8
Lebendige Heft 12017 Zeitschrift für praktisch-theologisches Handeln 68. Jahrgang · ISSN 0343-4591 Ausbildung seelsorge echter www.lebendige-seelsorge.de

Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

PVSt, Deutsche Post AG,Entgelt bezahlt, B 4510

Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH Kreidlerstraße 9 70806 Kornwestheim

Lebendige

Heft 12017

Zeitschrift für praktisch-theologisches Handeln 68. Jahrgang · ISSN 0343-4591

Ausbildung

seelsorge

echter

an

Auftraggeber

Motiv

Format/Farbe

Zeitschrift/Ausgabe

2016.092 Echter Verlag

Echter Verlag, Würzburg

Tewes: Praxis Partizipation

139 × 168 mm, schwarzweiß

Lebendige Seelsorge (U4)

www.echter.deDas Buch erhalten Sie bei Ihrem Buchhändler.

Praxis PartizipationEine Kirche, in der einige wenige für viele andere die Gestaltungshoheit

haben, verliert zunehmend an Kraft. Die Er schöpfung ist spürbar. Aber

wie kann ein Kirchenverständnis vor Ort wachsen, das auf der Erfahrung

des Teilens, der Teilhabe an Jesus Christus und der Beteiligung aller auf-

baut? „Lokale Kirchenentwicklung“ ist in den vergangenen Jahren zu

einem Begriff geworden, der diese

kirchliche Suchbewegung zu beschrei-

ben versucht. Das Symposium „Praxis

Partizipation“ griff dieses gemeinsame

Suchen und Finden von Perspektiven

auf und setzte es fort.

Klaedtke / Rick / Schlesinger / Tewes (Hg.)Praxis PartizipationVoraussetzungen und Wege zu einer Kirche der Beteiligung

240 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-429-03977-6€ 14,90 (D) / € 15,40 (A)

Auch als eBook erhältlich:ISBN 978-3-429-04877-8 (PDF)ISBN 978-3-429-06296-5 (ePub)jeweils € 12,99

www.lebendige-seelsorge.deLebe

ndig

e Se

elso

rge

1 –

2017

Aus

bild

ung

LS_01_17_U.indd 1 14.02.17 10:57

Page 2: Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

THEMA

2 Raus aus der Falle Nachdenken über die Ausbildung

von Priestern und Seelsorgenden

Von Christian Hennecke

8 Für die Seelsorge ausbilden: Herausforderungen und Optionen

Von Leo Karrer

14 Jenseits zu enger Berufsbilder zum Paradigmenwechsel herausgefordert

Die Replik von Christian Hennecke

auf Leo Karrer

17 Mut zu einer pastoralen Chaos-Theorie Die Replik von Leo Karrer auf

Christian Hennecke

20 Die Kunst der Seelsorge Von Doris Nauer

PROJEKT

26 „Liturgie des Abschieds“ Ausbildung ehrenamtlicher Seelsorgerinnen

und Seelsorger für den Beerdigungsdienst

im Erzbistum Freiburg

Von Ulrich Albicker

INTERVIEW

30 Ausbildung ist Avantgarde Ein Gespräch mit Udo Bentz

PRAXIS

37 „Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf“ Ein Programm zur Steigerung des Anteils von

Frauen in kirchlichen Leitungspositionen

Von Andrea Qualbrink und Birgit Mock

42 Zwischen Rom und Silicon Savannah: Priesterausbildung in Subsahara-Afrika

Von Franziska Seidler

47 Kontakt-Linsen kirchlicher Organisationsentwicklung

Ein Vorschlag zur Anreicherung der

Berufseinführung

Von Christina Isabelle Biskupek

52 Ekklesio-Diversity als Schmiermittel der personalen Wertschöpfungskette seelsorglicher Berufe

Von Marius Stelzer

FORUM

59 Vom Konflikt zur Gemeinschaft Reflexionen zum Reformationsgedenken

Von Wolfgang Thönissen

POPKULTURBEUTEL

72 Pastoraltheologie am heimischen Ofen Von Matthias Sellmann

NACHLESE

63 Glosse von Annette Schavan65 Buchbesprechungen71 Impressum

Was bedeutet es für Christen, als Pilger mit einer Verheißung zu leben? Was trägt und was birgt angesichts der Herausforderung des Fremden im gesellschaftlich-sozialen, religiösen wie persönli-chen Bereich? Biblische, systematische, praktisch- und spiritualitätstheologische Impulse beleuchten das Thema Heimat und Fremde und mit ihm die Suche nach dem eigenen Leben.

Beginn: Montag, 10.07.2017 um 14.30 Uhr, Ende: Donnerstag, 13.07.2017 mit dem Mittagessen

Modul 1 (Mo – Di) und Modul 2 (Mi – Do) können separat belegt werden.

Tagungskosten (ohne Übernachtung): Modul 1 u 160,- (u 80,- erm.) Modul 2 u 160,- (u 80,- erm.) ganzer Kurs u 320,- (u 160,- erm.)

Philosophisch-Theologische Hochschule MünsterKirchlich und staatlich anerkannte Hochschuleder Deutschen Kapuzinerprovinz

Mehr Infos und Anmeldung über: www.pth-muenster.de/summerschool_2017

SummerScHool PTH münSTer

auf Der SucHe nacH Dem eigenen leben 10. – 13.07.2017

INHALT Lebendige Seelsorge 1/2017Ausbildung

an

Auftraggeber

Motiv

Format/Farbe

Zeitschrift/Ausgabe

2017.09 Echter Verlag

Echter Verlag, Würzburg

Hennecke: Kirchenkurs

69 × 205 mm, schwarzweiß

Lebendige Seelsorge

Der Kirchenkurs

www.echter.de

Kirchenentwicklungsprozesse

sind immer dann möglich, wenn

die jeweils Verantwortlichen sich

selbst auf eine geistliche, theo-

logische und praktische Umkehr

ihres „ekklesialen Bewusstseins“

einlassen – so die Erfahrung der

Herausgeber dieses Bandes bei

ihren pastoralen Erkundungs-

reisen an vielen Orten der Welt.

Entstanden ist daraus der in vielen

Pfarrgemeinden erprobte Kurs

zur Lokalen Kirchenentwicklung.

Christian Hennecke / Gabriele ViecensDer Kirchenkurs · Wege zu einer Kirche der Beteiligung · Ein Praxisbuch168 Seiten · BroschurISBN 978-3-429-03910-3€ 12,90 (D) / € 13,30 (A)

LS_01_17_U.indd 2 14.02.17 10:58

Page 3: Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

Lebendige Seelsorge 68. Jahrgang 1/2017 1

eDITorIaL Lebendige Seelsorge 1/2017

Ausbildung

Liebe Leserin, lieber Leser,Karawanenführer haben einen der anspruchsvollsten Berufe, die ich kenne. Sie sorgen dafür, dass eine Gruppe von Menschen und Tieren – es können meh-rere hundert Dromedare sein – auf wochenlangen, entbehrungsreichen Mär-schen heil durch die lebensfeindliche Umgebung der Sahara und der Sahel-zone kommt. Unterwegs wird zwischen sechs Uhr morgens und elf Uhr nachts keine Pause gemacht. Selbst der Tee wird im Gehen gekocht. Seit dem Mittelalter sichern Karawanen den Austausch lebenswichtiger Güter wie Salz, Datteln und Hirse sowie von Nachrichten zwischen Völkern, die weit verstreut leben. Karawanenführer müssen nicht nur die Karawane zusammen-halten und sie vor den Gefahren der Wüste, vor Sandstürmen, Schlangen und Überfällen schützen. Sie müssen auch den Weg und Wasser finden. Denn eingetretene Pfade gibt es zwischen Sand und Steinen auch nach Jahrhun-derten nicht. In der Monotonie der Wüste dient ihnen der eigene Schatten zur Orientierung, genauso wie die Sterne und die Zeichen des Sandes, die sie zu lesen verstehen. Ausgebildet werden Karawanenführer, von denen es übrigens immer weniger gibt, nicht im Internat. Für die Wüste wird man in der Wüste ausgebildet. Mit fünfzehn Jahren werden junge Männer ausgesucht, die dann fünfzehn Jahre mit einer Karawane mitgehen. Erst dann übernehmen sie selbst die Verant-wortung. Unterwegs lernen sie das Unterwegssein.„Seelsorge ist einer der schönsten und gefährlichsten Berufe der Welt“ schreibt Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden zufügen kann. Damit die Kunst der Seelsorge heilsam bleibt, brauche es lebenslange Schulung. Und eine Ausbildung, die hilft, notwendige Fähigkeiten einzuüben. Wie diese Ausbildung aussehen kann, das ist immer wieder zu diskutieren. Schließlich ist auch das wandernde Volk Gottes nicht auf gut ausgeschilderten Pfaden unterwegs, son-dern in einer Gegenwart, deren Zeichen zu lesen und zu deuten sind. Interessant ist: Inspirationen hält auch hier der Blick in andere Ortskirchen bereit. Die Autorinnen und Autoren zeigen, was sich anderswo tut: in Mexiko und auf den Philippinen, in der Schweiz und im „Silicon Savannah“. Bei aller Unterschied-lichkeit der Formate schält sich im Hintergrund eine gemeinsame Erfahrung heraus: Seelsorge lernt man, wenn man mit dem Volk Gottes unterwegs ist.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre,Ihr

JProf. Dr. Bernhard Spielberg, Mitglied der Schriftleitung

Bernhard SpielbergMitglied derSchriftleitung

Eingeben:

Jahrgang: 68

Ausgabe: 1Thema: Ausbildung

LS_1_2017.indd 1 14.02.17 11:17

Page 4: Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

Thema Ausbildung

Raus aus der Falle

ThemaProjektPraxisForum

2 Lebendige Seelsorge 68. Jahrgang 1/2017 (S. 2 – 7)

ThemaProjektPro und ContraInterviewPraxisForumNachlese Raus aus der Falle

Nachdenken über die Ausbildung von Priestern und Seelsorgenden

So geht es nicht. So ging es eigentlich schon lange nicht mehr. So wird es nicht mehr gehen. Das steht fest. Die Priesterausbildung verdient mehr als die Frage nach der Größe von Seminargemein-schaften und der Sicherung akademischer Standards der Theologie. Und gleichzeitig stellt sich auch die Frage, wie in Zukunft die anderen pastoralen Berufsgruppen, Seelsorgerinnen und Seelsorger in Berufen wie den der Gemeindereferenten oder Pastoralreferentinnen gefunden und ausgebildet werden können. Christian Hennecke

Zunächst und vor allem: warum geht es so nicht mehr? Ein kurzer Blick auf die Zei-

chen der Zeit braucht es, um deutlich zu machen, dass in Zeiten gesellschaftlicher Paradigmen-dämmerungen (und der Verflüssigung kirch-licher Selbstverständlichkeiten) die Frage nach der Ausbildung anders zu stellen ist (1). Das ist verbunden mit einer zweiten Frage: wofür ge-nau werden Priester und andere Seelsorgerin-nen und Seelsorger eigentlich gebraucht? Weil die Kirche (sakramentale und hierarchische) Dienste braucht, müssen diese im Volk Gottes verwurzelt sein und dem Volk Gottes dienen. Wie sich dieser Dienst gestaltet, wird aber erst dann deutlich, wenn auch klar ist, welchen Weg das Volk Gottes in diesen postmodernen Zeiten geht (2). Bevor allerdings eigene Über-legungen greifen können, ist erst einmal wahr-zunehmen, dass – trotz aller scheinbaren Ähn-lichkeit von Ausbildungsgängen – gerade auch im Bereich der Priesterausbildung spannende Erfahrungen gemacht werden, die Hinweise für eine mögliche Kultur zukünftiger Ausbil-dungsgänge aller pastoralen Berufsgruppen bieten (3). Sie bieten Möglichkeiten für eigene Überlegungen (4).

I. FLÜSSIG UND DESWEGEN AUCH IDENTITÄTSBEWUSST

Wir leben in Zeiten der Verflüssigung: von festen Gewissheiten, von festen biografischen Entwürfen sind wir oft weit entfernt. Die Ver-vielfältigung der Herkunft, die fragileren und bunten Familiensituationen und die ganz unterschiedlichen Geprägtheiten, Herkünfte, Traditionen und die so vielen Optionen sind Kennzeichen, die sich natürlich auch darauf auswirken, wie junge Menschen heute zu Ent-scheidungen kommen, Berufswege und Part-nerschaften wählen. Das ist für unseren ge-sellschaftlich-kirchlichen Kontext hinreichend reflektiert worden. Und es hat Konsequenzen. Es heißt vor allem, dass ein bestimmtes kirch-liches Gestaltgefüge in einem tiefgreifenden und unabsehbaren Transformationsprozess ist. Irreversibel geht dabei auch eine katholische

geb. 1961, Dr. theol., 2006 – 2014 Regens des Priesterseminars, seit 2015 Leiter der Haupt- abteilung Pastoral des Bistums Hildesheim.

Christian Hennecke

LS_1_2017.indd 2 14.02.17 11:17

Page 5: Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

Lebendige Seelsorge 1/2017 Raus aus der Falle 3

Sozialisationsidee zu Ende. Das ist allen be-wusst. Entsprechend vielfältig stellen sich ja auch Glaubensbiografien dar, und wächst die Zahl derer, die später in ihrem Leben mit dem christlichen Glauben in Berührung kommen. Es gibt weiterhin Menschen, die wie selbstver-ständlich in ihren katholischen Glauben hi-neinwachsen. Viel häufiger hingegen wachsen junge Menschen nicht mehr in klassischen Traditionsgefügen katholischen Glaubens auf. Alle, getauft oder nicht, sind also als freie Weggestalter unterwegs, die ihre Überzeugun-gen und auch ihren Glauben nach und nach entdecken. Eine experimentelle und sehr er-fahrungsorientierte Kultur ist im Werden. Sie kennt Anfänge und Abbrüche und wirkt auf den ersten Blick sehr individuell und fragmen-tarisch. Nur auf den ersten Blick allerdings – denn zugleich gibt es eine Suche nach Stabili-tät, Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Stadtteilprojekte, Initiativen und Engagements für andere, neue Formen des Miteinanders, So-cial street Erfahrungen und wechselnde For-men von Gemeinschaften machen deutlich, wie sehr auch heute Menschen diese Grund-dimension des Menschseins leben.

Klar und selbstverständlich gehört zu dieser Kultur selbstbestimmte Partizipation: den eigenen Raum der Mitwirkung und Entschei-dung prägen zu können und prägen zu wollen – das gehört zum Standard. Aber umso deutlicher wird auch, dass sich in-mitten einer posttraditionellen Gesellschaft die Frage nach der Identität neu stellt: woran man sich festmacht, das muss erkennbar sein, das

muss einen Unterschied machen – oder doch zumindest Orientierung geben. Die Identität der Traditionen wird aktuell. Wer hier Men-schen gewinnen will für den priesterlichen Dienst, für Dienste in der Seelsorge, muss also berücksichtigen, dass es keine „all-for-one“ Lösungen geben kann. Sie sind nicht attraktiv – und umgekehrt muss deutlich werden, wie eine Ausbildung wirklich Gewinn für die per-sönliche Weiterentwicklung ist – und welche Perspektive der Dienst in der Kirche hat.

II. EIN VOLK IM WERDEN – NACH DEM ENDE DES MILIEUKATHOLIZISMUS

Nach dem Ende einer selbstverständlichen und modernisierten katholischen Milieukultur, die sich im Kontext einer liquiden Gesellschafts-form auflöst und so transformiert, zeigt sich ein erstes Bild kommender kirchlicher Kultur des Volkes Gottes in seinem Werdeprozess: sie ist fragil und fragmentarisch, auf dem Weg. Dieses Volk Gottes im Werden mag äußerlich noch an vielen Stellen traditionell wirken, aber in allen Generationen sind Christen heute erst

auf dem Weg, Christ oder Christin zu werden; in allen Generationen sind Gläubige und Suchende freie Men-schen, die auf ihren selbst-

bestimmten und vom Geist geführten Wegen in das Geheimnis des Glaubens hineinwachsen. Hervieu-Leger nennt sie „Pilger und Konverti-ten“, und in der Tat geht das eine nicht ohne das andere: das Entdecken des Lebenssinnes und die immer deutlichere Ausrichtung des Lebens auf ein Ziel – die Vertiefung eigener Überzeugungen und Entscheidungen, das ist prägend.

Inmitten einer posttraditionellen Gesellschaft stellt sich die Frage nach der Identität neu.

LS_1_2017.indd 3 14.02.17 11:17

Page 6: Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

4 Lebendige Seelsorge 1/2017 Raus aus der Falle

Thema Ausbildung

Raus aus der Falle

So flüssig und unausrechenbar dies ist, es wird deutlich, dass eine solche Grundkonstellation alle Sozialformen der Kirche im Licht ihres Werdens und ihrer Verwandlungsprozesse sieht. Das ist keineswegs chancenlos, vielmehr wird schon heute deutlich, dass neben klassi-schen Gemeindeformen neue Gemeinden und Communities entstehen – wie zu allen Zeiten, zumal zu Umbruchszeiten. Dabei wird deutlich, dass wir neu darüber nachdenken müssen, was „Kirche“ eigentlich meint: sie ist zuerst und vor allem die Sammlungsbewegung Gottes, der durch seinen Geist immer wieder Menschen sendet und sammelt, ihre Gaben in den Dienst an anderen stellt und so neue Formen christ-lichen Lebens wachsen lässt. Ich erkenne hier keinen Mangel, sondern eher einen etwas blin-den Blick und eine fehlende Unterscheidung. Blind bleiben wir, wenn wir einfach mit einem klassischen Blick auf die Christwerdungspro-zesse unserer Zeit schauen – und nur Defizite entdecken: die hierarchischen Kategorien zwi-schen Publikum, Fernstehenden und treuen Kirchenfernen einerseits und den richtig guten, engagierten Gemeindechristen andererseits sind aber obsolet. Hinzuschauen wäre auf die Suchprozesse vie-ler, auf das Engagement so vieler für andere, auf die Sehnsucht nach neuen Heimaten – und auf die fluiden und werdenden Communities, die sich bilden. Hinzuschauen wäre auch da-rauf, dass Ekklesiogenesis heute dann wirklich werden kann, wenn deutlich wird, dass es nicht um eine gemeindliche Einsammlungsbewe-gung geht – sondern um einen radikalen Weg der Sendung, des Teilens der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (GS 1) zumal und besonders der Armen. Aus dieser gelebten Sen-dung wächst dann Kirche neu.

Gleichzeitig wäre so zu unterscheiden zwi-schen der Kirche als der Gesamtheit des Volkes Gottes und den werdenden Gemeindeformen in ihm. Die katholische Ekklesiologie mit ihrer ortskirchlichen Dimensionierung ist der weite Raum dieses Volkes, das in der Freiheit der Kinder Gottes und aus der Kraft des Wortes und der Sakramente den Weg durch diese Zei-ten sucht. So wird das Bild einer institutionenzentrierten Sicht der Kirche auf den Kopf gestellt. In das Zentrum geraten die lebendigen Bewegungen und Erfahrungen, bei denen aus der gelebten Sendung sehr unterschiedliche Formen wer-dender Kirche entstehen. Aber genau das ist ja die Sinnspitze kirchlicher Institution und der Dienstaufgaben pastoraler Mitarbeiter und der Priester: durch die Verkündigung, durch die Feier der Geheimnisse, durch Leitung, die sich am Ursprung des Evangeliums orientiert, dem Werden des Volkes Gottes zu dienen.Genau hier klärt sich das mögliche Profil pas-toraler Dienste – und der unverzichtbaren sa-kramentalen Dienste des Priesters. Das Haupt-wort heißt eigentlich schon immer „Dienst“. Es geht um Ermöglichung, um Begleitung der wer-denden Christen und Gemeinschaftsformen, es geht um Orientierung vom Evangelium her, um die Begleitung im Lernen synodaler, geistlicher Unterscheidungsprozesse – und ganz demütig darum, dass Gottes Heilshandeln im Leben der Menschen wirklich werden kann. Gesucht sind also nicht zuerst „Macher“, sondern inspirieren-de und kompetente Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, die aus ihrer Sendung heraus den Weg des Volkes Gottes ermöglichen, damit die Sendung des Evangeliums weitergeht.

LS_1_2017.indd 4 14.02.17 11:17

Page 7: Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

Lebendige Seelsorge 1/2017 Raus aus der Falle 5

III. LERNEN VOM MUT DER ANDEREN – PIONIERERFAHRUNGEN AM ÜBERGANG

Die Diözesansynode des kleinen mexikani-schen Bistums Ciudad Guzman hatte in den 90er Jahren nicht nur eine klare Option für selbstgesteuerte Basisgemeinden abgegeben, die eine Pfarrei als Netzwerk vieler Gemeinden erscheinen ließ – die Synode beschloss auch einen Ausbildungsgang für werdende Priester, der dieser Option konsequent folgte (Näheres über diesen Weg bei Hennecke, 105 – 108). Der neunjährige Ausbildungsweg beginnt mit einem „propädeutischen Jahr“: nicht in einem Seminar, sondern eben im Mitleben mit den Menschen in den Basisgemeinden, im Wahr-nehmen ihrer pastoralen Weggeschichte, und im Mit-machen erster pastoraler Gehversuche unter der Führung örtlicher Verantwortlicher der Basisgemeinden. Verlangt ist große Eigen-ständigkeit der Kandidaten, und wichtig bleibt – für die ganze Ausbildung – eine Achtsamkeit auf Evaluationsprozesse durch das Volk Gottes und die Begleitpfarrer. Bevor nach einer ersten Studienphase eine persönliche Entscheidung folgt für den weiteren Weg, folgen immer wie-der Phasen, in denen der Student mitten im Volk ohne Funktion, aber mit der Selbstorga-nisation seines Lebens beauftragt ist (einfache, harte Arbeit), um so das Leben des Volkes Got-tes zu teilen, dem er eventuell später dient. Auch das Theologiestudium versucht, den Zu-sammenhang zwischen Praxis und Lehre neu zu ordnen. Nur einmal in der Woche treffen sich die Studierenden mit ihren Lehrern im Se-minar und reflektieren Praxis und Studium miteinander. Im Erzbistum Poitiers konnte man zu Zeiten des Aufbruchs der örtlichen Gemeinden eine Transformation des Priesterseminars erleben.

Das Seminar wurde zum „Seminar des Volkes Gottes“. Neben den wenigen Priesteramtskan-didaten studierten hier auch alle, die aus ört-lichen Gemeinden Theologie zur Zurüstung zu ihrem Dienst studierten. Erzbischof Rouet war konsequent: das gemeinsame Studium aller Akteure ist unverzichtbar, gerade im Blick auf den zukünftigen Dienst.Noch eindrücklicher habe ich das Priestersemi-nar der Vinzentiner in Manila erlebt. Alle Se-minaristen erlebten eine Struktur des Semi-nars, die selbst schon basiskirchlich organisiert war. Die Seminaristengruppen sind eine selbst-verwaltete Gemeinschaft, das Seminar ist nicht substrukturiert in Gruppen, sondern umge-kehrt ist die Basiseinheit die Lebensgruppe der Seminaristen. Das gemeinsame Leben der Se-minaristen in diesen Gemeinschaften wurde begleitet durch einen Priester des Seminars. Gleichzeitig ist hier das Studium der Theologie eng mit dem Leben mit den Armen verknüpft: wenn etwa die Fragen um eine Theologie der Gnade verknüpft werden mit der konkreten Existenz der Armen, mit denen man am Wo-chenende das Leben teilt, um dann gemeinsam mit der Lerngruppe Theologie neu zu entde-cken vom Leben der Menschen her.Vielleicht geht der anglikanische Studiengang um Gemeindegründer – „pioneer ministry“ – noch einen Schritt weiter. Neben den klassi-schen Ausbildungsgängen für Theologinnen und Theologen hat die ekklesiale Perspektive der „fresh expressions of church“ zu einem neuartigen Ausbildungsgang geführt. Dort, wo neue Gemeindeformen werden, sind häufiger Christinnen und Christen am Ursprung, die mit Leidenschaft und mit Charisma diese neuen Kirchenwirklichkeiten ins Leben bringen. So ausgewiesen werden sie eingeladen, einen spe-ziellen theologischen Ausbildungsgang wahr-

LS_1_2017.indd 5 14.02.17 11:17

Page 8: Praxis Partizipation seelsorge · 2017. 7. 18. · Doris Nauer in ihrem Beitrag ab Seite 20. Weil man nie fertig ist. Und weil man anderen und sich selbst sowohl Heil als auch Schaden

6 Lebendige Seelsorge 1/2017 Raus aus der Falle

Thema Ausbildung

Raus aus der Falle

zunehmen, an dessen erfolgreichen Ende sie ordiniert werden für den Dienst in diesen neu-en Gemeinden. Meistens haben diese Frauen und Männer schon andere universitäre oder professionelle Qualifikationen – entsprechend zugeschnitten und elementarisiert ist der theo-logische Ausbildungsgang im Blick auf die Leitung der neuen Kirchenformen.

IV. AUF DEM WEG IN DIE ZUKUNFT?

In all diesen Versuchen zeichnet sich eine deutliche Umkehrung ab: sie führt weg von standardisierten Ausbildungsgängen hin zu deutlich personalisierten Entwicklungs- und Ausbildungswegen; deutlich folgt hier eine Abkehr von vom Volk Gottes abgetrennten „Häusern“ exklusiv für Seminaristen – umge-kehrt geht es darum, dass Seminaristen mitten im Volk Gottes mitleben, sich selbst organisie-ren, als Personen wachsen können im Teilen des alltäglichen Lebens und auch Theologie „induktiv“ stu-dieren lernen, im Ausgang der Fragen der Menschen; bedeut-sam wird es, Gemeinschaft im und mit dem Volk Gottes zu leben, im Seminar wie in den Basisgemeinden; und das führt hi-nein in die Frage, welche Kandidaten wie ge-funden werden können: Kandidat/innen zu finden, die als Gründer und Entwickler von Gemeindeformen mitten aus dieser ihrer Er-fahrung in den Dienst genommen und theo-logisch zugerüstet werden, das könnte ein wichtiger Hinweis werden für eine zukünftige Berufungspastoral.Wie können heute junge Menschen gefunden werden für einen attraktiven und sinnvollen Dienst in der Kirche, als Priester wie als Seel-

sorgerinnen und Seelsorger? Wie werden sie gerufen – und wie lassen sie sich darauf ein? Für mich ist das die erste Frage. Sie stellt sich besonders auch deswegen, weil ja katholische Sozialisation heute nicht als „Standard“ vo-raussetzbar ist. Es ginge also darum, attraktive Räume des Wachstums zu gestalten, Räume des Zusammenlebens und Ausprobierens, Räu-me kreativer Initiativen und Beteiligung, die die Persönlichkeit stärken und reifen lassen, die die brennenden Sinnfragen thematisieren und christlich orientieren, die Gemeinschaft ermöglichen und prägen – und so der geeig-nete Raum des Rufens sind. Kann man sich nicht vorstellen, in Form von Sommerakade-mien, Wochenenden, Freiwilligen Sozialen Jahren eine Community zu stiften, die der christlichen Identität und Sendung dient, die jungen Menschen eine professionelle Möglich-keit offeriert, als Person zu reifen, Kompeten-zen zu erwerben, die dann in jedem Fall im Dienst des Evangeliums stehen? In dieser Ge-

meinschaft werden wir auch zukünftige Pries-ter und Pastorale Berufe finden können, wenn man dann den Mut hat, Menschen auf ihre latenten und offenen Fähigkeiten anzuspre-chen und zu rufen. Ich denke also, dass das „Rufen“ als selbstverständliches Kulturmerk-mal christlichen Lebens neu eingeübt werden muss. Das „Zusprechen“ und „Zutrauen“ von Dienst im Volk Gottes – das wäre ein erster wichtiger Schritt.Die Idee eines Priesterseminars, so Gerhard Schneider in seiner jüngsten Veröffentlichung (vgl. Schneider), war von Vätern des Konzils

Das „Rufen“ als Kulturmerkmal christlichen Lebens muss neu eingeübt werden.

LS_1_2017.indd 6 14.02.17 11:17