: Der Neubau der ‹Rakete› sowie zuletzt der verbindende Umbau der

Gebäude an der Oslo­ und Neapel­Strasse zum Ensemble Freilager­Platz 8 – 10. Die

Pionierbauten sind als Vorleistungen zugunsten räumlicher Veränderungen zu sehen,

hatten aber auch den Zweck, bei Personen, Firmen und Institutionen Neugier zu we­

cken. Damit übernahm die Stiftung erfolgreich eine Schrittmacherfunktion: Weitere

abge schlos sene Bau rechtsverträge illustrieren die Wende. Trotz der zu Beginn müh­

samen Suche nach investitionsbereiten Unternehmern und Institutionen ergab sich

nun die Situation, dass mehr und mehr Investoren auf den Dreispitz kommen woll­

ten, die Stiftung jedoch nicht alle Interessenten berücksichtigen konnte. Im Rück ­

blick kann man sagen, dass die Stiftung für ihren Mut zum Risiko belohnt wurde.

Ohne diesen Mut und die damit verbundene Kraft, selber anzupacken und die Rolle

des Vorreiters zu übernehmen, wäre die Stadtentwicklung stecken geblieben.

Überbordende Ansprüche an den Stadtumbau

Die gesetzlichen Vorschriften bei der Renovation von Gebäuden (zu Bereichen wie

Brandschutz, Energieverbrauch, behindertengerechtem Wohnen und Arbeiten) wer­

den beim Stadtumbau durch Regeln zur Mobilität, zum Lärm, zur ökolo gischen

Umgebungsgestaltung und weiterem ergänzt. Wenn zudem die Regeln zweier Kan­

tone für ein Gebiet gelten, wird es noch komplexer. Ich mache den plangenehmi­

genden Behörden keineswegs einen Vorwurf. Vielmehr sind es die gesetzgebenden

Politikerinnen und Politiker, die jedes Augenmass verloren haben. Übergeordnete

Ziele wie nachträgliche Verdichtung oder das Zusammen legen von Arbeiten und

Wohnen zur Vermeidung von Pendlerströmen werden in den Gesetzen und Ver­

ordnungen noch nicht ausreichend berücksichtigt. Besonders drastisch sind die

Schweizer Lärmvorschriften: Sie verteuern die Wohnungs­ und Schulbauten in unge­

ahntem Masse. So sind beispielsweise Fenster mit Dreifach­Verglasung und Schall­

isolation sehr kostspielig und tragen dazu bei, dass in der Schweiz kostengünstiges

Bauen verhindert wird.

Zwölf Jahre Entwicklungsarbeit auf dem Dreispitz haben mich Folgendes ge­

lehrt: Bauen im Bestand, Stadtentwicklung und ­verdichtung sind nur dann möglich,

wenn auch die beteiligten Behörden pragmatisch denken und bereit sind, zugunsten

der übergeordneten Ziele Abstriche zu machen und Ausnahmeregelungen zu ermög­

lichen.

Ökologie in der Stadt?

Man muss sich keinen Illusionen hingeben: Naturnah ist die Stadt nicht. Als die

Stiftung die Planung für den Dreispitz an die Hand nahm, fand sie betonierte und

asphaltierte Plätze vor, Strassen und Geleise versiegelten den Boden und liessen kaum

ein Unkraut spriessen. Natur kam höchstens in Pflanzenkübeln vor. Der Dreispitz

war eine abgeschottete Fläche von 500 000 Quadratmetern ohne Parks und ohne

Verbindungen zu den nahe gelegenen Grünflächen auf dem Bruderholz oder in die

Brüglinger Ebene.

Wir begannen, von kleinen Parks und Plätzen zu träumen, auf denen man sich

vom Dichtestress ausruhen kann, und von einer Fussgängerverbindung nach Brüg­

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lingen. Bald wurde klar, dass man auch Dächer und Fassaden begrünen kann, dass

aufgegebene Geleise als grüne Korridore Verwendung finden. Und es wurde uns

bewusst, dass grüne Inseln im neuen Quartier Voraussetzungen für Lebens­ und Ar­

beitsplatzqualität sind.

Landmarks auf dem Dreispitz?

Der Basler Architekt Jacques Herzog hat mir gegenüber bei der Vorstellung der

Studie ‹Vision Dreispitz› erklärt, dass er die ‹No­name­Architektur› auf dem Drei­

spitz als Qualität sehr schätze. Ihm gefielen die vielen kleinen anonymen Gewer­

bebauten, die zusammen eine eigenartig schöne Stimmung schaffen. Tatsäch lich sind

bis zu den hier in diesem Buch dargestellten Pionierbauten keine besonderen Bau­

werke festzustellen. Das Puzzle der über hundert Zweckbauten, Holzbaracken und

Geräteschuppen hat zwar einen eigenen Reiz, den es zu bewahren gilt – unter den

Gebäuden befinden sich aus architektonischer Sicht auch einige erhaltenswerte Bau­

ten –, was aber die Einzigartigkeit des Gebietes vor allem ausmacht, ist die eigenwil­

lige Anordnung der Strassenzüge. Wo gibt es ein Stadtgebiet, das dermassen viele

Strassenkreuzungen mit spitzen Winkeln aufweist? Hier hat die Güterbahn Drei ­

spitz mit ihren 15 Kilometern Schienen Spuren hinterlassen. Es sind keine grossarti­

gen architektonischen Zeichen, die Spuren der Bahn sind jedoch eine sehr genaue

Zeichnung der Grundstruktur des Gebietes. Und das scheint mir wertvoll zu sein,

durch sie verfügt das Terri torium über eine ausserordentliche Prägung und erhält ein

Merkmal, das es zu bewahren gilt. Diese Grundstruktur schafft die Identität des

Dreispitz.

Momentaufnahme

Die Vision hat Konturen angenommen, die Transformation ist spür­ und erlebbar.

Dort, wo die Grundeigentümerin mit ihren Pionierbauten für Anstösse und Bele ­

bung gesorgt hat, sind weitere Bauten und Projekte für Wohn­, Gewerbe­ und

Dienstleistungsnutzungen entstanden. Im Herbst 2014 wurden zudem die ersten von

mehreren Dutzend Wohnungen bezogen. Die vorliegende Publikation ist eine Mo­

mentaufnahme und möchte diejenigen Menschen zu Wort kommen lassen, die die

Pionierbauten ermöglichten oder sie nun nutzen, die dem Dreispitz städtisches Leben

einhauchen und Vielfalt sowie urbane Qualitäten hervorbringen.

1 Die Basis für die Aktivitäten der Christoph Merian Stiftung ist das Vermögen, das ihr von Christoph und Margaretha Merian-Burckhardt Ende des 19. Jahrhunderts in einem für die Stiftungswelt noch heute weg weisenden Testament vermacht wurde. Die Stiftung setzt sich seit 1886 für Menschen in Not, für eine gesunde Umwelt und für das kulturelle Leben in Basel ein. Den inhaltlichen Schwerpunkten der Förder tätigkeit entsprechend verteilen sich die Projekte der Stiftung auf die drei Abteilungen Sozi ales & Stadt entwicklung, Natur, Landwirtschaft & Umwelt sowie Kultur. Weitere Informationen unter www.merianstiftung.ch.

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Vom freien Land zum zollfreien Lager

Der Dreispitz hat zwei Vergangenheiten: Die ältere, die jahrhundertelange

agrarische Bodenbewirtschaftung, ist verschwunden; die jüngere, von der

nach 1900 einsetzenden industriellen und gewerblichen Nutzung geprägt,

reicht bis in die Gegenwart und Zukunft. Beide Vergangenheiten verbindet

ein gemeinsames Erbe.

André Salvisberg

Die erste detaillierte Abbildung des Dreispitz stammt aus dem Jahr 1678. Er ist hier

freies, unbebautes Land – ein Ort ohne eigenen Namen, der zum ‹Ruch velde› gehört.

name follows form – Die Matte vor der Stadt

Nur vier Jahre jünger ist der erste schriftliche Beleg für den Namen ‹Dreispitz›.1 Er

verweist auf die dreieckige Form des Gebiets, gebildet durch die Wegscheide von

Münchensteiner­ und Reinacherstrasse im Norden und einen Querabschluss im

Süden, der wahrscheinlich der ebenfalls 1678 abgebildete, heutige Leimgruben weg

war. Die so umschlossene Fläche passt gut zu einer weiteren Erwähnung aus dem

Jahr 1769, die Grösse und Verwendung des Dreispitz so beschreibt: «18 Jucharten

Matt land auf dem Drey­Spitz genannt.»2 Es handelte sich also um eine rund fünf

Hektaren3 grosse Wiese, deren Gras an Grossvieh verfüttert wurde. Wiesen und

Weiden waren damals besonders in der Nähe von Städten ver breitet, deren wach­

sende Bevölkerung und zunehmender Wohlstand einen steigenden Bedarf an Milch,

Käse und Fleisch schufen. Das Gelände dürfte sich zudem nur eingeschränkt als

Ackerland geeignet haben, woran auch der Name ‹Ruchfeld› erinnert, der ehemals

die umfassendere Gegend bezeichnete. Das ‹raue› Land war von Geröll und Lehm

durchsetzt, diente unter anderem der Kies gewinnung und musste zur intensiveren

Nutzung erst amelioriert werden, wie dies in der Brüglinger Ebene im 19. Jahrhundert

geschah.4 Dort wurde fruchtbare Erde auf geschüttet.

Das gescheiterte Landgut, das wachsende Grundstück

Vielleicht wurde auch der Dreispitz schon vor dem 19. Jahrhundert so aufbereitet,

dass die grosse Fläche als Nutzland verwendet werden konnte. Spätestens ab 1811

wurde er jedenfalls als Ackerland für den Weizen­ und Roggenanbau genutzt und als

‹Bifang› mit einer Hecke eingefasst. 5 Wohnbehausung, Brunnen und die Abtrennung

gegen das Umland weisen auf die Einrichtung eines Landguts hin. 1813 kamen dann

noch Remise, Doppelstall und eine Gipsmühle hinzu. Doch hatte diese Pioniertat

keinen dauerhaften Bestand. 1839 stand nur noch eine Scheune auf dem Grundstück,

das ein Jahr später der Grossgrundbesitzer Christoph Merian (1800 – 1858) erwarb.

Es wurde wahrscheinlich Teil des benachbarten Land wirtschafts guts Brüglingen,

das Merian 1824 als Hochzeitsgeschenk erhalten hatte. Nach seinem Tod führten als

Er ben die Witwe Margaretha Merian (1806 – 1886) und nach deren Tod die Christoph

Merian Stiftung die agrarwirtschaftliche Betriebs form weiter. 1890 wurde die Scheu ­

ne von den Pachtbauern Brüglingens und St. Jakobs als Lagerraum genutzt – sowie

als «Schlupfwinkel von Vaganten und Vagantinnen»6. Die Stiftung liess darauf ­

hin das sonst menschenleere Areal ein zäunen; zumal der Kanton 1869 zwei Pulver­

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tür me am Leimgrubenweg eingerichtet hatte.7 Während dieser Zeit, zwischen Ende

des 18. und Anfang des 20. Jahrhunderts, wurde das nun ‹Dreispitz› genannte Grund­

stück in Etappen südwärts aus geweitet. 1840 umfasste es 11 Hektaren und reichte

bis in das Gebiet des künftigen Zoll freilagers hinein. Christoph Merian tätigte wei­

tere Landkäufe, um seinen Besitz zu vergrössern und zu arrondieren.8 Dieses stück­

weise Aneinander fügen drückte sich um 1900 in der Sammelbezeichnung ‹Dreispitz­

felder›9 aus. Die letzten Eigen tums lücken im heutigen Dreispitz konnte aber erst die

Christoph Merian Stiftung um 1920 schliessen und so die Voraussetzung für ein in

sich geschlossenes Areal schaffen, das ein Schlüsselelement der Industriestadt Basel

werden und mit deren hauptsächlichen Akteuren (Bahnhöfe, Fabrikkomplexe der

Chemie, Rhein häfen) ein logistisches Netz bilden sollte.

Auf Pferdefuhrwerken in die Moderne

Das Ende des Dreispitz als Agrarland brachte die Schiene.10 Nach Inbetriebnahme

des Bahnhofs der Schweizerischen Centralbahn (SCB) 1860 zeigte sich, dass dieser

für den Frachtverkehr zu klein konzipiert war. Bereits in den frühen 1870er­Jahren

empfahlen Gutachten einen Güterbahnhof auf dem Dreispitz. Vorerst behalf man

sich mit einem Provisorium bei der St. Jakobs­Strasse. Gegen die von der SCB favori­

sierte Einrichtung von Lagerplätzen auf dem tief gelegen Rangierbahnhof Wolf

wehrte sich die Basler Handelskammer. Von dort aus hätten schwer beladene Pferde­

fuhrwerke kaum in Richtung Stadt wegfahren können, was die lokale Feinverteilung

eingeschränkt hätte. So brachte die Kantonsregierung 1898 wieder die Idee öffentli­

cher Materiallagerplätze auf dem Dreispitz auf.

Es folgten Verhandlungen zwischen Regierung, Eisenbahn und Handelskam ­

mer, in welche die Christoph Merian Stiftung erst einbezogen wurde, nachdem es im

November 1899 zu einer grundsätzlichen Einigung gekommen war. Die Regierung

benötigte von der Stiftung nun die Zustimmung zum Projekt und schrieb kurz nach

Neujahr 1900: «Wir glauben die Ansicht aussprechen zu dürfen, dass Sie grund­

sätzlich bereit sein werden, der Regierung in dieser Angelegenheit […] zu einer rich­

tigen Lösung behilflich zu sein.»11

Die Stiftung widersetzte sich nicht. Seit fünf Jahrzehnten hatte sie – und zuvor

ihr Gründer – laufend Land zugunsten der Eisenbahn verloren, deren Bedarf der

Staat sogar mittels Enteignungen durchsetzte. Sie erklärte kurz und knapp ihre Ein­

willigung.12 Dreispitzboden wurde allerdings nur im Pachtverhältnis und nur im

Norden abgegeben. Die anfänglich kurzen Vertragsfristen liessen die Skepsis erken­

nen, ob das Unternehmen reüssieren würde. Die Landwirtschaft verschwand nicht

von einem Tag auf den anderen. Noch 1955 waren rund drei einhalb Hektaren nicht

benötigtes Land an den Gutsbetrieb Brüglingen verpachtet, der jeweils den Humus

übernahm, wenn dieser für den nächsten Arealausbau abgetragen wurde.

name follows function – Das Lager zwischen den Orten

Zur Verwaltung der öffentlichen Materiallagerplätze und des Bahnbetriebs auf dem

Dreispitz beschloss das baselstädtische Parlament Anfang 1901 ein selbstständiges

Unternehmen einzusetzen. Dieses wurde zwar vom Kanton geführt, dessen Rech­

nungslegung blieb aber gesondert von der übrigen Verwaltung. Der Lagerplatzver­

walter nahm seine Arbeit am 1. April 1901 auf. Die Höhe der Abgaben an die Stiftung

gab Anlass zu wiederholten Streitereien. Auf die Absicht der Regierung, den kanto­

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Georg Friedrich Meyer (1645–1693), ‹Geometrischer Grundriss des Bratteler Muttentzer und Mönchen-steiner Banns›, 1678 (Ausschnitt). Die Karte ist nach Süden ausgerichtet. Das ‹Ruchvelde› erstreckt sich auch über den künftigen Dreispitz. Man erkennt neben dem Basler Wappen die Gabelung der zwei Strassen, die nach Reinach und Münchenstein führen und knapp diesseits der Grenze des Basler Banns vom Leimgruben weg gequert werden.

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Situationsplan Dreispitz, 1911, gemäss erneuertem Pachtvertrag zwischen Regierung und Stiftung. Die blauen und grünen Flächen zeigen zu unterschied-lichen Preisen verpachtete und genutzte Teilareale. Die grüne Fläche ist für Arealerweiterungen reserviert. Farblich markiert ist rund die Hälfte des heutigen Dreispitz. Die Arealentwicklung erfolgte über fünf Jahr - zehnte hinweg vom blauen über den roten zum grünen Bereich und darüber hinaus. Am Leim gruben-weg sind noch die zwei Pulvertürme eingezeichnet.

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nalen Werkhof auf das Gelände zu verlegen, bemerkte die Stiftung, dass sie das

«Dreispitzareal im Interesse des Handelsstandes und nicht für Verwaltungszwecke

dem Staate zur Verfügung gestellt»13 habe. Um diesem Handelsstand entgegenzu­

kommen, wurden die Pachtzinsen wegen der Konkurrenz der Lagerplätze beim

neuen Badischen Bahnhof im Jahr 1911 reduziert. Das Betriebsareal umfasste zuerst

7 und wuchs dank weiterer Ver pach tungen bis in die 1930er­Jahre auf 30 Hektaren

an. Seine volle Ausdehnung von 50 Hektaren mit 20 Kilometern Gleisen erreichte es

nach dem Zweiten Welt krieg in den 1950er­Jahren. (Eine bereits 1922 grundsätz lich

gutgeheissene Erweiterung auf 90 Hektaren blieb Utopie.)14 Das ummauerte Spezi al­

areal des Schweizerischen Hauptzollamtes Zollfreilager Basel­Dreispitz wurde am

4. Juli 1923 von der Basler Freilager­Gesellschaft im Vertragsverhältnis mit der eidge­

nössischen Oberzolldirek tion in Betrieb genommen, nachdem die Einrichtung eines

Basler Freihafens erfolglos erwogen worden war.15 An der Genossenschaft, die auf­

grund des revidierten Obli gationenrechts 1940 in die Basler Freilager AG umgewan­

delt wurde,16 hatten neben Privaten auch die beiden Basler Kantone Anteile.

Das Freilager diente zwecks Handelserleichterung dazu, Waren zollfrei zwischen­

zulagern und wieder zu exportieren. Die administrativen Kosten konnten so mini­

miert werden. Das Zollfreilager hatte nicht nur funktionell eine besondere Bedeutung,

mit ihm wurde erstmals die Kantonsgrenze übersprungen. Das geschah gegen den

Willen der Gemeinde Münchenstein, welche die Lebensqualität ihrer Wohnkolonien

im Ruchfeld – Pionierleistung traf auf Pionierleistung – durch eine nahe Industrie­

anlage beeinträchtigt sah. Diese Sorge trieb die Nachbar gemeinde bei den noch

folgenden Arealausbauten bis in die 1950er­Jahre um.17 Wie beim Basler Gundel­

dingerquartier schob sich das Dreispitz als Riegel vor die Siedlung. Ein Zusam ­

men wachsen der Stadt mit ihrem Vorort, was weiter nördlich in den Fällen von

Binningen und Allschwil eintrat, kam dadurch nicht zustande.

Weiterentwicklung, Ende und Neuanfang

Am Freilager lässt sich beispielhaft die wirtschaftliche Entwicklung des Dreispitz ab­

lesen. Bereits im ersten Betriebsjahr waren alle Lagerflächen ausgebucht, und Miet­

gesuche mussten zurückgewiesen werden, sodass bereits im zweiten Jahr die drei

Betriebsgebäude (das Zollbüro, das Zollfreilager und die Lagerhalle) um ein Lager­

haus ergänzt wurden. Ein weiteres Lagerhaus folgte 1934. Erst ab 1935 beeinträch­

tigte die 1929 eingebrochene Weltwirtschaft den Betrieb massiv.

In den nächsten zehn Jahren, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs,

ging der Warenverkehr trotz der Pflichtlager zur Landesversorgung auf ein Drittel

des Maximums von 1932 / 33 zurück. Militärische Befestigungen, die kriegs wirt­schaftliche Beanspruchung des Fuhrparks und Transportrestriktionen für die Eisen­

bahn trugen das ihre zum schlechten Geschäftsgang bei. Aber schon im ersten

Nachkriegsjahr steigerte sich der Betrieb wieder auf mehr als das Drei fache des letz­

ten Kriegsjahres. Der eigentliche Nachkriegsboom setzte Mitte der 1950er­Jahre ein.

Das Freilager folgte dem konjunkturellen Auf und Ab, wobei das Areal seit der

Eröffnung des Transitlagers 1969 weitgehend ausgebaut war. Ab Mitte der 1980er­

Jahre zeichnete sich die Liberalisierung der Verzollungs formalitäten ab. Die klassi­

schen Zollfreilager an den schweiz erischen Grenzen gerieten unter strukturellen

Druck, der durch die allgemeine Wirtschafts krise der 1990er­Jahre so zunahm, dass

der Basler Standort nach der Jahrtausendwende schliesslich aufgegeben wurde.18

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Luftaufnahme Freilager Richtung Westen, 1925. Das in der Mitte liegende Zollfreilagergebäude (heute Oslo-Strasse 1–5) hat noch nicht seine volle Länge erreicht. Am linken Bildrand ist ein heller Neubau (heute Freilager-Platz 9–10) zu erkennen, noch fehlt dessen Fortsetzung. Auf dem künftigen Freilager- Platz sind zahlreiche Frachtbehälter platziert. Im Drei - spitz hat sich nach zwei Jahrzehnten Betrieb bereits ein Wildwuchs von Lagerschuppen und Lagerflächen etabliert, der wesentlich zu zwei Grossbränden 1943 und 1945 beitrug.

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Vom Pachtvertrag zum Baurechtsvertrag

Die rund hundert Jahre staatlicher Dreispitzverwaltung lassen sich in zwei etwa

gleich lange rechtliche Phasen gliedern. Von 1900 bis 1955 bildete der Pacht vertrag

zwischen Regierung und Stiftung mit Verlängerungen und Ergänzungen die Grund­

lage für den Betrieb. Einzige Ausnahme war der Baurechtsvertrag für das Areal des

Zollfreilagers. Für das Baurecht entschied man sich dort, da umfangreiche Bauten

errichtet werden mussten, und nur mittels dieser Rechtsform die nötigen In ves­

titionskapitalien zu erhalten waren. Ende der 1940er­Jahre begann die Diskussion

über eine umfassende Beendigung des Pachtmodells auf dem Dreispitz. Die im Lauf

der Jahrzehnte unübersichtlich gewordenen Pacht­ und Mietsverhältnisse wurden

am 12. April 1955 von einem Baurechtsvertrag zwischen Stiftung und Einwohner ­

ge meinde abgelöst, womit die zweite Phase begann. Zu diesem Systemwechsel zwan­

gen unter anderem schärfere Bauvorschriften, die nun auch hier den angesiedelten

Betrieben kostspieligere Niederlassungen abverlangten, wofür ein Baurechtsver­

hältnis wie schon beim Freilager geeigneter war.19 Auch die Übernahme des Dreispitz

durch die Christoph Merian Stiftung war damals Thema. Der Ratschlag von 1955

zum neuen Baurechtsvertrag betonte aber, dass die Christoph Merian Stiftung «sich

nicht mit dem Gedanken trägt, die Materiallagerplätze des Dreispitzareals in die

eigene Ver waltung zu übernehmen, da eine solche Tätigkeit nicht in ihrem Auf ga­

benbereich liegt».20 Die Eigen ständigkeit der Dreispitzverwaltung war sehr gross, die

Entwicklung des Areals und die Platzierung der Firmen folgten einer kaum gelenkten

Eigendynamik. Dies änderte sich nach der Jahrtausendwende mit den Neu erungen an

Besitzverhält nissen, Verwaltungsstruktur und Arealnutzung. Die Stiftung, die schliess ­

lich doch die Verwaltung an sich zog, nahm diese Neuerungen unter dem program­

matischen Projektnamen ‹Kunstfreilager› in Angriff. Damit war der Impuls gesetzt

für die Transformation des Dreispitz: Der heute als ‹Freilager› bezeichnete Raum

stand nun für eine pionierhafte Neunutzung offen.

1 «zwo Jucharten uffin Letten, so ein dreÿspitz und der Kùche Acker Genanth». Freundlicher Hinweis der Orts- und Flurnamenforschung Basel-Stadt an der Universität Basel.

2 Huck 2006, S. 65.3 1 Juchart entspricht 0,2836 Hektar.4 Geering 1908, S. 138.5 Huck 2006. Archiv der Christoph Merian Stiftung: Geometer Siegfried, «Reductions-Plan», 1839.6 Zitiert nach Winkler 1986, S. 115.7 Die Türme wurden kurz nach 1911 entfernt.8 Winkler 1986, Pläne S. 55, 57, 59.9 Verwaltung 1951, S. 5.10 Zur Gründung der Materiallagerplätze auf dem Dreispitz vgl. Verwaltung 1951, S. 4 – 10.11 Schreiben des Regierungsrats an die Stiftung vom 8. Januar 1900. Archiv der Christoph Merian Stiftung,

E.10.01.099.07.12 Protokoll der Stiftungskommission 1886 – 1904 / 05, S. 238 – 240. Archiv der Christoph Merian Stiftung,

B.02.02.003.13 Brief der Stiftungsverwaltung an die Stiftungskommission vom 11. Mai 1904. 1918 kamen dann doch

Werkstätten für den Unterhalt von Pferdefuhrwerken am Leimgrubenweg zustande. Heute sind dort Regiebetriebe des Bau- und Verkehrsdepartements. Archiv der Christoph Merian Stiftung, E.10.01.099.07.

14 Verwaltung 1951, S. 49; Winkler 1986, S. 119.15 Zum Freilager vgl. Verwaltung 1951, S. 15 – 17.16 An die Stelle des anteilsmässigen Stimmrechts trat bei den Genossenschaften das Stimmrecht pro Mitglied,

was eine Beschneidung bedeutete und die Rechtsform der Aktiengesellschaft nahe legte. Auch die Basler Schleppschifffahrtsgenossenschaft wandelte sich damals zur Schweizerischen Reederei AG um.

17 Winkler 1986, S. 119.18 Zur wirtschaftlichen Entwicklung vgl. Basler Freilager-Gesellschaft 1923 ff. 19 Zur Neuordnung der Dreispitz-Nutzungsverhältnisse vgl. Winkler 1986, S. 120 – 121.20 Regierungsrat Ratschlag 5129, S. 13.

Page 16: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier
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16

Von Pionieren, Taten und Bauten:

drei Interviews

Was in anderen Städten hoffnungsvoll als Motor für Transformation ins ta l-

liert wird, steht auch im Dreispitz im Fokus: Kunst und Kultur als Vorreiter

der Stadtteilentwicklung. Von grosser Bedeutung waren und sind hier die

vielfältigen Rollen der Christoph Merian Stiftung – sie ist alleinige Grund-

besitzerin, aktiv im Immobiliengeschäft und gewichtige Kulturförderin zu-

gleich. Unter ihrem Dach waren die Logik der Immobilienbewirtschaftung

und die Risikobereitschaft des Kulturbetriebs bereits vereint. Dadurch blie-

ben zwar Diskussionen um Ziele und Vorgehen nicht aus, sie waren aber

letztlich notwendig und produktiv.

Die Gespräche führte Dominik Büchel.

Page 18: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

17

«Die Pionierbauten

entfalten ihre Wirkung»

Felix Leuppi ist Leiter Immobilien der Christoph Merian Stiftung.

Herr Leuppi, was zeichnet den Dreispitz aus?

Das 500 000 Quadratmeter grosse Industrie­ und

Gewerbeareal liegt zu gleichen Teilen auf basel­

städtischem Grund und auf dem Boden der Gemeinde

Münchenstein im Kanton Basel­Landschaft. Inner ­

halb der Agglomeration ist der Dreispitz ein Binde­

glied zwischen dem städtischen, dicht besiedelten

Gundel dingerquartier und den Siedlungs gebieten des

Birstals. Die Nordspitze ist nur einen Kilometer

vom Basler Bahnhof SBB entfernt. Es ist also ein weit ­

läufiger Flecken Agglomeration, der auch als Schar ­

nier zwischen Kernstadt und Agglomerationsgemein­

den räumlich bedeutsam ist. Notabene ein Raum,

der intensiv genutzt wird; in rund vierhundert Betrie­

ben arbeiten über viertausend Beschäftigte. Tausen­

de von Kunden und Kundinnen nehmen die Verkaufs­

einrichtungen und Dienstleistungen jeden Tag in

Anspruch. Sie sehen, wir reden hier von einer Trans­

formation in dichtem Bestand und bei laufendem

Betrieb.

Woher kam der Anstoss, dieses als Gewerbe-

und Lagerareal eigentlich funktionierende Gebiet zu

transformieren?

Es ist unser ehrgeiziges Vorhaben, der Agglomera ­

tion Basel einen urbanen Teilraum zu geben, der als

geschlos senes Gewerbe­ und Industrieareal nach

innen gerichtet zwar funktionierte, aber nicht mit

den umliegenden Quartieren vernetzt war und

zugleich deutliche Anzeichen eines Strukturwan­

dels aufwies, wie den Wegzug von Logistikunterneh­

men. Dank Nach verdichtung und Mischnutzung

werden über tausend Wohnungen erstellt, und die

Anzahl der Ar beits plätze wird mindestens ver dop­

pelt. So entsteht ein neuer Stadtteil, der dank

dichterer Nutzung höhere Wertschöpfung ermög­

licht.

Dann ist die Transformation des Dreispitz also ein

ökonomisches Projekt?

Mein Arbeitgeber ist eine Stiftung, die gemäss den

klaren Vorgaben des Stifters soziale und kulturelle

Vorhaben fördert. Das Geld dazu muss aber erst

verdient werden. Ein beträchtlicher Teil des Stiftungs­

vermögens ist in Land und Bauten angelegt. Dieser

Teil des Portfolios besteht aus 900 Hektaren Land,

340 Baurechtsgrundstücken und über 3000 Miet ob jek­

ten. Immobilien verwaltung und Arealentwicklung

ist bei uns deshalb immer auch Vermögensverwaltung

und hat deren Logik zu gehorchen. Das ist zentral

für das Weiterbestehen der Stiftung. Wir investieren

längerfristig gesehen in die Entwicklung der Agglo­

meration Basel.

Kann ein Areal dieser Grösse integral betrachtet,

geplant und transformiert werden?

Die Grösse des Areals ist eine der Herausforderungen.

Zudem sind fast alle Flächen im Baurecht vergeben.

Viele dieser Baurechtsverträge laufen erst im Jahr 2053

aus. Überdies machen uns die Unterschiede zwischen

den rechtlichen Grundlagen der beiden Kantone das

Leben nicht immer einfach, auch wenn sich die Ko ope ­

rationskultur in den letzten zehn Jahren stetig ver­

bessert hat. Es war ein Glücksfall, dass wir 2005 mit

den Liegen schaften der ehemaligen Freilager AG

eine Art Réserve du Patron für die Arealentwick lung

erwerben konnten. So konnten wir uns Hand lungs ­

spielraum verschaffen: Mit dieser Investition arron­

dierten wir unseren Liegenschaftsbesitz in jenem

Perimeter, den Herzog & de Meuron in ihrer Unter­

suchung ‹Vision Dreispitz› als ‹Campus des Bildes›

be zeichnet hatten und der zum zentralen Herzstück

der Transformation werden sollte. In der Studie

war übrigens schon 2003 die Rede davon, dass sich

die ehemaligen Gebäude des Freilagers als Zeit­

zeu gen in fast idealer Weise zum Hochschul standort

eig neten. Heute ist dort die HGK [gemeint ist die

Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW] zu ­

hause. Die Vision wurde Realität.

Und aus dem ‹Campus des Bildes› wurde dann

das ‹Kunstfreilager›?

Wir reden heute vom ‹Freilager›, aber es war tat­

sächlich so, dass wir uns zuerst auf diesen Teilraum

des Dreispitz mit einer Fläche von rund 58 000 Qua ­

drat metern konzentrierten. Dorthin sollte nämlich

die bisher auf sechs Standorte verteilte HGK ziehen.

Page 19: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

18

Das war für uns Anlass genug, gemeinsam mit dem

Bau departement des Kantons Basel­Stadt 2006

einen zweistufigen Wettbewerb auszurichten. In der

ersten Stufe sollten städtebauliche Konzepte und

Vorschläge für die Freiräume erarbeitet werden, die

dann als Basis für einen Quartierplan für das Kunst­

freilager dienen sollten. In der zweiten Stufe, für die

noch 6 der ursprünglich 26 Büros qualifiziert waren,

sollte dann ein schlüssiges Gesamtkonzept für den

Perimeter sowie ein Projektvorschlag für die HGK

erstellt werden.

Hat sich der Aufwand gelohnt?

Ich bin überzeugt vom Wert qualitätssichernder Ver ­

fahren. Die Resultate des Wettbewerbs, die im

Dezember 2007 vorlagen, waren wegweisend für die

weitere Umsetzung. Der darauf basierende Quartier­

plan Kunstfreilager wurde in enger Zusam menarbeit

mit der Gemeinde Münchenstein aus gearbeitet und ist

seit März 2009 rechtskräftig – er hat Geltung für

5,8 Hektaren, also für etwas mehr als 10 Prozent des

Dreispitz. Er ist eine wichtige Grund lage für die

Transformation dieses Teilraums, da er Rechtssicher­

heit schafft, die wir in dieser Art noch nicht für alle

anderen Räume des Dreispitz erlangt haben. Die zwei

Erstplatzierten der zweiten Stufe, Morger + Dettli

Architekten aus Basel sowie Müller Sigrist Architekten

aus Zürich, wurden mit der Projektierung und Aus­

führung des Neubaus für die HGK (Morger + Dettli

Archi tekten) sowie der Sanierung des benachbarten

ehemaligen Zollfreilagergebäudes (Müller Sigrist Archi ­

tekten) betraut, die seit September 2014 ebenfalls

von der HGK genutzt werden. Dank dem Wettbewerb

machten wir auch bei der Freiraum planung grosse

Schritte, und last but not least inspirierten uns die

Wettbewerbsbeiträge, sodass wir 2008 die Möglichkei­

ten zur Umnutzung weiterer Liegen schaften mittels

einer Machbarkeitsstudie von Bearth & Deplazes

Archi tekten ausloten liessen.

Und wo finden nun die Pionierbauten in dieser

Geschichte ihren Platz?

Die Gebäude Oslo­Strasse 8 – 10 sowie Freilager­Platz

8 – 10 entwickelten sich praktisch direkt aus der er ­

wähnten Machbarkeitsstudie, mit Zwischen­ und Rück ­

schritten. Bei der Dreispitzhalle war das Vor gehen

etwas unabhängiger von der baulichen Ent wicklung

im Freilager; da ging es uns darum, neue Bevölke­

rungsgruppen auf den Dreispitz zu bringen, Adress­

bildung zu betreiben und einen Raum für krea tive

Wegbereiter und Wegberei terinnen zur Verfügung zu

stellen. Die Rakete schliesslich liegt gar nicht im

Perimeter des Freilagers, sie trägt aber aufgrund ihrer

Position an einer vielbefahrenen Kreuzung sowie in

unmittelbarer Nähe der S­Bahn­Station Dreispitz viel

dazu bei, dem neuen Dreispitz ein Gesicht zu geben.

Ausserdem ist die Rakete Wirtschaftsförderung im

besten Sinne.

Sie haben Rückschritte bei den beiden Gebäu den

an der Oslo-Strasse erwähnt. Was meinen Sie

damit?

Die Architekten Bearth & Deplazes haben uns ein

inspirierendes Projekt für einen Neubau an der Stelle

der alten Lagerhallen vorgelegt. Dort hätte auch

das Kunsthaus Baselland eine neue Heimat finden

können. Es gelang uns aber nicht, dieses Projekt

zu realisieren und wegen der langen Verhandlungen

mit dem Kunst haus Baselland haben wir dort auch

Zeit verloren. So konzentrierten wir uns anschliessend

auf den Umbau des Gebäudes Oslo­Strasse 8 – 10

und liessen für das südlich davon liegende Gebäude

am Freilager­Platz 8 – 10 eine neue Machbarkeits ­

studie erstellen. Wir übernahmen das Zepter wieder

alleine, um schneller vorwärts zu kommen. Wenn

ich das Ensemble heute betrachte und die neuen räum ­

lichen Zusammenhänge und die Nutzungsüber­

schneidungen mit den umgebenden Bauten berück­

sichtige, komme ich zum Schluss, dass wir auch

im zweiten Anlauf viel erreicht haben.

Wie beurteilen Sie das Verhältnis von Kosten

und Ertrag bei den angesprochenen Pionierbauten?

Ich muss das grundsätzlich beantworten, denn

die Bauten werden unterschiedlich genutzt und es

bestehen nicht überall die gleichen Bedingungen.

Zusammenfassend kann man sagen: Aus Sicht der

Immobilienentwicklung hat sich der Aufwand

gelohnt, wir haben erfolgreiche Promotion für den

Standort betrieben und konnten Personen und

Institutionen, welche die Initiative ergreifen, den Weg

auf den Dreispitz ebnen. Nicht zuletzt haben wir

dank den Anlässen und Institutionen, die in unseren

Pionierbauten wirken, die Neugier auf das Areal

Page 20: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

19

geweckt. Wir haben auch Fortschritte bei der Signa­

letik und der Beleuchtung gemacht, auch wenn in

diesem Bereich noch viel zu tun bleibt. Dank den neuen

Nutzungen steht die Umstellung auf einen 24­Stun den­

Betrieb bevor, da müssen wir bei der Orientierung und

Sicherheit noch zulegen.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Entwicklung

der letzten Jahre?

Die wichtigste Erkenntnis ist, dass unser Top­down­

Ansatz, durch Pionierbauten den Trans formations­

prozess auszulösen, funktionierte. Das gelang jedoch

nur, weil wir über die Gebäude verfügten, Kontakte

zu Künstlern und Künstlerinnen sowie kulturellen

Ein richtungen hatten und die wirtschaftliche Kraft

besassen, diese auch zu unter stützen. Sehr wichtig ist

sicher auch, dass wir hohe Ansprüche an die Quali ­

tät der Planung und der Ausführung hatten und diese

durchsetzen konnten. Wir haben uns die Zeit genom­

men, gute Entscheidungs grundlagen zu erarbeiten.

Dass wir uns selber nicht unnötig unter zeitlichen

Druck gesetzt haben, ist auch im Standortmarketing

ein Vorteil. Die potenziellen Investoren spüren, dass

wir die Entwicklung des Dreispitz sorgfältig und

nicht überhastet vorantreiben wollen. Das schafft Ver ­

trauen. Eine solche Vertrauensbasis ist un bedingt

nötig, denn viele Investoren werden schnell unsicher,

wenn ihre Energie und Mittel nicht in Standard pro­

dukte an etablierten Lagen fliessen sollen.

Schlägt sich dieses Vertrauen denn auch in neuen

Baurechtsverträgen nieder?

Wir spüren das Vertrauen der Investoren sehr deut ­

lich; das Freilager findet viel Anklang. Fast gleich­

zeitig mit dem letzten Pionierbau Freilager­Platz

8 – 10 waren am Freilager­Platz 7 der Neubau von

Herzog & de Meuron mit deren Archiv und 41

Wohn ungen bezugs bereit. Der Umbau des benach­

barten, ehemaligen Transitlagers in ein Wohn­

und Geschäftshaus hat begonnen, die Pläne kom­

men vom dänischen Architekten Bjarke Ingels

(BIG). Zudem wird das schutzwürdige ehe malige

Lagergebäude an der Helsinki­Strasse 7 durch

die Archi tektur Rolf Stalder AG für Wohn­ und

Geschäfts zwecke umgebaut. Und am nörd lichen

Ende der Oslo­Strasse bauen die Architekten

Zwimpfer & Partner einen Neubau für Gewerbe,

Wohnen und Büros. Auch an anderen Orten im ganzen

Dreispitz wird geplant und geprüft. Die Pionierbauten

entfalten ihre Wirkung; wir können sehr zufrieden

sein.

Page 21: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

20

«Eine kluge Umsetzung»

Andrea Deplazes ist Partner von Bearth & Deplazes Architekten.

Sie arbeiteten bereits 2006 in der Jury des Wettbe-

werbs zum Kunstfreilager / HGK mit, und Ihr Büro

war anschliessend an der Projektierung der Pionier-

bauten an der Oslo-Strasse beteiligt. Was zieht

Sie am Dreispitz an?

Der Umstand, dass alles in der Hand eines einzigen

Eigentümers ist, der eine übergeordnete Idee über die

Erzielung einer Rendite hinaus hatte, war attraktiv.

Das Gelände und der Gebäudebestand sind einzigartig.

Eine so konsequent auf die Logistik ausgerichtete

Erschliessung findet sich sonst fast nur in Hafengebie­

ten. Auch mir als Aussenstehendem wurde rasch klar,

dass der Dreispitz bis vor zehn Jahren als städtische

Enklave wahrgenommen wurde. Wahrscheinlich war

es dieser Reputation zu verdanken, dass noch keine

schützende Hand über die Gebäude substanz gehalten

wurde. Da zeich nete sich also auf verschiedenen

Ebenen ein spannendes Vorhaben ab, bei dem unser

Büro gerne mitwirkte.

Wie stehen Sie zu der übergeordneten Idee des

Wandels vom Logistik- und Gewerbeareal zu einem

städtischen Quartier?

Wir fanden es eine famose Idee, dass sich die Christoph

Merian Stiftung dazu aufmachte, etwas Seltenes zu

realisieren und auch die Risiken in Kauf zu nehmen.

Das verdiente damals fast ein wenig Bewunderung.

Die Eigenheiten des Raumes und seine Position im

Agglomerationsgefüge waren Erfolg versprechend für

den Wandel zum Stadt quartier. Es war für uns auch

eine Frage der Masse: Wäre ein grosser Wurf not ­

wendig, wäre ein Leucht turm­Vorhaben die gute

Wahl? Für uns war die Priorität klar: Es gehört Leben

auf den Dreispitz. Im Freilager, wo die Transfor­

mation ihren Anfang nahm, waren gewisse Bauten im

Quartierplan als erhaltenswert eingestuft worden.

Also musste aus dem Bestand heraus agiert werden.

Das war die grosse Chance für die Kultur, da sich

andere Nutzungen auch unter kommerziellen Gesichts­

punkten kaum realisieren liessen. Wir hielten uns

bei der Abklärung der Machbarkeit und dann auch

beim Umbau an der Oslo­Strasse an die Maxime, dass

kein einzigartiger architektonischer Wurf gebraucht

wird, sondern eine kluge Umnutzung der Bestands­

bauten. Nur so konnten die kulturellen Nutzungen in

die Gegebenheiten des Ortes eingebettet werden. Es

war eine dankbare Aufgabe, denn Lagerhäuser sind ja

eigentliche Archetypen baulicher Strukturen: grosse

Geschoss flächen möglichst ohne Wände. Da kann fast

jedes Raumprogramm abgefüllt werden. Ein eigen­

ständiger Entwurf ist nicht notwendig. Diese Haltung

war für uns bei der Projektierung des Gebäudes

Oslo­Strasse 8 – 10 leitend, zumal auch viele Bedürfnis­

se künftiger Nutzer und Nutzerinnen zu berücksich­

tigen waren. Mit einfachem Ausbau standard konnten

wir die Umbaukosten niedrig halten, sodass die

Flächen für kulturelle Nutzer erschwinglich blieben.

Wie beurteilen Sie die Rolle des Grundeigentümers

und Entwicklers Christoph Merian Stiftung?

Die Stiftung hatte eine noble, herausfordernde Rolle –

und die hat sie vermutlich heute noch. Manch mal

etwas verhalten, manchmal forscher, hat sie stets mit

Akribie nach Lösungen gesucht. In einer geduldigen

Gesprächskultur wurde mancher Kompromiss erarbei­

tet. Das führte hin und wieder zu Verzögerungen und

Pausen. Ich habe der Stiftung teilweise auch etwas

mehr Mut zur Haltung eines freundlichen Diktators

gewünscht. Vielleicht wären so hier und da noch

etwas unkonventionellere Ideen oder provozierende

Gedanken in Richtung der beiden Kantone und

der Gemeinde Münchenstein zu vernehmen gewesen.

Ich muss aber auch den Spagat erwähnen, den die

Christoph Merian Stiftung vollführen musste, und

immer noch muss, zwischen der Ökonomie und den

schönen Dingen im Leben. Der ist ihr relativ gut

gelungen.

Können Sie die Wirkungen der Pionierbauten

beurteilen?

Sie haben viel zu einer veränderten Wahrnehmung bei ­

getragen haben, die dem Dreispitz mehr Dynamik,

der Christoph Merian Stiftung starken Gestaltungswil­

len und den bereits dort wirkenden Menschen und

Unternehmen mehr Respekt zuspricht. Die Agglome­

ration hat begonnen, auf diesen Raum zu zählen.

Ansonsten formuliere ich einige Anforderungen an

Pionierbauten und überlasse die Einschätzung, ob

diese hier erfüllt werden, anderen. Solche Bauten sind

Page 22: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

21

immer als Teil eines Quartiers und nicht als Objekte

zu entwerfen. Sie sollten auf bekannte Gestaltungsele­

mente setzen und in erster Linie im Dienste der an ­

ge strebten Nutzung stehen. Sie müssen den Menschen,

die sie bespielen und nutzen, Freiheiten geben

und gleichzeitig den Status des vorreiterhaften und

risiko reichen Wirkens betonen. Sie sollten deutlich

lesbar sein, und öffentliche Nutzungen sollten als

solche er ken ntlich sein. Der Mensch muss der Mass­

stab sein, denn solche Bauten sind auf Emotionen

auszurichten und nicht auf rational vertretbare Posi ­

tionen. Mir kommt aber noch etwas ganz anderes

in den Sinn: Neben den Interventionen der Pionier­

bauten entstand am Freilager­Platz ein neues Span­

nungsfeld, das dem Dreispitz viel Leben bringen

wird: Mit der HGK von Morger + Dettli auf der

einen Seite und dem Archiv­ und Wohngebäude von

Herzog & de Meuron auf der anderen erhält der

Freilager­Platz zwei Pole, die neue Beziehungen

schaffen. Genau dort wurden die ersten Wohnungen

bezogen, dort lassen sich nun Menschen nieder,

die sich den Ort in einer bisher noch nicht dagewe­

senen Art aneignen werden: Als Bewohner innen

und Bewohner.

Aber die Orientierung im Dreispitz ist nicht

einfach. Wird so nicht die Aneignung erschwert?

Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in

der Lastwagen, Züge, Autos, Motorräder, Velos

und – noch wenige – Fussgänger die engen Ver­

kehrsräume gemeinsam nutzen müssen. Das ist nicht

einfach. Der Dreispitz hat jedoch eine sehr grosse

Chance: Die Struktur der Aussenräume entspricht fast

einer modernen Altstadt: enge Strassenräume mit

ab rup ten, unübersichtlichen Verzweigungen, unter­

schiedliche Fassaden und Gebäudehöhen sowie

Viel falt der Nutzungen. Der Dreispitz ist gerade des ­

halb trotz seiner Geschichte als Logistikstandort

prädestiniert für Fussgänger. In den Gebieten ausser­

halb der reinen Arbeitsgebiete könnte der Fuss­

gängerverkehr gefördert werden. Wenn sich gleichzei­

tig das Angebot diversifiziert und erweitert – mit

Läden, Gastronomiebetrieben, Freizeiteinrichtungen,

Begegnungsorten oder Aus sichtspunkten – dann

ist auch die Orientierung kein Problem mehr: Wo

die Aufenthaltsqualität hoch ist, verlaufen sich die

Menschen gerne. Orientierungslosigkeit in einem

dichten und farbigen Labyrinth, das reich an Anreizen

zum Schauen, Kaufen, Verweilen oder Flanieren ist,

ist ein urbanes Erlebnis par excellence.

Welche Prognose stellen Sie für das Gelingen der

Transformation?

Trotz des Unbehagens, eine vielleicht als etwas vor ­

laut empfundene Ferndiagnose zu stellen, nenne ich

einige Faktoren, die dem guten Verlauf der weiteren

Ent wick lung Vorschub leisten können: Die stadt­

räumliche Struktur bietet eine fast optimale Ausgangs­

lage; die Massstäbe und die Typologie der Bauten

sowie der Stadtkörper gründen in einer Vergangenheit,

die respektiert werden muss. Es sind weitere Initial­

mass nahmen der Grundbesitzerin nötig. Nur das Eis

zu brechen, genügt nun nicht mehr; die Stiftung muss

ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht in die

Waagschale werfen. Ein wichtiger Meilenstein wäre

erreicht, wenn die Christoph Merian Stiftung weitere

Wirtschaftsträger aktivieren könnte. Wird eine kriti­

sche Masse an Vitalität erreicht, entwickelt sich eine

Eigendynamik. Wird in der Kommunikation noch

stärker auf die Macht der Bilder gesetzt, werden sich

mehr und mehr Menschen angezogen fühlen, es

entsteht so etwas wie der ‹Adabei­Effekt›. Vergessen

wir nicht: Bisher kannte der Dreispitz Nutzer, Nutze­

rinnen, Beschäftigte, Besucher, Zulieferer, Trans­

porteure oder Lageristen: Seit Kurzem – und das ist

ein Novum in der Geschichte des Dreispitz – wohnen

und leben dort Menschen. Deren Präsenz wird so

oder so zu Veränderungen führen.

Page 23: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

22

«Ich hoffe, dass die Trans­

formation nie beendet

sein wird»

Beat von Wartburg ist Direktor der Christoph Merian Stiftung.

Herr von Wartburg, wie würden Sie die Transforma-

tion beschreiben, die im Dreispitz in Gang gesetzt

wurde?

Es ist eine lange Geschichte, die eigentlich aus zwei

Erzählsträngen besteht. Der eine handelt von den

Immo bilien, der andere von der kulturellen Eroberung

des Dreispitz. Obwohl Immobilienbewirtschaftung

und Kulturförderung bei uns unter dem gleichen Dach

zuhause sind, war dieses Zusammenspiel nicht immer

konfliktfrei. Hilfreich für die inhaltliche Besetzung

des Freilagers war sicher, dass in der Areal promotion

kul turelle Nutzungen ein bedeutender Standortvor ­

teil sind. Das kulturelle Umfeld, das haben uns die

Inves toren, die heute Nachbarn unserer Pio niere sind,

immer wieder bestätigt, war ein wichtiger Faktor

für ihren Entscheid, in einem gewerblich geprägten

Dreispitz in den Wohnungsbau zu investieren.

Wie kamen Immobilien- und Kulturwelt zusammen?

Die beiden Erzählungen überschneiden sich immer

wieder; sowohl bei der Planung und Erstellung wie bei

der Nutzung unserer vier Pionierbauten. Sie sind

bewusst gesetzte Zeichen des Aufbruchs und Beweise

dafür, dass die Stiftung an ihre eigene Trans forma­

tions idee glaubt und mit gutem Beispiel vorangeht.

Zugleich bilden die vier Bauten die künstlerische Wert ­

schöpfungskette ab: von der Lehre und Forschung

über die Produktion und Vermittlung bis hin zur Krea ­

tiv wirtschaft und zum Kunstmarkt. Ebenso wichtig

für das Ziel, dass im Freilager ein kultureller Fokus,

ein ‹Art Cluster› entstehen soll, waren die zahl reichen

kulturellen Events Dritter sowie die Zwischennut ­

z ungen.

Welche Erkenntnisse haben Sie bisher gewonnen?

Der Dreispitz ist keine Brache, sondern ein gewerblich

genutztes Areal mit marktüblichen Mieten. Da ist

es nicht einfach, kulturelle Nutzer und Nutzerinnen

an zu siedeln. Selbst die Stiftung konnte nicht einfach

neue Kulturengagements eingehen, ohne andere zu

beenden. Deshalb haben wir das Atelierhaus für Künst ­

lerinnen und Künstler am St. Alban­Rheinweg 96

und die Ateliers des Internationalen Austausch­ und

Atelierprogramms Region Basel (iaab), heute Atelier

Mondial, im St. Alban­Tal im Herbst 2014 aufge­

geben und die Förderleistungen in den Dreispitz trans ­

feriert. Für die übrigen Kulturakteure war Risi ko­

bereitschaft gefragt. Würde der kulturelle Im pact

tatsächlich funktionieren? Warum soll man marktübli­

che Mieten bezahlen, wenn es in Kleinbasler Hinter­

höfen, also im städtischen Zentrum ähnliche, ja sogar

günstigere Mietpreise gibt? Und wie kann man sein

Publikum an die Peripherie locken? So waren es nur

wenige, die als Zwischen­ und Endnutzer unserer

Bau ten Aufbruchslust und Risikobereitschaft bewiesen

haben – und immer noch beweisen. Ihr Engagement

war bedeutsam und hat sich gelohnt, davon bin ich

über zeugt. Ich bin diesen Institutionen und Perso nen

sehr dankbar, denn ohne sie wäre vieles nicht mög lich

gewesen.

Wer waren diese Pioniere und Pionierinnen?

Jede Aufzählung wäre unvollständig und würde nicht

allen gerecht. Die in diesem Buch ver tretenen Autoren

und Autorinnen illustrieren das Feld gut: Es waren

zum Beispiel die Leute von ‹Shift – Festival der elektro ­

nischen Künste›, die von 2007 bis 2011 die Dreispitz­

halle und weitere Innen­ und Aussen räume lustvoll, in ­

novativ (mit digitalen Medien) und mit Engagement

bespielt haben. Das [plug.in] Forum für neue Medien

und ‹Shift› fanden nicht zuletzt dank der Dreispitz­

Transformationsidee zusammen. Aus der Fusion ent ­

stand das Haus der elektronischen Künste Basel

(HeK), das, ‹basisdemokratisch› beschlossen, mutig

sein vorübergehendes Domizil ins Gebäude Oslo­

Strasse 8 – 10 verlegte und nun in die definitiven, neuen

Räume am Freilager­Platz 10 eingezogen ist. Die

erste Sendung von Radio X aus dem Pionier bau an

der Oslo­Strasse 8 – 10 im Mai 2011 war ebenfalls

ein Meilenstein und nur dank grossem persönlichen

Einsatz der Radiomacher und ­macherinnen sowie

der Stiftung Radio X möglich. Seit das Freilager

als möglicher Standort für die HGK ins Gespräch kam,

waren auch deren Verantwortliche immer wichtige

Partner. Heute sind sie inspirierende und äusserst

Page 24: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

23

ko operationswillige Nachbarn. Dank den Ateliers für

die regionalen Kunstschaffenden, die wir im Pionier­

bau an der Oslo­Strasse unterbringen konnten, kamen

initiative und kreative Personen in eine gestaltbare

Umgebung, die sie mit Events und Ausstellungen be ­

spielten. Ich erinnere mich an viele Personen und

Anlässe, die das unbekannte Territorium vermessen

halfen und Orte mit Leben füllten, die zuvor mit

Waren gefüllt waren: Es gab Musik und mehr im

‹American Optical›­Gebäude, das heute nicht mehr

steht. Dort zu Gast war auch die unabhängige Aus­

stellungs serie von Fredy Hadorn, die 2007 als

‹Licht Feld 7› die erste grössere Kulturveranstaltung

im Dreispitz überhaupt war – und seither andere

Räume im Dreispitz interpretiert und bespielt hat.

Von 2010 bis 2013 war die jeweils parallel zur ‹Art

Basel› statt findende Kunstmesse ‹Volta› ein Publikums­

magnet für die Dreispitzhalle und hinterliess blei ­

bende Spuren, etwa in Form eines Wandgemäldes am

Nach bar gebäude der Rakete. Inspiriert vom Genius

Loci schrieben auch die Performances und Inszenie­

rungen von Cornelia Huber Dreispitz geschichte. Und

schliesslich war das Theater Basel mit seinem Stück

‹Utopia› zu Gast. Wie sich die Theatermacher auf den

Ort einliessen, war fantas tisch. Wie gesagt, eine un ­

voll ständige Aufzählung, die …

… den Eindruck erweckt, da sei viel Unternehmungs-

geist am Wirken gewesen.

Ja, es braucht Wegbereiter, die anderen Mut machen,

sich ebenfalls auf das Ungewisse einzulassen …

… bis dann die Verdrängung einsetzt. Wenn Trans-

formation top down verordnet wird, wenn sie

ökonomisch begründet ist und im Bestand gelingen

muss, droht Gentrifizierung. Nehmen Sie das in

Kauf?

Die Entwicklung des Dreispitz ist ein Aufwertungs­

prozess, der eine gewisse Gentrifizierung mit sich

bringt. Aber: Der Verdichtungsprozess erstreckt sich

über einen längeren Zeitraum und ist auf klar defi­

nierte Teilgebiete fokussiert. Deshalb hält der Drei­

spitz nach wie vor und noch über Jahrzehnte hinweg

Nischen für kulturelle und soziokulturelle Initiati ven

bereit. Das lässt Zeit und Raum für die Projekte von

Menschen, die ihre Ideen realisieren möchten. Dank

der neuen Nachbarschaft wird ein grosser, lebendiger

Kulturraum entstehen, der vielen Platz bietet. Diese

Chance gilt es zu nutzen, denn die Transformation

findet in jedem Fall statt – mit oder ohne Kultur. Ich

finde, es wäre besser, mit. So entsteht ein Ort, der

sich auszeichnet durch künstlerische und gewerbliche

Produktion, durch Reflexion über Kunst und durch

interdisziplinäre, forschende Kunst. Noch ein Wort

zur Gentrifizierung: Die Geschichte des HeK zeigt sehr

schön, was in einem Entwicklungs prozess geschieht.

Was mit einem kleinen Ausstellungsraum im St. Alban­

Tal und einer Bottom­up­Bewegung des ‹Shift Festi­

vals› begonnen hatte, mündete in eine Institution, die

heute das nationale Kompetenzzentrum für die digi ­

talen Künste ist. Es ist nun die Aufgabe des HeK dafür

zu sorgen, dass es nicht in der Professionalisierung

und Institutionalisierung erstarrt, sondern prozess haft

in Bewegung bleibt.

Soll das Gewerbeareal zum kulturellen Trendquartier

werden?

Trendquartieren haftet der Geruch des Mondän­Modi­

schen und Temporären an; wir wollen jedoch eine

stabilisierende und nachhaltige Entwicklung hin zu

einem städtischen Quartier in der Agglomeration

Basel. Wenn dieses Quartier dann in Phasen seiner Exi s­

tenz ‹trendy› wirkt, ist das natürlich kein Nachteil.

Aber wir wissen ja: Je trendiger ein Quartier ist, desto

mehr steigen die Mietkosten für Wohn­ und Arbeits­

räume.

Wie wollen Sie dem entgegenwirken?

Mein Bild des räumlichen Wandels kennt keinen

finalen Zustand, ein lebendiges Stadtquartier befindet

sich in permanenter Entwicklung. Diesen Anspruch

wollen wir hochhalten. Es muss gelingen, die Trans­

formation als einen Prozess zu verstehen, der in jedem

Moment spannende Opportunitäten eröffnet. Ich

hoffe, dass die Trans formation nie beendet sein wird.

Es ist es eine Wiki­ähnliche Geschichte, an der viele

Personen, Firmen und Institutionen fortlaufend

weiterschreiben. Fehlentwicklungen wollen wir früh ­

zeitig erkennen und bekämpfen: Der Dreispitz soll

keine mono thematische Nutzung haben, sondern er

soll lebendig sein durch den Nutzungsmix, durch

die Vielfalt von Gewerbe, Produktion und Wohnen,

Dienst leistung, Kultur und Freizeit. Unsere Pionier­

bauten senden wichtige Botschaften aus, indem

Page 25: Pionierbauten im Dreispitz - Vom Gewerbeareal zum Stadtquartier

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sie Nischen, formelle und informelle Treff punkte,

bespielbare Innen­ und Aussenräume sowie Infra­

strukturen für die Kreativen bieten.

Haben sich die Investitionen in die Erstellung und

Nutzung der Pionierbauten gelohnt?

Ja. Wir konnten viel bewegen: Der Dreispitz wird von

einer neugierigen Bevölkerung entdeckt, und Institu­

tionen und initiative Personen erhalten ein neues Zu ­

hause. Mit dem Umbau der Lagergebäude Oslo­Strasse

8 – 10, Freilager­Platz 8 – 10 sowie des HGK­Altbaus

konnten wir die historische Identität des ehemaligen

Zollfreilagers erhalten und mit der Umnutzung zu ­

gleich eine Kulturmeile schaffen, die von hochwertiger

moderner Architektur umgeben wird. Qualitativ hoch ­

stehend waren auch die Anlässe und Ausstellungen –

zum Beispiel die Ausstellung ‹2 Grad – Das Wetter, der

Mensch und sein Klima› oder die Ausstellungen im

Projekt raum Oslo 10, für die die Kuratorinnen aus ge ­

zeichnet wurden. Mit der Dreispitzhalle – sie war der

erste Pionierbau – verfügen wir über einen Ort mit

Anziehungskraft. Im Bau Oslo­Strasse 8 – 10 entstand

ein Kultur­Gewerbe­Mix. Mit der Rakete leisten wir

einen substanziellen Beitrag zur Förderung von inno ­

vativen Startups. Im Pionierbau Freilager­Platz 8 – 10

schaffen wir mit dem HeK und den Austauschateliers

des Atelier­Mondial­Programms internatio nale Bezüge

und wagen den kreativen Brückenschlag zu Lehre

und Forschung der HGK vis­à­vis. Wir tra gen so zu

einem investitionsfreundlichen Klima bei, von dem

alle profitieren können: die Investoren, die ihre eigenen

Vorhaben verfolgen, die Nachbarn, deren Lebens­ und

Arbeitsqualität sich dank dichter Vielfalt verbessert,

die Christoph Merian Stiftung als Grundeigentümerin

und nicht zuletzt Basel und sein Kulturleben.

Was haben Sie aus dem Freilager gelernt für

die Transformation der nördlich und südlich liegen-

den Bereiche des Dreispitz?

Ich bin sicher, dass wir Lehren aus unserem Vor ­

gehen ziehen müssen. Die Entwicklungen im Freilager

und unsere Pionierbauten zeigen, dass starke Im­

pulse seitens der Grundbesitzerin nötig sind, dass

verbind liche Partnerschaften gebraucht werden, dass

räum liche und gestalterische Veränderungen auf

hohem Niveau immer auch viel Zeit benötigen und

dass Kunst und Kultur über ihren Eigenwert hinaus

Impulse setzen können. Wir haben auch gelernt,

dass wir noch mehr Energie und Fantasie auf die

städte bauliche Dimension im Sinne der Quartier­

entwicklung verwen den müssen: Was braucht dieses

neue Stadtquartier, und was können wir dazu bei­

tragen? Ich denke hier beispielsweise an die Versor­

gung mit Ein kaufsmöglich keiten oder Gastro nomie,

kurz: die sozial orientierte Infra struktur. Schliess ­

lich hat uns das gescheiterte gemeinsame Projekt

für das Kunst haus Baselland, das HeK und die

Austauschateliers gezeigt, dass Rückschläge zu einem

Transforma tions prozess gehören und ein geschei ­

tertes Projekt Chan cen für neue, nachhaltige Lösun­

gen eröffnet. Auch hier gilt: Alles hat und braucht

seine Zeit …

Und was heisst das für künftige Entwicklungen

im Dreispitz?

Unsere Erfahrungen müssen wir gewinnbringend

einsetzen, wenn die vom Freilager und den Pionier­

bauten ausgehende Entwicklung in den anderen

neunzig Prozent des Areals greifen soll. Dort sind

wir allein nicht handlungsfähig, weil wir nur in

wenigen Fällen Gebäudeeigentümerin sind und der

rechtliche Rahmen noch nicht beschlossen wurde.

Wir möchten aber möglichst rasch den bestehenden

Arbeitsgebieten eine gewerblich ausgerichtete

Innenentwicklung ermöglichen, Mischnutzungen

in den speziell ausgeschiedenen Zonen fördern,

die vielen anstehenden Verkehrsfragen anpacken

und das Potenzial des Geländes ausschöpfen. Die

Vision eines Dreispitz mit durchmischten Teilge ­

bieten für Wohnen, Gewerbe, Freizeit und Kultur

bleibt unsere Richtschnur.

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