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Prüfungsangst besiegen - Wie Sie Herausforderungen souverän meistern

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Prüfungsangst besiegen

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Dr. Helga Knigge-Illner ist Diplom-Psychologin und approbierte Psycho-therapeutin sowie Autorin verschiedener Studienratgeber. Sie war bis zu ihrer Pensionierung wissenschaftliche Mitarbeiterin der Zentraleinrich-tung Studienberatung und Psychologische Beratung der Freien Univer-sität Berlin und arbeitet heute als Dozentin und freie Beraterin.

Helga Knigge-Illner

Prüfungsangst besiegenWie Sie Herausforderungen souverän meistern

Campus VerlagFrankfurt/New York

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.ISBN 978-3-593-39175-5

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Copyright © 2010 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/MainUmschlaggestaltung: Guido Klütsch, KölnUmschlagmotiv: © iStockPhoto.com/A-DigitSatz: Fotosatz L. Huhn, LinsengerichtDruck und Bindung: Druck Partner Rübelmann, HemsbachGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1 Was ist Prüfungsangst und wie entsteht sie? . . . . . . . . . 13

Das Phänomen Prüfungsangst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Prüfungsangst entsteht im Kopf: Die kognitive Angstforschung . . 23 Prüfungsangst ist zum Teil neurotisch:

Die psychoanalytische Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Äußere Bedingungen von Prüfungsangst . . . . . . . . . . . . . . . 34 Der Prüfer als Angstfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Prüfungsangst bringt Selbsterkenntnis und Entwicklung . . . . . 39 Bewältigungsstrategien im Überblick –

Zum Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

2 Die richtige Prüfungsmotivation aufbauen . . . . . . . . . . 48

Schritte zur erfolgsorientierten Motivation . . . . . . . . . . . . . 51 Die Rolle des emanzipierten Prüflings . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Weitere Motivationskräfte erschließen . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Erfolgsorientierte Motivation erfordert Realitätsprüfung . . . . . 58 Prüfungsangst besiegen – Ein Schritt zur Souveränität . . . . . . 63

3 Mit kognitiver Selbstanalyse gegen Prüfungsangst vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Gedanken bewirken Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

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Das ABC der Kognitionsanalyse nach Ellis . . . . . . . . . . . . . 69 Schritte der Selbstanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Zur Wirkung der Kognitionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Übungen in positiver Selbstbestärkung . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Memos zur Selbstbestärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Kognitionsanalyse und Umgang mit dem Blackout . . . . . . . . 80 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

4 Prüfungsangst durch Entspannungstraining abbauen . . . 85

Das Autogene Training – Anleitung zum Üben . . . . . . . . . . 87 Progressive Muskelentspannung nach Jacobson . . . . . . . . . . . 107 Eine weitere Entspannungsmethode – Yoga . . . . . . . . . . . . . 111 Einfache Entspannungsübungen für den Alltag . . . . . . . . . . . 111 Entspannung durch körperliche Anstrengung . . . . . . . . . . . . 112 Entspannung durch gute soziale Beziehungen . . . . . . . . . . . . 113 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

5 Effiziente Prüfungsvorbereitung durch Zeitmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Überblick über den Prüfungsstoff durch Cluster und Mind Map . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Zeitmanagement – Die Methode realistischer Arbeitsplanung . . 124 Fazit: Gutes Selbstmanagement ist gefragt! . . . . . . . . . . . . . 138

6 Effizientes Lernen durch aktive Lernmethoden . . . . . . . 140

Das Prinzip des aktiven Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Vorbereitung zum Lesen von Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . 145 Aktives Lesen – Die SQ3R-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Grafische Darstellung der Struktur – Cluster, Mind Map und Flussdiagramm . . . . . . . . . . . . . . . 156 Methoden des strukturierenden Lernens . . . . . . . . . . . . . . . 159 Intensivierung des Lernens durch Einsicht und Vernetzung . . . 166 Das Behalten sichern – Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 170

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7 Das Training für die mündliche Prüfung und andere Prüfungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Die Beziehung zwischen Prüfer und Prüfling . . . . . . . . . . . . 176 Die mündliche Prüfung aktiv gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Prüfungen, die aktives Gestalten nur begrenzt erlauben . . . . . . 197 Das Prüfungsverhalten trainieren – Praktische Übungen . . . . . 199 Mentales Training zum Prüfungsverhalten . . . . . . . . . . . . . 201 Sich wappnen für den möglichen Blackout . . . . . . . . . . . . . . 202 Vorbereitung auf Gruppenprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Das Training für schriftliche Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . 205 Kompaktprüfungen durchstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Die Wiederholungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Die letzten Tage vor der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

8 Vorbereitung auf andere prüfungsähnliche Situationen . . 224

Redeangst in Seminaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Die Sprechstunde beim Professor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Bewerbung um ein Praktikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Einen wissenschaftlichen Vortrag halten . . . . . . . . . . . . . . . 235

Schluss: Wenn alle Strategien nicht weiterhelfen … . . . . . . 247Psychologische Unterstützung und weitere Möglichkeiten . . . . . . 248Prüfungsangst bewältigen macht Sie souverän! . . . . . . . . . . . . . 249

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

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Vorwort

Fast jeder Student und jede Studentin hat bei den vielen Prüfungen, die das Studium verlangt, schon einmal mit Prüfungsangst zu kämpfen gehabt. Es ist ein geradezu klassisches Problem von Studierenden. Auch Schüler, die vor dem Abitur stehen, und Auszubildende angesichts ihrer bevorstehenden Abschlussprüfung sind davon betroffen. Prüfungsangst stellt sich auch in späteren Phasen des Lebenslaufs ein: beim Übergang in das Berufsleben und bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeiten. Sie tritt in den Situationen auf, in denen man sein Wissen und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen muss: bei Prüfungen, aber auch im Vor-stellungsgespräch, in Gesprächen mit Vorgesetzten, bei Vorträgen und öffentlichen Redebeiträgen. Prüfungsangst begleitet uns ein Leben lang. Es ist die Angst vor der (negativen) Bewertung durch die Anderen, die die Gefahr des Scheiterns in sich birgt. Kaum jemand kann der Prüfungs-angst etwas Positives abgewinnen. Ihre Symptome werden allgemein als unangenehm und quälend erlebt; ihre Auswirkungen als einengend und blockierend. Und vielen erscheint sie als ein mächtiges Hindernis auf dem Wege zu ehrgeizigen Zielen und großartigen Zukunftsplänen. Verständlich erscheint deshalb der weithin geteilte Wunsch, Prüfungs-angst möglichst ganz und gar loszuwerden. Damit verkennt man jedoch ihre positive Seite, denn Prüfungsangst mobilisiert Energien, verstärkt Kräfte und fördert die Handlungsbereitschaft. Dies zu sehen, erleichtert es, einen konstruktiven Umgang mit Prüfungsangst zu lernen.

Das Ziel dieses Buches besteht darin, Ihnen das Wesen von Prü-fungsangst verständlich zu machen und gleichzeitig auch die Ansatz-punkte aufzuzeigen, wie Sie Ihre Prüfungsangst bewältigen können.

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Sie werden Strategien kennenlernen, mit denen Sie die negativen Symp-tome – die heftige Aufregung und die ständige Besorgtheit – positiv beeinflussen können. Damit wird es Ihnen gelingen, eine erfolgsorien-tierte Prüfungsmotivation aufzubauen und das Gefühl von Zuversicht zu entwickeln.

Die psychologische Verhaltenstherapie hat nachgewiesen, dass Prü-fungsangst sehr gut durch Lernprozesse überwunden werden kann. Sie stellt dafür vielfältige und wirkungsvolle Strategien bereit. Das Kon-zept dieses Buches orientiert sich an diesen Strategien und kann sich außerdem auf konkrete Erfahrungen stützen, die ich mit Studierenden im Laufe meiner jahrzehntelangen psychologischen Beratungstätigkeit an der Universität gewonnen habe. Die Strategien zur Bewältigung von Prüfungsangst, die ich in Workshops mit Studierenden erprobt und eva-luiert habe, sollen hier auf eine Weise vermittelt werden, dass sie auch von den Lesern dieses Buches genutzt werden können. Mein Ziel ist es, Sie zu einem förderlichen Umgang mit sich selbst anzuregen. Versuchen Sie – auf Neudeutsch ausgedrückt –, die Rolle eines »Coaches« sich selbst gegenüber einzunehmen. Ein Coach ist bemüht, die Kräfte seines zu betreuenden Klienten zu stärken, seine Motivation aufzubauen und sein Selbstvertrauen zu festigen.

Am Ende des ersten Kapitels finden Sie eine ausführlichere Übersicht über die Strategien, die Sie in den weiteren Kapiteln des Buches im Ein-zelnen kennenlernen werden. Die vorgestellten Strategien sollen Ihnen folgende Einstellungen und Kompetenzen vermitteln:

• Durch eine Analyse Ihrer Gedanken und inneren Selbstbewertung werden Sie deren mögliche destruktive Wirkungen erkennen und eine Wendung zu positiver Selbstbestärkung und erfolgsorientierter Motivation erreichen können.

• Die Anwendung von Entspannungsmethoden, wie dem Autogenen Training und der Progressiven Muskelrelaxation, ermöglicht Ihnen, den Erregungsfaktor von Prüfungsangst zu dämpfen und gelassener zu werden.

• Effiziente Vorbereitungsstrategien – zum einen die realistische Ar-beits planung mithilfe des Zeitmanagements und zum anderen die Methoden des aktiven, strukturierenden Lernens – fördern Ihren

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Leistungsfortschritt bei der fachlichen Vorbereitung und stärken Ihr Vertrauen in die eigene Kompetenz.

• Mit dem Training des prüfungsrelevanten Verhaltens – für die münd-liche wie auch für die schriftliche Prüfung – verschaffen Sie sich Sicherheit für das Auftreten in der tatsächlichen Prüfung.

Auch für weitere prüfungsähnliche Situationen, wie die Redebeteiligung im Seminar, die Sprechstunde beim Professor und den wissenschaftli-chen Vortrag, werden Sie viele Anregungen und Tipps bekommen.

Nur das, was man verstanden hat, kann man auch überwinden! Des-halb vermittelt Ihnen das erste Kapitel vorwiegend Erkenntnisse über das Wesen von Prüfungsangst, die Ihnen auch die Wirksamkeit der Strategien verständlich machen. Die weiteren Kapitel fordern Sie dazu heraus, selbst tätig zu werden und an sich zu arbeiten. Sie werden zu Selbstreflexion angeregt und dazu angeleitet, Ihre eigenen Strategien zu verbessern und neue Verhaltensweisen zu erlernen.

Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Sie Ihre Prüfungsangst durch die Anwendung der vermittelten Strategien ganz loswerden. Aber Sie werden auf jeden Fall ein neues, gelasseneres Verhältnis zu ihr ent-wickeln und sie für Ihre Ziele nutzen können. In diesem Sinne werden Sie Ihre Prüfungsangst besiegen! Sie werden außerdem feststellen, dass die Strategien nicht allein dazu dienen, Prüfungen erfolgreich zu absol-vieren. Sie verhelfen Ihnen auch generell dazu, zunehmend souveräner und unabhängiger von äußeren (bedrohlichen) Bedingungen und Ein-flüssen zu werden.

Prüfungsangst spielt im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung eine wichtige Rolle. Sie tritt immer dann auf, wenn es gilt, neue Anforde-rungen zu bewältigen, in fremden Handlungssituationen zu bestehen und sich auch dann zu präsentieren, wenn man sich seiner Leistung und Kompetenz noch nicht sicher ist. Sie fordert dazu heraus, sich selbst kritisch einzuschätzen, neue Kompetenzen zu erwerben und das Wagnis einzugehen, eventuell auf negative Beurteilung zu stoßen. Infolgedessen führt sie manchmal an die Grenzen eigener Fähigkeiten und Möglich-keiten und verlangt den Mut, diese Grenzen zu überschreiten und sich der befürchteten Bewertung auszusetzen. Damit führt sie auch zur Aus-einandersetzung mit sich selbst und beeinflusst in starkem Maße die

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Entwicklung von Identität und Selbstwertgefühl. Mit anderen Worten: Sie brauchen Ihre Prüfungsangst, um das, was in Ihnen steckt, zum Ein-satz zu bringen und sich weiterzuentwickeln!

Zum Abschluss noch zwei wichtige Anmerkungen: Der besseren Les-barkeit wegen habe ich im Text immer die männliche Form verwendet und meine damit natürlich auch Sie, liebe Leserin. Und last, not least ein herzliches Dankeschön an meinen Mann Rainer Knigge, der meinen Schreibprozess mit vielen Anregungen und Verbesserungsvorschlägen begleitet hat.

Berlin, im April 2010 Helga Knigge-Illner

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1 Was ist Prüfungsangst und wie entsteht Sie?

Das Phänomen Prüfungsangst

Jeder kennt das beklemmende Angstgefühl, das das Herz heftig klopfen lässt, wenn man an die bevorstehende Prüfung denkt. Jeder Studierende hat schon einmal die heftige Aufregung verspürt, die einem unmittel-bar vor dem Vortrag im Seminar den Magen abschnürt. Prüfungskan-didaten wie auch Stellenbewerber kennen die quälende Sorge, ob man vielleicht doch schlecht abschneiden könnte. Aber Prüfungsangst selbst erlebt zu haben, heißt noch nicht, sie zu verstehen. Verstehen heißt auch begreifen, warum diese Angst einen peinigen kann, obwohl man gut vor-bereitet ist. Sie zu verstehen, heißt auch, sich erklären zu können, warum sie ein so mächtiges und bedrohliches Gefühl ist. Und es bedeutet auch, die positive Funktion von Prüfungsangst zu sehen und sie als sinnvolle Reaktion auf eine Stresssituation zu begreifen! Ein weiterer Schritt besteht darin, zu erkennen, worin die individuellen Bedingungen der eigenen Prüfungsangst bestehen.

Das erste Kapitel soll Ihnen ein präzises Verständnis von Prüfungs-angst vermitteln, denn das ist Voraussetzung dafür, der Prüfungsangst wirksam zu begegnen. Sie werden deshalb zunächst die wesentlichen Faktoren und Bedingungen von Prüfungsangst kennenlernen. Aus diesen vorwiegend theoretischen Erklärungen leiten sich die konkreten Ansatzpunkte ab, wie Sie am besten mit Ihrer Angst umgehen können. In den späteren Kapiteln werden Sie die Strategien und Empfehlungen im Einzelnen kennenlernen. Gleichzeitig möchte ich Ihnen eine positive Einstellung gegenüber Prüfungsangst vermitteln, denn wenn Sie Ihre

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Prüfungsangst akzeptieren lernen, wird es Ihnen möglich sein, sie als Antrieb zum Erreichen Ihrer Ziele zu nutzen. Die vorgestellten Strate-gien werden Ihnen dabei helfen, die quälenden Symptome und negativen Wirkungen von Prüfungsangst zu überwinden. Unter dieser Vorausset-zung können Sie Ihre Prüfungsangst besiegen!

Verbreitung von Prüfungsangst

An Prüfungsangst zu leiden, scheint ein geradezu klassisches Problem von Studierenden zu sein. Wie die Sozialerhebung des Deutschen Stu-dentenwerks im Jahr 2006 ermittelte, äußerten 13 Prozent der Stu-dierenden Beratungsbedarf wegen Prüfungsangst (BMBF 2007: 410; Hahne et al. 1999). Der Anteil derjenigen, die Prüfungsangst erleben, aber meinen, dass sie allein damit zurechtkommen müssen, liegt aller-dings viel höher. Und es sind nicht nur besonders ängstliche Menschen oder solche mit schlechten Leistungen, die Prüfungsangst empfinden, sondern ganz normal intelligente und leistungsfähige Studierende. Stu-dentinnen wiederum scheinen in noch stärkerem Maße als ihre männ-lichen Kommilitonen unter Prüfungsangst zu leiden. Viele Studierende erleben Prüfungen als große psychische Belastung, die ihre Prüfungsvor-bereitung sehr stark beeinträchtigt. Durch eine bevorstehende Prüfung geraten Studierende in eine Stresssituation, in der sie von Gedanken an ein möglicherweise drohendes Scheitern geplagt werden und darauf mit psychosomatischen Beschwerden wie zum Beispiel nervöser Unruhe, Magenbeschwerden und Schlafstörungen reagieren. Bei manchen ruft die Situation auch Vermeidungsverhalten hervor: Arbeiten und Termine werden aufgeschoben und die Flucht in weniger bedrohliche Tätigkeiten wie Jobs oder Freizeitvergnügungen angetreten. Prüfungsangst ist in manchen Fällen auch der Kern, aus dem sich ernsthafte Arbeitsstörun-gen entwickeln.

Jedoch sucht nur ein kleiner Teil der von Prüfungsangst Betroffenen Rat und Hilfe bei den Beratungsstellen der Universitäten und Studen-tenwerke (BMBF 2007: 410). In den meisten Fällen plagen sie sich allein mit ihrem Problem herum.

Im Folgenden einige Fallbeispiele von Betroffenen:

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Lisa, Studentin der Altamerikanistik im dritten Semester:»Am meisten Angst habe ich vor dem Blackout. Ich fürchte, dass ich dann gar keine Antwort mehr weiß. Ich bin immer unsicher, ob ich gut genug gelernt habe. Die Vor-stellung, dass ich dann gar nichts sagen kann, ist für mich schrecklich. Dann bin ich total enttäuscht von mir. Das ist für mich das Wichtigste. Vor dem Abitur hatte ich auch schon eine Riesenangst. In den letzten Wochen davor habe ich kaum noch essen können und musste immer an die Prüfung denken. In meinem besten Fach habe ich dann auch nur eine Drei gemacht. – Meine Angst vor der Prüfung wirkt sich schon vorher bei meiner Vorbereitung aus. Ich kann mich nicht konzentrieren, mache viele andere Sachen und lerne dann nicht. Dann, wenn ich wirklich Zeit hätte, mich gut vorzubereiten, weiche ich aus, und schließlich habe ich zu wenig Zeit, um mein Pensum zu schaffen. Vermutlich habe ich auch einfach zu hohe Ansprüche an mein Wissen. Ich weiß, bei mir ist es der psychologische Aspekt. Aber ich kann den Schalter nicht so leicht umlegen.«

Patricia, Studentin der Zahnmedizin:»Am Tag vor der Prüfung hatte ich eine totale Lernblockade. Ich konnte in der Nacht nicht schlafen und habe mich von einer Seite zur anderen gewälzt. Dann bin ich im Kopf nochmal die ganzen Begriffe durchgegangen. Und dann wirft man im Halbschlaf die vielen lateinischen Begriffe durcheinander, die man gelernt hat. Und vorher hatte man sie noch drauf. Das ist so wie ein Swimmingpool, in dem alle Begriffe schwimmen und man hat so einen kleinen Strudel im Kopf. Für mich ist es eine große Überwindung, überhaupt zur Prüfung hinzugehen. Im letzten Semester habe ich es mehrere Male so gemacht, ich bin einfach nicht hingegangen. Diesmal habe ich es für mich ausgeschlos-sen. Ich musste es einfach machen. Schon auf dem Weg dorthin war es ein ungeheurer beängstigendes Gefühl. Vor der Prüfung – ich musste auch noch eine Stunde lang auf dem Flur warten – war mir sehr schlecht. Ich hatte das Gefühl, der Speichel läuft, das Blut geht aus dem Kopf raus, ich musste fast zum Klo laufen … Aber dann, als der Prüfer uns reinholte, ging es mir auf Anhieb besser. Da war dann das Physiologische ganz weg. Da war ich dann eher aufgekratzt und habe versucht, was aus der Prüfung zu machen. Früher beim Abitur hatte ich gar keine Prüfungsangst. Auch bevor die Prüfungen im Studium bei mir schiefgelaufen sind, hatte ich noch keine Prüfungsangst. Das kam erst später. Ich habe immer viel gelernt, bin aber trotzdem mehrmals durchgefallen. Danach ist erst meine Prüfungsangst entstanden. Dann habe ich gedacht, ich kann so viel ler-nen, wie ich will, ich falle trotzdem durch. Der Prüfer trifft doch die Lücke, die man hat. Der Lernstoff hat mich erdrückt. Ich kann doch nie so viel wissen, dass ich alles parat habe. Das ist schon sehr beängstigend.«

André, Student der Rechtswissenschaft, vor der mündlichen Prüfung des ersten Staatsexamens:»Vor dieser Gruppenprüfung hatte ich eine Wahnsinnsangst. In den letzten Nächten vorher konnte ich kaum noch schlafen. Morgens hatte ich immer Magenschmerzen und konnte nichts essen. Ich habe trotzdem bis zuletzt geackert, jeden Tag meine acht Stunden in der Bibliothek gelernt. Vor der Prüfung war ich ungeheuer zitterig und dachte, das kann ich nicht durchstehen. Der Prof war eigentlich nett und begann das

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Vorgespräch mit einem Small Talk. Er fragte mich nach meinen Praktika – wo ich die absolviert hätte – und er kannte auch das Rechtsanwaltsbüro, in dem ich zuletzt war. Aber als er dann so eine etwas abfällige Bemerkung machte über deren Ansehen, war ich völlig irritiert. Ich hatte das Gefühl, damit konnte ich nicht bei ihm punkten. Das ging mir dann noch nach. Auch dann noch, als die erste Frage gestellt wurde – Gott sei Dank an eine andere Studentin. Diese Frage hätte ich nicht beantworten können. Bloß gut, dass sie nicht an mich gerichtet war. Aber mich hat das so verunsichert, dass ich mich kaum noch konzentrieren konnte. Ich konnte den Fragen nicht mehr folgen. Mir brach der Schweiß aus und mein Herz klopfte wie wild. Als ich dann dran war, war ich sehr aufgeregt und habe mich bei der Antwort völlig verhaspelt, obwohl ich sie eigentlich hätte beantworten können. Aber ich habe es nicht geschafft, Fuß zu fassen, und habe die Prüfung dann auch verhauen. Da war irgendwie der Wurm drin von Anfang an.«

Leonie M., 35 Jahre alt, Sozialpädagogin:»Ich hasse Vorträge. Ich mag es einfach nicht, wenn alle Blicke auf mich gerichtet sind und auf jedes einzelne Wort von mir geachtet wird. Ich bin dann ungeheuer aufgeregt, aber man sieht es mir gar nicht an. Nach außen wirke ich ganz ruhig, aber auch irgend-wie lahm und träge. Die Zuhörer finden mich vermutlich langweilig, sie denken, ich bin völlig desinteressiert an dem Thema oder auch, dass ich wenig kompetent bin. Ich glaube, ich stehe in der Situation innerlich neben mir und beobachte mich sozusagen von außen. Ich lese dann nur noch ab, und das macht es natürlich nicht gerade span-nend. Vor dem nächsten Vortrag habe ich große Angst, weil er nämlich sehr wichtig für mein berufliches Weiterkommen ist. Ich soll im Kreise von Kollegen auf einer Tagung über mein Fachgebiet berichten. Und ich will mich demnächst auf eine Leiterstelle bewerben. Mir ist schleierhaft, wie ich diese Situation durchstehen soll.«

Prüfungsängste treten nicht nur bei Studierenden, sondern auch bei Schülern, Auszubildenden und in verschiedenen Stationen des Berufs-lebens auf: vor wichtigen Zwischen- und Abschlussprüfungen wie dem Abitur, bei Vorstellungsgesprächen, bei Vorträgen, öffentlichen Reden und Auftritten. »Lampenfieber« heißt die Prüfungsangst dann, wenn es um Auftritte vor großem Publikum geht. Manche Schauspieler leiden auch dann noch, wenn sie schon berühmt sind, unter dieser Angst.

Prüfungsangst scheint demzufolge ein Problem zu sein, das viele Menschen betrifft und belastet. Es ist nicht erstaunlich, dass die davon Betroffenen sie möglichst schnell und radikal loswerden wollen. Prü-fungsangst hat ein ziemlich schlechtes Image! Das sieht man an den folgenden Meinungen.

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Meinungen über Prüfungsangst

Es gibt viele Meinungen über Prüfungsangst. Sie alle tendieren zu einer bestimmten Sicht von Prüfungsangst. Hier eine Auswahl:

• »Ich bin in der Prüfung so aufgeregt, dass ich völlig blockiert bin und mir dann auch das nicht mehr einfällt, was ich vorher gut konnte.«

• »Wenn ich diese Prüfungsangst nicht hätte, würde ich in der Prüfung aus mir herausgehen können und locker eine Eins machen. Die Angst macht mich dumm.«

• »Mit dieser Prüfungsangst im Leibe kann ich die Prüfung einfach nicht schaffen.«

• »Ohne diese ständige Prüfungsangst würde ich mich auch trauen, mich auf eine Hilfskraftstelle bei dem Prof zu bewerben, den ich so gut finde.«

• »Ich wollte schon immer Schauspielerin werden. Aber bei meinem Lampenfieber wage ich es nicht, irgendwo vorzusprechen.«

• »Wenn ich nicht ständig von der Prüfungsangst geplagt würde, könnte ich in Ruhe lernen und würde mein Vorbereitungspensum viel besser schaffen.«

• »Ich bin einfach kein Prüfungsmensch.«

Was haben diese Meinungen über Prüfungsangst gemeinsam?

Sie alle schreiben der Prüfungsangst eine gewaltige und schädigende Wirkung zu: Sie blockiert, schränkt ein, verhindert, dass man sein heiß ersehntes Ziel erreicht. Was könnte man nicht alles tun, leisten und erreichen, wenn sie nicht da wäre? Sie hindert den Prüfungskandidaten daran, sein Wissen in einem exzellenten Vortrag zu präsentieren. Sie wirft der fleißigen Studentin, die sich auf ihr Magisterexamen vorberei-tet und endlich gern in die Berufspraxis einsteigen möchte, Steine, nein Felsbrocken in den Weg. Sie bremst den begabten Studenten aus, der sich in seinen kühnsten Träumen schon als erfolgreicher Wissenschaftler auf dem Wege zu einer Professur sieht. Sie hält die Bühnenaspirantin davon ab, vor ein Publikum zu treten.

Die Prüfungsangst erscheint als feindselige und aggressive Macht. Sie

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peinigt und quält einen. Zwar spürt man sie im Inneren, sie wird aber quasi zu einem externen Feind, der mit peinlicher Niederlage droht. Damit gewinnt sie Macht über uns!

Wie kommt es, dass Prüfungsangst zu so einem Schreckgespenst wird? Tatsächlich wird sie in ihrem Charakter verkannt, weil ihre unan-genehmen Symptome im Zentrum unseres Fühlens und Denkens stehen. Das verhindert, ihre positiven Funktionen zu sehen und sie als eine sinn-volle Reaktion auf eine spezifische Situation zu begreifen. Stattdessen wird der negative Kern von Prüfungsangst »personalisiert« und auf ein feindliches Gegenüber projiziert. Was schließlich auch dazu führt, dass Prüfer und Prüferin als Feinde empfunden werden, die gegen uns Böses im Schilde führen.

Eine andere Reaktion führt zu einer Art Käfigsyndrom: Die unter Prüfungsangst Leidenden starren auf ihre Angst und stellen immer wieder fest, wie groß sie ist. Die Gedanken kreisen um die Prüfung und was darin Schlimmes passieren wird. Das lässt die Angst größer und größer werden. Aber sie können sich der faszinierenden Macht der Angst nicht entziehen, denn die Welt dort draußen mit all ihren sons-tigen Zielen und Erlebnismöglichkeiten bleibt ausgesperrt – außerhalb des Käfigs. Obwohl die Tür zu öffnen ist und der Schritt nach draußen die Befreiung bringen könnte, verharrt man drinnen wie gebannt und glaubt, den Feind dadurch in Schach halten zu können.

Wie kommt man zu einer adäquaten Erkenntnis und Einstellung gegenüber Prüfungsangst? Dieses Ziel erfordert mehrere Schritte: Der erste besteht darin, sich Prüfungsangst genauer anzuschauen, ihre Ursa-chen und ihre negativen wie auch positiven Wirkungen zu erkennen. Der zweite Schritt verlangt, das eigene Gefühl von Prüfungsangst genauer zu erforschen und bei sich selbst zu akzeptieren.

Prüfungsangst akzeptieren? Sie hinnehmen und weiter darunter lei-den? Nein, das ist nicht gemeint. Im Akzeptieren liegt der Schlüssel zur Veränderung; denn Prüfungsangst zu akzeptieren, ermöglicht es auch, ihre positiven Momente zu erfassen und diese für die Erreichung der eigenen Ziele zu nutzen. Auf dieser Basis lassen sich dann auch Strategien lernen und anwenden, mit denen Prüfungsangst konstruktiv gewendet und besiegt werden kann.

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Kennen Sie positive Wirkungen von Prüfungsangst?

Sie haben sicher selbst schon erlebt, dass Prüfungsangst auch mobili-sieren und zu Höchstleistungen anspornen kann. Selten hat man so viel und intensiv gelernt – manchmal ganze Nächte lang – wie bei der Vorbereitung auf eine wichtige Prüfung! Manche Prüfungsprozeduren dauern einen ganzen Tag und man ist tatsächlich über Stunden hinweg wach und voll konzentriert. Einige Studenten nutzen diesen Energie-schub auch, indem sie erst kurz vor der Prüfung mit der Vorbereitung beginnen und dann unter Hochdruck Tag und Nacht durcharbeiten. Das soll hier allerdings nicht zur Nachahmung empfohlen werden!

Eine Studentin berichtete dazu Folgendes: »Wenn man bei der Prü-fungsvorbereitung so richtig in der Materie drinsteckt, dann stellen sich manchmal Highlights ein. So wie neulich: Plötzlich hatte ich den Durch-blick und habe endlich die Struktur des Stoffs begriffen. Ich konnte auf einmal Querverbindungen erkennen, auf die ich sonst gar nicht gekom-men wäre.« Anscheinend funktioniert das Gehirn unter dem Einfluss von Prüfungsangst auf Höchststufe!

Vielleicht haben Sie selbst auch schon beim Vortrag eines Referats auf einmal den positiven Stress gespürt, von dem ein anderer Student berichtete: »Man merkt auf einmal, dass es einem spielend gelingt, die Argumentation auf den Punkt zu bringen. Bei meinem Referat war ich so richtig drin in der Sache und fand auf Anhieb richtig gute Formu-lierungen.« Die Aufregung verhilft einem tatsächlich manchmal dazu »abzuheben«.

Sie werden jetzt womöglich einwenden, dass man diese positiven Effekte allerdings nur selten spürt. Viel häufiger und eindrucksvoller wird die unangenehme Belastung durch Prüfungsangst spürbar. Denn: Die positiven Momente von Prüfungsangst zu akzeptieren, fällt nicht schwer, aber was ist mit den negativen Wirkungen? In den genannten Vorurteilen stecken ja auch einige Wahrheiten: Prüfungsangst ver-ursacht tatsächlich unangenehme Symptome wie zum Beispiel ständige Unruhe, Angespanntheit und Stimmungsschwankungen. In der Prü-fung können tatsächlich Blackouts auftreten, wo »der Faden reißt« und einem nichts mehr einfällt. Betrachten wir die Symptome von Prü-fungsangst genauer.

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Die unangenehmen Symptome von Prüfungsangst

Jeder kennt Prüfungsangst, aber die Symptome werden in sehr unterschied-licher Weise beschrieben. Fast alle stellen die unangenehme Erregung in den Vordergrund, die sich als Aufgeregtheit, ständige nervöse Unruhe, Übererregtheit, Fahrigkeit und Angespanntheit bemerkbar macht.

Unter dem Einfluss von Prüfungsangst kommt es in motorischer Hinsicht zu hektischen oder überbetonten Bewegungen, zum Zittern der Hände oder des ganzen Körpers. Bei manchen Menschen stellen sich gegenteilige Reaktionen von Steifwerden und dem Gefühl des Ver-steinertseins ein. Die Angsterregung ruft häufig auch sichtbare Symp-tome auf der Haut hervor, die von vielen als peinlich erlebt werden: Das heftige Rotwerden, der bekannte rote Hals, die roten Flecken auf den Wangen oder der ganze rote Kopf. Andere hingegen werden ganz blass, haben kalte oder auch schweißnasse Hände oder schwitzen am ganzen Körper. Angespanntheit und Erregtheit beeinträchtigen die Atmung und wirken sich auf den Kreislauf aus: Herzklopfen bis hin zu Herz-rasen, Bluthochdruck und erhöhte Körpertemperatur können die Folge sein. Auswirkungen auf den Magen- und Darmbereich sind ebenfalls weit verbreitet: der zugeschnürt erscheinende Magen verhindert den Appetit; Bauchschmerzen, Übelkeit und Durchfälle stellen sich ein. Prüfungsangst schlägt auf die Stimmung: die einen macht sie mutlos und depressiv, die anderen gereizt und aggressiv. Beklagt wird auch die Beeinträchtigung von geistigen Funktionen wie zum Beispiel der Fähig-keit, sich zu konzentrieren und Gelerntes im Gedächtnis zu behalten. Der Blackout in der Prüfungssituation wird als besonders typische Aus-wirkung von Prüfungsangst genannt. Und viele Prüfungskandidaten leiden vor der Prüfung unter Schlafstörungen.

Welche der genannten Symptome bei einem bestimmten Menschen auftreten, hängt von seiner individuellen Disposition ab, von der Sti-mulierbarkeit und Empfindlichkeit seiner Organe. Es gibt nicht die eine charakteristische Symptomatik von Prüfungsangst, sondern nur indivi-duell sehr verschiedene Muster! Außerdem wirkt sich auch der generelle Erregungstyp auf die Erscheinungsform von Prüfungsangst aus. Manche Menschen reagieren unter dem Einfluss von Angst mit »ruhig« erschei-nendem Verhalten, das in manchen Fällen sogar träge und wie paralysiert

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wirkt. Andere, die man eher als »nervösen Typ« bezeichnet, geraten demgegenüber in extreme Aufregung und Hektik. Das heißt auch, dass man nicht jedem seine Prüfungsangst ansieht!

Die Symptome von Prüfungsangst kommen in unterschiedlich star-ker Ausprägung vor. Manche Studierende kennen Prüfungsangst nur in milder Form als Lampenfieber oder Stressgefühl, das zwar unangenehm ist, aber das Verhalten ansonsten nicht weiter beeinträchtigt. Bei anderen entwickelt sie sich zu quälenden Angstzuständen mit psychosomatischen Störungen und beeinträchtigt die Lebensfreude.

Was bedeutet das für Sie?

Ihr individuelles Muster von Prüfungsangst hängt unter anderem davon ab, welches Ihrer Organe besonders auf Erregung reagiert. Wenn Sie einen empfindlichen Magen haben, dann werden Sie in der Vorberei-tungsphase vielleicht mit Appetitlosigkeit oder gar Magenbeschwerden reagieren oder bei einem sensiblen Darm in besonders aufregenden Pha-sen mit Durchfall. Wenn Sie sich generell schlecht entspannen können, werden Sie vielleicht besonders stark unter Stress leiden.

Lassen Sie sich von der Aufzählung der möglichen Symptome nicht in Angst versetzen! Die meisten Menschen haben mildere Symptome von Prüfungsangst. Und ob es zu quälenden Symptomen und starker Aus-prägung von Prüfungsangst kommt, hängt ganz wesentlich davon ab, wie man mit ihr umgeht. Unter Prüfungsangst zu leiden, ist kein Schicksal! Sie können eine Menge tun, um sie positiv zu beeinflussen. In welcher Weise dies möglich ist, werden Sie in den weiteren Kapiteln des Buches erfahren.

Die positive Funktion von Prüfungsangst

Betrachtet man den elementaren Charakter von Angst, so wird ihre posi-tive Funktion deutlich. Unter biologischem Aspekt ist Angst eine sinn-volle Reaktion, die das Überleben sichert:

• Sie signalisiert Gefahr,• sie aktiviert den Organismus und• ermöglicht dadurch eine Anpassungs- oder Fluchtreaktion.

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Eine Katze, die plötzlich einen Hund vor sich sieht, reagiert mit einer Angstreaktion: Sie plustert Fell und Schwanz zur Drohgebärde auf und faucht ihn an. Damit schlägt sie – wahrscheinlich – den Hund in die Flucht, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Hund nicht viel größer ist als sie selbst. Handelt es sich um einen sehr großen und sehr bedrohlich wirkenden Hund, dann wird sie blitzschnell selbst die Flucht antreten. Bei uns Menschen laufen beim Auftreten einer plötzlichen Gefahr ganz ähnliche Prozesse ab wie bei der Katze:

Über das vegetative Nervensystem werden bestimmte physiologische Reaktionen hervorgerufen, die den Organismus in Kampfbereitschaft versetzen (vgl. Lazarus/Folkman 1984):

• Herz- und Kreislauf werden aktiviert, das Blut wird in die Extremitä-ten, die Glieder und den Kopf, gepumpt.

• Der Muskeltonus steigt und stellt sich auf Bereitschaft zum Sprung ein.• Energie wird verfügbar durch Ausschüttung von Glykogen.• Das Bewusstsein wird wach und klar, die Wahrnehmung geschärft.• Die Verdauungsfunktionen werden gedrosselt.

Diese physiologischen Reaktionen werden blitzartig durch die Ausschüt-tung von Adrenalin ausgelöst. Auf das gleiche ursprüngliche Angsterre-gungsmuster geht auch die Prüfungsangst zurück. Auch sie hat positive Funktionen: Sie mobilisiert Ihre Energien, schärft Ihre Aufmerksamkeit und macht Sie reaktionsbereit! Wenn Sie diese Aspekte berücksichtigen, können Sie Ihrer Prüfungsangst vielleicht etwas Positives abgewinnen! Sie ist nämlich ein Zeichen dafür, dass Sie ganz lebendig und »voll da« sind. Damit können Sie »kampfbereit« auftreten und sich für Ihr Ziel »ins Zeug legen«.

Prüfungsangst warnt Sie vor einer Gefahr, die nicht Ihrer körper-lichen Unversehrtheit, wohl aber Ihrer seelischen Gesundheit droht. Sie weist Sie auf die Gefahr hin, dass Sie den Anforderungen der Prüfungs-situation möglicherweise nicht genügen und daran scheitern könnten. Deshalb erscheint es wichtig, die möglichen Gefahrenquellen genau ein-zuschätzen und sich dagegen zu wappnen.

Für die Bewältigung von Prüfungssituationen erscheint das Mobi-lisierungsmuster jedoch in mancher Hinsicht inadäquat, denn hierbei kommt es nicht auf einen Kampf mit Muskeleinsatz, sondern auf die

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Bewältigung von geistigen Aufgaben an. Dafür braucht man zwar ein helles Bewusstsein und die Bereitschaft zum Handeln, aber gleichzeitig auch ruhige Konzentriertheit und am besten einen nur mittleren Grad der Aufgeregtheit. Bei vielen Menschen kommt es jedoch gerade in der Prüfungssituation zu heftigen Überreaktionen. Wenn der Grad der Erregung aber sehr hoch ist, beeinträchtigt er die Wahrnehmung und das Denken. Deshalb ist es wichtig zu lernen, in konstruktiver Weise auf die Erregung einzuwirken und sie zu dämpfen.

Ein gewisses Maß an Aufregung und Anspannung ist jedoch not-wendig, um eine gute Leistung zu erreichen. Insofern brauchen Sie Ihre Prüfungsangst! Bei Schauspielern ist es das Lampenfieber, das an »ihren Nerven zerrt«, wenn sie eine Premiere vor sich haben. Aber kaum einer möchte wirklich frei davon sein. Sie schwören darauf, dass sie es brau-chen, um »zu voller Größe aufzulaufen«.

Prüfungsangst entsteht im Kopf: Die kognitive Angstforschung

Prüfungsangst tritt fast immer im Zusammenhang mit einer Situation auf, in der eine Leistung präsentiert werden soll. Am Ende des Semesters muss eine Klausur geschrieben oder eine mündliche Prüfung abgelegt werden, die von einem Hochschullehrer beurteilt wird. Seine Bewertung

Festzuhalten ist:

✓ PrüfungsangstversetztSiephysiologischinKampfbereitschaft.

✓ SiehatdurchauspositiveAspekte!

✓ LernenSie,konstruktivmitihrumzugehen!✓ Zu den beschriebenen negativen Symptomen von Prüfungsangst

muss es nicht kommen. Sie treten nur dann auf, wenn man seineAngstnichterkenntundesunterlässt,konstruktivmitihrumzuge-hen.DasBuchzeigtIhnendieStrategienauf,mitdenenSieIhrePrü-fungsangstinpositiveMotivationumwandelnkönnen.

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entscheidet darüber, ob man weiterstudieren und den nächstfolgenden Kurs besuchen kann. Auf diese Bewertung richtet sich die Prüfungsangst. Prüfungsangst ist im Wesentlichen eine Bewertungsangst. Sie befällt auch den Bewerber um eine Stelle, der im Vorstellungsgespräch den poten-ziellen Arbeitgeber und seine Mitarbeiter von seiner Qualifikation über-zeugen muss. Mit der Angst vor dem Urteil ihres Doktorvaters hat es die Doktorandin zu tun, die sich auf ein Gespräch mit ihm vorbereitet. Das berühmte Lampenfieber plagt manch einen Schauspieler, der befürchtet, dass der Beifall des Publikums für seinen Auftritt ausbleiben wird.

Prüfungsangst tritt nicht nur unmittelbar vor der Prüfung und in der Prüfungssituation auf, sondern auch schon Tage vorher und bei man-chen auch lange vorher. Viele Prüfungskandidaten können in den letz-ten Nächten bzw. in der allerletzten Nacht vor der Prüfung sehr schlecht oder gar nicht schlafen, weil ihre Gedanken immer wieder um die Prü-fung kreisen. Bereits in der Phase der Prüfungsvorbereitung stehen viele Studierende unter Anspannung und seelischer Belastung, wenn sie an den Prüfer und die Prüfung denken. Allein durch Gedanken an die Prü-fung wird bereits die Prüfungsangst ausgelöst.

Betrachtet man Prüfungsangst unter systematischem, psychologi-schem Aspekt, so lässt sie sich auf folgenden vier Ebenen beschreiben und diagnostisch erfassen (vgl. Knigge-Illner 2009):

• Ebene der Vorstellungen (Gedanken und Bewertungen),• Ebene sprachlicher Mitteilungen über Gefühle und Erleben,• Ebene physiologischer Reaktionen und Zustände,• Ebene des motorischen Verhaltens.

Betrachten wir das Zusammenspiel der Prozesse auf den verschiedenen Ebenen genauer: Eine Person, die sich vor einer Anforderungssituation wie einer Prüfung in Schule oder Hochschule befindet, beurteilt – meist nur implizit – die Gefahren dieser Situation. Von ihren Gedanken über die Prüfung, das heißt von ihrer Bewertung, ist es abhängig, ob und in welchem Maße Angsterregung ausgelöst wird. Wenn sie meint, dass ihr eine schwere Prüfung bevorsteht, wird sie größere Angst empfinden, als wenn es sich um eine weniger anspruchsvolle handelt. Sie äußert ihre Gefühle sprachlich. Ihre Worte geben jedoch nicht immer Auskunft über die tatsächlich empfundene Angst. Parallel zu der erlebten Angst

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spielen sich spezifische physiologische Prozesse ab, die über das vegeta-tive Nervensystem, das die lebenswichtigen Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Verdauung und Stoffwechsel kontrolliert, die bekannten Stressreaktionen hervorrufen. Insgesamt beeinflussen diese auf den verschiedenen Ebenen ablaufenden Prozesse auch das Verhalten der Person, wie zum Beispiel ihre Flucht aus der Situation, wenn sie diese als zu »gefährlich« einstuft.

Die psychologische Angstforschung schreibt dem Einfluss von Kogni-tionen – das sind die Gedanken und Bewertungen einer Person, die meist in Form von inneren Selbstaussagen auftreten – auf das Angsterleben die entscheidende Rolle zu. In der Therapie von Angststörungen hat sich die kognitive Verhaltenstherapie, die eben den Zusammenhang von Kogni-tion, Emotion und Verhalten in den Mittelpunkt stellt, als sehr frucht-bar erwiesen (Fydrich/Renneberg 2004: 257; Knigge-Illner 2009). Ihr theoretischer Ansatz liefert auch den Hintergrund für die Strategien, die ich in diesem Buch vorstelle.

Das Abschneiden in der Prüfung – oder einer anderen Anforderungs-situation – hängt von mancherlei Faktoren ab, es ist mit Risiko behaf-tet. Natürlich spielt die Qualität der Vorbereitung dabei eine wichtige Rolle. Aber auch bei bester Vorbereitung können Sie nicht sicher sein, dass Sie Ihre angestrebte Note erreichen. Der Prüfer könnte zum Beispiel ganz unerwartete Fragen stellen; oder Sie könnten an dem Prüfungstag in besonders schlechter Form sein. Die Gedanken eines Prüfungskan-didaten kreisen deshalb insbesondere um diese Ungewissheit und um die möglichen negativen Wendungen in der Prüfung. Die bedrohliche Aus-sicht, durchzufallen und sein Ziel nicht zu erreichen, ruft Stressgefühle hervor, die sich in nervöser Unruhe und Angespanntheit niederschlagen.

Es sind aber nicht allein die objektiven negativen Folgen, die schlechte Note, die erforderliche Wiederholung der Prüfung und die daraus mögli-cherweise resultierende Verlängerung des Studiums, die die Bedrohlich-keit der Prüfungssituation ausmachen. Eine Prüfung und die entspre-chende Prüfungsleistung hat für die meisten Menschen eine viel größere Bedeutung. Sie rührt an das Selbstkonzept, das heißt an das Bild, das man von sich selbst hat und erhalten möchte. Das Ich ist dabei sehr stark involviert. Man möchte mit der Leistung seine eigenen inneren Maßstäbe erfüllen und vor sich selbst gut dastehen. In der Leistungsbewertung

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sehen Studierende in der Regel viel mehr als die Beurteilung ihres gelern-ten Wissens. Meist steht die ganze Person »auf dem Prüfstand«. Ein mögliches Scheitern trifft das Selbstwertgefühl ganz empfindlich. Des-halb ist es auch nicht verwunderlich, dass manch ein Student, der sehr gute Vorleistungen mitbringt und auch objektiv nicht befürchten muss, durchzufallen, trotzdem heftige Prüfungsangst empfindet. Es ist die Angst vor der Verletzung des Selbstwertgefühls, die den zentralen Kern von Prüfungsangst ausmacht.

Mit dem Versagen in der Prüfungssituation droht ein Verlust an Identität: Man könnte einen wesentlichen Teil seiner Persönlichkeit einbüßen: den bis dahin erreichten Stand der Leistungsfähigkeit, den Status der Autonomie und/oder auch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Die drohende Gefahr betrifft damit den Kern des Ichs. Infolgedessen verlangt es viel Mut, sich dieser Gefahr zu stellen (vgl. Kast 1996).

Zwar haben auch die objektiven Gefahren der Prüfungssituation einen Einfluss auf die Prüfungsangst – ein Prüfer, der in seinem Prü-fungsverhalten sehr schwer einzuschätzen ist, führt auch zu größerer Beunruhigung. Aber den Ausschlag gibt die subjektive Bewertung der Gefahr oder Verletzung, die dem Selbstwertgefühl droht. Wenn es in der Abschlussprüfung um ein Fach geht, in dem man immer sehr gute Leistungen erzielt hat, dann wird man mit hohem Anspruchsniveau und starker Ich-Beteiligung herangehen: Die Prüfung hat damit einen sehr hohen Stellenwert für das Selbstwertgefühl und als Kehrseite des hohen Anspruchs erscheint ein mögliches Scheitern als außerordentlich bedrohlich. Das heißt auch, von den individuellen, subjektiven Gedan-ken und Vorstellungen über die Prüfungs- und Bewertungssituation ist es abhängig, welches Ausmaß die Angst annimmt.

Auf der Grundlage von Fragebogenuntersuchungen an Menschen mit Prüfungsangst konnte man die folgenden zwei Hauptfaktoren von Prü-fungsangst ermitteln, nämlich (vgl. Spielberger 1980; Schwarzer 2000: 105; vgl. auch Hodapp 1991)

Prüfungsangst geht von den Beurteilungen im Kopf aus! Sie ist eineReaktionaufdieBedrohungdesSelbstwertgefühls.

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• den Besorgtheitsfaktor (»worry«), das heißt die Tendenz der Gedan-ken, sich bevorzugt auf jene Voraussetzungen zu richten, die zu einem Misserfolg führen, und

• die körperlich und emotional spürbare Aufgeregtheit (»emotiona-lity«).

Die besonders Prüfungsängstlichen haben entsprechend ihren Testwerten im Angstfragebogen einen sehr hohen Wert beim Faktor Besorgtheit. Sie machen sich viele Gedanken über das, was schieflaufen könnte, und haben es mit Zweifeln an sich selbst zu tun. Sie stellen infrage, ob sie tatsäch-lich genug gelernt haben, und fürchten, dass sie in der Situation versagen werden. Besorgtheit wird als die gewichtigere Komponente angesehen, die bei starker Ausprägung zu hoher Angst führt. Sie beeinträchtigt auch in stärkerem Maße als Aufgeregtheit die Prüfungsleistung. Demgegenüber führt Aufgeregtheit nicht unbedingt zu schlechteren Leistungen, in man-chen Studien konnten auch positive Effekte festgestellt werden. Allerdings kommt es auf den Grad der Aufgeregtheit an.

Sind Menschen mit Prüfungsangst generell ängstlich?

Prüfungsangst ist auf spezifische Anforderungssituationen bezogen, sie ist keine generelle und stabile Persönlichkeitseigenschaft. Das heißt zum Beispiel, dass jemand, der keine Angst vor sportlichen Leistungswett-kämpfen empfindet, durchaus unter Prüfungsangst leiden kann, wenn es um Hochschulprüfungen geht. Und, dass Menschen, die in vielen Leistungssituationen mit Prüfungsangst zu kämpfen haben, nicht auch generell besonders ängstliche Persönlichkeiten sein müssen. Denken Sie an die Schauspieler, von denen viele unter heftigem Lampenfieber lei-den. Es ist nicht anzunehmen, dass diese Spezies durch Angst schlecht-hin geprägt ist. Deshalb gilbt es bei der Analyse und Bewältigung von Prüfungsangst, die spezifischen angstauslösenden Bedingungen der jeweiligen Situation genauer zu erforschen.

Um Prüfungsangst therapeutisch beeinflussen zu können, ist es wich-tig, die subjektiven Bewertungen der anstehenden Leistungssituation genau zu erfassen. Sie sind der Schlüssel zur konstruktiven Wendung.

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Lassen sich die Faktoren von Prüfungsangst beeinflussen?

Im Hinblick auf die Bewältigung von Prüfungsangst stellt sich die Frage, inwieweit man die genannten Faktoren beeinflussen und verändern kann: Lässt sich die Neigung zu Besorgtheit positiv verändern? Kann man seine Aufgeregtheit in den Griff bekommen?

Die kognitive Verhaltenstherapie, die auf empirisch fundierten Lern-theorien beruht, hat nachgewiesen, dass Ängste sich sehr gut durch Lernprozesse verändern lassen. Sie stellt überdies vielfältige, erprobte Strategien zur Bewältigung von Angst, speziell auch von Prüfungsangst, bereit, die sich als sehr wirkungsvoll erwiesen haben. Sie werden diese Strategien in den weiteren Kapiteln kennenlernen und damit das Ziel erreichen können, Ihre Prüfungsangst zu bewältigen.

Zuvor jedoch noch ein Blick auf einen anderen theoretischen Ansatz zur Klärung von Prüfungsangst, den psychoanalytischen oder psycho-dynamischen Ansatz.

Prüfungsangst ist zum Teil neurotisch: Die psychoanalytische Sicht

Psychoanalytische bzw. psychodynamische Theorien schreiben dem Unbewussten eine zentrale Rolle für das Erleben und Verhalten zu. Das gilt sowohl für das Erleben und Verhalten der gesunden Persönlichkeit als auch für die Entwicklung psychischer Störungen. Die psychoana-lytische Prüfungsangstforschung sieht Prüfungsangst als ein Gemisch aus realer Angst und neurotischer Angst. Die neurotische Angst ent-steht als Ergebnis einer Übertragung von konflikthaften Erfahrungen der Sozialisa tionsgeschichte (vgl. Prahl 1977). Während die reale Angst als Reaktion auf aktuelle und konkrete Gefahrenquellen, die von der Prüfungssituation ausgehen, entsteht, wird der Anteil neurotischer Angst durch das Aufkommen alter Triebkonflikte – Bedürfnisse, die auf Befriedigung drängen, aber unter Strafandrohung des Über-Ichs ste-

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hen – ausgelöst. Es findet dabei – hervorgerufen durch die Ähnlichkeit der Beziehung »Prüfer – Prüfling« mit der ehemaligen Eltern-Kind-Konstellation – eine Übertragung der früher erlebten Gefühle auf die aktuelle Beziehung statt.

Die Prüfungssituation wird in mehrfacher Hinsicht als Gefährdung erlebt (vgl. Knigge-Illner 2009: 338): Sie signalisiert dem Ich die Gefahr einer Versuchung durch aggressive und libidinöse, auf den Prüfer gerichtete Triebwünsche. Der Prüfer repräsentiert die frühere Macht-stellung der Eltern und reaktualisiert den alten Konflikt zwischen Triebwünschen und dem Über-Ich als strafender Instanz. Begehrlich-keiten sind auf den Prüfer gerichtet: Man begehrt seine Eigenschaf-ten – sein Wissen, seine Macht und seine Größe – und möchte auch von ihm »geliebt« werden. Eine Wunscherfüllung bleibt dem Prüfling versagt, stattdessen muss er harte Arbeit leisten und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Mit seinen triebhaften Impulsen sieht er sich der Bestrafung ausgesetzt: Triebwünsche passen nicht in die reale Anfor-derungssituation, sie lösen Schuldgefühle aus und werden mit erheb-licher Anstrengung unterdrückt. In der Prüfung den Nachweis eigener »Tüchtigkeit« erbringen zu müssen und damit scheitern zu können, steht im Widerspruch zu eigenen (überhöhten) Selbstansprüchen und Größenfantasien und kränkt das Selbstwertgefühl. Das kindliche Bedürfnis nach Schutz und Anhänglichkeit wird ebenfalls aktualisiert, jedoch droht mit der Prüfungssituation der Verlust des elterlichen Schutzes: Gefordert ist stattdessen Selbstverantwortlichkeit. In der Prüfung muss man sich der realen Beurteilung seiner Person stellen und kann nicht mit akzeptierender Nachsicht rechnen. Das Span-nungsverhältnis zwischen kindlicher Abhängigkeit und Kampf um Autonomie beeinflusst das Verhältnis zum Prüfer. Einerseits wünscht sich der Prüfling dessen (väterliche) Hilfe und Unterstützung, anderer-seits möchte er aber auch die Leistungsansprüche des Prüfers erfüllen und als kompetente und eigenständige Person anerkannt werden. Mit der Erwartung von Selbstverantwortlichkeit wird ein Schritt in den Erwachsenenstatus gefordert. Kindliche Omnipotenzvorstellungen und Größenfantasien werden fragwürdig, die realen Erfahrungen mit der tatsächlichen Begrenztheit eigener Leistungsmöglichkeiten führen zu narzisstischen Kränkungen.

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Die Prüfungssituation wird deshalb für das Ich bedrohlich, weil sie die alten Gefühle und Erregungsmuster auslöst, die die aktuelle Prü-fungsangst überlagern und das Verhalten beeinflussen. Die Steuerung der Ich-Funktionen wird dadurch geschwächt, die Ratio außer Kraft gesetzt. Die Folge davon ist Regression, die Rückkehr auf eine frühere Stufe der Entwicklung und die Tendenz zu infantilen Reaktionsweisen. Diese äußern sich zum Beispiel als Flucht in reizvolle Ablenkungen und ziellosen Aktionismus, als Aufschieben der Prüfungsvorbereitung oder auch als resignative Hinwendung zu den somatischen Symptomen. Libi-dinöse und aggressive Triebimpulse werden damit frei und auf den Prüfer und die intellektuelle Leistung gerichtet. Sie finden ihren Ausdruck in Träumen, die eine erotische Annäherung an den Prüfer beinhalten, oder auch in wütenden Attacken gegen ihn, die allerdings nur am heimischen Schreibtisch stattfinden. Manchmal führen sie auch zu heftiger und feindseliger Ablehnung des Prüfungsstoffs. Dieser Prozess führt dazu, dass die tatsächlichen Gefahren der aktuellen Prüfungssituation enorm überschätzt und dramatisiert werden: Die Prüfer werden darin leicht zu mächtigen und feindseligen Autoritätsfiguren, während die eigene Rolle ihnen gegenüber zunehmend als passiv und abhängig wahrgenommen wird – eben dem Prüfer ausgeliefert. Durch diese irrationalen Tenden-zen werden notwendige Anpassungsleistungen an die Realität – wie zum Beispiel genaues Recherchieren der Prüfungsanforderungen und fundierte Zeitplanung – enorm erschwert.

Prüfungen erfordern auch immer von den Kandidaten, sich zu prä-sentieren, das heißt auch sich zu zeigen, ihr »Inneres« zu offenbaren. Das wird auch in körperlicher Hinsicht als etwas Intimes erlebt, das mit Scham verbunden ist. Gleichzeitig werden auch exhibitionistische Wün-sche ausgelöst, die das Interesse eines Gegenübers erregen wollen.

Auch wenn man den sexuellen Deutungen von Prüfungsangst (Moeller/Ziolko 1969) nicht generell folgen mag, legen doch die Fan-tasien und Trauminhalte von Prüflingen häufig einen sexuellen Bezug nahe: So berichtete zum Beispiel ein Student, in der Nacht vor einer bevorstehenden Diplomprüfung einen Traum gehabt zu haben, in dem er mit seinem Prüfer in eine intime, sexuell aufgeladene Situation geriet. Er war über diese »Annäherung« sehr befremdet und betonte, keinerlei homosexuelle Neigungen zu haben.

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Eine Doktorandin erzählte von einem Traum, den sie vor einem wich-tigen Gespräch über ihre Dissertation mit ihrem Doktorvater hatte: Sie schauten sich gemeinsam sehr intensiv ein Bidet an, das irgendwie zu ihr gehörte. Es war in ganz ausgefallener Weise sehr schön und bunt bemalt. Während der Doktorvater diese Situation als ganz selbstverständlich ansah, erlebte sie diese als sehr intim und, wie sie später berichtete, erstaunlicherweise nur als etwas peinlich.

Vielleicht sind Ihnen die sexualisierten Tendenzen der Annäherung an den Prüfer fremd, aber die aggressiven Impulse werden Sie sicher kennen: den Ärger über den Prüfer, der aufkommt, wenn Ihnen beim Lernen das nötige Vorbereitungspensum riesig erscheint, oder die Wut, wenn Sie von einem Kommilitonen hören, dass sein Prüfer, der auch Sie prüfen wird, von dem ausgearbeiteten Thema völlig abgewichen ist. Für manche dieser Impulse steht Bestrafung durch den inneren Zensor, das Über-Ich, in Aussicht, wodurch das Ich bedroht wird.

Der psychoanalytische Ansatz macht verständlich, dass Prüfungs-ängste starke Affekte beinhalten können und die Prüfungssituation außerordentlich dramatisiert wird. Gegenüber der gewaltig erscheinen-den Macht des Prüfers fühlt sich der Prüfungskandidat nurmehr hilflos und dem gestrengen Zensor ausgeliefert. An Hochschulprüfungen wird deshalb aus psychoanalytischer Sicht kritisiert, dass sie immer eine durch Ich-Regression beeinflusste Leistung bzw. nur die Störbarkeit der Ich-Funktionen einer Person messen, aber nicht das bei den Studierenden tatsächlich vorhandene Leistungsniveau (Prahl 1977).

Die bei Prüfungskandidaten häufig anzutreffende Tendenz zur Re-gres sion steht im Widerspruch zu den Anforderungen der Prüfungs-phase; denn mit dem Examen wie auch mit einzelnen Prüfungen stehen Schritte im Sozialisationsprozess an, die zum Übergang in den Erwach-senenstatus führen sollen. Das Abschlussexamen liefert die Eintritts-karte für die Aufnahme in die »Scientific Community« und führt zur Übernahme einer Berufsrolle. Dieser Prozess verlangt Anpassung an die Spielregeln des sozialen Systems und des dafür vorgesehen Rituals und fordert den Nachweis eines bestimmten Grades an Tüchtigkeit und Reife. Vom Prüfling wird erwartet, dass er nicht nur seine fachliche Kompetenz demonstriert, sondern auch seine soziale Fähigkeit unter Beweis stellt.

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Die dargestellte psychoanalytische Sicht auf die Prüfungssituation verweist ebenfalls auf konkrete Ansatzpunkte zur Bewältigung von Prüfungsangst: Es kommt darauf an, durch Anleitung zu differen-zierter Realitätsprüfung und zur Reflexion auf konkrete Handlungs-möglichkeiten und Fähigkeiten (Ich-Funktionen) den Reifestand der Ich-Struktur zu stärken und zur konkreten Situationsbewältigung anzu-regen. Betreuung und Anleitung von Prüfungskandidaten, die auch per-sönliche Unterstützung im Entwicklungsprozess mit einschließt, sowie bessere Orientierung über das Prüfungsgeschehen, positive Zuwendung durch Lehrer und Prüfer sowie Übungen und Trainingsmöglichkeiten für die Prüfung können nachweislich positive Wirkungen auf Prüfungs-ängste ausüben (Eckstein 1971; Scheer/Zenz 1973; Kerres 1988).

Im Wesentlichen stimmen diese Schlussfolgerungen für therapeu-tische Interventionen mit den Empfehlungen des zuvor dargestellten kognitiv verhaltenstherapeutischen Konzepts überein. Die Verhaltens-therapie hat darüber hinaus den Vorteil, eine ganze Reihe von erprobten Strategien, die sich bei der Bewältigung von Angst und speziell von Prü-fungsangst als erfolgreich erwiesen haben, bereitzustellen.

Eigenschaften, die Prüfungsangst begünstigen

Besonders ehrgeizige und leistungsstarke Personen neigen häufig auch zu hohen Leistungsstandards. Ehrgeiz und hohe Leistungsmotivation sind sicher wichtige Voraussetzungen für Erfolg. Die Leistungsansprüche müssen aber auch den eigenen Fähigkeiten entsprechen. Mit überhöhten Ansprüchen an sich selbst setzt man sich jedoch unter Druck und schafft sich ungünstige Bedingungen für das Arbeiten und Lernen. Und man macht es sich schwer, sich selbst zu akzeptieren. Denn hohe Ansprüche führen leicht zu perfektionistischen Bestrebungen und gleichzeitig zu seltenen Erfolgserlebnissen, die als Quelle für das Selbstbewusstsein dienen können.

Eine wichtige Rolle beim Erleben von Prüfungsangst spielt die Ten-denz zu Selbstaufmerksamkeit. Je stärker sich die Aufmerksamkeit auf die eigene Person richtet, umso intensiver nimmt man seine Angst wahr. Und besonders dann, wenn der Blick bevorzugt auf die vermeintlichen

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Schwächen gerichtet ist, fällt die Angst besonders groß aus. Wenn diese Neigung in der Prüfungssituation auftritt, führt sie meist auch zu einer Leistungsminderung, denn die für die Prüfungsaufgabe nötige Auf-merksamkeit wird auf diese Weise reduziert.

Menschen unterscheiden sich in Art und Ausrichtung ihrer Motivation. Bei den einen ist sie durch »Hoffnung auf Erfolg« (Heckhausen 1980), bei den anderen durch »Furcht vor Misserfolg« geprägt. Es ist nahelie-gend, dass die am Misserfolg orientierten Personen auch zu größerer Prü-fungsangst tendieren. Optimisten haben also einige Vorteile! Individuelle Unterschiede wurden auch hinsichtlich der Einstellung gegenüber der per-sönlichen Beeinflussung von Erfolg festgestellt. Die einen tendieren dazu, den Erfolg von Handlungen den eigenen Fähigkeiten und Einflussmög-lichkeiten zuzuschreiben, während andere ihre erreichten Erfolge eher als eine Folge des Zufalls oder der äußeren Bedingungen sehen. Man hat diese Neigung auch mit der Erwartung von Selbstwirksamkeit (vgl. Krampen 1989; 1991) in Zusammenhang gebracht. Darunter versteht man die Ein-schätzung der eigenen Kompetenz und der möglichen Einflussnahme auf eine Anforderungssituation. Fällt diese sehr positiv aus, dann wird sich eher Zuversicht anstelle von großer Prüfungsangst einstellen.

Festzustellen ist, dass die beschriebenen Motivationstendenzen nicht als stabile, unveränderbare Eigenschaften einer Person aufzufassen sind. Sie lassen sich hingegen durch neue Erfahrungen mit Lernsituationen und durch Erfolgserlebnisse positiv beeinflussen.

Was folgt aus diesen Erkenntnissen?

Wenn Sie selbst zu einem ungünstigen Motivationstyp gehören, der zum Beispiel durch Furcht vor Misserfolg geprägt ist, dann sollten Sie an der fehlenden Erfolgsorientierung arbeiten. Das Kapitel 2 über erfolgsorien-tierte Motivation wird Ihnen dabei helfen.

Wenn Sie dazu neigen, sich an sehr hohen oder gar überhöhten An-sprüchen zu messen, dann sollten Sie jeweils kritisch reflektieren, was für Sie unter den gegebenen Bedingungen der Prüfungssituation tatsächlich »machbar« ist. Die Kriterien des Zeitmanagements fordern Sie bestän-dig zu realistischen Einschätzungen auf.

Dass Sie Ihre volle Aufmerksamkeit in der Prüfung auf die jeweilige

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Prüfungsaufgabe richten sollten und nicht auf Ihre möglichen Schwä-chen, wird Ihnen in den weiteren Kapiteln des Buches immer deutlicher werden. Mit der vorgestellten Kognitionsanalyse können Sie lernen, selbstdestruktive Gedanken zu entschärfen und außer Kraft zu setzen. Diese gilt es durch positive Selbstaussagen zu ersetzen. Dafür müssen Sie allerdings bereit sein, sich selbst ein Stück zu verändern!

Äußere Bedingungen von Prüfungsangst

Das Ausmaß von Prüfungsangst wird natürlich auch von äußeren bzw. objektiven Faktoren bestimmt. Abschlussexamina wie das Abitur, ein Magister- oder Staatsexamen, die eine ganze Palette von Fachprüfungen umfassen und große Anforderungen an den Umfang des erforderlichen Wissens der Prüfungskandidaten stellen, lösen in stärkerem Maße Angst und Stressempfinden aus, als es kleinere, begrenzte Prüfungen vermö-gen. Medizin- und Jurastudenten, die sich auf ihre Staatsexamina vor-bereiten, klagen vielfach über das enorme Vorbereitungspensum. Auch der Stellenwert einer Prüfung, ihre konkreten Folgen und die weiteren Chancen, sind also zu berücksichtigen.

Bekanntheit und Transparenz des Prüfungsablaufs wirken generell angstvermindernd. Man kann davon ausgehen, dass Bedingungen, die zu besserer Informiertheit und Vertrautheit mit dem Prüfungsablauf führen, der Angst entgegenwirken. Das, was man gar nicht einschätzen kann, macht am meisten Angst!

Charakteristika des Prüfers, wie sein Prüfungsstil und die Gestaltung seiner Rolle, sind ebenfalls von Einfluss. Ein autoritärer und strenger Prüfer erzeugt in der Regel mehr Angst als Zuversicht. Allerdings soll-ten Sie auch bedenken, dass die Charakterisierung von Prüfern häufig sehr subjektiv gefärbt ist und von der Realität stark abweicht. Außerdem neigen Prüfungskandidaten im Allgemeinen dazu, die Bedrohlichkeit von Prüfern zu überschätzen (siehe den Abschnitt dieses Kapitels »Der Prüfer als Angstfaktor« und Kapitel 7).

Eine nachgewiesen positive Wirkung geht vom Prüfenden aus, wenn er dem Prüfling gegenüber Zuwendung zeigt und zum Beispiel durch

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Anteilnahme und beruhigende Unterstützung emotional auf ihn ein-geht. Kann man den Prüfer selbst auswählen, dann sollte man diesen Aspekt positiver Einflussnahme unbedingt nutzen.

Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Prüfungen

Prüfungen spielen in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Die Beurteilungsergebnisse in Form von Zeugnissen entscheiden in wei-ten Bereichen darüber, welche Aufgaben und Tätigkeiten man in der Gesellschaft übernehmen darf. Prüfungen als Abschluss einer Aus-bildungsphase gelten auch als Nachweis einer allgemeineren Tüchtig-keit und sozialen Reife, die die Voraussetzung für den Eintritt in eine nachfolgende neue Phase liefert. Ein klassisches Beispiel dafür ist das Abitur, das den Zugang zur Hochschule ermöglicht. Zu den Prüfungen gehört auch ein Ritual, das den formellen Ablauf vorgibt und die Rollen von Prüfer, Prüfungskandidat und Beisitzer festlegt. So können Sie zum Beispiel als Prüfling die Prüfung nicht einfach damit beginnen, dass Sie Fragen an den Prüfer stellen, sondern Sie müssen auf seine Eröffnung und seine Fragen warten.

Das Ritual hebt Prüfungen als außerordentliche Veranstaltungen aus dem Hochschulalltag hervor. Das drückt sich zum Beispiel auch in der Kleiderordnung aus, die nahelegt, sich formeller und gepflegter zu kleiden, eben dem »feierlichen« Anlass gemäß. An manchen Uni-versitäten und in manchen Fachbereichen – wie zum Beispiel bei den Juristen – ist es durchaus üblich, als Kandidat im dunklen Anzug bzw. Kostüm zu erscheinen. Von den Prüflingen wird außer dem Nach-weis ihres fachlichen Wissens auch soziale Kompetenz erwartet, die sich bereits in der Anpassung an die Regeln des Prüfungsrituals aus-drückt. Abschlussexamina markieren eine Übergangssituation, die zu neuem Status und neuer Rolle führt: Der Abiturient steht vor der Anforderung, sich aus der vertrauten alten Umwelt zu lösen und sich in der neuen Umwelt der Universität zurechtzufinden oder, wenn er sich für eine Ausbildung entscheidet, in einem zunächst fremden Pra-xisbereich Fuß zu fassen. In beiden Fällen werden vielfältige Anpas-sungsprozesse und Entwicklungsschritte verlangt, die zur Ausbildung

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einer neuen Identität führen. Übergangssituationen sind immer von Ängsten begleitet. Diese können die Prüfungsangst überlagern und verstärken!

Prüfungen sind aufgrund ihres von der Normalität des Alltags abge-hobenen Charakters auch von einer Art Mythos umgeben. Sie erschei-nen per se als eine schwer zu bewältigende und bedrohliche Situation. Assoziationen zu Situationen in Märchen und Sagen werden ausgelöst, in denen der Held ein schweres Rätsel lösen oder gar einen Drachen töten muss. Eine Bewährungsprobe steht bevor, die viel Mut erfordert und das Leben des Helden bedroht. Dem betroffenen Prüfungskandida-ten bringt man fast immer Mitgefühl entgegen und wünscht ihm viel Glück. Lässt man Studierende ihre Fantasien über eine bevorstehende Prüfung malen, so stößt man auf bedrohliche Szenarien. Die Bilder, die in meinen Workshops über Prüfungsangst entstanden, zeigen beispiels-weise folgende Szene: der Prüfling – klein und kläglich, den roten Kopf voller Fragezeichen – vor einem gewaltig großen Richtertisch stehend, an dem die Herren Professoren in Respekt heischenden schwarzen Roben thronen und ihn mit peinlichen Fragen bombardieren. Die Uhr an der Wand zeigt fünf Minuten vor Zwölf.

Die Anforderungen an eine Prüfung werden ebenso wie ihre »Bedroh-lichkeit« fast immer überschätzt. In der Realität müssen Sie sich keinem »Tribunal stellen« und auch keinen »Drachen töten«. Deshalb sollten Sie Ihre eigenen Vorstellungen von der bevorstehenden Prüfungssitua-tion kritisch unter die Lupe nehmen!

Der Prüfer als Angstfaktor

Entscheidend für das Ausmaß der Prüfungsangst sind die folgenden Aspekte des Verhaltens von Prüfern:

PrüfungenverlangeninderRegelkeineaußerordentlichenMutprobenundLeistungenvon Ihnen.AberSiesolltengenauprüfen,umwelcheAnforderungen es tatsächlich geht, um welche Leistungsanforderun-genundwelcheAnforderungenanIhrVerhalten.

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• die Vorhersehbarkeit ihrer Fragen,• die Einschätzbarkeit ihrer Beurteilungskriterien und• die Berechenbarkeit ihres Verhaltens.

Prüfer unterscheiden sich darin, ob sie ihre Prüfungsanforderungen und ihr Vorgehen in der Prüfung für ihre Kandidaten transparent machen oder sie im Ungewissen lassen. Manche Prüfer sehen es als ihre Aufgabe, ihre Prüflinge gut auf die Prüfung vorzubereiten, zum Beispiel, indem sie im Seminar oder Prüfungskolloquium den Stoff konkret eingrenzen und die möglichen Prüfungsfragen durchspielen. Bei den mündlichen Prüfungen in manchen Fachbereichen, bei denen die Prüfungskandida-ten selbst das Thema für einen Vortrag in der Prüfung wählen können, ist es auch üblich, dass ein Vorgespräch über Konzept und thematische Eingrenzung des Themas stattfindet. Solche Maßnahmen wirken sich sehr positiv auf die Ängste von Studierenden aus. Aber andererseits gibt es auch die wenig beliebten Prüfer, die den Prüflingen »auf den Zahn fühlen« wollen und darauf bestehen, »querbeet« zu prüfen, weil sie meinen, nur auf diese Weise deren tatsächliches Wissen prüfen zu können. Die Vorbereitung auf diesen Prüfertyp wird sicher wesentlich stressvoller verlaufen. Aber auch in diesem Fall lässt sich durch gute Vor-bereitung, auf die wir später eingehen werden, mehr Sicherheit erreichen.

Wenn Examenskandidaten vor der Prüfung über ihre Angstfantasien, die Person des Prüfers betreffend, sprechen, entsteht meist das folgende Bild: Der Prüfer ist männlich, an Wissen ungeheuer überlegen und hat eine Machtposition inne. Er hat extrem hohe Erwartungen, ist uner-bittlich streng und entscheidet über Sieg oder Niederlage. Er hat böse Absichten: zum Beispiel lauert er darauf, Schwächen des Examenskan-didaten zu entdecken und ihn durchfallen zu lassen.

Das Bild scheint weniger die Realität widerzuspiegeln, als vielmehr von dem inneren Bild einer strafenden väterlichen Autorität geprägt zu sein. Prüferinnen treten in den dargestellten Angstfantasien so gut wie nie auf, was jedoch nicht bedeutet, dass reale weibliche Prüfer keine Angst aus-lösen. Sie passen bloß nicht so gut zu dem männlich geprägten Stereotyp des Prüfers. Dass der Prüfer in fachlicher Hinsicht überlegen ist und mehr Macht hat, nämlich die Macht über Sanktionen, trifft in der Realität zu, wird jedoch enorm überschätzt. Sein Status wird überhöht wahrgenom-

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men und seine Rolle in der Prüfung sehr stark überbewertet. Das zeigt sich häufig auch in Träumen, in denen der Prüfer auftritt: Eine Studentin der Geografie, die mitten in den Prüfungen des Staatsexamens für das Lehr-amt mit zwei Fächern steckte, berichtete über ihren Traum: Sie wartet im Prüfungszimmer auf den Prüfer. Es wird ihr mitgeteilt, dass der Papst sie prüfen werde und die Prüfung auf Lateinisch stattfinden werde (Latein gehörte nicht zu ihrem Fächerspektrum!).

Die furchterregenden Züge des Prüfers sind, wie bereits dargestellt, häufig Projektionen der Gefühle des Examenskandidaten: Seine eige-nen aggressiven Gefühle bauen den Prüfer zu einer »hohen richterli-chen Instanz« auf. Die Unberechenbarkeit ist der zentrale Punkt der Horrorstorys, die über Prüfer erzählt werden. In den Berichten schlägt sich die Tendenz zur Dramatisierung nieder. Prüfer, die es gar nicht »bös gemeint« haben und mit ihren Fragen nur ein wenig von dem vereinbarten Pfad der Themenbearbeitung abgewichen sind, erschei-nen als heimtückisch und gemein: Sie haben es vermeintlich darauf angelegt, die Schwächen des Kandidaten bloßzulegen.

Tatsächlich gibt es aber durchaus Prüfer, die einfühlsam und beruhi-gend auf den Prüfling eingehen. Wie durch Untersuchungen festgestellt wurde, reduziert dieses »humane« Prüferverhalten die Prüfungsangst ganz nachhaltig. Auch die Teilnehmer an meinen Workshops zur Prü-fungsvorbereitung konnten über angenehme Prüfungserfahrungen berichten. Hier einige Beispiele:

• »Meine Prüferin zeigte sich sehr interessiert an dem vorgetragenen Inhalt und machte deutlich, dass sie sogar etwas Neues gelernt habe.«

• »Der Prüfer zeigte so viel Interesse, dass sich daraus eine Diskussion entwickelte, an der dann sogar der Beisitzer teilnahm.«

• »Die Prüferin half mir bei meinem Blackout, indem sie nochmal zusammenfasste, was ich gesagt hatte und half mir damit, den Wie-dereinstieg zu finden.«

Anscheinend machen manche Prüfer aus der Prüfung sogar eine sinn-volle und befriedigende Veranstaltung!

Als sehr unangenehm wird es jedoch erlebt, wenn ein Prüfer im Gegenteil dazu uninteressiert, gelangweilt oder gar »genervt« reagiert, weil er des Themas überdrüssig ist. Auch das kommt leider vor!

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Die in diesen Aussagen über Prüfer enthaltenen Wünsche sind auf das Bild eines »menschlichen Prüfers« gerichtet, das eher mütterliche Züge trägt: Er soll Einfühlung und Wertschätzung zeigen. Prüfungskan-didaten erwarten aber auch, dass der Prüfer seine Rolle ernst nimmt und sich rollengemäß verhält, nämlich indem er – so eine Workshop-Teil-nehmerin – »dem Prüfungskandidaten Gelegenheit gibt, sein Wissen anzubringen und sich nicht vorwiegend selbst mit eigener Rede pro-duziert und mit voller Aufmerksamkeit dabei ist«.

Manche Prüflinge tendieren dazu, sich sehr viel Gedanken über das möglicherweise unberechenbare Verhalten ihres Prüfers zu machen und verstärken damit ihren »Besorgtheitsfaktor«. Sie lavieren sich damit leicht in eine passive Rolle hinein und machen sich vom Verhalten des Prüfers abhängig. Eine solche Haltung steht im Widerspruch zu einer Haltung, die ich Ihnen empfehlen möchte: Besinnen Sie sich auf die Gestaltungs-möglichkeiten in der Prüfung, die Sie selbst in der Hand haben!

Prüfungsangst bringt Selbsterkenntnis und Entwicklung

Was kann Ihnen Ihre Prüfungsangst über Sie selbst mitteilen? Sie weist Sie auf besondere Empfindlichkeiten hin, zum Beispiel, dass Sie sehr empfindsam auf Stress reagieren oder sich im Umgang mit Autoritäts-personen unsicher und unterlegen fühlen. Sie weist Sie auf fehlendes

Festzuhalten ist:

✓ Lassen Sie sich von Horrorstorys über Prüfer nicht beeindrucken!DieAngstvordemPrüferberuhtzueinemTeilaufirrationalerÜber-zeichnung.

✓ Verschaffen Sie sich eigene, verlässliche Informationen über denrealenPrüfer!

✓ SpielenSieeineaktiveundselbstbestimmteRollealsPrüfungskan-didat.(WieSiedazugelangenkönnen,erfahrenSieinsbesondereinKapitel7.)

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Selbstvertrauen und auf Mängel hin, die Sie bis dahin vielleicht nur ins-geheim gefürchtet haben und nicht wahrhaben wollten. Aber sie macht Sie auch aufmerksam auf die Ziele, die Ihnen persönlich wichtig sind: So zum Beispiel auf die Stärke Ihres Ehrgeizes, auf Ihr intellektuelles Anspruchsniveau und den Grad Ihres Engagements, mit dem Sie in der Prüfung antreten wollen. Alles in allem sind Sie zur Selbsterkenntnis aufgefordert. Diese Herausforderung anzunehmen, bedeutet, dass Sie einiges dazulernen müssen: neue Strategien, mit denen Sie sich stärker machen und die Chance erhöhen können, Ihre Ziele zu erreichen.

Aber Sie werden vielleicht auch Illusionen erkennen, mit denen Sie sich bislang über Ihre tatsächliche »Größe« getäuscht haben: Sie werden zum Beispiel bei der Prüfungsvorbereitung erfahren, dass Sie in einem Fach gar nicht so gut sind, wie Sie immer gedacht haben. Sie stellen ent-täuscht fest, dass Ihnen der Stoff gar nicht zufliegt und das Lernen müh-sam ist. Oder Sie erkennen, dass Sie sich mit einem wissenschaftlichen Vortrag vor einem Fachpublikum übernommen haben und viel mehr Arbeit in die Vorbereitung stecken müssen, als Sie vermutet haben. Das bedeutet, dass Sie bei der Konfrontation mit Ihrer Prüfungsangst auf die Grenzen Ihrer Fähigkeiten stoßen und sich damit befassen müssen. Sie werden sich manchmal klein und ängstlich fühlen, den Anforderungen der Prüfenden nicht gewachsen. Das wird kaum zu Ihrem Selbstbild, das bis dahin sehr positiv war, passen. Vielleicht werden Sie sich an frühere Angsterlebnisse mit Prüfungen erinnern und dabei feststellen, dass Sie immer schon große Probleme damit hatten. Das stellt Sie vor die Auf-gabe, Position zu beziehen: Entweder kommen Sie zu der fatalistischen Beurteilung, dass Sie auch diesmal die Prüfung verpatzen werden, oder Sie schwören sich, dass Sie diesmal anders an die Herausforderung heran-gehen und die Chance zu einer guten Leistung nutzen werden. Prüfungs-situationen stellen Anforderungen, an denen man wachsen kann! Und im besten Fall wächst man ein Stück über sich hinaus. Prüfungen sind Markierungspunkte im Prozess der intellektuellen wie auch der psycho-sozialen Entwicklung. Sie bringen sogenannte Übergangssituationen mit sich, die zu Verunsicherung und Stress führen; denn das Ich ist gefor-dert, seine Identität zu verändern und anzupassen. Das gilt insbesondere für das Examen am Ende des Studiums oder der Ausbildung, bei dem es auch um das Hineinwachsen in eine neue soziale Rolle geht.

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Auch mit den »kleineren« Prüfungen zwischendrin, mit der Klausur mitten im Bachelorstudium, mit der Präsentation eines Referats im Semi-nar oder mit einem Vortrag vor einem fremden Publikum, sind Entwick-lungsschritte verbunden. Sie stehen immer vor der Herausforderung, den Stand Ihres Wissens zu offenbaren und sich der Bewertung durch die anderen zu stellen. Das verlangt immer, ein Wagnis einzugehen und einen Schritt nach vorn zu tun. Und Sie müssen die Verantwortung für Ihren »Auftritt« übernehmen, auch dann, wenn Sie noch unsicher sind, ob Ihr Wissen ausreicht, und natürlich auch dann, wenn Sie schlecht abschneiden. Jedoch führen gerade diese Schritte zu Weiterentwicklung und Wachstum. Sie erhalten dabei auf jeden Fall ein Feedback, das Ihnen die Augen öffnet für Ihr reales Ich, für Ihre tatsächlichen Leistungen, aber auch für Ihre noch nicht ausgeschöpften Potenziale. Misserfolge gehören mit zu diesem Entwicklungsprozess. Sie zu erleben, ist zwar schmerzlich, aber es stimmt der Satz, dass man aus seinen Fehlern lernt – vielleicht sogar viel mehr als aus seinen Erfolgen. Fehler und Misserfolge führen einen an die Grenzen eigener Fähigkeiten, aber sie verlangen auch Entscheidungen über neue Weichenstellungen und führen damit auch auf neue erfolgreiche Wege.

In den Biografien von Schauspielern und Schauspielerinnen werden Sie lesen können, dass viele von ihnen massiv unter Lampenfieber leiden und es nicht selten vorkommt, dass ein heute berühmter Schauspieler früher durch die Aufnahmeprüfung einer Schauspielschule gefallen ist. Meist können Sie darin auch Berichte über peinliche Auftritte vor dem Publikum oder Phasen erfolglosen Bemühens um Engagements finden. Eine wesent-liche Erkenntnis wird aber bei der Lektüre sein, dass sie trotz alledem nicht aufgegeben haben. Und das war letztlich verantwortlich für ihren Erfolg!

Bewältigungssstrategien im Überblick – Zum Aufbau des Buches

Am Ende dieses Kapitels werden Sie die folgenden Erkenntnisse über Prüfungsangst und die wesentlichen Ansatzpunkte zu ihrer Bewälti-gung gewonnen haben:

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• Die eingangs dargestellten Vorurteile über Prüfungsangst stimmen so nicht. Prüfungsangst ist nicht der Feind, der Sie daran hindert, Ihr ersehntes Ziel zu erreichen.

• Prüfungsangst ist zwar häufig von unangenehmen und leidvollen Symptomen begleitet, aber sie übt auch positive Wirkungen aus: Sie warnt Sie vor Gefahren, die Ihrem Selbstwertgefühl drohen.

• Das physiologische Erregungsmuster, das mit Prüfungsangst einher-geht, mobilisiert und macht Sie kampfbereit. Allerdings brauchen Sie ein mittleres Erregungsniveau, um den Bedingungen der Prüfung gewachsen zu sein.

• Prüfungsangst entsteht im Kopf. Die psychologische Forschung unterscheidet zwei Faktoren von Prüfungsangst: den kognitiven »Besorgtheitsfaktor« und den emotionalen Faktor der »Aufgeregt-heit«. Mit Besorgtheit ist die Tendenz der Gedanken gemeint, bevor-zugt an den negativen Ausgang von Prüfungen zu denken. Sie macht den Hauptanteil von Prüfungsangst aus. Diese Erkenntnis führt zu einem wichtigen Ansatzpunkt für die Bewältigung von Prüfungs-angst. Kognitionen lassen sich nämlich verändern!

• Prüfungsangst zu haben, ist keine Persönlichkeitseigenschaft. Man-che persönlichen Dispositionen begünstigen aber das Empfinden von Prüfungsangst. Dazu gehört zum Beispiel die Tendenz, in Leistungs-situationen durch »Furcht vor Misserfolg« und nicht durch »Hoff-nung auf Erfolg« motiviert zu werden. Aber auch solche Tendenzen lassen sich durch Lernen verändern.

• Äußere Bedingungen, die den Prüfungsablauf undurchsichtig er-scheinen lassen, und eine wenig humane Gestaltung durch den Prüfer wirken angstverstärkend. Die gesellschaftliche Bedeutung von Prüfungen und die damit verbundenen Prüfungsrituale führen dazu, Prüfungsanforderungen zu überschätzen und Mythen zu bil-den.

• Psychoanalytische Erklärungsansätze heben den neurotischen Anteil von Prüfungsangst hervor, der auf einer Übertragung von ehemaligen Beziehungserfahrungen mit den Eltern auf den Prüfer und die Prü-fungssituation beruht. Dessen Auswirkung zeigt sich in der Neigung zur Dramatisierung der Anforderungssituation und zu regressivem Verhalten.

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• Psychodynamischer Ansatz wie auch kognitive Verhaltenstherapie legen für die Bewältigung von Prüfungsangst nahe, die realen Anfor-derungen und Bedingungen der Stresssituation kritisch zu prüfen wie auch die konkreten Handlungsmöglichkeiten ins Auge zu fassen. Die kognitive Verhaltenstherapie stellt darüber hinaus eine Reihe von erprobten Strategien zur Angstbewältigung bereit.

• Die Beschäftigung mit Prüfungsangst führt auch zu mancherlei Selbsterkenntnis: Eine Erkenntnis besteht darin, dass Prüfungsangst ein Teil Ihrer Persönlichkeit ist, der Aufschluss gibt über Ihre persön-liche Verletzlichkeit. Bei der Prüfungsvorbereitung werden Sie auch auf Mängel und Grenzen Ihrer Fähigkeiten stoßen, die Sie irritieren, aber auch herausfordern werden zu persönlicher Weiterentwicklung. Denn Prüfungen bestehen erfordert immer auch, ein Stück über sich selbst hinauszuwachsen!

Die Erkenntnisse dieses ersten Kapitels machen deutlich, dass es für Prüfungskandidaten und alle diejenigen, die unter Prüfungsangst lei-den, eine Menge zu bearbeiten und zu lernen gibt. Aber sie legen auch ganz konkrete Ansatzpunkte für die Bewältigung nahe. Die folgenden Kapitel werden Ihnen die verschiedenen Strategien zur Vorbereitung auf die Prüfung und zum Einwirken auf Ihre Prüfungsangst vorstellen und nahebringen. Sie stützen sich nicht nur auf die Ergebnisse der Angst-forschung, sondern auch auf die praktischen Erfahrungen, die ich über viele Jahre in meinen Workshops mit Studierenden zur Bewältigung von Prüfungsangst gewonnen habe. Deren positive Wirkung konnte ich auch durch eine Evaluationsstudie bestätigen (Knigge-Illner 1998).

Damit Sie Ihr Projekt Prüfung zum Erfolg führen, empfiehlt es sich, an den verschiedenen Aspekten von Prüfungsangst und Stress anzuset-zen. Welche der Strategien speziell für Sie infrage kommen, hängt von Ihren individuellen Problemen und Empfindlichkeiten wie auch von Ihrem persönlichen Profil der Stärken und Schwächen ab. Deshalb soll-ten Sie gut prüfen, an welchen dieser Ansatzpunkte Sie besonders arbei-ten müssen. Prinzipiell empfehle ich Ihnen, alle vorgestellten Strategien anzuwenden, denn sie ergänzen sich zu einer optimalen Strategie der Prüfungsvorbereitung wie auch der Vorbereitung auf andere leistungs-bezogene Herausforderungen.

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Werden Sie aktiv und lernen Sie einen neuen Umgang mit Ihrer Angst, denn Prüfungsangst lässt sich nicht von außen »wegtherapieren«. Diese Aufforderung gehört bereits mit zu Ihrem Lernprogramm: Es geht im Wesentlichen darum, dass Sie sich selbst eine positive Motivation auf-bauen, die auf Ihr Ziel, die Prüfung oder auch eine andere Herausforde-rung zu schaffen, gerichtet ist – und das trotz aller Befürchtungen und Widerstände! Denn eine positive, das heißt erfolgsorientierte Motiva-tion ist – natürlich im Verein mit den erforderlichen Leistungsvoraus-setzungen – das beste Gegengewicht und damit die beste »Therapie« gegen Prüfungsangst!

Abbildung 1 vermittelt einen Überblick über die verschiedenen Stra-tegien und die entsprechenden Kapitel.

Die richtige Prüfungsmotivation aufbauen

Die richtige Prüfungsmotivation ist auf Erfolg ausgerichtet. Das Kapitel 2 wird Sie dazu anleiten, sich eine erfolgsorientierte, aber gleichzeitig auch realistische Prüfungsmotivation anzueignen. Sie werden verschie-dene Motivationsarten kennenlernen, die Sie dafür nutzen können. Für eine erfolgsorientierte Motivation ist es unerlässlich, die Anforderungen

Wissen überPrüfungsangst

Kapitel 1

Entspannungs-trainingKapitel 4

Zeit-management

Kapitel 5

AktiveLernmethoden

Kapitel 6

Training fürmündliche und

schriftlichePrüfungenKapitel 7

Vorbereitungauf prüfungs-

ähnlicheSituationen

Kapitel 8

»Prüfungsangstbesiegen«StrategienKognitive

SelbstanalyseKapitel 3

ErfolgsorientierteMotivation

Kapitel 2 Kogni-tionen

Erregung

FachlicheVorbereitung

Verhalten

in der Prüfung

Abbildung1:StrategienderPrüfungsangstbewältigung

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einer gründlichen Realitätsprüfung zu unterziehen. Dazu gehört eine realistische Bestandsaufnahme der Prüfungsanforderungen wie auch Ihrer persönlichen Prüfungsvoraussetzungen. Diese wird Sie auch dazu herausfordern, eine aktive und selbstbewusste Rolle als Prüfungskan-didat einzunehmen.

Mit kognitiver Selbstanalyse gegen Prüfungsangst

Zur Förderung einer positiven Motivation soll auch das dritte Kapitel beitragen. Es setzt an dem Problempunkt an, unter dem viele Prüfungs-ängstliche leiden, nämlich an der Tendenz zu übermäßiger Besorgtheit. Gegen plötzlich auftretende Ängste und ständig wiederkehrende Gedan-ken, die um das »Schiefgehen« in der Prüfung kreisen, hilft die kogni-tive Selbstanalyse. Sie leitet Sie dazu an, Ihre Kognitionen, das heißt Ihre Gedanken und Bewertungen, bezüglich Prüfung und Prüfungsangst sowie Ihre Selbstbewertung kritisch unter die Lupe zu nehmen und diese so zu beeinflussen, dass sie dem Prüfungsziel förderlich sind. Sie werden feststellen, dass es Ihnen mit Vernunft und Selbstreflexion gelingt, zu positiven Selbstaussagen zu gelangen und damit Zuversicht aufzubauen!

Prüfungsangst durch Entspannungstraining abbauen

Wenn Sie häufig von nervöser Unruhe, Anspannung und anderen Erre-gungssymptomen geplagt werden, sollten Sie sich eine Entspannungs-methode aneignen. Mit dem Autogenen Training und der Progressi-ven Muskelrelaxation, die Sie in Kapitel 4 kennenlernen, ist es Ihnen möglich, sich selbst in Stresssituationen zu beruhigen und Distanz und Gelassenheit gegenüber bedrohlichen Vorstellungen zu gewinnen. Mit dem Entspannungstraining beeinflussen Sie gleichzeitig auch Ihr Erle-ben und Ihre Gefühle positiv. Und Sie werden spüren, dass es in Ihrer Macht liegt, Ihre körperlichen Angstempfindungen zu dämpfen und zu regulieren. Im Ergebnis fördern Sie damit ebenfalls Ihre Zuversicht.

Effiziente Prüfungsvorbereitung durch Zeitmanagement

Da Prüfungsangst meist in einem engen Zeitrahmen entsteht, hat man es bei der Vorbereitung auf Prüfungen fast immer mit Arbeit unter Zeit-

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druck zu tun. Deshalb empfiehlt es sich, mit rationaler Planung vorzuge-hen und die Zeit klug zu nutzen. Besonders dann, wenn Sie das Gefühl haben, die Zeit läuft Ihnen davon und Sie schaffen Ihr Lernpensum nicht, sollten Sie die Prinzipien des Zeitmanagements anwenden und einen Allgemeinen Plan, der Ihnen Übersicht verschafft, aufstellen und darüber hinaus Wochenpläne für die Vorbereitungswochen anfertigen. Das Kapitel 5 zeigt Ihnen, worauf Sie unbedingt achten sollten. Eine fortlaufende realistische Arbeitsplanung verschafft Ihnen das Gefühl, dass Sie »alles im Griff haben«, und, da Sie den Fortschritt Ihrer Vor-bereitung ständig vor Augen haben, verstärkt Ihr Erfolgsgefühl.

Effizientes Lernen durch aktive Lernmethoden

Alle Angstbewältigungsstrategien verhelfen jedoch nicht zum Prü-fungserfolg, wenn es an fachlichem Wissen fehlt. Eine gute fachliche Vorbereitung liefert die allerwichtigste Basis für eine erfolgsorientierte Prüfungsmotivation und schafft ein Gegengewicht zu Besorgtheit und Prüfungsangst. Prüfen Sie auch, ob Sie Ihre Lernstrategien verbessern und für besseres Behalten sorgen müssen. Sie werden in Kapitel 6 Stra-tegien optimalen Lernens für die Prüfung kennenlernen: Dazu gehören die Methode des Aktiven Lesens, das strukturierende Lernen wie auch das Lernen durch Einsicht und Strategien, mit denen Sie das Behalten Ihrer Lernergebnisse sichern können.

Training für die mündliche Prüfung und andere Prüfungsformen

In der Prüfung müssen Sie Ihr Wissen auch anbringen, das heißt Ihre Kenntnisse darstellen können. Das Präsentieren will jedoch gelernt sein! Außerdem verlangt es gründliche Vorbereitung. Es empfiehlt sich ebenfalls, sich auf den speziellen Prüfungsstil – das mündliche Prü-fungsgespräch oder die schriftliche Klausur – einzustellen und dafür zu üben. Trainieren Sie deshalb Ihr Verhalten im Vorfeld! Für den (kleinen) Vortrag in der mündlichen Prüfung gilt es eine Reihe von Gestaltungs-prinzipien zu beachten. Auch hierfür empfiehlt es ich, eine Generalprobe vor »Publikum« ansetzen. Zu einer klugen Vorbereitung gehört es auch, sich zu überlegen, wie man auf mögliche Fragen des Prüfers am besten eingeht bzw. wie man ihn auf gut vorbereitete Pfade lenkt. Auch für die

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unterschiedlichen Typen der schriftlichen Klausur gilt es, im Vorfeld zu üben. Kapitel 7 macht Sie mit den entsprechenden Vorbereitungsstrate-gien vertraut.

Vorbereitung auf andere prüfungsähnliche Situationen

Studierende haben es im Laufe ihres Studiums an der Universität und auch im außeruniversitären Kontext mit weiteren Leistungssituationen zu tun, die die Charakteristika von Prüfungsangst auslösen können. Weit verbreitet ist die Redeangst, die das Mitreden im Seminar behin-dert. Auch das Aufsuchen des Professors in seiner Sprechstunde ist bei vielen angstbesetzt. Eine weitere kritische Situation, die manch einen beunruhigt, ist das Vorstellungsgespräch bei der Bewerbung um ein Praktikum. Und schließlich ist es der wissenschaftliche Vortrag, der als Referat im Seminar oder Kolloquium oder auch auf einer wissenschaft-lichen Tagung gehalten wird, der viel Nerven kostet und die Furcht vor negativer Bewertung des Publikums auslöst. Zur Vorbereitung auf diese verschiedenen »Bewertungssituationen« finden Sie in Kapitel 8 viele konkrete Empfehlungen und Gestaltungsprinzipien.

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2 Die richtige Prüfungsmotivation aufbauen

Prüfungsangst ist auf eine bedrohliche Situation gerichtet, die man am liebsten vermeiden möchte. Andererseits möchte man auch das ange-strebte Ziel, die Prüfung zu bestehen, erreichen. Dafür benötigt man aber eine Annäherungsmotivation. Vermutlich ist Ihnen schon deutlich geworden, dass Sie sich Ihre Prüfungsmotivation selbst aufbauen müs-sen. Zu warten, bis sich die Motivation von allein einstellt, ist die falsche Herangehensweise. Schließlich geht es um einen Wettkampf, zu dem Sie sich selbst angemeldet haben. Deshalb gilt es nun, sich dafür stark zu machen! Nehmen Sie es sportlich und trainieren Sie für den Wett-kampf – so, wie Sportler es tun! Die Motivation, die Sie dafür brauchen, ist eine kämpferische! Wie bei einer Segelregatta erfordert es die Bereit-schaft, alle Kräfte einzusetzen, um das Ziel zu erreichen: den optimalen Kurs zu bestimmen, »hart am Wind« zu segeln und die Wendemanöver exakt zu fahren.

Die Angstemotion liefert zwar einen Antrieb, aber der Weg zum Ziel, die Phase der Prüfungsvorbereitung, ist meistens lang und arbeitsinten-siv. Dafür braucht man auch eine positive Arbeitsmotivation und – mehr noch – eine Erfolgsorientierung, die den möglicherweise auftretenden Selbstzweifeln und Befürchtungen standhalten kann. Dieses Kapitel will Sie dazu herausfordern, sich auf Ihre Motivationskräfte zu besinnen und sich selbst eine erfolgsorientierte Motivation aufzubauen.

Prüfungsangst hat bekanntlich auch eine positive Wirkung: Sie mobi-lisiert zur »Gefahrenabwehr« und stellt Energien bereit. Im Grunde bezieht sie sich auf ein positives Ziel, das einem sehr wichtig ist. Daraus lässt sich Kraft ziehen, wenn man sich nicht von der Vorstellung, schei-

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tern zu können, dominieren lässt. Genauer betrachtet steckt auch ein Stück »Siegesgewissheit« in der Anmeldung zur Prüfung; denn damit schreiben Sie sich implizit die Fähigkeit zum potenziellen Erfolg zu. Nun sollten Sie Ihr Denken und Handeln auch auf dieses positive Ziel richten!

Für ein persönlich wichtiges Ziel lohnt es sich, zu kämpfen. Um sich dem Ungewissen und den Gefahren der Situation zu stellen, braucht es den »vollen Einsatz«. Es kostet zunächst Selbstüberwindung, heraus-zutreten aus dem vertrauten »Kokon« des normalen Alltags und sich dem rauen Leben von Leistungsbewertung und Konkurrenz zu stellen. Vielleicht wird Ihnen dieser Schritt suspekt und wenig wünschenswert erscheinen, aber es ist der notwendige Schritt, der Sie aus der Adoleszenz in das Erwachsenenleben führt.

Eine kämpferische Motivation erfordert auch, »der Gefahr ins Auge zu schauen«. Das verlangt standzuhalten und Fluchtimpulse zu unter-drücken. Sie haben es dabei mit einem Konflikt zwischen Annäherung und Vermeidung zu tun! Je näher der Prüfungstermin heranrückt, umso vehementer werden Sie die gegensätzlichen Tendenzen verspüren. Eine Lösung des Konflikts wird nur dadurch möglich sein, dass Sie sich selbst bestärken in dem erklärten Willen, die Prüfung auf jeden Fall zu machen.

Eine kämpferische Motivation allein reicht jedoch nicht aus, um die Prüfung zu bestehen. Sie sollten auch gut »gewappnet« sein. Dafür sind zwei weitere Bedingungen wesentlich:

• Sie sollten eine realistische Beurteilung der durch die Prüfung dro-henden Gefahren vornehmen!

• Sie brauchen positive Gegenkräfte, mit denen Sie sich stark machen und die Anforderungen bewältigen können.

Das Stressmodell von Lazarus (1984) charakterisiert die Bedingungen, unter denen Stress entsteht. Von der folgenden Beurteilung hängt es ab, wie hoch der Grad Ihrer Prüfungsangst bzw. Ihrer positiven Bewälti-gungsmotivation ausfällt (Abbildung 2):

Wenn die vergleichende Beurteilung positiv ausfällt, das heißt, wenn die Gefahren durch Kräfte auf Ihrer Seite zum Beispiel durch gute fach-liche Vorbereitung kompensiert werden können, dann werden Sie sich den objektiven Gefahren gegenüber gewachsen fühlen. Und Sie werden Zuversicht verspüren! Diese Gefühle stehen im Widerspruch zu Prü-

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fungsangst. Je mehr Sie tun, um die positiven Gegenkräfte auf Ihrer Seite gewichtiger werden zu lassen, das heißt, je mehr Sie Ihre Fähigkeiten und Strategien verbessern, desto mehr entziehen Sie der Prüfungsangst den Boden – insbesondere dem Faktor »Besorgtheit«, dem dominierenden Faktor. Sie erzeugen damit eine positive Bewältigungsmotivation. Es empfiehlt sich, bewusst und gezielt an die Aufgabe der realistischen Ein-schätzung heranzugehen, denn sie ist eine der Vorbedingungen für eine erfolgsorientierte Prüfungsmotivation. Eine positive, erfolgsorientierte Motivation brauchen Sie, um alle Anforderungen – fachlicher wie auch leistungsmäßiger Art – zu bewältigen. Sie dient gleichsam als Funda-ment für die Bewältigung der quälenden Symptome und negativen Aus-wirkungen von Prüfungsangst.

Die grundlegende Voraussetzung für den Erfolg in der Prüfung besteht natürlich darin, den Prüfungsstoff zu beherrschen. Damit ver-schaffen Sie sich einen großen Anteil an Sicherheit! Deshalb ist auch ein ganzes Kapitel dieses Buches der fachlichen Vorbereitung gewidmet.

Grad der Prüfungsangst(gering) bzw.

Zuversicht (hoch)

Vergleichende Beurteilungder beiden Faktorenkomplexe:

zum Beispiel 1:1

Einschätzungen der subjektivenVoraussetzungen,

zum Beispiel:Vorwissen,

Kommunikationsfähigkeit

Einschätzungder objektiven Gefahren,

zum Beispiel:Fremdheit des Ablaufs,

Schwierigkeitsgradder Fragen

Abbildung2:VergleichendeEinschätzungvonGefahrenundGegenkräften

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Aber das fachliche Wissen allein verschafft nicht immer das Selbstbe-wusstsein, das angemessen wäre. Auch gestandene Leistungssportler müssen im Training meist nicht nur ihre Leistung verbessern, sondern auch an ihrer Motivation arbeiten. Deshalb sollte der erste Teil Ihrer Prüfungsvorbereitung darin bestehen, sich eine erfolgsorientierte Moti-vation aufzubauen, die durch ein realistisches Arbeitsprogramm fun-diert wird.

Schritte zur erfolgsorientierten Motivation

Eine positive, erfolgsorientierte Motivation steht im Gegensatz zu fol-genden Einstellungen:

• »Hauptsache, ich falle nicht durch!«• »Wenn ich es doch schon hinter mir hätte!«• »Mein Motto ist: Augen zu und irgendwie durch!«

Verlangt wird stattdessen von Ihnen, dass Sie sich mit dem, was Sie an Fähigkeiten mitbringen, kämpferisch für Ihren Erfolg einsetzen. Das »Opferlamm, das sich dem Schlächter ausliefert«, wäre also das völlig falsche Modell! Die folgenden Statements sollen Sie dazu herausfordern, eine kämpferische Motivation aufzubauen.

1. Trauen Sie sich den Erfolg zu!Wenn Sie gar keine Chance für einen Erfolg in der Prüfung sehen, soll-ten Sie sich lieber abmelden. Wenn eine gewisse Erfolgsaussicht besteht, dann sollten Sie darangehen, Ihre Erfolgszuversicht zu stärken und zu festigen. Das können Sie erreichen durch eine effiziente fachliche Vor-bereitung. Aber das reicht in vielen Fällen nicht aus. Sie brauchen auch

Festzuhalten ist:

✓ ZuIhrerPrüfungsolltenSiemitkämpferischerMotivationantreten!

✓ StärkenSieIhrepositivenVoraussetzungen!

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eine »emotionale Aufrüstung«. Diese erreichen Sie durch Selbstbestär-kung.

2. Üben Sie sich in Selbstbestärkung!Machen Sie sich bewusst, was Sie gut können und worin Ihre Stärken liegen. Loben Sie sich ruhig dafür! Und das möglichst regelmäßig. Damit bauen Sie Ihr Selbstbewusstsein auf. Menschen mit geringer Prüfungs-angst neigen von Natur aus zu dieser positiven Selbstbestätigung. Neh-men Sie sich an ihnen ein Beispiel! Wenn Ihnen gar nichts Positives ein-fällt, dann suchen Sie die Unterstützung von Freunden.

3. Setzen Sie sich realistische Ziele!Vorsicht vor überhöhten Leistungsansprüchen! Damit erzeugen Sie Leis-tungsdruck und verstärken nur Ihre Prüfungsangst. Prüfen Sie, ob die Note, die Sie in der Prüfung erreichen wollen, auch Ihrem tatsächlichen Leistungsstand entspricht. Und schrauben Sie sie gegebenenfalls herunter!

4. Akzeptieren Sie Ihr realistisches Leistungsniveau!Es kommt nicht darauf an, wie gut Sie eigentlich sein müssten und was Sie noch viel besser »draufhaben« müssten, sondern auf den realen Stand Ihres Wissens zum Zeitpunkt der Prüfung. Vielleicht stehen Sie vor der ernüchternden Erkenntnis, dass Sie nur durchschnittlich sind. Okay, dann stehen Sie dazu! Mit durchschnittlicher Leistungsfähigkeit können Sie durchaus erfolgreich sein!

5. Treffen Sie eine definitive Entscheidung für die Prüfung!Auch wenn Sie manchmal leise Zweifel haben, ob Sie tatsächlich fachlich reif sind für die Prüfung, sollten Sie, wenn Sie nun einmal angemeldet sind, sich auch definitiv für Ihr Antreten entscheiden. Ein entschiedenes »Ich will auf jeden Fall die Prüfung schaffen!« führt auch dazu, dass Sie sich im entscheidenden Moment mit voller Kraft einsetzen.

6. Treten Sie kämpferisch auf!Lassen Sie sich nicht einschüchtern, zum Beispiel durch die Prüfungssi-tuation oder die Person des Prüfers. Die Prüfung verlangt Ihren vollen kämpferischen Einsatz! Daraufhin sollten Sie sich motivieren. Nutzen

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Sie die Prüfungsfragen, um Ihr Wissen gut darzustellen. Nehmen Sie sich vor, aus dem, was Sie gelernt haben, das Beste zu machen: Gehen Sie dazu aktiv mit den Fragen des Prüfers um. Das kann man vorher bei der Prüfungsvorbereitung üben. Nehmen Sie sich vor, auch dann nicht auf-zugeben, wenn Ihnen mal keine Antwort zu einer Frage einfällt. Bleiben Sie aktiv und arbeiten Sie auf Ihren Erfolg hin.

7. Bewahren Sie die Ruhe!Die Vorstellung von dem, was in der Prüfung von Ihnen verlangt wird, wird fast immer überschätzt, und das erzeugt viel Beunruhigung! Dabei geht es im Kern lediglich darum, Aufgaben zu bewältigen oder Antwor-ten auf Fragen zu geben, auf die man sich zuvor gut vorbereitet hat. Die Aufgabenbewältigung verlangt aber Ruhe und Konzentration auf die Sache. Dies zu erreichen, sollte Ihr Ziel sein! Lenken Sie Ihren Geist auf die sachliche Aufgabe und sorgen Sie für Ruhe. Entspannungstraining und Selbstbestärkung helfen Ihnen dabei.

8. Machen Sie sich ein realistisches und positives Bild von der Prüfung!Prüfen Sie kritisch, was tatsächlich in der Prüfung verlangt wird, und lernen Sie Ihren Prüfer kennen. Schaffen Sie sich ein positives Bild von der Prüfung. Sehen Sie die Prüfung als Chance, Ihre fachliche Kompe-tenz zu zeigen – die Sie bei guter Vorbereitung ja auch erworben haben! Gestatten Sie sich ruhig, sich in Gedanken einen erfolgreichen Prüfungs-verlauf auszumalen. Damit fördern Sie eine positive Motivation.

Die obigen Appelle fordern Sie auf, aktiv zu werden und die Regie über Ihr Prüfungsprojekt zu führen. Die einzelnen Kapitel des Buches wer-den Ihnen zeigen, wie Sie diese Aufforderungen im Einzelnen umsetzen können.

Die Rolle des emanzipierten Prüflings

Sicher ist es Ihnen nicht bewusst, aber überlegen Sie einmal, wie Ihr Rol-lenkonzept für Ihr Verhalten in der Prüfung aussieht. Treten Sie als bra-

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ver »Schüler« auf, der auf das Abfragen durch den Prüfer wartet, oder vielleicht als Prüfungskandidatin, die ein Fachgespräch führen will? Ihr Konzept entscheidet darüber, ob Sie in der Prüfung aktiv und zielgerich-tet auftreten! Nehmen Sie sich am besten vor, sich engagiert für Ihr Ziel, die Prüfung mit Erfolg zu bestehen, einzusetzen und die Gelegenheit zur Präsentation Ihres Wissens gut zu nutzen. Gehen Sie von einer Rol-lenbeziehung zwischen Prüfer und Prüfling aus, die Ihnen Spielräume für aktives Verhalten eröffnet. (Kapitel 7 wird Ihnen viele Tipps geben, wie man zum Beispiel aktiv mit Prüferfragen umgehen kann.) Mit einer solchen Einstellung fordern Sie Ihr Selbstbewusstsein heraus!

Betrachten Sie die Rollenbeziehung einmal mit anderen Augen. Sie haben sich zur Prüfung angemeldet und damit Ihren Wunsch erklärt, dem Prüfer Ihr Wissen vorzutragen. Das Interesse geht also von Ihnen aus. Nicht er hat Sie herausgesucht und will testen, was in Ihnen steckt, sondern Sie möchten ihm zeigen, dass Sie das nötige Fachwissen parat haben! Sie wollen ihn sozusagen als Autorität nutzen, die Ihnen Rück-meldung gibt, ob Sie mit Ihrer Leistung die fachlichen Anforderungen dieses Prüfungsabschnitts erfüllen. Ihre Interaktion verläuft nach einem festgelegten Muster: Seine Rolle sieht vor, dass er Ihnen Fragen stellt und Ihre Antworten bewertet. Ihre Rolle verlangt, dass Sie Ihr Wissen prä-sentieren. Aber wie Sie Ihr Wissen präsentieren, liegt zu einem großen Teil bei Ihnen! Da es Ihr Ziel ist, gut abzuschneiden, sollten Sie seine Fragen nutzen, um Ihren Sachverstand möglichst gut zum Ausdruck zu bringen. Sie könnten zum Beispiel bei Ihrer Vorbereitung überlegen, wie Sie Ihre Antworten auf seine Fragen aufbauen. Falls Sie in Ihrem Fach in der mündlichen Prüfung einen Vortrag zu einem selbst gewähl-ten Thema halten dürfen, könnten Sie überlegen, wie Sie das Interesse des Prüfers an dem Thema wecken und welche kritischen Fragen Sie zu Ihrem Prüfungsthema anschneiden und zur Diskussion stellen könnten. Das verlangt natürlich intensive Vorbereitung. Aber der Vorteil ist, dass Sie dann auch stärkeren Einfluss auf den Prüfungsverlauf nehmen könn-ten. Das wird Ihnen nicht immer hundertprozentig gelingen, aber mit dieser Aktivrolle haben Sie die größere Chance, zum Gesprächspartner aufzurücken. Mit einem solchen Rollenkonzept gelingt es Ihnen auch, der furchterregenden Vorstellung von einer übermächtigen und feindse-lig gesonnenen Autoritätsfigur zu Leibe zu rücken. Es fordert Sie jeden-

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falls dazu heraus, sich aus der Rolle des passiven Prüflings, der der Macht des Prüfers ausgeliefert ist, zu emanzipieren.

Erwarten Sie nicht von sich, dass Sie in der Prüfung ungeheuer souve-rän und ohne jedes Anzeichen von Angst auftreten müssen. Darum geht es nicht! Es geht vielmehr um Ihre innere Einstellung und die konzen-trierte Ausrichtung auf Ihr Ziel und das wird sich automatisch auf Ihr Auftreten auswirken.

Weitere Motivationskräfte erschließen

Nutzen Sie die Prüfungsangst als Motor. Sie ist, wie Sie erfahren haben, ein positives Zeichen Ihrer Leistungsbereitschaft und Ausdruck Ihrer Lebendigkeit. Es stellt sich Ihnen nun aber die Aufgabe, sie in Dienst zu nehmen, sie vielleicht auf das rechte Maß zu drosseln, so dass sie Ihre Leistungsmotivation anregen kann.

Angsterregung kann durchaus die Leistung steigern. Sie wirkt als Antrieb. Psychologen haben den Zusammenhang zwischen Angsterre-gung und Leistungshöhe genau überprüft: Die »Yerkes-Dodson-Regel« stellt dazu fest: Ein niedriges Antriebsniveau wirkt sich ebenso wenig positiv auf die Leistung aus wie ein sehr hohes, während eine mittlere Antriebsintensität zu einer optimalen Leistung führt. Grafisch lässt sich dieser Zusammenhang als eine umgekehrte U-Kurve darstellen (Abbil-dung 3).

Es gibt also so etwas wie eine »optimale Prüfungsangst«. Fast alle, die Prüfungen absolviert haben, staunen später darüber, wie viel sie in der knappen Zeit der Prüfungsvorbereitung lernen konnten. Die posi-tiven Effekte von Prüfungsangst haben Sie in Kapitel 1 kennengelernt.

Für anspruchsvolle geistige Aufgaben braucht man einen mittleren Erregungspegel und außerdem eine starke und ausdauernde Leistungs-motivation. Für die Erarbeitung des Prüfungsstoffs und auch für die Bewältigung von Prüfungen reicht Prüfungsangst als alleinige Motiva-tionsquelle natürlich keinesfalls aus. Es bedarf außerdem weiterer posi-tiver Zugziele, das heißt Ziele, von denen eine Zugkraft ausgeht bzw. von denen Sie angezogen werden. Das können sogenannte Zweckziele

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sein, das heißt solche, die außerhalb Ihrer selbst liegen, wie zum Bei-spiel:

• das Diplomzeugnis endlich in der Tasche haben, damit Sie sich eine Stelle suchen können,

• die Hochschule verlassen, damit Sie sich endlich der Praxis zuwenden können oder

• damit Sie endlich finanziell auf eigenen Beinen stehen können.

Entfernte, in der Zukunft liegende Ziele haben jedoch häufig nicht genü-gend Zugkraft, um daraus in der aktuellen Situation der Prüfungsvorbe-reitung Arbeitsmotivation zu beziehen. Deshalb sollten Sie nach Zielen suchen, von denen Sie sich auch gegenwärtig herausgefordert fühlen. Das könnten zum Beispiel die folgenden sein:

• Sie möchten endlich den Durchblick in bestimmten fachlichen Zusammenhängen bekommen.

• Sie möchten lernen, Ihr Fachwissen mündlich gut darzustellen.• Sie möchten feststellen, ob Sie lhr Anspruchsniveau, das Sie sich für

das Examen gesetzt haben, tatsächlich erreichen.

Angsterrregung

Leis

tung

Anzahlrichtiger

Antworten

Abbildung3:Yerkes-Dodson-Regel:ZusammenhangzwischenAngsterregungalsAntriebundLeistung

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Das Interesse am Fach selbst, die sogenannte intrinsische Motivation, ist eine starke Motivationsquelle. Aber nicht jeder, der erfolgreich studiert, muss dies aus reinem Sachinteresse tun. Auch Zweckziele, wie die zuvor genann-ten, sind durchaus wirkungsvoll. Außerdem muss man sich für nahezu jedes Examen auch Stoff aneignen, der sehr trocken und relativ uninteressant ist. Dann bedarf es der Motivation durch andere, extrinsische Ziele, wie zum Beispiel, sich ein belohnendes Ziel in Aussicht zu stellen – ein schönes Wochenende an der See oder die Südamerikareise nach dem Examen.

Vielleicht können Sie sich auch dadurch motivieren, dass Sie bei Ihrer Prüfungsvorbereitung auch Ihre überfachlichen Kompetenzen trainie-ren, nämlich Ihre

• Fähigkeit zu Selbstorganisation und Arbeitsorganisation,• kommunikative Kompetenzen, wie zum Beispiel das Präsentieren von

Wissen, und• die Fähigkeit, mit Stress umzugehen.

Sie üben sich bei der Prüfungsvorbereitung gleichzeitig in wesentlichen Fähigkeiten des Projektmanagements. Damit qualifizieren Sie sich auch für Ihr zukünftiges Berufsleben, denn in akademischen Berufen wird generell verlangt, dass man sich kurzfristig Wissen aneignet, dieses vor-trägt und auf Problemstellungen anwendet.

Ob aus den genannten Zielen eine tragfähige Motivationsbasis werden kann, hängt davon ab, wie viel Ihnen diese Ziele persönlich bedeuten. Im Prinzip gilt, dass Sie aus den Zielen am meisten Kraft beziehen, die Sie für sich selbst anerkennen. Das heißt aber auch, dass es dann für Sie problematisch wird, wenn Sie erkennen sollten, dass Sie das Examen vorwiegend Ihren Eltern zuliebe machen. Ein solches Motiv reicht nur in den seltensten Fällen aus, den enormen Aufwand an Arbeit und Lebensenergie zu investieren. Wenn man sich selbst nicht mit seinem Studienfach oder einem anderen herausfordernden Projekt identifiziert, fällt einem das Lernen und Arbeiten sehr schwer. Es fehlt dann an der vollen Kraft, die man für den kämpferischen Ein-satz braucht.

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Weitere Motivation – insbesondere Arbeitsmotivation – werden Sie aus einer übersichtlichen Arbeitsplanung und dem fortlaufenden Zeitmana-gement beziehen, denn damit führen Sie sich Ihren ständig wachsenden Lernfortschritt vor Augen. Dazu mehr in dem Kapitel über das Zeitma-nagement.

Erfolgsorientierte Motivation erfordert Realitätsprüfung

Da Prüfungskandidaten die Anforderungen an die Prüfung fast immer überschätzen, empfiehlt es sich, gründlich zu recherchieren und sich genau über die Prüfungsbedingungen zu informieren. Die Gefahren einer bevorstehenden Situation adäquat einschätzen zu können, reduziert die Angst ganz beträchtlich. Je mehr Sie über die Prüfung wissen, umso bes-ser können Sie sich dafür rüsten! Es hilft Ihnen dabei, die Prüfung zu ent-mystifizieren. Prüfen Sie ebenfalls, welchen Stand des fachlichen Wissens Sie mitbringen und überlegen Sie, wie Sie ihn noch verbessern können. Kritische Fragen und Checklisten verhelfen Ihnen zu einer Bestandsauf-nahme, die die Basis für Ihr Vorbereitungsprogramm liefert. Eine realis-tische Einschätzung dessen, was an Anforderungen auf Sie zukommt und was Sie an Voraussetzungen mitbringen, schafft gleichzeitig eine wichtige Grundlage für eine erfolgsorientierte Prüfungsmotivation.

Deshalb sollten Sie die folgenden Schritte in Angriff nehmen:

a) die Prüfungsanforderungen realistisch einschätzen,b) die eigenen Voraussetzungen gegenüber den Anforderungen adäquat

beurteilen (Stärken/Schwächen-Analyse) undc) entsprechend den Voraussetzungen aus a) und b) das erforderliche

Programm der Prüfungsvorbereitung entwerfen.

MachenSiesichIhreeigenenMotivationszielebewusst!SieerschließensichdamitKraftquellen!

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a) Prüfungsanforderungen recherchierenAls Erstes sollten Sie genau prüfen, was bei Ihrer Prüfung wirklich ansteht, das heißt, welche Anforderungen tatsächlich gestellt werden. Wahrscheinlich entdecken Sie bei genauerer Betrachtung, dass Sie das Anspruchsniveau gewaltig überschätzt haben: In der Philosophie-prüfung geht es zum Beispiel nicht darum, »2000 Jahre Philosophie-geschichte wiederzugeben« – wie eine Prüfungskandidatin in einem meiner Workshops tatsächlich befürchtete – , sondern nur um einen begrenzten Ausschnitt daraus.

Aber Sie sollten genau bestimmen, wie groß der erforderliche Aus-schnitt ist, indem Sie sich darüber Informationen verschaffen, zum Bei-spiel

• anhand von Fragenkatalogen und Klausurensammlungen zum Prü-fungsfach,

• durch Befragen des Prüfers,• durch Befragung von Kommilitonen,• durch den Besuch von Prüfungskolloquien und• die Lektüre von Seminarskripten und Lehrbüchern.

Zögern Sie nicht, den zuständigen Prüfer in der Sprechstunde aufzusu-chen und ihn bezüglich Ihrer Prüfungsvorbereitung – zum Beispiel bei der Abgrenzung Ihres gewählten Themas – um Rat zu fragen. Es gehört mit zu seinen Aufgaben, Sie zu beraten!

Es ist unbedingt notwendig, die Anforderungen einzugrenzen. Natürlich können Sie damit nicht zu 100 Prozent auf Nummer sicher gehen, aber Sie können für ein kalkuliertes Risiko sorgen! Auf alles Mög-liche gefasst sein zu wollen, ist nicht zu realisieren. Alles offen zu lassen, gibt nur Anlass zu Angst und Sorge, ist also kontraindiziert. Legen Sie den Umfang Ihres gesamten Lernstoffes fest. Damit können Sie dem »Riesenberg«, vor dem sich viele Studierende zu Beginn ihrer Examens-vorbereitung fürchten, zu Leibe rücken. Machen Sie daraus einen begeh-baren Berg, indem Sie die Touren und Etappenziele bestimmen, die auf den Gipfel führen.

Ihre Recherche sollte sich nicht nur auf den Prüfungsstoff, sondern auch auf den Prüfungstyp, den Prüfungsablauf und die Person des Prü-fers erstrecken.

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• Vom Prüfungstyp ist es abhängig, welche Vorbereitungsmethoden infrage kommen. Für eine mündliche Prüfung, in der man zunächst einen kleinen Vortrag halten soll, benötigt man eine andere Vorberei-tungsstrategie als für eine schriftliche Klausur.

• Machen Sie sich ebenfalls kundig über den Ablauf der Prüfung: über den zeitlichen Rahmen, über die Rolle und Aktivitäten, die für den Prüfungskandidaten vorgesehen sind, über die zugelassenen Hilfs-mittel etc. Nutzen Sie die infrage kommenden Informationsquellen.

• Besuchen Sie nach Möglichkeit auch offizielle Prüfungen – sofern dabei die Öffentlichkeit zugelassen ist – , bei denen Sie in entspann-tem Zustand die Situation und ihre Anforderungen kennenlernen können. Das wirkt sich, wie Studierende häufig berichten, entlastend und sehr ermutigend aus.

• In Prüfungskolloquien können Sie ebenfalls eine Menge darüber erfahren. Fassen Sie sich ein Herz und fragen Sie Ihre Professoren auch nach den für Sie wichtigen Punkten.

• Auch über Ihren Prüfer sollten Sie sich Informationen beschaffen. Lernen Sie seinen Prüfungsstil kennen. Erkunden Sie seine fachli-chen Schwerpunkte und Neigungen. Ich empfehle Ihnen dringend, Ihren Prüfer bzw. Ihre Prüferin aufzusuchen, um ihn besser ken-nenzulernen. Sie verlieren dadurch ein Stück von der Angst vor dem »Ungeheuer«. Außerdem machen Sie sich damit selbst bekannt und können vielleicht auch von dem Wiedererkennungseffekt in der Prüfung profitieren! In Kapitel 7 werde ich genauer darauf ein-gehen.

b) Bestandsaufnahme Ihrer Voraussetzungen – Stärken/Schwächen-AnalyseDer zweite Schritt fordert von Ihnen eine Bestandsaufnahme Ihrer Stär-ken und Schwächen. Dabei sollten Sie gründlich und ehrlich sein!

Prüfen Sie die folgenden Fragen:

• Wie gut ist Ihr tatsächlicher Wissensstand? In welchem Prüfungsfach bzw. Prüfungsteil bringen Sie bereits gute Kenntnisse mit? Wo haben Sie noch Lücken? Stellen Sie eine detaillierte Liste auf!

• In welchen erforderlichen Fähigkeiten sind Sie besonders gut? Wie gut sind Ihre analytischen Fähigkeiten, Ihre Fähigkeit zu strukturie-

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ren, Ihr Gedächtnis etc.? Welche Fähigkeiten sind eher schwach aus-geprägt?

• Wie gut sind Sie in den Strategien, die durch den Prüfungstyp ver-langt werden? Wie gut können Sie beispielsweise schriftliche Klausu-ren unter Zeitdruck schreiben? Woran fehlt es Ihnen?

• Wie gut schätzen Sie den Stand Ihrer rhetorischen Fähigkeiten für die mündliche Prüfung ein?

• Wie effizient ist Ihr Arbeitsverhalten? Woran fehlt es bei Ihnen? Wel-che Ressourcen können Sie auf der Habenseite auflisten? Das können motivationale Bedingungen sein wie etwa Ihr kämpferischer Mut oder Eigenschaften wie Selbstdisziplin und Ausdauer.

• Durch welche äußeren Kräfte werden Sie unterstützt? Vielleicht durch Ihren Freund, der mit Ihnen auf die Einhaltung Ihrer Arbeits-pläne achtet? Woran fehlt es noch? Vielleicht an einer Arbeitsgruppe, mit der Sie gemeinsam Ihr Lernpensum kontrollieren?

Listen Sie Ihre Stärken und Schwächen möglichst konkret auf. Wenn Sie sich Ihre Stärken vor Augen führen, so übt dies einen positiven Effekt auf Ihr Selbstbewusstsein und Ihre Motivation aus. Die Betrachtung der Schwächen und der fehlenden Voraussetzungen sollte Sie unbedingt dazu veranlassen, Maßnahmen zu deren Verbesserung zu planen.

Folgende Fragen sollten Sie sich stellen:

• Durch welche Maßnahmen können Sie Ihre Wissenslücken auffül-len? Durch ein anregendes Lehrbuch oder die Teilnahme an einem Repetitorium? Durch die Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe?

• Welche Strategien zur Verbesserung Ihres Arbeitsverhaltens sollten Sie lernen? Vielleicht sollten Sie sich die Methode des Aktiven Lesens von Texten und Vorgehensweisen dazu, wie man Lehrstoff gut struk-turiert, aneignen?

• Was sollten Sie tun, um Ihre kommunikativen Fähigkeiten zu verbes-sern? Sie könnten zum Beispiel einen Rhetorikkurs besuchen oder an einem Workshop teilnehmen, in dem Prüfungssituationen simuliert und durchgespielt werden.

Zu Beginn Ihrer Prüfungsvorbereitung wird der Vergleich der Prüfungs-anforderungen auf der Seite der »Gefahren« und der Gegenkräfte auf

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Ihrer Seite zunächst nicht sehr positiv ausfallen. Aber wenn Sie dafür sorgen, Ihre fehlenden Voraussetzungen und Schwächen zu kompensie-ren und durch Lernen zu verbessern, und wenn Sie Ihre vorhandenen Stärken optimal nutzen, dann wird die vergleichende Einschätzung immer besser ausfallen. Damit steigen Ihre Erfolgsaussichten, und Sie werden das Gefühl bekommen, es tatsächlich schaffen zu können. Auf diese Weise arbeiten Sie der Prüfungsangst wirksam entgegen und bauen Zuversicht auf.

Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen, erfolgsorientierten Motivation ist jedoch der dritte Schritt:

c) Programm der Prüfungsvorbereitung entwerfenEntwerfen Sie ein Programm, das von Ihren individuellen Vorausset-zungen ausgeht und überlegen Sie, wie Sie für den anstehenden »Wett-kampf« durch gezieltes Lernen und Üben Ihre Kondition verbessern und Ihre Fähigkeiten entwickeln können. Stellen Sie Ihr individuelles Programm auf und bestimmen Sie die Ziele und Methoden Ihres »Prü-fungstrainings«.

Ausgehend von den festgestellten Schwachpunkten und den erforder-lichen Übungsschritten sollten Sie möglichst konkret festlegen, was Sie im Einzelnen tun wollen.

Für den speziellen Typ der Multiple-Choice-Klausur, bei der Sie unter vorgegebenen Alternativantworten die richtige bzw. mehrere richtige auswählen sollen, empfiehlt sich eine spezielle Bearbeitungsstrategie, mit der Sie Ihre Zeit optimal nutzen können. Sie sollten diese Strategie vor-her gut trainieren. Vielleicht kommt dafür der Besuch einer Trainings-gruppe infrage; dann sollten Sie sich dafür Zeit reservieren. Auf jeden Fall sollten Sie das Verhalten, das in der Prüfung verlangt wird, in Ihr Übungsprogramm aufnehmen!

Wenn Sie Ihr Programm entworfen haben, wird es darauf ankommen, dass Sie es auch umsetzen und es nicht nur bei »guten Absichten« belas-sen. Dabei wird Ihnen das Kapitel Arbeitsplanung und Zeitmanagement weiterhelfen.

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Bevor wir auf die Strategie von Arbeitsplanung und Zeitmanagement eingehen, mit der Sie sich eine fundierte und sichere fachliche Vorbe-reitung verschaffen können, wollen wir uns zunächst noch mit dem Hauptfaktor von Prüfungsangst befassen, der einer erfolgsorientierten Motivation im Wege steht, nämlich mit dem kognitiven Faktor Besorgt-heit. Das folgende Kapitel über die kognitive Selbstanalyse soll Ihnen die Schritte aufzeigen, wie Sie sich von destruktiven Kognitionen, die Ihre Motivation unterminieren, lösen können und eine positive Prüfungsmo-tivation aufbauen und bestärken.

Prüfungsangst besiegen – Ein Schritt zur Souveränität

Kapitel 2, das Sie dazu anregen will, eine erfolgsorientierte Motivation aufzubauen, macht deutlich, dass von Ihnen einiges verlangt wird: nämlich die Auseinandersetzung mit Ihrer gewohnten Sicht der Dinge und mit sich selbst und außerdem Veränderungen Ihres Verhaltens. Sie werden dabei auf Fähigkeiten stoßen, die Sie bisher unterbewertet haben, aber auch auf Grenzen, die im Widerspruch zu Ihrem idealen Selbstbild stehen. Zur Prüfung oder zu Ihrem Vortrag werden Sie allerdings mit dem antreten müssen, was Sie tatsächlich »draufhaben«! Diese Heraus-forderung fällt vielen sehr schwer. Seine tatsächlichen Leistungsfähig-keiten zu offenbaren, erfordert immer das Wagnis, sich der Bewertung durch andere auszusetzen und möglicherweise eine Kränkung des Selbstwertgefühls hinnehmen zu müssen. Jedoch besteht andererseits die Aussicht auf Bestätigung Ihres positiven Selbstbildes und auf neue Erfahrungen. Vielleicht können Sie schließlich bei sich selbst anerken-

DieBestandsaufnahmederPrüfungsanforderungenundIhrervorhan-denen und noch fehlenden Voraussetzungen verhilft Ihnen dazu, IhrindividuellesVorbereitungsprogrammzuentwerfen.Einüberschauba-resProgrammmachtdenErfolggreifbarer,förderteinepositiveMoti-vationundvermindertdiePrüfungsangst.

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nen, dass Sie ein Stück Entwicklung geschafft haben, indem Sie Ihre Angst und damit auch die Blockierung Ihrer Kräfte überwunden haben und ein Stück über sich selbst hinausgewachsen sind. Sie haben damit an Autonomie gewonnen, die Sie bei künftigen Herausforderungen und Wagnissen einsetzen können.

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3 Mit kognitiver Selbstanalyse gegen Prüfungsangst vorgehen

Wie die psychologische Angstforschung festgestellt hat, hat die Neigung zu Besorgtheit, das heißt die Ausrichtung der Gedanken auf bedrohliche Bedingungen, die zum Scheitern in der Prüfungssituation führen kön-nen, einen wesentlichen Anteil am Entstehen von Prüfungsangst. Neben der Aufregung, der »emotionalen« Seite von Prüfungsangst, stellt der »Sorgenfaktor« die kognitive Komponente dar. Dazu gehören zum Bei-spiel Gedanken, die sich auf das möglicherweise unberechenbare Ver-halten des Prüfers, aber auch auf das eigene, zu befürchtende Verhalten wie extreme Aufregung und Blockiertheit richten. Die Vorstellungen und Gedanken sind in den inneren Selbstaussagen enthalten, die, meist implizit und unbemerkt, die zu erwartenden Abläufe kommentieren und bewerten. Wenn die negativen Beurteilungen der Aussichten über-wiegen, wird es schwerfallen, eine positive Motivation aufzubauen. Von besonderem Einfluss auf die Einstellung gegenüber der Herausforderung sind die Selbstbewertungen: Selbsturteile wie »Das schaffe ich nie!« wirken in fataler Weise demotivierend.

Die kognitiven Selbstbeurteilungen bleiben manchen Betroffenen ganz unbewusst, vielleicht deshalb, weil bei ihnen das emotionale Erle-ben und die Wahrnehmung ihrer Erregung oder auch die Fluchttendenz im Vordergrund stehen. Die individuellen Beurteilungen enthalten aber gleichzeitig auch die Bedingungen, die über das Ausmaß der Angst ent-scheiden. Deshalb ist es auf jeden Fall ratsam, ihnen auf die Spur zu kom-men!

Je stärker der kognitive Faktor Besorgtheit ausgeprägt ist, umso hefti-ger und belastender fällt die Prüfungsangst aus. Für die Bewältigung der

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Prüfungssituation ist jedoch eine positive, erfolgsorientierte Motivation erforderlich. Wie kann man aus einer eher pessimistischen Einstellung zu einer Haltung gelangen, die durch Selbstvertrauen und Zuversicht geprägt ist? Die kognitive Verhaltenstherapie hat dafür hilfreiche und bewährte Methoden entwickelt. Insbesondere der amerikanische Psy-chologe Albert Ellis (1977), der Erfinder der rational-emotiven Thera-pie, gibt mit seiner »Kognitionsanalyse« konkrete Anleitung, wie man aus diesem Dilemma herauskommt.

Wenn Sie selbst von starker Prüfungsangst belastet sind und sich beständig mit Gedanken an negative Bedingungen und das mögliche Scheitern in der entscheidenden Situation herumplagen, dann sollten Sie auf jeden Fall eine Kognitionsanalyse durchführen! Sie wird Ihnen helfen, eine positive Motivation für Ihre Prüfung, Ihren Vortrag oder das Bewerbungsgespräch aufzubauen. Sie werden merken, dass dieses Vorgehen von Ihnen ein Stück intensive Arbeit verlangt, nämlich eine Auseinandersetzung mit den erkannten Bewertungen und Sichtweisen und mehr noch: ein Stück Überzeugungsarbeit. Denn negative Urteile lassen sich nicht einfach durch positives Denken ersetzen, man muss schon bereit sein, eine neue Perspektive einzunehmen und neue Schritte zu wagen, die aus der gewohnten Situation und der möglicherweise ver-trauten Defensivität herausführen. Das erfordert auch, dass Sie sich selbst zunächst einen Vertrauensvorschuss gewähren. Allerdings müssen Sie ihn später auch einlösen!

Kapitel 3 schildert die notwendigen Schritte dazu ganz bewusst sehr ausführlich, denn es soll Sie zu einem Prozess der Selbstanalyse anregen. Die rational-emotive Therapie von Ellis führt die Analyse im therapeu-tischen Dialog durch, bei dem der Therapeut das kritische Hinterfragen übernimmt und damit die fruchtbaren kognitiven Konflikte auslöst, die den Klienten zu neuer Beurteilung und neuem Handeln herausfordern. Hier sind Sie als motivierter Leser aufgefordert, selbst die beiden Rollen des »sokratischen« Dialogs zu übernehmen und Ihren inneren Überzeu-gungen und Wünschen auf die Spur zu kommen. Verlangt wird vielleicht auch so etwas wie detektivischer Spürsinn, mit dem Sie innere Blockie-rungen und Hindernisse auf dem Weg zu Ihren Zielen aufdecken und damit den Weg freimachen für eine neue Herangehensweise.

Zunächst eine kleine Einführung in die Philosophie dieses Ansatzes.

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Gedanken bewirken Gefühle

Vielleicht fragen Sie sich skeptisch, ob man mit Gedanken überhaupt etwas gegen Gefühle ausrichten kann. Weit verbreitet ist die Meinung, dass Gefühle so stark seien, dass sie sich gar nicht steuern lassen. Das sagt man insbesondere von der Liebe, der man vermeintlich machtlos gegenübersteht, wenn es einmal »eingeschlagen« hat. Überzeugt sind auch viele von der Aussage: »Wenn Gefühle im Spiel sind, dann setzt der Verstand aus.« Gefühle erscheinen beinahe wie ein Naturereignis, das man einfach hinnehmen muss. Aber: Wie entstehen Gefühle eigentlich? Nur aus dem Bauch heraus, wie man so schön sagt? Bleiben wir bei dem Beispiel mit der Liebe: Angenommen, Sie verlieben sich in jemanden. Kommt das Gefühl schlagartig über Sie, ohne dass der Kopf daran betei-ligt ist?

Zuerst fällt Ihnen das »Objekt Ihrer Begierde« auf; Sie sehen »es« und beurteilen »es« gleichzeitig, wie zum Beispiel (ich nehme hier ein Beispiel für die Leserin): »Er sieht toll aus; er hat eine aufregende Stimme, genau wie Brad Pitt. Seine Augen sind hinreißend, sie erinnern mich an meinen ersten Freund« usw. Und gleichzeitig spüren Sie auf-regende Gefühle in sich aufsteigen. Und es entsteht der Wunsch, ihn kennenzulernen. Das läuft natürlich ganz schnell und unbemerkt ab, sodass es zunächst so scheint, als liefe das alles nur über den Bauch ab. Aber Gedanken sind auf jeden Fall von Anfang an mit im Spiel. Wenn Sie über diesen Traummann erfahren sollten, dass er zu Gewalttätig-keit neigt und an der Grenze zum Alkoholismus steht, dann wird Ihr Gefühl wahrscheinlich gedämpft und durch Skepsis und vermutlich Ablehnung überlagert werden. Und Ihre frohe Erwartung relativiert sich sehr schnell.

Gedanken und Vorstellungen beeinflussen also unsere Gefühle in hohem Maße, ja sie können sie auch erst erzeugen. Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Ihr Professor kommt in das Prüfungskolloquium und eröffnet die Sitzung mit folgenden Worten: »Ich möchte heute mit Ihnen eine Übung machen, die Sie für die Prüfungssituation trainieren soll. Ich habe einige Aufgaben aus einem Intelligenztest für Hochbegabte herausgesucht. Es sind Aufgaben, die Sie mündlich beantworten sollen.

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Ich rufe gleich einige von Ihnen auf. Bitte konzentrieren Sie sich gut auf die Fragen und strengen Sie sich an.«

Was würde die Ankündigung bei Ihnen auslösen?Große Freude, dass Sie endlich zeigen dürfen, was wirklich in Ihnen

steckt? Oder vielleicht nur Ärger und Protest gegen diese Art von Übung, weil Sie sowieso gegen Intelligenztests sind? Oder vielleicht einen ziem-lichen Schreck?

Aber wie und wodurch wird der Schreck ausgelöst? Durch den Pro-fessor, durch den Intelligenztest oder wodurch?

Spielen wir die Situation weiter durch. Der Professor hat bei seinen Studierenden folgende gedankliche Reaktionen ausgelöst:

Der Kommilitone Jens denkt sich: »Bei Intelligenztests schneide ich immer gut ab. Nur zu!«

Die Studentin Juliane denkt sich: »O je, meine analytische Intelli-genz ist ziemlich schwach. Wie stehe ich dann bloß vor den anderen da?«

Alexander sagt sich: »So ein Test ist ja noch schlimmer als eine Prü-fung. Da weiß ich ja überhaupt nicht, worauf es ankommt!«

Barbara denkt: »Mal sehen, was das für ein Test ist. Das kann ja ganz spannend werden. Obendrein lerne ich was dabei.«

Im Folgenden finden Sie Aussagen über die vermutlichen Gefühle, die bei den verschiedenen Personen durch ihre Gedanken ausgelöst wurden – allerdings müssen Sie selbst die passende Zuordnung vor-nehmen. Ordnen Sie den jeweiligen Personen die folgenden Beschrei-bungen zu:

a) Hat Angst vor schlechtem Abschneiden und befürchtet, dass es pein-lich wird.

b) Fühlt sich herausgefordert wie bei einem Wettkampf.c) Empfindet Neugier und angenehme Erregung.d) Verspürt heftige Aufregung, Herzklopfen und Verwirrung.

Vergleichen Sie Ihre Lösung mit den Antworten auf der nächsten Seite.

Bitte fragen Sie sich einmal, wie Sie in dieser Situation reagiert hätten: Fragen Sie zuerst, welche Gefühle Sie spontan gehabt hätten, und erst im zweiten Schritt, welche Gedanken die Ankündigung des Professors bei Ihnen ausgelöst hätte. Am besten notieren Sie diese Reaktionen auf

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einem Zettel, dann wird es konkreter. (Die Lösung: Jens b, Juliane a, Alexander d, Barbara c.)

Kommen wir auf das Prüfungskolloquium und den Professor zurück. Er hatte gar nicht ernsthaft vor, mit seinen Studierenden den Intelligenztest zu machen und bläst diese Aktion wieder ab. Er wollte mit diesem kleinen Experiment nur etwas demonstrieren, nämlich dass Gedanken – in diesem Beispiel die Gedanken der Studierenden über den angekündigten Test –, ohne dass etwas real passiert, allein schon in der Lage sind, Gefühle zu erzeugen. Und dass es von den Gedanken abhängt, welche Gefühle auftreten. Diesen Zusammenhang stellt Ellis (1977) in den Mittelpunkt seiner rational-emotiven Therapie. Er ver-tritt den Grundsatz, dass es nicht die Dinge sind, die uns unangenehme Gefühle machen, sondern dass es die Gedanken über die Dinge sind. Der Ansatzpunkt der Theorie von Ellis sind die Kognitionen, das heißt die Gedanken, Beurteilungen und Bewertungen, die in den inneren Selbstaussagen von Menschen enthalten sind und ihr emotionales Erle-ben beeinflussen.

Unser Beispiel veranschaulicht, dass Sie sich mit Ihren Gedanken gute oder schlechte Gefühle machen können. Dieser Einfluss spielt bei Prü-fungsangst eine große Rolle. Gleichzeitig liegt darin ein sehr wichtiger Ansatzpunkt zur Bewältigung. Die Methode der Analyse von Kognitio-nen bzw. Selbstaussagen werde ich Ihnen im Folgenden vorstellen.

Das ABC der Kognitionsanalyse nach Ellis

Das ABC der Kognitionsanalyse wird Ihnen vor Augen führen, dass man mit seinen inneren Selbstaussagen, den »Beliefs«, die Prüfungs-angst enorm verstärken und damit in einen Teufelskreis geraten kann. Man kann sich aber auch umgekehrt wieder daraus befreien. Das soll an einem Beispiel aufgezeigt werden. Vergleichen Sie dazu die Abbil-dung 4.

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Mit A werden die aktivierenden Ereignisse bezeichnet (A= Activating Events), die bestimmte Bewertungen (B= Beliefs) auslösen. Diese Bewer-tungen ziehen Konsequenzen (C= Consequences) auf der Ebene physio-logischer Erregung und der Verhaltensebene nach sich. Dieser Zusam-menhang wird dann besonders bedeutsam, wenn es zu bedrohlichen und belastenden Gefühlen kommt, die obendrein im Widerspruch zu einem angestrebten Ziel stehen. Das soll am folgenden Beispiel aufgezeigt wer-den (siehe dazu Abbildung 4):

Der Auslöser (A) ist Peters Gedanke an die Prüfung, die er unbe-dingt bestehen möchte. Statt sich nun aber durch Selbstaussagen darin zu ermuntern und zu bestärken, treten in seinem Kopf Gedanken auf, die dem zuwiderlaufen: »Schlimmes steht bevor« (B), und die Folge (C) bleibt nicht aus: Er verspürt heftige Unruhe und den Wunsch, der Situa-

Ebene 1

A: ActivatingEvents: PeterdenktanPrüfung,dieerbestehenmöchte. AuslösendeSituation

B: Beliefs/Selbstaussagen: »Eswirdherauskommen,dassichüberhaupt InneresSprechen: nichtsrichtigkann«,oder»Mirwirdüberhaupt WasgehtDirdabeidurch nichtseinfallen!«. denKopf?

C: Consequences:Gefühle Unruhe,Aufregung,Angst(=Symptome), undVerhaltensweisenals TendenzzuFlucht-undVermeidungsverhalten Auswirkungen

Ebene 2

A: GefühleundVerhaltens- »IchhabeAngst,fühlemichunterStress…« weisenwerdenwahr- genommen

B: Bewertungdereigenen »IchhabeeineirreAngst!« Wahrnehmungen: »SokannichdiePrüfungnieschaffen!« WiebewertestDuDeine »DieAngstistzugroß!« Gefühle? =Nicht-AkzeptierenderSymptome (»Essolltenichtsosein,esistschlimm,dasses

soist!«)

C: Gefühleverstärkensich NochgrößereAngst,verstärkteTendenzzurFlucht

Abbildung4:ABCderKognitionsanalyse

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tion zu entfliehen. Solche »Beliefs« können bewusst oder auch unbe-wusst sein. Vielleicht tendiert Peter auch zu einer pessimistischen Ein-stellung. Aber was soll’s? Er hat sich entschieden, die Prüfung zu machen, und ist trotzdem gerade dabei, sein Vorhaben zum Scheitern zu bringen.

Dieses ABC lässt sich fortsetzen auf der Ebene 2, der Metaebene; denn das, was Peter erlebt hat bei C, nimmt er wiederum wahr und beurteilt es: »Ich stelle fest, dass ich Angst habe, mich schlecht fühle und am liebsten abhauen möchte.« Und diesmal richtet sich die Bewertung (B) auf die darauf folgende Wahrnehmung: »Ich habe eine riesengroße Angst. Sie ist viel zu groß, als dass ich damit die Prüfung schaffen könnte.« Und es kommt eine weitere Bewertung hinzu, nämlich: »Es ist schlimm, dass ich solch eine Angst habe.« Und: »So eine Angst sollte ich nicht haben!« Mit anderen Worten heißt das: Die Angst sollte weg sein. Peter lehnt sie ab. Er meint, er müsse sie erst loswerden, bevor er die Prüfung schaffen kann.

Was sich hier abspielt, führt zu einer enormen Verstärkung der Angst. Obendrein entsteht bei Peter noch Ärger auf sich selbst und Selbstab-wertung: »Mannomann, ich bin ein richtiger Psycho!«, womit zu allem Überfluss auch sein Selbstwertgefühl beeinträchtigt wird. Die Chance des Scheiterns wird dadurch mächtig erhöht.

Meist schließt sich dann als Nächstes die Frage nach dem »Warum« an, »Warum bin ich so?« – eine Frage, die allerdings weniger der Ana-lyse, sondern nur der Vermeidung dient. In der Regel läuft sie lediglich auf wütendes Wehklagen gegen sich selbst hinaus: »Warum bist du so ein Angsthase, so ein Nervenbündel, so ein schwacher Typ???« Und der nächste Schritt führt dann zu Selbstmitleid und depressiver Verfassung.

Was dabei umgangen wird, ist, die Situation nüchtern hinzunehmen, so, wie sie ist, und die erforderlichen und eben meist mühevollen Schritte in Angriff zu nehmen. Wie würde dieser andere Weg aussehen?

Wie gerät man heraus aus dem Teufelskreis?

Zunächst geht es darum, die Angst und ihre Begleitsymptome zu akzep-tieren. Das bedeutet nicht, zu resignieren oder sie gar gut zu finden, son-dern sie schlicht als etwas Vorhandenes hinzunehmen. Das führt etwa

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zu der Aussage: »Die Angst ist lästig und unangenehm, aber ich habe sie halt und muss mit ihr leben.« Und dann sollten Sie sich auf Ihr Ziel besinnen, die Prüfung zu bestehen, und sich sagen: »Okay, ich habe Prüfungsangst, aber ich will trotzdem meine Prüfung bestehen.« Damit öffnen Sie sich die Perspektive auf die Möglichkeiten, die Ihnen dabei helfen können.

Man gerät sehr leicht in den am Beispiel von Peter dargestellten Teu-felskreis, besonders dann, wenn man zu Selbstbeobachtung und Selbst-aufmerksamkeit neigt. Sie sollten sich das ABC der Kognitionsanalyse als Methode aneignen, um den dysfunktionalen Gedanken auf die Spur zu kommen. Die Gedanken, mit denen Sie sich fertigmachen, laufen meist ganz automatisch und nicht bewusst ab. Erst bei genauerer Betrachtung erkennt man ihre totalitäre und destruktive Wirkung. Deshalb sollten Sie ihnen unbedingt zu Leibe rücken! Führen Sie am besten selbst eine kleine Selbstanalyse durch!

Vielleicht hat diese Betrachtung bei Ihnen Skepsis ausgelöst und Sie wenden ein: »Man kann doch nicht beliebig mit Gedanken Gefühle verändern. Man kann sich die Prüfungsangst doch nicht einfach aus-reden!« Nein, das kann man nicht. Aber Menschen tendieren auch zu bestimmten Gedankengängen und Beurteilungen, die sie gar nicht bewusst wahrnehmen. Und ebenso wenig nehmen sie deren schädliche Effekte wahr. Ohne den Schritt zur bewussten Analyse bleiben selbst-abwertende Tendenzen unerkannt und deshalb weiterhin wirksam. Sie unterminieren das Selbstbewusstsein und verhindern eine erfolgsorien-tierte Motivation. Außerdem bleiben auch die Ansatzpunkte für eine positive Selbstmotivierung unentdeckt.

Schritte der Selbstanalyse

1. Schritt: Den Auslöser erkennenFragen Sie sich immer dann, wenn Sie plötzlich heftige Prüfungsangst verspüren oder sogar so etwas wie Panik auftritt, zu allererst:

Welche Gedanken sind vorangegangen? Mit welchen Gedanken mache ich mir Angst?

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2. Schritt: Den Gedanken kritisch überprüfenTrifft das, was ich denke, wirklich zu? Ist der Gedanke angemessen und realistisch?

Stimmt es zum Beispiel, dass ich überhaupt nichts richtig kann, oder kann ich vieles schon recht gut und muss mir noch einiges aneignen, was auch noch zu schaffen ist?

Stimmt es, dass mir überhaupt nichts einfallen wird? Oder …

3. Schritt: Die Wirkung des Gedankens erkennenFühle ich mich gut, wenn ich so denke? Ist der Gedanke geeignet, uner-wünschte und störende Gefühle zu verhindern?

Sie fühlen sich schlecht bei dem Gedanken, dass Sie mit dieser Angst im Bauch die Prüfung nie schaffen werden. Es würde viel hilfreicher sein, wenn Sie sich sagen würden, dass Sie auch trotz der Angst die Prü-fung schaffen können, oder besser noch, dass Sie die Angst schon in den Griff bekommen werden, getreu dem Motto: »Gefahr erkannt – Gefahr gebannt!«

4. Schritt: Belohnung für die AnalyseFür die Entdeckung Ihrer destruktiven Gedanken sollten Sie sich beloh-nen, denn damit sind Sie bereits auf dem Weg, sie unschädlich zu machen. Also sagen Sie sich zum Beispiel: »Bravo, das ist der erste Schritt, um mich von der Angst zu befreien.«

5. Schritt: Positive Gegenargumente findenWenn Sie Ihre negativen Kognitionen kritisch überprüft haben, sollten Sie Argumente suchen, die positiv dagegensprechen wie zum Beispiel: »Dir wird in der Prüfung schon etwas einfallen. Schließlich hast du sehr intensiv gelernt! Wenn du die Ruhe bewahrst, schaffst du es auch!« Natürlich müssen diese Argumente auch glaubhaft sein, das heißt auf positiven Voraussetzungen beruhen wie zum Beispiel: »Du kannst beruhigt sein. Du machst gute Fortschritte beim Lernen und kannst mit einem sicheren Gefühl in die Prüfung gehen.« Stellen Sie sich die positive Alternative vor Ihr geistiges Auge und lassen Sie sie auf sich wirken.

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6. Schritt: Maßnahmen gegen hartnäckige GedankenSicher kennen Sie auch sehr hartnäckige negative Gedanken, die auto-matisch auftreten und schwer abzustellen sind. Dabei kann eine einfa-che, aber erfolgreiche Methode, die in der Verhaltenstherapie angewen-det wird, helfen: Sagen Sie »Stopp« und unterbrechen Sie die Gedanken aktiv. Stellen Sie ihnen ein Haltesignal entgegen. Versuchen Sie, es beson-ders markant zu machen, zum Beispiel indem Sie sich den inneren Befehl geben, damit aufzuhören und sich dabei mit Ihrem Vornamen anreden. Sie könnten es obendrein auch noch motorisch unterstützen, indem Sie dabei mit den Fingern schnipsen. Denken Sie sich außerdem eine posi-tive Formel dazu aus wie zum Beispiel: »Das wird die Zukunft zeigen, dass ich das schaffen kann.«

Wenn es mit dem »Stopp« nicht funktioniert, hilft manchmal auch die sogenannte »paradoxe Intervention«: Greifen Sie den negativen Gedanken auf und malen Sie die Situation zu einem richtigen Schauer-märchen aus wie zum Beispiel:

»Ich werde in der Prüfung kein Wort herausbringen. Meine Hände und Arme werden zittern, meine Knie werden schlottern. Meine Zähne werden klappern vor Angst. Sturzbäche von Schweiß werden an mir herunterlaufen und mich vom Stuhl schwemmen. Ich werde stürzen und das Bewusstsein verlieren. Der Professor wird einen Riesenschreck bekommen und laut rufen: ›Herr Brandt, das habe ich nicht gewollt!‹«

Wenn Sie schließlich über die übertrieben negative Situation lachen können, gelingt es Ihnen vielleicht, nicht nur Ihren Humor, sondern auch Ihr Selbstvertrauen wiederzufinden.

Zur Wirkung der Kognitionsanalyse

Die Durchführung des ABCs der Kognitionsanalyse verschafft Ihnen Einsicht in Ihre Selbstreflexion. Manchmal werden Sie dabei Aha-Erlebnisse haben, die befreiend und ermutigend wirken: »Jetzt weiß ich, wie ich mir selbst ein Bein stelle und meine positive Motivation kaputt mache.« Sie bringt Ihnen gleichzeitig die Ansatzpunkte zur Verände-rung nahe. Aber diese sind manchmal gar nicht so leicht zu realisieren,

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denn Ihre Gedanken sind auch das Ergebnis von gewohnheitsmäßigen Tendenzen Ihrer Persönlichkeit. Jemand, der sich stets an überhöhten Leistungsansprüchen seines idealen Selbst misst, wird ständig dazu nei-gen, seine kleinen Erfolge abzuwerten und sich selbst als unzulänglich einzuschätzen. Wenn Sie zu diesen Menschen gehören, dann haben Sie mit der kognitiven Selbstanalyse jedenfalls ein Werkzeug in der Hand, mit dem Sie sich bewusst machen können, wie Sie selbst dafür sorgen, Ihr Selbstbewusstsein zu schwächen und Ihre Erfolgsaussichten zu schmä-lern. Vielleicht wird Ihnen dabei auch aufgehen, dass Sie sich mit die-sem Verhalten immer weiter von Ihrem idealen Selbst entfernen. Diese Selbsterkenntnis könnte Sie dazu anregen, den anderen Weg der posi-tiven Selbstmotivierung einzuschlagen. Allerdings verlangt der Versuch auch, dass Sie intensiv an sich arbeiten! Man kann sich nicht einfach das positive Denken einreden, man muss sich schon Stück für Stück inner-lich davon überzeugen, dass man tatsächlich »etwas zu bieten« hat, was obendrein noch entwicklungsfähig ist.

Die Analyse der Kognitionen ist gut geeignet, die verbreitete Neigung zum Katastrophendenken aufzudecken. Sie stellt nüchtern infrage, ob Gedanken nicht auf irrationale Übertreibung und Projektion zurück-gehen. Stellen Sie sich einmal die kritische Frage, warum Sie gerade jetzt in der Situation, wo Sie alles tun sollten, um sich für die Prüfung zu rüs-ten, Ihre Gedanken auf das Scheitern richten! Fragen Sie sich, welcher Gewinn für Sie darin liegt, das heißt, welche belohnenden Bedingungen in der Folge für Sie auftreten. Vielleicht werden Sie darauf stoßen, dass Sie sich bei solchen Vorstellungen so klein und mies fühlen, dass Sie nicht weiterlernen können, sondern sich erst einmal etwas Gutes gönnen müs-sen. Die Arbeit für den Moment loszuwerden, wirkt durchaus als positi-ver Verstärker und verfestigt das selbstabwertende Verhalten. Auch der Selbstmitleidseffekt tut dabei seine Wirkung: Bei so viel Selbstzerstörung schreit das Ich geradezu nach emotionaler Zuwendung, die Sie sich dann in Form von Schonung oder durch Flucht in die Welt der Größenfanta-sien – »Wenn die wüssten, was in mir steckt!« – verschaffen müssen. Oder Sie brauchen dann jemand anderen, der Sie wieder aufbaut. Alles in allem wird dadurch eine Menge an psychischer Energie verschwendet!

Besser ist, Sie rufen sich in Erinnerung, dass Sie für das Bestehen der Prüfung eine erfolgsorientierte Motivation brauchen. Mit selbstab-

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wertenden destruktiven Gedanken erreichen Sie das Gegenteil. Aber anscheinend liegt in den negativen Gedanken auch eine kleine Versu-chung: Sie können sich wieder klein und hilflos fühlen und den Anfor-derungen der Realität an Ihren Erwachsenenstatus – wenigstens für einen Moment – entfliehen. Aber hinterher wird es nur umso schwerer sein, in der realen Anforderungssituation anzutreten!

Erwarten Sie nicht, dass Sie mit der kognitiven Selbstanalyse Ihre Prü-fungsangst »auf Knopfdruck« loswerden. Die Veränderung Ihrer Reak-tionen erfordert aktives Lernen und Üben. Das erscheint manchmal schwer, aber es ist machbar! Sie müssen sich allerdings darauf einstellen, dass der Fortschritt allmählich und in kleinen Schritten erfolgt. Deshalb brauchen Sie Geduld!

Übungen in positiver Selbstbestärkung

Die Analyse Ihrer Selbstaussagen sollten Sie auf jeden Fall so weit fort-führen, dass Sie die entdeckten dysfunktionalen Gedanken entkräften, indem Sie Ihnen positive Selbstbewertungen entgegenstellen. Diese dür-fen aber auch nicht aus der Luft gegriffen sein, sie müssen eine reale Basis haben! Machen Sie sich bewusst, welche positiven Voraussetzungen Sie für das Bestehen der Prüfung mitbringen. Es fallen Ihnen keine ein? Über-legen Sie weiter! Vermutlich hätten Sie sich nicht zur Prüfung angemeldet, wenn Sie über keinerlei positive Voraussetzungen verfügen würden.

Bei den Teilnehmern meiner Workshops kann ich die Neigung zu kritischer Selbstabwertung nur allzu häufig feststellen. Ihre Erfahrun-gen mit der Kognitionsanalyse können Sie jedoch davon überzeugen, wie wichtig es ist, den Wirkungsmechanismus der negativen Selbstaussagen aufzubrechen. Dabei ist die folgende Übung, die sogenannte Positive-Ressourcen-Runde, sehr hilfreich.

Dazu gehört die folgende Instruktion:»Besinnen Sie sich auf Ihre positiven Voraussetzungen, auf Ihre Fähig-keiten, Ihre Stärken und Fertigkeiten, die Sie für das Bestehen der Prüfung mitbringen und geben Sie dazu ein kurzes Statement vor der Gruppe ab.«

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Die Übung fällt vielen schwer. Es scheint viel leichter zu sein, über seine Schwächen und Fehler zu berichten als positive Eigenschaften und Stärken zu benennen. Manchen Studierenden fiel dazu nur ganz wenig ein. Durch den Vergleich in der Gruppe werden jedoch auch sie dazu angeregt, bei sich selbst weitere Fähigkeiten in Erwägung zu zie-hen, solche, die sie bisher gar nicht wahrgenommen oder nicht wichtig genommen hatten. Der Effekt dieser Übung wurde allgemein als sehr positiv erlebt. Nach der Überwindung von anfänglichen Gefühlen der Peinlichkeit über das vermeintliche Eigenlob ist das Selbstbewusstsein ein wenig gewachsen und ebenso die Zuversicht, die Prüfung auch schaf-fen zu können.

Probieren Sie es selbst aus! Nehmen Sie sich ein leeres Blatt und notieren Sie, was Ihnen an positiven Voraussetzungen, die Sie für das Bestehen der Prüfung mitbringen, einfällt. Seien Sie dabei gründlich und ausführlich. (Kleiner Hinweis: Es gehören nicht nur Wissen oder rhetorisches Talent, sondern auch Fähigkeiten wie zum Beispiel Ausdauer beim Lernen, gute Auffassungsgabe und freundlicher Umgang mit Menschen dazu.) Wenn Ihre Liste trotzdem sehr kurz ausfällt, sollten Sie sich Unterstützung bei einem guten Freund oder einer guten Freundin suchen. Denen fällt es erfahrungsgemäß viel leichter, Ihre positiven Fähigkeiten zu beschreiben. Die Übung hilft Ihnen dabei, Ihr Selbstbewusstsein aufzubauen und für eine positive Motivation zu sorgen. Wenn Sie irgendwann einmal wieder in eine verzagte Stimmung hineingeraten sollten, dann schauen Sie sich das Blatt mit Ihren positiven Ressourcen an.

Damit Sie besser lernen können, von Ihren negativen Selbstaussagen loszukommen, im Folgenden noch einige weitere, wichtige Übungen.

Negative Selbstaussagen revidieren

Schauen Sie sich in der nachfolgenden Tabelle zunächst die linke Spalte mit den negativen Aussagen an und decken Sie dabei die rechte Spalte ab. Finden Sie zu den Beispielen jeweils selbst positive Selbstaussagen, bevor Sie zum Schluss die vorgeschlagenen Statements überprüfen.

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Negative Selbstaussagen Positive Selbstaussagen

»Ichkannmicheinfachnichtkon-zentrieren.«

»MeineKonzentrationwirdsichverbessern.Ichweiß,wieichsieverbessernkann.«

»Ichschaffeniemalsdas,wasichmirvorgenommenhabe.Ichbineinfachzulangsam.«

»IchwerdemeinPensumschaffen,wennicheinenrealistischenZeit-planmache,PrioritätensetzeundnachdemPlanarbeite.GenaudashabeichindiesemBuchgelernt.«

»IchwarinPrüfungennochniegut.«

»DieVergangenheitistjetztirrele-vant.Ichweiß,wieichesdiesmalbessermachenkann.«

Setzen Sie die Übung fort, indem Sie Ihre eigenen negativen Selbstaussagen notieren, und finden Sie dann die passenden positiven Aussagen dazu. For-mulieren Sie diese so, dass Sie Ihnen auch tatsächlich glaubhaft erscheinen.

Negative Selbstaussagen Positive Selbstaussagen

Damit Sie gegen die Neigung zu negativen Selbstaussagen gewappnet sind, finden Sie im Folgenden Anregungen für eine präventive Gegenwehr.

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Memos zur Selbstbestärkung

Für die Phase der Prüfungsvorbereitung:

• »Ich denke an das, was ich als nächsten Schritt tun werde.«• »Ich werde mir das vornehmen, was ich gegen meine Angst tun kann,

und nicht meine Zeit damit verschwenden, mich ängstlich zu füh-len.«

• »Ich werde mich den positiven Selbstaussagen zuwenden, sobald die negativen Gedanken auftreten.«

• »Ich werde mich nicht in Diskussionen mit mir selbst oder mit anderen verwickeln, die ich nicht wünsche und die mein emotionales Gleichgewicht beeinträchtigen.«

• »Auch wenn das Schlimmste passieren sollte, ich lasse mich nicht in Panik versetzen. Ich habe gelernt, die Panik in den Griff zu bekom-men.«

• »Diesmal wird es anders laufen. Ich weiß, wie ich mit der Situation umgehen kann.«

• »Ich brauche die Angst. Sie bringt mich in Schwung.«

Für die Prüfungssituation:

• »Das ist meine Chance zu zeigen, was ich gelernt habe.«• »Ich kann mit den Aufgaben und mit mir selbst gut umgehen.«• »Ich kann mein Denken steuern und meine Aufregung durch Ent-

spannung dämpfen.«• »Ich bleibe beim Hier und Jetzt! Welches ist der nächste Schritt?«

Zum Abschluss ein Memo mit den wichtigsten Essentials:

1. RichtenSieIhreGedankennichtaufFehler,SchwierigkeitenundPro-blemederVergangenheit.DasgibtihneneinezugroßeBedeutungfürdieGegenwart.Besserist,SieunternehmenetwasimHierundJetzt.

2. PlanenSieIhrekurzfristigeZukunft,indemSiedennächstenanste-hendenSchrittplanen:dienächsteStunde,denAbend,dennächs-tenTag.VermeidenSiedenGedankenandieferneZukunft,inderSiescheiternkönnten.SieersparensichdamitvieleSorgen.

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Kognitionsanalyse und Umgang mit dem Blackout

Fast jeder kennt das Phänomen des Blackouts. Man assoziiert es gera-dezu mit Prüfungsangst. Es wird befürchtet als schlimmstes Ereignis, das in der Prüfung auftreten kann. Mitten in der Prüfung »reißt plötz-lich der Faden«, »es breitet sich eine Leere im Kopf aus« und »alles ist weg, was man gelernt hat!«. »Es ist einfach schrecklich!« – so die

3. Denken Sie nicht zu viel über sich selbst und Ihre Gefühle nach.RichtenSieIhreAufmerksamkeitlieberaufdieAufgaben,andenenSienocharbeitenmüssen,undnutzenSiedafürdieEmpfehlungendiesesBuches.

4. Für die Prüfungsvorbereitung gilt: Belassen Sie es nicht bei vagenPlänen wie zum Beispiel: »Ich muss heute Abend arbeiten«, oder:»Ichmussnochvieltun.«SetzenSiesichstattdessenganzkonkreteZiele,wie:»IchwerdeheuteAbendzumThemaXzweiLernkartenanlegen und darauf etwa eine Stunde Zeit verwenden. Danachwerde ich mir eine kurze Teepause genehmigen und anschließenddieLernkartennocheinmalüberprüfen.«

5. Richten Sie Ihre Gedanken nicht auf das, was andere – Ihre Elternoder Freunde – von Ihnen erwarten und was sie sagen würden,wennSieschlechtabschneidensollten.DamitmachenSiesichnur»runter«.Esistvielproduktiver,wennSiesichdarumbemühen,IhreeigenenStandardszuerfüllen.

6. AndemPrüfungssystem,andessenFormoderderfehlendenSinn-haftigkeit,könnenSienichtsändern.Darübernachzudenken,machtSienurhilflos.AberSiekönnentausendandereDingebeeinflussen,dieIhreArbeitundIhreLebensweisebetreffen.DasBuchgibthierzueine Fülle von Empfehlungen. Diese werden dazu führen, dass Siesichstarkundeinflussreichfühlen.

7. Das Denken auf etwas zu richten, was nicht zu verändern ist, istunproduktiv und angsterzeugend und absorbiert viel emotionaleEnergie.Vielergiebigeristes,etwaszuunternehmen!

8. HartnäckigwiederkehrendeGedankenüberdenselbenInhaltlassensich stoppen. Sie sind tatsächlich dazu in der Lage und können eslernen!

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Schilderungen des Blackouts. Die Befürchtung, dass es dazu kommen kann, ist weit verbreitet, obwohl längst nicht jeder, der diese Befürch-tung teilt, die Situation auch tatsächlich erlebt hat. Bei einer Befragung in meinem Seminar gaben höchstens 10 Prozent an, diese Erfahrungen schon einmal gemacht zu haben. Allerdings berichteten die Betroffenen, dass die dabei auftretenden Gefühle erschreckend waren: Sie spürten heftige Erregung oder auch »ein lähmendes Gefühl sich ausbreitender Schwere«. Es erfasste sie die Angst, »dass nun alles aus und nichts mehr zu machen sei«. Sie fürchteten so etwas wie »den totalen Untergang« und damit den Verlust der Kontrolle über die Situation.

Bei genauem Nachfragen lässt sich ermitteln, dass es in der Realität viel häufiger zu den kleinen Blackouts kommt, bei denen man plötzlich nicht mehr auf einen bestimmten Begriff kommt, der einem zuvor recht vertraut war, oder mitten in einem Vortrag plötzlich nicht mehr weiß, wo man gerade steht.

Die weithin übereinstimmenden Beschreibungen des zu befürchten-den Blackouts legen den Verdacht nahe, dass sie seine furchtauslösen-den Momente kolportieren und übersteigern. Es handelt sich bei dem »schrecklichen Blackout« um einen Mythos. Weithin geteilt wird die Überzeugung, dass man einfach nichts gegen den Blackout machen kann, man sei ihm hilflos ausgeliefert! Hier sollten Sie allerdings mit kritischem Hinterfragen und den Prinzipien der Kognitionsanalyse ansetzen! Was ist dran an diesem Glauben? Ist es tatsächlich so, dass gar nichts mehr gegen den Blackout zu machen ist, wenn er auftritt? Was ist überhaupt ein Blackout? Was passiert dabei im Kopf und im Körper?

Blackouts sind eigentlich nichts Extremes. Sie entstehen in einer Situation, die höchste geistige Konzentration erfordert, infolge einer aufgetretenen Erregung. Die psychische Erregung, die sich in physio-logischer Hinsicht als charakteristisches Muster von Gehirnwellen im Elektroenzephalogramm niederschlägt, behindert den Zugang zu den angezielten Inhalten, die sich als Gedächtnisspuren im Gehirn gebildet haben. Die Störung des Gedächtnisses ist lediglich funktioneller Art, das heißt sie ist reversibel. Es steht also nicht zu befürchten, dass das gelernte Wissen verlorengegangen ist, lediglich der Zugang zum Gedächtnis-inhalt wurde durch die Erregung blockiert. Die Kognition, »dass alles weg ist«, stimmt also nicht. Dies zu wissen, ermöglicht auch den Aus-

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gang aus dieser »schrecklichen« Situation. Es kommt nur darauf an, die Erregung zu dämpfen und, nachdem man sich beruhigt hat, den Zugang erneut zu suchen. Die Überzeugungen, die sich auf die »Übermacht« des Blackouts beziehen, lassen sich bei genauer Betrachtung nicht halten: Er ist nicht etwas Autonomes, das von einem Besitz ergreift und wogegen man sich nicht wehren kann. Es ist durchaus nicht »alles aus«, wenn er auftritt: Man wird nämlich nicht ohnmächtig und bewusstlos, man ist durchaus noch funktionsfähig.

In den beschriebenen Befürchtungen kommt eine gewaltige Eskala-tion zum Ausdruck: Es sind die Gedanken und Bewertungen, die das schlimme Ende heraufbeschwören, in dem man sich nur noch hilflos fühlen kann. Dem gilt es Einhalt zu gebieten! Mit der kritischen Gedan-kenanalyse entmystifizieren Sie den Blackout!

Tatsächlich ist der Blackout in seiner milden Form eine relativ nor-male Erscheinung. Es passiert auch den geübtesten Rednern, dass ihnen plötzlich mitten in einem Vortrag »der Faden reißt«. Es fällt nur deshalb nicht auf, weil sie es gelernt haben, den Schreck gewandt zu überbrücken. Achten Sie einmal darauf, wie oft es bei Ihnen auch im normalen Alltag zu einem solchen kleinen Blackout kommt und wie es Ihnen dann auch wieder gelingt, zu dem verlorengegangenen Inhalt zurückzufinden. Der entscheidende Punkt in der Situation des Blackouts ist die Aufregung und wie man mit ihr umgeht!

Dass die Angst vor dem »schlimmen Ende« in der Prüfung als so gewaltig erlebt wird, hat mit ihrer ambivalenten Funktion zu tun: Sie sig-nalisiert höchste Gefahr, aber auch die Verlockung der totalen Hilflosig-keit, der Ohnmacht, mit der man der Situation entkommen kann. Es geht um einen Wendepunkt, an dem man entweder der Angst standhalten oder die Flucht in die Regression ergreifen kann. Wenn Sie sich sagen: »Aufgeben kommt nicht infrage!«, dann haben Sie schon den entschei-denden Schritt getan, mit dem Sie dem Blackout beikommen können! Allerdings müssen Sie den Moment größter Angst auch aushalten!

Was können Sie gegen den Blackout tun?

Der Gedanke, dass der Blackout einen ganz hilflos macht und man nichts gegen ihn tun kann, trifft also nicht zu. Im Gegenteil, Sie können einiges

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unternehmen, was sehr wirkungsvoll ist. Sie können sich zum Beispiel beruhigen und entspannen und damit die Erregung abbauen. Das ist die wesentliche Voraussetzung, um den Zugang zu Ihrem Gedächtnisinhalt wiederzufinden. Es kommt in der Situation des Blackouts in entschei-dendem Maße darauf an, dass Sie »das Heft wieder in die Hand neh-men« und Ihre Aufgabe erneut angehen.

Der Umgang mit dem Blackout in der Prüfung lässt sich auf jeden Fall lernen!

Wenn in der Prüfungssituation bei Ihnen ein Blackout auftritt, dann sollten Sie folgende Schritte unternehmen:

• Versuchen Sie als Erstes, Ihre Ruhe zurückzugewinnen. Verschaffen Sie sich eine kleine Atempause. Atmen Sie mehrere Male tief ein und aus. In Kapitel 4 lernen Sie einige Atemübungen kennen. Wählen Sie eine kurze Atemübung aus, die Sie als Mittel gegen den Stress häufiger für sich praktizieren.

• Gehen Sie offensiv mit dem Blackout um: Bitten Sie Ihren Prüfer um einen Moment Pause, indem Sie zum Beispiel sagen: »Entschul-digung, ich habe gerade einen Filmriss. Ich muss mich erst wieder sammeln.« Prüfer kennen den Blackout und reagieren darauf in der Regel verständnisvoll. Am besten, Sie legen sich vorher eine solche Wendung zurecht.

• Starten Sie erneut! Versuchen Sie, den roten Faden wiederzufinden. Bringen Sie wieder Ordnung in Ihre Gedanken. Rekonstruieren Sie die Situation vor dem Eintreten des Blackouts: Was haben Sie zuletzt ausgeführt? Wie lautete die Frage? Falls die eigene Suche nicht wei-terführt, bitten Sie den Prüfer darum, die letzte Frage noch einmal zu wiederholen.

• Falls jedoch die letzte Frage der Auslöser für den Blackout war, weil Sie überhaupt nicht mit ihr gerechnet hatten und auch gar nichts dazu sagen können, so müssen Sie versuchen, von der Klippe weg- und wei-terzukommen. Fassen Sie sich ein Herz und sagen Sie dem Prüfer, dass Sie die Frage nicht beantworten können, und bitten Sie ihn um eine neue Frage.

Es hängt also im Wesentlichen von Ihrer Einstellung ab, ob Sie den Blackout bewältigen können. Wenn Sie ihn als etwas akzeptieren, das

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zwar unangenehm ist, aber keine Katastrophe darstellt, und sich auf das besinnen, was Sie in der Situation tun können, dann haben Sie die beste Aussicht, ihn – wenn er dann überhaupt noch auftritt! – auch wieder in den Griff zu bekommen. Das ist auch die Erklärung dafür, dass es bei routinierten Rednern kaum auffällt, wenn sie einen Blackout erleben. Sie haben nämlich die innere Überzeugung, dass sie den »kleinen Schreck« schon wieder »in den Griff kriegen« werden.

Spielen Sie die vier Schritte auch schon während Ihrer Prüfungsvorbe-reitung gedanklich durch. Proben Sie auch hierbei das mentale Training und unterstützen Sie es durch Entspannungsübungen. (Die entsprechen-den Methoden lernen Sie in Kapitel 4 kennen.) Je mehr Sie sich vorher durch Übung wappnen, umso weniger müssen Sie befürchten, dass es überhaupt zu einem Blackout kommt.

Fazit

Mit Gedanken kann man tatsächlich seine Gefühle beeinflussen und verändern. Die inneren Selbstaussagen bzw. Kognitionen enthalten fast immer Bewertungen, die sich auf Motivation und Gefühle auswirken: Sie können das Selbstbewusstsein stärken oder auch schwächen. Nega-tive Selbstaussagen haben einen hohen Anteil an der Entstehung von Prüfungsangst, denn sie verstärken die Tendenz zur Besorgtheit, dem einen zentralen Faktor von Prüfungsangst. Da viele auf das Selbst bezo-gene Kognitionen unbemerkt bleiben und unterschwellig ihre Wirkung ausüben, empfiehlt es sich, besonders dann, wenn die Angst hochkommt, eine bewusste Analyse der eigenen impliziten Kognitionen vorzuneh-men. Da Sie für Ihre Prüfungssituation eine positive Motivation benö-tigen, sollten Sie Ihre Gedanken auf Ihre vorhandenen positiven Kräfte und Voraussetzungen lenken und für Ihre innere Selbstbestärkung sor-gen. Damit bauen Sie eine erfolgsorientierte Motivation auf. Mit der kognitiven Selbstanalyse verfügen Sie über eine Strategie, die Sie autono-mer macht. Sie verhindert, dass Sie sich der Angst und den bedrohlichen Vorstellungen ausliefern und fordert Sie zu zielgerichtetem Handeln auf.

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4 Prüfungsangst durch Entspannungstraining abbauen

Obwohl Sie mit Ihrer Prüfungsvorbereitung gut vorankommen und Ihre Zuversicht überwiegt, spüren Sie vielleicht doch manchmal, wenn Sie an die Prüfung denken, Unruhe, nervöse Anspannung und Auf-regung. Vielleicht tritt sogar Panik bei dem Gedanken auf, dass Sie in der Live situation der Prüfung doch nicht alles in den Griff bekommen könnten. Affektive Reaktionen lassen sich nicht hundertprozentig kon-trollieren. Manchmal lässt sich auch durch eine Kognitionsanalyse nur schwer oder gar nicht herausfinden, durch welche Gedanken die Angst denn nun letztlich ausgelöst wurde.

Die Neigung zu Angst hat mit den Erfahrungen Ihrer individuellen Lebensgeschichte zu tun. Für manche Menschen ist eine bevorstehende Situation, die sie nicht durchschauen und steuern können, per se schon ungeheuer beunruhigend. Außerdem werden auch, wie Sie in Kapitel 1 erfahren haben, irrationale Ängste auf die Prüfungssituation und auf die Person des Prüfers projiziert, das heißt aus den früheren Erfahrungen auf die aktuelle Situation übertragen.

Unerklärlich heftige Emotionen können aufgrund ihrer früheren »Kon di tionierungs geschichte« eine autonome Dynamik entwickelt ha- ben. So kann es zum Beispiel in der Vergangenheit zu einer Koppelung von emotionalen Reaktionen mit spezifischen, unangenehmen Signalreizen gekommen sein, ohne dass es Ihnen bewusst geworden ist. Solche Ver-bindungen oder Assoziationen sind dann ziemlich dauerhaft. Die Auslöser sind meist nur schwer oder gar nicht zu entdecken. Und wenn man sie ent-decken würde, müssten aufwendige »Umlernversuche« stattfinden, um ganz davon freizukommen. Das wäre ein langer Weg!

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Man kann aber lernen, auf Erregungssymptome kurzfristig und unmittelbar Einfluss zu nehmen. Mit Entspannungsübungen wirkt man der muskulären Anspannung und körperlichen Erregung entgegen, die neben dem »Besorgtheitsfaktor« die zweite Komponente von Prüfungs-angst ausmachen. Damit entziehen Sie Ihrer Angst sozusagen den Boden, das körperliche Substrat; denn wenn Sie entspannt sind, dann können Sie die Angst gar nicht mehr in dem Maße wie vorher empfinden. Ent-spannung und Erregung funktionieren nämlich nach einem antagonisti-schen Prinzip: Sie schließen sich gegenseitig aus. Die Entspannung sorgt sozusagen für »Entängstigung«. Damit Sie Ihre Angst kontrollieren können, wann immer Sie wollen, müssen Sie jedoch regelmäßig und aus-dauernd üben.

Als eine sehr erfolgreiche Entspannungsmethode hat sich das Auto-gene Training erwiesen. Eine andere, vielfach verwendete und ebenfalls erfolgreiche Entspannungsmethode ist die Progressive Muskelentspan-nung. Darüber hinaus gibt es noch viele andere Methoden wie zum Bei-spiel Yoga oder Tai-Chi, die zur Entspannung führen.

Bei der folgenden Darstellung lege ich den Schwerpunkt auf das Auto-gene Training, das sich in unseren Workshops an der Freien Universität Berlin bei Studierenden mit Prüfungsangst bewährt hat. Es ist eine Ent-spannungsmethode, die Sie zumindest in ihren Grundzügen für sich allein lernen und anwenden können. Sie werden dazu eine Einführung in die Methode und eine Anleitung zum Üben erhalten. Außerdem werden Möglichkeiten vorgestellt, wie sich das Autogene Training mit angeleite-ten Fantasieübungen kombinieren lässt. Sie werden außerdem erkennen, dass das Autogene Training noch mehr kann, als den Erregungsfaktor von Prüfungsangst zu dämpfen. Es bietet nämlich auch die Chance, eine gelassenere Haltung gegenüber den verschiedensten Anforderungs- und Stresssituationen zu entwickeln. Gelassenheit hilft Ihnen dabei, Stress-situationen souverän zu meistern!

Auf die Progressive Muskelrelaxation wird ebenfalls, jedoch in kürze-rer Form, eingegangen. Auch zu dieser Entspannungsmethode erhalten Sie eine Anleitung, die Sie in einige der Grundübungen einführt. Damit können Sie auch diese Methode für sich ausprobieren.

Das Erlernen des Autogenen Trainings in einer Gruppe fällt vielen Studierenden leichter, als es für sich allein anzuwenden. Dazu ist der

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Besuch von Kursen empfehlenswert, die fast überall von universitären Beratungsstellen, Volkshochschulen, niedergelassenen Ärzten und Psy-chologen angeboten werden. Dort finden Sie meist auch Kurse in Pro-gressiver Muskelentspannung.

Das Autogene Training – Anleitung zum Üben

Aus seinen Untersuchungen zur Hypnose entwickelte Johann Heinrich Schultz (1991) bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts die »Methode der konzentrativen Selbstentspannung«, bei der der sich Ent-spannende den Prozess selbst steuert.

Charakteristisch für das Autogene Training (AT) ist eine entspannte Aufmerksamkeit, die auf bestimmte körperliche Bereiche und Emp-findungen gerichtet wird, wie zum Beispiel auf das Gefühl von Schwere im rechten Arm. Dabei wird gleichzeitig von äußeren und inneren Stör-reizen – von Geräuschen und gedanklichen Ablenkungen – aktiv abge-schaltet und der Weg zur inneren Ruhe beschritten. Das Bewusstsein wird zunehmend eingeengt, bleibt aber im Zustand des Wachseins. Nach Schultz stellt sich dann eine »hypnoide Bereitschaft« ein, die sich nut-zen lässt für die suggestive Kraft von selbst gewählten Leitsätzen, wie zum Beispiel »Ich bin ruhig und gelassen«. Ebenso lässt sich dabei eine Neigung zu anschaulichem, bildhaftem Denken feststellen.

In physiologischer Hinsicht wirkt der »konzentrative« Prozess auf das vegetative Nervensystem ein, das die Vitalfunktionen, wie Atmung, Verdauung und Stoffwechsel, versorgt. Angesprochen wird insbesondere der Parasympathikus, der für die rekreativen Funktionen des Organis-mus zuständig ist. Die Übungen dienen der Verstärkung des Entspan-nungs- und Erholungszustands, der mit den Empfindungen von Schwere und Wärme (in den Gliedern), einer langsameren, vertieften Atmung, eines verlangsamten Herzrhythmus und der Anregung der Verdauungs-tätigkeit einhergeht. Im Folgenden eine Übersicht über die einzelnen Funktionen der Übungen des Autogenen Trainings der Grundstufe (nach Kraft 1996).

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Das klingt kompliziert und hoch theoretisch, aber es funktioniert!Die positive Wirkung des Autogenen Trainings auf die Fähigkeit zur

Entspannung, die Fähigkeit zur Konzentration und auf den Abbau von Ängsten konnte ebenso wie der heilsame Effekt bei psychosomatischen Störungen durch zahlreiche empirische Untersuchungen nachgewiesen werden. Was Sie als Prüfungskandidatin und Prüfungskandidat viel-leicht besonders interessiert: Das Autogene Training hilft auch sehr gut bei Schlafstörungen!

Mit dem Autogenen Training können Sie lernen,

• die eigene Körperwahrnehmung zu intensivieren,• auf körperliche Empfindungen Einfluss zu nehmen,• den Geist von Störreizen abzuwenden und nach innen zu lenken• und ihn auf bedeutsame persönliche Ziele auszurichten.

Mit anderen Worten: Sie lernen Schritt für Schritt,

• sich besser zu konzentrieren,• Erregungs- und Spannungszustände zu dämpfen und zu lösen und• eine größere Gelassenheit zu entwickeln.

Daraus lässt sich ein bedeutsames Gegengewicht zu den negativen Stress-reaktionen von Prüfungsangst gewinnen.

Übungen der Grundstufe des AT FunktionenSchwereübung Entspannung der Willkür mus-

kulatur in Armen und BeinenWärmeübung Entspannung der Gefäßmusku-

latur, GefäßerweiterungAtem- und Herzübung Passives Erleben des Atem- und

HerzrhythmusSonnengeflechtübung Regulation der Bauchorgane,

Anregung der Magen- und Darmmotilität

Stirnkühleübung Eingrenzung der Wärmeemp-findung, Freihalten des Kopfes

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Anleitung zum Üben der Grundstufe

Die Grundstufe des Autogenen Trainings umfasst sechs Übungen, zu denen bestimmte Übungsformeln gehören (nach Kraft 1982).

Die Formeln werden jeweils vier- bis sechsmal wiederholt. Zwischen den einzelnen Übungen wird jeweils die sogenannte Ruhetönung »Ich bin ruhig« angesprochen.

Auf der nächsten Seite finden Sie ein Merkblatt, das alle Formeln und Übungsschritte zum Durchführen des Autogenen Trainings in ausführ-licher Form enthält. Es soll Ihnen als Anleitung für Ihre Übungen dienen.

Das Sprechen der Formeln

Sprechen Sie die Formeln innerlich, das heißt stimmlos vor sich hin. Nur global daran denken, reicht jedoch nicht!

Anlaufschwierigkeiten

Lassen Sie sich durch Anlaufschwierigkeiten nicht entmutigen! Geben Sie sich und dem Autogenen Training eine Chance und wiederholen Sie

Übungen der Grundstufe des AT Formeln1. Schwereübung Rechter Arm ist schwer usw.

Beide Arme sind schwer usw. Arme und Beine sind schwer, usw. (siehe Merkblatt)

2. Wärmeübung Rechter Arm ist warm usw. (s. o.)3. Atemübung Atmung ist ruhig und regelmäßig.4. Herzübung Herz schlägt ruhig und regel-

mäßig.5. Sonnengeflechtübung Sonnengeflecht strömt warm

usw.6. Stirnkühleübung Stirn ist angenehm kühl usw.

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einfach nur regelmäßig Ihre Übungen. Genießen Sie dabei einfach die kleine Ruhepause. Dann stellt sich der Erfolg von selbst ein. Allerdings ist es notwendig, täglich zu üben!

Merkblatt zum Autogenen Training nach J. H. Schultz

ÜbungenderGrundstufe

0.Ruhetönung Ichbinruhig.Geräuschesindgleichgültig.Weitwegvonmir.

Ichbinruhig.Gedankensindgleichgültig.AmRandemeinerAufmerksamkeit.Ichbinruhig.

1.Schwereübung RechterArmistschwer. RechterArmganzschwer. RechterArmangenehmschwer. (JeweilszweiMalwiederholen.) RuhetönungIchbinruhig.Ruhigundentspannt.

BeideArmesindschwer. BeideArmeganzschwer. BeideArmeangenehmschwer. (JeweilszweiMalwiederholen.) Ruhetönungs.o. ArmeundBeinesindschwer. ArmeundBeineganzschwer. ArmeundBeineangenehmschwer. (JeweilszweiMalwiederholen.) Ruhetönung AlleGliedersindschwer. MeinKörperistangenehmschwer. Ruhetönung

2.Wärmeübung RechterArmistwarm. RechterArmganz(oderströmend)warm. RechterArmangenehmwarm. (JeweilszweiMalwiederholen.) Ruhetönung BeideArmesindwarm.

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BeideArmeganz(oderströmend)warm. BeideArmeangenehmwarm. (JeweilszweiMalwiederholen.) Ruhetönung ArmeundBeinesindwarm. ArmeundBeineganzwarm. ArmeundBeineangenehmwarm. (JeweilszweiMalwiederholen.) Ruhetönung AlleGliedersindwarm. MeinKörperistangenehmwarm. Ruhetönung

3.Atemübung Atmungistruhigundregelmäßig. (VierMalwiederholen.) Ruhetönung

4.Herzübung Herzschlägtruhigundregelmäßig. (VierMalwiederholen.) Ruhetönung

5. Sonnengeflecht- Sonnengeflechtströmtwarm, übung strömendwarm, angenehmwarm. (VierMalwiederholen.) Ruhetönung

6.Stirnkühleübung Stirnistangenehmkühl, einkühlerLufthauchstreiftdieStirn. (VierMalwiederholen.) Ruhetönung Ichbinruhigundentspannt. IchgenießedieRuheundEntspannung.

7.Rücknahme Ichbeschließenunlangsamzurückzukehren. Stirnistnichtmehrkühl,sondernnormal. Sonnengeflechtströmtnichtmehrwarm. HerzundAtmungsindwiedernormal. ArmeundBeinesindnichtmehrwarm,sondern

normal.

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In unseren Kursen mit Studierenden hat es sich als vorteilhaft erwiesen, die Grundstufe in folgenden drei Schritten zu lernen:

1) Schwere und Wärme,2) Atmung und Herz,3) Sonnengeflecht und Stirnkühle (»Bauch und Kopf«).

Bevor Sie mit den Übungen beginnen, sollten Sie zunächst etwas über die erforderlichen Übungshaltungen erfahren.

Übungshaltungen und Übungsteile

Suchen Sie sich zunächst einen guten Platz für Ihre Übungen aus – am besten einen bequemen Sessel. Begeben Sie sich in die Lehnsesselhaltung wie in Abbildung 5. Halten Sie dabei die Beine gespreizt und legen Sie Ihre Unterarme locker auf den Oberschenkeln ab, ohne dabei die Hände zu verschränken.

Es gibt darüber hinaus die von Schultz sogenannte Droschkenkut-scherhaltung (Abbildung 6). Dabei sitzen Sie ohne Rückenlehne, kni-cken im Bereich der Lendenwirbelsäule ein, beugen Ihre Schultern dabei leicht vor und lassen den Kopf locker nach vorn hängen, sodass das Kinn der Brust nahekommt oder sie berührt. Die Unterarme liegen wiederum locker auf den Oberschenkeln. Von manchen wird sie jedoch als unangenehm für den Nacken empfunden. Leichtere Beschwerden verschwinden jedoch schnell wieder mit zunehmender Übung. Pro-

ArmeundBeinesindnichtmehrschwer. IchspüredieSpannkraftinmeinenKörper

wiederkehren.IchbewegezunächstHändeundFüßeeinwenig,dannetwasstärker,

atmedabeitiefeinundaus. IchspanneArmeundBeinekräftigan, reckeundstreckemich,atmedabeitiefdurch undöffnedanachdieAugen. Undichfühlemicherholtwienacheinem

kleinenSchlummer.

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bieren Sie für sich selbst aus, mit welcher Übungshaltung Sie am besten klarkommen.

Natürlich können Sie das Autogene Training auch im Liegen durch-führen. Aber beschränken Sie Ihre Übungen nicht auf diese Haltung allein. Sonst sind Sie in der weiteren Anwendung des Autogenen Trai-nings sehr eingeschränkt. Der Entspannungseffekt tritt in der Liegehal-tung sehr rasch ein, aber die naheliegende Gefahr des Einschlafens ver-hindert womöglich, dass Sie das Autogene Training richtig lernen.

Schaffen Sie sich für die Übungen einen einladenden Platz, einen, den Sie gern aufsuchen, um dort zu entspannen. Sie erleichtern sich damit auch das kontinuierliche Üben. Später, wenn Sie schon geübter

Abbildung5:Lehnsesselhaltung

Abbildung6:DroschkenkutscherhaltungQuelleAbb.5und6:Kraft1996

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sind, können Sie die Übungen auch auf Ihrem Schreibtischstuhl durch-führen.

Schauen Sie sich das Merkblatt zum Autogenen Training an, das alle Formeln der Grundstufe enthält. Wir werden im Folgenden in drei Stu-fen auf die einzelnen Schritte eingehen.

Erster Übungsteil: Schwere- und Wärmeübung

Die Ruhetönung:Ich bin ruhig. Geräusche sind gleichgültig. Weit weg. Ich bin ruhig. Gedanken sind gleichgültig. Ganz am Rande meiner Aufmerksamkeit. Ich bin ruhig.

Mit der sogenannten Ruhetönung beginnen Sie Ihre Übungen. Sie spricht den Zustand an, den Sie als Ziel erreichen wollen. Erwarten Sie also nicht, dass Sie schon gleich zu Anfang ruhig sind. Stellen Sie sich vielmehr darauf ein, dass Sie aktiv abschalten müssen von den äußeren und inneren Störungen. Nehmen Sie wahr, dass die Störungen eben da sind und stellen Sie sie in den Hintergrund. Die verkürzte Ruhetönung wird immer dann wiederholt, wenn Sie bei Ihren Übungen den körper-lichen Bereich jeweils weiter ausdehnen bzw. mit der nächsten Übung beginnen.

Die Schwere- und die Wärmeübung liegen von ihren Empfindungen her sehr nahe beieinander und beeinflussen sich wechselseitig. Das Gefühl von Schwere – das heißt die Eigenschwere des Körpers – entspricht der erschlafften Muskulatur im Zustand der Entspanntheit. Gleichzeitig dehnen sich dabei auch die Gefäße aus, und die Durch blutung verstärkt sich, wodurch das Wärmegefühl entsteht. Es ist individuell sehr ver-schieden, welche dieser Empfindungen zuerst bzw. bevorzugt auftritt. Das gleichzeitige Lernen fördert den wechselseitigen Prozess. Der phy-siologische Effekt der Übungen schlägt sich übrigens tatsächlich in einer erhöhten Temperatur der Hautoberfläche nieder!

Schwereübung:Der rechte Arm ist schwer. Rechter Arm ist ganz schwer. Rechter Arm angenehm schwer.

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Beide Arme sind schwer. Beide Arme ganz schwer. Beide Arme ange-nehm schwer.Arme und Beine sind schwer. Arme und Beine ganz schwer. Arme und Beine angenehm schwer.Alle Glieder angenehm schwer. Mein Körper ist angenehm schwer.

Sie beginnen die Übungen mit Ihrem gewohnten Arbeitsarm, in der Regel also mit Ihrem rechten Arm. Linkshänder sollten folglich mit ihrem linken Arm beginnen. Wiederholen Sie die Formeln insgesamt sechs Mal in langsamem Tempo und mit einer kleinen Pause dazwischen. Denken Sie an die Ruhetönungen.

Wärmeübung:Rechter Arm ist warm. Rechter Arm ganz (oder strömend) warm. Rech-ter Arm angenehm warm.Beide Arme sind warm usw.Arme und Beine sind warm usw.

Vielleicht vermissen Sie das spezielle Ansprechen des linken bzw. bei Linkshändern des rechten Arms und der einzelnen Beine. Die darge-stellte Vorgehensweise entspricht der inneren Logik des Autogenen Trai-nings: Angestrebt wird von Beginn an das Körpergefühl von Schwere und Wärme im gesamten Körper. Die Konzentration geht dabei schritt-weise vor – zuerst von dem Teilbereich rechter Arm auf beide Arme und dehnt den Bereich immer weiter aus.

Es wird aber auch die andere Version, das Ansprechen der einzelnen Glieder nacheinander, praktiziert. Wenn Ihnen dieses Vorgehen mehr entgegenkommt, dann verändern Sie die Übungsformeln dementspre-chend.

Zur Rücknahme:Wenn Sie Ihre Übungen abgeschlossen haben, genießen Sie den erreich-ten Entspannungszustand noch ein wenig (etwa zehn Sekunden) und führen Sie dann die Rücknahme durch.

Wie Sie dem Merkblatt entnehmen können, schlagen wir eine gestufte Rücknahme vor, bei der Sie langsam Schritt für Schritt die Entspannung zurücknehmen und in die Außenwelt zurückkehren. Im Gegensatz dazu

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können Sie auch eine kurze schnelle und abrupte Rücknahme durchfüh-ren mit den folgenden Worten:

Arme fest, Atmung tief, Augen auf.(Und anschließend aktiv bewegen!)

Probieren Sie am besten selbst aus, welche Vorgehensweise Ihnen ange-nehmer ist.

Übungshäufigkeit und -dauer:Üben Sie regelmäßig jeden Tag zwei bis drei Mal. Zwei dieser Übun-gen sollten Sie auf jeden Fall in der Sitzhaltung durchführen, damit Sie das Autogene Training nicht nur als Einschlafhilfe erlernen. Wenn Sie im Liegen üben und anschließend schlafen wollen, dann lassen Sie die Rücknahme weg.

Die Übungen sollten zunächst nicht länger als zwei bis drei Minuten dauern. Später können Sie die Übungszeit nach Bedarf und Gefallen aus-dehnen.

Beschränken Sie Ihr Training so lange auf die Schwere- und Wär-meübung, bis sie beide gut funktionieren und gehen Sie dann erst zu Atem- und Herzübung über.

Mit der Schwere- und Wärmeübung haben Sie die grundlegenden und wichtigsten Formeln des Autogenen Trainings gelernt. Sie reichen bereits aus, um ein gutes Entspannungsgefühl zu erreichen. Die weiteren Übun-gen bauen darauf auf bzw. entwickeln sich daraus von selbst. Denn mit den Empfindungen von Schwere und Wärme werden Atemrhythmus und Herzrhythmus von allein langsamer und gleichmäßiger.

Zweiter Übungsteil: Atem-und Herzübung

Atmung ist ruhig und regelmäßig.Herz schlägt ruhig und regelmäßig.

Diese Übungen werden jeweils vier Mal wiederholt.Für beide Übungen gilt gleichermaßen, dass Sie Ihre Aufmerksam-

keit auf das passive Erleben der Atmung und des Herzschlags richten sollen. Es geht nicht darum, diese Funktionen bewusst zu verändern.

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Mit den vorangegangenen Übungen hat sich Ihre Atmung bereits zum Erholungs- und Entspannungstonus hin von selbst verändert. Sie ist gleichmäßiger, ruhiger und tiefer geworden. Wenn Ihr Körper sich bereits gut entspannen kann, können Sie feststellen, dass er von der oberflächlicheren Brustatmung zu einer vertieften Bauchatmung über-gegangen ist, bei der sich der Bauch vorwölbt. Beobachten Sie einfach Ihre Atmung und nehmen Sie den Rhythmus wahr. Vertrauen Sie dem organischen Ablauf. Allein dadurch wird Ihre Atmung ruhiger und gleichmäßiger.

Verwenden Sie für die Atemübung die Lehnsesselhaltung. In der Droschkenkutscherhaltung ist es etwas schwierig, die volle Bauch-atmung zuzulassen.

Als Variationen können Sie auch die folgenden Übungsformeln ver-wenden:

Es atmet in mir.Jeder Atemzug vertieft die Ruhe.

Auch für die Herzübung sollten Sie sich lediglich das Ziel setzen, Ihren Herzschlag (oder auch Ihren Pulsschlag) zu spüren und wahrzunehmen. Die adäquate Einstellung für diese Übung ist das Vertrauen, dass Ihr Herz verlässlich schlägt und für Sie verfügbar ist. Es wird also nicht angestrebt, den Herzrhythmus gezielt zu verändern.

Wenn Ihnen die Konzentration auf das Herz jedoch eher unange-nehm erscheint, verwenden Sie stattdessen folgende Formeln:

Puls ruhig und regelmäßig.Oder auch:Brustraum weit und warm.

Lassen Sie die Herzübung ganz weg, wenn die damit verbundenen Gefühle vorwiegend negativ sind. Es tut dem Erfolg beim Autogenen Training keinen Abbruch.

Üben Sie wie bisher zwei bis drei Mal täglich. Für die vier Übungen insgesamt werden Sie etwa fünf bis sechs Minuten benötigen. Es gilt jedoch nach wie vor der Grundsatz: »So lange es angenehm ist.«

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Dritter Übungsteil: Sonnengeflecht- und Stirnkühleübung

Sonnengeflecht strömt warm.OderSonnengeflecht strömend warm bzw. angenehm warm.Stirn ist angenehm kühl.OderEin kühler Lufthauch streift die Stirn.

Beide Übungen sollten jeweils vier Mal wiederholt werden.Die Sonnengeflechtübung stellt im Grunde eine Spezialisierung der

Wärmeübung dar. Das angesprochene Sonnengeflecht (Plexus sola-ris) liegt im oberen Bauchraum an der Rückwand der Bauchhöhle. Es ist ein vegetatives Nervengeflecht, das sich sternförmig ausbreitet und sämtliche Funktionen der inneren Organe der Bauchhöhle steuert. Die auffälligste Wirkung dieser Übung besteht in der Anregung der Verdau-ungstätigkeit. Sie wirkt darüber hinaus als Spasmolytikum, also zur Ent-krampfung des gesamten Bauchbereichs.

Sie können die Übungsformel auch folgendermaßen variieren:

Bauch strömend warm.Oder mit den Worten von Schultz:Leib angenehm warm.

Mit dem Kontrapunkt der Stirnkühleübung halten Sie Ihren Kopf frei von der Ausbreitung des Wärmeerlebens. Diese soll den Unterschied zum restlichen Körper vergegenwärtigen und dient sozusagen als Wach-macher.

Als Ergänzung zur Stirnkühle-Übung können Sie auch die folgenden Formeln verwenden, die allerdings schon zur »formelhaften Vorsatzbil-dung«, mit der Schultz die Leitsätze zur inneren Orientierung bezeich-net, tendieren:

Kopf leicht und klar.Kopf frei und leicht.

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Übungsdauer und Verkürzung der Formeln

Für die gesamten Übungen der Grundstufe mit allen Wiederholungen benötigen Sie etwa acht bis zehn Minuten. Diese Zeit lässt sich jedoch zunehmend verkürzen. Je fortgeschrittener Sie sind, umso mehr können Sie die Übungsformeln verkürzen. Sie können die Wiederholungen weglassen:

Rechter Arm ist ganz schwer.Beide Arme ganz schwer.Arme und Beine ganz schwer usw.

Wenn sich der Effekt von Schwere und Wärme auf Anhieb bei Ihnen einstellt, dann reicht es aus, wenn Sie folgende Formeln anwenden:

Beide Arme sind schwer.Arme und Beine angenehm schwer.Arme und Beine angenehm warm.

Oder auch ganz verkürzt auf:Arme und Beine schwer und warm.

Auch bei den weiteren Übungsformeln können Sie die Wiederholungen reduzieren. Natürlich können Sie die einzelnen Formeln beibehalten, wenn Ihnen gerade die schrittweise Entspannung besonders gefällt.

Weitere Empfehlungen zum Üben

Die Klippe, an der viele Lernende scheitern, ist die Forderung nach beständigem Üben. Das Autogene Training trägt seinen Namen nicht zu unrecht. Sie müssen Ihr Training tatsächlich über eine Zeit von vier bis fünf Monaten aufrechterhalten, wenn Sie es prompt und sicher beherrschen und das Ziel der kurzfristigen »organismischen Umschal-tung« – sozusagen »auf Knopfdruck« – erreichen wollen. Aber der Einsatz lohnt sich! Sie machen sich eine Methode zu eigen, mit der Sie nicht nur jetzt in Ihrer Prüfungszeit, sondern auch in Ihrem weiteren Leben peinigenden Stressreaktionen erfolgreich begegnen können. Und Sie lernen etwas, was Sie auch für Ihre gesamte Prüfungsvorbereitung

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benötigen, nämlich Selbststeuerung und Selbstdisziplin. Außerdem ist die Übungsstrecke selbst auch belohnend, denn Sie spüren die positiven Effekte schon gleich zu Beginn. Für viele ist gerade die längere und inten-sive Entspannungsübung sehr befriedigend.

Um die erforderliche Ausdauer aufzubringen, sollten Sie folgende Maßnahmen treffen:

• Sorgen Sie für einen festen und einladend gestalteten Übungsplatz.• Planen Sie die Übungszeiten in Ihren Wochen- und Tagesplan ein.• Legen Sie günstige Zeiten fest: Zeiten, in denen Sie wach und kon-

zentrationsfähig sind. Gerade zu Beginn sollten Sie das Autogene Training nicht schon in ernsthaften Stresssituationen üben.

• Zwei Übungen sollten Sie auf jeden Fall tagsüber in einer Sitzhaltung durchführen, am besten eine vormittags und eine am Nachmittag.

• Die dritte Übung können Sie in der Liegehaltung durchführen, insbe-sondere dann, wenn Sie anschließend einschlafen wollen.

• Sorgen Sie auch für gute äußere Bedingungen. Hängen Sie ein »Bitte nicht stören!«-Schild vor die Tür. Stellen Sie Ihr Telefon außer Reich-weite oder schalten Sie es aus. Mit wachsender Geübtheit werden Sie für Ablenkungen und Störungen weniger empfänglich.

Kurzformeln und Formeln für Teilentspannung

Das Autogene Training können Sie überall anwenden. Am Anfang wer-den Sie es vielleicht nur im Sitzen durchführen können. Später werden Sie zunehmend unabhängiger von Ihrer Übungshaltung und Ihrem Platz und können es aufrecht stehend oder auch im Gehen praktizieren. Sie können es bei einer Lesepause in der Bibliothek oder in der U-Bahn auf dem Weg zur Universität anwenden. Eine günstige Voraussetzung dafür ist die Verkürzung von Formeln. Wenn Sie das optimale Endziel des Autogenen Trainings erreicht haben, reicht in der Regel schon die folgende Formel aus, um die »organismische Umschaltung« in einen entspannten Zustand zu gewährleisten:

Schwere – Wärme – RuheOder ganz schlicht:

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Au-to-ge-nes Trai-ning.Jede Silbe langsam und betont im Rhythmus gesprochen.

Es ist nicht unbedingt notwendig, dass Sie das optimale Endziel erreicht haben, bevor Sie von Verkürzungen profitieren können. Sie können auch mit einzelnen Übungsformeln eine Teilentspannung erreichen.

1. AtemübungDie Atemübung können Sie jederzeit auch allein nutzen, um sich ein Stück Entspannung zu verschaffen oder Ihre Aufgeregtheit zu dämpfen. Das kann Ihnen besonders dann gut helfen, wenn die Prüfung kurz bevorsteht und Sie sich vor der Tür des Prüfungszimmers befinden. Auch in der Prüfungssituation selbst ist die Atemübung gut einsetz-bar, auch dann, wenn Sie einen Blackout bekommen. Tiefes und ruhiges Atmen ist dann der erste Schritt zur Bewältigung (siehe Kapitel 2).

2. Kombination Atem- und StirnkühleübungWenn Sie nur kurze Zeit zur Verfügung haben und Ihre Konzentrations-fähigkeit verbessern möchten, empfiehlt sich insbesondere die Kombina-tion von Atemübung und Stirnkühleübung:

Atmung ruhig und regelmäßig.Stirn angenehm kühl.oder:Ein kühler Lufthauch streift die Stirn.

3. Entspannung des Schulter-Nacken-FeldesDas Schulter-Nacken-Feld ist ein besonders sensibler Bereich. Bei psy-chischer Anspannung kommt es dort sehr leicht zu muskulärer Ver-spannung, die häufig auch die Ursache für Kopfschmerzen ist. Ent-spannungsübungen, die sich auf diesen Bereich konzentrieren, sind sehr wirkungsvoll und breiten sich auch auf weitere Bereiche aus.

Die Formel für die Entspannung dieses Bereiches lautet:

Schulter-Nacken-Feld weich und warm.

Vermeiden Sie dabei das Ansprechen von Schwere, weil damit häufig ungünstige Assoziationen ausgelöst werden.

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Diese Übung lässt sich sehr gut durch die Atemübung ergänzen:

Schulter-Nacken-Feld weich und warm.Atmung ruhig und regelmäßig.

Sie werden vermutlich bei fortschreitender Übung im Autogenen Trai-ning Vorlieben für bestimmte Formeln oder eine Kombination von For-meln entwickeln. Diese sollten Sie auch bevorzugt praktizieren.

Autogenes Training und Leitmotive für die Prüfung

Bei ernsthafter Übung im Autogenen Training eignen Sie sich nicht nur eine Entspannungstechnik an, sondern auch eine innere Haltung, die durch Gelassenheit geprägt ist. Man lernt die Dinge loszulassen und eine heilsame Distanz zu schaffen.

Darüber hinaus kann man das Autogene Training auch ergänzen, indem man sich bestimmte Ziele setzt und die Kraft der Autosuggestion darauf verwendet. Dafür ist die von Schultz sogenannte »formelhafte Vorsatzbildung« vorgesehen, die meist erst in den Kursen für Fortge-schrittene behandelt wird. Mit der Vorsatzbildung wird der »hypnoide« Zustand der eingeengten Bewusstheit genutzt. Ausgedrückt in einer kurzen Formel soll eine positive Leitvorstellung bestimmt werden, zum Beispiel:

Ich schaffe die Prüfung.Ich bin in der Prüfung ruhig und sicher.

Die Voraussetzung für die Wirksamkeit solcher Vorsatzbildung ist im klassischen Autogenen Training eine sichere Beherrschung der Grund-stufe – das heißt die Fähigkeit zur prompten Umschaltung auf den Entspannungszustand. Diese Einschränkung erscheint jedoch zu rigo-ros. Schon allein die Ausrichtung von Gedanken und Vorstellungen auf die Bewältigung einer Situation kann positive Effekte ausüben (vgl. Kapi-tel 3). Mit der Aufnahme eines Leitmotivs wird auch eine entsprechende Handlungsmotivation erzeugt. Die Konzentration der Vorstellungskraft auf einen geglückten Verlauf der Prüfung lenkt die Wahrnehmung auf konkrete Handlungsmöglichkeiten und die dafür erforderlichen Kom-

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petenzen – Voraussetzungen, die das Selbstvertrauen stärken können. Außerdem wird damit auch ein Gegengewicht geschaffen zu der bei vie-len Prüfungsängstlichen anzutreffenden Neigung, bevorzugt an Situa-tionen des Scheiterns zu denken. Eine solche Gegenmotivation wirkt dem Besorgtheitsfaktor entgegen und schwächt die Prüfungsangst.

Die adäquate Formel für Ihr Leitmotiv müssen Sie sich selbst erarbei-ten. Sie sollte

a) Ihrer Person gemäß sein, das heißt zu Ihnen passen. So sollten Sie, wenn Sie selbst zum Beispiel ein nervöser und zappeli-

ger Typ sind, sich nicht das Ziel setzen, »in der Prüfung völlig ruhig zu sein«, sondern sich vielleicht lieber sagen, »ich bewahre die Ruhe und achte auf meine Atmung«.

b) für Sie auch vertretbar und im Prinzip realisierbar sein! Also nicht: »Ich schaffe die Prüfung in Superform«, wenn der Stand

Ihres Wissens bestenfalls auf ein Befriedigend hoffen lässt. Besser passt das Motto: »Ich schaffe eine ordentliche Note!«

Weiterhin sollte Ihr Leitmotiv

• in der Ich-Form ausgedrückt sein, da es Ihr persönliches Ziel anspricht. Also: »Ich schaffe es« und nicht: »Die Prüfung ist zu schaffen.«• kurz, knapp und prägnant sein. Also: »Ich bin ruhig« statt: »Ich werde in der Prüfung vorwiegend

ruhig reagieren.«• eine positive Aussage enthalten. Also nicht: »Ich habe keine Angst«, sondern: »Ich bin zuversicht-

lich.«• in der Gegenwartsform formuliert sein. Also nicht: »Ich werde konzentriert sein«, sondern: »Ich bin kon-

zentriert.«

Und wenn Sie obendrein noch einen kreativen Einfall haben, wie Sie die Formel rhythmisch akzentuieren oder gar einen Reim dazu finden kön-nen, umso besser!

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Autogenes Training und mentales Training – Stärkung von Ressourcen

In meinen Kursen mit Studierenden verwende ich das Autogene Training auch als Grundlage für eine mentale Übung, bei der es um das Durch-spielen von angsterregenden Momenten der Prüfung geht mit dem Ziel, diesen aktive Bewältigungsreaktionen entgegenzusetzen.

Die Teilnehmer versetzen sich zunächst durch die Übungen der Grundstufe in einen Entspannungszustand. Dann lese ich als Grup-penleiterin einen Text vor, der sie in die Prüfungssituation versetzt und Aufregung erzeugt. Durch wiederholte Entspannungsformeln wird der Aufregung im Sinne einer »Gegenkonditionierung« entgegen-gewirkt. Außerdem lenkt der Text die Teilnehmer auf ihre positiven Ressourcen, ihre Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten, wodurch sie sich ihrer eigenen Kräfte vergewissern und sich darin bestärken können.

Die Vorstellungsübung beginnt nach der Stirnkühleübung.Der Instruktionstext lautet folgendermaßen:

Stellen Sie sich nun vor, Sie haben Ihre mündliche Prüfung vor sich. Sie müssen morgen antreten … Der Prüfer ist streng, aber gerecht. Er wird Ihnen auf den Zahn fühlen, ob Sie wirklich etwas können! … Sie spüren Ihre Aufregung, die Symptome Ihrer Prüfungsangst … Sie lassen sich davon nicht irritieren … Atmung ist ruhig und regelmäßig, ruhig und regelmäßig. Atmung ist tief und ruhig …

Sie haben sich gut vorbereitet. Sie bewahren die Ruhe … Sie sind gut kon-zentriert … Sie haben ein gut strukturiertes Wissen im Kopf … Besinnen Sie sich auf Ihre Stärken … Führen Sie sich Ihre Fähigkeiten vor Augen … Sie werden sich darauf stützen können. Sie sind gut gerüstet! … Herz schlägt ruhig und regelmäßig … Atmung ist tief und ruhig … Sie fühlen sich ganz entspannt …

Der Prüfer stellt schwierige Fragen … Atmung ist ruhig und regelmäßig … Sie hören gut zu und nehmen sich die Zeit zum Nachdenken. Dann erst beginnen Sie mit Ihrer Ausführung … Herz schlägt ruhig und regel-

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mäßig … Sie antworten präzise und sachlich mit guten Argumenten … Sie haben das Wissen parat und können es überzeugend darstellen … Sie nutzen Ihre Fähigkeiten … Der Prüfer hört Ihnen aufmerksam und interessiert zu … Er ist einverstanden mit Ihren Antworten … Sie freuen sich über die positive Rückmeldung. Sie haben das Gefühl, die Prüfung läuft gut.

Sie fühlen sich ruhig und entspannt … Sie sehen den Dingen gelassen entgegen.

Anschließend Rücknahme.

Für Ihre Übung, die Sie allein durchführen, sollten Sie den Text so abwandeln, dass er Ihre eigene Vorstellung und Ihre spezifischen Ängste wiedergibt. Prägen Sie sich die Situation gut ein, sodass Sie sie durch-spielen und sich stimmlos vorsagen können.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass Sie den Text auf Band sprechen und sich ihn dann anhören. Probieren Sie es aus!

Vielleicht benötigen Sie auch gar keinen schriftlichen Text, sondern versetzen sich per Vorstellungskraft in Situationen, die Sie am meisten fürchten. Machen Sie von den Entspannungsformeln Gebrauch, wenn Ihre Aufregung ansteigt. Wiederholen Sie die Formeln entsprechend Ihrem Bedürfnis.

Die Teilnehmer meiner Workshops haben diese Übung als sehr ange-nehm und hilfreich erlebt und auch für das eigene Training zu Hause genutzt.

Autogenes Training und Fantasieübungen

Das Autogene Training lässt sich gut ergänzen durch bildhafte Vorstel-lungen und Fantasien, die das Entspannungserleben vertiefen können. Gerade dann, wenn Sie Schwierigkeiten haben, sich lediglich auf Ihre Körperempfindungen zu konzentrieren, sollten Sie einmal probieren, sich ein sogenanntes »Ruhebild« zu schaffen. Auf diese Weise lässt sich das Üben des Autogenen Trainings auch abwechslungsreicher gestalten.

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Das persönliche RuhebildBesinnen Sie sich auf einen Ort oder Platz, an dem Sie sich in der letzten Zeit besonders entspannt und wohlgefühlt haben.

Vielleicht fällt Ihnen eine Situation ein, wo Sie in der warmen Sonne an einem einsamen Strand gelegen haben – wohlig entspannt. Der Him-mel über Ihnen strahlend blau, ohne ein Wölkchen. Eine leichte Brise weht vom Meer her. Ihr Blick schweift über die sanften Meereswellen und die weite sandige Bucht. Sie fühlen sich rundherum wohl, ohne jede Anspannung.

Oder Sie erinnern sich an die lichtdurchflutete grüne Wiese mit tausend Blumen, auf der Sie im letzten Sommer nach einem langen Spaziergang durch die Felder Rast machten.

Machen Sie dieses Bild zum Gegenstand Ihrer Betrachtung. Konzentrie-ren Sie sich auf Ihre Sinne. Beginnen Sie sich formelhaft ins Gedächtnis zu rufen, was Sie gesehen, gehört, gerochen und gespürt haben, wie zum Beispiel:

Ich sehe das türkisfarbene Meer, die auflaufende Brandung mit ihrer weißen Gischt. Ich sehe in der Ferne ein Segelboot …Ich höre das Rauschen des Meeres, die Wellen, die an den Strand schla-gen …Ich rieche den frischen Geruch des Meeres, das nussige Öl auf meiner Haut …Ich spüre den Sand zwischen meinen Fingern …

Malen Sie sich diese Situation aus und genießen Sie es. Lassen Sie dabei auch die Entspannungsformeln einfließen, die ruhige Atmung, den ruhigen Schlag Ihres Herzens usw. Vielleicht können Sie dieses Ruhebild auch weiterhin für Ihre Übungen als Einstieg oder auch zur Ergänzung nutzen.

Wenn Sie selbst nicht genügend Fantasie haben, Ihnen diese Form der Entspannung aber gut gefällt, dann empfehle ich Ihnen das Buch von Else Müller (1988), das eine Fülle solcher kleinen Fantasieschilderungen enthält.

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Progressive Muskelentspannung nach Jacobson

Das Entspannungstraining nach Edmund Jacobson (1938) funktioniert nach einem anderen Prinzip, nämlich dem Wechsel von muskulärer Anspannung und anschließender Entspannung. Die Muskeln des Kör-pers werden dabei in bestimmter Reihenfolge zuerst einige Sekunden lang angespannt und anschließend wieder entspannt. Die Aufmerk-samkeit richtet sich dabei insbesondere auf den Unterschied der Emp-findungen. Die Methode der Progressiven Muskelrelaxation ist im nordamerikanischen Raum weit verbreitet. Ein Vorteil dieser Entspan-nungsmethode liegt darin, dass sie sich relativ leicht und schnell erlernen lässt. Sie kommt insbesondere dem Bedürfnis nach aktiver Betätigung entgegen. Prüfen Sie selbst, ob Ihnen die Progressive Muskelentspan-nung vielleicht mehr liegt als das Autogene Training.

Bei den Übungen werden die Muskelgruppen der folgenden Körper-bereiche jeweils separat berücksichtigt:

• Hände und Arme,• Gesicht und Schultern,• Brustkorb, Bauch und Rücken,• Beine.

Die Übungsschritte sind nach folgendem Prinzip aufgebaut:

1. Anspannung der Muskelgruppe, fünf bis zehn Sekunden halten,2. Lockerung der Muskelgruppe, Lösen der Spannung,3. 30 bis 40 Sekunden Entspannung und Nachspüren. Der Instruktionstext zur Langform der Progressiven Muskelent-spannung ist, da er die verschiedenen Muskelgruppen der körperlichen Bereiche ganz detailliert anspricht, sehr umfangreich. Damit Sie jedoch die Übungen einmal beispielhaft ausprobieren können, gebe ich Ihnen im Folgenden eine Teilinstruktion, die sich an eine Kurzform in sieben Schritten von Dietmar Ohm (1997) anlehnt.

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1. rechter Arm möglichst alle Muskeln des rechten Armes anspan-nen

2. linker Arm möglichst alle Muskeln des linken Armes anspan-nen

3. Gesicht Gesichtsmuskeln anspannen, Grimasse4. Schultern Schultern hochziehen5. Rumpf Rückenmuskeln und Bauchmuskeln anspannen6. rechtes Bein Gesäß, Oberschenkel, Unterschenkel anspannen7. linkes Bein Gesäß, Oberschenkel, Unterschenkel anspannen

Bevor Sie mit den Übungen beginnen, sollten Sie sich zunächst wie beim Autogenen Training in eine entspannte Sitzhaltung begeben, die Hände auf Ihren Oberschenkeln ablegen und die Augen schließen.

Bei den Übungen sollten Sie die jeweiligen Muskelpartien für etwa fünf bis zehn Sekunden anspannen und sie anschließend für etwa 30 Sekunden vollständig loslassen.

Erster Übungsteil: Entspannung von Händen und Armen

Konzentrieren Sie sich auf Ihre rechte Hand und den rechten Unterarm (Linkshänder sollten mit links beginnen). Wie fühlen sich Hand und Unterarm an?

Ballen Sie die Hand nun zur Faust. Steigern sie die Spannung, bis Sie sie deutlich spüren, ohne zu verkrampfen. Anspannung: fünf bis zehn Sekunden.Jetzt lassen Sie los. Lassen Sie den Arm ganz bequem und locker liegen. Spüren Sie dem Gefühl in Hand, Fingern und Unterarm nach. Lassen Sie ganz los und spüren Sie die entspannten Muskeln. Entspannung: etwa 30 Sekunden.

Konzentrieren Sie sich nun auf die andere Hand und den Unterarm. Wie fühlen sie sich an? Ballen Sie nun die Hand zur Faust. Steigern Sie die Spannung ….

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Jetzt lassen Sie wieder los. Lassen Sie Ihren Arm bequem und locker liegen. Spüren Sie dem Gefühl in Hand und Arm genau nach. Die Ent-spannung weitet sich mehr und mehr aus.

Wenden Sie sich nun beiden Händen zu.

Ballen Sie beide Fäuste. Achten Sie auf das Spannungsgefühl in den Unterarmen, den Händen, den Fingern.

Lösen Sie nun die Spannung. Lassen Sie Ihre Hände und Arme locker liegen. Lassen Sie ganz los. Spüren Sie dem Gefühl der Entspannung nach.

Konzentrieren Sie sich als nächstes auf die Oberarme. Nehmen Sie bewusst wahr, wie sie sich anfühlen.

Beugen Sie nun Ihre Arme nach oben in Richtung Schultern. Spannen Sie die Muskeln der Oberarme – die Bizeps – an. Lassen Sie die Hände dabei locker. Spüren Sie die Spannung in den Oberarmen.

Jetzt legen Sie Ihre Arme wieder locker auf Ihre Oberschenkel zurück. Lassen Sie ganz los und spüren Sie die Lockerung in Ihren Muskeln.

Nun geht es zu den Streckmuskeln der Oberarme. Wie fühlen sich Ihre Oberarme in diesem Moment an?

Drehen Sie die Innenseite Ihrer Handflächen nach oben und strecken Sie dabei die Arme, sodass die Außenfläche Ihrer Hände Ihre Oberschenkel bzw. Knie berühren. Achten Sie dabei auf die Spannung in den Streck-muskeln Ihrer Oberarme.

Lösen Sie die Spannung nun wieder auf. Lassen Sie die Arme locker auf die Oberschenkel zurücksinken. Spüren Sie dem Gefühl in Ihren Ober-armen nach und lassen Sie die Entspannung sich ausdehnen. Genießen Sie das angenehme Gefühl von Lockerheit und Gelöstheit in den Armen. Lassen Sie die Entspannung sich mehr und mehr auf Ihren ganzen Kör-per ausdehnen.

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Zweiter Übungsteil: Entspannung von Gesicht und Kopf

Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit nun auf Ihr Gesicht. Spüren Sie, wie es sich anfühlt.

Ziehen Sie die Augenbrauen hoch und runzeln Sie die Stirn. Steigern Sie die Spannung. Spüren Sie die Anspannung an Ihrer Stirn.

Jetzt lösen Sie Ihre Muskeln und lassen ganz los. Achten Sie auf das ange-nehme Gefühl der Entspannung und Lockerung in Stirn und Augenbrauen.

Achten Sie nun auf Ihre Augenpartie. Wie fühlt sie sich an?

Kneifen Sie nun die Augen zusammen. Spannen Sie die Muskeln an, und halten Sie die Spannung, ohne dass es unangenehm wird.

Dann lösen Sie die Spannung vollständig auf und spüren dem angeneh-men Gefühl der Lockerung nach. Lassen Sie die Entspannung sich mehr und mehr ausdehnen. Es folgen dann die Kiefermuskeln, für deren Anspannung Sie die Zähne aufeinanderbeißen sollen. Anschließend sollen die Lippen ange-spannt werden, indem sie aufeinandergedrückt werden.

Die Übung, die sich auf Schultern und Nacken konzentriert, spricht zunächst den Kopf und dann die Schultern an. Für die Anspannung des Kopfes ist anzuregen, ihn zunächst nach hinten in den Nacken zu legen, ihn dann zur rechten Seite und anschließend zur linken Seite zu bringen. Zur Phase der Entspannung wird der Kopf wieder in eine angenehme Position gebracht und die Muskulatur des Nackens gelöst.

Für die Rücknahme der Entspannung ist folgende Formel zu emp-fehlen:

• Arme mehrmals fest anbeugen,• tief durchatmen,• Augen auf!

Diese Entspannungsmethode lässt sich sehr gut allein lernen. Es werden aber auch hierzu Kurse an vielen Volkshochschulen und Universitäten angeboten.

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Eine weitere Entspannungsmethode – Yoga

Auch das Yoga, das aus der hinduistischen Kultur stammt, und inzwischen auch im deutschen Raum viel Anklang gefunden hat, ist eine hervorragend geeignete Methode, um sich körperlich und geistig zu entspannen (Mohan 1994). Geübt werden dabei bestimmte Körperstellungen (»asanas«), die gezielt in fließende Bewegungen aufgelöst werden. Die muskuläre Anstren-gung wird dabei so lange aufrechterhalten, bis eine subjektive Grenze erreicht ist und der Wechsel zur Lösung nahegelegt wird. Anders als beim Autogenen Training wird hierbei mit aktiven Atemübungen (»pra-nayama«) die Atmung verstärkt, vertieft und belebt. Die Konzentration wird bei den Übungen durch die Ausrichtung auf die richtige Bewegungs-abfolge und durch Zählen gebunden. Als Resultat der Übungen wird ein gutes Körpergefühl wie auch eine intensive Entspannung erreicht. Manche Richtungen des Yoga beziehen auch die Meditation mit ein.

Für diejenigen, die sich nur schwer auf die vergleichsweise eintönigen Übungen des Autogenen Trainings konzentrieren können, bietet sich mit dem Yoga eine attraktive Alternative an. Yoga lässt sich am besten in der Gruppe lernen. Halten Sie nach Kursen Ausschau, die von erfahre-nen Yogalehrern angeboten werden und lassen Sie sich von Psychologen und Ärzten bei der Wahl beraten.

Einfache Entspannungsübungen für den Alltag

Für den Fall, dass Sie es nicht schaffen sollten, sich das Autogene Trai-ning oder die Progressive Muskelentspannung zu eigen zu machen, gebe ich Ihnen im Folgenden eine Reihe von einfachen Übungen an die Hand, die im Alltag sehr hilfreich sein können.

Atemübung 1Atmen Sie tief ein und atmen Sie ganz langsam wieder aus. Nach dem Aus-atmen legen Sie jeweils eine Pause ein, in der Sie langsam bis drei zählen.

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Nach etwa fünf Atemvorgängen stellt sich bereits die Entspannung ein. Insgesamt sollten Sie die Übung nicht länger als zwei Minuten lang durchführen.

Sie können die Atemübung auch ergänzen durch eine kleine Autosug-gestion, indem Sie während des Ausatmens zu sich sagen: »Ich bin ruhig und entspannt.«

Für den Fall, dass Ihre Konzentration bei der Arbeit für die Prüfungs-vorbereitung abschweift oder falls Sie von angsterzeugenden Gedanken heimgesucht werden, empfiehlt sich die folgende Übung:

Atemübung 2Atmen Sie tief ein und aus. Zählen Sie beim Einatmen langsam »Ein-undzwanzig« und beim Ausatmen »Zweiundzwanzig«. Wiederholen Sie dies zwei Minuten lang.

Zur Unterstützung und Ergänzung können Sie sich die folgende Auto-suggestion im Takt der Atmung sagen:

Beim Einatmen: »Ich werde es«, beim Ausatmen: »schaffen.«Beide Atemübungen helfen auch recht gut beim Einschlafen.Sie werden allerdings eine stärkere Wirkung erzielen, wenn Sie zuvor

das Autogene Training erlernt haben. Vielleicht versuchen Sie es doch noch einmal!?

Entspannung durch körperliche Anstrengung

Nicht immer ist eine Entspannungsübung die adäquate Methode, um Anspannungs- und Erregungssymptomen zu begegnen. Manchmal fällt es einfach zu schwer, ruhig zu werden und störende Gedanken bewusst beiseitezustellen. Dann ist es besser, für aktive körperliche Betätigung zu sorgen. Wenden Sie sich lieber Ihrem Lieblingssport zu, bei dem Sie sich so richtig austoben und »auspowern« können. Bei dem einen ist es das Schwimmen oder Joggen, bei der anderen Gymnastik oder Tennis. Nach einer Stunde Aerobic oder Jogging, vorausgesetzt, diese Sportart liegt Ihnen, fühlen Sie sich vielleicht zunächst außer Puste und »völlig k. o.«.

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Anschließend stellt sich jedoch ein wohliges Körpergefühl ein. Sie sind Ihre unangenehme Spannung losgeworden, und auch die lästigen Gedanken sind verschwunden!

Grobmotorische körperliche Betätigung bewirkt, physiologisch gese-hen, den Abbau von Stresshormonen (von Adrenalin und Noradrenalin) und die Ausschüttung von Endorphinen, den körpereigenen »Glückshor-monen«, die Ihnen angenehme Gefühle verschaffen. Es muss aber nicht unbedingt ein Sport sein, der Sie in diesen Zustand versetzt. Ebenso kann irgendeine körperliche Arbeit, die Sie so richtig fordert und die schweiß-treibend ist, diesen Effekt auslösen. Für den einen ist es das Putzen des Autos oder das Bauen eines Bücherregals, für die andere die Arbeit im Garten. Das verschafft nicht nur Entspannung, sondern bringt obendrein noch Erfolgserlebnisse mit sich.

Planen Sie die Freiräume für sportliche und körperliche Betätigung rechtzeitig in Ihre Wochenpläne mit ein, und geben Sie sich zu den vor-gesehenen Zeiten auch tatsächlich frei. Manchmal müssen Sie vielleicht sogar eine Schwelle überwinden, um den Plan in die Tat umzusetzen. Aber es lohnt sich, denn Sie sorgen damit für Ihr körperlich-seelisches Gleichgewicht und für Ihre Arbeitsmotivation.

Entspannung durch gute soziale Beziehungen

Eine ruhige und entspannte Atmosphäre, die Sie gelassener werden lässt, können Sie natürlich auch mit guten Freunden und dem Partner und der Partnerin erleben. Allein das Reden über die eigenen Ängste und die erlebte Aufregung wirkt befreiend und entängstigend. Nahestehende Freunde nehmen Anteil an Ihren Sorgen und bieten emotionale Unter-stützung. Lassen Sie sich von ihnen auffangen und ermutigen! Gute Freunde sind auch dazu bereit, Sie zu umsorgen und vielleicht sogar ein bisschen zu verwöhnen. Und vergessen Sie über all der Prüfungsauf-regung nicht die positive Aufregung, die durch zärtliche Zuwendung entsteht. Dafür sollten Sie sich auf jeden Fall Zeit nehmen! Es verhilft

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Ihnen nicht nur zu körperlichem Wohlgefühl, sondern relativiert viel-leicht auch den überhöhten Stellenwert, den Sie Ihrem Prüfungsprojekt gegeben haben.

Fazit

Mit dem Beherrschen einer Entspannungsmethode – wie dem Autoge-nen Training oder der Progessiven Muskelrelaxation – verfügen Sie über eine Strategie, mit der Sie sich dem unmittelbaren Einfluss von Stress und Angst entziehen können und davon unabhängiger werden. Indem sie auf Ihre körperlichen Empfindungen eingehen, fördern Sie Wohl-befinden und Gelassenheit. Das ermöglicht Ihnen, sich auf eigene Kräfte zu besinnen und souverän zu handeln.

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5 Effiziente Prüfungsvorbereitung durch Zeitmanagement

Mit der Phase der Prüfungsvorbereitung – und erst recht mit der Vor-bereitung auf das Abschlussexamen – kommt in der Regel ein umfang-reiches Arbeitsprojekt auf die Prüfungskandidaten zu. Sie müssen eine Menge lernen und leisten und stehen unter Zeitdruck. Das bringt viel Stress mit sich. Nicht umsonst erlebt ein Großteil aller Studierenden diese Zeit als seelisch sehr belastend.

Um dieses Projekt erfolgreich durchzuführen, müssen Sie wissen, wie man es gut organisiert, wie man die begrenzte Zeit am besten nutzt und wie man seine Energien und Ressourcen schonend einsetzt. Außerdem müssen Sie die Schritte Ihres Lern- und Arbeitsprogramms entwerfen. Dafür benötigen Sie unbedingt ein gutes Projektmanagement.

Mit Ihrem Prüfungsprojekt stehen Sie auch vor der Aufgabe, allge-meinere, überfachliche Fähigkeiten anzuwenden wie zum Beispiel Or ga ni sations fähig keit, die Fähigkeit, sich Wissen – auch kurzfris-tig – anzueignen und die kommunikative Kompetenz, das Wissen auch darzustellen. Damit sind Kompetenzen benannt, die auf dem Arbeitsmarkt für Akademiker besonders geschätzt werden. Mit der Arbeit an Ihrem Prüfungsprojekt fördern Sie also auch Ihre allgemeine berufliche Qualifizierung! Ein weiteres Argument, das Sie für Ihre Prüfungsmotivation nutzen können!

Sie haben sich in Kapitel 2 bereits mit der realistischen Bestandsauf-nahme der Prüfungsanforderungen und Ihrer eigenen Voraussetzungen befasst, die die Grundlage für die Planung Ihres Vorbereitungspro-gramms bilden. Im nächsten Schritt geht es zuerst darum, dass Sie sich einen Überblick über den Prüfungsstoff und das anfallende Arbeits-

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pensum verschaffen. Anschließend lernen Sie mit der Methode des Zeit-managements das Instrument kennen, mit dem Sie Ihre verfügbare Zeit ökonomisch nutzen und Ihre Energien und Ressourcen sorgsam verwen-den können. Das erfordert von Ihnen, dass Sie Ihr Arbeitsprogramm in realistischer Weise planen.

Überblick über den Prüfungsstoff durch Cluster und Mind Map

Verschaffen Sie sich ein möglichst vollständiges Bild vom gesamten Prü-fungsstoff. Listen Sie auf einem Blatt Papier alle Themen auf, auf die Sie sich vorbereiten müssen. Stützen Sie sich dazu auf die Ergebnisse Ihrer ausführlichen Recherche.

Fertigen Sie am besten für jedes Fach eine eigene Aufstellung an. Falls Sie bei manchen Themen bzw. Unterthemen noch unsicher sind, neh-men Sie auch diese in Ihre Übersicht auf und versehen Sie sie mit einem Fragezeichen.

Für eine übersichtliche Darstellung der Themen und Unterthemen empfiehlt sich die Cluster-Methode (Rico 1984; Kruse 2007) oder auch das Mind Mapping, die beide ein anschauliches und gleichzeitig anregendes Bild des Prüfungsstoffs vermitteln. Sie gehen dabei von Ihrem Prüfungsthema oder auch von dem Fach, auf das Sie sich vor-bereiten müssen, aus und stellen es als »Kernwort« in die Mitte. Alle dazugehörigen Themen, Unterthemen und weiteren Inhalte halten Sie in Form von Kreisen fest, die Sie entlang von Ästen und Unterästen gruppieren. In unserem Beispiel hat sich die Prüfungskandidatin für die Prüfung im Fach Allgemeine Psychologie das Thema »kognitive Lerntheorien« gewählt. Das Cluster stellt dar, welche Inhalte dazu gehören (vgl. Abbildung 7).

An dem Cluster können Sie Folgendes markieren: die Schwerpunkte und die Randgebiete Ihres Themas, Inhalte, die Sie unbedingt wissen müssen, und solche, die Sie »nur mal gehört« haben müssen. In unse-rem Beispiel würde der Prüfer erwarten, dass die Kandidatin neben

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den kognitiven Lerntheorien auch die behavioristischen Lerntheorien kennt und charakterisieren kann. Aber die neobehavioristischen Theo-rien müsste sie nur oberflächlich kennen und bestenfalls ganz allgemein beschreiben können. Solche Bewertungen lassen sich entweder grafisch oder durch Farben hervorheben.

An dem Cluster können Sie auch aufführen, was Sie bereits an Aus-arbeitungen zu Ihrem Thema vorliegen haben, zum Beispiel Vorlesungs-skripte, Referate, Fotokopien, Lehrbücher etc.

Sie können weiterhin daran deutlich machen, was Sie schon gut beherrschen und was Sie noch gründlich bearbeiten müssen. Dafür könnten Sie sich beispielsweise verschiedene Symbole ausdenken.

Gegenüber dem Cluster-Bild bietet die Mind Map – Abbildung 8 zeigt sie in abstrakter Form – eine übersichtlichere und strukturiertere Darstellung, insbesondere dann, wenn man es mit sehr vielen Informa-tionen zum Thema zu tun hat. Die Unterscheidung von Haupt- und Nebenästen ermöglicht eine hierarchische Gliederung. (Abbildung 1, die Übersicht über die Bewältigungsstrategien dieses Buches am Ende des ersten Kapitels, stellt eine anschauliche Mind Map dar.) Markierun-gen können in der gleichen Weise wie bei einem Cluster vorgenommen werden.

Erwerb von KonzeptenEntdeckendes Lernen

Lernen vonBedeutung

SubsumptiontheorieVorlesungsskript

ReferatLehrbuch

AusubelBruner

kognitive Lerntheorien Kognitivismus

OperantesKonditionieren

Skinner

frühe behavior.Lerntheorien

GuthrieThorndike

Neobehaviorismus

Behaviorismus

Gestalttheorie

PiagetTheorie derIntelligenz-

entwicklung

VorlesungsskriptLehrbuch

Vergleichmit behavior.

Lern-theorien

Abbildung7:ClusterzukognitivenLerntheorien

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Symbole für die Bedeutung des Lehrstoffs verteilen

Wenn Sie sich die Sammlung Ihres Prüfungsstoffs anschauen, dann werden Sie vermutlich feststellen, dass Sie gegenüber den verschiedenen Teilen recht unterschiedliche Bewertungen und Gefühle haben. Manche erscheinen Ihnen sehr interessant, andere weniger. Einige Teile finden Sie schwer, andere eher leicht zu verstehen. Mit manchen sind Sie bestens vertraut, andere müssen Sie sich erst noch erarbeiten. Außerdem müssen Sie einschätzen, wie bedeutend der Inhalt für die Prüfung ist, und auch, wie dringlich die Bearbeitung angesichts des Prüfungstermins ist.

Zweig

Hauptast 3

Zweig

Zweig

Zweig

Hauptast 2

Zweig

ZweigHauptast 1

Zwei

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Hauptas

t 4

Thema

Abbildung8:AbstrakteMindMap

DieCluster-oderMind-Map-Darstellunghilft Ihnendabei,PrioritätenfürdieInhalteIhresArbeitsplanszusetzen.SiesolltenfürIhrePrüfungaufjedenFallumreißen,worindasnotwendige,unbedingterforderli-cheLernpensumbesteht!DemgegenübersolltenSieauchbestimmen,welche Inhalte eher zu Ihrem Zusatzprogramm gehören, auf das Sienotfalls,wenndieZeitnichtmehrreichensollte,verzichtenkönnten.

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Hierbei kann eine Verteilung von Symbolen in der folgenden Art behilflich sein (Acres 1995):

Wie groß ist Ihr Interesse an dem Stoff? I, I*, I**Wie gut verstehen Sie den Stoff? V, V*, V**Wie bedeutend ist er für die Prüfung? !, !*, !**Wie dringlich ist seine Bearbeitung zeitlich? T, T*, T**,Gefällt er Ihnen gut oder haben Sie Aversionen? J, L

Die Verteilung solcher Symbole liefert Ihnen wichtige Anhaltspunkte für Ihren Arbeitsplan, nämlich

• für die Aufeinanderfolge der Inhalte,• für die Notwendigkeit ihrer Wiederholung und• für die Gestaltung Arbeitsplans.

Lassen Sie sich Ihre eigenen Aspekte und Symbole einfallen! Bedenken Sie dabei auch den emotionalen Aspekt des Lerninhalts. Er hat eine große Bedeutung für Ihre Arbeitsmotivation. »Ungeliebte« Inhalte lassen sich besser »in kleinen Dosen« lernen. Besonders interessante Zusammenhänge können Sie auch zu kritischen Zeiten lernen, zum Bei-spiel dann, wenn Sie sich den Einstieg in die Arbeit erleichtern wollen oder wenn Sie »nicht so gut drauf« sind, aber unbedingt noch etwas schaffen müssen.

Effizientes Arbeiten durch Zeitmanagement

Mit der Zeit so umzugehen, dass dabei ein befriedigendes Ergebnis her-auskommt, gelingt nicht sehr vielen Studierenden. Meist kommt es eher zu Problemen mit der Zeit, wie es an dem weit verbreiteten Phänomen des »ewigen Aufschiebens« von Arbeiten deutlich wird. Spätestens in der Examensphase wird es jedoch unumgänglich, mit seiner Zeit planvoll

Den Prüfungsstoff nach unterschiedlichen Aspekten zu gewichten,macht ihn»fassbarer«undhilft Ihnen,bessereinzuschätzen,wasbeiderLernphaseaufSiezukommt.

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und »haushalterisch« umzugehen, wenn man die vorgegebenen Fristen und Termine einhalten will. Auch bei kleineren Prüfungen kommt es darauf an, dass Sie Ihre Zeit gut nutzen.

Eine gute Zeitplanung, mit der Sie absichern, dass Sie bis zu dem Prü-fungstermin den erforderlichen Prüfungsstoff tatsächlich gelernt haben, ist eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür, dass Sie mit einem Gefühl von Zuversicht in die Prüfung gehen können. Sie wirken damit dem Auf-treten von Prüfungsangst von vornherein präventiv entgegen. Wenn Sie im Verlauf der Prüfungsvorbereitung fortlaufend feststellen, dass Sie die geplanten Schritte und deren Ergebnisse auch tatsächlich erreichen, dann gibt es auch keinen Grund mehr, »das Schlimmste« zu befürch-ten. Im Gegenteil, Ihre Motivation wird zunehmend erfolgsorientierter ausfallen. Am besten, Sie fangen gleich heute damit an, sich die Methode des Zeitmanagements zu eigen zu machen!

Bevor ich Ihnen die Schritte im Einzelnen vorstelle, möchte ich jedoch zunächst eine kleine Einführung in den Umgang mit Zeit geben; denn bei vielen Studierenden stößt die rationelle Zeitplanung auf große Vorbehalte.

Über den Umgang mit Zeit

Das Studieren erscheint vielen gerade deshalb attraktiv, weil es mit Frei-heit verbunden ist – insbesondere mit der Freiheit, über die Zeit selbst ver-fügen zu können und bestimmen zu können, was man mit ihr anfängt. Das erscheint jenen, die durch ihre Ausbildung oder ihre Berufstätigkeit in vorgegebene Zeitstrukturen eingebunden sind, sehr verlockend. Aber seit der Umstellung der Studiengänge auf das Bachelor-Master-System haben auch Studierende längst nicht mehr das Gefühl, viel Zeit zu haben und »ganz« den eigenen Interessen nachgehen zu können. Für die einzel-nen Semester sind feste Studienpläne und verbindliche Veranstaltungen vorgegeben. Zu Semesterbeginn mag vielleicht noch das optimistische Gefühl vorherrschen, viel Zeit für mancherlei Dinge zu haben. Aber schon bald stöhnt man unter der Last der verpflichtenden Semesterwochenstun-den. Gegenüber den Pflichtveranstaltungen geraten eigene Interessen und Aktivitäten, die ebenfalls Zeit erfordern, leicht ins Hintertreffen.

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Am Ende des Semesters stellen viele Studierende bestürzt fest, dass es schon wieder herum ist, ohne dass sie das, was ihnen besonders wichtig war – die Literatur, die sie unbedingt lesen wollten, oder ihr Vorhaben, in der Fachschaft mitzuarbeiten –, geschafft haben. Andere persönliche Pläne – wie zum Beispiel eine dritte Fremdsprache zu lernen – blieben ganz auf der Strecke. Die notwendige Vorbereitung auf die Prüfung am Semesterende wurde immer wieder verschoben und kam schließlich viel zu kurz. Andere stellen fest, viel Zeit vertan zu haben – mit verführeri-schen Angeboten außerhalb des Studiums.

Studierende, die neben ihrem Studium noch andere Pflichten haben, einem Job nachgehen und vielleicht auch für ein Kind sorgen, machen sehr hautnah die Erfahrung, dass Zeit ein knappes Gut ist, das nicht beliebig vermehrt werden kann. Das wird immer dann besonders spürbar, wenn man gleichzeitig viele verschiedene Ziele und Aufgaben vor sich sieht. Die Zeit nicht richtig genutzt und nicht das getan zu haben, was man eigentlich tun wollte, hinterlässt meist ein schales Gefühl, begleitet von schlechtem Gewissen. Bei genauerer Betrachtung ist man nicht »Herr« oder »Herrin« seiner Zeit gewesen, sondern »Diener aller Herren« und Spielball der Ereignisse. Was man braucht, um seine Zeit zu nutzen, ist Zeitsouveränität – eine Kompetenz, die gelernt sein will. Sie ist besonders für die Phase der Prüfungsvorbereitung sehr wertvoll.

Zeitsouveränität entwickeln

Zeitsouveränität gewinnen Sie, wenn Sie sich die Methode des Zeitma-nagements zu eigen machen (Schräder-Naef 1993). Diese erfordert drei grundlegende Schritte:

1. Ziele bestimmen,2. Zeitbewusstsein entwickeln,3. adäquate Wege auswählen.

Ziele bestimmen

Grundvoraussetzung für einen befriedigenden Umgang mit Zeit ist die Klärung der eigenen Ziele. Erst wenn man sich diese bewusst macht, for-

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dern sie zu Entscheidungen heraus, zum Beispiel darüber, welchen man Priorität einräumen will und welche man unter »ferner liefen« einord-net. Wenn man kein klares Ziel vor Augen hat, kann man auch nicht wissen, wo man ankommt. Es lässt sich dann auch schlecht steuern. Zur Klärung der Ziele gehört auch die Frage, ob Sie selbst hinter Ihren Zielen stehen, das heißt, ob Sie sich mit ihnen identifizieren können.

Dazu einige Beispiele:

• Wenn Sie sich für die anstehende Prüfung vorgenommen haben, die Lücken, die Sie in dem Fach haben, aufzuholen, und es offenlassen, worauf sich diese genau beziehen und was Sie demzufolge nachholen müssen, wird sich daraus vielleicht nur ein schlechtes Gewissen ent-wickeln, aber kein zielgerichtetes Verhalten.

• Auch für die Vorbereitung eines Vortrags gilt: Belassen Sie es nicht bei dem Anspruch, »einen möglichst guten Vortrag« zu halten, sondern konkretisieren Sie dieses Ziel, indem Sie vorab bestimmen, was alles an Inhalten und Medien dazugehört.

Ebenso wird sich der Wunsch, die nächsten Semesterferien »mal so richtig zu genießen«, schwer erfüllen lassen, wenn Sie nicht klären, was Sie genau unternehmen möchten und worin der Genuss bestehen soll.

• Wenn Sie sich als Ziel gesetzt haben, für die Examensvorbereitung nur ein halbes Jahr aufzuwenden und zwar nur deshalb, um den Vorstel-lungen Ihrer Eltern entgegenzukommen, dann sollten Sie sich unbe-dingt fragen, ob Sie tatsächlich dahinterstehen. Finden Sie stattdessen lieber heraus, wie viel Zeit Sie persönlich brauchen, um sich gemäß Ihrem Anspruch vorzubereiten.

Zeitbewusstsein entwickeln

Sie sollten einschätzen können, wie viel Zeit bestimmte Arbeiten erfor-dern – die schriftliche Ausarbeitung oder die mündliche Vorbereitung auf die Prüfung. Wissenschaftliche Arbeiten und das Lernen sind sehr

BeachtenSieunbedingtdasGrundgesetzderPlanung:MachenSieIhreZielekonkret!UndprüfenSie,obestatsächlichIhreeigenenZielesind!

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zeitaufwendige Prozesse. Demgegenüber ist die geistige Aufnahme-kapazität zeitlich nur sehr begrenzt. Meistens verschätzt man sich bei der Planung und überfordert sich anschließend mit überhöhten Zielvorga-ben. Ganz wichtig ist, dass Sie die Zeit, die Sie persönlich für bestimmte Arbeiten und – nicht zu vergessen – auch für Ihr eigenes Wohlbefinden brauchen, realistisch beurteilen lernen! Ein gutes Hilfsmittel, um Zeit-bewusstsein zu entwickeln, besteht darin, den Ablauf Ihrer Tage und besonders den Ihrer Arbeit protokollartig festzuhalten.

Adäquate Wege auswählen

Wenn die Ziele bestimmt sind, kann man auch über die Wege der Zieler-reichung nachdenken. Damit wird es zum Beispiel möglich, frühzeitig zu entdecken, ob man vielleicht unrealistisch hohe Ziele gewählt hat und ob die Methoden angemessen und ökonomisch sind. Dieser Punkt verdient bei der Prüfungsvorbereitung besondere Beachtung. Wenn Sie mindestens eine 2,0 in der Chemieprüfung erreichen wollen und gerade in Anorganischer Chemie Ihre Schwächen haben, dann müssten Sie sehr aktive Lernmethoden anwenden, mit denen Sie sich das Wissen erar-beiten, und einige Wiederholungsphasen einplanen. Das würde einen hohen Zeitaufwand erfordern. Vielleicht könnten Sie es aber viel effizi-enter und in kürzerer Zeit schaffen, wenn Sie einen Kommilitonen als Nachhilfelehrer gewinnen.

Sie sollten gut überlegen, welche Arbeits- und Lernmethoden Sie bei Ihrer Prüfungsvorbereitung anwenden wollen!

Zeitmanagement ist bei genauerer Betrachtung nicht nur eine Stra-tegie, die Zeit ökonomisch zu handhaben, sondern sie führt auch dazu, bewusster zu leben. Sie fordert Sie dazu auf, zu klären, wofür Sie Ihre Zeit investieren möchten und wofür nicht. Sie sorgt auch dafür, dass Sie Ihre Wünsche konkret fixieren; denn wenn Sie sich zum Beispiel wünschen, das Segeln zu lernen, dann stellt sich auch die Frage nach den Schritten, die es erfordert, das Ziel zu erreichen – zum Beispiel, wo Sie

Machen Sie es sich zur Gewohnheit, Arbeitsprotokolle zu führen undIhreaufgewendetenZeitenfestzuhalten!

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Ihren Segelschein machen wollen, wie viel Zeit Sie für Theoriekurs und praktische Segelstunden investieren müssen, an welchen Tagen Sie dies tun wollen usw.

Zeitmanagement – Die Methode realistischer Arbeitsplanung

Wenn Sie sich einen Überblick über das für die Prüfung oder für eine andere Aufgabe erforderliche Arbeitspensum verschafft haben, dann kommt es darauf an, dass Sie es auch in Ihrem Plan unterbringen. Das Zeitmanagement anzuwenden empfiehlt sich besonders dann, wenn der Arbeitsaufwand eines Vorhabens groß und die verfügbare Zeit relativ knapp ist, und wenn alles bis zu einer bestimmten »Deadline« geschafft sein muss. Das gilt vermutlich für die meisten Prüfungen. Bei Abschlussprüfungen erstreckt sich die Prüfungsvorbereitung meist über einen langen Zeitraum. Dann ist es wichtig, Arbeitsziele und sonstige (persönliche) Ziele miteinander in Einklang zu bringen und dadurch die Arbeitsmotivation zu erhalten. Solche Bedingungen erfordern gute Planung und Organisation!

Das Zeitmanagement wird Ihnen auch dann helfen, wenn Sie Schwie-rigkeiten mit dem »Anfangen« haben, wenn Sie die Arbeit immer wie-der »aufschieben« oder wenn Sie trotz großen Zeitaufwands feststellen, dass »nicht viel dabei herauskommt«. Die Methode der realistischen Arbeitsplanung ist die beste Therapie gegen solche Arbeitsstörungen.

Im Folgenden werden Sie die Prinzipien des Zeitmanagements ge-nauer kennenlernen (vgl. auch Schräder-Naef 1993; 2003).

Zu dieser Planungsmethode gehören zwei Arten von Plänen:

MitZeitmanagementkönnenSieabsichern,dassSieIhreZieleauchtat-sächlicherreichen,ebenauchdasZiel,diePrüfungzubestehen.DamitSienichtzumgehetztenOpferwerden,sonderndieRegieüberIhreZeitführen,solltenSiebei IhrerPrüfungsvorbereitungfrühzeitigdasZeit-managementanwenden!

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• der Allgemeine Plan oder Übersichtsplan und• der Wochenplan.

Mit dem »Allgemeinen Plan« verschaffen Sie sich die Übersicht über die bis zu einem Endtermin insgesamt anstehenden Ziele und Aufgaben. Mit dem »Wochenplan« verteilen Sie die einzelnen Aufgaben und Aktivitäten auf die jeweilige Arbeitswoche. Diese Art der Planung ist das beste Mittel, um dem »Riesenberg« von Arbeit, vor dem sich viele Prüfungskandidaten fürchten, zu Leibe zu rücken. So lässt er sich näm-lich auf realisierbare Ausmaße reduzieren!

Bevor wir auf Einzelheiten der realistischen Arbeitsplanung eingehen, zunächst jedoch ein Blick auf Ihre innere Einstellung dazu. Studierende haben nach meiner Erfahrung gegenüber der Zeit- und Arbeitsplanung viele Ressentiments. Aus meinen Workshops kenne ich die folgenden Meinungen:

• »Nach Plan leben bedeutet Fremdsteuerung!«• »Planung macht Spontaneität zunichte!«• »Zeitpläne machen ist spießig!«• »Kreativität braucht Chaos und nicht Planung!«

Zu welcher Meinung tendieren Sie? Prüfen Sie die Argumente, was spricht jeweils dagegen?

Hier noch einmal die wichtigsten Punkte, die für die Planungsme-thode sprechen:

Planung verlangt, Ziele zu klären und bewusst zu machen. Sie erfor-dert es, Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen. Sie klären damit Ihre eigenen Ziele!

Wenn Ziele definiert sind, dann kann man auch über die Wege der Zielerreichung nachdenken, also darüber, wie man sie am besten errei-chen kann. Damit können Sie Zeit sparen und sich Freiräume schaffen, die Sie natürlich auch spontan nutzen können.

Und schließlich ist damit die Voraussetzung für den Erfolg geschaf-fen: Wenn die Ziele definiert sind, kann man auch feststellen, ob man sie erreicht hat. Kreativität führt nur dann zu sichtbarem Erfolg, wenn man auch für die Realisierung sorgt. Und das erfordert viele kleine Arbeits-schritte!

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Die Schritte zur Erstellung des Allgemeinen Plans

1. Bestimmen Sie Ihre wichtigsten Ziele.Dazu gehören alle Ziele, die Sie bis zum Termin Ihrer Prüfung – oder auch Ihres Vortrags – erreicht haben wollen. Das umfasst Ihre Arbeits-ziele und – nicht zu vergessen – Ihre sonstigen persönlichen Ziele, wie den Urlaub, den Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Freundin verbringen möchten. Am besten stellen Sie dafür zwei getrennte Listen auf:

• Liste 1 für Ihre Arbeitsziele und• Liste 2 für Ihre sonstigen persönlichen Ziele.

2. Machen Sie eine Bestandsaufnahme der erforderlichen Arbeitsschritte.Bestimmen Sie die Arbeitsschritte, die Sie im Einzelnen zum Erreichen Ihrer Arbeitsziele leisten müssen. So stellen sich die folgenden Fragen:

• Was müssen Sie alles tun, um in der mündlichen Prüfung einen klei-nen Vortrag halten zu können?

• Was müssen Sie noch an Literatur beschaffen? Was davon müssen Sie lesen, wie genau?

• Was fällt an weiteren Arbeiten an, wenn Sie ein kleines Vortrags-manuskript für die Prüfung ausarbeiten wollen?

• Stoffsammlung, Gliederung und Konzept entwerfen, Rohmanuskript schreiben usw.

• Das Üben des Vortragens, zuerst allein und anschließend vor anderen usw.

3. Bestimmen Sie auch die Schritte, die zur Realisierung Ihrer persönlichen Ziele nötig sind.

Gerade diese persönlichen Ziele fallen sonst leicht unter den Tisch! Lis-ten Sie auf, was im Einzelnen an Schritten erforderlich ist, zum Beispiel um den Segelschein zu machen oder um mit Ihrem Partner einen Tan-gokurs zu besuchen.

4. Kalkulieren Sie den Zeitaufwand für die einzelnen Schritte.Versuchen Sie auf jeden Fall, den Zeitaufwand für Ihre Arbeitsschritte einzuschätzen, auch wenn es Ihnen schwerfällt. Lieber grob schätzen

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als gar nicht! Halten Sie sich dabei an Ihre Erfahrungen mit ähnlichen Arbeiten. Also fragen Sie sich zum Beispiel: »Wie viel Zeit benötige ich für Kapitel 2 dieses Buches, wenn ich es gründlich durcharbeiten will?« Schätzen Sie die Anzahl der Arbeitsstunden ein. Tun Sie das Gleiche auch im Hinblick auf Ihre persönlichen Ziele.

5. Listen Sie Ihre Verpflichtungen, ständigen Termine und regelmäßigen Freizeitaktivitäten auf.

Listen Sie weiterhin auf, was an Verpflichtungen und sonstigen – auch erfreulichen – Aktivitäten anfällt. Das ist Ihre Liste 3. Dazu gehören möglicherweise Ihr Job, die Besuche bei den Eltern und die Arbeit im Haushalt, die ja auch getan werden muss. Vergessen Sie darüber nicht die Aktivitäten, die ausschließlich Ihrer eigenen Lebensqualität zugute-kommen wie zum Beispiel Ihre Besuche im Sportstudio, das Radfahren oder was Ihnen sonst in der Freizeit Spaß macht. Lassen Sie Ihre nor-malen Lebensbedürfnisse und Interessen nicht zu kurz kommen, sonst gefährden Sie den Erfolg Ihrer Planung.

6. Schätzen Sie Ihre Arbeitskapazität pro Tag ein.Wie viele Arbeitsstunden können Sie pro Tag in Ihr Prüfungsprojekt investieren? Berücksichtigen Sie dabei Ihre sonstigen Aufgaben und Verpflichtungen. Und noch wichtiger ist die Frage, wie viele Stunden Sie sich realistischer Weise zutrauen. Dabei heißt es ehrlich sein! Ihre durchschnittliche Konzentrationsfähigkeit ist gefragt und nicht irgend-welche – meist überhöhten – Idealwerte. In direkten Worten ausge-drückt: Wie lange halten Sie es aus, allein am Schreibtisch zu sitzen und die Inhalte eines Lehrbuchs zu erarbeiten? Auf der Basis einer solchen Bestandsaufnahme können Sie dann realistisch planen. Wenn Sie sich ehrlicherweise eingestehen, dass es nur zwei bis drei Stunden sind, dann bauen Sie Ihre Kalkulation eben darauf auf. Das ist auf jeden Fall besser, als sich selbst etwas vorzumachen und sich damit zu überfordern.

7. Bestimmen Sie den gesamten Zeitrahmen.Verschaffen Sie sich einen Überblick über Ihre tatsächlich verfügbare Zeit, wenn Sie sonstige Verpflichtungen und verbindliche Termine abziehen. Berechnen Sie, wie viele Arbeitstage es bis zum Abschluss des

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Vorhabens sind. Berücksichtigen Sie dabei, dass Sie vermutlich auch ein freies Wochenende haben wollen wie andere »normale Leute«. Zumindest sollten Sie einen ganzen freien Tag haben, den sie »frohen Herzens« genießen können. Prüfen Sie genau, ob Sie Ihr Pensum und den nötigen Zeitaufwand auch tatsächlich darin unterbringen können. Wenn nicht, dann gilt es auf jeden Fall, daraus Konsequenzen zu ziehen und die Planung zu verändern.

8. Erstellen Sie einen Übersichtsplan mit Etappenzielen.Auf der Basis der bisher erhobenen Daten lässt sich dann der Allge-meine Plan, der Ihnen die Übersicht über Ihr gesamtes Arbeitsprojekt verschafft, aufstellen. Verteilen Sie die Aufgaben und Arbeitsschritte auf die gesamten Wochen bis zu Ihrer Deadline. Nehmen Sie Ihre sonsti-gen Verpflichtungen und Aktivitäten mit in den Plan auf. Bestimmen Sie Ihre Etappenziele. Vergessen Sie dabei auf keinen Fall Ihre privaten Zielsetzungen. Planen Sie nach dem Motto: »Über der Arbeit das Leben nicht vergessen!«

9. Planen Sie immer Pufferzeiten mit ein.So haben Sie Zeit in Reserve für unvorhergesehene Ereignisse wie Krank-heit oder für den Fall, dass überraschenderweise die Prüfungsanforde-rungen geändert wurden; Ereignisse, die Ihnen sonst Ihre schöne Pla-nung zunichtemachen würden. Auch werden Sie beim Lernen mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellen, dass Sie für einige Arbeitsschritte deut-lich mehr Zeit benötigen als angenommen. Für die Ermittlung der not-wendigen Pufferzeiten gilt die goldene Regel: Multiplizieren Sie den Zeit-aufwand, den Sie für Ihre Arbeitsschritte eingeschätzt haben, immer mit dem Faktor 2. Grundsätzlich dauert nämlich alles mindestens doppelt so lange, wie man denkt! Man überschätzt meistens seine eigene Leistungs-fähigkeit – oder umgekehrt betrachtet: Man unterschätzt oft, wie viel Zeit man braucht, um manche Sachverhalte zu verstehen und zu lernen.

Der Allgemeine Plan erfordert von Ihnen, dass Sie Ihr Projekt gründ-lich durchdenken. Er bringt Sie dazu, zu erkennen, wenn Ziele unverein-bar oder Anforderungen unrealistisch sind, und Konsequenzen daraus zu ziehen. Dadurch ermöglicht er Ihnen bewusste und begründete Ent-scheidungen. Und außerdem sorgt er für eine realistische Planung.

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Prinzipien für den Wochenplan

Ausgehend von den Etappenzielen Ihres Übersichtsplans, können Sie nun die Arbeitsschritte auf Ihre Arbeitswochen verteilen. Auf jeden Fall sollten Sie Ihre Wochenplanung schriftlich fixieren und sie nicht nur »im Kopf behalten« wollen. Erst dann wird die Planung klar und über-prüfbar. Am besten nutzen Sie dafür einen sogenannten Wochentermin-planer, der Seiten für die einzelnen Tage und genügend Platz für Ihre geplanten Arbeitsziele und Termine enthält (siehe Abbildung 9).

Sie können Ihre Planung auch mit dem PC machen, indem Sie zum Beispiel den »Kalender« von Microsoft Outlook oder Google ver-wenden und darin Ihre Ziele und Aufgaben eintragen. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass man sehr übersichtliche und »druckreife« Pläne erhält. Über die »Erinnerungsfunktion« kann man sich sogar an die Überprüfung des Erreichens von festgesetzten Zielen erinnern lassen. Wenn Sie ein Smartphone besitzen, könnten Sie auch dieses für Ihre Pla-nung benutzen. Am besten probieren Sie diese Möglichkeiten der elek-tronischen Planung selbst aus.

Bei Ihren Wochenplänen sollten Sie folgende Prinzipien beachten:

1. Verteilen Sie Ihre Aktivitäten auf den Wochenplan.Tragen Sie Ihre festen Termine ein: den Besuch von Seminaren, Ihre Jobtätigkeit und Ihre regelmäßigen Freizeitaktivitäten. Verteilen Sie die Arbeitsschritte und Aufgaben auf die Woche. Reservieren Sie in Ihrem Wochenplan auch die offenen Freizeiten, das heißt den Raum, den Sie für Muße und spontan zu gestaltende Freizeitvergnügungen vorgesehen haben. Damit erhöhen Sie die Attraktivität Ihres Plans! Falls Sie der Methode des Zeitmanagements noch immer reserviert gegenüberstehen, empfehle ich Ihnen, mit der Freizeitplanung zu beginnen. Das erweist sich meist als motivierender Einstieg.

2. Bestimmen Sie feste Zeiten für Ihre Arbeitsphasen.Machen Sie den Beginn Ihrer Arbeit nicht von Stimmungen (»Wenn ich mich so richtig in Arbeitslaune fühle, dann fange ich an.«) abhängig. Legen Sie stattdessen genau fest, wann Sie mit der Schreibtischarbeit bzw. mit dem Lernen anfangen und wann Sie aufhören. Und machen

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AufstehenFrühstücken

Zoologie 1. Kap.Zshg. erfassen

(kl. Pause 15 min)

Zool, 1. Kap.Wiederholung(kl. Pause)Physiol. 1. Kapschrifl. festhalten

(Mittagspause)

Physiol. d. 1. Kap.mündl. Wiederh.(kl. Pause)

Zeitpuffer

Einkaufen

Abendbrot

Kino Freunde

Krimi lesen

AerobicPuffer

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Fragenkatalogzu 1. Kap.

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Fragenkatalogzu Zoologie

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Arzttermin besorgen!

Abbildung9:BeispielArbeitsplanung

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Sie es verbindlich und öffentlich, indem Sie Ihrem Partner bzw. Ihren Freunden oder Mitbewohnern mitteilen, dass Sie zu diesen Zeiten nicht ansprechbar sind und auch nicht ans Telefon gehen. Regelmäßige, feste Arbeitszeiten haben den Vorteil, dass sich daraus Gewohnheiten bilden können. Geist und Körper stellen sich auf den Rhythmus ein, sodass man zur richtigen Zeit die erforderliche Arbeitsmotivation entwickelt. Auf diese Weise kommen Sie leichter ans Ziel.

Gehen Sie von der für Sie realistischen Arbeitszeit pro Tag aus und verplanen Sie nur zwei Drittel davon, indem Sie dafür Ihre Arbeitsziele festlegen. Das bedeutet, wenn Sie zum Beispiel für den Montag sechs Arbeitsstunden festgelegt haben, dann sollten Sie nur für vier Stunden die Arbeitsaufgaben konkret bestimmen. Die restlichen zwei Stunden sollten Sie offenlassen für das, was vielleicht noch unerwartet anfällt – zum Beispiel an erforderlicher Vertiefung oder Wiederholung. Oder Sie merken, dass die Arbeit doch aufwendiger ist als vermutet. Falls gar nichts mehr anfällt, weil Sie tatsächlich alles in den geplanten vier Stun-den geschafft haben, stehen die zwei Stunden zu Ihrer freien Verfügung.

3. Berücksichtigen Sie Ihren Biorhythmus.Wählen Sie für Ihre Hauptarbeitsphasen Ihre optimalen Zeiten, also die Zeiten, zu denen Sie besonders wach und leistungsfähig sind. Es gibt dabei bekanntlich individuelle Unterschiede. Manche Menschen fühlen sich frühmorgens in bester Schaffenslaune. Andere laufen erst am späten Nachmittag zur Hochform auf. Aber Vorsicht vor ungüns-tigen Gewohnheiten wie zum Beispiel Nachtarbeit! Sie laufen damit Gefahr, immer wieder hinter Ihrem Pensum zurückzubleiben, wenn sich verlockende Möglichkeiten auftun, den Abend anders zu gestalten. Orientieren Sie sich bei der Organisation Ihres Arbeitsrhythmus an der in Abbildung 10 dargestellten 24-Stunden-Kurve der allgemeinen psy-cho-physischen Leistungsbereitschaft. Sie weist zwei Leistungsoptima auf, die auf dem biologischen Rhythmus des Organismus beruhen: das eine am Vormittag zwischen 8 und 12 Uhr und das andere am Spätnach-mittag zwischen 16 und 20 Uhr. Individuelle Gewohnheiten können diese Kurve zwar verschieben, aber nicht völlig außer Kraft setzen. So können Sie zwar auch noch nach Mitternacht arbeiten, aber der erfor-derliche psychische Aufwand ist unvorteilhaft hoch. Außerdem bringen

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Sie sich auf diese Weise selbst um den erholsamen Nachtschlaf. Es emp-fiehlt sich deshalb, sich an dieser Kurve zu orientieren und die Zeiten individuell leicht abzuwandeln. Außerdem werden Sie vermutlich auch mehr Zufriedenheit empfinden, wenn Sie am Abend auf die Leistung des Tages zurückblicken können, als wenn Sie Ihr Pensum bis in den Abend hinein noch vor sich haben.

4. Schaffen Sie sich überschaubare Arbeitseinheiten mit dazwischenliegenden Pausen.

Wenn in Ihrem Plan Blöcke von mehreren Stunden vorgesehen sind, dann teilen Sie diese in mehrere Arbeitseinheiten auf. Geistige Arbeit ist anstrengend und wirkt schnell ermüdend. Deshalb sollten Sie nach einer oder anderthalb Stunden Arbeit jeweils eine kurze Entspannungspause von 10 bis 15 Minuten einlegen. Das wirkt sich nachgewiesenermaßen sehr positiv auf die Konzentrationsfähigkeit aus. Diese kleinen Pausen sollten so etwas wie Ruheinseln sein, die Sie zum Auftanken nutzen. Sie könnten zum Beispiel Übungen im Autogenen Training machen oder auch ganz einfach am offenen Fenster etwas Luft schnappen. Lassen Sie sich etwas einfallen! Aber vermeiden Sie solch verführerische Aktivitä-ten wie Ihre Lieblingsmusik hören oder den Krimi weiterlesen!

Wenn Sie Ihren Arbeitstag in einzelne Arbeitseinheiten und Pausen unterteilen, wird er viel überschaubarer und attraktiver, als wenn er aus

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Abbildung10:Schwankungenderpsycho-physischenLeistungsbereitschaftüber24Stunden(Quelle:Schräder-Naef2003)

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einem einzigen, groben Zeitblock besteht. Die Kurve der allgemeinen Leistungsbereitschaft legt nahe, dass man in der ungünstigsten Zeit, nämlich am Mittag, eine längere Pause einplant. Das braucht aber nicht unbedingt zu heißen, dass man sich nur mit einem Mittagsschlaf erholt – Fahrradfahren oder Joggen wirken häufig viel erfrischender!

5. Setzen Sie sich konkrete Arbeitsziele.Dieses Prinzip ist das wichtigste überhaupt. Sie sollten es auf alle Ihre Arbeiten anwenden. Formulieren Sie immer ein möglichst konkretes, operationales Arbeitsziel, bevor Sie mit der Arbeit beginnen. Definieren Sie das Ergebnis Ihrer Arbeit, das heißt, bestimmen Sie, was am Ende der Stunde herausgekommen sein soll. Das Ziel könnte zum Beispiel lauten, »den Inhalt des Kapitels über die Funktion des Gedächtnisses in Stichwor-ten schriftlich festhalten« oder »in eigenen Worten wiedergeben können, worin die Bedeutung des Stressmodells nach Selye für psychosomatische Krankheiten besteht«. Indem Sie sich konkrete Ziele setzen, lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung, sorgen für eine positive Spannung und steigern Ihre Arbeitsmotivation. Außerdem erreichen Sie so, dass Sie nach getaner Arbeit einen sichtbaren Fortschritt erzielt haben und das gesetzte Ziel mit gutem Gefühl abhaken können. Es ist eine sehr empfehlenswerte Regel, nie mit der Arbeit anzufangen, ohne vorher das Ziel klar zu benennen. Diese Regel wirkt wie ein Ariadne-Faden. Sie hält Sie »auf Kurs« und verhindert, dass Sie sich in interessante, aber irrele-vante Abschweifungen verlieren. Sie sorgt für geistige Disziplin.

6. Stellen Sie sich Belohnungen in Aussicht.Gerade dann, wenn die Arbeit sehr langwierig und mühevoll ist und man viel Selbstdisziplin dafür benötigt, ist es ratsam, sich selbst mit Belohnungen anzuspornen und diese dann »frohen Herzens« zu genießen. Das kann die halbe Tafel Ihrer Lieblingsschokolade oder der Besuch im Schwimmbad oder das ausgedehnte Telefongespräch mit der Freundin am Ende des Arbeitstages sein. Sie erhalten damit Ihre Arbeits-motivation aufrecht. Nach einer harten Arbeitswoche, in der Sie Ihren Wochenplan gut geschafft haben, sollten Sie sich ruhig etwas Besonderes gönnen, je nach Geschmack zum Beispiel eine Fahrradtour oder auch eine durchtanzte Clubnacht.

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7. Revidieren ist manchmal nötig – bleiben Sie flexibel.Nicht alle gesteckten Ziele lassen sich wie geplant erreichen. Manchmal reichen auch die Pufferzeiten nicht aus. Vielleicht haben Sie die Schwie-rigkeit eines Textes bzw. den Aufwand für das Lernen unterschätzt. Häufig gibt es gute Gründe dafür, dass die Arbeit sich verzögert oder etwas nicht auf dem direkten Weg zu erreichen ist. Es wäre allerdings fatal, wenn Sie Ihren Arbeitsplan gleich über den Haufen werfen oder das Planen gänzlich aufgeben, nur weil Sie einmal nicht recht vorange-kommen sind. Damit hätten Sie das Prinzip realistischer Arbeitsplanung gründlich missverstanden. Es soll Sie nämlich als Steuerungsinstrument in Ihrem Arbeitsprozess begleiten. Wenn sich Abweichungen und Ter-minverschiebungen ergeben, dann kommt es darauf an, diese Änderun-gen in den Plan aufzunehmen und ihn entsprechend zu revidieren. Auf jeden Fall müssen Sie dranbleiben, wenn Sie Ihre Ziele erreichen wollen.

8. Seien Sie fantasievoll bei der Gestaltung der Arbeitswoche.Mit kluger Gestaltung können Sie Ihren Arbeitsplan attraktiv machen:

Wenn Sie

• für einen angenehmen Wechsel von Arbeits- und Freizeit sorgen,• die Lernmethoden abwechslungsreich gestalten,• für angenehme Arbeitsbedingungen an Ihrem Schreibtisch und in

der Umgebung sorgen• und sich einige »Highlights« für die Woche in Aussicht stellen, auf

die Sie sich so richtig freuen können,

dann wird es Ihnen tatsächlich gelingen, Ihre gesteckten Ziele zu errei-chen!

Mit Ihrer Wochenplanung bringen Sie Struktur in Ihren Arbeitsall-tag. Eine klare Struktur hilft, den Arbeitsalltag besser zu überschauen und leichter zu bewältigen.

DieArbeitswochebekommtnurdannStruktur,wennSie

✓ festeArbeitszeitenundPausenvorsehen,

✓ klareArbeitszieleundZeitmarkenbestimmenund

✓ FreizeitundErholungeinplanen.

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Wenn Sie sich außerdem noch für den Abschluss der Woche ein konkre-tes Arbeitsergebnis vornehmen, dann sorgen Sie für einen energetischen Spannungsbogen, der Sie auf das Endziel hin ausrichtet. Und wenn Sie es geschafft haben, können Sie schließlich mit einem Erfolgsgefühl ins Wochenende gehen.

Das Wochenprotokoll als Einstieg ins Zeitmanagement

Falls Sie noch immer Vorbehalte gegenüber der Methode des Zeitmana-gements haben, sollten Sie sich behutsam annähern. Beginnen Sie Ihren sanften Einstieg in das Zeitmanagement am besten, indem Sie zuerst ein-mal nur ein »Wochenprotokoll« anfertigen – ohne schon einen Plan für die Aktivitäten der Woche aufzustellen. Dazu halten Sie am Ende eines jeden Tages schriftlich fest – auf einer Seite aus dem Wochen-Timer –, was Sie im Laufe des Tages getan haben, das heißt, mit welchen Arbeiten, Pflichten, Freizeitaktivitäten und sonstigen Tätigkeiten Sie wie viel Zeit verbracht haben. Erfassen Sie Ihre Aktivitäten möglichst präzise, sodass Sie daraus Anhaltspunkte für Ihre spätere Zeitplanung gewinnen kön-nen.

Das Wochenprotokoll verschafft Ihnen ein realistisches Bild davon, wie Sie Ihre Zeit verteilen und auch wie langwierig manche Arbeiten sind. Es führt Ihnen vor Augen, wie lange Sie es wirklich am Schreibtisch aushalten, mit welchen Arbeiten Sie sich besonders schwertun und auch, mit welchen Manövern Sie sich vor der Arbeit drücken. Es vermittelt Ihnen einen Eindruck von Ihrer Durchschnittsleistung und ist deshalb gut dazu geeignet, Höhenflügen bei der Planung vorzubeugen. Indem Sie ein Wochenprotokoll anfertigen, trainieren Sie Ihr Zeitbewusst-sein und verschaffen sich eine gute empirische Basis für eine realistische Wochenplanung.

Es ist sehr empfehlenswert, sich in kleinen Schritten an die Wochen-planung heranzutasten. Bauen Sie zuerst eine Regelmäßigkeit auf. Ste-cken Sie Ihre Ziele dabei so bescheiden, dass Sie sie ganz sicher erreichen können. Wenn Sie zum Beispiel anstreben, täglich fünf Stunden an Ihrer Prüfungsvorbereitung zu arbeiten, dann fangen Sie erst einmal nur mit

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zwei Stunden pro Tag an. Organisieren Sie diese zwei Stunden – und Ihren übrigen Tagesablauf – entsprechend den dargestellten Prinzipien der realistischen Arbeitsplanung. Später können Sie das Arbeitsvolumen pro Tag nach und nach erhöhen.

Gute Arbeitsbedingungen schaffen

Da Sie bei der Prüfungsvorbereitung ziemlich viel Zeit pro Tag und über eine lange Phase hin am Schreibtisch verbringen müssen, sollten Sie für einen guten Arbeitsplatz sorgen. Sie werden sicher einen eigenen Schreib-tisch haben. Ist er auch so beschaffen, dass er Ihre Arbeit fördert? Dazu im Folgenden eine Checkliste.

BeachtenSiedieRegel:FangenSiekleinanundsteigernSiedasPensumbehutsam.BleibenSierealistisch!

Checkliste zu Ihrem Arbeitsplatz

✓ IstIhrSchreibtischgroßgenug,sodassSieIhrenotwendigenArbeits-materialiendaraufausbreitenkönnen?

✓ Befinden sich darauf ausschließlich die Arbeitsmaterialien, die Sieunmittelbar benötigen, oder ist er beladen mit unüberschaubarenStapelnvonBüchern,Zeitschriftenetc.?

✓ Sindsonstige,nichtzuIhrerArbeitgehörendeSchriften,außerReich-weitegebracht?

✓ IstIhrArbeitsplatzgutbeleuchtet?MitblendfreiemLichtundohne,dassSieständigineineLichtquelleschauenmüssen?

✓ IstIhrPCsoeingerichtet,dassSieoptimaleSichtbedingungenhabenundihngutbedienenkönnen?

✓ IstIhrArbeitsstuhlsobeschaffen,dassSiegutdaraufsitzenkönnenundkeineVerspannungenundRückenschmerzenbekommen?

✓ HabenSieeineangenehmeAussichtoder–fallsIhrZimmerdasnichtmöglich macht – haben Sie einen schönen Blick auf Pflanzen, einPosteroderÄhnliches?

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Wenn Sie die letzte Frage mit Nein beantwortet haben, dann sollten Sie unbedingt überlegen, woran es fehlt und was dieses Gefühl fördern könnte. Ich schlage Ihnen dazu vor, sich in folgende Situation zu verset-zen:

Stellen Sie sich vor, Sie haben die Aufgabe, für eine Person, die Sie sehr schätzen und bewundern und die in den nächsten sechs Monaten eine wichtige wissenschaftliche Arbeit fertigstellen muss, einen Arbeitsplatz einzurichten, an dem sie sich wohlfühlt und erfolgreich arbeiten kann.Wie würden Sie ihn gestalten? Machen Sie dazu einen Entwurf.

Und dann richten Sie Ihren eigenen Arbeitsplatz dementsprechend ein, denn Sie sind die bedeutende Person, die eine wichtige Arbeit zu leisten hat!

Sie sollten sich ruhig ein wenig Mühe geben, Ihren Arbeitsplatz attraktiv und einladend zu gestalten. Wenn Sie selbst zu bescheiden oder zu nachlässig sind, dann lassen Sie sich von Ihrem Freund/Ihrer Freun-din dabei helfen.

Nehmen Sie auch die Hinweise auf eine gesundheitsfördernde Gestal-tung ernst. Ihr Schreibtischsessel oder -stuhl sollte eine aufrechte und gesunde Haltung ermöglichen, damit Ihre Wirbelsäule nicht unnötig strapaziert wird. Wenn Ihre Prüfungsvorbereitung oder ein anderes Pro-jekt langes Sitzen am PC erfordern, dann machen Sie sich am besten mit den arbeitsmedizinischen und -psychologischen Empfehlungen zur Bild-schirmarbeit vertraut.

In puncto »Ordnung halten« am Schreibtisch scheiden sich die Geis-ter. Während der eine auf gute Organisation schwört, hält die andere sie für nebensächlich oder lehnt sie sogar ab. Bedenken Sie aber: Ein auf-geräumter Schreibtisch, auf dem nur jeweils das Material zu finden ist,

✓ Ist Ihr Schreibtisch tatsächlich ein Arbeitsplatz und damit frei vonsonstigeneinladendenundunterhaltsamenObjekten?

✓ FühlenSiesichan IhremSchreibtischwohl?OdermöchtenSieamliebstengleichdieFluchtantreten?

✓ FühlenSiesichan IhremSchreibtischalseinewichtigePerson,dieeinebedeutendeundanstrengendeArbeitvorsichhat?

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an dem Sie gerade arbeiten, lädt förmlich zur Arbeit ein. Ein überlade-ner Schreibtisch führt dagegen leicht dazu, dass man nach Ausflüchten sucht und die Arbeit vor sich herschiebt. Sie müssen ja nicht gleich eine fanatische Ordnungsliebe entwickeln, aber ein vernünftiges Maß an Ordnungssinn sollten Sie sich auf jeden Fall aneignen! Sagen Sie sich als Ansporn, dass Sie dabei Ihre Organisationsfähigkeit entwickeln, und das wird Ihnen auch später im Beruf nützen!

Der feste Arbeitsplatz in der Bibliothek hat Vorteile!

Für manche Studierende ist ein ständiger Arbeitsplatz in der Bibliothek die beste Lösung. Man wird dort nicht so leicht abgelenkt wie zu Hause am eigenen Schreibtisch. In der nüchternen Umgebung fällt es leichter, seinen Arbeitsplatz nach zweckrationalen Prinzipien einzurichten. Der entscheidende Punkt liegt aber wohl darin, dass viele sich auch besser zur Arbeit überwinden können, wenn sie andere um sich haben, die ebenfalls fleißig sind. Ein weiterer Vorteil ist, dass man auf diese Weise klarer zwi-schen Arbeit und Freizeit trennen kann. Als sehr befreiend wird es auch empfunden, die Arbeit am Ende des Tages in der Bibliothek zurücklas-sen und sich dann wie ein ganz »normaler« berufstätiger Mensch dem Feierabend widmen zu können.

Fazit: Gutes Selbstmanagement ist gefragt!

Alle bisherigen Empfehlungen zur Organisation und Gestaltung des Arbeitsalltags laufen darauf hinaus, dass Sie eine kluge und freundlich-wohlwollende Haltung gegenüber sich selbst einnehmen sollten. Legen Sie Wert darauf, sich die Arbeitsfreude auf Dauer zu erhalten. Jeder braucht gelegentlich Lob und Anerkennung, um auf Dauer motiviert und erfolg-reich arbeiten zu können. Sparen Sie sich selbst gegenüber also nicht mit Lob. Klopfen Sie sich ruhig auf die Schulter, wenn Sie Ihre Arbeitsziele für den Tag oder die Woche erreicht haben!

Holen Sie sich zusätzlich Anerkennung von außen, indem Sie mit

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anderen über Ihren Fortschritt sprechen. Legen Sie es ruhig darauf an, positives Feedback zu bekommen – am besten von den Personen, an deren Urteil Ihnen am meisten liegt, zum Beispiel von Ihren Freunden und Kommilitonen. Lassen Sie sich mal zu einem bestimmten Thema, das Sie vorbereitet haben, befragen. Damit üben Sie auch gleichzeitig für die tatsächliche Prüfung. Fordern Sie Ihre Gesprächspartner – sozu-sagen als Türöffner – dazu auf, Ihnen zunächst ein positives Feedback zu geben. Sie können beispielsweise sagen: »Ich möchte zunächst gern hören, was Ihnen an meiner Darstellung positiv aufgefallen ist.« Erst danach bitten Sie um kritische Anmerkungen.

Sie sollten sich daher unbedingt vor destruktiver Selbstkritik und erst recht vor beständigen Selbstzweifeln hüten. Wenn Ihnen selbstkriti-sche Gedanken kommen, sollten Sie natürlich prüfen, ob diese sachlich begründet sind. Aber wenn es sich um grundlose Zweifel handelt, die vielleicht nur aus überhöhten Ansprüchen resultieren, sollten Sie aktiv versuchen, sich davon zu befreien.

Achten Sie darauf, behutsam mit Ihren Ressourcen umzugehen. Das bedeutet nicht, dass Sie Begeisterung und leidenschaftliches Engagement unterdrücken und auf ständigen »Schongang« herunterfahren sollten. Es bedeutet vielmehr, für gute und dauerhafte Kondition zu sorgen, die Ihnen ein kontinuierliches Arbeiten ermöglicht. Machen Sie es wie die Sportler, die sich auf einen Wettkampf vorbereiten. Legen Sie es darauf an, psychisch und physisch in guter Verfassung zu bleiben und stetig auf das ferne Ziel hin zu trainieren.

ManwächstamErfolg–weitmehralsanstrengerSelbstkritik!

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6 Effizientes Lernen durch aktive Lernmethoden

Mit der Prüfungsvorbereitung kommen beträchtliche Anforderungen auf Sie zu. Sie stehen unter Zeitdruck, müssen viel Stoff lernen und oben-drein wird von Ihnen ein ziemlich anspruchsvolles Ergebnis erwartet. Sie müssen in der Prüfung zeigen, dass Sie den Stoff beherrschen. Ihn nur halbwegs richtig wiedergeben zu können, wird nicht ausreichen. Statt-dessen erwartet man von Ihnen, dass Sie zeigen, dass Sie den Prüfungs-stoff verstanden haben, das heißt zum Beispiel,

• dass Sie den Prüfungsstoff mit eigenen Worten darstellen können,• dass Sie Schlussfolgerungen und Querverbindungen ziehen können,• dass Sie mit den Fachbegriffen umgehen können, dass Sie die Begriffe

erläutern und auf praktische Beispiele anwenden können usw.

In der Prüfung werden also recht anspruchsvolle und komplexe Opera-tionen erwartet, für die Sie Ihre Denkfähigkeit einsetzen müssen. Und außerdem ist die Zeit, die Sie für Ihre Prüfungsvorbereitung zur Ver-fügung haben, vermutlich knapp. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, benötigen Sie effiziente Lernmethoden, also solche, mit denen Sie Ihre begrenzte Zeit gut nutzen und gleichzeitig zu einem guten Lern-ergebnis gelangen können. Solche Lernmethoden werden Sie im Folgen-den kennenlernen.

Betrachten Sie die Aufgabe der Prüfungsvorbereitung als Herausfor-derung und trainieren Sie Ihre Denkfähigkeit! Hierfür sollten Sie auf jeden Fall möglichst aktive Formen des Lernens verwenden. Mechani-sches Auswendiglernen wird Ihnen nicht viel nützen, da diese Art des Lernens sehr stark von der Vergessenskurve beeinträchtigt wird. Es wird

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zu wenig davon hängen bleiben, um in der Prüfung gut abschneiden zu können.

Das Prinzip des aktiven Lernens

Effizient sind Lernmethoden nur dann, wenn sie zu adäquatem Ver-ständnis führen und das Behalten sichern. Natürlich müssen Sie das Gelernte auch wiederholen, um es im Gedächtnis zu behalten. Aber Wiederholen allein reicht dafür nicht aus und ist als Hauptlernmethode wenig effektiv. Wie durch zahlreiche Lernexperimente festgestellt wer-den konnte, ist der Grad des Behaltens bzw. des Vergessens im Wesentli-chen von folgenden zwei Faktoren abhängig:

• von der Art des Lernstoffs und• von der Lernmethode.

Wenn das Lernmaterial sinnvoll, gut gegliedert und obendrein einfach ist, wird es besser und länger behalten, als wenn es sinnlos, ungegliedert und schwierig ist. Die Abbildung 11 zeigt diesen Zusammenhang: Für dieses Experiment wurden verschiedene Texte so lange gelernt, bis sie sicher beherrscht wurden, und anschließend in einem zeitlichen Abstand von bis zu 30 Tagen wiederholt abgefragt (Foppa 1998; Edelmann 2000).

Dabei wurde festgestellt, dass das gut strukturierte, sinnvolle Mate-rial – eben Prinzipien, Gesetzmäßigkeiten und logische Strukturen – nahezu hundertprozentig behalten und so gut wie gar nicht vergessen wird. Demgegenüber werden sinnlose Silben – das sind willkürlich aus jeweils zwei Konsonanten und einem Vokal gebildete Silben (zum Bei-spiel »lim«, »toq« etc.), also das am wenigsten strukturierte Mate-rial – am schlechtesten behalten. Die anderen Texte liegen dazwischen. Gedichte beispielsweise werden aufgrund ihrer formalen Strukturen, wozu Reime und Rhythmus gehören, gut behalten. Was folgt daraus?

Bei der Prüfungsvorbereitung lässt sich die Art des Lernstoffs nur begrenzt auswählen. Aber bei der Wahl der Lernmethode haben Sie Freiheitsgrade. Wenn Sie das Ziel verfolgen, sich den Sinnzusammen-hang Ihres Lernstoffs zu erarbeiten, und auf das Erfassen von Prinzipien

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und Strukturen ausgerichtet sind, dann fangen Sie an, den Inhalt zu begreifen und gewinnen Einsicht. Diese Art des Lernens ist dem mecha-nischen Auswendiglernen weit überlegen. Sie wird als »strukturierendes Lernen« bezeichnet.

Ein weiterer Faktor, der sich sehr positiv auf das Behalten auswirkt, ist das Ausmaß an Aktivität, das beim Lernen stattfindet. Aktives Lernen bedeutet, dass Sie Lernen weitgehend durch Denken ersetzen. Je mehr Sie geistig aktiv sind beim Lernen, umso besser erschließen Sie sich den Lehrstoff und sorgen gleichzeitig für eine solide Speicherung in Ihrem Gedächtnis. Eine der wichtigsten Aktivitäten ist dabei das Fragenstellen.

Wenn Kinder in das Vorschulalter kommen und zu denken anfangen, stellen sie beständig Fragen nach dem »Warum«. Warum ist das so? Warum heißt der Baum »Baum«? Warum gibt es Sterne? Warum gibt es Eltern? Solche Fragen sind ungeheuer wichtig für die Entwicklung der kindlichen Intelligenz. Sie stehen am Übergang zu einer neuen Entwick-lungsstufe, wo Kinder sich ablösen von der Anschaulichkeit der Wahr-nehmungsphänomene, ihre Denkoperationen entwickeln und zu einem Instrumentarium herausbilden.

Mit dem Fragenstellen erschließt man sich die Welt – auch die Welt der Wissenschaft! Die elementare Fähigkeit, Fragen zu stellen und damit seine Neugier zu befriedigen, haben viele Studierende im Laufe ihres Studiums fast verlernt. Sie ist ihnen aus Respekt vor der Wissenschaft und ihren Vertretern fast abhandengekommen. Die in den Seminaren

5 10 15 20 25 30 Tagennach:

100 %

80 %

60 %

40 %

20 %

Beha

ltens

leis

tung

A = Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten

B = Gedichte

C = ProsatexteD = sinnlose Silben

Abbildung11:BehaltensleistunginAbhängigkeitvomLernmaterialimzeitlichenVerlauf(nachSchräder-Naef1994)

143

vorherrschende akademische Sprache ermuntert nicht gerade dazu, naive Fragen zu stellen. Sie erscheint abstrakt, schwer verständlich und vor-zugsweise für Eingeweihte da zu sein. Sie ruft das beklemmende Gefühl hervor, dass es an einem selber liegt, wenn man sie nicht versteht. Um mit-reden zu können, muss man sich erst diese Sprache aneignen und – wie manche Kritiker anmerken – den Bluff mitmachen (Wagner 1992). Kei-ner möchte gern als naiv und unbedarft dastehen und vermeidet es lieber, sich mit naiven Fragen bloßzustellen – es sei denn, seine Frage drückt eine höhere Stufe des kritischen Denkens aus. Dabei sind es gerade die scheinbar naiven Fragen, die dazu zwingen, einer Sache auf den Grund zu gehen und sie zu erhellen. Ungefragt übernommene Inhalte sind bes-tenfalls Vokabeln, aber keine Denkansätze. Sie führen nicht dazu, sich konkret mit ihnen zu befassen.

Deshalb sollten Sie, falls es nicht bereits zu Ihrer gewohnten Lern-methode gehört, das Fragenstellen wieder lernen. Mit dem Fragenstellen machen Sie sich selbst das Wissen begreiflich und anwendbar. Indem Sie sich zum Beispiel fragen, wie ein bestimmtes Phänomen charakterisiert werden kann, von welchen Bedingungen es abhängt, wodurch man es beeinflussen kann etc. Versuchen Sie, es in ein System zu bringen und erschließen Sie sich damit eine Struktur! Erst dieser Strukturzusammen-hang sorgt für ein adäquates Verstehen und ermöglicht den Transfer auf andere Phänomene.

Diese Form des strukturierenden Lernens kann man auch als »Tie-fenlernen« bezeichnen. Sie verankern dabei die neuen Informationen in einer allgemeinen Struktur. Im Gegensatz dazu wird beim sogenannten »Oberflächenlernen« vorwiegend auf der Ebene der Wörter und asso-ziativen Bedeutung gelernt, ohne den differenzierten Zusammenhang genau zu durchdringen. Diese Form des Lernens ist flüchtiger und führt nicht zu gesichertem Behalten. Es wird von Studierenden auch recht drastisch als »Bulimielernen« bezeichnet: Man stopft es in sich hinein und »kotzt« es dann (in der Prüfung) wieder aus!

AktivesLernenbedeutet,eigeneFragenandenTextzustellen!

144

Machen Sie sich diese Maxime zu eigen und gehen Sie immer mit Fragen an Ihre Texte heran! Das können Fragen sein wie zum Beispiel:

• Warum ist das so?• Wie hängt A mit B zusammen?• Welche Aspekte sind die wichtigsten?• Wie kann man das am Beispiel deutlich machen?

Sie erschließen sich damit Ihr Wissen!Wenn Sie selbst Schwierigkeiten haben, auf Fragen zu Ihrem Lern-

stoff zu kommen, lassen Sie sich von anderen befragen, von Ihrem Part-ner/Ihrer Partnerin und Ihren Freunden. Die Fragen von Laien zwingen einen dazu, Sachverhalte grundlegend und anschaulich zu erklären. Das verlangt von Ihnen, dass Sie es selber gut verstanden haben! – In mei-nen Workshops zur Examensvorbereitung stelle ich häufig die Aufgabe, das Thema der eigenen Examensarbeit den anderen Studierenden, die aus den verschiedensten Studienfächern kommen, vorzustellen und ver-ständlich zu machen. Das Publikum bekommt dabei verschiedene Rollen zugeschrieben, wie zum Beispiel, sich wie eine Gruppe von neugierigen 13- bis 14-Jährigen zu verhalten oder wie Teilnehmer eines Volkshoch-schulkurses, und entsprechende Fragen zu stellen. Die Rollenspielsitua-tion ermuntert die Teilnehmer dazu, alle möglichen Fragen zu stellen. Die befragten »Autoren« der Arbeit stoßen dabei häufig auf wichtige Erkenntnisse, wie Unklarheiten bezüglich des Aufbaus und des Schwer-punkts der Arbeit, Schwächen in der Begründung von Methoden oder auch gänzlich neue Aspekte.

Der nächste Schritt sollte darin bestehen, die Strukturen herauszuar-beiten. Das können Sie tun, indem Sie die Inhalte ordnen und gliedern

Festzuhalten ist:

✓ EffizientwirdIhrLernendann,wennSievonAnfanganfüraktivesDenkensorgenundIhrWisseningeordneteZusammenhängebrin-gen.

✓ MitFragenaktivierenSieIhrenGeistunderschließensichdieStruk-turIhresLernstoffs.

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und sie übersichtlich und anschaulich darstellen. Dabei hilft Ihnen die Anfertigung von Clustern und Mind Maps (vgl. Kapitel 5).

Das Prinzip des aktiven Lernens liegt auch der Methode des Aktiven Lesens zugrunde, die Sie als Nächstes kennenlernen werden. Sie soll Ihnen helfen, mit dem großen Pensum an Stoff, den Sie vermutlich lesen müssen, in effizienter Weise umzugehen. Bevor Sie die Methode anwen-den, sollten Sie jedoch einige Vorbereitungen treffen.

Vorbereitung zum Lesen von Fachliteratur

Fachbücher und Fachzeitschriften enthalten eine Fülle von Infor-mationen. Die Inhalte sind vorwiegend abstrakt, häufig auch kompli-ziert und meistens in einer schwer verständlichen Sprache geschrieben. Ihre Lektüre erfordert deshalb viel Zeit und intensive geistige Anstren-gung.

Nicht alles, was wichtig und interessant erscheint, kann man lesen, schon gar nicht gründlich lesen. Deshalb ist es wichtig, dass Sie vorab gut prüfen, mit welchen Inhalten Sie sich beschäftigen wollen bzw. müssen, und eine bewusste Auswahl treffen. Auf jeden Fall müssen Sie den Mut zur Lücke aufbringen! Aber es ist wichtig, dass Sie sich vorher Gedan-ken darüber machen, wo Sie Lücken in Kauf nehmen und wo Sie für fundierte Kenntnisse sorgen wollen. Deshalb sollten Sie vor jedem Lesen folgende Vorbereitungen treffen:

1. Wählen Sie die Texte gut aus.Machen Sie es von dem Stoffplan Ihrer Prüfungsvorbereitung und den dabei gesetzten Prioritäten abhängig, welche Texte Sie sich vornehmen wollen.

2. Führen Sie eine Vorprüfung Ihrer Fachliteratur durch.Haben Sie tatsächlich das richtige Buch zu Ihrem Thema heraus-gesucht? Können Sie zum Beispiel den Autor des Buches einschätzen? Ist er ein anerkannter Experte auf dem Fachgebiet oder eher ein Lehr-buchautor?

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• Haben Sie Ihre Seminarunterlagen und Literaturlisten auf entspre-chende Empfehlungen hin untersucht?

• Welche Hinweise ergeben sich aufgrund des Erscheinungsjahres und der Auflage des Buches? Ist das Buch auf dem aktuellen Stand der Diskussion?

• Wenn Sie in Ihrer Beurteilung ganz unsicher sind, dann sollten Sie Ihren Professor oder Ihre Professorin befragen. Er oder sie kann Ihnen da sicher weiterhelfen.

3. Verschaffen Sie sich zunächst einen Gesamteindruck vom Inhalt des Buches.

Schauen Sie sich zuerst die informativen Aussagen über das Buch selbst an: das Vorwort, das Inhaltsverzeichnis, die Einleitung, den Klappentext und die Kapitelüberschriften. Lesen Sie die Zusammenfassungen am Ende der Sie interessierenden Kapitel. Stellen Sie sich dazu die folgenden Fragen:

• Was behandelt das Buch? Worin besteht seine Zielsetzung?• Was für eine Art Buch ist es? Lehrbuch, Monografie, Ergebnisbericht

etc.?• Was sind seine Schwerpunkte und Hauptteile?• Wie ist es aufgebaut? Wie viele Kapitel enthält es? Wovon handeln die

Kapitel?• Vertritt der Autor eine bestimmte theoretische Position, Schule oder

Methode?• Wie gut verständlich ist es geschrieben?• Welches sind die für Sie wichtigen Kapitel? Welche sind ganz irrele-

vant?

Stellen Sie sich dabei vor die Aufgabe, den globalen Gesamteindruck des Buches zu charakterisieren. Die Ergebnisse dieser Einschätzung sollten Sie am besten auf einer Karteikarte oder in einem Literaturverwaltungs-system auf Ihrem PC festhalten. Das fördert nicht nur das Verständnis, sondern ist auch für die weiteren Bearbeitungsvorgänge nützlich.

4. Bestimmen Sie dann Ihr Leseziel.Klären Sie, ob Sie die ausgewählten Teile des Buches entweder ganz gründlich durcharbeiten oder nur oberflächlich anschauen wollen. Viel-

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leicht wollen Sie ja auch nur etwas Bestimmtes erfahren, zum Beispiel ob der Autor auf eine bestimmte Streitfrage eingeht. Es ist wichtig, dass Sie sich Ihr Leseziel bewusst machen. Andernfalls verlieren Sie sich nur allzu leicht in breitem »Herumlesen« oder in passiv-rezeptivem Lesen. Beide Arten sind wenig effizient. Außerdem ist von der Art Ihres Lese-ziels die infrage kommende Lesemethode abhängig. Der nächste Schritt lautet nämlich:

5. Bestimmen Sie Ihre Lesemethode.Es lassen sich – ganz grob – folgende Lesemethoden unterscheiden (vgl. Zielke 1992):

• Das orientierende oder auch kursorische Lesen, bei dem man die Sei-ten in raschem Tempo überfliegt, die Blicke über größere Einheiten gleiten lässt und auf wichtige Stellen wie zum Beispiel Überschriften, Übersichten und Zusammenfassungen achtet.

• Das selektive Lesen, bei dem Sie gezielt bestimmte Informationen her-aussuchen und diese aufmerksam lesen.

• Das strukturierende Lesen, bei dem man langsam und gründlich vor-geht und sich die Zusammenhänge verständlich macht.

Fragen Sie sich ganz bewusst, bevor Sie mit dem Lesen anfangen, mit welcher Methode Sie herangehen wollen. Damit klären Sie gleichzeitig Ihr Arbeitsziel – eine ganz wesentliche Voraussetzung für effizientes Arbeiten!

Aktives Lesen – Die SQ3R-Methode

Was verbirgt sich hinter dem Kürzel SQ3R? Die Buchstaben stehen jeweils für einzelne Schritte, die Sie beim Lesen vornehmen sollten. Sie beziehen sich auf die Schritte »Survey – Question – Read – Recite – Review«.

Entwickelt wurde diese Methode für amerikanische Studierende von Francis P. Robinson (1961) – daher die Bezeichnungen. Auch im deutschsprachigen Raum hat sie große Resonanz gefunden (Schräder-

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Naef 1994). Es gibt darüber hinaus noch andere Lesemethoden, die jedoch im Grunde lediglich spezifische Abwandlungen der SQ3R-Methode darstellen (vgl. Stary/Kretschmer 1994). Zunächst zu den fünf Schritten des Aktiven Lesens:

S wie »Survey«

… meint, dass Sie sich zunächst einen Überblick verschaffen sollten von Ihrem Lesestoff. Dieser Schritt wurde bereits als Teil der Vorbereitung auf die Lektüre eines Buches besprochen. Er gilt in gleicher Weise auch für kürzere Einheiten wie zum Beispiel Aufsätze, Buchkapitel und Abschnitte. Prüfen Sie dabei auch, wie das Kapitel aufgebaut ist, wo die besonders informationshaltigen Abschnitte liegen, ob es sich vorwiegend um theoretische Inhalte oder statistische Daten handelt usw. Verschaf-fen Sie sich damit zunächst ein Gesamtbild des Textes. Es wirkt sich sehr förderlich auf das Lernen und Behalten aus, wenn Sie zuerst eine Grobstruktur aufbauen, die Sie anschließend mit Inhalt füllen. Sehr auf-schlussreich sind dabei die Kapitelüberschriften, die besonderen Anlass zum Fragenstellen geben. Wie differenziert Ihre Fragen zu dem Schritt S ausfallen, hängt natürlich auch von dem zweiten Schritt ab, dem Q wie »Question«.

Q wie »Question«

… sieht vor, dass Sie sich die Fragen bewusst machen, die Sie an den Text stellen wollen. Wollen Sie zum Beispiel lediglich die Grundbegriffe ken-nenlernen? Oder wollen Sie vielleicht prüfen, ob der Autor speziell zu der These oder Hypothese Ihres eigenen Themas Aussagen macht? Klären Sie Ihr spezielles Leseinteresse und formulieren Sie Ihre Fragen! Wollen Sie eine bestimmte Theorie genau und bis in die Details kennenlernen, oder genügt Ihnen ein Blick auf den theoretischen Hintergrund des Autors? Entscheiden Sie dann, welches die für Sie relevanten Abschnitte sind, die Sie unbedingt genau lesen wollen und welche Teile Sie einfach nur überfliegen wollen.

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Ihre Fragen könnten zum Beispiel lauten:

• Welche Informationen erwarten Sie?• Was wissen Sie schon über das Thema und was wollen Sie darüber

hinaus erfahren? Was wissen Sie noch nicht?• Stellen Sie, ausgehend von den Kapitelüberschriften, Fragen an den

Text:• Was sagt der Text zu Punkt A, wie ist der genaue Zusammenhang

zwischen A und B? Wie wird der Prozess Y beschrieben?

Schreiben Sie Ihre Fragen am besten auf, wenn der Text für Sie wich-tig ist und Sie die Informationen auch behalten wollen. Es fördert Ihre Konzentration beim Lesen ungemein, wenn Sie den Text mit Fragen im Kopf lesen.

R wie »Read«

… ist der nächste Schritt. Beginnen Sie erst dann zu lesen, wenn Sie Ihre Fragen geklärt haben. Nachdem Sie entschieden haben, welche Teile die für Sie relevanten sind, beginnen Sie mit der Lektüre. Nehmen Sie die Aussagen des Textes aufmerksam auf, vollziehen Sie sie nach und prüfen Sie dabei Ihre Fragen. Nicht immer werden alle Ihre Fragen beantwortet. Und manchmal finden Sie ganz neue Informationen und Aussagen, auf die Sie mit Ihren Fragen selbst noch gar nicht gekommen sind. Gehen Sie deshalb flexibel mit Ihren Fragen um, erweitern und differenzieren Sie sie beim Vorgang des Lesens. Aber tun Sie dies aktiv, indem Sie sich selbst darauf hinweisen.

Markieren Sie beim Lesen die für Sie wichtigen Stellen und auch die-jenigen, die noch unklar sind, zur weiteren Bearbeitung. Arbeiten Sie mit Farbstiften und »Markern« und machen Sie Randnotizen. Meine Emp-fehlung geht natürlich davon aus, dass Sie keine ausgeliehenen Bücher, sondern Kopien, Skripte und eigene Bücher vor sich haben!

Lesen Sie nicht zu viel auf einmal! Es sind noch weitere Lesevorgänge vorgesehen.

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R wie »Recite«

… bedeutet wiedergeben. Bevor Sie mit dem Aufschreiben begin-nen, stellen Sie sich vor die Aufgabe, in eigenen Worten zusammen-zufassen, was Sie gelesen haben. Beantworten Sie damit Ihre Fragen, trennen Sie das Wichtige vom Unwichtigen. Und schreiben Sie auf, was für Sie wichtig ist. Klären Sie, was Sie noch nicht erfahren haben, und ver suchen Sie, das, was Sie erfahren haben, zu beurteilen und ein-zuordnen: zum Beispiel ob es sich um eine bekannte Theorie oder um eine ganz neue Auffassung handelt, ob zum Beispiel nur Meinungen wieder gegeben werden oder ob eine stringente Beweisführung vorliegt usw. Schreiben Sie die für Sie relevanten Informationen anschließend auf. Fassen Sie diese möglichst kurz und knapp in Stichworten zusam-men.

R wie »Review«

Das dritte R, sieht vor, dass Sie sich die unklaren Stellen im Text noch ein-mal vornehmen und dass Sie ausgehend von Ihren Fragen und Erkennt-nissen eine vertiefende Lesekontrolle durchführen. Anschließend können Sie Ihre Notizen ergänzen.

Als Ergebnis des Aktiven Lesens haben Sie die für Sie relevanten Infor-mationen festgehalten und das Gerüst des Textes vor Augen.

Festzuhalten ist:MitderSQ3R-MethodesorgenSiedafür,

✓ dassSiegezieltundselektierendandenTextherangehen,✓ dassSiemitgeschärfterAufmerksamkeitundgebündelterKonzen-

trationlesen✓ und damit die Vorbedingung für gutes Verständnis und Behalten

schaffen.

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Auf dieser Seite finden Sie ein Merkblatt zur SQ3R-Methode, das die wesentlichen Informationen dazu kurz und knapp wiedergibt. Sie kön-nen es als Handout bei Ihrer Lesearbeit nutzen.

Aktives Lesen(SQ3R-Methode nach Robinson)

Survey:Überblickgewinnen

SichmitdemBuchvertrautmachen,ersteHinweiseüberAufbauundInhaltgewinnen.

Bei Büchern: Blick auf Klappentext, Vorwort, Inhaltsverzeichnis undEinleitung.

BeiArtikeln:AbschnitteüberfliegenundZusammenfassunglesen.

Question:FragenandenTextstellen

Welche Informationen erwarten Sie von dem Text? Warum lesen Sieihn?WelchenBezughaterzudemThema,andemSiearbeiten?Schrei-benSieIhreFragenauf!

Read:Lesen

NachvollziehenderHauptaussageneinesAbschnitts.DabeidieFragenberücksichtigen. Markieren der wichtigen oder auch unklaren StellenimText.NeueFragenmitaufnehmen.Nichtzuvielaufeinmallesen!

Recite: Rekapitulieren

Zusammenfassung des Gelesenen in eigenen Worten. Trennung vonWichtigemundUnwichtigem,dasWichtigenotieren.BezugzuanfangsgestelltenFragenherstellenundneueInformationenberücksichtigen!

Review:Wiederholung

UnklareStellennochmalslesen.WeitereVertiefungundErgänzungderNotizen.

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Fragen zur Anwendbarkeit der Methode

Wann kann man die SQ3R-Methode anwenden?

Von Studierenden werden hierzu häufiger die folgenden Fragen gestellt:

• Kann man denn Fragen an Texte stellen, wenn man den Inhalt noch gar nicht kennt?

• Ist die Methode nicht viel zu aufwendig und unökonomisch?• Kommt sie auch für Lehrbücher aus den naturwissenschaftlichen

Disziplinen, die viele Daten und Fakten sowie komplizierte Zusam-menhänge enthalten, infrage?

Ja, man kann auch dann Fragen stellen, wenn man noch nichts von dem Inhalt weiß. Man kann zum Beispiel sein Interesse klären und sich fra-gen, was man wissen möchte. Man kann von der Überschrift ausgehen und sich fragen, was einem an Assoziationen dazu einfällt oder was man hinter dem Thema vermutet.

Wenn Ihnen keine spezielleren Fragen einfallen, dann stellen Sie die klassischen W- Fragen: Was, wann, wo, wie und warum?

Dazu ein Beispiel:Angenommen, Sie stoßen zum ersten Mal auf das Phänomen der

»REM-Phase« des Schlafes (REM ist die Abkürzung von »rapid-eye-movements«). Dann könnten Sie sich als naiver Leser fragen:

• Was versteht man darunter?• Wann tritt der REM-Schlaf auf?• Worauf weist er hin?• Wie wurde er entdeckt?• Warum ist er bedeutsam?

Vielleicht fallen Ihnen dann auch weitere Fragen ein, wie zum Beispiel: »Welche andere Schlafphasen gibt es? Ist die REM-Schlafphase lebens-notwendig?« (Zur Aufklärung: Die REM-Phase mit raschen Augen-bewegungen, erhöhter Herz- und Atemfrequenz tritt in Traumphasen des Schlafes mehrmals pro Nacht auf.)

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Ist die Methode zu aufwendig?

Das ist sie nicht, wenn Sie die ersten drei Schritte ernst nehmen und genau prüfen, an welchen Informationen Sie interessiert sind, und wenn Sie dazu konsequente Entscheidungen treffen.

Sogar beim Lesen von Zeitungen ist es hilfreich und ökonomisch, gezielt mit eigenen Fragen an die Lektüre heranzugehen. Sie werden dabei eher den Mut zur Lücke aufbringen und aufmerksamer lesen. Wie leicht verliert man sich in der Lektüre, wenn man irgendwo anfängt und so lange liest, bis man keine Lust mehr hat! Natürlich können Sie dabei die Schritte »Recite« und »Review« und das Aufschreiben weglassen; es sei denn, Sie wollen die Informationen zum Beispiel für Gespräche mit anderen besser verfügbar haben. Dann empfiehlt sich zumindest ein kurzes Rezitieren. Das schriftliche Notieren ist für die Inhalte wichtig, die Sie später zusammenhängend wiedergeben müssen.

Für das Durcharbeiten von naturwissenschaftlichen Lehrbüchern empfiehlt es sich, alle Schritte des Aktiven Lesens anzuwenden.

Halten Sie sich am besten an die Empfehlung:

Stellen Sie sich zunächst allgemeine Fragen, wie zum Beispiel: »Was weiß ich noch nicht?« Probieren Sie es mit allgemeinen Kategorien – mit der Suche nach Oberbegriffen und Klassifikationen, wie zum Bei-spiel: »Zu welcher Gruppe von Vitaminen gehört dieses Vitamin – zu den fettlöslichen oder zu den wasserlöslichen?«

Ein Beispiel zur Veranschaulichung:Angenommen, Sie müssen sich Kenntnisse über die Schilddrüse im menschlichen Körper aneignen und wissen noch ganz wenig darüber, dann könnten Sie folgendermaßen herangehen:

• Was ist eine Schilddrüse? Ein Organ oder was sonst?• Woraus besteht sie?• An welcher Stelle befindet sie sich?• Welche Funktionen im Körper hat sie?

Bevor Sie noch keine Fragen im Kopf haben, sollten Sie nie mit demLesenbeginnen!

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• Welche Störungen der Schilddrüse gibt es?• Wie wirken sich diese auf den Körper aus?

Die Fragen wirken hierbei als »advanced organizer« im Sinne von David Paul Ausubel (1963; vgl. Edelmann 2000: 144), das heißt als vorstruk-turierendes Schema oder Ordnungskategorie. Sie schaffen sich damit sozusagen ein Gerüst, in das Sie die einzelnen Informationen einbauen können. Dadurch verankern Sie die Inhalte in Ihren eigenen kognitiven Strukturen und damit in Ihrem Gedächtnis.

Immer dann, wenn Sie sich Texte sehr gründlich aneignen müssen, ist die Methode besonders gut geeignet. Das Aufschreiben der wesentlichen Inhalte lässt sich, wenn Sie die Inhalte schon gut gelernt haben, zuneh-mend verkürzen und auf Stichworte und schematische Darstellungen konzentrieren.

Anwendung des Aktiven Lesens auf ein Textbeispiel

Lesen Sie den folgenden Text »Das menschliche Gedächtnis« nach der SQ3R-Methode durch. Vergleichen Sie anschließend Ihre eigene Vorge-hensweise mit dem Vorgehen im anschließenden Kommentar.

Textbeispiel:

Das menschliche GedächtnisTäglich strömen unzählige Eindrücke auf uns ein. Welche Informationen vergessen wir und welche nicht? Viele Informationen behält man nur für wenige Sekunden. Bestimmte Eindrücke behält man ein Leben lang. Woran liegt das? Eine Information, die durch ein oder mehrere Sinnesorgane aufgenommen wird, gelangt zunächst in das Ultrakurzzeitgedächtnis. Die im Gehirn entstehenden elek-trischen Schwingungen klingen nach 10 bis 20 Sekunden ab. Eine Speicherung der Information über diese kurze Zeit hinaus kommt nicht zustande, wenn kein ausreichen-des Interesse vorhanden ist, wenn keine Verknüpfungsmöglichkeit besteht oder wenn bestimmte Zusatzwahrnehmungen sich störend auswirken. Das Speichern für wenige Sekunden ist erforderlich, um schnelle Reaktionen aus-zuführen. Denken wir an unsere Reaktionen im Straßenverkehr: das Umschalten einer Ampel, die Bremsleuchten eines vorausfahrenden Wagens, das Hupen eines Verkehrs-teilnehmers. Einige Minuten später sind die Ereignisse vollkommen vergessen. Zwischen dem Ultrakurzzeitgedächtnis und dem Kurzzeitgedächtnis besteht eine Filterfunktion, die uns vor einer großen Belastung durch Informationen schützt. Das

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Kurzzeitgedächtnis kann eine Information durch willentliche Verknüpfungen für eine Zeit bis zu 30 Minuten speichern. Erst durch weitere Verknüpfungen, die man Asso-ziationen nennt, oder durch eindrucksvolle Erlebnisse gelangt eine Information in das Langzeitgedächtnis.

Aus: Knaurs moderne Psychologie von Heiner Legewie und Wolfram Ehlers (1994: 165 f.)

Kommentar zum Vorgehen:Der erste Schritt »Survey« führt zu folgender Beurteilung:

Der Text stammt aus einem populärwissenschaftlichen Lexikon der Psychologie. Es wird also auf die psychologische Seite des Gedächtnisses (im Gegensatz zum Beispiel zur physiologischen Seite) eingegangen. Der Text besteht aus vier kurzen Abschnitten. Die Abschnitte zwei und drei behandeln das Ultrakurzzeitgedächtnis. Im letzten Abschnitt werden verschiedene Gedächtnistypen bzw. Speicher unterschieden.

Fragen, die sich ausgehend von der Überschrift ergeben:

• Wie ist das menschliche Gedächtnis aufgebaut?• Gibt es mehrere Arten von Gedächtnis?• Was wird über Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis gesagt? (Wenn man

diese Unterscheidung schon kennt oder sie dem Schritt »Survey« entnommen hat).

• Welche Funktionen haben die Gedächtnistypen?• Wovon ist das Behalten abhängig?• Wie kann man für dauerhaftes Behalten sorgen?

Als Ergebnis der weiteren drei Schritte wurde der folgende Text festge-halten, der bereits in eine Struktur gebracht worden ist:

Es wird der Aufbau des menschlichen Gedächtnisses beschrieben. Danach werden drei Gedächtnisformen unterschieden:• das Ultrakurzzeitgedächtnis (UKG),• das Kurzzeitgedächtnis (KG) und• das Langzeitgedächtnis (LG).

Vielleicht war für Sie die Information neu, dass es ein Ultrakurzzeit-gedächtnis gibt. Dann könnten Sie, ausgehend von dieser Erkenntnis, zunächst dieses beschreiben und ihm dann die anderen Gedächtnis-typen gegenüberstellen.

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Die verschiedenen Speicher sind im zeitlichen Ablauf hintereinander geschaltet: Nur ein Teil der Informationen, die vom UKG aufgenommen werden, gelangt in das KG und schließlich in das LG.Das UKG speichert Informationen nur kurzfristig (10 bis 20 Sekunden)Das KG speichert länger bis etwa 30 Minuten. Es hat eine Filterfunktion.Das LG speichert dauerhaft.Ob Informationen aus den Sinnesorganen in den jeweils nächsten Speicher gelangen, hängt von dem Auftreten bestimmter psychischer Prozesse ab: nämlich, ob Interesse ausgelöst bzw. Verknüpfungen – wie zum Beispiel Assoziationen – gebildet werden.

Wie Sie die erarbeitete Struktur des Textes durch grafische Darstellung noch prägnanter und einprägsamer machen können, erfahren Sie im nächsten Kapitel.

Grafische Darstellung der Struktur – Cluster, Mind Map und Flussdiagramm

Mit einer grafischen Darstellung lässt sich der Inhalt eines Textes kom-primiert und wesentlich verkürzt darstellen. Sie gibt die Struktur eines Textes bildlich wieder. Um eine grafische Darstellung zu einem Text anfertigen zu können, müssen Sie ihn zuvor verstanden haben, das heißt, Sie müssen sich seine Struktur erarbeitet haben. Deshalb ist die Auf-gabe, einen Text grafisch aufzubereiten, ein wichtiges Instrument zum effizienten Lernen.

Für das Festhalten der wichtigsten Informationen unseres Textbei-spiels über das Gedächtnis bietet sich die relativ einfache Darstellung des Clusters (Rico 1984; 2000; Kruse 2007) an, das Sie bereits in Kapitel 5 kennengelernt haben Sie können damit die wichtigsten Aussagen zu einem zentralen Begriff geordnet darstellen, indem Sie die Begriffe und Unterbegriffe in Kreisen unterbringen und deren Zusammenhänge durch Äste und Zweige visualisieren. Die einzelnen Informationen können Sie dann in Form von weiteren Kreisen anhängen. Ausgehend von dem eben bearbeiteten Beispieltext, könnte das folgendermaßen aus-sehen (Abbildung 12):

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Wenn Sie eine differenzierte Ordnung des Inhalts herstellen wollen, dann sollten Sie eine sogenannte Mind Map anfertigen (Buzan/Buzan 2005; Kirckhoff 2003). Das könnte wie in Abbildung 13 aussehen. Dabei werden die wichtigsten Begriffe zum zentralen Thema bzw. Kern-wort durch Haupt- und Nebenäste in Form von beschrifteten Linien dargestellt. Damit wird es möglich, auch hierarchische Beziehungen wiederzugeben.

Eine weitere Darstellungsform bietet sich mit dem Flussdiagramm an (siehe Abbildung 14).

Das Anfertigen von grafischen Darstellungen verlangt von Ihnen außer dem aktiven Denken auch aktives motorisches Tun. Damit wer-den sowohl die geistige Verarbeitung als auch das Behalten gefördert. Außerdem prägen sich Bilder und grafische Strukturen dem Gedächtnis besonders gut ein. Versuchen Sie deshalb, möglichst viel von dem, was Sie gut behalten wollen, aufzumalen!

Gedächtnis

Kurzzeitgedächtnis LangzeitgedächtnisUltrakurzzeit-gedächtnis

Speicherung10–20 sec

schnelleReaktion

Speicherung30 min

Speicherungüber 30 min

InteresseVerknüpfung

Filterfunktion(Interesse)

Abbildung12:ClusterzumText»DasmenschlicheGedächtnis«

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dauerhaft3. Langzeitgedächtnis

Interesse und

Verknüpfung

über 30 min

Filter2. Kurzzeitgedächtnis

30 m

in

Interesse

schnelle

Reaktion

1. Ultrakurzzeitg

edächtn

is10

–20 sec

Gedächtnis

Abbildung13:MindMapzumText

Sinneseindrücke

FilterInteresseVerknüpfung

InteresseVerknüpfung

UKG10–20 sec

KG30 min

LG> 30 min

Abbildung14:FlussdiagrammzumText

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Methoden des strukturierenden Lernens

Bei der Prüfungsvorbereitung geht es fast immer darum, eine Menge von Informationen aufzunehmen und – da man sie später in der Prüfung wiedergeben muss – sie im Gedächtnis zu behalten. Lernen und Behal-ten wird landläufig verbunden mit dem Prinzip der Wiederholung. Aber den Lerninhalt nur zu wiederholen, ist wenig effektiv. Erst wenn Sie ihn in seinem inneren Zusammenhang erfassen und diese Struktur durch entsprechende Muster in Ihrem Gedächtnis verankern, sichern Sie das Behalten. Deshalb sollten Sie beim Lernen stets das Ziel verfolgen, die aufzunehmenden Informationen Ihres Prüfungsstoffs zu sortieren und zu ordnen, mit anderen Worten Strukturen auszubilden.

Der Vorteil des strukturierenden Lernens lässt sich sehr schön an dem folgenden Beispiel demonstrieren. Zunächst erhalten Sie eine kleine Lernaufgabe:

Lernen Sie die folgende Zahlenreihe möglichst schnell auswendig:

7 9 18 20 40 42 84

Wie viele Durchgänge haben Sie gebraucht, um die Zahlenreihe fehlerlos wiederzugeben?

Schauen Sie sich dann die Zahlenreihe noch einmal genauer an. Ver-suchen Sie nun, zuerst das logische Prinzip bzw. die Gesetzmäßigkeit zu entdecken, nach der diese Zahlenreihe aufgebaut ist. Vielleicht haben Sie das »Konstruktionsprinzip« gleich beim ersten Mal erkannt. Dann benötigten Sie vermutlich nur wenige Durchgänge, um die Zahlenreihe auswendig reproduzieren zu können. Für diejenigen, die es nicht gleich erkannt haben: das Prinzip ist »(Zahl +2) x 2«.

Wenn Sie es erkannt haben, brauchen Sie sich nur noch die Ausgangs-zahl – nämlich die Sieben – und die Anzahl der Zahlen insgesamt zu merken, und Sie können sich die Zahlenreihe ganz leicht einprägen. Mit der Entdeckung des »Konstruktionsprinzips« können Sie die gesamte Informationsmenge in Ihrem Kopf komprimiert darstellen. Sie haben damit eine sehr ökonomische Lernmethode angewendet.

Die Formel, mit der Sie die gesamte Information verkürzen, bezeich-net man auch als Codierung, das heißt die Übertragung der Information

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auf eine andere Zeichenebene. Mit Codierungen ist man in der Lage, komplexe Informationen zu organisieren, mitzuteilen und sie obendrein gut zu erfassen sowie im Gedächtnis zu speichern. Erst die Codierung macht es möglich, in die umfangreichen Wissensgebiete der Wissen-schaft einzudringen und sie sich verfügbar zu machen. Codieren ist auch das Schlüsselwort für effektives Lernen, denn beim Aufnehmen der vie-len einzelnen Informationen kommt es darauf an, sie auf das Wesentli-che zu reduzieren (Dahmer 1998).

Es gibt sehr verschiedene Codierungssysteme:

• mathematische Symbole oder Formeln, Beispiele:a2 + b2 = c2; H2O,

• bildliche Darstellungen wie Piktogramme,• grafische Darstellungen wie Diagramme,• begriffliche Abkürzungen, Beispiel:

PSR für Patellarsehnenreflex.

Sie haben mit der Formel »(Zahl +2) x 2« ein sogenanntes Superzeichen gebildet, also ein Zeichen auf der Metaebene, in dem die Einzelinforma-tionen miteinander verknüpft werden.

Sie haben auch schon vorher ein Superzeichen kennengelernt, nämlich »SQ3R«. Mit diesem Kürzel werden die Informationen über alle fünf Schritte der Methode des Aktiven Lesens in gebündelter Weise gespei-chert. Dieses Superzeichen enthält keine Gesetzmäßigkeit, sondern nur ein formales Prinzip: Es wurden die Anfangsbuchstaben der jeweiligen Schritte gewählt und außerdem nach formaler Ähnlichkeit zusammen-gefasst: die drei R.

Ein Superzeichen stellt eine Abstraktionsleistung dar: Es bildet eine Struktur und schafft Ordnung. Genau das erwartet man vom sogenann-ten strukturierenden Lernen, eine synonyme Bezeichnung für codieren-des Lernen. Wir benutzen im Folgenden den Begriff des strukturieren-den Lernens, weil er den Akzent stärker auf die kognitiven Operationen beim Lernen lenkt.

Strukturierendes Lernen ist die adäquate Methode für das Erarbeiten von theoretischen Texten. Beim strukturierenden Lernen geht es immer darum, die aufzunehmenden Informationen zu gliedern und zu ordnen.

Piktogramm

161

Die wichtigste Operation ist dabei das Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Aufgrund von gemeinsamen Merkmalen bildet man Oberbegriffe bzw. fasst Objekte in Klassen zusammen. Das Denken geht dabei von der Ebene der konkreten Erscheinungen über zu der Ebene der übergeordneten Begriffe, also vom Konkreten zum Abstrakten. Diesen Vorgang bezeichnet man als progressive Abstraktion (Dahmer 1998).

Man kann sowohl a) vertikale Gliederungen als auch b) horizontale Gliederungen vornehmen.

Im Fall a) bewegt man sich eben vertikal auf der Dimension vom Kon-kreten zum Abstrakten, wie zum Beispiel: Hammer, Zange, Schrauben-schlüssel kann man unter dem Oberbegriff Werkzeuge zusammenfassen (vgl. Abbildung 15).

Im Fall b) unterscheidet man auf der horizontalen Ebene, indem man Differenzierungen eines Begriffs vornimmt bzw. gleichgeordnete Klas-sen bildet, wie zum Beispiel: den grobmechanischen Werkzeugen die feinmechanischen gegenüberstellen.

Die häufigsten Kriterien, nach denen geordnet wird, sind die folgenden:

• formale Ähnlichkeit (Beispiel: die drei Rs siehe oben!)• inhaltliche Ähnlichkeit (Alle oben genannten Werkzeuge sind In-

strumente für die handwerkliche Ausführung von mechanischen Operationen.)

Werkzeuge

grobmechanischeWerkzeuge

feinmechanischeWerkzeuge

Hammer Zange Schrauben-schlüssel

Fräse Pinzette Lupe

horizontal

vert

ikal

Abbildung15:VertikaleundhorizontaleGliederung

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• funktionale Beziehung (zum Beispiel Ursache – Wirkung: Das Erken-nen von Prinzipien – zum Beispiel das Konstruktionsprinzip der obi-gen Zahlenreihe – ist Voraussetzung für effizientes Lernen.)

Mithilfe solcher Strukturierungen lassen sich Texte auf das Wesentliche reduzieren und dadurch im Gedächtnis gut speichern.

Anwendung des strukturierenden Lernens auf ein Textbeispiel

Wenden wir das strukturierende Lernen auf das bekannte Textbeispiel über das Gedächtnis an.

Textbeispiel:

Das menschliche GedächtnisTäglich strömen unzählige Eindrücke auf uns ein. Welche Informationen vergessen wir und welche nicht? Viele Informationen behält man nur für wenige Sekunden. Bestimmte Eindrücke behält man ein Leben lang. Woran liegt das?Eine Information, die durch ein oder mehrere Sinnesorgane aufgenommen wird, gelangt zunächst in das Ultrakurzzeitgedächtnis. Die im Gehirn entstehenden elektrischen Schwingungen klingen nach 10 bis 20 Sekunden ab. Eine Speicherung der Information über diese kurze Zeit hinaus kommt nicht zustande, wenn kein ausreichendes Interesse vorhanden ist, wenn keine Verknüpfungsmöglichkeit besteht oder wenn bestimmte Zusatzwahrnehmungen sich störend auswirken.Das Speichern für wenige Sekunden ist erforderlich, um schnelle Reaktionen aus-zuführen. Denken wir an unsere Reaktionen im Straßenverkehr: das Umschalten einer Ampel, die Bremsleuchten eines vorausfahrenden Wagens, das Hupen eines Verkehrs-teilnehmers. Einige Minuten später sind die Ereignisse vollkommen vergessen.Zwischen dem Ultrakurzzeitgedächtnis und dem Kurzzeitgedächtnis besteht eine Filterfunktion, die uns vor einer großen Belastung durch Informationen schützt. Das Kurzzeitgedächtnis kann eine Information durch willentliche Verknüpfungen für eine Zeit bis zu 30 Minuten speichern. Erst durch weitere Verknüpfungen, die man Asso-ziationen nennt, oder durch eindrucksvolle Erlebnisse gelangt eine Information in das Langzeitgedächtnis.

Aus: Knaurs moderne Psychologie von Heiner Legewie und Wolfram Ehlers (1994: 165 f.)

Wie geht man im Einzelnen vor, um das Gerüst des Textes zu erfassen? Die Informationen lassen sich folgendermaßen formal zusammenfassen:

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• Informationsblöcke bilden nach formalen Kriterien: in Abschnitte gliedern,

• thematisch gliedern: zum Beispiel Abschnittsüberschriften dazu fin-den,

• Informationsgruppen bilden: nach Teilthemen und Lernschritten gliedern,

• den Teilthemen Merkmale zuordnen und Einzelinformationen bestimmen.

Wenden wir die einzelnen Schritte auf das Textbeispiel über das mensch-liche Gedächtnis an:

• Der Text gliedert sich in vier Abschnitte.• Abschnitt 1 wirft die Frage nach dem Behalten auf.• Abschnitt 2 und 3 betreffen das Ultrakurzzeitgedächtnis (UKG):

Kurzfristige Speicherung nur 10 bis 20 Sekunden sec, wenn keine Ver-knüpfung erfolgt. Funktion: Für schnelle Reaktionen zuständig.

• Abschnitt 4 beschreibt die »drei Gedächtnisspeicher« UKG, Kurz-zeitgedächtnis (KG) und Langzeitgedächtnis (LG): unterscheidende Merkmale: Filter zwischen UKG und KG, Speicherung im KG 30 Minuten durch willentliche Verknüpfung, langfristige Speicherung im LG durch Assoziationen.

Mit diesen Schritten haben Sie den Text analysiert und übersichtlich geordnet sowie die wesentlichen Informationen dazu festgehalten. Bei der Lektüre, mit der Sie es bei Ihrer fachlichen Vorbereitung zu tun haben, wird Ihnen das Strukturieren nicht so leicht fallen wie bei unserem Textbeispiel. Lehrbücher sind zwar häufig gut gegliedert und geben die Strukturen schon weitgehend vor. Aber bei vielen anderen Büchern müssen Sie sich die Struktur erst Schritt für Schritt erarbeiten.

An dem kommentierten Beispiel lassen sich die folgenden Strukturie-rungsprinzipien aufzeigen:

• Oberbegriff bestimmen: »Es geht um Gedächtnisformen, es gibt nicht nur ein Gedächtnis.«

• Horizontale Gliederung auf dem gleichen Abstraktionsniveau: »Es werden drei Gedächtnistypen unterschieden, die unterschiedlich benannt werden.«

164

• Gemeinsamkeiten und Unterschiede hervorheben: »Den drei Gedächt-nistypen ist die Funktion der Speicherung gemeinsam, sie unterschei-den sich jedoch bezüglich der zeitlichen Dimension.«

• Formale Strukturierung: »Die Ähnlichkeit der Bezeichnungen legt die Abkürzungen nahe zu UKG, KG und LG. Eine formale Struktu-rierung liegt auch bei der Anordnung in drei Kästchen des Flussdia-gramms vor.«

• Verkürzung der Information durch Superzeichen: »Mit der Abkür-zung der Namen der Gedächtnistypen – UKG, KG und LG – werden Superzeichen gebildet.«

• Merkmale werden Begriffen zugeordnet: »Die kurzfristige Speiche-rung von 10 bis 20 Sekunden gehört zum UKG; Filterfunktion und 30-minütige Speicherung zum KG usw.«

• Vertikale Gliederung vom Allgemeinen zum Besonderen: »Die unter-scheidenden Merkmale der drei Gedächtnisspeicher werden konkret beschrieben: KG: Speicherung von etwa 30 Minuten, Absicht muss im Spiel sein usw.«

• Neue Oberbegriffe bilden: »Interesse zeigen, willentliches Verknüpfen und emotionale Erlebnisse« können unter dem neuen Oberbegriff ›psychologischer Prozess‹ zusammengefasst werden.«

• Funktionale Strukturierung: »Es wird eine Aussage über eine Ursa-che-Wirkungs-Beziehung gemacht: Behalten ist davon abhängig, ob ein aktiver psychologischer Prozess abläuft.«

Aktives Lernen durch Anfertigung von Strukturschemata

Für komplexe theoretische Inhalte, die man sich für die Prüfung gut einprägen muss, empfiehlt es sich, ihre Struktur herauszuarbeiten und sie in Form eines Strukturschemas darzustellen. Bei dem Struk-turschema handelt es sich ebenfalls um eine Art Mind Map, die sehr differenziert ausgearbeitet ist. Das soll am Beispiel verdeutlicht wer-den:

165

Der Student Leon hat für eine mündliche Prüfung in Psychologie ein Thema aus der Lernpsychologie gewählt. Er hat den Schwerpunkt auf den Vergleich zweier verschiede-ner Ansätze zur Lerntheorie gelegt, nämlich den behavioristischen und den kognitiven Ansatz. Leon hat beim Lernen die wesentlichen Zusammenhänge des Themas auch gra-fisch dargestellt, um sie sich besser verständlich zu machen und gut einzuprägen.

Abbildung 16 gibt sein Strukturschema wieder. Es enthält die hori-zontale und die vertikale Gliederung der Themen und Unterthemen. Bei der Gegenüberstellung der Theorien werden die unterscheidenden Merkmale hervorgehoben. Ausgehend von den Definitionen der beiden

Theorien

Definition

Empirie

Lernbegriffe

Lernpsychologie

KognitiveLerntheorien

BehavioristischeLerntheorien

Lernenals beobachtbare

Verhaltensänderung

Lernen alsVeränderung kognitiver

Strukturen

Konditionierungs-experimente

mit Tieren

Beobachtung undExperimente zuProblemlösenvon Menschen

KonditionierungReizsubstitutionReinforcement

Gestaltwahrnehmung,»Einsicht«, kognitive

Umstrukturierung

KlassischeKonditionierung

OperanteKonditionierung

KöhlersAffenversuche

KöhlersAffenversuche

Experimentezur Begriffsbildung

mit Menschen

Tauben-experimente

PawlowscherHund

AchsExperimente zurBegriffsbildung

ExperimentelleAnordnung

Abbildung16:StrukturschemazumThema»Lernpsychologie«

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Lerntheorien werden in komprimierter Fassung darunter die wesentli-chen Merkmale aufgeführt.

Für die Prüfung benötigt Leon auch differenziertes Wissen über die relevanten Begriffe und Konzepte. So muss er über den typischen Aufbau der Experimente zur »klassischen« und zur »operanten Konditionierung« Bescheid wissen und die zentralen Lernbegriffe kennen.

Die Anfertigung eines Schaubilds erfordert eine besonders inten-sive Form der Verarbeitung, die einer dauerhaften Verankerung im Gedächtnis zugutekommt. Große Informationsmengen lassen sich damit verkleinern und auf das Wesentliche reduzieren. Die bildliche Darstellung lässt sich auch gut als Karteikarte für eine »Lernkartei« nutzen, die man für die Wiederholungsphasen anlegen sollte. (Ich gehe darauf bei den Tipps zum besseren Behalten ein.) Wenn man sich die Struktur gut eingeprägt hat, kann man später auch die dazugehörigen einzelnen Informationen leicht abrufen. Zurück zu unserem Beispiel: Wenn Leon einmal gelernt hat, dass sich behavioristische Lerntheorien auf Konditionierung stützen, dann kann er sich auch daran erinnern, welche spezifischen Unterschiede bei den verschiedenen experimentel-len Anordnungen auftreten.

Intensivierung des Lernens durch Einsicht und Vernetzung

Sie haben bisher erfahren, dass das begriffliche Strukturieren und Ein-ordnen in Systeme das A und O beim Lernen sind. Das muss jedoch ein wenig relativiert werden. Es gibt noch andere wichtige Prinzipien, mit denen das Lernen verbessert wird: Eines davon ist das Prinzip »Entdeckung«, das sogenannte Aha-Erlebnis. Die Erkenntnis eines Zusammenhangs stellt sich manchmal ganz plötzlich ein. In einer Situation, in der Sie zuvor nichts verstanden haben oder keine sinnvolle Lösung gesehen haben, erfassen Sie auf einmal den Sinnzusammen-hang oder des Rätsels Lösung und haben »Einsicht« gewonnen.

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Nehmen wir folgendes Beispiel aus dem Bereich des problemlösen-den Denkens. Vielleicht kennen Sie die folgende Aufgabe schon. Wenn nicht, dann probieren Sie, eine Lösung zu finden, bevor Sie zur nächsten Seite umblättern:

Verbinden Sie die abgebildeten neun Punkte mit vier zusammenhängen-den geraden Linien, ohne dabei abzusetzen.

Sie werden bei dieser Aufgabe erst dann eine Lösung entdecken, wenn Sie aus dem Raster des sogenannten Hexenhäuschens ausbrechen und über seine Grenzen hinausgehen. Plötzlich wird es Ihnen ganz leicht erscheinen, mit vier Linien auszukommen. Es geht folgendermaßen:

Ähnliches kann Ihnen auch beim Erarbeiten von theoretischen Inhalten passieren. Vielleicht hat der Psychologiestudent Leon gut gelernt, nach welchen Regeln ein Experiment der klassischen Konditionierung funk-tioniert, und kann nun definieren, dass konditionierte Reize die Auf-tretenswahrscheinlichkeit von ehemals unkonditionierten Reaktionen

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erhöhen können und eine konditionierte Reaktion auslösen. Das heißt, er hat verstanden, warum der »Pawlowsche Hund« schon allein auf den Glockenton mit Speichelsekretion reagiert, ohne dass man ihm den Knochen zeigen muss. Aber die Bedeutung des Experiments wird ihm vielleicht erst dann so richtig aufgehen, wenn er beginnt, sich nach der Anwendbarkeit der Theorie auf die Praxis zu fragen, und zum Beispiel darauf kommt, dass man diese Theorie auch zur Erklärung von Phobien heranziehen kann. Konditionierung läuft nicht nur im psychologischen Labor ab, sie tritt auch in der Realität des Alltags auf. Manche Ängste, die man sich nicht erklären kann, kommen auf diese Weise zustande. So kann zum Beispiel eine Angstreaktion, die durch eine reale Bedrohung (bzw. ein traumatisches Erlebnis) ausgelöst wird, über die klassische Kon-ditionierung auch an einen Stimulus geknüpft werden, der ursprünglich ganz neutral war. So kann sich Leon zum Beispiel erklären, warum seine Freundin in dunklen Räumen heftiges Herzklopfen bekommt und es darin kaum aushalten kann, nachdem er erfahren hat, dass sie früher die Strafpredigten ihres Vaters in seinem holzgetäfelten Arbeitszimmer über sich ergehen lassen musste.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass man durch Anwendung des Wissens auf andere Bereiche oder praktische Beispiele zu einem tieferen Verständnis gelangen kann. Beim Lernen sollte man tunlichst vermei-den, das Wissen nur in Schubladen zu packen. Erst wenn man weiterge-hende Fragen stellt, Querverbindungen zieht und nach der Anwendbar-keit der Erkenntnisse fragt, gelangt man zu fundiertem Wissen.

Indem Sie mit dem neu erworbenen Wissen arbeiten und es zum Beispiel aus verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven betrachten, gelingt es Ihnen, es in Ihrem Gehirn gut zu vernetzen. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die persönliche Bedeutung, die das Thema für Sie hat. Wenn es Sie auch emotional berührt, wird es besonders leicht in Ihrem Gedächtnis gespeichert werden. Deshalb sollte sich Leon zum Beispiel die Frage stellen: »Welche Bedeutung hat der Konditionierungs-ansatz für mich als zukünftigen Lehrer?« Einen anderen Blickwinkel zum Thema könnten Sie gewinnen, indem Sie »die Rolle eines heftigen Kritikers einnehmen, der die Schwächen einer Theorie aufdecken will«. Auf diese Weise erleben Sie eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema, die auch Emotionen hervorruft. Damit machen Sie das Wissen

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für sich lebendig. Gut vernetzte Inhalte, die auch eine emotionale Bedeu-tung besitzen, haben gute Chancen, sich nachhaltig im Gedächtnis zu verankern – die beste Voraussetzung für das erfolgreiche Bestehen einer Prüfung!

Wie kann man Einsicht und Vernetzung gezielt herbeiführen?

1. Wenden Sie Ihr Wissen auf praktische Beispiele an.Bei der Information, dass Vitamin A fettlöslich ist, also im Körper nur über die Fettaufnahme resorbiert wird, kann man zum Beispiel die Frage stellen: Was bedeutet das für Vegetarier, die gänzlich auf tierische Fette verzichten? Nehmen sie zu wenig Vitamin A auf? Kommt es dadurch zu gesundheitlichen Problemen?

2. Fragen Sie sich, was an dem Wissen neu und bedeutungsvoll ist.Erinnern Sie sich an das Textbeispiel über das menschliche Gedächtnis? Wenn Sie darin zum Beispiel zum ersten Mal darauf gestoßen sind, dass es außer dem Kurzzeitgedächtnis, das Sie bereits kannten, sogar noch ein Ultrakurzzeitgedächtnis gibt, dann möchten Sie vielleicht auch gern erfahren, wie diese Form der kurzfristigen Speicherung funktioniert. Was passiert dabei im Gehirn? Na, Interesse geweckt?

3. Lassen Sie sich von anderen befragen.Gerade wenn jemand Fragen stellt, muss man unter Beweis stellen, dass man sein Wissen anwenden kann. Bitten Sie einen Freund oder eine Freundin darum, Sie zu Ihrem Thema zu befragen. Oder probieren Sie, einem Laien einen Begriff oder theoretischen Sachverhalt aus Ihrem Fach verständlich zu machen. Er wird Ihnen sicherlich viele Fragen dazu stellen. Entweder stoßen Sie bei solchen Übungen darauf, dass Sie es selbst noch nicht so richtig verstanden haben, oder Sie gewinnen den Durchblick!

4. Finden Sie einen pointierten Vergleich oder ein treffendes Bild.Finden Sie ein anschauliches Bild, das den Kern der Sache widerspiegelt, oder einen treffenden Vergleich, der die Sache auf den Punkt bringt,

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wie zum Beispiel: »Das Ultrakurzzeitgedächtnis = eine elektronische Momentaufnahme.« Die Denkaufgabe mit den neun Punkten, die durch vier zusammenhängende gerade Linien miteinander zu verbinden sind, ist für mich ein prägnantes Bild für ein Aha-Erlebnis.

5. Erfinden Sie eine Formel zu einem komplizierten Sachverhalt.Erfinden Sie eine Formel, mit der Sie die geballte Informationsmenge verkürzt wiedergeben können. Es müssen nicht gleich Formeln sein, wie Sie sie aus Mathematik und Chemie kennen.

6. Halten Sie eine Lobrede über eine Theorie.Versuchen Sie, die Theorie, die Sie gelernt haben, in ein besonders posi-tives Licht zu rücken, und halten Sie dann eine überzeugende Lobrede der Theorie. Mit dieser Aufgabe, die ich manchmal in Workshops stelle, wenn Studierende bei ihrem Thema für die mündliche Prüfung noch nicht den roten Faden gefunden haben, kann es Ihnen gelingen, dass der Zusammenhang und die Bedeutung der Theorie auf einleuchtende Weise verständlich werden.

Vielleicht haben Sie selbst noch weitere Einfälle, um einsichtsvolles und nachhaltiges Lernen zu erzeugen.

Das Behalten sichern – Empfehlungen

Die wesentlichen Bedingungen für gutes Behalten haben Sie bereits kennengelernt: das Einordnen in Zusammenhänge und Strukturen und die Vernetzung des Wissens durch bedeutungsvolle Bezüge. Außerdem spielt das Ausmaß an Aktivität, das Sie auf den Lernstoff verwenden, eine wichtige Rolle: Wenn Sie ihn nicht nur mit Ihrem Geist bearbeiten, sondern obendrein noch grafische Darstellungen anfertigen und den Inhalt auch mündlich vortragen, dann sorgen Sie für gutes Behalten. Aber leider sind diese Prinzipien noch keine hinreichenden Bedingun-gen, um das Behalten zu sichern!

Für mündliche Prüfungen wie auch für Klausuren müssen Sie das gelernte Wissen im Kopf behalten oder, wie es im Englischen heißt, »by

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heart« wiedergeben können. Außerdem können Sie davon ausgehen, dass Sie Ihr Wissen in einer Stresssituation parat haben müssen. Vermut-lich werden Sie in der Prüfung aufgeregt sein und unter Leistungsdruck stehen – Bedingungen, die das Wiedererinnern nicht gerade begüns-tigen! Weiterhin unterliegt auch das Wissen, das Sie sich durch effiziente Lernmethoden angeeignet haben, dem Einfluss des Vergessens. Auch wenn Sie beim Lernen durch das Einordnen in Strukturen und begriff-liche Systeme dafür gesorgt haben, dass der Lernstoff im Langzeitge-dächtnis gut verankert wird, so wird doch ein Teil davon wieder verloren gehen. Zum einen zerfällt die Gedächtnisspur von allein, zum anderen kommt es zu Beeinträchtigungen durch Interferenz mit neuen ähnlichen Gedächtnisinhalten. Nur durch ständiges Tun, das heißt Anwenden und Wiederholen des Inhalts, kann man auf die Gedächtnisspuren Einfluss nehmen. Bei informationsreichen Texten – und damit haben Sie es in der Regel bei Ihrer Prüfungsvorbereitung zu tun – können Sie nur durch Wiederholung absichern, dass Sie auch die Einzelinformationen und nicht nur die allgemeineren Merkmale wiedergeben können. Erinnern Sie sich nur daran, wie häufig Sie Schillers »Lied von der Glocke« wie-derholen mussten, um das Gedicht, das Sie vielleicht heute noch beherr-schen, auswendig vortragen zu können. Es führt auf jeden Fall kein Weg daran vorbei, den Stoff zu wiederholen!

Sie können dies jedoch mehr oder weniger klug anfangen. Wie die Vergessenskurve zeigt (Abbildung 17), ist zu Beginn eines Lernvorgangs,

Anteil desbehaltenenLernstoffs

Zahl derTage

Abbildung17:Vergessenskurve

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das heißt dann, wenn das Gelernte noch relativ frisch ist, der Verlust am größten, später nimmt er dann ab. Eine Verteilung der Lernarbeit über mehrere Tage erwies sich in den schon klassischen Experimenten zur Gedächtnispsychologie von Ebbinghaus gegenüber einer einzigen Lernphase an einem einzigen Tag als vorteilhafter: Es waren insgesamt weniger Lerndurchgänge erforderlich, um den Stoff fehlerfrei wieder-zugeben (Gedächtnisexperimente nach Ebbinghaus, zitiert in Foppa 1998). Erklären lässt sich dieser Effekt in zweifacher Hinsicht: Zum einen wird der starke Verlust in der Anfangsphase durch die verteilten Wiederholungen kompensiert. Zum anderen wird durch die Auftei-lung des Lehrstoffs in »kleinere Häppchen« die auftretende Interferenz (die gegenseitige Störung) von Gedächtnisspuren reduziert und damit das Behalten erleichtert. Dieser Sachverhalt wurde mit dem Schlagwort »Verteiltes Lernen ist besser als massiertes Lernen« belegt. Das sollten Sie auch bei Ihrer Arbeitsplanung berücksichtigen.

Empfehlungen zum Wiederholen und Behalten

1. Planen Sie Wiederholungsphasen frühzeitig ein.Planen Sie im Rahmen Ihres Arbeitsplans für die Prüfungsvorbereitung die Wiederholung Ihres Prüfungsstoffes von vornherein mit ein. Sehen Sie von Anfang an Wiederholungen vor, das heißt auch schon am ersten Tag. Und planen Sie auch weitere Wiederholungsphasen fest ein. Schie-ben Sie auf keinen Fall die Wiederholung Ihres Lernstoffes bis zuletzt auf. Wenn Sie im Verlauf Ihrer Prüfungsvorbereitung selbst feststellen können, dass sich Ihr Wissen zunehmend verfestigt und die Wiederho-lungsphasen ihren festen Platz in Ihrem Arbeitsplan haben, dann haben Sie nicht nur Erfolgserlebnisse, sondern entwickeln auch zunehmend Selbstvertrauen.

2. Gestalten Sie die Wiederholung aktiv – legen Sie eine Lernkartei an.Sorgen Sie für eine aktive Phase des Einprägens. Da Sie es in der Regel mit sehr umfangreichem Lernstoff zu tun haben, empfiehlt es sich, eine Lernkartei anzulegen, das heißt für die Schlüsselbegriffe und Theorien, die Sie wiedergeben müssen, jeweils eine Karteikarte anzufertigen (Acres

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1995). Halten Sie dabei jeweils die minimale Anzahl von Wörtern fest, die notwendig ist, um den Inhalt beim nächsten Mal zu Ihrem vollen Verständnis wiederzugeben. Diese Karten sollten Sie so gestalten, dass Sie Ihren individuellen Lernprozess optimal unterstützen. Machen Sie dabei Gebrauch von Grafiken und Farben.

3. Kondensieren Sie den Lernstoff und ordnen Sie ihn in eine Übersichtskartei ein.

Mit den Karteikarten sorgen Sie dafür, dass Sie den Lernstoff zuneh-mend kondensieren, also auf das Wesentliche verkürzen. So lässt er sich in Ihrem Kopf ökonomisch speichern. Sie wenden dabei das Prinzip der Superzeichen, das Sie beim strukturierenden Lernen kennengelernt haben, an. Ordnen Sie die Karteikarten in Ihre gesamte Themenüber-sicht ein, indem Sie auch Übersichtskarten anlegen. Es hat sich auch für das Wiederholen und Behalten als vorteilhaft erwiesen, von einem Gesamtüberblick ausgehend die einzelnen Bestandteile zu reproduzie-ren. Das heißt, verschaffen Sie sich zuerst die Einsicht in den Zusammen-hang Ihres Lernstoffes, bevor Sie auf die Ebene der konkreten Einzelin-formationen übergehen. Dieses Prinzip haben Sie bereits beim Aktiven Lesen kennengelernt.

4. Beantworten Sie Fragen, damit fördern Sie das Behalten.Nicht nur in der ersten Phase des erarbeitenden Lernens sollten Sie mit eigenen Fragen operieren, sondern auch beim Wiederholen. Je mehr Akti-vität Sie in die Wiederholung investieren, umso besser behalten Sie. Stel-len Sie sich Fragen und beantworten Sie diese mit eigenen Worten. Tun Sie dies mündlich, schriftlich oder sprechen Sie auf Tonband. Und lassen Sie sich von anderen abfragen. Stellen Sie sich beim Wiederholen vor die Auf-gabe, Inhalte ohne Unterstützung durch Aufzeichnungen wiederzugeben und Fragen auswendig zu beantworten. Ziehen Sie erst anschließend Ihre Notizen zum Vergleich heran. Sie kontrollieren damit den Stand Ihres Wissens und verfestigen damit gleichzeitig Ihre Gedächtnisspuren.

5. Üben Sie das Rekonstruieren von Wissen.Auch wenn Ihnen nicht gleich alles auf einmal dazu einfällt und Sie in manchen Punkten unsicher sind, bemühen Sie sich darum, das Gelernte

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zu rekonstruieren. Schauen Sie nicht zu früh in Ihre Notizen. Einiges dazu wird auf jeden Fall in Ihrem Gedächtnis gespeichert sein. Und wenn Sie nicht zu früh aufgeben, werden Sie manches auch »wieder raufholen« können. Sie lernen damit auch das Rekonstruieren von Gedächtnisinhalten und präparieren sich damit bestens für die Prü-fungssituation.

6. Verhindern Sie die Interferenzen von Gedächtnisspuren.Bei sehr ähnlichem Lernstoff kommt es beim Lernen und Wiederholen sehr leicht zu Interferenzen. Deshalb sollten Sie auch auf die Reihenfolge der Inhalte und den Wechsel von Arbeiten und Pausen achten. Das kön-nen Sie tun, indem Sie• nicht zu lange an einem schwierigen Lernstoff ähnlichen Inhalts sit-

zen, sondern ihn in kleinere Einheiten aufteilen,• zwischendurch für Pausen und entspannende Aktivitäten sorgen oder

auch• möglichst unterschiedliche Lerninhalte aufeinanderfolgen lassen.

Wenn Sie es mit einem schwer einprägsamen Lernstoff zu tun haben, sollten Sie nach dem Lernen am besten eine Schlafpause einlegen, mit der Sie für ein Minimum an Interferenz sorgen.

7. Gehen Sie mit Sportsgeist in die Wiederholungsrunden.Gestalten Sie Ihre Wiederholungsphasen angenehm und abwechs-lungsreich. Entwickeln Sie am besten eine sportliche Motivation. Das Gedächtnis will trainiert werden. Es ist kein passiver Behälter. Geben Sie ihm zu tun und stärken Sie seine Kondition! Sorgen Sie für Erfolgserleb-nisse, zum Beispiel

• indem Sie sich durch Abfragen Feedback von anderen verschaffen,• indem Sie beim Alleinlernen die bereits gut gelernten Lernkarten

deutlich sichtbar in ein Extrafach Ihres Karteikastens einordnen,• indem Sie in Ihrem Allgemeinen Plan, dem Übersichtsplan, abhaken,

was Sie bereits beherrschen,

und führen Sie sich vor Augen, dass Sie in mancher Hinsicht schon zum Experten geworden sind!

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Mit den hier vorgestellten Methoden des aktiven und strukturieren-den Lernens können Sie absichern, dass Sie mit einem in Ihrem Gedächt-nis gut verankerten Wissen in der Prüfung antreten. Diese Gewissheit wird Ihnen Zuversicht verschaffen und der Prüfungsangst den Nährbo-den entziehen.

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7 Das Training für die mündliche Prüfung und andere Prüfungsformen

Da sich bei der Mehrzahl der Studierenden die größten Ängste auf die mündliche Prüfung richten, befasst sich dieses Kapitel vorwiegend mit der adäquaten Vorbereitung auf diese Prüfungsform. Zu Ihrer Vorberei-tung sollte es gehören,

• Ihre Einstellung gegenüber Ihrem Prüfer zu reflektieren und die rich-tige Rolle zu finden,

• Ihren Prüfer kennen- und einschätzen zu lernen,• sich auf eine aktive Rolle als Prüfungskandidat vorzubereiten,• sich auch schriftlich auf Ihre mündliche Prüfung vorzubereiten und• das Prüfungsverhalten gut zu üben.

Auf diese Punkte werden wir im Folgenden eingehen.

Die Beziehung zwischen Prüfer und Prüfling

Vorbemerkung: Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich im Folgenden aus Gründen einer vereinfachenden Sprachregelung hauptsächlich von »Prüfer« und »Prüfling« spreche und die Geschlechterdifferenzierung außer Acht lasse. Dieses Begriffspaar scheint mir recht gut zu der tradi-tionellen Konstellation zu passen, die ich hier herausstellen möchte: der männliche, autoritäre Prüfer gegenüber dem noch unfertigen Neutrum Prüfling. Die Einschränkungen dieses Rollenschemas gilt es jedoch zu überwinden. Dazu werden viele Anregungen und Tipps gegeben.

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Zunächst einige Äußerungen von Studierenden, in denen sich ihre Einstellungen gegenüber Prüfern widerspiegeln:

»Heute wäre ich in der Uni meinem Prüfer beinahe in die Arme gelaufen. Ich habe viel-leicht einen Schreck bekommen! Im letzten Moment konnte ich jedoch noch beidrehen. Nicht auszudenken, wenn der mich nach meiner Prüfungsvorbereitung gefragt hätte. Mit meinem jetzigen Stand kann ich ihm noch gar nicht unter die Augen treten!«, so der Student Michael über das verhinderte Zusammentreffen mit dem Professor, der ihn prüfen wird.

»Wenn ich an meinen Prof denke, bei dem ich Prüfung habe, dann läuft es mir heiß und kalt den Rücken herunter! Ich habe gehört, dass er neulich einen Studenten in einer Prüfung dermaßen zur Schnecke gemacht haben soll, dass der anfing zu heulen. Dieser Prof soll unheimlich gemeine Fragen stellen.« Ein Bericht von Judith, Studentin der Veterinärmedizin, die ebenfalls vor einer Prüfung steht.

Berichte über Prüfer haben meist keinen erfreulichen Inhalt. Sie stellen häufig nur Variationen des einen Themas dar: der Prüfer als unerbittlich strenger Zensor und eine bedrohlich überlegene Autoritätsfigur – ein Monster sozusagen. Die Beziehung zwischen Prüfer und Prüfling ist in den seltensten Fällen lediglich funktional, das heißt durch die sachliche Aufgabe geprägt. Vielmehr scheint es eher typisch zu sein, dass die Emo-tionen von Prüflingen gegenüber ihren Prüfern vorwiegend negativ oder bestenfalls ambivalent geprägt sind:

• Das Machtgefälle zwischen den Beteiligten lässt beim Prüfling außer der Furcht vor negativer Beurteilung auch das Gefühl von Abhängig-keit entstehen.

• Gegenüber der überlegenen fachlichen Autorität des Prüfers treten im konkurrierenden Vergleich mit ihm Gefühle von Unzulänglichkeit und Unterlegenheit auf.

• Der Person des Prüfers wird eine übergroße Bedeutung zugeschrie-ben, die aus dem Wunsch nach Anerkennung und der Furcht vor Ver-letzung des Selbstwertgefühls durch seine möglicherweise negative Beurteilung resultiert.

Die Ähnlichkeit dieser Beziehungsstruktur mit dem alten Muster kind-licher Abhängigkeit und Konkurrenz gegenüber den mächtigen Eltern-figuren kann alte Gefühle aktualisieren, die auf die Person des Prüfers übertragen und projiziert werden: Der Prüfer wird zum gestrengen

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Übervater. Diese Emotionen überlagern und verstärken die sowieso schon vorhandenen Ängste, die aus der realen Anforderungssituation entstehen. Das resultierende Gemisch von Realangst und neurotischer Angst führt dann zu einer irrationalen Überbewertung des Prüfers und zu einer Dramatisierung des Geschehens (vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 1).

Diesen Zusammenhang sollten Sie bedenken, wenn Sie plötzlich hef-tige Aggressionen gegen den Prüfer, bedrückende Ohnmachtsgefühle oder andere – vielleicht zunächst unerklärliche – Gefühle verspüren. Es ist wichtig, dass Sie solche Gefühle wahrnehmen, erforschen und – vor allen Dingen – nüchtern überprüfen, ob sie der Realität angemessen sind. Andernfalls können diese Ihr Verhalten in der Prüfung beeinträchtigen.

In meinen Workshops zur Überwindung von Prüfungsangst, die auch Rollenspiele und Prüfungssimulationen, das heißt kleine fachliche Prü-fungen mit Videoaufzeichnung, enthalten, traten folgende Beispiele von »merkwürdigen« Verhaltensweisen auf:

Fallbeispiel 1Andreas war schon zum zweiten Mal durch das zweite Staatsexamen in Humanmedi-zin gefallen. Er war an den mündlichen Prüfungen gescheitert. Seiner Meinung nach war er gut für die Prüfung präpariert. Der Prüfer zeigte sich jedoch sehr unzufrieden mit seiner Leistung. Er beurteilte seine Antworten als unpräzise und nicht ausführ-lich genug. Im Verlauf des Prüfungsgesprächs war es zunehmend zum bloßen Abfragen gekommen. Andreas fühlte sich von den Fragen geradezu bombardiert und vom Prüfer schlecht behandelt. Sein Auftreten in der Gruppe wirkte hingegen sehr kompetent. Man wunderte sich sehr darüber, dass er die Prüfung nicht bestanden hatte.Bei der Prüfungssimulation, wurde jedoch Folgendes deutlich:Andreas reagierte nach einigen meiner Fragen in der Rolle als Prüferin zunehmend gereizt. Er beantwortete sie sehr knapp und unwirsch. Er vermittelte den Eindruck, dass er die Fragen als unpassend und als Zumutung empfand. Bei mir entstand Ärger, und ich hatte wenig Lust, weiterzufragen.Das Auswertungsgespräch und die Analyse der Videoaufzeichnung machte ihm erst bewusst, wie aggressiv er reagiert hatte. Bei der Erinnerung an seine tatsächliche Prü-fung wurde ihm deutlich, dass er in den Fragen des Professors Geringschätzung gespürt hatte und sich darüber geärgert hatte, dass er ihm so simple Fragen stellte. Es fiel ihm außerdem eine Parallele zu den Gesprächen auf, die er früher mit seinem Vater führen musste. Dieser fragte ihn fast täglich danach, was er in der Schule gelernt habe und examinierte ihn dann. Er hasste diese Abfragerei, hatte es aber nie gewagt, sich dieser Prozedur zu entziehen.

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Fallbeispiel 2Melanie, vor dem Staatsexamen Lehramt mit den Fächern Politologie und Germanistik stehend, reagierte auf die Fragen bei der Prüfungssimulation zunehmend einsilbig. Sie geriet ins Stocken, machte lange Pausen und verstummte dann ganz. Dabei lächelte sie freundlich. Sie schien nicht in Panik zu geraten, sondern reagierte zunehmend schwer-fällig. Es wirkte, als ob sie sich hinter einer Mauer verschanzt hätte.Im Auswertungsgespräch wurde ihr deutlich, dass sie Trotz verspürt hatte. Sie mochte einfach nicht mehr. Es widerstrebte ihr, sich mit den Fragen abzumühen. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass sie dem Prüfer sowieso nicht viel bieten konnte. Dass dabei ein Trotzgefühl aufgetreten war, überraschte sie. Ihr fiel dazu ein, dass sie ihrer Mutter gegenüber häufig mit bockigem Schweigen und Abbruch von Kommunikation reagiert, wenn sie sich über sie geärgert hat.

In beiden Fällen leuchtete es den »Prüflingen« ein, dass ihre Reaktio-nen für eine Prüfung recht ungünstig sind und auch das Verhalten des Prüfers negativ beeinflussen können. Die Erfahrung bei der Prüfungssi-mulation ermöglichte eine Änderung ihres Verhaltens.

Die Rollenbeziehung zwischen Prüfer und Prüfling soll im Folgen-den näher betrachtet werden, denn Ihr Verhalten als Prüfling wird auch ganz wesentlich davon bestimmt, wie Sie diese Rollenbeziehung inter-pretieren! Nur wenn man sich diese verborgenen Beziehungsstrukturen bewusst macht, kann man die sich daraus ergebenden Fesseln lösen.

Geht man den impliziten positiven Erwartungen nach, die hinter den »schlimmen« Befürchtungen stehen, so zeigt sich auch darin eine Über-schätzung der tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten des Prüfers. Denn in der Angst vor dem strengen und feindseligen Zensor, der es darauf anlegt, beim Prüfling Schwächen zu entdecken, ist nur zu häufig der Wunsch verborgen, er möge anders sein, nämlich wohlwollend und ein-fühlsam; er möge die richtigen Fragen stellen und darum bemüht sein, das Beste aus einem herauszuholen. Diese Charakterisierung passt zu dem Bild einer guten und übermächtigen Vaterfigur. Im Widerspruch dazu steht die gesellschaftliche Erwartung, die generell an Examina angelegt wird: Es soll der Nachweis von Tüchtigkeit, Reife und Eigen-verantwortlichkeit, der den Übergang zum Erwachsenenstatus rechtfer-tigt, erbracht werden.

Betrachten wir die Prüfung einmal aus einer völlig anderen Perspek-tive: Die Prüfung ist eine Kommunikationssituation mit bestimmten Konventionen. Zu ihr gehört eine spezifische Rollenverteilung zwischen

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Prüfer und Prüfling, für die es Verhaltensregeln gibt. Der Prüfling hat sich freiwillig zu der Veranstaltung angemeldet. Er hat die Absicht, sein Wissen zu präsentieren, und strebt eine (möglichst positive) Beurteilung durch den Prüfer an, die es ihm ermöglicht, den nächsten Schritt in sei-ner Ausbildung in Angriff zu nehmen. Er braucht den Prüfer und dessen Fragen, um sein Wissen unter Beweis zu stellen. Die Fragen bieten ihm die Gelegenheit, die Qualität seines fachlichen Verständnisses zu zeigen.

Bei dieser Sichtweise erscheint der Prüfer gar nicht mehr in der domi-nierenden Rolle. Vielmehr wird dabei der aktive Part des Prüfungskan-didaten betont. Der Prüfer ist nur mehr Zuhörer, Stichwortgeber, Inter-viewer und – natürlich auch – Beurteiler. Diese Aufgaben erscheinen aber eher komplementär. Das Machtgefälle erscheint in diesem Konzept weitgehend nivelliert.

Vielleicht kommt Ihnen diese Sichtweise unrealistisch vor, wenn Sie an Ihre Prüfer denken. Aber Vorsicht: Die Theorie, die Sie über Ihren Prüfer im Kopf haben, beeinflusst auch Ihr Auftreten und im Weiteren auch den Prüfer selbst! Darin liegt eine Gefahr, aber zugleich auch eine Chance!

Es gibt natürlich auch Prüflinge, die ihre aktive Rolle so weit übertrei-ben, dass sie den Prüfer durch einen ununterbrochenen, massiven Rede-strom an die Wand drängen und ihn daran hindern, mit Fragen aktiv zu werden. Darin liegt sicherlich nicht der Schlüssel zum Erfolg!

Das adäquate Rollenverständnis ist irgendwo in der Mitte zu fin-den: Der Prüfling hat in der Tat die aktive Aufgabe, sein Wissen zu präsentieren; er muss sich aber auch bereitwillig der Befragung des Prüfers unterziehen und an dessen Erwartungen an die Rollenbezie-hung anpassen. Anpassung muss aber nicht auf Unterwerfung hinaus-laufen! Sie verläuft in der Regel wechselseitig. Der Prüfer passt sich mit seinen Fragen dem Stil und dem Niveau des Kandidaten an. Im besten Fall läuft es auf ein Fachgespräch hinaus, in dem sich beide Partner auf gleichwertiger Beziehungsebene treffen. Im schlechtesten Fall, wo sich der Prüfling als »kleiner Schüler« präsentiert, wird er auch nach bester »Paukermanier« abgefragt. Beobachtet man daraufhin den Verlauf von Prüfungen, so wird deutlich, dass der Charakter von Prüfungen durch das Wechselspiel der Interaktion zwischen beiden Rollenpart-nern bestimmt wird. Interessante Ausführungen des Prüfungskan-

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didaten führen in der Regel dazu, dass der Prüfer abwartet und weniger Fragen stellt. Im Gegensatz dazu nötigen kurze Antworten und passives Abwarten den Prüfer dazu, sich immer neue Fragen einfallen zu lassen. Und das sind dann auch nicht immer nur solche, auf die sich der Kan-didat vorbereitet hat!

Wenn Sie sich mit Ihrem vorbereiteten Thema in der Prüfung sehr engagiert auseinandersetzen, werden Sie beim Prüfer ein anderes Echo auslösen, als wenn Sie Ihren Vortrag zu einer langweiligen Pflichtübung geraten lassen!

In meinen Workshops übernehmen die Studierenden bei der Prü-fungssimulation selbst auch die Rolle des Prüfers. Dabei wird häufig mit Erstaunen festgestellt, dass es gar nicht so leicht ist, gute Fragen zu stellen, und dass man auch als Prüfer Stress empfinden kann, wenn man seine Aufgabe besonders gut machen will. Ein Student resümierte diese Erfahrungen in dem bedenkenswerten Satz: »Prüfer sind auch nur Menschen!«

Was folgt daraus für Ihre Prüfungsvorbereitung?

1. Prüfen Sie Ihre Emotionen gegenüber Ihrem Prüfer.Das ist dann besonders wichtig, wenn sie sehr heftig und negativ aus-fallen. Versuchen Sie, eine nüchterne und sachliche Beziehung zu Ihrem Prüfer einzunehmen. Machen Sie sich bewusst, dass Sie Ihren Prüfer nicht lieben oder von ihm geliebt werden müssen. Setzen Sie sich zum Ziel, mit ihm ein Arbeitsbündnis einzugehen. Das ABC der Kognitions-analyse kann Ihnen dabei helfen, den dysfunktionalen Gedanken über den Prüfer auf die Spur zu kommen und das Verhältnis zu ihm zu ent-dramatisieren.

2. Überprüfen Sie Ihr implizites Rollenverständnis zur Beziehung zwischen Prüfer und Prüfling.Gestalten Sie Ihre Rolle als Prüfungskandidat möglichst nüchtern und sachlich. Machen Sie Ihr Verhalten nicht von vornherein von dem Ver-halten Ihres Prüfers abhängig. Klären Sie stattdessen Ihr eigenes Auf-gabenverständnis. Passen Sie es an Ihre persönlichen Möglichkeiten an. Nicht jeder fühlt sich so souverän, dass er in der Prüfung beherzt die Initiative zu einem Fachgespräch ergreifen kann. Aber je konkreter Sie

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durchdenken, wie Sie Ihren Part sowohl fachlich als auch von der Prä-sentation her aktiv gestalten können, umso eher können Sie auch in der Prüfung selbstbewusst handeln.

3. Verschaffen Sie sich Informationen über den realen Prüfer und die reale Prüferin.Prüfer sind sehr unterschiedlich! Lernen Sie Ihre Prüfer kennen – in Lehrveranstaltungen und natürlich besonders in Prüfungskolloquien. Besuchen Sie, sofern es möglich ist, offizielle Prüfungen, damit Sie sei-nen oder ihren Prüfungsstil kennenlernen, und suchen Sie sie in Sprech-stunden auf. Je besser Sie Ihren Prüfer kennen und damit auch einschät-zen können, wie er in der Prüfung reagiert, umso weniger brauchen Sie sich vor der Prüfung zu fürchten. Sie können dann auch Ihr eigenes Ver-halten besser auf ihn abstimmen.

Die Wahl des Prüfers

In den Geisteswissenschaften und in manchen sozialwissenschaftlichen Fächern haben Sie in der Regel die Möglichkeit, den Prüfer selbst zu wählen. Diese Freiheit der Wahl, um die Sie Studierende aus anderen Studienfächern, in denen die Prüfer vorgegeben sind, beneiden, führt jedoch auch zu Entscheidungsschwierigkeiten. Nach welchen Aspekten sollten Sie die Wahl des Prüfers treffen?

Den »leichten« Prüfer wählen?

Vom Hörensagen und aus der Gerüchteküche kennen Sie das Image Ihrer potenziellen Prüfer. Und es steht für Sie die Entscheidung an, ob Sie lie-ber einen anspruchsvollen und womöglich strengen Prüfer wählen oder einen, der es den Prüfungskandidaten leicht macht. Es kommt auf Ihren Ehrgeiz und Ihr Anspruchsniveau an, welchem Sie den Vorzug geben. Für manche bedeutet der schwierigere Prüfer eine positive Herausforde-rung. Aber warum sollten Sie es sich unbedingt schwer machen?! Auf jeden Fall sollten Sie dem folgenden Aspekt besondere Aufmerksamkeit schenken:

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Der fachliche Aspekt

Gehen Sie von Ihrem Interessengebiet und den Schwerpunkten aus, die Sie in Ihrem Studium gesetzt haben, und überlegen Sie, welcher Prüfer dafür infrage kommt. Sie werden viel mehr von Ihrer Prüfungsvorberei-tung profitieren, wenn Sie sich in ein Thema vertiefen, das Ihnen persön-lich wichtig und interessant erscheint. Die Verständigung in der Prüfung wird erleichtert, wenn Sie das fachliche Interesse mit Ihrem Prüfer teilen. Außerdem wird es Ihnen leichter gelingen, aus der Prüfung ein sinnvol-les Fachgespräch zu machen, wenn Sie mit dem Thema gut vertraut sind und Spaß daran haben.

Sympathie und Wertschätzung

Wie in allen zwischenmenschlichen Beziehungen spielt natürlich auch bei der Konstellation Prüfer und Prüfling die Sympathie eine Rolle. Aber überschätzen Sie diesen Faktor nicht. »Wertschätzung der Per-son« halte ich für die bedeutendere Voraussetzung. Sie sollten Ihren Prüfer wertschätzen können, das heißt ihn als Mensch gut akzeptieren können. Zu viel Hochachtung und Respekt vor seiner Autorität ist mög-licherweise nicht die beste Voraussetzung, um Ihre eigenen Fähigkeiten adäquat zum Vorschein zu bringen. Wenn er Ihnen andererseits »gar nicht liegt«, dann werden Sie vielleicht nur wenig engagiert auftreten können. Wenn Sie zum Beispiel zu einem ausgesprochen »nonkonfor-mistischen« Stil bezüglich Sprache, Auftreten und Kleidung neigen, dann werden Sie vermutlich mit einem ausgeprägt konservativen Prüfer, der Wert auf konventionelle Formen legt und von Ihnen in der Prüfung den dunklen Anzug erwartet, nicht glücklich werden.

Die kommunikative Ebene

»Den Prüfer zu mögen«, ist viel weniger wichtig als der folgende Grundsatz: Die Kommunikation muss stimmen! Sie sollten »einen guten Draht« zu Ihrem Prüfer haben. Das setzt voraus, dass Sie einen ähnlichen Denkstil haben bzw. dass die Divergenz zwischen Ihnen nicht zu groß ist. Wenn Sie zu einem eher intuitiven und assoziativen Denk-stil neigen, dann suchen Sie sich lieber keinen Prüfer aus, der für seine

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gründlichen und scharfen Analysen bekannt ist. Am besten, Sie testen diesen Aspekt empirisch! Probieren Sie vor der Prüfung aus – zum Bei-spiel in einer Lehrveranstaltung bei ihm oder in seiner Sprechstunde –, ob Sie mit Ihrem Prüfer gut diskutieren können.

Den Prüfer kennenlernen

Nutzen Sie auf jeden Fall die vorhandenen Kontaktmöglichkeiten, um Ihren Prüfer näher kennenzulernen und ihn dann besser einschätzen zu können. Suchen Sie ihn in seiner Sprechstunde auf und testen Sie sein Interesse an Ihren Vorschlägen und sein Eingehen auf Ihre Fragen. Falls Sie Hemmungen haben, machen Sie sich klar, dass es zu den regulären Aufgaben eines Profs gehört, Examenskandidaten zu beraten.

Auch für den ersten Kontakt mit ihm sollten Sie sich schon gut vor-bereiten. Treten Sie mit einem ersten Konzept Ihres Prüfungsthemas an. Außerdem sollten Sie Ihre Fragen an ihn parat haben – am besten schriftlich notiert. Ihr Auftreten bei diesem ersten Besuch wird bei Ihrem Gesprächspartner bereits einen ersten Eindruck von Ihnen hin-terlassen. Es wird seine Erwartungshaltung nicht sehr positiv beeinflus-sen, wenn Sie sich dabei als völlig uninformiert erweisen.

Eine gute Wahl verlangt Vorarbeit

Recherchieren Sie vorher, auf welchen Gebieten Ihr Prüfer seine Schwer-punkte hat, damit Sie nicht auf peinliche Überraschungen stoßen. Wenn Sie als Soziologiestudentin ein »Fan« von Habermas und Adorno sind und die »Kritische Theorie« zum Thema machen wollen, dann sollten Sie sich nicht einen Experten für empirische Sozialforschung als Prüfer aussuchen.

Für die Besprechung im Vorfeld der Prüfung sollten Sie ein schriftli-ches Konzept zu Ihrem Thema erarbeiten, mit dem Sie erkennen lassen, dass Sie sich bereits eigene Gedanken dazu gemacht haben. Legen Sie dabei auch Alternativvorschläge vor und bleiben Sie offen für die Vor-schläge Ihres Professors.

Es ist immer günstiger, ein »Paper« auszuhändigen, auf dessen Grundlage man diskutieren kann, als nur auf das mündliche Gespräch zu vertrauen. Das setzt aber auch voraus, dass Ihr Paper gut lesbar und

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schnell zu erfassen ist, also die wichtigsten Stichworte zu Ihrem Thema enthält. Auf einer solchen Grundlage können Sie fundiert testen, ob Sie mit Ihrem zukünftigen Prüfer gedanklich harmonieren.

Ein Prüfungsvorgespräch führen

Wenn Sie Ihre Wahl getroffen und mit Ihrem Prüfer den Rahmen des möglichen Prüfungsthemas abgesteckt haben, sollten Sie auf jeden Fall kurz vor der Prüfung mit ihm noch ein Prüfungsvorgespräch durch führen. Dabei können Sie erkunden, worauf er seine Schwer-punkte legen will, und Anhaltspunkte dafür gewinnen, wie er in der Prüfung vorgehen wird. Verzichten Sie auch dann nicht darauf, wenn Sie gehört haben sollten, dass ihm Gespräche mit Prüfungskandida-ten lästig sind. Setzen Sie stattdessen Ihren Ehrgeiz in eine gründliche Vorbereitung.

Was gehört im Einzelnen zu einer guten Vorbereitung?

• Legen Sie eine Literaturliste vor mit der Literatur, die Sie intensiv bearbeitet haben. An dem Punkt sollten Sie nicht bluffen, sondern aufrichtig sein!

• Verfassen Sie ein Thesenpapier, das die wichtigsten Denkschritte zu Ihrem Thema enthält. Beschreiben Sie die Fragestellung, die Sie untersuchen wollen und machen Sie deutlich, mit welchen theoreti-schen Ansätzen Sie sich befassen wollen.

• Ordnen Sie Ihre Fragestellung in einen größeren Zusammenhang ein, zum Beispiel indem Sie diese in den Rahmen einer allgemeineren Theoriediskussion stellen oder den Bezug zum aktuellen Stand einer politischen Diskussion herstellen.

• Geben Sie eine Begründung dafür, warum Sie sich mit diesem Thema bzw. diesen Aspekten zum Thema befassen wollen, und warum Sie diese methodische Vorgehensweise gewählt haben und nicht eine andere.

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Prüfungen ohne Wahlmöglichkeit

Was tun, wenn Sie als Prüfling »keine Wahl haben«? Auch im Zusam-menhang mit jenen Prüfungen, bei denen Sie keine Themenschwer-punkte und auch nicht den Prüfer wählen können, gibt es Möglich-keiten, wie Sie mit einem Professor, den Sie noch zu wenig kennen, ins Gespräch kommen können. Versuchen Sie es mal mit einer fachlichen Frage, die sein Spezialgebiet berührt. Aber auch hierfür gilt das Motto: Gute Vorbereitung zahlt sich aus!

Wenn es in Ihrem Fach wegen der großen Zahl von Prüfungen gänz-lich unüblich ist, den Prüfer aufzusuchen, sollten Sie sich andere Möglich-keiten einfallen lassen, wie Sie es schaffen, »an ihn heranzukommen«. Manchmal ergibt sich die Gelegenheit zu einem Gesprächskontakt im Anschluss an eine Lehrveranstaltung. Wenn Sie dabei Hemmungen haben, denken Sie daran, dass Sie es sich mit diesem Schritt erleichtern können, auch in der Prüfung besser »Fuß zu fassen«.

In manchen Fachbereichen ist es möglich, von sogenannten Prüfungs-mappen mit Protokollen von früheren Prüfungen zu profitieren, die von Fachschaften oder sonstigen studentischen Gruppen angelegt werden. Wer sich eine Mappe ausleiht, muss sich verpflichten, nach seiner Prü-fung ebenfalls ein Protokoll abzuliefern. Auch wenn diese Protokolle häufig sehr subjektive Berichte enthalten, weisen sie doch auf mancherlei wichtige Punkte zum Verhalten des Prüfers und zu den geprüften Inhal-ten hin.

Wenn Sie allerdings merken, dass Sie Ihrem unbekannten Prüfer gegenüber sehr problematische Gefühle haben, dann sollten Sie ihn auf jeden Fall in seiner Sprechstunde aufsuchen und Ihre Gefühle in der Realität überprüfen. Vielleicht können Sie mit ihm sogar darüber reden. Falls Ihnen das gänzlich unmöglich ist, besteht die Möglichkeit, die Psy-chologische Beratung an Ihrer Hochschule aufzusuchen. Im Gespräch mit einem Psychologen bzw. einer Psychologin werden Sie sicher Anre-gungen dafür finden, wie Sie zu einem sachlicheren Verhältnis Ihrem Prüfer gegenüber gelangen können.

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Die mündliche Prüfung aktiv gestaltenDie mündliche Prüfung entspricht, wie eben festgestellt wurde, einem Rollenspiel mit festgelegten Rollenerwartungen. Die Rollen sind dabei nicht oder nur sehr begrenzt austauschbar zwischen Prüfer und Prüfling. So kann Ihr Professor nicht einfach aus der Rolle ausbrechen und einen Vortrag halten, in der Meinung, dass er sich mit dem Thema sowieso besser auskennt als Sie. Der Prüfer muss seine Rolle so spielen, dass er seine Aufgabe erfüllen kann, nämlich die, das Wissen des Kandidaten zu prüfen und zu beurteilen. Er kommt also nicht umhin, Fragen an den Prüfling zu richten.

Auch der Prüfling kann nicht einfach den Prüfer interviewen, obwohl es manch einen reizen würde, »den Spieß umzudrehen«. Es wird aller-dings auch von Fällen berichtet, in denen der Prüfer in der Prüfung mehr erzählt hat als der Prüfling und dieser den Prüfer durch gezieltes Nach-fragen dazu bringt, sich über sein »Lieblingsthema« auszubreiten. Das kommt vielleicht tatsächlich vor – ist aber sicher die Ausnahme von der Regel.

Aber die beiden Rollen sind nicht so weit festgelegt, dass es keinen Gestaltungsspielraum gäbe. Manchmal berichten Studierende ganz freudig über eine absolvierte Prüfung, die sich zu einem richtigen Fach-gespräch entwickelt hat. Auch das ist also möglich, dass sich die Prüfung zu einem befriedigenden Beispiel fachlicher Kommunikation ent-wickelt! Verwunderlich ist dies nicht, denn in Prüfungen werden nicht bloß Erkenntnisse und Theorien wiedergegeben, sondern auch von ver-schiedenen Positionen her beurteilt. Damit werden auch viele Fragen aufgeworfen, nicht nur »künstliche« Prüfungsfragen, an denen keiner der Beteiligten jenseits der Prüfungssituation ernsthaft interessiert ist, sondern auch echte Fragen, die über den engeren Rahmen hinausgehen und die das Nachdenken wert sind.

Manche Prüfer legen es von sich aus darauf an, die Prüfung zu einem Gespräch zu machen. Aber darauf sollten Sie sich nicht verlassen. Sie als Prüfungskandidat können – und sollten! – selbst einiges tun, um die Prüfung zu einer sinnvollen Veranstaltung werden zu lassen. Sobald Sie den ausgetrampelten Pfad des »Reproduzierens von Grundwissen« ver-lassen und eigene Gedanken und Fragen in den Raum stellen, machen

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Sie dem Prüfer implizit das Angebot, sich mit Ihnen auf ein Gespräch einzulassen. Allerdings müssen Sie darauf vorbereitet sein!

Es ist nicht jedermanns Sache, den Prüfer zu einer fachlichen Dis-kussion herauszufordern. Darauf muss es auch nicht unbedingt hinaus-laufen! Aber Sie sollten auf jeden Fall das Ziel verfolgen, in der Prüfung darzustellen,

• dass Sie »Ihre Sache verstanden haben« und• dass Sie selbst denken können, das heißt, dass Sie Zusammenhänge

herstellen, Begriffe einordnen und auf Beispiele anwenden können.

Damit werden allein schon genügend Fragen aufgeworfen, auf die es einzugehen lohnt. Prüfer sind in der Regel recht froh darüber, wenn die Prüfung nicht zu einer öden Pflichtübung wird. Sie freuen sich über Prü-fungskandidaten, die die Aufgabe des Präsentierens von Wissen beherzt und aktiv in die Hand nehmen. Ihre Fragen sind häufig so gemeint, dass sie den Prüflingen einen Faden zuspielen in der Hoffnung, dass diese ihn »weiterspinnen« und verknüpfen.

Deshalb sollten Sie die Fragen des Prüfers als Gelegenheit dazu nut-zen, Ihr vorbereitetes Wissen anzubringen! Das sollte allerdings nicht auf bloßes Abspulen von »Versatzstücken« hinauslaufen! Seine Fragen sollten Sie ernsthaft aufgreifen und mit Ihrem verfügbaren Wissen zu beantworten versuchen. Auch wenn Ihr Prüfer in mancher Hinsicht nur Stichwortgeber ist, ist er andererseits doch auch Ihr Gesprächspartner, der ernst genommen werden möchte. Am besten, Sie stellen sich von vornherein auf einen Dialog ein!

Bei Staatsexamina haben Sie in manchen Fächern sogar mehrere Prü-fer vor sich sitzen; und es empfiehlt sich, die beteiligten Personen mit einzubeziehen, zumindest indem Sie Blickkontakt mit ihnen aufnehmen und sich ihnen gegenüber gesprächsbereit zeigen.

Nutzen Sie den Gestaltungsspielraum für das Prüfungsgespräch vor allem, indem Sie Angebote machen: Angebote, mit denen Sie die Bedeu-tung von Erkenntnissen darstellen, auf wesentliche Aspekte hinweisen, auf Konsequenzen aufmerksam machen und dergleichen mehr (vgl. Adl-Amini 1992). Damit können Sie das Interesse Ihrer Zuhörer wecken – und nicht nur das! –, Sie können damit gleichzeitig bestimmte Fragen nahelegen und steuern so den Prüfungsverlauf. Auf diese Weise werden

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GehenSieaufjedenFalldavonaus,dasseseinenGestaltungsspielraumfür die mündliche Prüfung gibt, den Sie als Prüfungskandidat durchaktiveAngebotenutzenkönnen.

Sie zu einem Akteur des Geschehens – eine Rolle, die im krassen Gegen-satz zur Opferrolle steht, in die sich manche Prüflinge unnötigerweise hineinmanövrieren.

Aber Vorsicht: Bleiben Sie auch offen für unerwartete Wendungen, denn der Prüfer hat auf jeden Fall das Vorrecht bei der Steuerung der Prüfung! Es gibt nach wie vor Prüfungsstile, bei denen das »Abtesten« von breitem Wissen im Vordergrund steht und der Prüfer bestrebt ist, möglichst viele Fragen zu stellen. Das gilt zum Beispiel für naturwis-senschaftliche und medizinische Fächer. In solchen Fällen gilt es, sich flexibel anzupassen. Jedoch ist eigenes Denken und Bekunden von Sach-interesse bei jeder Form von Prüfung gefragt!

Was Sie im Einzelnen dazu tun können, erfahren Sie in den folgenden Kapiteln.

Ein Skript für das Prüfungsgespräch vorbereiten

Die folgenden Empfehlungen gelten insbesondere für den Typ von Prü-fung, bei dem Sie ein selbst gewähltes Thema vorstellen können. In man-chen Studienfächern ist vorgesehen, dass der Prüfungskandidat zunächst einen kleinen Vortrag von fünf bis zehn Minuten Dauer halten kann, bevor er sich den Fragen stellt. Häufig beginnt jedoch der Prüfer, indem er eine Eröffnungsfrage stellt, die dem Kandidaten ebenfalls die Gelegenheit gibt, in sein Thema einzuführen und es zu entfalten. Diese Eröffnungsfra-gen sind meist allgemein und offen formuliert; sie zielen zum Beispiel auf die Einordnung des Themas in einen allgemeinen Kontext ab oder fragen nach dem Motiv für die Wahl des inhaltlichen Schwerpunkts.

Für eine gute Präsentation, mit der Sie Ihrem Prüfer ein interessantes Angebot zum Gespräch machen und ihn zu bestimmten Fragen ver-

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anlassen wollen, benötigen Sie zuallererst ein Konzept für die inhaltliche Darstellung.

Der häufigste und bedeutsamste Fehler, den Prüfungskandidaten in mündlichen Prüfungen machen, ist der Mangel an Strukturierung. Es fehlt ihnen meist nicht an Wissen, ganz im Gegenteil; ein Prüfer im Fach Germanistik drückte es folgendermaßen aus: »Sie lernen zu viel und zu wenig.« Damit meinte er: Sie lernen zu viel ungeordnetes Wissen und zu wenig strukturiertes Wissen. Man kann in Prüfungen häufig beob-achten, dass Prüfungskandidaten – kaum, dass das Gespräch durch den Prüfer eröffnet ist – »lossprudeln« und nicht mehr zu bremsen sind, oder dass sie Berichte in epischer Breite vortragen und ihre gesammelten Kenntnisse in simpler Aneinanderreihung darbieten.

Es wird jedoch vom Prüfungskandidaten viel mehr erwartet als das; er soll nämlich

• sein Wissen in Zusammenhänge einordnen,• Begriffe richtig verwenden und gegebenenfalls definieren und• auf Beispiele anwenden.

Das läuft insgesamt auf den Anspruch hinaus, dass er mit seinem Wissen kompetent umgehen kann.

Nehmen wir ein Beispiel dazu: Wenn sich eine Studentin der Ger-manistik als Schwerpunkt die »expressionistische Lyrik« gewählt hat, dann sollte sie, wie ein von mir befragter Germanistikprofessor dazu aus-führte, Folgendes wissen:

• Sie sollte wissen, wie und nach welchen Kriterien der gewählte Schwerpunkt eingegrenzt werden kann,

• sie sollte die expressionistische Lyrik in den literaturhistorischen Zusammenhang einordnen können,

• sie sollte die wichtigsten Lyriker dieser Zeit und ihre Gedichte kennen,• sie sollte über den zeitgeschichtlichen Hintergrund informiert sein,• sie sollte Auskunft geben können über die Schreibweise der Autoren,

über ihre Themen und Motive und diese an Beispielen erläutern kön-nen,

• sie sollte sie von anderen Richtungen der Lyrik, wie der neoklassizisti-schen und der symbolistischen Richtung, abgrenzen können, und

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• sie sollte sie in den Zusammenhang mit anderen Literaturgattungen, wie zum Beispiel dem expressionistischen Drama, bringen können.

Um auf alle diese Aspekte eingehen zu können, benötigt die Prüfungs-kandidatin ein gut ausgearbeitetes Konzept, das sie nicht nur im Kopf haben sollte. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, als Grundlage für die mündliche Prüfung ein Skript zu erarbeiten, das das Gerüst ihres Vor-trags enthält. Die folgenden Fragen und Empfehlungen verhelfen Ihnen zu einer solchen Struktur.

• Ziel und Absicht der Darstellung bestimmen. Was wollen Sie in den Mittelpunkt stellen? Welche Fragen wollen Sie

klären? Worin besteht die Aufgabe Ihres Prüfungsvortrags? Wollen Sie eine Streitfrage aufwerfen? Einen Vergleich zwischen Theorien durchführen? Texte interpretieren und analysieren?

• Formulieren Sie eine Kernaussage zum Inhalt. Fassen Sie darin die Essenz Ihres Vortrags kurz und knapp zusammen.

Das lässt sich auch bei umfangreichen und komplexen Themen schaf-fen! Die zentrale Aussage sollte alle Teilargumente enthalten.

• Lassen Sie sich einen Slogan einfallen. Erfinden Sie wie in der Werbung einen Spruch, der Ihre zentrale Aus-

sage pointiert zusammenfasst. (Zum Thema der expressionistischen Lyrik könnte sich die Studentin einfallen lassen: »Zersplitterung der Wirklichkeit und Aufspaltung des Ichs«.)

• Fertigen Sie eine komprimierte Fassung aller wichtigen Aussagen zu Ihrem Thema an.

Das Skript sollte nicht mehr als vier bis sechs Seiten umfassen. Sorgen Sie dabei für einen guten Aufbau Ihrer Argumentation. Bringen Sie Ihre Argumente oder Aspekte in eine Struktur.

• Antizipieren Sie die Fragen des Prüfers. Welche Fragen sind zu erwarten? Schreiben Sie diese Fragen auf. Sie

können Ihnen sowohl für die weitere Bearbeitung Ihres Themas als auch für das mentale Training, auf das ich später eingehen werde, nützlich sein.

• Bringen Sie abschließend die Struktur Ihres Vortrags auf einem einzigen Blatt unter.

Es soll Ihnen als Gedächtnisstütze dienen, sodass Sie das Wesentliche

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»auf einen Blick« parat haben. Das lässt sich sehr gut in Form einer Mind Map darstellen (vgl. Kapitel 6). Sie kann Ihnen auch kurz vor der Prüfung gute Dienste leisten.

Eine solche Ausarbeitung erlaubt es Ihnen, Ihr Wissen gut strukturiert darzustellen und Ihre Gedanken in einem sachlogischen Zusammen-hang zu entwickeln. Damit erfüllen Sie die wichtigsten Anforderungen, die an eine gute Prüfungsleistung gestellt werden. Gleichzeitig verfügen Sie über die notwendige Basis, um flexibel mit Fragen umzugehen und den Gestaltungsspielraum des Prüfungsgesprächs aktiv zu nutzen.

Zusammenfassung: Tipps für die aktive Gestaltung

Im Folgenden finden Sie konkrete Anregungen, wie Sie das Prüfungs-gespräch aktiv gestalten und wichtige Beurteilungskriterien erfüllen können. Sie sollten sie unbedingt mit in Ihre Prüfungsvorbereitung auf-nehmen.

1. Als oberste Regel gilt: Machen Sie aus der Prüfung ein Fachgespräch.Machen Sie mit Ihrer Darstellung ein Angebot an den Prüfer, indem Sie Ihm einen wohl vorbereiteten roten Faden zuspielen. Führen Sie dazu in Ihre eigenen Gedanken und Fragestellungen ein. Werfen Sie selbst Fragen auf und nutzen Sie die Fragen des Prüfers dazu, Ihr eigenes Wis-sen anzubringen. Beschränken Sie sich nicht auf Kurzantworten. Damit schreiben Sie ihm nur die dominierende Rolle zu.

2. Denken Sie sich einen geschickten Anfang aus.Verhindern Sie, dass es am Anfang zu einem bloßen »Herumstottern« kommt, weil Ihnen zu der allgemeinen Eröffnungsfrage Ihres Prüfers nichts einfällt. Überlegen Sie sich einen guten Einstieg in Ihr Thema. Nutzen Sie Ihre Einführung dazu, bei Ihrem Gesprächspartner Interesse zu wecken, vielleicht sogar Neugier. Geben Sie ihm eine klare Linie an die Hand, indem Sie in den Aufbau Ihres Vortrags einführen und eine bestimmte Argumentation entwickeln. Sie können Ihren Gesprächs-partner dadurch neugierig machen, dass Sie »eine bestehende Kontro-

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verse aus einer neuen Sicht« angehen oder »begründen, für welchen praktischen Zusammenhang Ihre Auseinandersetzung mit der Theorie wichtig ist«.

Am besten formulieren Sie Ihren Einstieg in das Thema schriftlich aus. Das kann Ihnen sehr gut über die Aufregung, die am Anfang beson-ders groß ist, hinweghelfen.

3. Formulieren Sie präzise.Es wird von Ihnen erwartet, dass Sie Ihre Ausführungen auf jeden Fall präzise, das heißt korrekt und logisch ineinandergreifend, darstellen. Das ist das Gegenteil von sprunghafter und assoziativer Darstellung, bei der Sie Gedankenschritte schlicht voraussetzen oder gar überspringen. Umreißen Sie den Zusammenhang, in dem Ihre These steht, und ent-wickeln Sie eine klare Disposition für Ihre Darstellung. Halten Sie sich selbst an Ihre Argumentationslinien, indem Sie wieder darauf zurück-kommen – auch dann, wenn unerwartete Fragen Sie auf ein Nebengleis geführt haben.

Formulieren Sie so klar wie möglich und so ausführlich wie nötig. Vorsicht vor zu großer Weitschweifigkeit. Wenn eine Frage des Prüfers zu früh kommt, das heißt, noch bevor Sie einen bestimmten Aspekt oder Zusammenhang erläutert haben, dann können Sie diese auch zurückstel-len, indem Sie freundlich sagen: »Ich würde gern noch kurz den Punkt A ausführen, bevor ich auf Ihre Frage eingehe. Sie lässt sich in diesem Zusammenhang gut beantworten.«

4. Halten Sie Ihre Argumentationslinien ein.Manche Prüfungsgespräche entwickeln eine eigene Dynamik, die nicht immer zugunsten Ihrer Vorbereitung ausfällt. Wenn Sie jedoch darüber frustriert sind, dass Sie mit Ihren Gedankengängen nicht zum Zuge gekommen sind, dann sollten Sie zumindest probieren, einen Bezug zu Ihrer vorbereiteten Argumentationslinie herzustellen, indem Sie zum Beispiel sagen: »Auf diese Frage könnte man auch von der Position aus eingehen, die ich vorhin umrissen habe, nämlich …«, oder: »Ich würde diesen Punkt gern nochmal in den Zusammenhang meiner These stellen …«. Aber es muss sich auch tatsächlich ein sinnvoller Zusammenhang herstellen lassen. Wenn Sie jedoch eine »Brechstange ansetzen« müss-

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ten, um das Prüfungsgespräch wieder auf die von Ihnen gewünschte Bahn zu lenken, dann sollten Sie es lieber lassen!

5. Wählen Sie die adäquate Sprache.Formulieren Sie nicht zu salopp. Die normale Umgangssprache – womöglich im gewohnten Dialekt – ist fehl am Platze. Es wird von Ihnen erwartet, dass Sie sich auf Hochdeutsch ausdrücken, in ganzen Sätzen reden und außerdem die Fachsprache anwenden. Das muss nicht auf druckreife Formulierungen und eine gestelzte Wortwahl hinauslau-fen. Aber Sie sollten Fachtermini anwenden können, einen Sachverhalt in den Begriffen einer Theorie erklären können und manchmal auch wichtige Aussagen im Originaltext wiedergeben können. Insgesamt gesehen ist eine variable Redeweise durchaus erwünscht: Sachlich prä-zise Ausführungen lassen sich ergänzen durch anschaulich geschilderte Beispiele, die Sie natürlich auch in Ihrer normalen Alltagssprache aus-drücken können.

6. Bieten Sie unterschiedliche Auffassungen und Interpretationen an.Viele wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich aus verschiedenen Blick-winkeln und aufgrund verschiedener Theorieansätze recht unterschied-lich interpretieren. Deshalb hüten Sie sich davor, so etwas wie »bewie-sene Tatsachen« oder »Wahrheiten« herausstellen zu wollen. Machen Sie stattdessen deutlich, dass Sie mit hypothesengeleitetem Denken und mit vielfältigen Aspekten an die Erklärung von Phänomenen oder Prob-lemen herangehen können. Versuchen Sie, den Prüfer mit Ihrer Interpre-tation zu einer Diskussion einzuladen. Zeigen Sie, dass Sie Fragen auch problematisieren können.

7. Vorsicht bei Meinungsäußerungen und Kritik!In der Prüfung geht es nicht in erster Linie um Meinungen und Beurtei-lungen, sondern es stehen Erkenntnisse und Theorien im Vordergrund. Aber es wird auch nicht erwartet, dass Sie mit Ihrem Urteil gänzlich hinter dem Berg halten und auf eine eigene Stellungnahme verzichten. Sie sollten Ihre Meinung jedoch nicht vorschnell und in apodiktischer Form anbringen. Schließlich besteht Ihre Aufgabe in der Prüfung ja auch darin, dass Sie Auffassungen und Meinungen diskutieren, also

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Meinungen infrage stellen und das Für und Wider kritisch abwägen. Es wird durchaus positiv bewertet, wenn Sie Beurteilungen abgeben, die Sie argumentativ begründen, indem Sie dazu wissenschaftliche Erklärungs-ansätze und Ergebnisse heranziehen. Stellen Sie sich aber lieber zuerst auf den Boden der Wissenschaft, bevor Sie eine persönliche Meinung abgeben.

Hüten Sie sich ebenfalls vor vorschneller, abwertender Kritik. Wenn Kritik das Resümee einer gründlichen Analyse darstellt, dann ist dage-gen nichts einzuwenden. Falls sie jedoch lediglich auf eine persönliche Abneigung zurückzuführen ist, wird Ihnen das keine Pluspunkte brin-gen. Ein Beispiel dazu: Wenn Sie der Meinung sind, dass Skinners Lern-theorie eine simple reduktionistische Theorie ist, die lediglich auf Tiere, wie Ratten und Tauben, zugeschnitten ist, so sollten Sie dies in der Prü-fung nicht an den Anfang stellen. Sie sollten vielmehr zuerst darstellen, worin die zentralen Aussagen dieser Theorie bestehen, in welchem Maße sie die Veränderung von Verhalten erklären kann und zu welchen prak-tischen Anwendungen sie geführt hat. Anschließend können Sie auf den begrenzten Geltungsbereich dieser Theorie eingehen und sich damit kri-tisch auseinandersetzen.

8. Ein eigenes Spezialthema anklingen lassen.Falls Sie ein Spezialthema haben, das nicht Teil des eigentlichen Prü-fungsthemas ist und das Sie gut beherrschen, sollten Sie versuchen, die-ses anzubieten, indem Sie es geschickt anklingen lassen. Ebenso könnten Sie, wenn Sie mit dem Spezialgebiet, auf dem Ihr Prüfer arbeitet, gut ver-traut sind, Fragen darauf richten und damit das Ziel verfolgen, ihn für eine Diskussion zu gewinnen. Beides setzt jedoch ein gewisses Maß an Souveränität voraus. Aber auch Souveränität lässt sich lernen!

Die folgenden Empfehlungen beziehen sich auf den unmittelbaren Umgang mit Fragen des Prüfers:

9. Antworten Sie mit Überlegung – nehmen Sie sich die notwendige Zeit dafür!

Es ist nicht ratsam, »wie aus der Pistole geschossen« zu antworten. Klüger ist es, erst zu denken und dann zu reden. Legen Sie sich zuerst

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blitzschnell eine Kurzgliederung zu Ihrer Antwort zurecht und zeigen Sie, dass Sie die Frage in einen Zusammenhang stellen können. Es macht einen günstigen Eindruck, wenn Sie Ihre Antwort mit einer Gliederung beginnen, wie zum Beispiel folgendermaßen: »Diese Frage berührt drei Aspekte, nämlich A …, B … usw. Ich werde zunächst auf die Dimension A eingehen.«

10. Den Kern einer Frage erfassen.Sie sollten, bevor Sie antworten, für sich genau klären, worauf die Frage abzielt. Wenn Sie unsicher sind, versuchen Sie, sich zu vergewissern, ob Sie sie auch richtig verstanden haben. Sie können die Frage wiederholen, indem Sie sagen: »Sie meinen mit dieser Frage …?« Sie könnten die Frage dabei auch einzuordnen versuchen, indem Sie zum Beispiel anführen: »Das ist die Frage nach dem methodischen Vorgehen oder nach dem theoretischen Hintergrund oder nach der praktischen Anwendung.« Mit einer solchen Wendung verschaffen Sie sich eine Rückversicherung und gleichzeitig einen Moment Pause, in dem Sie Luft holen und sortie-ren können, bevor Sie zu antworten beginnen.

11. Es ist okay, Rückfragen zu stellen!Wenn Ihnen zunächst keine Antwort einfällt, könnten Sie von Ihrem Recht Gebrauch machen und Rückfragen stellen, wie zum Beispiel: »Ich bin mir nicht sicher, worauf die Frage abzielt.« Dabei könnten Sie auch einen Interpretationsversuch starten, aber Vorsicht, grobe Umdeutun-gen kommen beim Prüfer nicht gut an! Sie verschaffen sich mit einer Rückfrage eine Denkpause und vielleicht fallen Ihnen dann sogar einige Anhaltspunkte für eine Antwort oder für eine speziellere Frage ein. Wenn Ihnen schließlich nur klar wird, dass Sie dazu tatsächlich nichts zu sagen wissen, dann drücken Sie das am besten deutlich aus. Ein wenig geschickter könnten Sie sich folgendermaßen aus der Affäre ziehen: »Mit diesem Problem habe ich mich bei meiner Vorbereitung nicht befasst, weil ich mich insbesondere auf die Aspekte A und B konzentriert habe.« Der Prüfer wird Ihnen nicht »den Kopf abreißen«, er kann und will im Grunde nur das prüfen, was Sie auch tatsächlich wissen. Aber vermeiden Sie auf jeden Fall ein grobes Ausweichen auf einen ganz ande-ren – unpassenden – Aspekt!

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Falls es sich bei der Frage des Prüfers um eine Problematisierungsfrage handelt, könnten Sie es auch zunächst mit lautem Nachdenken versu-chen: »Man könnte bei dieser Frage erst einmal überlegen, ob…«; denn das Aussprechen der Gedanken trägt bekanntermaßen zu ihrer Verfer-tigung bei.

12. Auf Kommentare des Prüfers eingehen.Wenn der Prüfer selbst eine Erläuterung zu einer von ihm gestellten Frage bringt, dann könnten Sie diese aufgreifen und – vorausgesetzt, es fällt Ihnen dazu noch etwas ein! – diese ergänzen oder untermauern: »Man könnte diese Erklärung noch untermauern durch die Ergebnisse einer Studie, die ich neulich gelesen habe …«

13. Die Frage des Prüfers auch mal problematisieren.Manchmal sind die Fragen des Prüfers deshalb schwer zu beantworten, weil sie problematisch oder nicht ganz fair sind, also etwas voraussetzen, das nicht ganz angemessen ist. Dazu kann es kommen, wenn eine sehr abstrakte Theorie zur Erklärung einer konkreten Alltagssituation heran-gezogen wird. Es gehört natürlich Mut dazu, die Frage des Prüfers selbst »anzugreifen«, sie auf der Metaebene zu reflektieren und deutlich zu machen, dass sie nicht gerechtfertigt ist. Solche Einwände werden von Prüfern, wenn sie freundlich und sachlich vorgetragen werden, durchaus honoriert.

Prüfungen, die aktives Gestalten nur begrenzt erlauben

Bei Prüfungen in den naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächern ist der Gestaltungsspielraum für Prüfungskandidaten häufig wesentlich begrenzter. Dabei können die obigen Empfehlungen nur in relativierter Form angewendet werden.

In Gesprächen mit Prüfern dieser Fachbereiche höre ich jedoch immer wieder, dass auch hier von den Prüflingen erwartet wird, dass

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sie ihr vorgetragenes Wissen verstanden haben. Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass Sie Ihre Erkenntnisse »nur aus dem Kurz-zeitgedächtnis hervorholen«, wie ein Professor der Humanmedizin es kritisierte. Er stellte weiterhin fest: Es sollte in der Anatomieprüfung aufseiten des Prüflings auch »eine innere Vorstellung vom Aufbau des gesamten menschlichen Körpers« deutlich werden. In der Physiologie wiederum wird erwartet, »dass Zusammenhänge zwischen Symptomen und Funktionen der Organe hergestellt und Fragen, die Wenn-Dann-Beziehungen ansprechen, erläutert werden können«. Eine beispielhafte Frage hierzu könnte sein, warum es bei Gallenkoliken zum Auftreten von Schmerzen in der rechten Schulter kommt. Die diesbezügliche Erklärung setzt voraus, dass genügend Wissen über den Verlauf von Ner-venbahnen vorhanden ist.

Unbefriedigend sind auch hier zu kurze Antworten, die sogenannten »Stakkato-Antworten«. Allerdings kommt »ein weites Ausholen« ebenfalls nicht gut an. Es wird leicht als Vertuschungsmanöver gedeutet und dann auch unwillig vom Prüfer unterbrochen. Erwartet wird viel-mehr eine kurze und knappe, aber präzise Antwort, die das Wesentliche auf den Punkt bringt. Das setzt klares Wissen voraus!

Prüfungskandidaten in Humanmedizin müssen auch damit rechnen, dass sie bei richtigen Antworten unterbrochen werden, wenn der Prüfer sich bereits ein Urteil über die Leistung gebildet hat und weitergehen will. Unterbrochen zu werden, ist also manchmal auch ein gutes Zei-chen! In diesem Kontext ist es auch willkommen, wenn ein Prüfling sein Spezialwissen anbringen oder das Lieblingsgebiet des Prüfers ansprechen will. Sie sollten es deshalb ruhig probieren!

Eine Empfehlung gilt hier ganz besonders:

Nicht alle Prüfer geben zu erkennen, ob Sie mit Ihren Antworten rich-tig liegen. Sie brauchen deshalb Ihre ganze Aufmerksamkeit, um Ihre Ausführungen selbst zu überprüfen und notfalls auch zu korrigieren.

KonzentrierenSiesichvollundganzaufdieDarstellungIhresFachwis-sensundnichtinersterLinieaufdieReaktionendesPrüfers!

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Manchmal hilft dabei ein bewusstes kurzes Rekapitulieren, das Sie ruhig auch laut äußern dürfen.

Die wichtigste Voraussetzung für ein gutes Abschneiden in der Prü-fung ist allerdings eine gründliche inhaltliche Prüfungsvorbereitung, die zu einem fundierten Verständnis des Wissens vordringt. Wenn Sie die Anregungen zum strukturierenden Lernen in Kapitel 6 beherzigen, werden Sie diese Voraussetzung gut erfüllen können.

Das Prüfungsverhalten trainieren – Praktische Übungen

Ein gutes Abschneiden in der mündlichen Prüfung verlangt nicht nur, dass Sie ein gut ausgearbeitetes Skript vorliegen und dessen Struktur im Kopf haben, sondern auch, dass Sie es gut präsentieren können.

Der Vortrag in der Prüfung will geübt sein! Viele Studierende haben im Laufe ihres Studiums zu selten die Gelegenheit zu freiem Vortrag genutzt und erst recht nicht trainiert. Infolgedessen fühlen sie sich bei einer mündlichen Darstellung ungeschickt und unsicher. Falls es Ihnen auch so geht, sollten Sie auf jeden Fall vor Ihrer mündlichen Prüfung viel üben. Üben Sie die flüssige Rede! Es ist durchaus nicht selbstverständ-lich, dass man die Gedanken, die man im Kopf geklärt hat, auch gut in Worte fassen kann. Das verbale Darstellen und das Reden vor anderen sind spezifische Fertigkeiten, die trainiert werden wollen.

Deshalb die Empfehlung: Verschaffen Sie sich viele Gelegenheiten, um über Ihr Prüfungsthema zu reden. Stellen Sie Ihr Thema Freunden und Bekannten vor. Lassen Sie sich von ihnen befragen und üben Sie sich im Darstellen und Erklären. Sie werden dabei auf die Erkenntnis stoßen, dass die Beantwortung von Fragen dazu herausfordert, gut zu strukturieren und logisch aufzubauen. Meist werden Sie dabei auch noch zu weiterem Durchdenken angeregt. Und außerdem werden Sie redegewandter. Sie profitieren also in mehrfacher Hinsicht von diesen Übungen!

Empfehlenswert sind die folgenden Übungsmöglichkeiten:

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• Üben Sie das freie Vortragen so häufig wie möglich auch für sich allein, ohne Gegenüber. Halten Sie es auf Tonband fest, um es anschließend selbst beurteilen zu können.

• Aufzeichnungen mit Videotechnik geben Ihnen obendrein Auf-schluss über Ausdrucksformen wie Mimik, Gestik und Interaktions-weisen.

• Stellen Sie Ihr Thema in Ihrer Arbeitsgruppe bzw. Ihren Kommilito-nen vom Fach vor. Schaffen Sie sich dazu eine prüfungsähnliche Situ-ation, indem Sie sich eine feste Zeit vorgeben und Ihre Rolle bis zum Schluss ernsthaft durchhalten. Lassen Sie sich von Ihren Zuhörern Feedback geben.

• Auch Laien können nützliche Zuhörer sein, die Ihnen Anregungen bringen. Sein Thema der Freundin, die etwas ganz anderes studiert, oder auch einem »nicht studierten« Familienmitglied verständlich zu machen, fordert zu besonders gründlicher Erklärung heraus.

Sie sollten sich für die Übungen die folgenden Beurteilungskriterien zum Ziel setzen:

• präzise auf Fragen eingehen,• ihre Beantwortung logisch stringent entwickeln,• sie mit der angemessenen Ausführlichkeit beantworten und• dabei ein adäquates Sprachniveau anwenden.

Weitere Beurteilungskriterien können sein:

• die Flüssigkeit der Rede,• Lebendigkeit und Engagement bei der Darstellung und• ein selbstbewusstes Auftreten.

Versuchen Sie bei Ihren Übungen außerdem die Empfehlungen zur akti-ven Gestaltung zu praktizieren. Auch wenn Sie nicht alle Anregungen in der Realsituation umsetzen können, werden Sie lernen, zunehmend selbstsicherer damit umzugehen. Sie verschaffen sich damit ein Verhal-tensrepertoire, mit dem Sie imstande sind, in der Prüfung eine aktive und selbstbewusste Rolle einzunehmen.

Achten sie auch darauf, einen Kontakt zu Ihren Gesprächspartnern herzustellen,

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• indem Sie Blickkontakt aufnehmen,• ihn auch während des Vortragens aufrechterhalten und• Ihrem Prüfer genügend Raum lassen für Einwände und Fragen.

Wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, besuchen Sie Gruppen und Kurse, in denen Sie Ihr Prüfungsverhalten durch Rollenspiele zur Prü-fungssituation und Prüfungssimulationen trainieren können. Dabei kann man eine Menge lernen! Unsere Workshops an der Freien Univer-sität Berlin zur Vorbereitung auf Prüfungen, die mit diesen Übungsele-menten arbeiten, haben sich als sehr wirksam erwiesen. Die Teilnehmer treten anschließend sicherer auf und haben ihre Prüfungsängste redu-ziert.

Mentales Training zum Prüfungsverhalten

Das Trainieren des Prüfungsverhaltens hat auch eine kognitive Kom-ponente, die Sie ganz bewusst nutzen sollten. Allein das geistige Anti-zipieren und Durchspielen von Verhaltenssituationen verhilft zu mehr Sicherheit. Sie erwerben damit ein Repertoire an Verhaltensmöglichkei-ten und können sich kritischen Ereignissen und Wendungen gegenüber wappnen. Bei dem Punkt »schriftliche Vorbereitung auf die mündliche Prüfung« wurde Ihnen bereits empfohlen, die Fragen aufzuschreiben, die Sie vonseiten des Prüfers erwarten. Nehmen Sie sich diese Fragen vor und ergänzen Sie sie noch durch die folgende Aufgabe:

Schreiben Sie alle Fragen auf, die Ihnen sehr unangenehm sind. Nehmen Sie die notierten Fragen zum Ausgangspunkt von Übungen, die Sie im Kopf durchspielen. Überlegen Sie,

• wie Sie in fachlicher Hinsicht und• mit einer konkreten Wendung im Gespräch auf die jeweiligen Fragen

eingehen könnten.

Vielleicht können Sie sich nicht auf alle der Ihnen eingefallenen unange-nehmen Fragen fachlich vorbereiten; deshalb ist es wichtig zu überlegen,

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wie Sie in der möglicherweise auftretenden Situation den Schreck über-winden und gewandt reagieren können.

Lassen Sie sich eine gute Antwort einfallen wie in dem folgenden Bei-spiel:

Die Studentin Birgit hat sich mit dem Roman Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil befasst und sich auf die Textinterpretation vorbereitet. Sie möchte den Schwerpunkt auf die Strukturanalyse legen. Sie befürchtet, dass der Prüfer vielleicht auch nach dem psychoanalytischen Interpretationsansatz fragen könnte, mit dem sie sich nur sehr ober-flächlich beschäftigt hat. Deshalb nimmt sie sich vor, folgendermaßen zu reagieren: »Ich habe bei meiner Vorbereitung den Schwerpunkt auf die Strukturanalyse gelegt, die mir als besonders geeignete Methode erscheint, weil sie …« Eventuell würde sie noch ergänzen: »Mit der psychoanalytischen Deutung habe ich mich deshalb nur am Rande befasst.«

Zu den Übungen des mentalen Trainings sollten Sie auch die Entspan-nungsübungen heranziehen, die Sie in dem Kapitel über Entspannungs-methoden kennengelernt haben. Es bieten sich dafür insbesondere die verkürzten Übungsformeln zum Autogenen Training wie auch die ein-fachen Entspannungsübungen an.

Empfehlenswert ist hierfür auch die »Übung zur Bestärkung von Ressourcen«, die das mentale Training mit dem Autogenen Training verbindet – siehe dazu ebenfalls Kapitel 4. Entwerfen Sie vorher einen kleinen Instruktionstext, in dem Sie die befürchtete Frage zum Aus-gangspunkt nehmen und die Situation durchspielen. Sprechen Sie Ihre positiven Voraussetzungen an und bauen Sie die Entspannungsformeln des Autogenen Trainings ein. Diesen Text sollten Sie sich einprägen, damit Sie ihn anschließend bei Ihrem mentalen Training reproduzieren können. Sie könnten den Text auch auf Tonband sprechen, wenn Ihnen diese Form des Trainings mehr liegt.

Sich wappnen für den möglichen Blackout

In Kapitel 3 haben Sie erfahren, was bei einem Blackout, der plötzlich in einer Prüfungssituation auftritt, tatsächlich passiert. Es wurde deut-lich, dass dieses von vielen als »schreckliches Ereignis« erlebte Phäno-men ganz wesentlich von einem Mythos oder Vorurteil bestimmt wird:

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Weithin geteilt wird die Überzeugung, dass man dem Blackout hilflos ausgeliefert sei. Der Blackout ist aber keine Extremsituation oder gar Katastrophe, die man nicht überwinden kann. Sie haben erfahren, dass Sie sehr wohl auf den Erregungszustand des Blackouts Einfluss nehmen können. Bei Ihrer Vorbereitung auf die mündliche Prüfung sollten Sie sich auf jeden Fall wappnen und die Verhaltensschritte zur Bewältigung des Blackouts gedanklich durchspielen.

Hier noch einmal die Schritte, mit denen Sie dem Blackout in der Prüfung beikommen können:

1) Versuchen Sie als Erstes, Ihre Ruhe zurückzugewinnen. Verschaffen Sie sich eine kleine Atempause. Atmen Sie mehrere Male tief ein und aus. Nutzen Sie dafür die Atemübung, die Sie sich als Ihr Mittel gegen Stress angeeignet haben.

2) Gehen Sie offensiv mit dem Blackout um: Bitten Sie Ihren Prüfer um einen Moment Pause, indem Sie zum Beispiel sagen: »Entschuldigung, ich habe gerade einen Filmriss, ich muss mich erst wieder sammeln.« Am besten legen Sie sich vorher eine solche Wendung zurecht. Prüfer kennen den Blackout und reagieren darauf in der Regel verständnisvoll.

3) Starten Sie erneut! Versuchen Sie, den roten Faden wiederzufinden. Bringen Sie wieder Ordnung in Ihre Gedanken. Rekonstruieren Sie die Situation vor dem Eintreten des Blackouts: Was haben Sie zuletzt ausgeführt? Wie lautete die Frage? Falls die eigene Suche nicht wei-terführt, bitten Sie den Prüfer darum, die letzte Frage noch einmal zu wiederholen.

4) Falls jedoch die letzte Frage der Auslöser für den Blackout war, weil Sie überhaupt nicht mit ihr gerechnet hatten und auch gar nichts dazu sagen können, so müssen Sie versuchen, von der Klippe wegzukommen. Fassen Sie sich ein Herz und sagen Sie dem Prüfer, dass Sie die Frage nicht beantworten können und bitten Sie ihn um eine neue Frage.

Es hängt im Wesentlichen von Ihrer Einstellung ab, ob Sie den Black-out bewältigen können. Wenn Sie ihn als etwas akzeptieren, das zwar unangenehm ist, aber keine Katastrophe darstellt, und sich auf das besin-nen, was Sie in der Situation tun können, dann haben Sie die beste Aus-sicht, ihn – wenn er dann überhaupt noch auftritt! – auch wieder in den

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Griff zu bekommen. Proben Sie auch hierbei das mentale Training und unterstützen Sie es durch Entspannungsübungen. Je mehr Sie sich vor-her durch Übung wappnen, umso weniger müssen Sie befürchten, dass es überhaupt zu einem Blackout kommt.

Vorbereitung auf Gruppenprüfungen

Mündliche Prüfungen mit mehreren Teilnehmern findet man vorwiegend in den medizinischen Fächern und in der Rechtswissenschaft – in beiden Fällen als Teil des Staatsexamens. Medizinstudenten kennen mündliche Prüfungen nur als Gruppenprüfung. Meist besteht die Gruppe aus vier oder fünf Prüfungskandidaten. Die Aussicht, coram publico zu reden und geprüft zu werden, erscheint manchen Studierenden besonders unange-nehm. Zu der normalen Prüfungsangst gesellt sich die Furcht, sich vor den anderen, den Kommilitonen, zu blamieren. Das trifft besonders dann zu, wenn die übrigen Teilnehmer fremd sind. Als wesentlich angenehmer wird es empfunden, wenn man mit seiner vertrauten Arbeitsgruppe in die Prüfung kommt. Bei manchen Kandidaten wird der Ehrgeiz angestachelt, möglichst der Beste in der Gruppe zu sein. Andere werden angesichts der Konkurrenzsituation mit Hemmungen zu kämpfen haben, wenn es um die Präsentation ihres Wissens geht. Bei meinen Recherchen wurde jedoch deutlich, dass die meisten Prüfungskandidaten in dieser besonde-ren Situation so engagiert sind, dass sie ihre Ängste überwinden und aus sich herausgehen. Festzustellen war auch, dass die Angst vor der Prüfung, auch wenn sie »riesig groß« war, sich in der konkreten Prüfungssituation sehr schnell verflüchtigte. Über den Prüfungsablauf und das Verhalten der Prüfer wurde vorwiegend »Positives« berichtet. Es läuft tatsäch-lich viel harmloser ab als befürchtet! Vermutlich wirkt sich dabei auch die »Öffentlichkeit« der Gruppe positiv kontrollierend auf die Prüfer aus. Wenn dieser Bericht Ihnen vielleicht nicht weiterhilft, sollten Sie selbst recherchieren und die bereits examinierten Kommilitonen nach ihren Erfahrungen mit dieser Art von Prüfung befragen.

Über die allgemeinen Empfehlungen zum Verhalten in der Prüfung hinausgehend sollten Sie bei einer Gruppenprüfung Folgendes beachten:

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• Verfolgen Sie die einzelnen Prüfungen der übrigen Kandidaten auf-merksam und konzentrieren Sie sich auf die dort gestellten Fragen. Denken Sie mit! Das fördert eine sachorientierte Motivation und ver-hindert, dass Sie sich nur auf Ihre Aufregung konzentrieren. Außer-dem können Sie dann auch, wenn die unbeantwortete Frage an Sie gerichtet wird, sofort antworten.

• Halten Sie Blickkontakt mit dem Prüfer. Sie können ihm ruhig auch per Blick signalisieren, dass Sie die Antwort wissen – allerdings unter gebührender Rücksichtnahme auf den zuerst Angesprochenen. Ein vorlautes Sich-in-den-Vordergrund-Drängen kann Ihnen leicht als unsolidarisches Verhalten angekreidet werden und Negativpunkte bringen.

• In manchen Gruppenprüfungen wird jeder Teilnehmer zu einem eigenen Thema befragt – so zum Beispiel im zweiten Staatsexamen der Humanmedizin, bei dem der Krankheitsbefund von einzelnen Patienten vorzustellen ist. Vielleicht möchten Sie bei der Prüfung der anderen lieber abschalten und sich innerlich auf Ihre eigene Präsenta-tion vorbereiten. Aber das erscheint wenig empfehlenswert, denn es kann Ihnen passieren, dass Sie später auf eine Parallele angesprochen werden, die Ihnen dann leider entgangen ist.

Das Training für schriftliche Prüfungen

Schriftliche Prüfungen kommen an den Hochschulen in sehr unter-schiedlichen Versionen vor, aber im Wesentlichen lassen sich zwei Typen unterscheiden, nämlich

• Themenklausuren und• Fragenklausuren.

Bei den Fragenklausuren gibt es offene Fragestellungen und Multiple-Choice-Fragen, bei denen die zutreffenden Antworten aus vorgegebenen Alternativen ausgewählt werden sollen.

Themenklausuren verlangen, einen Aufsatz über die Fragestellung zu schreiben. Dafür ist in der Regel eine längere Bearbeitungszeit –

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in der Regel drei bis vier Stunden – vorgesehen. Ein Thema für die schriftliche Magisterprüfung im Fach Germanistik könnte zum Bei-spiel lauten:

»Erörtern Sie die Zielrichtung und Formen sozialer Kritik in Gerhart Hauptmanns Drama »Die Weber«.Oder:»Welches sind die Definitionskriterien für die Gattung bürgerliches Trauerspiel?«

Bei der Bestimmung der Themen orientiert sich der jeweilige Hoch-schulprüfer an den von den Prüfungskandidaten gewählten Themen-schwerpunkten. Das bedeutet also, die Aufgabenstellungen für die Klausur kommen nicht gänzlich unerwartet.

Fragenklausuren enthalten meist eine ganze Reihe von Fragen zu verschiedenen Themen bzw. Aspekten eines Themas. Sie richten sich entweder auf eine zentrale Problemstellung oder umfassen ein breiteres Spektrum des Wissens. Meistens werden dabei offene Fragen, das heißt ohne vorgegebene Alternativantworten, verwendet, bei denen eine schriftliche Beantwortung im Umfang von zwei bis drei Seiten erwartet wird. Dazu ein Themenbeispiel aus einer Klausur im Fach Volkswirt-schaftslehre, Prüfungsfach Steuern und Finanzpolitik:

Aufgabenstellung:1. Die Regierungskoalition hat vorgeschlagen, das Ehegattensplitting zu streichen bzw.

zu begrenzen. Wie beurteilen Sie diese Vorschläge a. aus familienpolitischer Perspektive, b. unter Berücksichtigung des Leistungsfähigkeitsprinzips?2. Die Kindererziehung soll durch staatliche Maßnahmen stärker gefördert bzw. finan-

ziell entlastet werden. Diskutieren Sie dazu die Vor- und Nachteile alternativer Maß-nahmen, die zur Erreichung dieses Zieles eingesetzt werden können.

3. Die sogenannte Spekulationsfrist für Grundstücke soll von zwei auf zehn Jahre aus-geweitet werden. Erläutern Sie die zu erwartenden Auswirkungen auf die Preisent-wicklung von Grundstücken und Eigentumswohnungen.

Die gewählten Beispiele mögen vielleicht sehr komplex erscheinen. Aber die Bearbeitungstiefe wird durch die vorgegebene Bearbeitungszeit und auch durch das in den Lehrveranstaltungen vermittelte Wissen begrenzt.

Klausuren können auch eine bestimmte Problemstellung vorgeben, auf die sich dann eine Reihe von Fragen richten, oder sie geben eine Fall-

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darstellung vor, wie man sie zum Beispiel im Fach Jura kennt, die dann »fachmännisch« zu erörtern und zu beurteilen ist.

Die schriftlichen Tests in den medizinischen und pharmazeutischen Studienfächern enthalten ausschließlich Multiple-Choice-Fragen, bei denen die richtige Antwort aus einer Anzahl von Alternativen – meist fünf an der Zahl – herausgesucht und durch Ankreuzen beantwortet werden muss. Das »Gemeine« an dieser Prüfungsform ist, dass nicht nur eine Antwort zutreffen kann, sondern dass auch zwei, drei, vier oder auch gar keine richtig sein können. Auf solche Klausuren muss man sich sehr breit vorbereiten, da sie sich auf einen großen Pool des Wissens beziehen.

Dazu ein Beispiel:

1. Welche Aussage trifft zu?Als Hämatokrit bezeichnet man (A) die zur Aufrechterhaltung des Kreislaufs erforderliche Mindestblutmenge, (B) den Anteil der Erythrozyten an der Gesamtblutkörperchenmenge in Vol.-%, (C) den Anteil der Blutkörperchen am Gesamtblut in Vol.-%, (D) den Gehalt der Erythrozyten an Hämoglobin, (E) keine der Angaben trifft zu.

Die verschiedenen Klausurtypen haben eines gemeinsam: Sie erfordern alle eine anspruchsvolle geistige Leistung, die außerdem noch anstren-gend ist, da sie unter fester Zeitbegrenzung erfolgen soll und sich über mehrere Stunden erstreckt.

Schriftliche Prüfungen scheinen bei den meisten Studierenden weniger Ängste auszulösen als mündliche Prüfungen: Das »Sich vor den Augen der Prüfer präsentieren müssen« fällt dabei weg. Die Kehr-seite besteht allerdings darin, dass man kein unmittelbares Feedback für die Qualität der Leistung erhält. Andererseits hat man mehr zeitlichen Spielraum, den man zum Nachdenken nutzen kann.

Aber auch die Aussicht darauf, unter Zeitbegrenzung denken und obendrein schreiben zu müssen, ruft bei manchen Stressgefühle hervor und lässt auch die Befürchtung eines Blackouts aufkommen – vor allem dann, wenn man sich vorstellt, von der Themen- oder Fragestellung in der Prüfung völlig überrascht zu werden.

Stress verursacht auch manchmal das »Surrounding« der Klausur: Sie sitzen in einem großen Hörsaal, in aller Regel in alphabetischer Reihen-

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folge und damit getrennt von Ihren vertrauten Kommilitonen. Der Prü-fer geht ständig auf und ab und überwacht argwöhnisch das Verhalten der Prüfungskandidaten. Ruhe kehrt selten ein, da immer wieder jemand aufsteht, zur Toilette geht oder dem Prüfer eine Frage stellen will.

Doch auch diesem Stress lässt sich wirksam begegnen. Voraussetzung dafür ist eine adäquate Vorbereitungsstrategie. Diese sollte die folgenden Aspekte umfassen:

• die Erkundung der organisatorischen Bedingungen des Prüfungsab-laufs,

• eine gründliche fachliche Vorbereitung als Vorbedingung,• ein gutes Timing für die Nutzung der vorgesehenen Prüfungszeit und• das Training des prüfungsrelevanten Verhaltens.Bei der Bearbeitung von Themen- und Fragenklausuren sollten Sie die folgenden Schritte beachten. Auf Besonderheiten im Umgang mit Mul-tiple-Choice-Klausuren wird anschließend speziell eingegangen.

Empfehlungen zur Vorbereitung auf schriftliche Klausuren

1. Gründliches Recherchieren im VorfeldVerschaffen Sie sich ein klares Bild von dem, was in der Prüfung auf Sie zukommt. Sie sollten genau Bescheid wissen über Rahmenbedingungen und Ablauf der Prüfung. Es baut Ängste ab, wenn man sich hiermit ver-traut macht. Wenn Sie Kapitel 2 bereits gelesen haben, dann werden Sie sich sicherlich schon vorgemerkt haben, dass Sie sich genaue Informatio-nen über die zu erwartenden Anforderungen verschaffen sollten. In den meisten Fachbereichen sind Sammlungen von Fragen und Klausurthe-men im Umlauf oder bei der studentischen Fachschaft erhältlich; wenn nicht, dann müssen Sie Personen befragen: Ihre Kommilitonen, die schon über Prüfungserfahrungen verfügen, und Ihre Hochschullehrer.

2. Themen und Themenbereiche abklären und abschätzenNutzen Sie, sofern es möglich ist, die Gelegenheit, in Vorabsprachen mit den Prüfern Themenbereiche abzustecken. Viele Prüfer führen auch

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Prüfungskolloquien zur Vorbereitung auf die Prüfung durch, die Sie unbedingt besuchen sollten.

Wenn Sie selbst individuelle Themenvorschläge machen können – wie es unter anderem in den philologischen Fächern der Fall ist –, dann sollten Sie dies in einer Form tun, die für den Prüfer klar und greifbar ist, also nicht nur mündlich, sondern mit schriftlich fixiertem Konzept (siehe dazu die Empfehlungen für die Vorbereitung auf die mündliche Prüfung).

Für Fragenklausuren, auf die man selbst weniger Einfluss nehmen kann, lassen sich Hinweise in Lehrveranstaltungen, die der Prüfer anbie-tet, gewinnen, denen man durch gezielte Fragen weiter nachgehen kann. Auch hier gilt die Devise: Werden Sie aktiv!

3. Gründliche schriftliche VorbereitungFür Essayklausuren empfiehlt es sich auf jeden Fall, die vorgesehenen oder vorauszusehenden Themen vorher auch schriftlich auszuarbeiten. Eine bloße Sammlung von Literaturauszügen und fotokopierten Arti-keln zu den Themen wird dafür allein keine ausreichende Grundlage sein. Vielmehr sollten Sie die Themen auch in der Form ausarbeiten, wie sie in der Klausur verlangt wird. Also: Schreiben Sie ein Probe-Essay, oder, wenn verschiedene mögliche Themenstellungen zu erwarten sind, dann verfassen Sie zumindest eine differenzierte Gliederung mit stich-wortartigen Ausführungen zur Argumentation.

Sie benötigen auf jeden Fall eine gut ausgearbeitete Struktur zu den jeweiligen Themen bzw. ein sogenanntes Strukturschema, wie es in Kapitel 6 beschrieben ist. Mit dem Strukturschema können Sie dafür sorgen, dass Sie das Gerüst in Ihrem Gedächtnis verankert haben und es dann in der Stresssituation der Klausur abrufen können. Auch wenn man in der Klausur keinen »Spickzettel« benutzen darf: die ausgearbei-tete Musterklausur lässt sich »vor dem geistigen Auge« gut abschreiben.

4. Trainieren Sie das prüfungsrelevante Verhalten!Schreiben Sie für sich allein oder – noch besser – zusammen mit Ihren Kommilitonen Probeklausuren im vorgesehenen Zeitlimit und üben Sie das Aufsatzschreiben bzw. das schriftliche Beantworten von Fragen. Etwas zu wissen, ist das Eine. Dieses Wissen zu Papier zu bringen, ist

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etwas Anderes! Wenn Sie sich vorher im schriftlichen Ausdruck üben, läuft es im Ernstfall auch flüssiger. Fragen Sie sich einmal, wann Sie das letzte Mal drei oder vier Stunden lang einen Text geschrieben haben!? Allein das Schreiben mit der Hand ist heutzutage im Zeitalter des Com-puters für viele eine Seltenheit. Wenn es in Ihrem Fach die Gelegenheit zu offiziellen Probeklausuren gibt, dann nutzen Sie sie unbedingt.

Für die Bearbeitungsstrategie in der Prüfung sollten Sie Folgendes beachten:

5. Fragestellung bzw. Fragen genau prüfenPrüfen Sie zu Beginn der Klausur die Fragestellung genau, bevor Sie »loslegen«. Präzises Erfassen der Frage ist eine wesentliche Vorausset-zung für eine gelungene Klausur. Manchmal weicht die Aufgabenstel-lung erheblich von dem von Ihnen erwarteten Themenvorschlag ab. Besinnen Sie sich zunächst auf die zentrale Frage und leiten Sie daraus die Unterfragen ab. Diese liefern Ihnen gleichzeitig die Aspekte für Ihre Gliederung.

Auch bei den Fragenklausuren ist das genaue Erfassen der Fragen wichtig. Von Prüfern ist häufig die Kritik zu hören, dass der Kandidat zwar viel Richtiges zu Papier gebracht habe, doch leider sei die Arbeit mangelhaft, weil die Aufgabenstellung verfehlt worden sei. Hüten Sie sich also, gleich loszuschreiben, wenn Sie auf Ihnen bekannte Begriffe stoßen.

Nehmen Sie sich die nötige Zeit und prüfen Sie stattdessen genau, wie die Fragestellung zu verstehen ist, oder finden Sie den Ansatz zur Lösung heraus. Hierbei ist ein hektisches Tempo völlig unangebracht!

6. Gliederung entwerfen bei komplexer FragestellungWenn Sie die Fragestellung erfasst haben, sollten Sie im nächsten Schritt eine Gliederung erstellen. Wenn Sie das Thema vorher gut ausgearbei-tet haben, wird es Ihnen nicht schwerfallen, die Gliederung herunter-zuschreiben. Falls Sie jedoch mit dem Thema nicht auf Anhieb vertraut sind, sollten Sie als Zwischenschritt zunächst andere Techniken benut-zen, die das Sammeln von Einfällen anregen und Ihnen gleichzeitig einen guten Überblick über die Aspekte insgesamt verschaffen. Es bieten sich dafür die Cluster- und die Mind-Map-Methode an, Techniken, die Sie in

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Kapitel 6 kennengelernt haben. Sie lassen sich sehr gut weiterentwickeln zu einer geordneten Gliederung. Da die Gliederung das Gerüst Ihres Aufsatzes darstellt, sollten Sie darauf auch genügend Zeit verwenden.

7. Stellen Sie einen Zeitplan auf!Damit Sie mit Ihrer Zeit ökonomisch umgehen können, sollten Sie an-schließend einen Zeitplan aufstellen und Ihre knappe Klausurzeit auf die vorgesehenen Gliederungspunkte verteilen. Vermerken Sie auch die Zeit-vorgaben in Ihrer Gliederung. Also: Setzen Sie Zeitmarken und über-prüfen Sie wiederholt, ob Sie richtig in Ihrem Timing liegen. Sehen Sie in Ihrem Zeitplan auch eine Zeitspanne für die abschließende Durchsicht Ihrer Arbeit vor, damit Sie noch einen Korrekturdurchgang einlegen können. Damit vermeiden Sie eine andere Stressfalle, in die mindestens ein Viertel aller Prüflinge tappt: Ohne Zeitplan gerät man spätestens in der letzten halben Stunde unter Zeitdruck: Man beginnt immer schnel-ler (und immer unleserlicher) zu schreiben, zum Schluss kann man nur noch Stichworte zu Papier bringen oder muss schlimmstenfalls die nicht beendete Klausur abgeben. Das kostet Sie dann viele Punkte! Eine dif-ferenzierte Gliederung zahlt sich auch an dieser Stelle aus: Wenn Sie in höchster Eile nur noch stichwortartig formulieren können und der Prüfer aufgrund der klaren Gliederung verstehen kann, wie es gemeint ist, wird er vielleicht auch diese Ausführungen noch positiv berücksichtigen.

8. Planen Sie kurze Pausen ein!Bei angestrengter geistiger Arbeit lässt die Konzentration nach einiger Zeit nach und wenn Sie sich selbst keine Pause gönnen, wird Ihr Geist von selbst eine »Zwangspause« einlegen, die sich in Flüchtigkeitsfehlern niederschlägt. Deshalb sollten Sie lieber vorbeugen und sich Pausen in Aussicht stellen. Selbst kleine Pausen von drei bis fünf Minuten Dauer haben, wie Sie bereits beim Thema Arbeitsplanung erfahren haben, einen enormen Erholungswert.

Machen Sie jeweils nach etwa einer Stunde eine Pause und nutzen Sie sie, indem Sie aktiv für Entspannung sorgen. Legen Sie dazu Ihre Unter-lagen beiseite und schließen Sie die Augen. Machen Sie zum Beispiel eine kleine Atemübung oder verwenden Sie eine kurze Entspannungsübung aus dem Autogenen Training, die Sie in Kapitel 4 gelernt haben. Sorgen

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Sie mithilfe der Übungsformeln für eine gute Konzentration. Es empfiehlt sich insbesondere die Ergänzung einer Kurzformel durch die Stirnkühle-übung. Falls Sie eine längere Übung im Autogenen Training machen, soll-ten Sie unbedingt für eine intensive anschließende Rücknahme sorgen.

Sie gewinnen durch Pausen neben der Erholung auch noch ein wenig Abstand, und das ist häufig sehr förderlich für die Bearbeitung.

9. Aspekte für die schriftliche BearbeitungFür die Ausführung Ihrer Gliederung sind folgende Aspekte wichtig: Nachdem Sie die Fragestellung geklärt und die Unterfragen abgeleitet haben, sollten Sie Folgendes beachten:

• Beginnen Sie damit, die zentralen Begriffe zu definieren.• Arbeiten Sie anschließend Ihre Gliederungsgesichtspunkte ab.• Bauen Sie Ihre Aussagen logisch stringent auf. Folgen Sie den aufge-

worfenen Fragen bzw. Hauptgesichtspunkten wie einem roten Faden.• Formulieren Sie kurze Sätze.• Halten Sie sich nicht mit sprachlichen Formulierungen und stilis-

tischen Wendungen auf. Das bringt Ihnen keine nennenswerten Punkte.

• Achten Sie auf jeden Fall darauf, leserlich zu schreiben!

10. Für positive Arbeitsmotivation sorgenSelbstzweiflerische Gedanken und Befürchtungen sollten Sie in der Prüfungssituation auf jeden Fall stoppen. Sie brauchen Ihre ganze Kon-zentration für die Sachaufgabe. Ermuntern Sie sich dazu, Ihre Kräfte und Ihr Wissen gut einzusetzen, und bestärken Sie sich darin durch direkten Zuspruch. Hierbei helfen insbesondere die Leitsätze des Autogenen Trai-nings (vgl. Kapitel 4) und die positiven Selbstaussagen, die Sie in Kapitel 3 kennengelernt haben. Also: Bestärken Sie Ihre Zuversicht, indem Sie zum Beispiel zu sich selbst sagen: »Du schaffst es, Du hast Dich gut vorberei-tet!«, oder: »Bisher hast Du es gut geschafft, Du wirst es auch bis zum Ende schaffen!«

Auch wenn das Glück nicht auf Ihrer Seite sein und die Themenstel-lung nicht wunschgemäß ausfallen sollte, sollten Sie trotzdem mit der Einstellung herangehen, das Beste daraus zu machen. Prüfungen ent-

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halten immer ein Risiko, aber nutzen Sie auf jeden Fall Ihre Chance und geben Sie nicht einfach auf!

11. Mit dem Blackout aktiv umgehenFalls in der Prüfungssituation plötzlich ein Blackout auftreten sollte – auch das kann in einer Klausur passieren –, nehmen Sie ihn nicht pas-siv hin und geben Sie nicht auf. Man kann auf jeden Fall etwas dagegen tun. Nutzen Sie stattdessen die Empfehlungen, die ich für die mündliche Prüfung gegeben habe und die Sie vorher bei Ihrem mentalen Training gut geübt haben sollten!

Zur Rekapitulation hier kurz die wesentlichen Schritte:

1. Ruhe bewahren und sich eine Atempause verschaffen.2. Kurze Entspannungsübung, zum Beispiel Atemübung.3. Anschließend neu starten! Gehen Sie zu Ihrem letzten Gliederungs-

punkt bzw. zu Ihrer Frage zurück. Versuchen Sie, wieder an Ihren letz-ten Gedankengang anzuknüpfen.

12. Für das leibliche Wohl sorgenGeistige Arbeit ist harte Arbeit, und vier oder fünf Stunden sind eine lange Zeit! Treffen Sie deshalb Vorsorge und bringen Sie sich Getränke und, falls Stress Sie hungrig macht, auch Essbares mit. Am besten, Sie achten dabei auf Ihre Vorlieben. Sorgen Sie für eine »leichte Kost«, die Ihren Blutzuckerspiegel auf einem optimalen Niveau hält – Traubenzu-cker und Schokoriegel oder Ähnliches sind hierfür recht gut geeignet.

13. Eine kleine Übung in AutosuggestionWenn Sie das Autogene Training so gut gelernt haben, dass Sie sich in den sogenannten hypnoiden Zustand versetzen können, dann können Sie es auch noch durch eine autosuggestive Leitformel ergänzen. Ange-nommen, Sie werden unter Zeitdruck leicht hektisch. Dann könnten Sie sich als Leitmotiv für die schriftliche Prüfung zum Beispiel vorgeben: »Wenn ich in der Prüfung auf die Uhr schaue, dann atme ich tief ein und aus und arbeite ruhig und zügig weiter.« Allerdings sollten Sie dies vorher geübt haben.

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14. Brauchen Sie vielleicht einen Glücksbringer?Manche schwören auf das Maskottchen, das ihnen in Gestalt eines klei-nen Plüschtiers gegenübersitzt oder auf das Kettchen, das sie hin und wieder berühren müssen. Warum nicht?! Vielleicht beruhigt Sie der gewohnte Anblick und Sie finden die Situation dann nicht mehr so befremdlich. An dem Maskottchen oder Talisman haftet vielleicht das »gute Gefühl«, das Sie sonst in einer entspannten Alltagssituation erle-ben.

Tipps für Multiple-Choice-Klausuren

In den medizinischen und pharmazeutischen Fächern ist die Multi-ple-Choice-Klausur (MC-Klausur) die häufigste Prüfungsform. Bei vielen Studierenden genießt dieser Klausurtyp, der sowohl bei der vor-klinischen Prüfung, dem sogenannten Physikum, wie auch beim ersten Staatsexamen, dem häufig so bezeichneten »Hammerexamen«, vor-kommt, wenig Sympathien. Aber es führt kein Weg »drumherum«. Am besten hilft es, sich sehr intensiv darauf vorzubereiten. Auch für MC-Klausuren gilt, dass ein gut strukturiertes Wissen im Kopf die beste Voraussetzung für ein erfolgreiches Abschneiden ist. Mechanisches Aus-wendiglernen schafft keine ausreichende Basis; nutzen Sie stattdessen die in Kapitel 6 dargestellten Lernmethoden, damit sorgen Sie für ein gutes Verständnis. Darüber hinaus sollten Sie sich allerdings auch mit den MC-Techniken vertraut machen und das »Kreuzen«, wie es salopp genannt wird, intensiv üben.

Falls Sie noch Ressentiments gegenüber den MC-Klausuren verspü-ren und an ihnen kritisieren, dass sie nicht das adäquate Verständnis des Wissens prüfen, und meinen, dass das »Kreuzen« eine alberne Tätigkeit ist, sollten Sie sich Folgendes deutlich machen: Sie erzeugen damit nur innere Widerstände, die sich hinderlich auf das Lernen auswirken. An dem Verfahren können Sie nichts ändern. Aber, was Sie sehr wohl beein-flussen können, das ist Ihre Bearbeitungsstrategie. Und darauf kommt es in entscheidendem Maße an!

Wenn Sie sich genauer mit den MC-Fragen befassen, werden Sie fest-stellen, dass sie eine anspruchsvolle, hochkonzentrierte geistige Leistung

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verlangen: Sie müssen die Antwortalternativen, die manchmal nur sehr wenig voneinander abweichen und verwirrende Schlussfolgerungen anbieten, sehr genau prüfen und logisch erfassen. Außerdem sind die Aufgaben inhaltlich sehr heterogen, verlangen also ein schnelles Hin- und Herspringen in Ihrem Gedächnisspeicher. Obendrein erlaubt die knappe Zeit für eine große Anzahl von Fragen kein langes Nachdenken. Im Gegenteil, Sie benötigen eine Bearbeitungsstrategie, mit der Sie die Zeit und die vorgegebenen Bedingungen optimal nutzen. Deshalb soll-ten Sie sich die folgenden Schritte zu eigen machen (vgl. Dahmer 1998):

1. Sich mit dem Verfahren vertraut machen.Beschaffen Sie sich die notwendigen Informationen über die Aus-führungsbedingungen zu MC-Klausuren. Wenn Sie Humanmedizin studieren, werden Sie sich vermutlich die »Praktischen Hinweise zur Durchführung der schriftlichen Prüfungen nach der Approbationsord-nung für Ärzte« des Instituts für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen schon bei Ihrem Landesprüfungsamt besorgt haben. Und vielleicht haben Sie auch schon mit den Bänden der im Thieme-Ver-lag erschienenen »Schwarzen Reihe«, die Sammlungen von Original-prüfungsfragen zu den verschiedenen Fächern und den verschiedenen ärztlichen Prüfungsabschnitten enthalten, gearbeitet. Das ist ein unbe-dingtes Muss!!! Auch bei medi-learn.de finden Sie viele nützliche Infor-mationen über das Medizinstudium und über Lernstrategien zu MC-Techniken (Medi-Learn-Skriptenreihe Lernstrategien 2009). Machen Sie sich vertraut mit den verschiedenen Fragetechniken und dem Schwie-rigkeitsgrad der Fragen und üben Sie möglichst intensiv – für sich allein und zusammen mit anderen.

Ich möchte mich im Folgenden nur auf einige allgemeinere Empfeh-lungen zur Bearbeitungsstrategie konzentrieren.

2. Achten Sie auf den genauen Fragetyp!In den medizinischen Fächern haben Sie es bei den Fragen jeweils mit fünf Alternativantworten zu tun. Manchmal wird nach der einen richtigen Antwort gefragt, manchmal aber auch nach der einen fal-schen. Darüber hinaus gibt es Fragen, zu denen eine Kombination von mehreren richtigen oder falschen Antworten angeboten wird, die Sie

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als zutreffend ankreuzen sollen. Deshalb müssen Sie sehr konzentriert vorgehen.

3. Aufgaben der Reihe nach bearbeiten – vom Leichten zum Schweren fort-schreiten!

Berechnen Sie – ausgehend von der Gesamtzeit der Klausur –, wie viel Zeit Ihnen für die Beantwortung jeder einzelnen Frage bleibt. Es kommt darauf an, dass Sie die Zeit optimal einsetzen.

Empfehlenswert ist als Grundregel, in der Reihenfolge der gestellten Aufgaben zu arbeiten. Lassen Sie sich nicht dazu verleiten, Ihren Vor-lieben zu folgen und bestimmte Fragen zuerst zu beantworten, sondern gehen Sie am besten folgendermaßen vor:• Im ersten Durchgang sollten Sie alle Fragen, die Sie sofort beantwor-

ten können, ankreuzen und die schwierigeren Aufgaben, bei denen Sie unsicher sind, zunächst offenlassen.

• Kontrollieren Sie nach dem Durchgang, wie viel Zeit Ihnen geblieben ist. Teilen Sie die verbleibende Zeit auf die Anzahl der übrig geblie-benen ungelösten Antworten auf, und halten Sie sich an die für jede Aufgabe vorgesehene Zeit.

• Gehen Sie im zweiten Durchgang wiederum so vor, dass Sie zunächst die weniger schwierigen Aufgaben beantworten.

• Die verbliebenen ungelösten Aufgaben bearbeiten Sie im dritten Durchgang. Halten Sie sich dabei an die pro Aufgabe vorgegebene Restzeit.

• Wenn Sie eine Aufgabe in dieser Zeit nicht lösen können, dann strei-chen Sie auf jeden Fall die wahrscheinlichste Lösung an. Meist läuft es darauf hinaus, dass Sie einige falsche Antworten ausschließen können und dann nur zwei Ihnen richtig erscheinende Alternativantworten übrig bleiben. Wenn Sie sich bei der endgültigen Wahl unsicher sind, sollten Sie auf jeden Fall raten. Denn dann haben Sie immerhin eine Ratewahrscheinlichkeit von 50 Prozent für die richtige Antwort.

• Merken Sie sich die Aufgaben vor, die Sie noch einmal überdenken wollen.

• Wenn Sie zum Schluss noch etwas Zeit haben bzw. Zeit für einen abschließenden Korrekturvorgang eingeplant haben, dann schauen Sie sich nur die zum Überdenken vorgemerkten Aufgaben an.

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4. Sorgen Sie für ein gutes Timing.Damit es Ihnen nicht passiert, dass Sie sich bei einer der späteren Auf-gaben gehetzt fragen, ob Sie noch rechtzeitig fertig werden, sollten Sie schon zu Beginn der Klausur einen Zeitplan aufstellen.

Machen Sie sich den verfügbaren Zeitrahmen sichtbar, indem Sie Stundenmarken verteilen: Markieren Sie die Aufgabe, die Sie nach einer Stunde erreicht haben müssten. Setzen Sie ebenfalls Ihre Zweistunden- und Dreistunden-Marke fest. So erkennen Sie frühzeitig, ob Sie gut in der Zeit liegen und können rechtzeitig gegensteuern.

5. Schalten Sie Pausen ein.Gerade bei den MC-Klausuren hat man festgestellt, dass ab einer bestimmten Aufgabenzahl verstärkt Fehlerserien auftreten. Die Kan-didaten konnten sich diese Fehler gar nicht erklären, weil sie die rich-tigen Antworten eigentlich gewusst hatten. Aber sie hatten ohne Pause gearbeitet. Ihre Fehler gingen darauf zurück, dass ihr Geist anscheinend wegen Überanstrengung eine Notpause eingelegt hatte.

Wenn Sie jedoch im Voraus kurze Pausen einplanen, können Sie ver-hindern, dass es dazu kommt. Halten Sie sich am besten an die Zeitmar-ken und machen Sie nach jeder Stunde eine Pause von drei Minuten. Sorgen Sie dabei für eine aktive Entspannungsübung!

6. Lösungen sofort auf den Computerbogen übertragen.Es ist zu empfehlen, die Lösungsbuchstaben der als richtig identifizier-ten Antwortalternativen zuerst in das Aufgabenheft und dann sofort auf den Computerbogen zu übertragen. Wenn Sie das Übertragen für den Schluss reservieren, kann es sehr leicht zu Übertragungsfehlern kommen. Außerdem verschafft Ihnen die mechanische Tätigkeit des Übertragens jeweils eine kleine Pause. Auch die »unsicheren« Ant-worten sollten Sie sofort auf dem Computerbogen markieren. Denn, falls Sie unter Zeitdruck geraten und nicht mehr zum Markieren kommen, bringen Ihnen die nicht angekreuzten Aufgaben keine Punkte. Wenn Sie sich einzelne Aufgaben später noch einmal vor-nehmen wollen, dann merken Sie sich dies durch Markierungen im Aufgabenheft vor. Wenn Sie am Ende noch Zeit übrig haben sollten, können Sie die Vormerkungen dann gezielt nutzen. Die vielleicht

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schon eingetragene geratene Antwort lässt sich leicht ausradieren und korrigieren.

7. Vorsicht vor »Verschlimmbesserungen«!Fangen Sie am Ende der Klausur, wenn noch Zeit übrig bleiben sollte, nicht damit an, ziellos zu blättern und hier und da noch etwas zu kor-rigieren. Meist kommt es dadurch eher zu Fehlern als zu Verbesserungen, weil Ihre Konzentration nach vier Stunden Arbeit stark nachgelassen hat. Beschränken Sie sich nur auf die von Ihnen vorgemerkten Antwor-ten, bei denen Sie bereits »Vorarbeit« geleistet haben.

8. Ermunterung zum Raten.Sie werden häufig in die Situation geraten, dass Sie bei Aufgaben zwar drei Alternativen ausschalten, sich aber zwischen den restlichen beiden nicht entscheiden können. Das ruft leicht ein Gefühl von Unsicherheit hervor. Vielleicht hilft Ihnen die folgende Erklärung dabei, die Klippe zu überwinden: Die Aufgaben müssen aus testtheoretischen Gründen so konstruiert sein, dass sie eine optimale Trennschärfe haben. Und das haben sie, wenn sie einen mittleren Schwierigkeitsgrad haben, nämlich einen Index von 50 Prozent. Das heißt aber, dass es konkret diejenigen sind, bei denen Sie vor der Fifty-fifty-Wahl stehen. Sie können sich also sagen, dass Sie mit Ihrer Reaktion im Erwartungsbereich der Frage lie-gen.

9. Das Misserfolgsgefühl nach der Klausur – der »Zeigarnik-Effekt«.Wenn sich bei Ihnen nach der Prüfung ein Misserfolgsgefühl einstel-len sollte, weil Ihnen immer wieder Antworten einfallen, die Sie beim anschließenden Überprüfen in der Fachliteratur als falsch erkennen, und Sie infolgedessen zu einem bestürzenden Gesamtergebnis kommen sollten, dann führen Sie sich vor Augen, dass bei Ihnen der sogenannte »Zeigarnik-Effekt« auftritt. Damit wird das Phänomen bezeichnet, dass die Dinge am besten behalten werden, die die höchste Spannung hinterlassen haben. Und das sind insbesondere die ungelösten Aufgaben, die Sie mit einem unguten Gefühl beendet haben. Die Aufgaben, die Sie ohne Schwierigkeiten richtig gelöst haben, hinterlassen viel weniger Spannung als die subjektiv »unerledigten« und »melden sich« dann

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auch nicht. Infolgedessen wird Ihr Gesamteindruck verzerrt. Vermut-lich liegen Sie besser im Rennen, als Sie es in dieser kritischen Situation »unmittelbar nach der Prüfung« vermuten! Nach meinen Erfahrungen ist die Selbsteinschätzung der Prüfungskandidaten nach der Prüfung in den meisten Fällen deutlich schlechter als das tatsächliche Prüfungs-ergebnis.

10. Das spezifische Prüfungsverhalten trainieren.Für MC-Klausuren ist es ein Muss, das spezifische Bearbeitungsverhal-ten vorher gut zu üben. Gerade diejenigen, die sich mit diesem Prüfungs-typ schwertun, sollten besonders intensiv trainieren. Das Einhalten des Timings und der gestaffelten Bearbeitungsstrategie erfordert viel Selbstdisziplin. Deshalb wird Ihnen das Üben in der Gruppe vermutlich leichterfallen. Unter der Adresse von Medi-Learn (www.medi-learn.de) erhalten Sie zum Beispiel auch eine CD mit der Originalklausur zum ersten Staatsexamen aus dem letzten Semester. Das ermöglicht Ihnen eine Simulation der Ernstprüfung!

Viele Studierende der Medizin nutzen das »Kreuzen« – wie es salopp heißt – auch als wichtigen Teil ihrer fachlichen Vorbereitung, meist in Ergänzung zum Lernen anhand der Fachbücher und der Sammlungen von Prüfungsfragen aus der »Schwarzen Reihe«. Aber, wie ich erfahren habe, stützen sich manche auch vorwiegend auf das Lernen durch das »Kreuzen«, besonders dann, wenn die Vorbereitungszeit besonders knapp ist.

Kompaktprüfungen durchstehen

Manche Examina erstrecken sich über mehrere Tage, so zum Beispiel das erste Staatsexamen in Humanmedizin, das an drei aufeinanderfolgen-den Tagen jeweils fünfstündig stattfindet. Das mag vor der Prüfung als gewaltige Anstrengung erscheinen. Befragt man die Kandidaten, nach-dem sie es hinter sich gebracht haben, so stellen sie meist fest, dass es »eigentlich ganz gut ging«. Das, was sie befürchtet hatten, trat nicht ein: Sie konnten nach der geschriebenen Klausur gut abschalten, beschäftig-

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ten sich dann am Nachmittag mit anderen Dingen und konnten auch nachts gut schlafen. Vielleicht können Sie die Erfahrungen Ihrer Kom-militonen beruhigen. Man kann sich physisch und psychisch auf die Anforderungssituation einstellen!

Für den Rest der anstrengenden Prüfungstage sollten Sie sich Aktivi-täten vornehmen, die Sie entspannen und auf andere Gedanken bringen. Das können mußevolle Beschäftigungen – wie das Lesen Ihrer Lieblings-literatur oder Musikhören – oder auch Betätigungen sein, mit denen Sie sich »auspowern« wie zum Beispiel bei Ihrem Lieblingssport.

Wenn Sie unbedingt noch in Ihre Bücher schauen wollen, dann soll-ten Sie dies aber zeitlich sehr begrenzen. Vermeiden Sie das Neulernen, bestenfalls könnten Sie zu einer Frage, die Ihnen durch den Kopf geht, mal etwas nachschlagen oder anhand Ihrer Unterlagen klären.

Halten Sie Ihre Prüfungsmotivation aufrecht, auch wenn der ver-gangene Prüfungstag nicht so gut gelaufen ist. Bestärken Sie sich in dem Ehrgeiz, dann erst recht die nächste Etappe in Angriff zu nehmen.

Darüber hinaus empfehle ich Ihnen, sich die Anregungen anzu-schauen, die ich in den folgenden Abschnitten für die letzten Tage vor der Prüfung gegeben habe. Sie gelten auch für die Phase der ausgedehn-ten Prüfung.

Die Wiederholungsprüfung

Vor einer Wiederholungsprüfung zu stehen, nachdem man bei der ersten Prüfung durchgefallen ist, führt meist zu einer größeren psy-chischen Belastung als bei der Erstprüfung. Zum einen wirkt der Miss-erfolg bei der ersten Prüfung nach – manch einer erlebt das »Durchfal-len« als einen Makel – und zum anderen wird meist auch befürchtet, dass die Chance »durchzukommen« kleiner geworden ist. Wieder-holungskandidaten meinen häufig, dass der Prof ihnen gegenüber als »Wiederholer« ein Vorurteil hat und ihnen wenig zutraut. Halten Sie sich nicht mit solchen Vorurteilen auf, sondern nutzen Sie auf kluge Weise Ihre erneute Chance auf Erfolg. Sie haben die Möglichkeit, es diesmal besser zu machen! Geben Sie sich »grünes Licht« für einen

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erneuten Start und sorgen Sie für eine intensive und effiziente Prü-fungsvorbereitung.

Beachten Sie dazu folgende Empfehlungen:

• Werten Sie Ihre Erfahrungen mit der Erstprüfung aus. Überprüfen Sie auf jeden Fall Ihre fachliche Vorbereitung: Was haben Sie beim letzten Mal zu wenig beachtet oder falsch gemacht? Wo haben Sie Lücken oder Schwächen, die Sie »ausbügeln« müssen? Sie erhalten damit sicher Hinweise für die Verbesserung Ihrer Strategien und Ihres Verhaltens in der Prüfung. Überprüfen Sie Ihre Lernmethoden und nutzen Sie die Empfehlungen dieses Buches.

• Beraten Sie sich auch mit Ihren Kommilitonen. Suchen Sie sich tat-kräftige Unterstützung beim Lernen und auch beim Üben für das Prüfungsgespräch.

• Sorgen Sie für eine positive »innere Aufrüstung«, indem Sie sich in der Aussicht auf Erfolg bestärken und eine kämpferische Motivation entwickeln.

• Wenn Sie Schwierigkeiten mit dem Prüfungsstil Ihres Prüfers haben oder wenn Sie einfach mal eine unangestrengte Gesprächssituation mit ihm erleben möchten, sollten Sie nicht zögern, ihn in seiner Sprechstunde aufzusuchen. Der direkte persönliche Kontakt mit ihm erleichtert meist auch das spätere Prüfungsgespräch.

Die letzten Tage vor der Prüfung

Wenn Sie die Empfehlungen dieses Buches aufgegriffen und an Ihre Bedürfnisse adaptiert haben, dann werden Sie auch zu einer für Sie opti-malen Vorbereitungsstrategie gefunden haben. Sie werden einige Tage vor dem Prüfungstermin einen guten Stand der fachlichen Vorbereitung und ein Gefühl, das überwiegend durch Zuversicht geprägt ist, erreicht haben. Vielleicht ist Ihre Prüfungsangst nicht völlig verschwunden; aber Sie wissen, wie Sie mit ihr umgehen und sie auf ein akzeptables Maß herunterschrauben können. Erinnern Sie sich daran, dass Sie Ihre Prü-fungsangst auch brauchen, um Ihre Kondition voll auszuspielen. Ein

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Schauspieler, der vor der Premiere kein Lampenfieber verspürt, sieht dies eher als ein schlechtes Omen! Auch der Leistungssportler deutet seine Aufgeregtheit vor den Meisterschaften als Zeichen von Energetisierung und nimmt in seinem mentalen Training den erfolgreichen Ablauf des Kampfes vorweg.

Wie Sie die letzten drei oder vier Tage vor der Prüfung gestalten, müs-sen Sie für sich selbst entscheiden. Es gibt dafür kein Patentrezept. Sie sollten diese an Ihre persönlichen Bedürfnisse anpassen. Die folgenden drei Beispiele zeigen Ihnen, wie breit das Spektrum der Verhaltensweisen dabei sein kann:

• Ein Student berichtete, dass er in den letzten Tagen vor seinem Staats-examen ständig im Park in seiner Nachbarschaft unterwegs gewesen sei. Er sei noch nie zuvor so häufig spazieren gegangen wie zu dem Zeitpunkt. Er habe allerdings seine Karteikarten dabeigehabt und sich den Stoff laut redend vorgetragen.

• Eine Studentin musste ihre Schreibtischarbeit immer mal wieder durch eine Runde Shopping unterbrechen. Beim Zug durch die Bou-tiquen war sie dann völlig absorbiert von der Frage der Kleiderwahl für das Examen. Anschließend hatte sie den Kopf wieder frei für die »wichtigeren Dinge«.

• Ein anderer Student schwor darauf, bis zur letzten Minute vor der Prüfung über seinen Büchern sitzen zu müssen. Er meinte, es würden ihm bis zuletzt immer noch ganz wichtige Aspekte einfallen, nach denen der Prüfer fragen könnte. So sei es ihm auch am letzten Abend vor seiner Diplomprüfung gegangen: »Kurz vor Zwölf« sozusagen sei er noch auf eine Lücke gestoßen, die am nächsten Tag vom Prüfer auch tatsächlich angesprochen worden sei.

Übrigens haben alle drei Studierenden im Examen gut abgeschnitten!Es scheint jedoch in allen drei Beispielen eine gewisse Unruhe und

»Umtriebigkeit« im Spiel gewesen zu sein. Vielleicht gelingt es Ihnen, mehr Ruhe und Abstand zu gewinnen und in den letzten drei Tagen in erster Linie für Ihr körperlich-seelisches Wohl zu sorgen.

Abschließend noch einige allgemeinere Anregungen zu den letzten Tagen vor der Prüfung:

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✓ WennSieunbedingtnochlernenmüssen,dannüberschreitenSieindenletztenTagennichtdieGrenzeIhrerAufnahmekapazität.MehralssechsStundenproTagsolltenesnichtmehrsein!

✓ LernenSiemöglichstnichtmehrvielNeues,sondernverfestigenSiedengelerntenPrüfungsstoffanhandIhrerÜbersichtenundStruktur-schemata.

✓ SorgenSieaktivfüreinegutekörperlich-seelischeVerfassung,zumBeispielindemSieausreichendlangeschlafen.WenndasAutogeneTrainingalsEinschlafhilfenichtausreicht,bauenSievor:durchkör-perliches»Auspowern«beimSportoderdurchandereAnstrengun-gen,diezurwohligenErschöpfungführen.

✓ Planen Sie Annehmlichkeiten in Ihren Tagesablauf ein, sodass SiesichimVorausdarauffreuenkönnen.

✓ MeidenSieMitmenschen,dieSie»verrücktmachen«undIhrePrü-fungsangst verstärken können. Suchen Sie stattdessen die Gesell-schaftvonFreunden,dieSieermunternundnotfallsaufbauenkön-nen.LassenSiesichvonIhremPartnereinwenigverwöhnen.

✓ Verlieren Sie nicht ganz den Kontakt zur Alltagsrealität aus demAuge.DenkenSiedaran,dassdasLebendraußenweitergehtunddasWeltgeschehensichnichtnurumIhrExamendreht.

✓ Undlastnotleast–esführtkeinWegdarumherum:SiemüssendieStresssituationaushalten.EsstehtinderTateinwichtigerSchrittan.Aberesistaucheiner,derSieweiterführt.SiewerdensichnachhereingutesStücksouveränerfühlen!

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8 Vorbereitung auf andere prüfungsähnliche Situationen

Nicht nur die fachlichen Prüfungen innerhalb der Studiengänge kön-nen Prüfungsangst auslösen, auch manch andere Situationen, die sich auf Leistungsbewertung im sozialen Kontext beziehen, sind mit Stress und Ängsten verbunden. Unter Studierenden weit verbreitet ist die Rede-angst, die das Mitdiskutieren im Seminar behindert und bei manchen auch völlig verhindert.

Auch das Aufsuchen des Professors in seiner Sprechstunde ist bei vie-len angstbesetzt. Hierbei spielt die Angst vor der überlegenen Autorität und deren befürchteter Bewertung eine wichtige Rolle. Sie verhindert es, dass die Beratungsaufgabe, zu der Hochschullehrer verpflichtet sind, in Anspruch genommen wird.

Eine weitere kritische Situation, die manch einen Studierenden beun-ruhigt, ist das Vorstellungsgespräch bei der Bewerbung um ein Praktikum. Das Absolvieren von Praktika in der außeruniversitären, zukünftigen Berufspraxis gehört heute mit zu den regulären Anforderungen der meisten Studiengänge. Bei den besonders begehrten Praktika kommt es darauf an, sich gut zu präsentieren. Das löst Verunsicherung aus, da die Anforderungen der Praxisbereiche und die Kriterien der Bewertung vielen schwer einschätzbar erscheinen.

Um das wirkungsvolle Präsentieren geht es auch bei dem wissenschaft-lichen Vortrag. Die Anfertigung eines Referats für ein Seminar oder Kol-loquium und erst recht eines Vortrags für eine wissenschaftliche Tagung oder für einen Kreis von Berufskollegen kostet die Autoren meist viel Nerven und löst häufig Furcht vor der negativen Bewertung des Publi-kums aus. Auch wenn an die Seminarreferate in der Regel noch nicht

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die Kriterien angelegt werden, die für anspruchsvollere Vorträge gelten, sollten Studierende frühzeitig beginnen, das Vortragen vor Publikum zu üben, denn im weiteren Verlauf ihrer Karriere wird es zunehmend zu ihren beruflichen Aufgaben gehören.

Zur Vorbereitung auf diese verschiedenen Bewertungssituationen finden Sie in diesem Kapitel viele Empfehlungen und Gestaltungsprin-zipien.

Redeangst in Seminaren

Redeangst ist unter Studierenden weit verbreitet. In vielen Seminaren kann man beobachten, dass nur wenige Teilnehmer mitreden, die Mehr-heit aber schweigt. An der Diskussion beteiligen sich nicht unbedingt diejenigen, die viel zu sagen hätten. Unter den Schweigenden finden sich auch nicht diejenigen, die nichts zu sagen hätten. Die aktive Beteiligung an der Seminardiskussion hängt in erster Linie davon ab, ob die Angst vor der Rede coram publico überwunden wird. Bei Redeangst spielt sich derselbe Prozess wie bei der Prüfungsangst ab: Die Anforderung, sich mit seinem Wissen vor den anderen zu exponieren, löst die Symptome von Angsterregung aus – das Herzklopfen, das Zittern der Hände, den trockenen Mund. Befürchtet wird, bei den anderen mit seinem »Auf-tritt« einen negativen Eindruck zu machen. Durch die möglicherweise negative Bewertung des Publikums wird das Selbstwertgefühl bedroht. In der Seminarsituation liegt aber der Schritt zur Vermeidung der Angst viel näher als bei der Angst vor Prüfungen: Wenn man auf den Beitrag verzichtet, muss man die Angst nicht aushalten. Obendrein bleibt die Nichtbeteiligung ohne negative Sanktionen. Man kommt auch ohne Redebeteiligung im Seminar durch das Studium! Sich nicht an den Diskussionen zu beteiligen, hat aber Konsequenzen für das Selbstwert-gefühl, denn die Schweigenden fühlen sich dabei meist ziemlich mies, eben nicht vollwertig, und ärgern sich anschließend über sich selbst. Um aus dieser unbefriedigenden Situation herauszukommen, suchen viele die Unterstützung der Psychologischen Beratungsstelle. Manche Uni-versitäten bieten deshalb Kurse zur Bewältigung von Redeangst an.

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Gründe für die Entwicklung von Redeangst und entsprechenden Vermeidungsstrategien liegen sicher auch in den objektiven Bedingun-gen der Universität: in den Seminaren mit großer Teilnehmerzahl und heterogener Teilnehmerstruktur, in der Anonymität der sozialen Bezie-hungen einer Massenuniversität oder andersherum betrachtet, in den fehlenden persönlichen Beziehungen zwischen den Studierenden unter-einander und denen zwischen Lehrenden und Studierenden, die die Überwindung von Ängsten erleichtern würden. Eine gezielte Anleitung für die Kommunikation in Seminaren fehlt weitgehend. Aber es gehört auch mit zu den Sozialisationsaufgaben von Studierenden, sich an die institutionellen Bedingungen der Universität anzupassen und Ängste in eigener Regie zu überwinden. Das Ausweichen vor der Angst führt nur zu Stagnation und verhindert wichtige Entwicklungsschritte.

Untersuchungen bei Redeängstlichen haben herausgefunden, dass sie sich in ihren Fähigkeiten und Leistungen meist unterschätzen und zu Selbstzweifeln tendieren. Sie haben anscheinend auch vonseiten ihrer Eltern weniger Bestärkung und mehr Kritik gegenüber ihrem Kommu-nikationsverhalten erfahren. Die psychodynamische Erklärung weist auf einen Konflikt zwischen dem Wunsch nach Aufmerksamkeit und der Angst vor Zurückweisung hin. Da auch ein möglicher Kontrollverlust droht und eigene Aggressionen bei erlebtem Misserfolg zum Ausbruch kommen können, wird das Bedürfnis nach Selbstdarstellung massiv gehemmt. Auch das Fehlen von »Skills« für die kommunikative Situa-tion in Seminaren stellt für eine aktive Beteiligung ein Hindernis dar.

Die Ansatzpunkte zur Überwindung von Redehemmungen sind dieselben wie bei der Bewältigung von Prüfungsangst. Erstens geht es darum, die eigene kognitive Einstellung gegenüber der Angst zu über-prüfen, inadäquate Selbstansprüche zu korrigieren und zu einer kon-struktiven Motivation zu gelangen. Dabei hilft Ihnen das ABC der Kognitionsanalyse. Zweitens gelingt es Ihnen durch ein Entspannungs-training, die in der Anforderungssituation entstehende Aufregung zu dämpfen. Und drittens führen wiederholte praktische Übungen im Redeverhalten dazu, die Angst zu bewältigen und dabei auch das Kom-munikationsverhalten zu verbessern.

Die Teilnahme an einer angeleiteten Gruppe, die diese genannten Aspekte bearbeitet, ist eine besonders gute Voraussetzung zur Über-

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windung der Redeangst (vgl. Steinbuch 1998). Aber falls es in Ihrer Umgebung kein solches Angebot gibt, sollten Sie Ausschau halten nach weiteren Übungsmöglichkeiten. Manche Kurse in Rhetorik sehen auch viele Übungssituationen vor und gehen auf das Thema Redeangst ein. Darüber hinaus könnten Sie auch selbst initiativ werden und sich mit Kommilitonen zusammentun, die ähnliche Probleme wie Sie haben. In der Arbeitsgruppe können Sie von der gemeinsamen solidarischen und konstruktiven Motivation profitieren. Aber natürlich können Sie auch in Eigenregie Ihrem Problem »zu Leibe rücken«. Dazu die folgenden Empfehlungen:

• Akzeptieren Sie Ihre Redeangst und die begleitenden Symptome als normal und zur Situation gehörend. Entkräften Sie den »Besorgt-heitsfaktor«, indem Sie sich gedanklich in die befürchtete Situation versetzen und positive Reaktionsmöglichkeiten durchspielen (wie zum Beispiel auf negative Kritik sachlich eingehen). Akzeptieren Sie möglicherweise auftretende Fehler (wie zum Beispiel stottern, den Faden verlieren usw.) und verschonen Sie sich mit Selbstvorwürfen.

• Üben Sie ein Entspannungstraining und legen Sie sich einige Übun-gen zur Dämpfung von Aufgeregtheit zurecht.

• Nehmen Sie sich ein Programm von Verhaltensübungen vor. Staffeln Sie diese nach ihrem subjektiven Schwierigkeitsgrad und gehen Sie in kleinen Schritten vor. Beginnen Sie mit der Aufgabe, in der nächsten Seminarsitzung nur eine Frage zu stellen, die Sie vorher vorbereitet und aufgeschrieben haben. Sie kann zunächst ganz einfach sein und vielleicht nur nach einer Literaturempfehlung oder nach einem ganz formalen Punkt fragen. Wiederholen Sie diese Übung mehrmals und schließen Sie dann eine schwierigere Aufgabe an, wie zum Beispiel eine fachliche Frage zu stellen oder die Interpretation einer Textstelle bzw. eines Problems zur Diskussion zu stellen. Als Nächstes könnten Sie sich vornehmen, einen Diskussionsbeitrag zu leisten. Und als höchstes Ziel könnten Sie schließlich den mündlichen Vortrag eines Referats anstreben.

• Loben Sie sich bei jedem Schritt allein dafür, dass Sie Ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt haben. Betrachten Sie mögliche Kritikpunkte lediglich unter dem Aspekt, was Sie daraus lernen können.

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Eine Arbeitsgruppe zusammen mit Kommilitonen bietet natürlich den Vorteil, dass Sie Ihre Erfahrungen mit den Übungen austauschen kön-nen und dafür auch Feedback bekommen. Viele Übungen lassen sich auch direkt in der Arbeitsgruppe durchführen – so zum Beispiel die Aufgabe, zu einem vorgegebenen Thema einen kleinen Vortrag aus dem Stegreif halten. Auch können Sie Ihr Publikum nutzen, um Ihr Referat, für das Sie sich im Seminar angemeldet haben, vorab zu proben.

Die Sprechstunde beim Professor

Den Professor oder die Professorin in deren Sprechstunde aufzusuchen, bereitet manch einem Studierenden große Schwierigkeiten. Man wünscht sich seinen oder ihren Rat bei mancherlei Problemen, aber gleichzeitig gilt es, eine Schwelle zu überwinden. Häufig wird als Konsequenz die Anmel-dung für einen Termin erst einmal verschoben. Woran liegt das?

Direkte persönliche Gespräche zwischen Studierenden und Lehren-den finden im Universitätsalltag relativ selten statt. Man erlebt die Her-ren Professoren und meist auch die Professorinnen vorwiegend aus der Distanz – in der Dozentenrolle, als Seminarleiter und als Autorität, die Prüfungsleistungen beurteilt. Darüber hinaus bringt man ihnen viel-leicht auch Respekt als »bedeutende Wissenschaftler« oder zumindest als Experten ihres Fachgebiets entgegen. Es gibt Hinweise darauf, dass Professorinnen bei ihren Studierenden weniger Schwellenängste erzeu-gen und ihnen durch freundliche Zuwendung den Schritt zur Kontakt-aufnahme erleichtern. Aber im Grunde spielen sich in der Kommunika-tion mit ihnen ganz ähnliche Prozesse ab. Nur in wenigen Fachbereichen haben sich inzwischen weniger formelle und mehr kooperative und kol-legialere Kommunikationsbeziehungen herausgebildet. Auch wenn die Schwelle zur Annäherung gegenüber früheren Zeiten generell abgenom-men hat, fühlen sich doch auch heute noch viele Studierende gegenüber den fachlichen Autoritäten als »kleines Licht« und schrecken davor zurück, sich mit ihren Anliegen zu offenbaren.

Dass ratsuchende Studierende vor der Anmeldung zur Sprechstunde zurückschrecken, liegt in einem Konflikt begründet: Einerseits ver-

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folgen sie mit dem Gespräch beim Prof einen bestimmten Zweck – sie suchen seinen Rat für die Anfertigung eines Referats oder sie wollen ihn als Prüfer oder Betreuer einer Bachelor- oder Magisterarbeit gewinnen. Andererseits wollen sie aber auch einen guten Eindruck bei ihm hervor-rufen, und damit stehen sie vor einer Bewertungssituation (die Prüfung vor der Prüfung). In diese Bewertung gehen möglicherweise viel mehr Aspekte ein, als wenn es um die Beurteilung in der mündlichen Prüfung geht, bei der die fachliche Leistung im Vordergrund steht: Es könnte sein, dass der Professor einen als Person beurteilt, dass er neben der fachlichen Kompetenz die allgemeine Intelligenz, die Denkweise und vielleicht auch die soziale Gewandtheit einschätzt und dass es dabei auch um Sympathie und Antipathie gehen könnte. Dabei möchte sicherlich jeder Student und jede Studentin gut abschneiden!

Die äußeren Bedingungen der Sprechstunde tragen ebenfalls in der Regel nicht dazu bei, Probleme zu reduzieren: Bei der Anmeldung im zuständigen Sekretariat kommt man auf eine Liste, häufig ist es eine War-teliste, da die aktuellen Termine schon ausgebucht sind. Oder gerade dann, wenn man seine Hilfe benötigt, ist der Professor nicht im Lande. Das trifft besonders auf die Zeit der Semesterferien zu. Die technische Möglichkeit, ihm eine E-Mail zu schreiben, engt das Anliegen häufig enorm ein. Schon die Anmeldung zur Sprechstunde kann also einige Frustrationen auslösen! Wenn man dann einen Termin hat, sitzt man zusammen mit den anderen wartenden Studierenden auf dem Flur und sieht sich in Gedanken in der großen Schar der Studierenden, die der Prof zu betreuen hat. Manch einer schreckt davor zurück, dem »vielbeschäftigten Professor« seine kostbare Zeit zu stehlen, und sieht sich selbst in der Rolle des Bittstellers. Gleich-zeitig spürt man aber auch die Kränkung, nur einer oder eine unter vielen zu sein. Bei manchen stellen sich Minderwertigkeitsgefühle ein, die dann in der Sprechstunde dazu führen, es möglichst kurz und knapp hinter sich zu bringen. Bei anderen wird der Ehrgeiz wachgerufen, sich aus der Menge der Kommilitonen besonders hervorzutun. In beiden Fällen kommt dann meist das inhaltliche Anliegen viel zu kurz.

Vor dem Gespräch in der Sprechstunde ist also im Gefühlshaushalt der Ratsuchenden eine Menge los! Deshalb gilt es, mit Vernunft und Sachlichkeit und mit guter Vorbereitung gegenzusteuern.

Dazu folgende Tipps:

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• Sorgen Sie zuallererst für Ihre »innere Aufrüstung«: Machen Sie sich klar, dass Sie kein Bittsteller sind, sondern einen Anspruch darauf haben, von Ihren Professoren und Professorinnen beraten zu werden. Es gehört zu ihren regulären Aufgaben, Studierende bei Studienfra-gen und Problemen mit den Studienanforderungen zu beraten. Auch die aktuelle Diskussion über Schwierigkeiten bei der jüngsten Stu-dienreform betont die Wichtigkeit von Beratung der Studierenden durch die Lehrenden.

• Stellen Sie Ihre Skrupel beiseite und konzentrieren Sie sich auf Ihr sachliches Anliegen. Einen guten Eindruck erzielen Sie ganz bestimmt durch gute Vorbereitung auf das Gespräch! Klären Sie vorab Ihre Fra-gen und notieren Sie sie am besten auf einem Merkzettel. Sonst kann es Ihnen leicht passieren, dass Ihnen manche wichtige Punkte durch den Ablauf des Gesprächs verloren gehen. Ihr Merkzettel unterstützt Sie dabei, eine aktive Rolle zu übernehmen und das Gespräch zu steu-ern.

• Sorgen Sie durch Ihre Vorbereitung dafür, dass das Gespräch effizient wird. Wenn Sie Fragen anschneiden wollen, die sich auf ein komple-xeres Anliegen beziehen – wie zum Beispiel Ihre Themensuche zur Magisterarbeit – , dann sollten Sie Ihrem Professor einen Text dazu vorlegen, der die wesentlichen Inhalte und bisherigen Ergebnisse Ihrer Recherche umfasst. Auf dieser Basis lässt sich ergiebiger diskutieren. Ihren Text sollten Sie ihm auch schon vorab per E-Mail zusenden.

• Sie dürfen und sollten sich auch während des Gesprächs Notizen machen. Das ist besonders dann sinnvoll, wenn es sich um wichtige Anregungen und Informationen handelt.

• Wenn Sie eine umfangreichere Ausarbeitung, die Sie als Referat oder Examensarbeit angefertigt haben, mit Ihrem Prof besprechen wollen, dann empfiehlt es sich, ihm oder ihr rechtzeitig vor dem Termin die Arbeit zukommen zu lassen. Bei manchen »vielbeschäftigten« Pro-fessoren ist es ratsam, sie kurz vor dem Termin nochmal an die Arbeit und den Gesprächstermin zu erinnern. In manchen Fällen helfen einem dabei auch die Sekretärinnen des Professors. Hilfreich könnte es auch sein, Ihrem Berater Ihre Fragen vorab mitzuteilen.

• Wenn Sie Ihren Prof als Prüfer oder Betreuer Ihrer Examensarbeit gewinnen wollen, dann sollten Sie auch über seine fachlichen Schwer-

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punkte und Veranstaltungen informiert sein. Falls Sie ihn nicht aus eigenen Veranstaltungen kennen, müssen Sie erst einmal recherchie-ren. Rechnen Sie mit der Frage, warum Sie gerade bei ihm die Prüfung machen wollen.

• Setzen Sie sich in dem Gespräch nicht übermäßig unter Zeitdruck. Für die Zeitplanung der Sprechstunde ist Ihr Prof zuständig. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie benötigen, um Ihr Anliegen tatsächlich zu klären.

• Fertigen Sie nach dem Gespräch ein Protokoll an, das die für Sie wesentlichen Punkte enthält. Das ist besonders im Rahmen der Betreuung von längerfristigen Examensarbeiten sinnvoll. Damit kön-nen Sie sich bei einem nachfolgenden Gespräch das Anknüpfen an bestimmte Fragen erleichtern. Wenn Sie Ihr Gedächtnisprotokoll auch an Ihren Gesprächspartner senden, können Sie sein eventuelles Feedback auch für die Kontrolle Ihrer Notizen nutzen.

(Weitere Aspekte dazu finden Sie in dem Abschnitt über das Vorberei-tungsgespräch für die Prüfung.)

Bewerbung um ein Praktikum

In vielen Studiengängen wird verlangt, Praktika außerhalb der Univer-sität zu absolvieren. Die praktischen Erfahrungen sollen den Studie-renden eine bessere berufliche Qualifizierung vermitteln, die ihnen die zukünftige Stellensuche auf dem Arbeitsmarkt erleichtert. Attraktive Praktikumsplätze, bei denen man viel lernen kann, sind in aller Regel rar und von vielen begehrt. Infolgedessen muss man als Bewerber schon einige Aktivitäten entfalten, um schließlich das Rennen zu machen. Dazu gehören gründliches Recherchieren der Praktikumsmöglichkei-ten, ein aussagekräftiges Bewerbungsschreiben und, wenn die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erfolgt, auf die Gesprächspartner einen überzeugenden Eindruck zu machen.

Auf das Vorstellungsgespräch soll im Folgenden näher eingegangen werden, denn es bereitet vielen Studierenden Sorge, wie sie sich präsentie-

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ren können, um einen positiven Eindruck hervorzurufen. Die Aspekte, nach denen Bewerber beurteilt werden, erscheinen vielen unklar. Das verunsichert manch einen viel mehr als die Aussicht, dass – wie in der Universitätsprüfung – nur fachliche Leistungen geprüft werden, die man weitgehend voraussehen kann. Vielfach wird auch befürchtet, eben mit der gesamten Persönlichkeit »auf dem Prüfstand« zu stehen. Dem lässt sich nur durch eine reflektierte Vorbereitung begegnen.

Da die schriftliche Bewerbung die Tür zu einem Vorstellungsgespräch öffnet, sollen auch hier die wesentlichen Momente kurz skizziert werden. (Ausführliche Informationen dazu sollten Sie sich unbedingt anhand der Bewerbungsliteratur aneignen. Siehe zum Beispiel Hesse und Schra-der 2007.)

Das Bewerbungsschreiben umfasst das Anschreiben und den Lebens-lauf. Das Anschreiben sollte folgende Elemente und Aspekte enthalten:

• Eine Begründung für das Interesse an dem Praktikumsplatz: Das setzt Informationen über die Institution und den angestrebten Arbeitsbe-reich voraus, die Sie sich unbedingt vorher beschaffen sollten. Außer-dem sollte dabei auch Ihre weitere berufliche Perspektive deutlich werden.

• Die Darstellung Ihrer eigenen Voraussetzungen für die angestrebte Tätigkeit: Beschreiben Sie Ihre bisherigen dafür relevanten Studien-leistungen – wie bestimmte Seminarbesuche, Referate und Pro-jekttätigkeiten – und konkreten Tätigkeiten – und geben Sie Jobs, ehrenamtliche Tätigkeiten etc. an, die Aufschluss geben über Ihre allgemeineren Fähigkeiten wie zum Beispiel Umgang mit Menschen, Organisationsfähigkeit etc.

• Fassen Sie sich dabei kurz und stützen Sie sich auf möglichst konkrete Beschreibungen. Auch bei der Beurteilung Ihrer allgemeinen Fähig-keiten sollten Sie Bezug nehmen auf den Kontext, in dem Sie Ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen mussten.

Während das Anschreiben nicht mehr als eine Seite lang sein sollte, kann Ihr Lebenslauf auch länger sein. Seine Länge hängt davon ab, wie viel Sie an »Stationen« Ihres Ausbildungs- und Werdegangs und an Tätigkeiten und Leistungen, die Sie qualifizieren, »zu bieten« haben.

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Die wesentlichen Aspekte des Vorstellungsgesprächs

Auf Folgendes möchte ich Sie besonders aufmerksam machen: Mit Ihrem Bewerbungsschreiben verfassen Sie sozusagen die Basis für Ihr Vorstellungsgespräch, denn bei Ihrer Präsentation geht es darum, Ihre schriftliche Selbstbeschreibung mit Leben zu erfüllen und nun gegen-über Ihren Gesprächspartnern überzeugend darzustellen, was Sie bisher geleistet haben und was Sie sich an Fähigkeiten zutrauen. Das heißt, Sie haben es weitgehend in der Hand, den Rahmen abzustecken, in dem sich das Gespräch bewegt. Und Sie können sich darauf gezielt vorbereiten. Aber Vorsicht! Sie sollten nur das schriftlich mitgeteilt haben, was Sie auch tatsächlich vertreten können!

Für Ihre Vorbereitung ist es wichtig, dass Sie sich auf den Ablauf des Vorstellungsgesprächs einstellen, das in der Regel nach einem bestimm-ten Muster abläuft:

• Zu Beginn Ihr Vortrag: Nach einem kurzen Small Talk wird das Gespräch meist eröffnet mit der Aufforderung an den Bewerber und die Bewerberin, den Lebenslauf oder Werdegang zu schildern. Auch wenn die Einladung dazu manchmal salopp ausfällt wie zum Beispiel: »Erzählen Sie doch mal etwas über sich!«, und ein weites Feld eröff-net, sollten Sie sich ausgehend von Ihrem Lebenslauf als motivierter und qualifizierter Bewerber vorstellen und auf Ihre für die zukünftige Tätigkeit infrage kommenden »Stärken« hinweisen. Begründen Sie auch Ihre Motivation für die spezielle Tätigkeit. Ihr Vortrag sollte gut strukturiert und nicht episch breit sein. Am besten legen Sie sich dafür einen kleinen Text zurecht, den Sie vorher ein wenig üben.

• Das eigentliche Interview, das sich daran anschließt, geht auf die spezielle Qualifikation des Bewerbers für das Anforderungsprofil des Arbeits-bereichs ein, auf seine beruflichen Ziele, seine Interessen und manchmal auch auf seine persönliche Situation – wie zum Beispiel Bindung an den Wohnort durch Partner/Partnerin. Fassen Sie Ihre Antworten kurz, klar und sachlich ab. Seien Sie auch gefasst auf Fragen nach Auffällig-keiten oder Lücken in Ihrem Lebenslauf (wie zum Beispiel längere Welt-reise oder Aussetzen des Studiums). Bei besonderen Schwachpunkten sollten Sie Ihren Gesprächspartnern am besten selbst zuvorkommen.

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• Information über Institution und Arbeitsplatz – selbst Fragen stellen: Anschließend wird Sie Ihr Gesprächspartner über das Unternehmen, den Aufgabenbereich, die Kooperation mit Kollegen etc. ausführlich informieren. Auch wenn Sie aufgrund eigener Recherche schon vieles darüber wissen, sollten Sie sehr aufmerksam und interessiert folgen. Hierfür sollten Sie auch Fragen parat haben, die Ihr Interesse an dem angestrebten Tätigkeitsbereich ausdrücken.

Wenn Sie sich auf diese Punkte gut vorbereiten und sich als sehr interes-siert und engagiert zeigen, haben Sie beste Chancen, einen guten Ein-druck zu machen. Holen Sie im Gespräch auch die Sie interessierenden Informationen ein, um für sich selbst entscheiden zu können, ob es tat-sächlich die Tätigkeit ist, die Sie mit dem Praktikum anstreben.

Darüber hinaus sollten Sie auch die folgenden emotionalen Aspekte beachten: Durch freundlichen Blickkontakt mit Ihrem Gegenüber tra-gen Sie zu einer angenehmen Gesprächsatmosphäre bei. Die Sympathie Ihrer Gesprächspartner gewinnen Sie, wenn Sie offen und bereitwillig auf deren Fragen eingehen und aktives Interesse zeigen. Auch das äußere Erscheinungsbild trägt zu einem guten Eindruck bei. Deshalb ist es rat-sam, die Kleidung abzustimmen auf die Situation und Ihre Gesprächs-partner: Sie sollte positiv abweichen von dem saloppen »Uni-Outfit« und gepflegter als üblich sein. Orientieren Sie sich an dem Dresscode, der bei einer Bank oder einer Anwaltskanzlei anders aussehen wird als bei einem Softwareunternehmen oder bei einem Produktionsbetrieb. Machen Sie sich bewusst, dass Sie als (potenzieller) zukünftiger Mit-arbeiter auftreten.

In Vorstellungsgesprächen werden in der Regel auch weitere, über die unmittelbaren Qualifizierungskriterien hinausgehende allgemeine Eigenschaften und Fähigkeiten – wie zum Beispiel soziale und kom-munikative Kompetenzen – beurteilt. Bei der Bewerbung um ein Praktikum wird eine solche Beurteilung noch keine große Rolle spielen. Bewerber meinen häufig, dass von ihnen auch selbstbewusstes Auftreten erwartet wird. Aber Vorsicht, seien Sie realistisch in Ihren Ansprüchen an sich selbst. Selbstbewusst wirken Sie allein schon, wenn Sie sich auf »Ihre Sache« konzentrieren und gut informiert und mit aktivem Inte-resse auftreten.

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Der Erfolg im Vorstellungsgespräch drückt sich – anders als bei der mündlichen Prüfung – nicht durch eine Note, sondern durch eine Zusage aus. In vielen Fällen muss man als Bewerber eine Absage hin-nehmen, denn es wird in der Regel nur einer oder eine ausgewählt. Auch wenn es Sie enttäuscht, betrachten Sie die Absage nicht als Misserfolg und negatives Urteil über Ihre Person! Es gibt immer viele andere Mit-bewerber, die gleich gut oder auch besser sind. Sie können auch durch gute Vorbereitung nicht alle Beurteilungskriterien positiv beeinflussen. Die Auswahlentscheidung Ihrer Interviewpartner ist unter anderem von deren Sympathie für Ihre Person abhängig und die lässt sich nur begrenzt beeinflussen! Außerdem wird beurteilt, ob Sie als Mitarbeiter in das zukünftige Team bzw. in das Unternehmen passen. Die gleiche Frage sollten Sie auch für sich selbst prüfen und entscheiden.

Betrachten Sie die Bewerbungen auch als Übungssituationen. Sie wer-den in Zukunft bei Ihrer beruflichen Karriere noch viele Bewerbungs-situationen erleben und Ablehnungen hinnehmen müssen. Manchmal werden Sie aus Ihren Fehlern lernen können, aber manchmal werden Sie auch auf Grenzen Ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten stoßen. Diese Erfahrungen zu akzeptieren, wird Aufgabe Ihrer weiteren beruflichen und persönlichen Entwicklung sein.

Einen wissenschaftlichen Vortrag halten

Auch nach Ihrem Abschlussexamen an der Universität werden Sie auf Ihrem weiteren beruflichen Weg häufiger vor der Aufgabe stehen, Vor-träge zu halten – sei es ein Vortrag vor Kollegen und Vorgesetzten im beruflichen Zusammenhang, ein Vortrag anlässlich einer wissenschaft-lichen Tagung oder auch ein Vortrag vor einem Laienpublikum. In den akademischen Berufen gehört das Vorträgehalten mit zu den elementa-ren Kompetenzen. Deshalb sollten Sie sich frühzeitig darauf einstellen und auch schon bei Ihren Referaten im Seminar und bei kleineren Vor-trägen mit dem Üben anfangen.

Einen Vortrag vor Publikum zu halten, kostet die Vortragenden meist viel Arbeit und auch viel Nerven. Auch wenn das Thema des Vortrags

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selbst gewählt ist und man dafür gute Vorkenntnisse mitbringt, setzt einen die Vorbereitung meist unter Stress. Die Vorstellung, dass man beim Publikum möglicherweise nicht ankommt und nur Langeweile erzeugt, löst Beunruhigung aus. Man will mit dem Vortrag nicht nur das Interesse der Zuhörer erregen, sondern auch eine gute Beurteilung erzielen. Das lässt die Erwartungen an die eigene Leistung hochsteigen, und schon gerät man unter Leistungsdruck. Manche merken gar nicht, dass sie von der Angst vor (negativer) Bewertung angetrieben werden. Sie stürzen sich in die Arbeit, sammeln viel Stoff und überlegen angestrengt, wie sie ihn mit möglichst vielen PowerPoint-Folien präsentieren können. Die rege Betriebsamkeit ist dabei allerdings nur vordergründig sinnvoll; sie dient primär der Angst abwehr und der Absicherung gegen mögliche negative Kritik. Ein großer Aufwand sichert jedoch nicht unbedingt die Qualität des Werkes!

Allein die Aussicht, im Zentrum der Aufmerksamkeit eines Publi-kums zu stehen, löst Angst aus. Die Angst steigert sich, wenn das Publikum groß oder fremd ist. Ist es auch fachlich kompetent oder gar überlegen, ist das Ich besonders stark involviert und das bringt Risiken für das Selbstwertgefühl mit sich. Man fürchtet die kritische Beob-achtung der Zuschauer, insbesondere, dass die Zeichen der eigenen Unsicherheit wahrgenommen und die Mängel des Vortrags entdeckt werden. Man fühlt sich unter dem Druck der gespannten Erwartung der Zuhörer und erwartet von sich selbst, dass man ihnen schon etwas bieten muss. Auch bei der Vorbereitung auf Vorträge und Präsenta-tionen stellen sich also die Charakteristika von Prüfungsangst und Lampenfieber ein! Deshalb empfiehlt es sich auch hierbei, wie bei der Vorbereitung auf Prüfungen, genauer zu prüfen, worum es bei einem Vortrag wirklich geht.

Einen Vortrag zu halten, verlangt, in eine zwar formelle, aber lebendige Kommunikationssituation einzutreten, die einige Herausforderungen mit sich bringt. Neben dem Angebot von Informationen, Erkenntnissen und Erfahrungen, auf die man sich inhaltlich vorbereitet, geht es auch um die Gestaltung der Rolle des Vortragenden: Wie will man auftreten? Mit sachlicher Fachkompetenz, als mahnender Aufklärer, als unter-haltsamer Redner oder als Kollegin unter Kollegen? Die gewählte Rolle erfordert es, sich in spezifischer Weise auf das Publikum einzulassen,

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das heißt mit ihm in Kontakt zu treten, auf seine Reaktionen zu achten und mit ihm zu interagieren. Von dieser Anforderung fühlt sich manch einer überfordert und meidet den Kontakt, indem er oder sie den Vortrag vom vorbereiteten Manuskript abliest. Auf diese Art Vortrag trifft man häufig in Uni-Seminaren, wenn die sogenannten Referate vorgetragen werden. Viele Studierende klagen zwar darüber, aber die wenigsten ver-suchen, ihr Vortragsverhalten zu verbessern. Leider liefern auch die wis-senschaftlichen Tagungen wenig vorbildliche Beispiele!

Im lebendigen Kontakt mit dem Publikum zu stehen, macht deshalb Angst, weil es schwerfällt, dessen Reaktionen in der Gesamtheit wahr-zunehmen und richtig einzuschätzen. Man kann sich nicht von vornhe-rein auf das Wohlwollen der Zuhörer verlassen und schwebt demzufolge in Ungewissheit. Diese Situation ruft das sogenannte Lampenfieber hervor, die heftige und unangenehme Aufregung, die aber gleichzeitig »antörnt« und sogar euphorisiert, wenn man Zustimmung spürt und auf »dieser Welle schwimmen« kann. Durch gute Vorbereitung lässt sich auch bei fehlender Routine eine befriedigende Kommunikation mit dem Publikum herstellen.

Eine weitere Anforderung an den Vortragenden kommt hinzu: Im Vergleich zu einer mündlichen Prüfung, bei der man ebenfalls den Stand seines Wissens offenbaren muss, wird von einer Person, die einen Vortrag hält, meist auch erwartet, dass sie eigene Meinungen und Beurteilungen vertritt und eine eigene Position bezieht. Das heißt, man erwartet eine autonomere Leistung. Das Interesse der Zuhörer richtet sich folglich auch auf die Person des Vortragenden. Das gilt insbesondere für Vor-träge, die man im Prozess von beruflicher Bewerbung und Vorstellung halten muss, aber auch für fachwissenschaftliche Vorträge, bei denen neben der fachlichen Kompetenz meist auch die soziale Fähigkeit beur-teilt wird.

Einen Vorteil hat jedoch die Situation des Vortrags gegenüber einer mündlichen Prüfung: Der Vortragende kann sich auf sein vorbereitetes Manuskript stützen, das ihm über Klippen und Unsicherheiten hinweg-hilft. Ob der Vortrag interessant und überzeugend wirkt und der Vor-tragende das Publikum in seinen Bann zieht, hängt ganz entscheidend von einer guten Vorbereitung ab. Auf die wichtigsten Aspekte der Vor-tragsgestaltung gehe ich im Folgenden ein.

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Die Ziele des Vortrags klären.Nicht die Suche nach Stoff, nach Theoriekonzepten und Belegen, mit denen Sie die eigenen Aussagen untermauern, sollte der erste Schritt Ihrer Vorbereitung sein. Zuallererst sollten Sie klären, warum Sie den Vortrag überhaupt halten wollen. Warum ist er wichtig für Sie und natürlich auch für das Publikum? Welche Botschaft wollen Sie vermitteln? Worin liegt die Bedeutung des Vortrags? Damit Sie einen überzeugenden Vor-trag halten können, müssen Sie selbst auch von dem Inhalt überzeugt sein! Die Antworten auf diese Fragen entscheiden über Ihre Motivation. Bedenken Sie, dass die Vorbereitung von Vorträgen recht arbeitsintensiv ist! Fragen Sie sich auch: Was will ich bei meinem Publikum erreichen? Um Ihre Ziele zu konkretisieren, benötigen Sie Informationen über die Adressaten Ihres Vortrags.

Merkmale der Adressaten analysieren.Was wissen Sie über Ihr Publikum? Über Anzahl, Alter und Zusam-mensetzung, über dessen Ausbildung, Vorwissen und praktische Erfah-rungen? Welches Vorwissen und welche Vorerfahrungen hat es bereits zu dem Thema? Welche Einstellungen haben die Zuhörer vermutlich und welche Fragen haben sie dazu? Von wem können Sie Informationen darüber erhalten? Von Ihrem Auftraggeber bzw. der einladenden Insti-tution? Vielleicht ist es Ihnen möglich, einzelne Adressaten auch direkt zu befragen. In anderen Fällen müssen Sie den Kontext der Veranstal-tung genauer prüfen. Auf der Grundlage Ihrer Adressatenanalyse kön-nen Sie sich in Ihr Publikum hineinversetzen und überlegen, wie Sie es am besten ansprechen können und welchen Grad der Abstraktion bzw. Anschaulichkeit Sie wählen sollten.

Konkretisieren Sie Ihre Ziele!Lassen Sie Ihre Ziele nicht im Ungefähren. Formulieren Sie sie möglichst konkret:

• Was wollen Sie mit Ihrem Vortrag erreichen? Welche konkreten Erkenntnisse und Einsichten wollen Sie vermitteln?

• Welche Aussagen wollen Sie in den Mittelpunkt stellen?• Von welchen Meinungen und Positionen wollen Sie überzeugen?

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• Was sollen Ihre Zuhörer mit nach Hause nehmen? Welchen Nutzen sollen Sie von dem Vortrag haben?

Wählen Sie die Kernaussagen Ihres Vortrags aus!In der Beschränkung auf einige wenige, aber wichtige Kernaussagen liegt die Kunst des Vortrags. Gute Vorträge haben in der Regel maximal drei Kernaussagen (vgl. Will 2006). Eine gute Vorübung dazu: Versuchen Sie eine zentrale Aussage Ihres Vortrags zu formulieren. Diese Kernaussage sollte alle bedeutenden Teilaussagen einschließen (vgl. Bernstein 1993). Dieser Schritt hilft Ihnen, den Inhalt des Vortrags auf das Wesentliche zu konzentrieren und den Stoff zu reduzieren. Empfehlenswert ist auch die KISS-Regel: »Keep it short and simple!« (Will 2006: 18). »Simple« meint »kluges Weglassen« von Ausnahmen und Sonderfällen und Reduktion von Komplexität durch Veranschaulichung.

Formulieren Sie dazu eine Botschaft!Die Botschaft (»Message«) Ihres Vortrags sollte klar und markant sein. Formulieren Sie sie ruhig etwas plakativ, umso einleuchtender und ein-prägsamer wird sie sein. Wenn Sie sie außerdem noch mehrfach verkün-den und visuell sichtbar machen, sorgen Sie dafür, dass Ihre Botschaft auch mit nach Hause genommen wird.

Lassen Sie sich einen interessanten Titel einfallen!Ein Vortragstitel, der spannend klingt, einen Konflikt erzeugt oder auch provoziert, macht nicht nur neugierig, sondern erleichtert Ihnen auch den Start. Er kann manchmal ruhig ein bisschen »fetziger« sein! Die Zuhörer danken es Ihnen.

Stellen Sie ausgehend von den Kernaussagen die wesentlichen Erkenntnisse und Daten zusammen!Treffen Sie dabei eine Auswahl: Welches sind die Highlights, die Sie unbedingt vermitteln wollen, welches die Erkenntnisse, auf die Sie besonders aufmerksam machen möchten? Empfehlenswert ist, ein Clus-ter oder eine Mind Map anzufertigen (vgl. dazu Kapitel 6).

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Bringen Sie Ihre Argumente in eine Struktur!Der Aufbau der Aussagen sollte sich nach der Absicht des Vortrags rich-ten. Schon Cicero verlangte von einem guten Redner, »die Gedanken so anzuordnen, dass sie nicht nur übersichtlich sind, sondern dass das Gewicht jeden Arguments genau beachtet wird« (Bernstein 1993: 55).Stellen Sie sich die folgenden Fragen:

• Wie wollen Sie Ihre Argumentation aufbauen?• Wie wollen Sie den Zusammenhang Ihrer Erkenntnisse entwickeln?• Worin soll der Leitfaden Ihrer Ausführungen bestehen?

Für die logische Anordnung eignet sich ebenfalls das Cluster, aber noch besser eine Mind Map.

Welche Dramaturgie wollen Sie wählen?Überlegen Sie, in welcher Form Sie den Gedankengang Ihres Vortrags darstellen wollen: ob Sie etwa mit einem konkreten Beispiel oder mit offenen Fragen anfangen wollen. Sie könnten auch für Spannung sorgen, indem Sie ein konkretes Problem an den Anfang stellen, dann verschie-dene Lösungswege prüfen und verwerfen, ehe Sie schließlich Ihre eigene Lösung anbieten, die allen Einwänden standhält. Weitere vielfältige Anregungen dazu erhalten Sie bei David Bernstein (1993) und Herr-mann Will (2006).

Vermeiden Sie die Schriftsprache!Ein Vortrag verlangt eine andere Sprache als ein geschriebener Bericht oder ein Artikel für eine Zeitschrift. Formulieren Sie Ihre Ausführun-gen so, dass sie gut verständlich und einleuchtend sind. Damit sichern Sie ab, dass Ihre Botschaft auch ins Gedächtnis Ihrer Zuhörer eingeht. Sie werden die geeignete Sprache leichter finden, wenn Sie die Inhalte Ihres Vortrags Ihren Freunden oder auch sich selbst mündlich erklären.

Führen Sie den Zuhörern Ihren Fahrplan vor Augen!Den berühmten roten Faden sollten auch die Zuhörer bzw. Zuschauer vor Augen haben. Machen Sie den Fahrplan Ihrer Ausführungen sicht-bar: Erklären Sie ihn schon beim Einstieg und nehmen Sie auch zwi-schendurch zur Orientierung immer wieder Bezug darauf.

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Nehmen Sie den Einstieg wichtig!Bauen Sie von Anfang an einen Kontakt zu Ihrem Publikum auf. Dazu gehören eine persönliche Begrüßung, der Blickkontakt mit Ihren Zuhö-rern und Ihr Verhalten auf der »Bühne«. Wählen Sie einen möglichst lebendigen Einstieg, um Ihr Publikum anzusprechen. Versuchen Sie, Wohlwollen, Interesse und Neugier zu wecken. Schon mit Ihrer Ein-leitung sollten Sie den Eindruck vermitteln, dass Sie Ihr Thema und Ihr Material beherrschen und es in ein logisches System gebracht haben. Mit dem Einstieg sollten Sie auch Orientierung vermitteln und die Glie-derung bzw. den Fahrplan Ihres Vortrags vorstellen. Machen Sie Ihrem Publikum deutlich, dass Sie sich seiner Erwartungen und Interessen bewusst sind, und sprechen Sie diese ruhig auch konkret an.

Pflegen Sie einen lebendigen Kontakt zum Publikum!Das wichtigste Mittel dazu ist der Blickkontakt. Nehmen Sie Ihr Publi-kum als Gesprächspartner wahr und wenden Sie sich ihm aufmerk-sam zu. Zeigen Sie, dass Sie an den Erwartungen und Reaktionen Ihrer Zuhörer interessiert sind, und orientieren Sie sich an den Signalen, die Sie empfangen. Machen Sie durch die Art Ihres Vortrags deutlich, dass Sie einen gedanklichen Dialog anstreben und keine Einwegkommunika-tion. Stellen Sie Fragen an das Publikum und machen Sie deutlich, dass Sie die Fragen Ihrer Zuhörer gerne aufgreifen.

Freies Sprechen fördert die Lebendigkeit!Klammern Sie sich nicht an Ihren Text, sondern bemühen Sie sich, frei zu sprechen. Sie beherrschen Ihren Stoff sicherlich gut genug, um es zu riskieren. Wenn Ihnen das zu riskant erscheint, versuchen Sie es in Teilen, bei denen Sie sich besonders sicher fühlen. Ihr Vortrag gewinnt dadurch ganz entscheidend an Lebendigkeit. Falls Sie auf das Ablesen nicht verzichten wollen, es lässt sich ebenfalls lebendig gestalten. Sie soll-ten es aber vorher üben!

Bleiben Sie in Ihrer Ausführung logisch stringent!Achten Sie darauf, im Mittelteil eine logisch stringente Argumentation zu entwickeln. Bieten Sie Orientierungshilfen an, etwa indem Sie den Weg durch die Argumentation markieren und kommentieren. Sie kön-

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nen dazu auf Ihren Fahrplan verweisen und auf grafische Darstellungen zurückgreifen. Auf diese Weise können Ihre Adressaten Ihnen leichter folgen.

Machen Sie einen sinnvollen Gebrauch von Medien!Medien – wie zum Beispiel die inzwischen üblichen PowerPoint-Pro-jektionen mit einem Beamer, aber zur Not auch Overhead-Folien (OH-Folien) und Dias – helfen, Inhalte prägnant darzustellen. Theoretische Zusammenhänge werden leichter nachvollziehbar, und der Aufbau des Vortrags wird transparenter. Komplizierte Zusammenhänge können in vereinfachter Form vor Augen geführt werden. Medien helfen auch, die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf das Wesentliche zu lenken. Insgesamt macht der Einsatz von Medien einen Vortrag anschaulicher und leben-diger. Überlegen Sie, wie Sie Medien geschickt einbeziehen können. Fol-gende Fragen helfen Ihnen dabei:

• Welche theoretischen Zusammenhänge und Aspekte werden durch eine grafische Darstellung klarer?

• Welche Inhalte können Sie durch bildliche Wiedergabe besser ver-ständlich machen?

• Wie können Sie die Vielzahl von Aspekten gut geordnet und über-sichtlich präsentieren?

Konzentrieren Sie sich auf die wesentlichen Inhalte. Vermeiden Sie es, Irrelevantes zu illustrieren. Großzügiger Einsatz von Medien macht allein noch keinen guten Vortrag aus. Als Negativbeispiel gilt der »Folien-Schleuder-Vortrag«, bei dem ohne Pause ein Bild auf das andere folgt und für die Zuhörer kaum noch Zeit zum Nachdenken bleibt. Medien sollten gezielt eingesetzt werden – und zwar nur da, wo sie auch wirklich dem Verständnis dienen! (Zur Präsentation mit PowerPoint vgl. Beadle 2008.)

Der Einsatz von Medien zeugt davon, dass Sie wirklich in der Materie drin sind. Nur wer seine Sache gründlich durchdrungen hat, kann das Potenzial von Medien angemessen nutzen! Außerdem entlasten Sie sich selbst etwas, denn während der Medienpräsentation stehen Sie für kurze Zeit nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. So können Sie sich zwi-schendurch ein wenig entspannen.

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Medieneinsatz verlangt einen gewissen Aufwand!Bereiten Sie den Einsatz von Medien unbedingt sorgfältig vor! OH-Folien in schlecht lesbarer Handschrift sind keine Bereicherung, son-dern ein Ärgernis. Dasselbe gilt für die mit Schrift überladenen Compu-terausdrucke, die in der Projektion kaum lesbar sind. Sie müssen schon einen gewissen Aufwand treiben!

Grafische Präsentationen werden heute in aller Regel nicht mehr per Hand auf OH-Folien gezeichnet, sondern mit PowerPoint oder vergleichbaren Präsentationsprogrammen angefertigt. So einfach und intuitiv bedienbar diese Programme auch erscheinen mögen, benötigt man doch eine gewisse Erfahrung, wenn man die PowerPoint-Folien etwas aufwendiger und attraktiver gestalten will. Als Präsentations-medium hat sich inzwischen fast überall der Beamer durchgesetzt. Aber denken Sie daran: Wenn Sie Ihren eigenen Laptop für die Präsentation einsetzen wollen, dann sollten Sie zuvor prüfen, ob er mit dem vor-gesehenen Beamer »harmoniert«. Auch Ihre auf einem Apple erstellten Grafiken lassen sich nicht ohne Weiteres auf jedem anderen Computer mit angeschlossenem Beamer wiedergeben. Prüfen Sie solche Dinge rechtzeitig.

Die Zuhörer wachhalten!Auch dabei können Ihnen Medien helfen, zum Beispiel dadurch, dass sie neue Daten und Erkenntnisse, interessante Modelle und veranschau-lichende Bilder vor Augen führen. Sie können diesen Effekt noch ver-stärken, indem Sie Ihre nächste Folie ankündigen und damit neugierig machen. Ein anderer Aspekt ist der persönliche Bezug zu den Zuhörern. Sie könnten deren Arbeitsfelder, Funktionen oder auch Erfahrungen einbeziehen. Sprechen Sie Ihr Publikum an, indem Sie »Sie-Formulie-rungen« verwenden, und richten Sie Fragen an die Zuhörer. Machen Sie Ihre Dialogbereitschaft deutlich! Bei einem kleineren Publikum ist es manchmal auch passend, Zuhörer persönlich anzusprechen. Gehen Sie immer freundlich und sorgsam mit Fragen aus dem Publikum um, denn darin liegt ein Potenzial an Lebendigkeit!

Die Aufmerksamkeit Ihres Publikums können Sie auch durch interes-sante Storys, konkrete Beispiele und wörtliche Rede fördern.

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Sorgen Sie für das Verankern Ihrer Botschaft!Lenken Sie durch Wiederholen und durch Teilzusammenfassungen am Ende von Unterpunkten auf Ihre Kernaussagen. Damit und durch präg nante Medienpräsentation verankern Sie diese im Gedächtnis Ihrer Zuhörer.

Kurze Zusammenfassung am Schluss!Am Schluss sollten Sie auf jeden Fall das Wesentliche, Ihre Botschaft und die Kernaussagen, noch einmal kurz und prägnant zusammenfas-sen. Darüber hinaus könnten Sie vielleicht noch einen Ausblick auf wei-tere Aspekte und zukünftige Entwicklungen einfließen lassen.

Auf gute Zeiteinteilung achten!Planen Sie die Zeiteinteilung im Voraus und halten Sie sich daran! So können Sie verhindern, dass Sie Ihre Ausführungen nicht mehr zu Ende führen können. Üben Sie Ihre Zeiteinteilung am besten vorher.

Auf Fragen eingehen!Manche Menschen fürchten die anschließenden Fragen des Publikums viel mehr als die Situation des Vortrags. Die fundierte Vorbereitung und das ausgearbeitete Manuskript verschaffen ihnen mehr Sicherheit als die Aussicht auf unvorhersehbare Fragen. Aber Vorsicht, sind die Fragen wirklich nicht vorhersehbar? Meist beziehen sie sich auf Inhalte des Vor-trags und sind im Prinzip naheliegend. Eine gute Übung, um den Ängs-ten zu begegnen, besteht darin, sich schon bei der Vorbereitung mit den möglichen Fragen zu beschäftigen und sich auch schon die Kernpunkte für die Antworten zurechtzulegen. Und außerdem haben Sie es als Vor-tragender selbst in der Hand, auf bestimmte Fragen hinzuarbeiten und diese in den Vordergrund zu rücken.

Zum Umgang mit den anschließenden Fragen

Betrachten Sie die Fragen als Ausdruck des Interesses vonseiten Ihres Publikums und gehen Sie freundlich und aufmerksam auf sie ein. Sie bieten Ihnen die Gelegenheit, manche Ihrer Ausführungen noch deut-

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licher zu machen und gegebenenfalls neue Aspekte mit einzubeziehen. Ein kleines Dankeschön für eine interessante Frage ist manchmal nicht falsch.

Nehmen Sie die Fragen aus dem Publikum ruhig auf und bemühen Sie sich, sie präzise zu verstehen. Falls besonders komplexe und umfassende Fragen gestellt werden, sollten Sie sich dabei Notizen machen. Nehmen Sie sich anschließend Zeit, sie eingehend zu beantworten. Sehr hilfreich ist es, wenn Sie sich im Kopf eine kurze Gliederung für Ihre Antwort zurechtlegen. Sie können diese auch äußern und anschließend die einzel-nen Punkte wie an einem roten Faden entlang »abarbeiten«.

Vermuten Sie nicht gleich hinter jeder kritischen Frage eine böse Absicht. Setzen Sie sich freundlich und ruhig mit ihr auseinander. Ver-suchen Sie auch, bei tatsächlichen Angriffen oder falschen Unterstel-lungen ruhig zu bleiben und sie auf eine sachliche Ebene zu bringen.

Fragen dienen manchmal auch weniger dem Interesse an dem Thema als der Selbstdarstellung des Fragenden. Greifen Sie auch diese freund-lich, aber kurz auf und vermeiden Sie es, in eine überflüssige Diskussion einzutreten.

Zum Umgang mit Lampenfieber

Lampenfieber gehört einfach mit zu einem Vortrag vor Publikum. Sie haben in diesem Buch gelernt, wie Sie mit Ihrer Aufregung umgehen können. Betrachten Sie Ihre Aufregung als Signal dafür, dass Sie Ihrem Publikum etwas Wichtiges mitzuteilen haben. Und stärken Sie Ihr Selbstvertrauen, indem Sie sich bewusst machen, dass Sie aufgrund Ihrer guten Vorbereitung bestens mit der Materie vertraut sind. Vermutlich sind Sie sogar fast allen Ihren Zuhörern darin überlegen!

Wenn der Pegel Ihrer Aufregung zu hoch steigt, sollten Sie versu-chen, mit einer einfachen Entspannungs- bzw. Atemübung die Ruhe zu bewahren. Legen Sie sich am besten dafür schon bei der Vorbereitung eine kleine Übung zurecht.

Keine Angst vor »Hängern« und Blackouts! Meist fallen sie dem Publikum gar nicht auf bzw. nimmt man es dem Referenten auch nicht übel, wenn er im Moment den Faden verloren hat. Durch Wieder-

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holen der letzten Aussage oder nochmaliges Aufgreifen der letzten Folie kommt man leicht wieder zurück zum roten Faden.

Zum Schluss ein kleiner Geheimtipp, der inzwischen weit verbreitet ist: Bei starker Aufregung hilft es, wenn Sie bevorzugt die Gesichter besonders freundlicher Zuhörer anschauen. Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, können Sie auch selbst dafür sorgen, wohlgesonnene Gäste ins Publikum zu setzen!

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Schluss: Wenn alle Strategien nicht weiterhelfen…

Was tun, wenn alle Strategien trotz intensiven Bemühens nicht helfen und Sie heftige Panickattacken erleben, seit Wochen nicht mehr schla-fen können und unter massiven Magen- und/oder Darmbeschwerden leiden? Dann sollten Sie auf jeden Fall einen Psychologen aufsuchen, der mit Ihnen klärt, ob Ihre Prüfungsangst tiefere Ursachen hat und ob Sie Ihr Problem mithilfe einer Psychotherapie bearbeiten sollten. Vielleicht brauchen Sie auch einfach nur eine intensivere Form der Unterstüt-zung – zum Beispiel einige Beratungsgespräche – bei dem Versuch, Ihre Prüfungsangst zu bewältigen. Das Beratungsgespräch beim Psychologen hilft auf jeden Fall abzuklären, wie ernsthaft der Grad Ihrer Prüfungs-angst ist und ob eine Therapie – und wenn ja, welche Therapieform – erforderlich bzw. ratsam ist.

Prüfungsangst kann in sehr unterschiedlichem Ausmaß auftreten, ihre Ausprägungen sind auf einem Kontinuum zu sehen, das von »nor-maler« Angst bis hin zu einer im klinisch-psychologischen Sinn gra-vierenden Angststörung reicht. Die Kriterien für die extreme Form der Angststörung sind dann erreicht, wenn die Symptome übermäßig stark ausfallen und die Betroffenen die Kontrolle über ihr Verhalten einge-büßt haben, und wenn die in der Folge auftretende Selbstschädigung – zum Beispiel durch wiederholtes Verschieben von Prüfungen oder durch einen (drohenden) Abbruch einer Ausbildung – ein bestimmtes Ausmaß überschreitet. Als Folge davon ist festzustellen, dass Studium und Privat-leben deutlich negativ beeinflusst werden und anhaltendes Leid erlebt wird.

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Psychologische Unterstützung und weitere Möglichkeiten

Auch wenn Sie sich unsicher sind, ob Sie mit Ihrem Problem die genann-ten Kriterien erfüllen, sollten Sie nicht zögern, sich in psychologische Beratung zu begeben. Machen Sie den Schritt nicht davon abhängig, ob Sie ein »schwerer Fall« sind, sondern fragen Sie sich in erster Linie, ob Sie bei der Bewältigung Ihrer Prüfungsangst Hilfe brauchen. Psycho-logische Unterstützung muss nicht immer auf eine langfristige Therapie hinauslaufen. In vielen Fällen hilft auch eine Reihe von Beratungsgesprä-chen in der Psychologischen Beratungsstelle Ihrer Universität oder beim Studentenwerk Ihrer Universitätsstadt weiter: Sie können dabei auf ganz persönliche Schwierigkeiten eingehen und werden dazu angeregt, wieder Mut zu fassen. Und Sie werden auch Empfehlungen erhalten, wie Sie sich die vorgestellten Bewältigungsstrategien besser aneignen können. Vielleicht hilft Ihnen die Anleitung eines psychologischen Beraters zum Beispiel dabei, die kognitive Selbstanalyse anzuwenden.

Manchen Menschen fällt es leichter, Strategien wie das Autogene Training und die Progressive Muskelentspannung in einer Gruppe zu erlernen. Entsprechende Kurse werden vielfach angeboten – an der Uni-versität oder in Ihrem Umfeld. Die vorgestellten Bewältigungsstrategien lassen sich insgesamt sehr gut zusammen mit anderen Kommilitonen in Gruppen und Workshops lernen. Prüfen Sie, ob die Studienberatung und/oder Psychologische Beratung an Ihrer Universität solche und ähn-liche Kurse anbietet. Nach meiner Erfahrung können sowohl Studie-rende mit starken Prüfungsängsten als auch Studierende mit milderen Formen von Angst davon sehr gut profitieren. Die Möglichkeit, sich über Prüfungsangst und erlebte Schwierigkeiten auszutauschen, fördert gleichzeitig auch die Motivation zu eigener aktiver Bewältigung. Außer-dem bietet eine Gruppenveranstaltung den Vorteil, Prüfungsgespräche »live« zu simulieren und Rollenspiele zur Prüfungssituation durchzu-führen. Solche Verhaltensübungen spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Angstbewältigung.

Falls es keine Chance gibt, an einer angeleiteten Gruppe teilzuneh-men, könnten Sie selbst eine Arbeitsgruppe mit Kommilitonen organi-

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sieren, in der Sie zum Beispiel das Vortragen üben und sich gegenseitig bei der Aneignung von Zeitmanagement und aktiven Lernmethoden unterstützen.

Prüfungsangst bewältigen macht Sie souverän!

Vielleicht hatten Sie es sich einfacher vorgestellt, Ihre Prüfungsangst zu besiegen, und es hat Sie überrascht oder gar enttäuscht, dass Ihnen mein Buch über Prüfungsangst so viele verschiedene Maßnahmen zur Bewältigung abverlangt. Aber vielleicht ist Ihnen bei der Lektüre auch deutlich geworden, dass Prüfungsangst in einer ganz bestimmten, für Sie sehr bedeutenden und komplexen Anforderungssituation entsteht, in der Sie als ganzheitlicher Mensch geistig, körperlich und emotional reagieren. Und vielleicht haben Sie auch erkannt, dass es um mehr geht, als nur um die Überwindung von Prüfungsangst: Die Situation ist darü-ber hinaus von genereller Bedeutung für Ihre Entwicklung, denn es geht darum, Ihre eigenen Ziele – in der Ausbildung, der weiteren beruflichen Karriere oder auch bezüglich Ihrer sonstigen Lebenspläne – in eigener Regie zu erreichen und sich dabei auch den Maßstäben und Beurtei-lungen der »bedeutenden« Anderen zu stellen. Das verlangt von Ihnen immer die folgenden Schritte: sich für den Weg dorthin zu motivieren, den Ängsten vor der jeweils neuen und zunächst fremd erscheinenden Herausforderung standzuhalten, die eigenen Kräfte zu stärken, indem Sie Ihre Fähigkeiten und Ihr Wissen verbessern, und sich mutig und kämpferisch für Ihr Ziel einsetzen. Sie haben mit diesen Schritten einen Umgang mit sich selbst gelernt, mit dem Sie Selbstvertrauen und Zuver-sicht fördern.

Erwarten Sie nicht, dass Sie in Zukunft ganz frei von Prüfungsangst sein werden. In neuen, fremden oder sehr bedeutenden Situationen wer-den Sie vermutlich manchmal wieder von Ängsten behelligt werden. Aber Sie haben gelernt, ihnen die destruktive Wirkung zu nehmen. Sie haben gelernt, sich auf sich selbst zu verlassen. Das macht Sie souverän!

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