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Geht das? Die US-Kampagnentrends Obama schlagen Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 03/11 | April 2011 | 7,20 Euro Transparenz Das Internetportal Greenleaks soll helfen, Umweltskandale aufzudecken. MEDIEN 52 Konsequenz Die Bundeswehr wird zur Freiwilligenarmee – künftig muss sie um Soldaten werben. KAMPAGNE 18 www.politik-kommunikation.de

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politik&kommunikation ist das einzige deutsche Fachmagazin für politische Kommunikation. Es bietet eine professionelle Plattform für die Diskussion aktueller Themen und Trends und berichtet unabhängig und parteiübergreifend über Kampagnen und Köpfe, Techniken und Methoden. politik&kommunikation wendet sich an alle, die Politik kommunizieren, an die Mitglieder von Parlamenten, Regierungen und Parteien, an Pressesprecher, PR-Fachleute und Journalisten, an Lobbyisten und Repräsentanten aller gesellschaftlichen Gruppierungen.

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Geht das?Die US-Kampagnentrends

Obama schlagen

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Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 03/11 | April 2011 | 7,20 Euro

TransparenzDas Internetportal Greenleaks soll helfen, Umweltskandale aufzudecken. MEDIEN 52

KonsequenzDie Bundeswehr wird zur Freiwilligenarmee – künftig muss sie um Soldaten werben. KAMPAGNE 18

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FORUM POLITISCHE KOMMUNIKATION7. April Immerhin drei Hände gingen hoch, als p&k-Chefredak-teur Sebastian Lange (auf dem Foto rechts) ins Publikum fragte, ob „Wutbürger“ anwesend seien. Diese drei zum Outing Bereiten waren Gäste einer Podiumsrunde zum Auftakt des Düsseldorfer Forums Politische Kommunikation, die Lange moderierte. p&k war Medienpartner der Veranstaltung, die ganz im Zeichen des Protests stand: „Bürger auf die Barrikaden!“ lautete der Titel. Diskutant war unter anderem Sebastian Frankenberger, der das erfolgreiche Volksbegehren für Nichtraucherschutz in Bayern durchgefochten hat. Frankenberger meint, die Bürger, die pro-testierten und sich engagierten, seien keine Wutbürger, sie seien vielmehr „Mutbürger“. Frankenberger jedenfalls hat den Mut, noch immer in Kneipen zu gehen – denn in vielen Fällen wer-fen ihn die Wirte leider gleich wieder raus, weil sie sauer auf den Rauch-Gegner sind. Mut muss man aber auch Thomas Strobl (Mitte) attestieren, dem baden-württembergischen CDU-Gene-ralsekretär und möglicherweise kommenden CDU-Landeschef: Er stand Rede und Antwort zu dem, was bei Stuttgart 21 schief gelaufen ist.

POLIZEISCHUTZ14. und 15. April Die p&k-Redaktion hat die aktuelle Ausgabe unter erhöhten Sicherheitsbedingungen produziert: Bereits am Gendarmenmarkt nahmen uns freundliche Polizisten in

Empfang, um uns unter Geleitschutz an den 400 Meter entfernten Arbeitsplatz am Wer-derschen Markt zu füh-ren. Kein Witz, das war ein wirklich toller Emp-fang – und dennoch durften wir das Ver-lagsgebäude nur durch

einen Hintereingang betreten, und das auch nur nach ausführ-licher Ausweiskontrolle. Grund für diesen großen Bahnhof: die Nato-Außenministerkonferenz, die Mitte April direkt neben dem Verlag im Auswärtigen Amt stattfand. Auf dem Foto empfangen Außenminister Guido Westerwelle (rechts) und Nato-General-

Redaktionstagebuch

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sekretär Anders Fogh Rasmussen die Teilnehmer der Konferenz. Zu Gast war unter anderem US-Außenministerin Hillary Clinton. Dabei hatte sie ihren Multimedia-Berater Ben Scott, mit dem wir für diese Ausgabe ein Interview geführt haben. Wir haben uns übrigens auch mit dem indisch-amerikanischen Politikwissen-schaftler Parag Khanna über moderne Diplomatie unterhalten – seine wie auch Scotts These: Staaten verlieren in der weltweiten Diplomatie immer stärker an Bedeutung. Bei der Außenminister-konferenz gab es dafür allerdings kaum Anzeichen – sonst hätte es wohl nicht solch einen Rummel um die Minister gegeben.

FEEDBACK ZUM RELAUNCH Im April p&k hatte die Leser um Feedback zum Relaunch des Magazins gebeten – und bekam es, und zwar in Form von Lob und Kritik: Wir hätten „einen weiteren Qualitätssprung gemacht“, schrieb ein Leser, eine „gelungene Modernisierung“ attestierte ein anderer – um hinzuzufügen, dass ihm das Heft inzwischen aber teils zu bunt und „szenig“ sei. Die Redaktion arbeitet jeden-falls daran, es fortlaufernd zu verbessern. Mit Ihrer Unterstüt-zung und ihrem Feeback gelingt das hoffentlich!

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Der amerikanische Online-Wahlkampf ist noch immer Vorbild

von Julius van de Laar30 „Bürger-Diplomatie“ Hillary Clintons Technologie-Berater Ben

Scott im p&k-Interview32 Atomkraft: Yes, please! Wie die Debatte zur Kernenergie in

Großbritannien verläuft von Florian Wastl34 Die Florettfechter mit der Axt Was Radikalreformer von der britischen

Regierung lernen können von Stefan Marx38 „China will ein großes Deutschland

sein“ p&k sprach mit dem US- Politikwissenschaftler Parag Khanna

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42 Wege aus der „Dagegen-Falle“ Wie Planer bei Großprojekten Proteste

verhindern können von Tarik Shah und Inga Karten44 Rhetorik

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46 Kompakt48 „Die Politik war gut zu uns“ „Heute-Show“-Moderator Oliver Welke

über Politiker und Lobbyisten50 Folge dem Kabel! p&k Historie – Teil 2 der Serie: Das

„Viktorianische Internet“ von Marco Althaus52 Wikileaks in Grün Scott Millwood will die „Weisheit der

Vielen“ für den Umweltschutz nutzen

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8 Meldungen Protest im Bundestag kostet 1000 Euro,

Regierung gegen Lobbyregister

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12 Seltener wählen? Pro und Kontra von Silvana Koch-Mehrin und Uwe Jun

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14 Das Gesetz des Monats Novellierung des

Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagerechts

von Alexander Glos

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16 Kompakt18 Kampf um die Köpfe Erstmals muss die Bundeswehr um

Soldaten werben – und gerät in Kritik20 Unterschwellige Botschaften Eine Neuromarketing-Studie untersucht

Wahlplakate

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22 Kompakt24 Die Jagd hat begonnen Kampagnentrends 2012: Wie die

Republikaner Obama besiegen wollen26 „Ich bin manchmal etwas neidisch“ CDU-Bundesgeschäftsführer Klaus

Schüler über den US-Wahlkampf27 Sie wollen Obama schlagen p&k stellt die aussichtsreichsten

republikanischen Herausforderer vor28 Im Mikrokosmos der Kampagne

54 Bücher und TV

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56 Die Karrierekurve Gerda Hasselfeldt58 Mein Lieblings… p&k befragt Bundestagsabgeordnete nach

dem, was ihnen lieb ist59 Zahlen und Fakten60 Hart, aber herzlich Klaus Vater geht in den Ruhestand – aber

nur offiziell 61 „Das wahre Parlament“ p&k sprach mit dem Besitzer des Café

Einstein, Gerald Uhlig-Romero62 Personen und Karriere Neue Sprecher in Bundesministerien,

Kirschsieper lobbyiert für Facebook66 Ossis Welt Das Politikbilderbuch68 Gala Die wichtigsten Events72 Wo die Hauptstadt feiert Die politischen Sommerfeste75 Politikkalender Die Top-Termine im Mai und Juni77 Porträt in Zahlen Winfried Kretschmann

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3 Redaktionstagebuch5 Liebling des Monats6 Auch mal das Scheitern riskieren Essay von p&k-Chefredakteur Sebastian

Lange78 Letzte Seite

20 KonsequenzDie Bundeswehr steht vor ihrer bislang größ-ten Reform: Am 1. Juli wird sie zur Freiwilli-genarmee – und muss künftig um Soldaten werben. Dabei gerät sie in die Kritik.

26 KonkurrenzWährend US-Präsident Obama seine Wieder-wahl vorbereitet, suchen die Republikaner noch nach einem Kandidaten – doch die Partei hat aus der Niederlage 2008 gelernt.

52 TransparenzDer australische Filmemacher und Anwalt Scott Millwood hat das Internetportal Green-leaks gegründet. Die Enthüllungsplattform soll helfen, Umweltskandale aufzudecken.

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Die fraktionslose Abgeordnete im Bayerischen Landtag, ehemalige Fürther Landrätin, Ex-Europa-Spit-zenkandidatin der Freien Wähler, Ex-Vorsitzende der Freien Union und Ex-Latexhandschuhträgerin hat sich mit einem Beitrag zur Haushaltsdebatte des Parlaments eindrucksvoll zurückgemeldet. Sie machte ziemlich deutlich, dass sie

von dem ganzen Zahlenquatsch nichts hält und erklärte, worauf es wirklich ankommt. Wir zitieren die zentrale Passage der Rede unseres Lieblings des Monats, Gabriele Pauli: „Und das ist etwas, was wir alle entbehren. Es ist etwas, was wir alle nicht mehr in uns fühlen und in uns nicht mehr verspüren, es ist

etwas, was wir in unserem Leben nicht mehr kennen, es ist etwas, was wir zwar suchen, aber nicht in einem Haushalt wiederfinden kön-nen. Es ist etwas, was in unserem Leben abhanden gekommen ist, es ist etwas, was wir in uns nicht mehr erreichen können, es ist etwas, so wie die Sprache in uns. Es ist etwas wie das Fühlen über

das, was wirklich gewollt ist in der Bevölkerung, und was wir als das, was in unserem Leben wich-tig ist, nicht mehr kennen. Es ist etwas, was in uns zwar da ist, und irgendwann mal vielleicht auch in größerem Maße vorhanden war, aber was wir nicht mehr erreichen in uns. Es ist etwas, was wir in uns entbehren.“

Liebling des Monats: Gabriele Pauli

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Auch mal das Scheitern

riskieren

S tellen Sie sich vor, unsere Politiker dürften keine Umfrage-ergebnisse mehr lesen, oder es gäbe gar ein Verbot der poli-tischen Demoskopie. Wäre das nicht wunderbar? Plötzlich

wäre ihnen die bisherige Richtschnur ihrer Politik genommen und sie wären gezwungen, sich Gedanken zuallererst darüber zu machen, was dem Gemeinwohl dient. Den vermeintlichen Volks-willen könnten sie nicht mehr zur Grundlage ihrer Entscheidun-gen machen, und sie müssten sich fortan an eigenen Überzeu-gungen und Werten orientieren. Schwierig würde es dann al-lerdings für diejenigen, die über solche nicht verfügen – ihnen könnte vielleicht eine Kommission aushelfen und Handlungs-empfehlungen geben.

Natürlich ist es überaus gemein, das so pauschal zu behaup-ten, und die Meinungs- und Informationsfreiheit beschneiden will hoffentlich auch keiner; doch wird man den Politiker, dem Umfragen und Wiederwahl nicht so wichtig sind, wohl leider zu-nächst einmal unter den älteren Vertretern seiner Klasse suchen müssen.

Besonders die einmal in ein Amt gewählten schielen doch allzu sehr nach den Momentaufnahmen der Volksmeinung. Et-was zu verlieren, was man hat, ist denn wohl schlimmer, als nicht zu bekommen, was man nicht hat. Die Stimmungspolitiker von Schwarz-Gelb zeigen überdeutlich, wie groß die Angst vor dem Verlust ist: Erst die Verlängerung der Atom-Laufzeiten, dann der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg – ohne dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Kernenergie vorlägen, war deren mangelnde Kontrollierbarkeit doch längst bekannt. Mit Blick auf die Landtagswahlen vollzieht Schwarz-Gelb statt-dessen eine Kurswende, die eine Ethik-Kommission im Nachhin-ein begründen soll. Zudem ein „Nein“ zur Beteiligung am Libyen-Einsatz, wohl zumindest auch aus dem Glauben heraus, dass das Wahlvolk Friedensfürsten stets belohnt – dann internationaler Druck, schlechte Presse, und schon denkt man darüber nach, we-nigstens bei einem humanitären Einsatz dabei zu sein.

Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass Politik sich heute vor-rangig an der Annahme ausrichtet, was ankommt beim Volk. Da-bei war die Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgeset-zes für die repräsentative Demokratie doch eine bewusste Ent-scheidung für Politiker, die zwar durch das Volk legitimiert sind, die aber nach bestem Wissen und Gewissen tun, was sie selbst für richtig halten. Deutschland ist keine Basisdemokratie, doch könnte man glauben, es sei eine: eine demoskopisch-mediale Ba-sisdemokratie, ausgerichtet an ständigen Befragungen des Vol-kes, ausgerichtet am mithilfe von Media-Analysen ermittelten Meinungsbild. Allerdings ist es so, dass Erfolge im Kampf um die öffentliche Meinung politisches Handeln nicht legitimieren – nur dann, wenn sie sich in Wahlergebnissen widerspiegeln.

Wer nur um Beliebtheit kämpft, kann nicht führen, denn ein wesentliches Merkmal der modernen Definition von „Leader-ship“ ist es, anhand von Werten Ziele zu definieren und dann an-dere für diese Ziele zu gewinnen. Dabei kann man auch schei-tern. Für Helmut Kohl beispielsweise war die europäische Inte-gration ein Fixpunkt, an dem er seine Außenpolitik ausgerich-tet hat. Kohl hat unpopuläre Entscheidungen wie die Einführung des Euro getroffen, weil er an den Sinn einer solchen fortschrei-tenden Integration glaubte. Gerhard Schröder hat die Agenda-Reformen durchgesetzt, weil er glaubte, dass sie dem Land nut-zen – und letztlich auch den Sozialstaat erhalten helfen.

Menschen, die von allen gemocht werden wollen, sind meist keine angenehmen Menschen. Zu oft schauen sie ängstlich in den Spiegel, um sich ihrer Attraktivität zu vergewissern. Angela Mer-kel und Guido Westerwelle jedenfalls haben bei ihrer nun schon anderthalb Jahre währenden Cabriofahrt ständig in ihren Umfra-gen- und Presse-Schminkspiegel geschaut – anstatt mal auf die Straße zu gucken. Das hätte geholfen, denn alle paar Meter gibt es Abbiegungen. Manch eine führt in die Zukunft.

Wer nur um Beliebtheit kämpft, kann nicht führen, denn ein wesentliches Merkmal von

LEADERSHIP ist es, anhand von Werten Ziele zu definieren und andere für diese zu gewinnen.

Kohl hat das getan, Schröder auch.

VON SEBASTIAN LANGE

Essay

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Immer im Trend: Auf dem Bundestag weht ein Fähnchen im Wind

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Eine Klasse voraus. Die neue Generation C-Klasse. �����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������www.mercedes-benz.de/c-klasse

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Kompakt

Abgeordnete, die Sitzungen des Bundes-tags stören, müssen künftig Strafe zahlen. Der Geschäftsordnungsausschuss des Par-laments hat dafür den Weg frei gemacht, „nach intensiven Beratungen“, wie der Vor-sitzende Thomas Strobl (CDU) abschlie-ßend erklärte. Die Fraktionen müssen nun noch einer Änderung des Abgeordneten-gesetzes zustimmen, nach der künftig bei einer „nicht nur geringfügigen Verletzung

der Ordnung oder der Würde des Bundes-tags“ Strafen in Höhe von 1000 Euro fällig werden, im Wiederholungsfall doppelt so viel. Auch nonverbale Aktionen kann der Bundestagspräsident in Zukunft mit ei-ner Strafzahlung sanktionieren. Die Linke stimmte gegen den Vorstoß, es gebe keinen Anlass, die Geschäftsordnung zu verschär-fen. Die Partei machte im Februar 2010 mit einer größeren Protestaktion Schlagzeilen:

Linken-Abgeordnete hielten Schilder mit den Namen von Opfern des Luftangriffs der Bundeswehr in Kunduz vom Septem-ber 2009 in Richtung der Regierungsbank. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schloss die Abgeordneten von der Sitzung aus. Diese schärfste Sanktions-maßnahme ist auch nach Einführung des neuen Ordnungsgelds möglich, genau wie der Ordnungsruf.

Linken-Abgeordnete protestierten 2010 gegen den Afghanistan-Einsatz. Bald könnten solche Aktionen Strafgeld kosten.

Die Initiative Finanzstandort Deutsch-land (IFD) hat sich mehreren Medienbe-richten zufolge am 1. April aufgelöst. Hin-tergrund ist die starke thematische Über-schneidung der IFD mit anderen Institu-tionen der Kreditwirtschaft. Aufgrund dieser hatten die meisten Versicherungs-

unternehmen die IFD bereits Ende 2010 verlassen. Zudem hatte der Dachverband der Kreditwirtschaft, der Zentrale Kredit-ausschuss, sich mit den verbliebenen The-men ebenfalls befasst. Die IFD nahm seit 2003 Einfluss auf die gesetzlichen Rah-menbedingungen in der Finanz- und Ver-sicherungsbranche, zu den 18 Gründungs-mitgliedern gehörten unter anderem Mor-gan Stanley, die Allianz und die Deutsche Börse. Anders als andere Lobby-Vereini-gungen war die IFD in lose Arbeitsgrup-pen ohne Geschäftsführung gegliedert. Ungewöhnlich auch: die Mitgliedschaft der Bundesbank und des Finanzministe-riums. Zuletzt führte Heinrich Haasis, Präsident des Sparkassen- und Girover-bands, die IFD. Die Initiative selbst wollte zur Auflösung keine Stellung beziehen.

IFD-Chef Heinrich Haasis

Kompakt

BUNDESTAG

Protest kostet 1000 Euro

FINANZWIRTSCHAFT

Lobby-Initiative löst sich auf

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Kennen deutsche Politiker sich gut genug mit dem Internet aus? 42 Pro-zent der Bundesbürger meinen: nein. Nach einer Umfrage des Bundesver-bands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) bewerten unter allen Deutschen ab 18 Jahren nur 31 Prozent die Internetkenntnisse der Politiker als ausreichend. Vor allem die jungen Männer zeigen sich skep-tisch. Bei den männlichen Befragten bis 29 Jahre zweifeln 57 Prozent an der Internetkompetenz der Volksver-treter. Jede zweite Frau in dieser Al-tersklasse glaubt hingegen, die Poli-tiker hätten ausreichende Internet-kompetenzen.www.bitkom.de

IMTERNETKOMPETENZ

Wenig Vertrauen

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Der Wunsch nach ei-nem „starken Mann“ an der Spitze des Staates ist in vielen europäischen Ländern groß. Laut ei-ner von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auf-trag gegebenen Umfra-ge wünschte sich jeder dritte Deutsche einen

Regierungschef, der sich „weder um das Parlament noch um Wahlen schert“. In Großbritannien und Frankreich hatten mehr als 40, in Portugal und Polen sogar mehr als 60 Prozent der Befragten diesen Wunsch.

UMFRAGE

Durchregieren!

Es sind oft die unauff älligen Posten, vor al-lem Subventionen, die den Bundeshaus-halt belasten: Das meint der Bund der Steuerzahler (BdSt), der mit der „Akti-on Frühjahrsputz“ im März auf aus sei-ner Sicht bedenkenswerte Ausgaben hin-gewiesen hat. „Skurrile, überteuerte und unsinnige Fördermaßnahmen“ wie Sub-ventionen etwa für Lippenstift führte der Verein auf. Bei der Aktion wiesen sie an je-dem Tag des Monats auf eine vermeint-lich sinnlose Ausgabe im Bundeshaushalt hin. „Wer wie der Bund über 1000 Milliar-den Euro Schulden hat, muss endlich da-

mit au� ören, praktisch alles und jeden mit Förderprogrämmchen zu subventio-nieren“, begründete BdSt-Präsident Karl Heinz Däke den Frühjahrsputz. „Die übli-chen Behauptungen der Regierungen, nur begrenzt sparen zu können, sind ein My-thos.“ Der BdSt führt beim Frühjahrs putz unter anderem ein Programm des Bun-destags auf, der 31 Millionen Euro jährlich dafür ausgibt, Gäste in Berlin zu empfan-gen. Auch auf der Liste: ein Programm des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das die Entwicklung einer Erntemaschine für Kamillenblätter fördert.

Wende in der Atompolitik: Verliert die Union ihre Unterscheidbarkeit?

Nach Aufgabe des Parteivorsitzes: Hat Westerwelle noch die nötige Autorität, um Außenminister zu bleiben?

Steinmeier im Forsa-Ranking vertrauenswürdigster Politiker: Wäre es klug von der SPD, ihn noch einmal zum Kanzlerkandidaten zu machen?

Grüne stellen erstmals Regierungschef: Muss die SPD nun künftig öfter die Rolle des Juniorpartners übernehmen?

Rösler FDP-Chef: Kann er den Abwärtstrend der Liberalen stoppen?

EXPERTEN-

TIPP

Die Berliner CDU will im Wahlkampf mit Bürgerbeteiligung punkten: Spit-zenkandidat Frank Henkel fordert die Berliner auf, online darüber abzu-stimmen, welche Probleme die drän-gendsten in der Stadt sind. Derzeit ganz oben: zu viel Unterrichtsausfall in den Schulen.www.richtig-fuer-berlin.de

Karl-Rudolf Korte (Uni Duisburg-

Essen)

Wolfgang Ismayr(Uni Dresden)

Uwe Jun(Uni Trier)

Wichard Woyke(Uni Münster)

Peter Lösche(Uni Göttingen)

STEUERZAHLERBUND

Ranking der unnützen Ausgaben

WAHLKAMPF IN BERLIN

Vor-Abstimmung

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Gefragt: Politiker wie de Gaulle

Maßnahme Kosten in Euro

Bundestag lädt Besucher nach Berlin 31 Millionen

Geplante Stiftung Datenschutz der Bundesregierung 10 Millionen

Förderung zur Erforschung effi zienter Generatoren 2,3 Millionen

Feldversuch „Future Fleet“ zum Test von Elektroautos 2,2 Millionen

Projekt zur „spielerischen Förderung von IT-Kompetenzen“ 1,44 Millionen

Förderung für die Erforschung ungesättigter Fettsäuren („Allipids“) 1,4 Millionen

„InduKOCH“, Entwicklungsförderung für Induktionsherde 1,2 Millionen

Entwicklung eines „Innovationsdialogs“ 702.000

Förderung zur Entwicklung einer Erntemaschine für Kamillenblätter 355.000

Förderung zur Entwicklung eines Lippenstifts auf Torfbasis 260.000

Verschwendung? – Die Liste des Steuerzahlerbunds Quelle: Bund der Steuerzahler

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Kompakt

POLITIK IM NETZ

Alexander Görlachist Herausgeber und Chef redakteur des Online-Magazins „The European“.www.theeuropean.de

Bürgerrechtspartei

Für politik&kommunikation befasst Görlach sich in jeder Ausgabe mit Netzpolitik und dem Einsatz des

Internets durch die Politik.

Der neue Innenminister zeigt Kante: Hans-Peter Friedrich will die Vorratsdatenspeicherung und die Visa-Warndatei. Ob seiner strikten Haltung wurde er in den Medien auch schon als „Schäuble zwo“ geschmäht. Dem Koalitionspartner der Union, den Liberalen, kann dieser Furor alles andere als recht sein. Die Gelben stellen sich derzeit neu auf und entdecken dabei ihre Wurzel als Bürgerrechtspartei neu.Um den Skandal nicht ganz perfekt zu machen und den neuen Parteichef Philipp Rösler nicht zu düpieren, bevor er auf dem Parteitag im Mai überhaupt gewählt sein wird, hat Friedrich zugestimmt, Seiten mit kinderpornographischem Inhalt nun doch zu löschen und nicht mehr nur, wie es das CDU-Konzept war, sperren zu lassen. Der CSU-Mann ist den Deal nur eingegangen, weil er von den Liberalen Entgegenkommen bei seinen Online-Projekten erwartet. Jetzt, wo die Deutschen wieder einen Hardliner aus Bayern als Innenminister haben, ist die Chance für die FDP gekommen, sich als Partei der Bürgerrechte zu etablieren. Bedarf dafür ist allemal.

Die Einführung eines Lobbyregisters ist im Bundestag vorerst gescheitert. Der Vorstoß der SPD, neben der Pfl ichtre-gistrierung auch einen Verhaltenskodex für Interessenvertreter und Regeln für die Mitarbeit von Wirtschaftsvertretern an Gesetzentwürfen einzuführen, fand keine Zustimmung der Regierungsfrak-tionen. Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster, Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU/CSU, argumentierte, ein Register helfe wenig: „Unlautere Einfl ussnahme läuft subtil ab und ist nicht zu verorten.“ Außerdem sei ein Register mit hohen Personal- und Verwaltungskosten verbunden. Ulrich

Müller, Vorsitzender der lobbykritischen Initiative Lobbycontrol, kritisierte diese Haltung in der Polit-Talkshow Maybrit Illner: „Schwarz-Gelb weigert sich beharr-lich, das Thema Lobbyismus überhaupt ernst zu nehmen.“ Dominik Meier von der Deutschen Gesellschaft für Politikbe-ratung sprach sich ebenfalls für mehr Kon-trolle aus. „Jeder muss wissen, wer für wen und mit welchen fi nanziellen Mitteln In-teressenvertretung betreibt.“ Unterdessen beschloss der Brandenburger Landtag Ende März die Einführung eines Lobbyre-gisters, in dem nicht nur Vereine und Ver-bände, sondern auch Anwaltskanzleien und Unternehmer erfasst werden.

Die im Jahr 2007 gestartete Schülerini-tiative Plant-for-the-Planet ist jetzt ein Verein. Die Gründungsmitglieder wählten den Schüler und Initiator Felix Finkbeiner zu ihrem Weltpräsidenten. Insgesamt besteht der Weltvorstand aus 14 Kindern. Über 100.000 Kinder in 98 Ländern wollen durch Baumpfl anzaktio-nen das Umweltbewusstsein der Mensch-heit stärken. Der Präsident der Arbeits-gemeinschaft Deutscher Waldbesitzer-verbände, Philipp zu Guttenberg, sitzt dem neu gegründeten Freundeskreis von Erwachsenen vor. Diese unterstützen die Kinder bei der Kommunikation und dem Sammeln von Spenden für das Projekt.www.plant-for-the-planet.orgDer neue Vorstand von „Plant for the Planet“

TRANSPARENZDEBATTE

Regierung gegen Lobbyregister

UMWELTSCHUTZ

Kinder-Initiative nun ein VereinFo

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POLITIK IM NETZ

Ulrich Müller (links) von Lobbycontrol fordert ein Lobbyregister, Armin Schuster (CDU) ist das zu teuer

Kompakt

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Bundespräsident Christian Wulff hat im März das Bürgerforum 2011 eröffnet. In dem Online-Forum sol-len die Bürger Ideen einbringen, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt verbessert werden kann. 10.000 zufällig ausgewählte Teilnehmer erarbeiten zunächst in 25 Regio-nalgruppen Lösungsvorschläge für sechs vorgegebene Politikfelder, von Bürgerbeteiligung über Integration bis hin zu Bildung. Diese Vorschläge werden in einem regionalen Bür-gerprogramm zusammengefasst. Am Ende des Prozesses steht das bundesweite Bürgerprogramm, dass Ende Mai der Öffentlichkeit und dem Bundespräsidenten überreicht werden soll. Das Bürgerforum ist eine Initiative des Bundespräsidenten, der Bertelsmann-Stiftung und der Heinz-Nixdorf-Stiftung.www.buergerforum2011.de

Erinnern Sie sich an dieses Video bei You-tube, in dem der sach-sen-anhaltische Mi-nisterpräsident Reiner Haseloff betrunken auf seinem Küchen-boden kriechend zu sehen ist, wobei er lallend versucht, ei-nen Cheeseburger zu vertilgen? Moment, halt, Verwechslung! Das war gar nicht der CDU-Politiker Haseloff, sondern David Hasselhoff. Sorry, kann ja mal passieren. Haseloff und Hasselhoff wissen das beide sehr gut, deshalb trafen sie sich vor kurzem in Berlin. Haseloff erzählte dann Has-selhoff, dass viele denken, er sei er, und nicht Haseloff. Oder so ähnlich, ist auch egal, denn im Grunde ging es nur dar-um, dass der Wahlkämpfer Haseloff mit Baywatch-Star Hasselhoff abgelichtet werden wollte. Gerade im von vielen äl-

teren Damen bewohnten Sachsen-Anhalt kommt sowas Haseloff zugute, bei Hasselhoff ist eh alles irgendwie egal. Die gan-ze Namensverwirrung ist eigentlich auch überflüs-sig. Schließlich firmiert Hasselhoff ja inzwischen als „The Hoff“, das klingt schon anders als Ha-seloff. Der übrigens wohl kaum auf die Idee käme, sich einen Spitznamen nach ähnlichem Muster zuzulegen, klänge „The Off“ schließlich eher

nach Politikaussteiger, wo Haseloff doch gerade erst mal richtig loslegen will. Ins schöne Magdeburg kam Has-selhoff anschließend nicht mehr. Viel-leicht besser für die dortige Hauptstraße im Stalin-Stil. Man erinnert sich ja nur zu gut, was mit dem letzten kommu-nistischen Bauwerk geschah, nachdem Hasselhoff darauf gesungen hat. Es stürzte in sich zusammen.

Aufgedeckt: Reiner, „The Off“

Nicht Reiner Haseloff

BÜRGERFORUM

Ideen für Wulff

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VON SILVANA KOCH-MEHRIN

Festgelegte Landtagswahlen in der Mitte der Legislaturperi-ode des Bundestags würden eine partielle Aushöhlung des

deutschen Föderalismus nach sich ziehen. Die Länder könn-ten nicht über den Wahltermin entscheiden und die Wahlen würden voraussichtlich zunehmend unter Bundeseinfluss ge-raten. Schon jetzt bestimmt die Bundespolitik die Ergebnisse von Landtagswahlen oftmals mit. Die Gefahr oder die Versu-chung wären groß, Wahlen inmitten der Legislaturperiode zur

Abstimmung über die Politik der Bundesregierung zu in-strumentalisieren. Landtagswahlen hätten dann

primär die Funktion einer bundespolitischen Stimmungswahl. Da sie zudem die Zusam-

mensetzung des Bundesrats beeinflussen, läge ihre bundespolitische Bedeutung auf der Hand. Dies hätte zwei mögliche nega-tive Konsequenzen: Zum einen – demo-kratisch bedenklich – würde die Zure-chenbarkeit politischer Verantwortung vollends verwischt. Nicht die Leistungen von Landesparteien und -regierungen

wären entscheidend, sondern die Bundes-politik würde die Wahlen weitgehend über-

lagern. Zum anderen würde sich vermutlich das Gegenteil dessen einstellen, was eine Verän-

derung der Wahltermine bewirken soll: „Permanent Campaigning“ würde zunehmen und die effektive Legis-

latur einer Regierung möglicherweise auf zwei Jahre verkürzt. Obwohl die Bundesregierung nicht zur Wahl stünde, könn-

te der Ausgang solcher Wahlen zu einem Legitimitätsentzug führen und durch veränderte Mehrheitsverhältnisse im Bun-desrat den Handlungsspielraum einer Regierung beträchtlich schmälern. Jede Bundesregierung müsste solchen Zwischen-wahlen schon zur Sicherung der eigenen Existenz höchstes Au-genmerk schenken und den Wahlkampf dafür frühzeitig be-ginnen. Dass die parlamentarische Opposition eine solche Zwischenwahl taktisch und strategisch für sich nutzen möch-te, steht außer Frage. Noch mehr als zurzeit dürfte dann gelten: „Nach der Wahl ist vor der Wahl.“

Kontra

Wenn, wie in diesem Jahr, sieben Landtagswahlen in Folge anstehen, leidet die Qualität der politischen Arbeit. Na-

türlich haben Regierungen bei ihren Entscheidungen immer auch die nächste Wahl im Blick. Unpopuläre Entscheidun-gen will vor einer Wahl niemand treffen. Wenn dauernd Wahl-kampf ist, sind Entscheidungen oft nicht so konsequent, wie sie sein sollten.

Vor allem aber ist die Entscheidungsfähigkeit einge-schränkt: In der Demokratie geht es immer darum, Mehr-heiten für Politik zu gewinnen – und da braucht es Zeit für Argumente. Kommt es durch häufige Wahlen ständig zu veränderten Mehrheits-verhältnissen im Bundesrat, ist eine mittel- oder gar langfristige Planung nicht mehr möglich. Das lähmt die Politik und verär-gert die Bürger.

Wir haben einfach zu viele Wahlter-mine in Deutschland. Das ist nicht nur schlecht für die Politik insgesamt, son-dern auch schlecht für den einzelnen Po-litiker. Ein permanenter Einsatz in Wahl-kämpfen kann nicht Sinn und Zweck von politischem Handeln sein. Es wäre daher aus-gesprochen sinnvoll, Wahltermine künftig stär-ker zu bündeln. Um dies zu erreichen, wäre es zu-nächst einmal sinnvoll, die Dauer der Legislaturperio-den in Bund und Ländern zu vereinheitlichen – gewählt wer-den sollten die Parlamente dann für einheitlich vier oder fünf Jahre.

In einem zweiten Schritt sollten die Wahltermine so fest-gelegt werden, dass in der Mitte einer Bundestags-Legislatur-periode in allen Bundesländern gleichzeitig die Landtagswah-len stattfinden. So machen es die Amerikaner, und das ist kein schlechtes System: Man hätte wenigstens zweieinhalb Jah-re Gelegenheit, ohne Rücksichtnahme auf kurzfristige politi-sche Stimmungen und ohne ständige Unterbrechungen durch Wahlkämpfe vernünftige Politik zu planen und auch durchzu-setzen.

Pro

Silvana Koch-Mehrin (FDP)ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Sie gehört dem FDP-Bundesvorstand an und ist Vorsitzende der Deutschen Landesgruppe der liberalen ALDE-Fraktion im Europäischen Parlament.

Uwe Junist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Er ist au-ßerdem Sprecher des Arbeitskreises „Parteienforschung“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft.

Seltener wählen? In sieben Bundesländern sind die Bürger in diesem Jahr aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen.

Kritiker befürchten, dass der ständige Wahlkampf die Bundespolitik lähmt. Ihr Vorschlag: Die Landtagswahlen in Deutschland nach Art der HALBZEITWAHLEN in den USA auf wenige Termine

zu bündeln – doch ist eine solche Reform sinnvoll?

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pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 201114

Kampagne

Gerade einmal drei Wochen ist Bun-desverteidigungsminister Thomas de Maizière im Amt, als er Ende

März vor den Deutschen Bundestag tritt. In seiner Rede skizziert der Minister die Zukunft der Bundeswehr als Freiwilli-genarmee. Es ist eine riesige Baustelle, die er von seinem Vorgänger Karl-Theo-dor zu Guttenberg geerbt hat, und de Mai-zière macht deutlich: „Ich finde das kei-nen Freudenakt heute, dass wir die Wehr-pflicht aussetzen.“ Dennoch zeigt er sich entschlossen, die Bundeswehrreform vor-anzutreiben – und die Wehrpflicht durch den sogenannten Freiwilligen Wehrdienst zu ersetzen. „Wir müssen sichergehen, dass wir die Fähigsten und die Besten für diesen neuen Freiwilligen Wehrdienst ge-winnen“, sagt er.

Eine groß angelegte Werbe-Kampagne soll helfen, junge Menschen für den Dienst

Kampf um die KöpfeAm 1. Juli wird die Bundeswehr zur FREIWILLIGENARMEE. Erstmals seit über 50 Jahren muss sie um Soldaten werben – und stößt mit ihrer Kampagne auf Kritik.

VON FLORIAN RENNEBERG bei der Bundeswehr zu gewinnen. Dafür hat das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) seinen Etat für Personalwerbung im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent aufgestockt: Insgesamt stehen dem Minis-terium 5,7 Millionen Euro zur Verfügung. Doch wie überzeugt man junge Menschen vom Arbeitgeber Bundeswehr? Militäri-sche Disziplin, straffe Hierarchien und die Gefahr, in kriegerische Auseinander-setzungen zu geraten, sind nicht für jeden potenziellen Bewerber attraktiv. Im März traten gerade einmal 380 Rekruten ihren Dienst an, im April waren es immerhin etwa 900. Um die geplante Truppenstär-ke zu erreichen, sollen jährlich rund 15.000 junge Männer und Frauen mindestens ein Jahr lang freiwillig ihren Wehrdienst leis-ten. In TV- und Radiospots, in Zeitungen und auf Internetseiten wirbt die Bundes-wehr um neue Rekruten.

Das Rezept scheint einfach: Die Armee, so die Botschaft der Kampagne, bietet jun-

Das Musikkorps der Bundeswehr beim feierlichen Gelöbnis vor dem Reichstag am 20. Juli

gen Menschen eine Karriere mit Zukunft. Sie lockt vor allem mit Weiterbildung und schnellen Beförderungen. Der Umgang mit Waffen, die körperlichen Belastungen der Grundausbildung oder Auslandsein-sätze in Kriegsgebieten kommen in der Werbung so gut wie nicht vor. Auch ein Sprecher des Verteidigungsministeriums hebt die zivilen Vorzüge des Arbeitgebers Bundeswehr hervor: „Wir sind ein siche-rer Arbeitgeber, der überall in Deutsch-land präsent ist und in die Aus-, Fort- und Weiterbildung seiner Angestellten inves-tiert.“ Dieser Fokus stößt bei Militärexper-ten auf Kritik. „Die Bundeswehr ist kein Betrieb wie jeder andere, in dem die An-gestellten bloß statt eines Blaumanns eine Tarnuniformen tragen – ein Engagement bei der Bundeswehr birgt immer das Ri-siko, in gewaltsame Auseinandersetzun-gen verwickelt zu werden“, sagt etwa Tho-mas Wiegold. Wiegold ist Journalist und berichtet seit den frühen 90er Jahren über

pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 2011 15

Kampagne

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die Bundeswehr. Seit vergangenem Jahr schreibt er in seinem Blog „Augen Gerade-aus!“ über die Armee.

Auch in der im April angelaufenen Advertorial-Kampa-gne in „Bild“, „Bild am Sonntag“ und auf „Bild.de“ dominie-ren Aktenordner und Computer die Pla-kate: „Mein Aufga-benfeld lässt sich als ‚Kaufmann light‘ um-schreiben und ist ei-gentlich ein norma-ler Bürojob.“ So be-schreibt eine jun-ge Frau ihren Alltag als Stabsdienstsolda-tin in einer Luftwaf-fenkaserne. Ein jun-ger Mann, der als Na-vigator auf einem Versorgungsschiff ar-beitet, wirbt: „Wenn ich morgens den Sonnenaufgang auf See erlebe, weiß ich, dass ich den richtigen Job gewählt habe.“ Es ist vor allem „diese Fall-höhe zwischen Werbung und Einsatzre-alität“, die Sascha Stoltenow bemängelt. Er kennt die Truppe von innen, war Fall-schirmjägeroffizier und für die Armee im Jugoslawien-Einsatz. Heute ist er Berater bei der Kommunikationsagentur Script und schreibt im „Bendler-Blog“ über die Kommunikation sicherheitspolitischer Themen. „Die Spannung-, Spiel- und Spaß-Ideologie“, mit der die Bundeswehr um Rekruten werbe, versage den aktiven Soldaten die Anerkennung, kritisiert er: „Wir brauchen keinen Hurra-Patriotis-mus wie in den USA, aber ein aufgeklärtes Bewusstsein dafür, dass sich der Soldaten-beruf von anderen abgrenzt.“

Nicole Karepin, Kommunikations-chefin der Mediaagentur Zenithmedia, stellt klar, dass das Risiko für die Rekruten durchaus thematisiert werde. Die Agen-tur hat die Mediastrategie für das Vertei-digungsministerium ausgearbeitet. Erst einmal gehe es jedoch darum, das Inte-resse der potenziellen Bewerber zu we-cken, so Karepin. Im zweiten oder dritten Schritt würden die negativen Aspekte an-gesprochen. Sie vergleicht die Soldaten-Werbung mit der von Polizisten oder Me-

Nicht nur die Inhalte der Werbekampa-gne haben Kritiker auf den Plan geru-fen. Etwa 600.000 Euro – 12,5 Prozent des Gesamtbudgets – investiert das BMVg in eine Advertorial-Kampagne in „Bild“, „Bild am Sonntag“ und auf „Bild.de“. Die linke Tageszeitung „taz“ und Oppositionspolitiker unterstell-ten einen Zusammenhang zwischen der positiven Berichterstattung der „Bild“-Zeitung über den früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und den Werbe-Investiti-onen des BMVg. Nicole Karepin von der zuständigen Werbeagentur weist diese Vorwürfe zurück: „Dass wir die ‚Bild‘-Titel für die Advertorial-Kampa-gne ausgewählt haben, ist auf deren unübertroffene Reichweite zurückzu-führen. Was ‚Bild‘ berichtet, wird zum Gespräch.“

„BILD“-KAMPAGNE

Vorbildlich: eine Krankenversicherung mit eingebauter Altersvorsorge.Die private Krankenversicherung macht es vor: Sie trifft Vorsorge für die im Alter steigenden Gesundheitskosten ihrer Versicherten. Ein verlässliches Polster, das alle Finanzkrisen unbeschadet überstanden hat und auch in Zukunft eine optimale medizinische Versorgung sichert. Ganz ohne staatliche Zuschüsse. So schont die private Krankenversicherung auch alle Steuerzahler. www.gesunde-versicherung.de

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können. Es gibt Jobs, die riskanter sind als andere. Trotzdem ist es richtig, auch diese zu bewerben.“

Die Wehrpflicht hatte den Kampf um die Köpfe extrem er-leichtert. Nun muss die Bundeswehr jeden Einzelnen von einem Engagement bei der Armee überzeugen. Wiegold: „Die Men-schen schätzen die Bundeswehr zwar als Institution, bewusst nehmen sie sie aber nur wahr, wenn etwas schief geht – beispiels-weise in Afghanistan.“ Gerade hochqualifi-zierte junge Menschen stehen der Bundes-wehr oftmals gleich-gültig oder ablehnend gegenüber. Eine Arbeit in der freien Wirtschaft

bietet mehr Prestige und ist in der Regel lu-krativer. Der Historiker Michael Wolffsohn warnte unlängst gar, die Bundeswehr werde zur Prekariatsarmee, in der die Armen und Perspektivlosen dienen.

Dass die Bundeswehr es schwer hat, hochqualifizierte junge Menschen für sich zu gewinnen, bezweifelt kaum jemand. Auch im BMVg sind sich die Verantwort-lichen dieses Problems bewusst: „Es gibt ein Gefälle zwischen strukturstarken und -schwachen Regionen“, so ein Sprecher. Die Warnung Wolffsohns vom Prekarier in Uniform hält er jedoch für unbegrün-det. Dennoch steht die Bundeswehr vor einer großen Herausforderung, will sie für alle Gesellschafts- und Bildungsschich-ten attraktiv sein. „Das kann das Vertei-digungsministerium nicht anordnen“, so Blogger Stoltenow, „sondern es muss sich die Anerkennung der Bevölkerung in ei-nem stetigen Diskurs erarbeiten.“

Bis zu 185.000 Soldaten sollen in der re-formierten Bundeswehr ihren Dienst tun. Als Thomas de Maizière Ende März zu den Abgeordneten des Deutschen Bundestags spricht, relativiert er dieses Ziel: „Ich wer-de keine Zahlen nennen, von denen ich glaube, dass sie am 1. Juli den neuen Frei-willigen Wehrdienst antreten werden. Ich freue mich über jeden, der kommt.“

dizinern: „Da werben Sie auch nicht da-mit, dass Sie eventuell jemanden erschie-ßen müssen oder ihre Patienten sterben

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pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 201116

Die Jagd hat begonnenIm April hat Barack Obama den Startschuss für seine zweite PRÄSIDENTSCHAFTSKAMPAGNE gegeben. Die Republikaner suchen ihren Kandidaten noch, doch schon jetzt zeigt sich: Die Konservativen haben aus der Niederlage 2008 gelernt. Sie wollen Obama mit seinen eigenen Mitteln schlagen.

VON JOHANNES ALTMEYERFo

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zaDie Erklärung für Obamas Wahl-

kampfstart liegt auf der Hand: Der Präsi-dent will seine Kampagne erneut als Ba-sisbewegung starten. „Das ist nicht mei-ne Kampagne, sondern Eure“, sagte er Mit-te April vor Anhängern in Chicago. Leicht wird es nicht, die Magie aus dem Jahr 2008 wieder aufleben zu lassen. Vor allem ein polarisierender Gegner fehlt. George W. Bush, Obamas Amtsvorgänger, war das Symbol einer gescheiterten Politik. Er schweißte die Demokraten zusammen und mobilisierte sie.

„Es war die richtige Entscheidung, mit diesem Video zu starten“, sagt Jonathan Kopp. Er war einer von Obamas Medien-beratern während dessen erster Präsident-schaftskampagne; seit Anfang 2009 ist er

schaffte es Obama wieder einmal, die Poli-tikwelt zu überraschen.

Der Grund dafür ist die rund zweimi-nütige Videobotschaft, die Obamas er-neuten Präsidentschaftswahlkampf an-kündigt. Unterlegt mit sanfter Gitarren-musik erklären fünf Anhänger, warum das Land Obama am 6. November 2012 für vier weitere Jahre ins Weiße Haus wählen soll-te. Der 49-Jährige selbst tritt in dem Video überhaupt nicht auf – was die Medien kri-tisch kommentierten: „Keine Präsident-schaftskampagne beginnt im Kollektiv“, war wenige Stunden, nachdem das Vi-deo an die Anhänger des Präsidenten ver-schickt wurde, auf der Webseite des „Time Magazine“ zu lesen. Im Zentrum stehe normalerweise der Kandidat.

Der US-Wahlkampf ist eröffnet. Ob-wohl die Präsidentschaftswahlen erst in 19 Monaten stattfinden, gras-

siert schon jetzt das Wahlkampffieber. Das liegt an dem Mann, der vor drei Jahren mit seiner Botschaft von „Wandel“ und „Hoff-nung“ einen historischen Wahlsieg feiern konnte: Barack Obama. Anfang April nun verkündete er – gewohnt internetaffin – via E-Mail, Facebook, Youtube und Twit-ter, dass er sich 2012 zur Wiederwahl stel-le und fragte seine Anhänger: „Are you in?“ Die Ankündigung alleine war nicht über-raschend, schließlich hatten sich der Prä-sident und seine Wahlkampfstrategen seit Monaten darauf vorbereitet. Und doch

Im August 2009 hielt Barack Obama eine finanzpolitische Rede in Wakarusa, Indiana – danach ging es mit der Air Force One zurück nach Washington

Internat ional

pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 2011 17

der Kandidaten in einem Punkt angleichen werden: „Kampagnenplattformen werden als schlanke ,Action Center‘ aufgesetzt, die Aktivisten schnell zeigen, was sie tun kön-nen.“ Ein eigenes Netzwerk, wie es die Ob-ama-Kampagne 2008 mit „MyBarackOba-ma.com“ aufgebaut hat, wird in Zeiten von Facebook und Twitter überflüssig. „Das sind unnötige Parallelstrukturen, die sich die Politiker sparen können“, sagt Bohne.

Auch Jonathan Kopp geht davon aus, dass sich diese „Action Center“ – er nennt sie jedoch „hubs“ oder „home rooms“ – als zentrales Wahlkampfinstrument durch-setzen werden. Für die Kampagnenmacher komme es darauf an, Inhalte zu liefern, die die Nutzer in ihren sozialen Netzwerken verbreiten. „Kandidaten, die lediglich ver-

setzte, um sein Erkundungskomitee anzu-kündigen. Hinter den Videos steckt der 23-jährige Filmemacher Lucas Baiano, der im Youtube-Blog erklärt, warum seine Videos eine so große Resonanz auslösen: „Es geht um den EQ, den emotionalen Quotienten eines Kandidaten.“ Erfolgreich könne eine Kampagne nur sein, wenn sie die Botschaft des Kandidaten glaubwürdig und emotio-nal vermittle. Sei das der Fall, könnten die Youtube-Videos ein besonders wirkungs-volles Wahlkampf-Instrument sein.

„Der Vorwahlkampf der Republika-ner gewinnt bereits jetzt an Fahrt“, sagt der Politikberater Maik Bohne, Co-Autor des 2008 erschienenen Buchs „Von der Bot-schaft zur Bewegung – die 10 Erfolgsstra-tegien des Barack Obama“. Der Grund: Die

für die digitale Kommunikation bei der PR-Agentur Ketchum in New York zustän-dig. Kopp findet es gut, dass der Präsident in dem Video selbst nicht auftritt. „Er will damit sagen, dass er dafür keine Zeit hat: Er muss das Land regieren.“ Wichtig sei aber auch ein anderes Merkmal des Kam-pagnenstarts, das viel über den bevorste-henden Wahlkampf aussage: die Verbin-dung zu den sozialen Medien.

„Sie werden 2012 das zentrale Element des Wahlkampfs sein“, sagt Kopp. Die Art, wie Obama den Kampagnenstart mit sei-ner Facebook-Seite verbunden hat, zeigt, wie stark US-Politiker auf das Netzwerk setzen. Denn auch dort stellte Obama die Frage: „Are you in?“ Klickt ein Nutzer nun „Ja“ an, zeigt er damit auch auf der eige-nen Facebook-Seite seine Unterstützung für den Demokraten an. Kopp nennt das eine „geschickte Peer-to-Peer-Maßnah-me“. Gemeint ist damit eine Kommunika-tion innerhalb einer homogenen Bevölke-rungsgruppe, Jugendlichen beispielswei-se. Für den Ketchum-Berater hat diese Art der Werbung einen weiteren Vorteil: „Das ist eine fast spielerische Art, sich für einen Kandidaten einzusetzen.“ Gerade in den sozialen Netzwerken könnten Politiker so leicht auf sich aufmerksam machen.

Unnötige Parallelstrukturen

Es war also ein kluger Schachzug, dass Ob-ama Mitte April in der Facebook-Firmen-zentrale im kalifornischen Silicon Valley ein „Townhall-Meeting“ veranstaltete, bei dem er sich den Fragen der Facebook-Nut-zer stellte. Das Besondere: Die Fragestun-de wurde live auf Facebook und der Web-seite des Weißen Hauses ausgestrahlt so-wie von Mark Zuckerberg moderiert, dem 26-jährigen Erfinder des Netzwerks. Ein Angebot, das kein US-Politiker hätte aus-schlagen können. Natürlich ist ein solches Medienereignis dem Präsidenten vorbe-halten. Doch haben längst auch dessen Gegner erkannt, wie mächtig die digitalen Kommunikationsmittel sind.

Ein gutes Beispiel dafür ist Tim Paw-lenty. Der ehemalige Gouverneur von Min-nesota hat Mitte März als erster Republika-ner offiziell erklärt, dass er mit einem „Er-kundungskomitee“ seine Chancen auf eine Kandidatur ausloten wolle. Wo erfuhren seine Anhänger zuerst davon? Auf Twitter und Facebook. Doch Pawlenty hat es auch verstanden, eine andere Plattform beinahe perfekt für sich einzusetzen: Youtube.

Bereits Anfang des Jahres machte der 50-Jährige mit einem aufwendig produ-zierten Web-Video auf sich aufmerksam. Dieses war Teil einer Werbekampagne für Pawlentys neues Buch, mit seinen schnel-len Schnitten und seiner heroischen Musik hätte es aber auch Werbung für einen Ac-tionfilm aus Hollywood sein können. Die Aufmerksamkeit der Medien war Pawlenty sicher – und so war es logisch, dass der Re-publikaner einen solchen Spot auch ein-

Konservativen tun sich schwer, geeignete Gegenkandidaten für Obama zu finden. Zum Vergleich: Vor vier Jahren hatten um diese Zeit bereits acht Republikaner ihre Kandidatur angekündigt. „Die hohe poli-tische Polarisierung im Land führt zu ei-nem intensiveren Wahlkampf. Überzeug-te Anhänger beider Parteien gibt es genug: Sie beobachten jedes neue Video und jede neue Microsite ganz genau“, sagt Bohne. Er erwartet, dass sich vor allem die Webseiten

Newt Gingrich (oben links) und Rick Santorum (unten rechts) kündigten auf ihren Webseiten an, gegen Obama anzutreten. Tim Pawlenty (oben rechts) und Mitt Romney (unten links) setzten auf Youtube-Videos.

pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 201118

Internat ional

suchen, viele Nutzer auf ihre Webseite zu ziehen, haben die Möglichkeiten der sozi-alen Medien nicht begriffen.“

Der Duisburger Politikwissenschaft-ler Christoph Bieber, dessen Forschungs-schwerpunkte die politische Kommunika-tion und die Neuen Medien sind, behan-delt das Thema Online-Wahlkampf in den USA seit langer Zeit auf seinem Blog „In-ternet und Politik“. Er glaubt, dass die Re-publikaner – trotz der noch unsicheren Kandidatenauswahl – die mächtige Wahl-kampfmaschine Obamas in Bedrängnis bringen könnten. „Die Republikaner ha-ben in den vergangenen Jahren genau ana-lysiert, was Obama mit seiner Kampagne erreicht hat.“ Rechne man nun die Mobi-lisierungskraft der erzkonservativen Tea Party und mögliche potenzielle Wahl-kampffehler der Demokraten dazu, könne

es durchaus eng für den Präsidenten wer-den. Der Wahlsieg Scott Browns hat be-wiesen, wie schnell die Demokraten eine sicher geglaubte Wahl verlieren können.

Mobile Wahlkamp�ilfe

Dem politisch unerfahrenen Republi-kaner gelang es im Januar 2010, bei einer Nachwahl den Senatssitz des verstorbe-nen Edward Kennedy zu erobern – und das im liberalen Ostküstenstaat Mas-sachusetts. Browns Vorteil war nicht nur, dass die Tea-Party-Bewegung ihn unter-stützte und seine demokratische Gegne-rin Martha Coakley mit umstrittenen Aus-sagen für Aufsehen sorgte. Er setzte im Wahlkampf auf eine ausgeklügelte Onli-ne-Strategie aus Youtube-Filmen, Face-book-Nachrichten und Google-Werbean-

zeigen. Browns wichtigstes Wahlkamp-finstrument war jedoch eine Applikati-on für „Smartphones“ wie das iPhone. Mit „Walking Edge“ – der Name geht auf eine GPS-Navigationstechnik zurück – konn-ten Browns Unterstützer auf Google-Kar-ten live nachverfolgen, wo gerade Wahl-kampf gemacht wurde – und welche Wäh-ler noch unentschlossen waren.

Die neue digitale Schlagfertigkeit der Republikaner musste auch Obama An-fang April schmerzlich erfahren. Ein paro-distisches Video der Republikaner über die Halbzeitbilanz des Präsidenten sahen auf Youtube rund dreimal mehr Nutzer als das erste Kampagnen-Video des Demokraten. Die US-Webseite „Politico“ fasste es so zu-sammen: „Die Zahlen machen klar: Wir sind nicht mehr im Jahr 2008.“ Die Repub-likaner haben die Jagd eröffnet.

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„Ich bin manchmal etwas neidisch“

p&k: Herr Schüler, was halten Sie von Barack Obamas Entscheidung, seine erneute Präsidentschaftskandidatur zunächst auf Youtube anzukündigen?Klaus Schüler: Das ist ja längst nichts Neues mehr, sondern fast schon Standard. Ba-rack Obama ist aktuell auch nicht der ein-zige Politiker, der dieses Mittel einsetzt. Auch die Republikaner – siehe jüngst Mitt Romney – agieren ähnlich.Was erwarten Sie vom US-Wahlkampf 2012?Hinsichtlich der Techniken sehe ich zur-zeit keine revolutionären Neuerungen. Ich gehe davon aus, dass die Elemente, die den Präsidentschaftswahlkampf 2008 geprägt haben, auch im kommenden Jahr dominieren. Da werden weiterhin die sozialen Netzwerke wie Facebook und

Twitter eine große Rolle spielen. Natür-lich kann sich das ändern, denn noch ist die Wahl über anderthalb Jahre entfernt. Lassen wir uns überraschen.Sind die USA immer noch Vorbild, was Kampagnentrends angeht?Was moderne Wahlkämpfe im Medien-zeitalter angeht, waren die USA in der Tat stets das Maß aller Dinge. Doch die digi-tale Revolution in den vergangenen 10, 15 Jahren hat die Distanz zwischen den USA und dem Rest der Welt verringert, was moderne Kampagnenführung betrifft. Die Kampagnenwelt ist enger zusammen-gerückt. Und einfach kopieren lassen sich Wahlkämpfe sowieso nicht.Superwahljahr 2011: Binden die Par-teien das Internet glaubwürdig in ih-ren Wahlkampf ein?Eindeutig ja. Wir als CDU sind auch 2011 auf allen Plattformen präsent, die wir

während des Bundestagswahlkampfs angeboten und genutzt haben. Natür-lich ist ein solcher Wahlkampf eine Zeit besonderer Anstrengungen, aber längst haben wir auch in Deutschland so etwas wie „permanent campaigning“. Dazu kommt die Veränderung der Kommuni-kationsgewohnheiten in der Gesellschaft. Darauf müssen wir reagieren. Das Inter-net ist also ein wichtiges, unverzichtbares Instrument, wenn auch nicht das einzige.Auf was kommt es noch an?Auf die richtige Mischung. Politik ist keine Frage der Technik. Am Ende zählt das überzeugende politische Angebot, die richtige Botschaft. Stimmt die nicht, hilft auch die modernste Technik nicht.Verhindern die strengen daten-schutzrechtlichen Bestimmungen in Deutschland eine Amerikanisierung des Wahlkampfs?Ich gebe zu, dass ich manchmal etwas neidisch bin, wenn ich sehe, wie zielgrup-pengenau die US-Kampagnenmacher die Wähler ansprechen können. Das sind Möglichkeiten, über die wir in Deutsch-land so nicht verfügen. Trotzdem: Auch bei uns, mit den hier gegebenen rechtli-chen Rahmenbedingungen, ist effektive politische Kommunikation möglich. Wir haben einen Rahmen, der dem Bürger Schutz bietet und den Parteien dennoch genügend Möglichkeiten für den Wahl-kampf gibt. Aus meiner Sicht besteht hier kein Bedarf für Veränderungen.

INTERVIEW: JOHANNES ALTMEYER

Klaus Schüler, 54, ist Bundes-geschäftsführer der CDU. p&k sprach mit ihm über den US-Wahlkampf 2012, Online-Kampagnen und die hohen datenschutzrechtlichen Hürden in Deutschland.

pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 2011 19

Internat ional

Sie wollen Obama schlagen

DIE SENKRECHTSTARTERIN Bis vor kurzem war Michele Bachmann, die im Repräsentan-tenhaus die Fraktion der Tea-Party-Abgeordneten anführt, in den USA politisch unbekannt. Das hat sich geändert: Mit ihrem Widerstand gegen Obamas Gesundheitsreform konnte die 55-Jährige landesweit auf sich aufmerksam machen. US-Medi-en gehen davon aus, dass Bach-mann ihre Kandidatur spätes-tens im Juni ankündigt.

DER LOBBYIST Haley Barbour ist seit 2004 Gouverneur von Mississippi und ehemaliger Parteichef der Republikaner. Der 63-Jährige war Anfang der 90er Jahre Mitbegründer einer Lobby-Firma und hat in Washington den Ruf eines versierten Strip-penziehers.

DIE IKONE Tritt Sarah Palin an oder nicht? Das ist die Frage, die sich viele US-Amerikaner seit Monaten stellen. Palin ist ehe-malige Gouverneurin von Alaska und war 2008 John McCains Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten. Die 47-Jährige arbeitet seit Anfang 2010 als Kommentatorin bei Fox News und konnte damit ihre Rolle als Ikone der Tea-Party-Bewegung medienwirksam festigen.

DAS FAMILIENGESPANN Das politische Vater-Sohn-Gespann Rand und Ron Paul hat noch nicht entschieden, ob einer von ihnen seinen Hut in den Ring werfen will. Rand, 48, ist im November 2010 mit Unter-stützung der Tea Party zum Senator von Kentucky gewählt worden. Sein Vater Ron, 75, ist texanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus und hatte sich bereits 2008 um die Präsi-dentschaftskandidatur seiner Partei beworben.

DER RELIGIÖSE Der 55-jährige Mike Huckabee hat Erfahrung mit Präsidentschaftskandida-turen: Bereits 2008 bewarb sich der ehemalige Gouverneur aus Arkansas um die republikani-sche Nominierung, scheiterte je-doch an John McCain. Huckabee, ausgebildeter Pastor, hat gute Chancen, 2012 gegen Obama anzutreten. In Umfragen unter Republikanern landet er derzeit stets auf einem Spitzenplatz.

DAS URGESTEIN Newt Gingrich ist ein politisches Schwerge-wicht. Der 67-Jährige führte die Republikaner bei den Kon-gresswahlen 1994 zu einem triumphalen Sieg. Von 1995 bis 1999 war er Sprecher des Repräsentantenhauses und galt als wichtigster Gegner des damaligen Präsidenten Bill Clinton. Anfang März kündigte Gingrich an, seine Chancen auf eine Präsidentschaftskandidatur auszuloten. Politikexperten in den USA gehen davon aus, dass er antreten wird.

DER HOLLYWOOD-KANDIDAT Ende März kündigte Tim Pawlen-ty auf Facebook als erster Repu-blikaner offiziell an, mit einem „Erkundungskomitee“ seine Chancen auf eine Präsident-schaftskandidatur auszuloten. Der 50-Jährige setzte dabei auf ein Web-Video in cineastischer Hollywood-Optik.

DIE NUMMER ZWEI Rick Santorum gilt als Liebling der Tea Party. Der 53-Jährige hat Pennsylvania als Abgeordneter im Repräsentantenhaus und als Senator vertreten. Mitte April kündigte Santorum die Grün-dung eines „Spendenkomitees“ an, um sich finanziell auf eine Präsidentschaftskandidatur vorzubereiten. Santorums Name fällt vor allem dann, wenn es um mögliche Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten geht.

DER EXZENTRIKER Der Wirt-schaftsmagnat Donald Trump liebäugelt öffentlich mit einer Kandidatur. Es gilt als nahezu ausgeschlossen, dass die Repu-blikaner den 64-Jährigen nomi-nieren. Dass Trump in jüngsten Umfragen trotzdem auf den vorderen Plätzen landet, zeigt vor allem, wie unentschlossen die Republikaner rund zehn Monate vor der ersten Vorwahl in Iowa noch sind.

DER GEHEIMTIPP Jon Hunts-man gilt als republikanischer Geheimtipp. Der 51-Jährige war von 2005 bis 2009 Gouverneur von Utah und konnte sich dort als Macher profilieren. Das fiel auch Obama auf, der ihn im März 2009 zum chinesischen Botschafter machte. Im Fe- bruar dieses Jahres kündigte der Mormone an, von seinem Amt zurückzutreten.

DER FAVORIT Mitt Romney, ehemaliger Gouverneur von Massachusetts, ist einer der großen Favoriten auf die Präsi-dentschaftskandidatur der Re-publikaner. Romney, 62, der bei den Vorwahlen 2008 auf dem dritten Platz landete, hat Mitte April ein „Erkundungskomitee“ angekündigt – allgemein die Vorstufe zur offiziellen Bekannt-gabe einer Kandidatur. In den vergangen drei Jahren hat es Romney verstanden, ein dichtes Netz aus Spendern aufzubauen.

Wer tritt für die Republikaner gegen den US-Präsidenten an? p&k stellt Ihnen die Herausforderer mit den GRÖSSTEN CHANCEN vor.

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Praxis

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Es war Peer Steinbrücks erste Rede als Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Über 20 Minuten lang setzte er sich mit der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Euro-Rettungspaket auseinander. Dass die SPD-Fraktion ihm ihre gesamte Redezeit in der Debatte zugestand, ließ anschließend Spekulationen au� ommen, Steinbrück könne bei der kommenden Bundestagswahl als Kanzlerkandidat für Sozialdemokraten ins Rennen gehen.Unsere Wortwolke zeigt, dass Steinbrück die Bundeskanzlerin direkt anspricht

(„Frau“, „Bundeskanzlerin“). Das erklärt auch die „Volten“, die in Steinbrücks Rede eine große Rolle spielen. Die wirft er der Bundeskanzlerin in ihrer Europa- und Finanzmarktpolitik vor. Damit habe sie – so Steinbrück – ihren Teil dazu beigetragen, die Lage an den Finanzmärkten zu verschlechtern. Darüber hinaus hält der ehemalige Finanzminister eine eher grundsätzliche Rede. „Europa“, „Deutschland“, „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Märkte“ sind Begriff e, die Steinbrück immer

wieder nutzt, um Merkels Politik in der Euro-Krise zu kritisieren und eigene Vorschläge zu machen, wie Deutschland auf die wirtschaftliche Schwäche europäischer Partnerländer reagieren kann. Dass Steinbrück die europäische Solidarität zur Rettung der gemeinsamen Finanz- und Währungsunion für alternativlos hält, zeigt das Wort „müssen“. So stellt Steinbrück das Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Finanzmärkte nicht in Frage, wohl aber das Vorgehen der Bundesregierung.

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REDE DES MONATS: PEER STEINBRÜCK

Praxis

pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 2011 21

Nachhaltig, innovativ und besonders – es ist schön, wenn eine Rede all das ist. Vermeiden Sie aber – wenn möglich – diese Vokabeln. Sie sind nämlich nichts von dem, sondern Phrasen, die den Zuhörer langweilen. Erzählen Sie Ihren Zuhörern nicht, dass Ihre Vorschläge nachhaltig, innovativ und besonders sind, sondern zeigen Sie es Ihnen stattdessen anhand von Beispielen und Inhalten. So wecken Sie die gewünschten Assoziationen bei Ihrem Gegenüber von ganz allein – frei nach dem chinesischen Sprichwort „Sagst du es mir, so vergesse ich es. Zeigst du es mir, so merke ich es mir. Lässt du mich teilhaben, so verstehe ich es“.

DER TIPP

In „Das befreite Wort“ setzt sich der Journalist und Redenschreiber Peter Sprong mit den Erfolgsgeheimnissen einer gelungenen öff entlichen Rede auseinander. Anhand berühmter Reden aus Geschichte, Gegenwart und Literatur zeigt er, was eine gute Rede ausmacht und stellt Tricks und Kniff e vor, mit denen Redner ihren Auftritt entscheidend verbessern können. Dabei geht Sprong auf ganz alltägliche Probleme wie Lampenfi eber und Redehemmungen ein, bietet aber gleichzeitig allgemeine Einblicke in die Technik der Rede. Um die Leser nicht nur zu belehren, sondern mit ihnen in Dialog zu treten, wird es im Internet bald einen Blog zum Buch geben. Dort können die Leser weitergehende Fragen stellen, über das Gelesene diskutieren und zusätzliches Anschauungsmaterial zu den im Buch vorgestellten Reden fi nden. Zudem bietet der Blog die Möglichkeit, auch aktuelle Beispiele zu behandeln.

Mit dem FDP-Parteichef Westerwel-le geht, und das konnte er wirklich, ein mitreißender Parteitagsredner. Noch auf dem Dreikönigstreffen hielt er eine kämpferische Rede, als Antwort auf seine Kritiker. Zu Beginn nutzte er einen Vergleich: „Mir ist ein schwieriges Dreikönigs-treffen, bei dem es Deutschland gut geht, lieber als ein einfaches Dreikö-nigstreffen, und Deutschland geht es schlecht!“ Langer Applaus. Schon Aristoteles wusste: Das Publikum liebt antithetische Formulierungen. Dann Rückblick auf die historische Sternstunde des Mauerfalls, die überwundene Teilung als Ausdruck des Freiheitswillens. 20 Jahre später ist Deutschland Mitglied im UN-Si-cherheitsrat: Bravorufe! Westerwelle wusste, was seine Zuhörer bewegt, doch was bewegte Westerwelle? – Langfristig ersetzt Rhetorik eben keine Argumente.

Frank HartmannFrank Hartmann ist Rhetorikcoach- und Medien-trainer in Berlin und analysiert für p&k die rheto-rischen Fähigkeiten unserer Politiker. Sie erreichen ihn unter: [email protected]

Guido Westerwelle

RHETORIKCHECKRHETORIKCHECK

MIMIK, GESTIK, KÖRPERSPRACHE

LEBENDIGER AUSDRUCK

REDEAUFBAU

DAS ZITAT

„Eine gute Rede ist wie ein Bikini – knapp genug, um spannend zu sein, aber alle wesent-lichen Stellen abdeckend.“JOHN F. KENNEDY

Peter Sprong: Das befreite Wort – Über die Bedeutung der öffentlichen Rede. Nicolai-Verlag, Berlin 2011. 144 Seiten, 19,95 Euro.

DAS BUCH

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Medien

Folge dem Kabel!

F rankfurt im Jahr 1849, Paulskirche. Aus den Kupferdosen der Flüssigbatterie strömt Schwefelgeruch. Auf einer umge-bauten Zigarrenkiste zittert das Galvanometer: Die Kiste hat

Saft. Im Plenarsaal nebenan brandet Applaus auf. Präsident Edu-ard von Simson schließt die 196. Sitzung der Nationalversamm-lung. Die Reichsverfassung ist verabschiedet, der Preußenkönig mit 290 gegen 248 Stimmen zum Kaiser gewählt. Es ist 15.30 Uhr. Tasten klicken, ein Zeiger surrt über eine Buchstabenscheibe. Der Strom reicht nur für 40 Kilometer bis zur nächsten Kiste. 14-mal tippt man die Meldung ab, dann tackert die letzte Box in Berlin. Es ist halb fünf, seit dem Votum ist nur eine Stunde vergangen. Fried-rich Wilhelm IV. erhält seine erste politische E-Mail.

Was Majestät gefällt, ist nicht der Inhalt. Die „Schweinekro-ne“ lehnt er ab. Sechs Tage später wird er Eduard von Simson und seine Kaiserdeputation, die mit Bahn und Kutsche nach Berlin eilt, auflaufen lassen. Die einzige Revolution, der sich der Mon-arch anschließt, ist die der Kommunikation. In der Schublade hat er einen lukrativen Staatsauftrag für den 32-jährigen Ober-leutnant Werner Siemens, der in nur vier Monaten 633 Kilome-ter Drähte von der Spree bis an den Main gezogen hat. Jetzt soll er ganz Preußen verkabeln.

Ein geschmeidiger Lobbyist namens Siemens

Siemens ist ein erstklassiger Strippenzieher, auch politisch. Spä-ter wird er selbst Abgeordneter der Fortschrittspartei. Er verlässt die Armee, seine „Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske“ wächst rasant. Er ist ein geschmeidiger Vertriebslobbyist. Aber als Ingenieur ist er stur: Im Streit über Störfälle im System sperrt ihm die preußische Verwaltung die Aufträge. Fast pleite, expandiert er zwangsweise ins Ausland. Für den Zaren zieht er Kabel bis zur Krim, für Österreich durch den Balkan, für die Franzosen nach Al-gerien, für England bis nach Kalkutta. Siemens’ Startup wird zum Weltkonzern – stets gut verdrahtet mit den Regierungen.

Der Telegraf setzt auch Charles Havas in Paris unter Strom. Ha-vas’ Agentur liefert seit 1835 Nachrichten, später wird aus ihr die Agence France-Presse (AFP). Seine Brieftauben haben ausgedient, Havas setzt nun auf Kabel. Bei ihm schlüpfen zwei junge Deutsche unter, denen während der Revolution der Boden in Berlin zu heiß wird: Bernhard Wolff und Julius Paul Reuter. Bei Havas lernen sie, wie man aus Börsenkursen, Weizenpreisen, Wetter und Regie-rungsverlautbarungen Nachrichten macht und weiterverkauft.

dern auch die wichtigsten politischen Tatsachen auf das Schnells-te zur Kenntnis des Publikums bringen.“ Als Ausgründung geht Wolffs Telegraphisches Bureau (WTB) an den Markt, Deutsch-lands erste Nachrichtenagentur.

Ex-Kollege Reuter geht nach Aachen, wo die deutschen Te-legrafenlinien enden. Brieftauben liefern ihm Börsen-News aus Paris und Brüssel, die er ins deutsche Netz speist. Doch Siemens schließt die Lücke und ruiniert Reuter. Väterlich gibt er ihm den Rat, es wie Wolff zu machen – und zwar dort, wo die meisten Ka-bel und das meiste Geld sind: London. Reuter zieht um, mietet sich 1851 bei der Börse ein, wird zum internationalen Medienmo-gul. Sein Motto: „Folge dem Kabel.“

Die Killer-App der Tele-Nachricht sind die Finanzmärkte. Aber auch Politiker merken, dass der Draht das Geschäft verändert. Er

Die Telegrafie war das „Viktorianische Internet“: Sie steigerte ab 1850 rasant das Tempo der politischen Kommunikation – im Guten wie im Schlechten. Und machte die Welt zum globalen Dorf. P&K HISTORIE – TEIL 2 DER SERIE.

VON MARCO ALTHAUS

Zurück in Berlin, steigt Wolff bei der „National-Zeitung“ ein. Als Preußen am 1. Oktober 1849 den Telegrafen für Private frei-gibt, hängt Wolff sofort am Draht und überrascht seine Leser: „Wir sind durch ausgedehnte Verträge in den Stand gesetzt, täglich te-legrafische Depeschen aus Paris, London, Amsterdam und Frank-furt geben zu können. Dieselben werden nicht nur das kaufmän-nische Interesse nach allen Richtungen hin berücksichtigen, son-

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Marco Althaus ist Professor für Sozialwissenschaften an der TH Wildau.

Diplomatische Konferenzen, Gesetzesbeschlüsse, Minister-worte, Parlamentsdebatten, Parteitage, Wahlen, Interviews mit Politikern – all das wird nun von Presse und Agenturen aktuell produziert. Aktuell, das definiert sich nicht mehr in Tagen, son-dern in Stunden und Minuten. 1859, als Kriegswolken zwischen Frankreich, Österreich und Italien hängen, überredet Reuter Na-poleon III., eine wichtige Rede europaweit verbreiten zu dürfen, noch während der Kaiser sie hält. Eine Sensation.

Im beinharten Konkurrenzkampf suchen Havas, Reuter und Wolff die Nähe ihrer Regierungen. Sie werden „offiziös“. 1869 schließt Wolffs Agentur mit Bismarck einen Geheimpakt. Es er-hält Vorrang am Staatskabel, hohe Subventionen aus schwarzen Kassen und Schutz für ein Monopol auf In- und Auslandsnach-richten, von der die Zeitungen abhängig sind. Mit dem Staat im

Rücken kann das WTB Reuter, Havas und später die Associated Press zu Kartellabsprachen bringen: Sie teilen die Welt in exklusi-ve Gebiete auf, die noch heute sichtbar sind. Aber das WTB muss Regierungsdepeschen vorrangig senden, alle Politikberichte pas-sieren zuerst Bismarcks Beamte, und der Staat greift bei Perso-nal und Redaktion ein. Bismarck kann sich 1874 sogar ein Presse-freiheitsgesetz leisten: Längst hat er sich an der Quelle eingenis-tet. Die Presse hat zum WTB keine Alternative. Der Deal fliegt erst später auf. Verleger beschweren sich bitterlich, verlangen die Öff-nung, im Reichstag fliegen die Fetzen. Doch bei der Netzpolitik bleibt der Kanzler eisern.

Telegrafenamt wird zum Machtmittel

Desinformation per Telegraf ist sein Metier. Schon 1870 hat er mit der frisierten Emser Depesche Krieg mit Frankreich ausge-löst. Dreist manipuliert Bismarck die WTB-Meldungen über die Kaiser-Attentate 1878, um eine Empörungswelle und eine Mehr-heit für das Sozialistengesetz zu erzeugen. Neben dem WTB wird das Kaiserliche Haupttelegrafenamt – hier sitzt heute die Haupt-stadt-Repräsentanz der Deutschen Telekom – zum Machtmittel. Die 180 Leitungen ins ganze Reich nutzt Bismarck wie Rundfunk: Örtliche Behörden haben seine Telegramme auszuhängen und als Plakate drucken zu lassen.

Total wird die Kontrolle nie. Das scheitert an der Informa-tionsflut, an der Verschlüsselung der Telegramme und dem de-zentralen Charakter des Mediums. Die Telegrafie beschleunigt die Gründungswelle nationaler Verbände. Die Sozialdemokratie wird die erste Massenpartei, geführt auch per Telegramm. Denn ihre Parteizentrale zieht ständig in Deutschland um, unter dem Sozialistengesetz gar nach Zürich und London. Das Kabel verbin-det Gremien, Parteipresse und Basis. „Jeder Telegrafendraht, der gelegt wird, verschafft uns neue Anhänger“, sagt August Bebel. Parolen werden in die Wahlkreise gekabelt, Kundgebungen te-legrafisch vorbereitet. Ortsvereine bestellen Flugblätter bei weit entfernten Parteidruckereien. Parlamentarier in Reichstag und Landtagen stimmen sich auf kurzem Draht ab. In London lässt Karl Marx 1864 die Erste Internationale per Telegraf einberufen. Arbeiterfunktionäre tauschen sich transnational über Aussper-rungen und Polizeiaktionen aus, koordinieren Streiks, Boykotts und Demonstrationen.

Auch in der Provinz gilt: Wo der Telegraf ist, diskutieren Bür-ger aktuell nationale und internationale Politik. In wenigen Jahr-zehnten wird der Telegraf die Welt verbinden, über Land und durch die Ozeane. Die Mutter aller Netze übermittelt 1858 rund 9 Millionen Telegramme in Europa, 1900 über 400 Millionen. Als Erfindung ist der Telegraf revolutionärer als das Internet. Durch ihn trennt sich die Kommunikation erstmals vom Transport. Die Staaten legen grenzüberschreitende Post- und Medienstandards fest. Der binäre Code der Amerikaner Morse und Vail definiert das neue Netz: „dit-dah-dit“, so singt der Draht Tag und Nacht. Aus seiner Melodie entsteht die globale Informationsgesellschaft.

Zwischen 1832 und 1849 setzte Preußen auf den optischen Telegrafen zwischenBerlin, Köln und Koblenz. 60 Türme mit Signalmasten übermitteltenBotschaften optisch. Das System wurde mit dem elektrischen Telegrafenüberflüssig. Viele Linien verliefen parallel zur Eisenbahn.

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verlangt sofortige Reaktion. Im Krimkrieg gerät die britische Re-gierung 1854 unter Druck, als Zeitungsleser täglich über Militär-pannen und katastrophale Zustände in den Lazaretten erfahren. Das löst die humanitäre Hilfsaktion aus, die Florence Nightingale organisiert. Der Telegraf gibt den „Engeln des Schlachtfelds“ auf der Krim Publicity. Der Telegraf wird bald zum Geburtshelfer der ersten großen internationalen NGO, dem Roten Kreuz.

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Medien

Wikileaks in Grün

M it seiner Wollmütze auf dem Kopf sieht Scott Millwood ein bisschen aus wie ein Hafenarbeiter, und wie

er so mit seinem Kaffee dasitzt im „Fuchs-bau“, einer Kneipe in Kreuzberg, passt er ganz gut nach Berlin; ins alternative Ber-lin, das es hier noch gibt. Der Australier sieht auch nicht nach dem gelernten An-walt aus, der er ist – eher nach dem Filme-macher oder nach dem Umweltaktivisten, der er vor allem ist.

Der 37-Jährige lebt seit 2004 in der deutschen Hauptstadt, und er mag die An-regungen, die er hier findet, den „philoso-phischen Austausch“, wie er sagt. Der aus Australien stammende Millwood ist das Gesicht der neuen Enthüllungs-Plattform Greenleaks, die sich ganz der Umwelt ver-schrieben hat. Ein Australier, der eine Ent-hüllungsplattform startet? Das klingt be-kannt: Julian Assange, die egozentrische Galionsfigur von Wikileaks, der Mutter al-ler Enthüllungs-Plattformen, kommt ja ebenfalls von „down under“. Zufall, Mill-wood hat mit Assange nichts zu tun, will die eigene Person bei der Sache am liebs-ten auch außen vor lassen. Und trotzdem

auf dem australischen Kontinent schon ausgestorben sind. Doch ist die Vielfalt bedroht, denn die Wälder verheißen der Holzindustrie Profite. Es ist kein Zufall, dass sich in Tasmanien 1972 die weltweit erste grüne Partei gründete.

Millwood ging zum Jurastudium nach Melbourne und später nach New York, anschließend arbeitete er eine Weile als Rechtsanwalt in Melbourne. Das aber reichte ihm nicht, er war neugierig und reiste durch die Welt: Der junge Australier lebte aus dem Koffer, war im Nahen Osten unterwegs, was ihm viele arabische Stem-pel im Pass und nach dem 11. September daher schon einmal längere Kontrollen an Flughäfen einbrachte.

Irgendwann entdeckte er den Doku-mentarfilm für sich; er sah ihn als Mög-lichkeit, kreativ zu sein und sich zugleich umweltpolitisch zu engagieren. Und so drehte er Filme, bei denen die Natur sei-ner Heimat im Mittelpunkt steht: „Wild-ness“ etwa, einen Streifen über zwei tas-manische Naturfotografen, oder „Wha-tever happened to Brenda Hean“. Die-ser investigative Film dreht sich um eine prominente Umweltaktivistin, die in den 70ern gegen die Flutung einer riesigen

Ein Australier, der in Berlin lebt, tut es seinem Landsmann Julian Assange gleich: Der Filmemacher SCOTT MILLWOOD will die „Weisheit der Vielen“ für den Umweltschutz nutzbar machen.

VON SEBASTIAN LANGE

Das Portal Greenleaks hat sich dem Umweltaktivismus verschrieben – darin grenzt es sich von reinen Informationsaktivisten wie Julian Assange und Wikileaks ab.

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hat der eine den anderen stark beeinflusst: „Für mich gibt es eine Zeitrechnung vor Wikileaks und nach Wikileaks“, sagt Mill-wood, der sich nach angelsächsischer Ge-pflogenheit einfach „Scott“ nennen lässt.

Er repräsentiert die Plattform in der Öffentlichkeit und ist der Einzige, der das künftig tun wird. Wer sonst noch genau dazugehört, darüber schweigt er: „Green-leaks ist ein internationales Netzwerk von Leuten, die sich umweltpolitisch betäti-gen“, sagt Millwood. „Ich kann nicht ein-mal genau sagen, wie viele wir sind.“ Ein bisschen Geheimniskrämerei gehört zum „Leaking“-Handwerk dazu, und das hat gute Gründe, soll die Plattform doch auch brisante Informationen zutage fördern: Wo verschmutzen Unternehmen die Um-welt? Wie positionieren sich Regierungen in Umweltfragen, und wer beeinflusst sie?

Urgrüne Heimat

Scott Millwood hat schon einiges gemacht in seinem Leben. Er wuchs auf der austra-lischen Insel Tasmanien auf, entwickel-te früh Umweltbewusstsein und Liebe zur Natur. Tasmanien ist stark bewaldet, hier sind seltene Tierarten erhalten, die

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Landfl äche für ein Wasserkraftwerk in Tasmanien kämpft und eines Tages spur-los verschwindet; womöglich wurde sie ermordet. Den Brenda-Hean-Film macht eine erste „Leaking“-Erfahrung Millwoods erst möglich: Jemand spielte ihm die Poli-zeiakte über das Verschwinden der Akti-vistin zu.

„Nur in Berlin möglich“

Der Filmemacher gewann auf internatio-nalen Festivals Preise, seine Werke schaff -ten es in die Kinos. Als er auf die 30 zuging und noch immer ständig unterwegs war, meinte er, es sei an der Zeit, sich dauer-haft irgendwo niederzulassen. „An einem eiskalten Januartag 2004 kam ich nach Berlin“, erinnert er sich, „ich hatte gera-de sechs Wochen Zeit zwischen zwei Fes-tivals und wollte die Stadt kennenlernen.“ In Berlin schlug Millwood Wurzeln, und er ist sich sicher, dass die Stadt Greenleaks überhaupt erst möglich gemacht hat, weil sich hier Gleichgesinnte fanden, mit de-nen er das Projekt eingehend diskutie-ren konnte. „In New York würde das nicht funktionieren, da müssen die Leute die

wortung ist umso größer, je schwieriger es ist, uns rechtlich zu belangen.“ Überhaupt ist das Selbstverständnis von Greenleaks ein anderes als das von Wikileaks: „Ich bin kein Informationsaktivist“, sagt Mill-wood. Er versteht sich als Umweltaktivist, der sich die grenzenlosen Möglichkeiten des Internets zunutze machen will. Veröf-fentlichen allein um der Transparenz wil-len, das ist nicht das Ziel von Greenleaks.

Weisheit der Vielen nutzen

Seit Januar ist die Webseite nun online, und als die Aktivisten Mitte März den ersten größeren Beitrag hochluden, er-hielt dieser durch die Ereignisse in Japan plötzlich besondere Aktualität: Es han-delt sich um das juristische Gutachten ei-ner bekannten, auf Energierecht speziali-sierten Anwaltskanzlei, das die im vorigen Jahr von der Bundesregierung beschlosse-ne Laufzeitverlängerung der Atomkraft-werke als wettbewerbswidrig einstuft. Ein neuer Aspekt in der juristischen Debat-te um den Atomdeal der Regierung. Das Gutachten wäre Munition für Produzen-ten erneuerbarer Energien gewesen, die gegen die Laufzeitverlängerung hätten klagen wollen. Eine wirkliche Enthüllung ist das Dokument jedoch noch nicht, auch wenn es bei Greenleaks heißt, das Gutach-ten sei der Plattform „zugespielt“ worden. Millwood fi cht das nicht an, ihm geht es denn auch nicht um spektakuläre Scoops, also um exklusive Nachrichten, die Furo-re machen: „Unsere Beiträge kann jeder kommentieren, und wir hoff en, dass die Plattform sich durch die Zusammenarbeit der Nutzer weiterentwickelt.“ Das Prin-zip der „Weisheit der Vielen“ soll Green-leaks zu einem Erfolg machen. Das „Gut-tenplag-Wiki“, bei dem Plagiatsjäger die Doktorarbeit von Ex-Verteidigungsmi-nister Karl-Theodor zu Guttenberg unter-suchten, ist für den Australier ein Vorbild für solch eine kollaborative Plattform.

Die Idee der Kooperation ist ihm wichtig, er will keine Millwood-Show aus Greenleaks machen. Nach dem Tref-fen im „Fuchsbau“ ruft er noch einmal an, um sicherzugehen, dass eines rüber kam: Es ginge nicht um ihn bei der Sache. Die-se Lektion haben Millwood und die Kin-der der Wikileaks-Revolution gelernt: Ju-lian Assange ist heute ein Popstar der In-ternet-Gemeinde – und wartet mit einer elektronischen Fußfessel auf die Ausliefe-rung nach Schweden. Fo

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meiste Zeit darum kämpfen, überhaupt ihre Miete zahlen zu können.“

Wie und wo er genau in Berlin wohnt, das will Millwood nicht verraten. Sei-ne Vorsicht ist groß, denn wie Green-leaks sich künftig entwickeln wird, weiß er schließlich nicht. Sollten die Aktivisten eines Tages großen Unternehmen auf die Füße treten, könnte es ratsam sein, nicht allzu leicht auffi ndbar zu sein. Auch steht der Greenleaks-Server „nicht hier um die Ecke“, sagt er. Und dennoch betont er, dass er innerhalb enger ethischer Grenzen handeln will: „Unsere persönliche Verant-

Das Gesicht von Greenleaks: der australische Filmemacher Scott Millwood

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pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 201126

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Herzliches Raubein: Klaus Vater

A ls Klaus Vater sich über einen Pres-sebericht mal so richtig ärgerte, soll er dessen Autor bei einer Veranstal-

tung aufgefordert haben, doch mit ihm vor die Tür zu gehen: Man könne die Sa-che auch regeln wie unter Männern. Er komme aus einem Bergarbeiter-Ort in der Eifel, und da habe man das früher so ge-macht. Der Journalist sei aber nicht auf das Angebot eingegangen.

Vater erzählt diese Anekdote selbst, und er bleibt beim Erzählen völlig ernst – doch liegt der Verdacht nahe, dass er in Wahrheit nur mit dem Image spielt, das er sich in den zehn Jahren als Sprecher zweier Minister und den zwei Monaten als stellvertretender Regierungssprecher erworben hat. Den Mann, der acht Jahre lang für Ulla Schmidt sprach, beschreiben Journalisten meist als Raubein. Als „Pres-se-Rambo“ oder „Kampfross“ betitelten sie ihn.

Doch das Etikett des Raubeins wird ihm nur zum Teil gerecht, wie immer ist die Wirklichkeit komplexer: Fast je-der in der Politszene attestiert dem So-zialdemokraten, dass er ein sehr freund-licher Mensch ist – auch wenn manch ei-ner einschränkt: „zumindest privat“. Und das, was Dieter Wonka, der erfahrene Kor-respondent der „Leipziger Volkszeitung“, sagt, bestätigen ohnehin die meisten: „Va-ter ist ein ausgewiesener Fachmann mit einer Überfülle an Expertenwissen.“

Doch wenn der Fachmann seine Mi-nisterin unfair behandelt sah, gerieten seine Auftritte in der Regierungspresse-konferenz auch schon einmal zur Blatt-kritik; Journalisten mussten mit Anrufen rechnen, in denen Vater sie zur Rede stellt. Zu Recht, findet er: „Wer sich als Redak-teur öffentlich zu Wort meldet, muss sich

Hart, aber herzlichKLAUS VATER gehört zu den Originalen der deutschen Politszene. Jetzt geht der frühere Sprecher von Ulla Schmidt in den Ruhestand

– aber nur offiziell.

VON SEBASTIAN LANGE

auch gefallen lassen, dass man ihn dafür kritisiert.“

Besonders häufig ärgerte er sich über die „Bild“-Zeitung, etwa, als diese 2004 den „ersten Toten der Gesundheitsre-form“ verkündete. Gegenüber dem Sprin-ger-Blatt beging er 2008 den Fehler, ihm als Retourkutsche für Negativ-Berichte einen Anzeigenboykott anzudrohen. Der Deutsche Journalistenverband protestier-te, Vater entschuldigte sich schließlich: Er habe nie im Sinn gehabt, die Pressefrei-heit anzugreifen. „Bild“ feierte den Tri-umph standesgemäß im Blatt und jubelte: „Am Ende siegte doch die Vernunft!“

Kampfeslustig war Vater immer, schließlich ist er ein Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn. Er arbeitete als Re-dakteur bei der Parteizeitung „Vorwärts“, in den 90ern war er Büroleiter des Sozi-

gewusst, wie sie sich in Schröders männer-dominiertem Kabinett durchsetzt.“ Wäh-rend Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Otto Schily „im Sandkasten gesessen und Weltpolitik gemacht“ hätten, habe „die Schmidt“ sie daran erinnert, dass es noch Themen gab, die die Deutschen di-rekt betreffen, Kassenbeiträge und Arz-neimittelkosten zum Beispiel.

Ende März ist Vater mit 65 Jahren end-gültig aus dem Dienst im Gesundheitsmi-nisterium ausgeschieden, wo er seit dem Regierungswechsel für Kampagnen und das Corporate Design zuständig war. Als die Liberalen das Haus 2009 übernahmen, setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel sich persönlich für den Sozialdemokraten ein, der ihr in den zwei Monaten vor der Wahl loyal gedient hatte: Den solle man bitte schön nicht bis zu seiner Pensionie-rung ins Archiv schicken.

Dennoch hatte Vater fortan mehr Zeit, vor allem fürs Schreiben, seine Leiden-schaft: Mehrere Bücher hat er verfasst, so-zialpolitische Sachbücher, aber auch ein preisgekröntes Jugendbuch. Nun ist der Krimi „Am Abgrund“ erschienen, eine Folge eines Kettenromans, der im Berlin des Jahres 1934 spielt. Kommissar Her-mann Kappe muss einen Baustellenun-fall mit Todesfolge au�lären, der eigent-lich eine politische Tat ist, weil er auf Ri-valitäten zwischen SA und SS zurückgeht. Frank-Walter Steinmeier hat den Roman im März vorgestellt.

Schon während seiner Zeit als Minis-teriumssprecher reservierte Vater sich stets den Donnerstagabend fürs Schrei-ben. Er saß dann einige Stunden rau-chend in seiner Wohnung am Schreib-tisch, für ihn „eine Art der Selbstverge-genwärtigung“. Das Raubein konnte in Wahrheit recht empfindsam sein: „Mit dem Schreiben habe ich mir Entlastung verschafft“, sagt er. Der Druck als Sprecher des schwierigen Gesundheitsressorts ist groß, denn „wenn die eine Attacke der Me-dien noch nicht vorüber ist, kommt schon die nächste“. Auch seien zuweilen im ei-genen Haus Konflikte auszutragen gewe-sen, „und dann wird man schon mal gran-tig und hochfahrend“, gesteht er ein.

Noch hat Vater ein Häuschen in Bad Godesberg, doch will er nun mit seiner Frau ganz nach Berlin ziehen. Tauben füt-tern wird er im Ruhestand ganz bestimmt nicht: Die Politik lässt ihn nicht los, er wird sich als Berater betätigen – und, na-türlich: schreiben.

alpolitikers und damals stellvertreten-den SPD-Fraktionschefs Rudolf Dreßler. Als Walter Riester Bundesarbeitsminister wurde, holte er Vater als Sprecher ins Mi-nisterium. Eine Zeit, an die dieser sich ger-ne erinnert: „Nach dem Regierungswech-sel 1998 herrschte Au�ruchstimmung.“ Von Riester spricht er noch heute in den höchsten Tönen, ein „aufrechter Mensch“ sei der, und überdies „blitzgescheit“. Es habe ihn berührt, dass Riester darauf be-standen habe, Vaters Familie – Frau und fünf Kinder – kennen zu lernen.

Und Ulla Schmidt? „Die war grandios, ein richtiges Alphatier“, sagt Vater. „Sie hat Fo

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pol it ik&kommunikat ion | Apr i l 2011 27

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p&k: Herr Uhlig-Romero, warum haben Sie als Schauspieler, Autor und Maler ein Café eröffnet?Gerald Uhlig-Romero: Ich habe mich bereits während meines Studiums in Wien ger-ne in Kaffeehäusern aufgehalten. Als ich erkannt habe, dass ich mit meinen Auf-führungen und Ausstellungen zwar The-ater und Museen fülle, aber dort nur ein spezielles Publikum erreiche, kam mir die Idee, das Kaffeehaus als soziale Skulptur zu kreieren.Das Café Einstein ist ein Kunstwerk?Die Verbindung mehrerer Sinneswahr-nehmungen kommen in meinem Kaffee-haus gut zur Geltung. Hier werden das Sehen, Hören, Schmecken, der kreative Geist und die Kommunikation gefordert. Es ist ein Ort, wo die Gäste Müßiggänger sein, Pläne schmieden oder sich verlieben können. Das Kaffeehaus ist ein Ort jeder menschlichen Ansiedlung und daher ist es für mich als Künstler eine in sich stim-mende Skulptur.Passt die Atmosphäre zu dem gehetz-ten Terminkalender eines Politikers?Als Philosoph und Buddhist kann ich nur sagen: Mein Kaffeehaus ist eine Einladung zu Meditation und Müßiggang. Ich beob-achte häufig, dass Politiker sich hier auch entspannen. Sie sind allerdings nur ein Teil unseres Gästekreises. Wir hatten beinahe alle lebenden Nobelpreisträger im Haus. In der Galerie zeigen wir hochwertige Kunst – dadurch ist das Einstein weit mehr als ein Kaffeehaus und über die Grenzen Berlins hinaus bekannt geworden.Sollte in der Politik mehr Kaffehaus-Kultur und weniger Parlamentskultur herrschen?Ich fände es wunderbar, wenn Politiker sich mehr für Philosophen, Literaten und Wissenschaftler öffnen würden. Mir ist

„ Das wahre Parlament“Im März wurde das Café Einstein 15 Jahre alt. Im p&k-Interview lässt Besitzer GERALD UHLIG-ROMERO diese Zeit Revue passieren.

wichtig, dass sich hier alle gesellschaftli-chen Gruppen wiederfinden. Deshalb ist dieses Kaffeehaus für mich eine Polis der Demokratie – das wahre Parlament der Sinne und des Geistes, ohne Wählerstim-menhysterie.In der Festschrift zum 15. Geburtstag des Einstein zitieren Sie den Schrift-steller Walter Serner: „Berlin, dieses Paradies für Hochstapler und Händler der heißen Luft“. Beschreibt das auch das Geschehen im Einstein?Heiße Luft insofern, als dass nur dadurch Kaffee hergestellt werden kann. In der Po-

litik scheint sie jedoch auch eine besonde-re Rolle zu spielen.Was meinen Sie?Unter dem Aspekt des Theaters war Karl-Theodor zu Guttenberg ein begabter Un-terhaltungskünstler. Nur sein shakespea-resches Betrügen hat ihn gezwungen, zu gehen. Das bedauere ich: Guttenberg hat-te immer einen guten Auftritt. Zu einer Lesung im Einstein kam er mit dem Fahr-rad. Ich empfehle ihm, jetzt erstmal zum Theater zu gehen.Welche Politiker unterhalten Sie denn besonders gut?Komischerweise sind es eher Leute, die nicht mehr im Amt sind. Unser ehemali-ger Innenminister Gerhart Baum sprüht vor Ideen und Enthusiasmus. Die frühe-re Familienministerin Renate Schmidt ist auch so eine – lebendig, strahlend, inte-ressiert. Gerhard Schröder wirkte oft ein wenig eindimensional, hatte aber auch Unterhaltungswert. Wer hat die Einstein-Begeisterung im Fo

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INTERVIEW: FLORIAN RENNEBERG

Gerald Uhlig-Romeroist Schauspieler, Regisseur, Autor, Produzent, Maler und Fotograf. Seit 1996 ist der gebürti-ge Heidelberger Besitzer des Café Einstein.

politischen Berlin losgetreten?Das ging relativ schnell. Am Anfang waren Rita Süssmuth und Helmut Kohl oft hier – aber auch viele Künstler und Schriftsteller. Der Mensch möchte einen Ort haben, der ihm vertraut ist und an dem er sich wohl-fühlt. Ich glaube, das Einstein ist für viele ein solches Wohnzimmer geworden.Kritiker benutzen das Einstein als Sy-nonym für Lobbyismus. Stört Sie das?Manchmal gibt es unangenehme Arti-kel: Ein Journalist hat das Einstein irgend-wann einmal als Hinterzimmer der Macht bezeichnet. Seitdem schreibt es einer vom anderen ab. Dabei ist das Einstein weder ein normales, noch ein politisches Hin-terzimmer. Hier ensteht keine Macht, sondern hochqualitative Dinge für unse-re Sinne. Gibt es einen Gast, der ihnen beson-ders in Erinnerung geblieben ist?Da gibt es so viele – am meisten die Nobel-preisträger. Sonst gab es in den letzten 15 Jahren viele bereichernde Ereignisse und Begegnungen mit Menschen, die ich nor-malerweise nie getroffen hätte.Und welchen Gast vermissen Sie?Keinen. Das Einstein ist so ein herrlicher Zirkus. Ich sitze hier als Kaffeehaus-Bud-dha und genieße, was kommt.Was kommt in den nächsten Jahren auf das Einstein zu?Solange wir alle einigermaßen gesund bleiben, bleibt es ein verlässlicher Ort. Ich wünsche mir, dass meine Tochter das Kaffeehaus übernimmt. Aber die ist jetzt zehn Jahre alt – wer weiß, was da noch kommt: Momentan will sie Schauspiele-rin oder Genforscherin werden.

„Ich empfehle zu Guttenberg, jetzt erstmal zum Theater zu gehen“