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Institut für Populäre Kulturen, Universität Zürich Michael Gallati Einführungsproseminar: Alltagskulturanalyse Herbstsemester 2007 Gentrificationindikator Medien - Das Langstrassenquartier der Stadt Zürich im Spiegel der Schweizer Printmedien Evtixia Bibassis Röntgenstrasse 41 8005 Zürich Mobil: 076 440 77 13 Fix: 043 205 23 62 Mail: [email protected] Abgabe: Ende Mai 2008

Ps Arbeit Gentrification

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Institut für Populäre Kulturen, Universität Zürich Michael Gallati Einführungsproseminar: Alltagskulturanalyse Herbstsemester 2007Gentrificationindikator Medien - Das Langstrassenquartier der Stadt Zürich im Spiegel der Schweizer PrintmedienEvtixia Bibassis Röntgenstrasse 8005 Zürich INHALTSVERZEICHNIS2EINLEITUNG5I GENTRIFICATION – EINE SCHWIERIGE BEGRIFFSBESTIMMUNG8 9II DIE POLITISCH

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Institut für Populäre Kulturen, Universität Zürich Michael GallatiEinführungsproseminar: AlltagskulturanalyseHerbstsemester 2007

Gentrificationindikator Medien - Das Langstrassenquartier derStadt Zürich im Spiegel der Schweizer Printmedien

Evtixia BibassisRöntgenstrasse 418005 Zürich

Mobil: 076 440 77 13Fix: 043 205 23 62Mail: [email protected]

Abgabe: Ende Mai 2008

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I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

2 EINLEITUNG

5 I GENTRIFICATION – EINE SCHWIERIGE BEGRIFFSBESTIMMUNG

8 II DIE POLITISCHE INTERVENTION: LANGSTRASSE PLUS

9 II .I LANGSTRASSE PLUS - DAS PROJEKT

11 III. GENTRIFICATIONINDIKATOR MEDIENBERICHTE

13 IV DER UNTERSUCHTE MEDIENPOOL

13 IV.1 204 KLEINE UND GROSSE ARTIKEL MIT DEM SUCHBEGRIFF

"LANGSTRASSE" OHNE ZEITLICHE BESCHRÄNKUNG

16 IV.1.1 KLEINES FAZIT

16 IV.2 136 KLEINE UND GROSSE ARTIKEL MIT DEM SUCHBEGRIFF

"LANGSTRASSE PLUS" IM ZEITRAUM VON 01.01.2001 – 19.11.2007

18 IV.2.1 KLEINES FAZIT

20 V. ZUSAMMENFASSUNG DER BEOBACHTUNGEN BEIDER RECHERCHEN

23 SCHLUSSWORT

24 LITERATURVERZEICHNIS

26 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

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EINLEITUNG

Das Gesicht der Langstrasse in Zürich verändert sich: Umbauten, Neubauten, weniger Dealer,

mehr Polizeipräsenz, In-Lokale und deren Klientel. Welche Rolle spielen die Printmedien in

diesem von der Stadt initiierten Aufwertungs-Prozess? Propagieren sie ein verbessertes Image

und sind somit zu den Akteuren der Gentrification zu zählen? Diesen Fragen gehe ich im

Folgenden nach.

Zugang zum Thema Gentrification

Der vorliegenden Proseminararbeit geht die Auseinandersetzung mit Gentrification in Form

eines Kurzreferates voran. Die chaotische Forschungsgeschichte mit ihren verschiedenen

Begriffsbestimmungen sowie die Weiterentwicklung und räumlichen Ausdehnung des

Phänomens waren dabei der rote Faden. Deshalb wird in der schriftlichen Arbeit die

Forschungslage nur im Kapitel zur Begriffsbestimmung tangiert. Das Referatsthema,

Gentrification, hat mich aus mehreren Gründen interessiert: vom Frühjahr 2000 bis Frühjahr

2003 habe ich in der Nähe der Bäckeranlage gewohnt. Mein Kind besuchte den Kindergarten

Helmut vis-à-vis der Bäckeranlage. Daher kenne ich als Bewohnerin die Probleme des

Quartiers und insbesondere das Quartieraufwertungsprojekt "Langstrasse PLUS". In der Rolle

als "Kulturschaffende" bei einem intentionalen Video- und Experimentalfilm Festival und

meiner partiellen Mitarbeit im Kunstraum Walcheturm, beide auf dem Kasernenareal im

Kreis 4, bin ich weiterhin im Quartier aktiv und bewege mich täglich darin. Seit April 2006

hause ich in der Nähe des Röntgenplatzes, Kreis 5. Im Mai 2007 nahm ich an einer

Stadtführung von Christian Schmid teil, welche im Rahmenprogramm des 1. Mai Komitees

stattfand und Gentrification in den Kreisen 4 und 5 zum Thema hatte, natürlich mit

marxistischer Färbung. Nun hat der bisher eher schwammige Begriff, den ich vor allem im

Zusammenhang mit Paris kannte, eine für mich konkretere Form angenommen.

Zum untersuchten Gebiet Rund um die Langstrasse

Mit der Lektüre zur Referatsvorbereitung bekam ich schnell den Eindruck, dass die

Veränderung rund um die Langstrasse eine Bilderbuch-Gentrification ist. Bilderbuch in dem

Sinne, als das Quartier innerstädtisch und ein ehemaliges Arbeiterquartier mit vielen

kleinteiligen Parzellen und Bauten aus der Gründerzeit ist. Die Bauten sehen, soweit ich das

als Laie beurteilen kann, zum Teil stark sanierungsbedürftig aus. Es drängt sich der Verdacht

einer Vernachlässigung der Bausubstanz durch die Besitzer auf. Bilderbuchartig aber auch,

weil mit den besetzten Häusern "Egocity "und der Liegenschaft an der Ecke

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Stauffacherstrasse/Hermann-Gräulich-Strasse kreative Kräfte, in der Literatur werden sie

Pioniere genannt, ebenfalls hier waren. Weitere Pioniere - Studenten, Künstler, kreativ

Arbeitende – sind hier neben etlichen Ateliers und alternativen Galerien vorzufinden. Auch ist

der Kreis 4 jung, die Hälfte aller EinwohnerInnen sind zwischen 25 und 44 Jahre alt, hat einen

hohen AusländerInnnen-Anteil und die Mieten sind im städtischen Vergleich relativ günstig1

– all dies verschafft dem Ort ein besonderes Flair.2 Initiatorin des Aufwertungsprozesses ist

die Stadt – auch dies ein Indikator für Gentrification. Mit den Legislaturzielen, Aufwertung

von belasteten Stadtgebieten (1998-2002) und Lebensqualität in allen Quartieren (2002-

2006), hat sie den Prozess in Gang gesetzt.3 Mit "public-private-partnership" holt sie sich

zusätzlich die finanzkräftige Unterstützung aus der Privatwirtschaft, ohne jedoch die

Kontrolle über die Stadtteilentwicklung aufgeben zu müssen. Benennenswert ist, dass das

Wort "Gentrification" von den städtischen Behörden nie benutzt wird. Es scheint noch immer

ein Reizwort, aus dem Anti-Gentrification Aktivismus der 1970er und frühen 1980er Jahre zu

sein. Mit Gentrification, wird noch immer Verdrängung einkommensniedrigerer

Bevölkerungsgruppen durch Finanzstärkere gleich gesetzt. Obschon die Forschung seit Mitte

1980er Jahre mehrmals belegt hat, dass Verdrängung kein zwingendes Merkmal sein muss

und aktuelle Begriffsbestimmungen diesen Aspekt nicht in die Definition einbeziehen.

Doch die starke Polizei- und SIP-Präsenz, der mobile Polizeiposten signalisieren hier

unmissverständlich: erlaubt ist was nicht stört und wer nicht stört. Offenbar stellt eine

Existenz am Rande der Gesellschaft eine grosse Gefahr für die konforme Bevölkerung dar.

Diese Bedrohung muss, so könnte man meinen, (video-)überwacht, architektonisch

kontrolliert und gebannt werden.4 Die Diskussion um einen Wegweisungsartikel für das

Langstrassengebiet, die architektonische Neugestaltung des namenlosen Platzes Ecke

Hohlstrasse/Langstrasse, das sind, um nur diese zu nennen, Beispiele starker Handlungen, die

gewisse Bevölkerungsgruppen fernhalten sollen, immer im Namen der Lebensqualität im

Quartier. Den ironischen Ton kann ich hier schwererdings unterdrücken, da Drogen- und

Sexmilieu nur einen Teil der Quartiersbelastung ausmachen, gegenüber der Stadt-

Öffentlichkeit aber als Hauptbelastung gehandelt werden und die Gegen-Massnahmen somit

gerechtfertigt scheinen.

1 Fachstelle für Stadtentwicklung, Quartieraufwertung mit Massnahmen des Immobilienmarktes imLangstrasssenquartier (Analysen und Strategievorschläge). Schlussbericht, 2003, S. 7.2 Dies mag auch der Grund sein, dass Gentrifier wie das Galeristen Pärchen Hauser & Wirth an derBäckerstrasse einen Neubau von Theo Hotz errichten liessen. Der Zweitwohnungsbestand könnte in einerUntersuchung als Gradmesser für den Gentrificationprozess dienen.3 Fachstelle für Stadtentwicklung, Lebensqualität, Ausgabe 4, september 2001, S. 3.4 Wie dies etwa mit 17 Überwachungskameras am Limmatplatz im Kreis 5 geschieht.

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4

Die Motivation zur Untersuchung der Printmedienberichte zur Langstrasse

Das Dilemma zwischen weiterer Verslummungstendenz, wenn man nicht interveniert, und der

Aufwertung mit der Verdrängungsgefahr, liess mich, trotz all den oben beschriebenen

Beobachtungen, nicht mit absoluter Überzeugung sagen, dass hier ein Gentrification-Prozess

am laufen ist und nicht etwa eine Stabilisierung, eine soziale Stadtteilentwicklung.5 Diese

kleine, irritierende Verunsicherung hat mich motiviert, den Indikator Medienberichte, genauer

zu betrachten. Die Rolle der Medien wurde schon in den frühesten Modellen zum Verlauf

einer Gentrification erkannt. Denn gerade die Medien sind wichtig, um das aufgewertete

Image in der breiten Öffentlichkeit zu verankern. Sie vermögen einen "way-of-life" zu

propagieren. Das urbane Pulsieren, in Wort und Bild skizziert, zieht neue Investoren an,

vermag Bankinstitute zu einer neuen Kreditvergabepraxis motivieren, ebenso die

Vergabepraxis von Vermietern ändern und lässt zahlungskräftigere, aber weniger risikobereite

Lifestyle-StädterInnen, die Gentrifier, in das Quartier umsiedeln.

Die Untersuchung der Printmedienmeldungen war geleitet von der Frage, was für ein Bild des

Langstrassenquartiers vermittelt wird. Da ich bisher keine empirische Forschung betrieben

habe, habe ich die Artikel nach intuitivem Gutdünken kategorisiert. Dies in der Hoffnung eine

nachvollziehbare, quantitative Aussage machen zu können. Ich sehe meine Arbeit als erster

Versuch, als ein Sprung ins kalte Wasser der Empirie. Stelle aber meine Recherchedokumente

nur zu gerne einer weiteren, vielleicht mit Einbezug von textlinguistischen Methoden,

Untersuchung zur Verfügung. Diesbezüglich können die pdf-Dateien jederzeit bei mir

angefordert oder eingesehen werden.

Struktur der Arbeit

Der Arbeit sind aktuelle eigene Fotos von Aufwertungsum- und Neubauten, sowie von

Problemorten und noch nicht realisierten, aber in naher Zukunft projektierten Bauten,

vorangestellt. Im ersten Kapitel wird eine Begriffsbestimmung vorgenommen und kurz

begründet. Im folgenden Kapitel wird die städtische Intervention "Langstrasse PLUS"

vorgestellt. Im dritten Kapitel wird kurz auf den Indikator, Medienberichte, eingegangen, um

dann im vierten Kapitel die Untersuchung darzulegen. Im letzten Kapitel folgt eine

Zusammenfassung der Untersuchung bzw. meiner Folgerung daraus.

5 Solche stabilisierenden Massnahmen können allerdings nahtlos in eine Gentrification übergehen.

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I GENTRIFICATION – EINE SCHWIERIGE BEGRIFFSBESTIMMUNG6

"One by one, many of the working class quarters of London have been invaded by the middle class – upper an

lower. Shabby, modest mews and cottages – two rooms up and two down – have been taken over, when their

leases have expired, and have become elegant, expensive residences. Larger Victorian houses, downgraded in an

earlier or recent period – which were used as lodging houses or were otherwise in divided into costly flats or

'houselets' (in terms of the new real estate snob jargon). The current social status and value of such dwellings are

frequently in inverse relation to their size, and in any case enormously inflated by comparison with previous

levels in their neighbourhoods. Once this process of 'gentrification' starts in a district, it goes on rapidly until all

or most of the original working class occupiers are displaced, and the whole social character of the district is

changed."7

Die Soziologin Ruth Glass beobachtet Ende der 1950er Jahre den Wandel der Bevölkerung in

den Altstadtquartieren Londons und führt den Begriff 1964 mit der obigen Beschreibung des

Phänomens ein. Er lässt sich von "gentry", der früheren Bezeichnung (18. & 19. Jh.) für den

niederen Landadel bzw. einer nobeln Bürgerschaft, herleiten. Der Begriff konnte sich

allerdings erst Mitte der 1980er Jahre durchsetzen. Vorher suchte man nach alternativen,

weniger britischen Bezeichnungen wie etwa, middleclass-resettelment, neighbourhood-

renewal, neighbourhood-reinvestment, back-to-city-movement, urban reinvasion, inner-city-

revitalisation, privat market housing renovation, embourgeoisement u.a.

Doch über das Verständnis, bzw die Definition von Gentrification war man sich lange nicht

einig. Oft orientierten sich die Bestimmungen am Forschungsgegenstand und am Zugang des

Forschers, der Forscherin. Dass diese Uneinigkeit sich eher negativ für die Forschung

auswirkt, ist einleuchtend. Jürgen Friedrichs weist in seinem Aufsatz erstmals deutlich auf

dieses Problem hin. 8

Das Spektrum der Begriffsbestimmungen reicht von solitären Definitionen mit nur einem

Merkmal über duale, bis zu holistischen Definitionen.

Die solitären Definitionen fokussieren den sozialen Austausch, um in von anderen

Stadtteilentwicklungen abzugrenzen. Ein Beispiel für eine solitäre Definition gibt Jürgen

Friedrichs 1996, "Gentrification ist der Austausch einer statusniedrigen Bevölkerung durch

eine statushöhere Bevölkerung in einem Wohngebiet."9

Die Dualen kombinieren den sozialen Austausch mit der baulichen Aufwertung und sind die

meistverwendeten Definitionen unter denen auch die von Ruth Glass zu zählen wäre.

6 Die folgende Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf Glatter, 2007 und Krajewski, 2006.7 Glatter, 2007, S. 7.8 Friedrichs/Kecskes, 1996, S. 13-40.9 Krajewski, 2006, S. 37.

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Die holistischen Definitionen nehmen mehrere Veränderungsprozesse auf. So z. B. die

Definition von Chris Hamnett, die beschreibende und erklärende Merkmale umfasst. "[the

Gentrification is] simultaneously a physical, economic, social and cultural phenomenon. Gentrification

commonly involves the invasion by middle-class or higher income groups of previously working-class

neighbourhoods or multi-occupied "twilight areas" and the replacement or displacement of many of the original

occupants. It involves the physical renovation or rehabilitation of what was frequently a highly deteriorated

housing stock and its upgrading to meet the requirements of its new owners. In the process, housing in the areas

affected, both renovated and unrenovated, undergoes a significant price appreciation. Such a process of

neighbourhood transition commonly involves a degree of tenure transformation from renting to owning."10

Gentrification – ein Dilemma, zwischen Aufwertung mit Verdrängungsgefahr und nicht

Aufwerten und der ungebremsten Abwertung eines Quartiers? In den meisten

Begriffsbestimmungen wird ein sozialer Austausch bzw. die Verdrängung einer

einkommensniedrigeren Bevölkerungsgruppe durch eine einkommenshöhere Gruppe

festgestellt, jedoch nicht in ihrem Ausmass festgehalten. Eine Extremposition in der

Verdrängungsfrage nimmt der neomarxistische Stadtforscher Peter Marcuse ein, der 1992 die

Verdrängung als eigentliches Ziel der Gentrification sieht, "Verdrängung ist das Wesen der

'gentrification', ihr Ziel, nicht ein unerwünschter Nebeneffekt."11 Jan Glatter hält 15 Jahre später in

seiner Dissertation fest: "Doch die sozialen Austauschprozesse bzw. Zuzüge müssen nicht mit Verdrängung

verbunden sein. Die Verdrängung der Bewohner stellt nicht den Normalfall der Gentrification dar. Sie kann,

muss aber nicht auftreten. Die Verdrängung der Bewohner ist damit kein konstituierendes Merkmal der

Gentrification."12

2002 verzichtet Jürgen Friedrichs in seiner Definition auf den Verdrängungsaspekt,

"[...]Aufwertung eines Wohngebietes in sozialer und physischer Hinsicht". Diese weiter gefasste

Definition erlaubt, Gentrification auch in anderen als Arbeiterwohnquartieren festzumachen.

Denn das Phänomen Gentrification hat sich im Verlauf der über 40jährigen

Forschungsgeschichte weiter entwickelt und räumlich ausgedehnt. Gentrifactionsgebiete sind

nun nicht mehr nur innerstädtische gründerzeitliche Altbauwohnquartiere der Arbeiter,

10 Krajewski, 2006, S. 37.11 Krajewski, 2006, S. 38.12 Glatter, 2007, S. 8-9. Verschiedene Autoren halten fest, dass es sich im Allgemeinen schwierig gestaltet, eineVerdrängung einer einkommensschwächeren Bevölkerung durch eine einkommenshöhere Gruppe empirischnachzuweisen. Hinzu kommt, dass Pioniere sich im Verlauf der Zeit beruflich weiter entwickeln und zuGentrifiern werden können und somit auch keine Verdrängung statt findet. Bei Glatters Studie ist dieVerdrängung zudem nicht konstituierend, weil sie in der postsozialistischen Stadtentwicklung nicht starkausgeprägt ist.

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sondern auch Quartiere mit jüngerer Bausubstanz, anderer Sozialstruktur, auf dem Land, in

ehemaligen Industrie- und Hafengebieten.

Auch die den Umwertungsprozess initiierenden Akteure haben sich mit der Entwicklung und

der daraus gezogenen Erfahrungen über Gentrification-Indikatoren und -Merkmale gewandelt

– einheitlich bestimmen liessen sie sich allerdings nie. Bis in die 1970er Jahre hinein waren es

mehrheitlich private Personen, aus einem tendenziell alternativen Lebens- und Konsumstil-

Umkreis, die den Prozess unbeabsichtigt in Gang brachten. Diese Rolle der kreativen

Pioniere, der alternativen Kunst- und Kulturszene ist früh wahrgenommen worden. Sie wurde

zunehmend von einer professionellen Kulturindustie ersetzt, die heute z.T. selbst als

Investoren agieren und Sorge tragen, dass sich das Gebiet auch zu einem Trend-Quartier

entwickelt. In den 1980er Jahren, früher noch als die initiierenden Kreativekräfte, wurde das

wirtschaftliche Potential der Gentrification erkannt und von Immobilien- und

Kapitalgesellschaften genutzt. Dies auch mit dem Gutheissen oder gar Fördern durch die

öffentlichen Hand. Heute treten solche Gesellschaften z. T. als direkte Initiatoren einer

Gentrification auf, ebenfalls ohne das Pioniere das entsprechende Gebiet zuerst umwerten.

Das bislang eher chaotischen Forschungsgebiet Gentrification lässt die

ForscherInnengemeinde heute darüber einig sein, dass es weder ein allgemeingültiges

Erklärungskonzept, noch ein universelles Verlaufsmodell gibt; die Gentrification-tragenden

Akteure lassen sich nicht einheitlich definieren und das Phänomen kann mit Verdrängung

verbunden sein, muss aber nicht. Von diesem Erkenntnisgewinn ausgehend, hat die

gegenwärtige Gentrificationdebatte bzw. Forschung die Suche nach der richtigen Theorie oder

dem universellen Erklärungsmodell bei Seite gelegt. Aktuell werden Gentrifactionprozesse

verglichen, Typologien von Gentrificationprozessen entwickelt oder über das Spektrum der

Untersuchungsmethoden diskutiert.13

Anlehnend an aktuelle Positionen, verwende ich in dieser Arbeit eine breit aufzufassende

Definition. Wenn auch das untersuchte Gebiet Merkmale und Indikatoren auszeichnen, die

fast schon ein 'oldschool' Gentrificationgebiet und Prozess darstellen und eine alte Definition

zuliessen: sie ist innerstädtisch, im traditionellen ArbeiterInnen- und ImmigrantInnenquartier,

wies im Kleinstformat Verslumungstendenzen auf, viele "klassische" Pioniere wohnen und

wirken hier, die öffentliche Hand sowie private Investoren arbeiten zeitweilen zusammen.

Da die physische Aufwertung doch sehr augenfällig ist, übernehme ich die Definition von

Jürgen Friedrichs "[...]Aufwertung eines Wohngebietes in sozialer und physischer Hinsicht".

13 Siehe Aufsatzsammlung von Atkinson, 2005.

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II DIE POLITISCHE INTERVENTION: LANGSTRASSE PLUS

Geographisch ist das Langstrassenquartier in meinen Ausführungen innerhalb folgender

Parameter gelegen: bezüglich der Nord-Südachse vom Limmatplatz im Kreis 5 bis zur Ecke

Badenerstrasse/Langstrasse im Kreis 4. Diese Langstrassen-Achse wird gegen Osten und

Westen bis zu den nächst grösseren Parallelstrassen erweitert. Im Kreis 4 bis zur

Kanonengasse/Ankerstrasse östlich und westlich bis zur Feldstrasse. Im Kreis 5 östlich bis zur

Klingenstrasse und westlich bis zu den Viaduktbögen.

Mittlerweilen ist sich die Forschung einig: es gibt keine allgemeingültige Definition von

Gentrification. Auch ist ein homologes Konzept der Gentrificationprozesse nicht haltbar.14

Jan Glatter schlägt bei der Betrachtung eines möglichen Gentrificationprozesses vor, die

Einflussfaktoren und Zusammenhänge auf verschiedenen Massstabsebenen und zu

verschiedenen Zeiten der Entwicklung zu untersuchen.15 Um der Komplexität der

Gentrification gerecht zu werden, ist es sinnfällig ein idealtypisches Verlaufsmodell zu

modellieren, welches den Prozess in verschiedenen Ebenen, sozial, baulich, kommerziell und

symbolisch betrachtet. Das im Folgenden skizzierte städtische Projekt "Langstrasse Plus"

siedelt sich im Mehrebenen-Modell möglicher Einflussfaktoren auf der Mesoebene der Stadt

bzw. des Stadtteils an und bezieht sich auf den Einflussfaktor "politische Intervention".16

Die politische Intervention hat im Gebiet der Langstrasse Tradition.

Unangenehmes bzw. Unerwünschtes wie das Siechenhaus und der Henkersplatz wurden im

Mittelalter von der Stadt nach ausserhalb, auf die jeweils andere Seite – vom Blickwinkel der

Altstadt der Sihl und der Limmat verbannt. Später fand hier Platz, was sich für die Kernstadt

nicht ziemte: Gesellschaftliche Aussenseiter und stigmatisierte Bevölkerungsgruppen ebenso

wie militärische Infrastruktur, Schlachthof, Gaswerk, Müllverbrennungsanlage sowie

Industrie- und Gewerbeanlangen. Rechtlose Bauern, Kranke und Aussätzige, wurden mit der

Industrialisierung von den Arbeiter und Italienischen Arbeitsmigranten abgelöst. Heute sind

es Ausländer verschiedener Herkunft, Sexarbeiterinnen, AlkoholikerInnen, und seit der

Lettenschliessung Drogenabhängige.

Seit der Eingemeindung im Jahr 1893 widerfahren dem Stadtteil Aussersihl Abwertungs- und

Aufwertungsprozesse. Die City-Expansion konnte hier aufgrund der geografischen

Gegebenheiten stattfinden. Derart, dass man heute kaum Bauzeugen des Vorurbanen

14 Glatter Jan, S 43.15 Glatter Jan, S.44.16 Glatter Jan, S.44 Modell der Einflussfaktoren auf den Prozess der Gentrification.

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Aussersihls findet.17 Ein ähnliches Szenario spielte sich in den 1970er und 1980er Jahren ab,

als die Kreise 4 und 5 für eine neue Bevölkerungsgruppe und den tertiären Wirtschaftssektor

erschlossen werden soll. Nur konnte die Stadt nicht ohne Widerstand über das Gebiet

verfügen.18 Gerade dieser eigentümliche Ortscharakter, gefurcht durch die Geschichte des

Anrüchigen und des Stigmatisierten, zieht im Verlauf der zweiten Hälfte des vorigen

Jahrhunderts neue Bewohner/Innen an. Junge Erwachsene, entweder gesellschaftspolitisch für

das Andere und das Marginalisierte einstehend, oder einen nicht angepassten,

"experimentellen" Lebensstil habend19. Die Kreise 4 und 5, erstarkt an den Interventionen,

sind unartige und eigensinnige Kinder der Stadt. Diesen Eindruck, so glaube ich, teilen die

städtische Behörden und die Stadtentwicklung Zürich mit mir. Vor diesem Hintergrund sehe

ich die Konzeption der aktuellen politischen Intervention "Langstrasse Plus".

II .I LANGSTRASSE PLUS DAS PROJEKT

"Langstrasse Plus" richtet sich vordergründig auf die bauliche, die kommerziell und die

symbolische Aufwertung. "Langstrasse Plus" Projektleiter Rolf Vieli weist in den Zeitungs-

Interviews öfters darauf hin, dass es keine soziale Aufwertung im Quartier geben soll: "Eine

Yuppisierung oder völlige Rotlichtfreiheit ist nicht das Ziel."20 Ein Bevölkerungsstruktur-

Wandel lässt sich zum heutigen Zeitpunkt weder dementieren noch bestätigen. Da die

vorliegende Betrachtung thematisch und zeitlich stark eingeschränkt ist, kann sie in keiner

Weise den Prozess analysieren und zu einer wissenschaftlichen Beurteilung bzw. Benennung

kommen. Die Verdrängungsfrage, die ich als negative Begleiterscheinung der Gentrification

sehe, wird erst zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet und mit Zahlen belegt werden

können. Allerdings gehe ich, entgegen der Behörden, von einer gewissen Verdrängung aus.

Seit 1998 begleitet bzw. koordiniert die "Stadtentwicklung Zürich", die dem

Präsidialdepartement unterstellt ist, auf gesamtstädtischer Ebene eine nachhaltige

Quartierentwicklung. Hierzu erschaffen Arbeitsgruppen die Grundlagen zum Thema.

Im Spätherbst 2000 beauftrag der Stadtrat eine departementsübergreifende Arbeitsgruppe. Sie

entwickeln Massnahmen zur Verbesserung der aktuellen Situation und planen die langfristige,

17 Berger, Somm, Hildenbrand, Stadtteil zwischen Abwertung und Aufwertung, S. 4.18 Die Gesellschafts- und Kapitalismuskritik der 68er Studentenbewegung schlug sich in den 1970er Jahren undfrühen 1980er Jahren in den europaweiten und us-amerikanischen Anti-Gentrification-Initiativen nieder. SieheJan Glatter, S. 16. Zur Situation in Zürich, Stauffacher, siehe Stahel Thomas, 2006 und Wolkenstein P.M.,Reyneclod Didymos, 1985.19 Berger, Somm, Hildenbrand, Stadtteil zwischen Abwertung und Aufwertung, Tabelle derMilieurepresentanten, S. 10.20 Rolf Vieli in: Beat Metzler, Der Schmächtige trotzt vielen Gegnern, Tagblatt der Stadt Zürich, 23.05.07, S. 7.

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nachhaltige Aufwertung des Langstrasse-Quartiers. Die Erfahrungen des Vorgängerprojektes

"Pro Langstrasse Quartier", 1995 – 1998, sollen in das neue Aufwertungsprojekt einfliessen.

Wohl noch von der Berühmtheit des Platzspitz hinter dem schweizerischen Landesmuseum

und des Lettens traumatisiert, von der relativen Wirkungslosigkeit vom Projekt "Pro

Langstrasse Quartier" ernüchtert, suchte die Stadtregierung nach einem nachhaltigen Konzept

für die labile Situation rund um die Langstrasse. Doch die Stadt muss hier besonders auch mit

den Bewohnern rechnen21. Die Erfahrung der Widerstände gegen grossangelegte bauliche und

strukturelle Veränderungen der frühen 80er Jahre – z.B. im Kreis 4 am Stauffacher oder im

so genannten Dreieck – dürften ebenfalls in die Strategie eingeflossen sein.

Am 14. März 2001 bewilligt der Stadtrat das umfassende Projekt "Langstrasse Plus". Es steht

unter der Gesamtverantwortung der Polizeivorsteherin Esther Maurer und ist als Vier-

Säulenmodell – Sicherheit im öffentlichen Raum, Leben im Quartier, Liegenschaften

Nutzungen, Gebietsentwicklung – konzipiert.22

Schnell ändern sollte sich die Situation auf der Parkanlage Aussersihl, die heutige

Bäckeranlage. Dort hatte sich seit geraumer Zeit eine offene Drogen- und Alkoholszene

eingenistet. Drogendeal, dessen Konsum sowie die Alkoholiker-Szene sollen für die

Quartierbewohner erleb- und sichtbar eingedämmt werden. Die Grünfläche schnellstmöglich

wieder für die QuartierbewohnerInnen rückerobert werden. Doch auch das Rotlichtmilieu,

welches seit Ende der 1970er Jahre floriert, miteinander konkurriert und in der Konsequenz

zum Teil aggressive Freierumwerbung betreibt soll in seinen Wucherungen und illegalen

Aktivitäten eingedämmt werden. Diese zwei Hauptprobleme im Bereich Langstrasse ziehen

andere unliebsame Faktoren nach: Lärm und Schmutz.

Mit der neuen Bau- und Zonenordnung für das Langstrassengebiet, die 2001 in Kraft trat, hat

die Stadt auch die juristische Grundlage geschaffen, um grosszügige Sanierungen und

Renovationen, die einem zeitgemässen Wohnen und Arbeiten entsprechen, zu ermöglichen.

Das kommunizierte Ziel des Stadtentwicklungsprojektes: eine gute Mischung von Wohnen,

Kleingewerbe und Prostitution.

21 Sieß Immanuel, Mit den Bewohnern rechnen, Nachhaltige Modernisierung von Wohnsiedlungen im Dialogmit den Mietern. Seit den 90er wird diese Einbeziehung, von Privaten wie öffentlichen Institutionen diskutiertund praktiziert.22 Polizeidepartement der Stadt Zürich, 2003.

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III. GENTRIFICATIONINDIKATOR MEDIENBERICHTE

In verschiedenen Phasenmodellen zum Gentrificationprozess, welche die Modelle zum

Nachbarschaftswandel aus der Chicagoer Schule je nach Autor um 3 bis 5 Phasen erweitern,

spielen die Medien bzw. deren Berichte eine wichtige Rolle. Sie gelten als Indikatoren im

Aufwertungsprozess. So z. B. schon im frühesten Phasenmodell von Clay23. Nach der ersten

Invasionsphase, bei der die Pioniere das Gebiet für sich entdecken und kreativ einwirken,

kommen in der Zweiten die ersten Gentrifier. Sie verfügen meist über ein höheres

Einkommen als die schon lange im Gebiet Ansässigen oder die Pioniere der ersten Phase. Die

Bedürfnisse urbaner Lebens- und Konsumstile, welche die neuen Quartierbewohner

mitbringen, wirken verändernd auf die Infrastruktur des Stadtviertels ein. Ab einem

bestimmten Veränderungsgrad werden die Medien aufmerksam. Sie berichten von

Kulturereignissen und Zwischennutzungen, die eine Öffentlichkeit beanspruchen oder Bars,

Restaurants und Boutiquen, die ein trendig urbanes Betriebskonzept fahren. "An der

Langstrasse tut sich was. In der heissen Zone zwischen Helvetiaplatz und den Geleisen sind

immer mehr milieuferne Bars und Clubs zu entdecken. Und es gibt noch weitere Anzeichen

dafür, dass im Chreis Cheib eine neue Kulturmeile entsteht."24 Im untersuchten Pool habe ich

den Eindruck gewonnen, dass die Stadt die Medien bewusst in ihr Aufwertungsbemühen

miteinbeziehen. Schnell, so scheint mir, soll sich die symbolische Aufwertung, das

aufgewertete Image, im Bewusstsein der ganzen Stadt bzw. der Stadtbevölkerung

niederschlagen.25 Solche Berichte ziehen - wie in mehreren Verlaufsmodellen und schon früh

in der Geschichte der Gentrificationforschung festgehalten26 neue Konsumenten, Gewerbe

und Investoren und schliesslich zahlungskräftige Gentrifier an. Im idealen Verlauf der

Gentrification erhöht sich allmählich die Wohnungs- und Gewerberaumnachfrage. Nach den

Gesetzen des Marktes27 steigen mit erhöhter Nachfrage die Preise der Angebote beider

Raumnutzungen. In der Konsequenz setzt in der letzten Phase die Verdrängung

statusniedrigerer Bevölkerung und auch kleine gewerbetreibende Unternehmen ein. Bei

Bewohner mit geringerem Einkommen können die Lebenskosten das Budget übersteigen und

23 Häussermann, Grossstadt Soziologische Stichworte, S 60 – 62.24 Yann Cherix, Bewegung im Langstrassenquartier. Klimawandel im Rotlichviertel. In: Züritipp/Tagesanzeiger,08.11.07, S. 4.25 So z. B. die Problemliegenschaft an der Sihlhallenstrasse. Diese wurde von der Stadt gekauft und beherbergtnun eine Sex- und Drogenmilieuferne Bar; das Hotel Rothhaus wechselt den Besitzer und wurde in restaurierterForm wieder zu einem richtigen Hotelbetrieb.26 Friedrichs/Kecskes, 1996.27 Die Veränderungen der Angebotsseite in Gentrificationgebieten wird mehrheitlich mit der value-gap und derrent-gap Theorie beschrieben; die der Nachfrageveränderung wird in der aktuelleren Literatur mit allgemeinemGesellschaftswandel erklärt. Siehe Hartmund Häußermann S. 64-66.

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somit zum Wegzug drängen. Das Geschäftsmodell Kleingewerbetreibender kann die

Mietkosten nicht tragen oder ihr Klientel ist weggezogen. Der Wandel der

Bevölkerungsstruktur kann aber auch nicht durch direkte Verdrängung wie eben beschrieben

passieren, sondern zum Beispiel auch durch den beruflichen Aufstieg der Pioniere. Doch in

dieser letzten Phase der Aufwertung ist das Gebiet rund um die Langstrasse noch nicht.

Mehrmals betont Rolf Vieli, Leiter des Projektes "Langstrasse Plus", in publizierten

Interviews, dass es nicht zu einer Verdrängung kommen wird. "Wird der Kreis 4 mit all

seinen Trendlokalen und Edelwohnungen bald ein Schickimickiquartier? Nein, ganz gewiss

nicht. Wir sind noch meilenweit davon entfernt, und vor allem zwei Dinge werden das

verhindern: Im Langstrassenquartier gibt es viele kleine Parzellen, die grosse und teure

Überbauungen verhindern. Und zahlreiche Hausbesitzer hier haben eine soziale

Verantwortung gegenüber dem Quartier."28 "'Es braucht eine bessere Durchmischung und

auch neue Bewohnerinnen und Bewohner.' Und zwar solche, die sich für die Lebensqualität

hier engagierten, betont er [Vieli]."29 "Das Angebot an günstigen Wohnungen ist der am

häufigsten genannte Grund für die Wahl des Wohnortes Langstrassengebiet. Fast ebenso oft

werden Lebendigkeit und Multikultur sowie das vielfältige Kultur- und Ladenangebot als

Grund für den Zuzug genannt. Deutlich zum Ausdruck kommt in der Umfrage aber auch eine

Angst vor Verteuerung des Wohnraums und davor, dass die Aufwertung des Quartiers kippen

und die Langstrasse «seefeldisiert» werden könnte. 'Eine Gentrifizierung respektive

Yuppisierung des Quartiers wird von vielen befürchtet und explizit nicht gewünscht', heisst

es."30 Ein Bevölkerungsstrukturwandel lässt sich zum heutigen Zeitpunkt weder widerlegen

noch feststellen. In einigen jüngeren Zeitungsartikeln äussern Quartierbewohner die Angst

vor einer Juppysierung und geben als negative Referenz den Kreis 5 an. Doch nun zu den

Medienberichten, die in den Verlaufsmodellen, je nach Phasenanzahl in der letzten oder ab

der zweiten Phase als Indikatoren auftreten.

28 Lukas Häuptli, Die Stadt muss im Kreis 4 investieren, Tages-Anzeiger, 17.11.06, S. 1729 Alfred Borter, Langstrassenquartier Der 2-Millionen-Franken-Kredit wird nicht angetastet. Wenns nur keinPapiertiger wird, Zürichsee-Zeitung, 10.06.06.30 Martin Huber, Viel Sympathie für Langstrasse, Tages-Anzeiger, 25.10.07, S. 60.

Page 14: Ps Arbeit Gentrification

13

IV DER UNTERSUCHTE MEDIENPOOL

Als grosser Printmedienpool stand mir das Archiv der schweizerischen Mediendatenbank

(www.SMD.ch) mit 151 regelmässig erfassten Schweizer Quellen zur freien Verfügung. Die

Bandbreite der Datenbank erstreckt sich von Tageszeitungen über Wochenzeitungen,

Magazine bis Zeitschriften. Die Recherche beschränkt sich auf die Begriffe "Langstrasse" und

"Langstrasse Plus". 340 Artikel sind es insgesamt, wobei die doppelten Artikel, also jene die

in beiden Recherchen vorkommen, nur einmal in der Zählung aufgenommen wurden. Beim

ersten Lesen habe ich die Artikel in grobe Inhalts-Kategorien unterteilt. Beim zweiten

Durchgang habe ich die Kategorien nochmals reduziert. So sind mehrere Subthemen in einer

übergeordneten Kategorie zusammengefasst.

IV.1 204 KLEINE UND GROSSE ARTIKEL MIT DEM SUCHBEGRIFF

"LANGSTRASSE" OHNE ZEITLICHE BESCHRÄNKUNG

Quellen und Anzahl Meldungen:

Tagesanzeiger 56, Zürichsee Zeitung 6, Zuger Nachrichten 1, Zofinger Tagblatt 1, Tele 1,

Tagblatt der Stadt Zürich 13, Sonntagszeitung 1, Sonntagsblick 1, Schaffhauser Nachrichten

1, Neue Zürcher Zeitung 50, Neue Luzerner Zeitung 9, Migros Magazin 1, Luzerner Neueste

Nachrichten 1, Limmattaler Tagblatt 10, Le Temps 1, Hebdo 1, heute 1, Facts 1, Die

Wochenzeitung 1, Die Südostschweiz 1, Der Landbote 4, Das Magazin (Tagesanzeiger) 2,

Blick 11, Berner Zeitung 1, Beobachter 2, Basler Zeitung 3, Aargauer Zeitung 18,

24 Heures 1

1994 Anzahl ArtikelNegatives Image 3Bauen an der Langstrasse 2

1995 Anzahl ArtikelNegatives Image 6hiervon 3 Artikel mit dem Schwerpunkt Polizeiarbeit

1996 Anzahl ArtikelFrauendemo 2Negatives Image 1Positives Image 1Projekt Pro Langstrasse-Quartier 2

Page 15: Ps Arbeit Gentrification

14

1997 Anzahl ArtikelImage /multikulti eher positiv 4Quartierzentrum 2Kriminalität 1

1998 Anzahl ArtikelBaröffnungszeiten-streit 1Brand (mit Milieu-Gerücht um Abrechnung) 2Image /multikulti eher positiv 1Lärm 1Kriminalität 1Unfallmeldung 1Fussgängerzone? Aufwertung, Verkehrsdiskussion, Tram 3

1999 Anzahl ArtikelVerkehr 4Pro Langstrasse 1Polizeirazzia 1Image , eher positiv 2Negatives Image 1

2000 Anzahl ArtikelKriminalität/Gewalt 1Neubau wohnen, The Docks 1

2001 Anzahl ArtikelLangstrasse Plus 11Negativ Image 1Positives Image 1Kriminalität 2Polizei-Razzia 1

2002 Anzahl ArtikelNegativ Image 1Langstrasse Plus 5Kriminalität 2Erfahrungsbericht / Image eher pos 1Bauarbeiten 1Kultur 1Bewohnerstimmen/Quartierverein 1Langstrasse Parteipolitisch 2Polizeibericht... 2auch positives Image 1

Page 16: Ps Arbeit Gentrification

15

2003 Anzahl ArtikelNegativ Image 1Gewerbetreibende und Anwohnerstimmen 3Verkehr 5Langstrasse Plus 6Positives Image 3Polizeibericht 1Parteipolitische Stimme 3

2004 Anzahl ArtikelParteipolitische Stimme 5Gewalt/Kriminalität 4Image neutral 2Kultur 1Polizeimeldungen 2Langstrasse Plus 2Quartierzeitung 2Brand 1Positives Image 2Restauranttipp 1

2005 Anzahl ArtikelLangstrasse Plus 5Image 1Restauranttipp/Bartipp 2Positives Image 3

2006 Anzahl ArtikelKriminalität/Gewalt 3Langstrasse Plus 8Jugendkriminalität/negativ Image 1Kultur 2Verkehr 2Neues Geschäft 1Positives Image 2Lärm 2

2007 Anzahl ArtikelLangstrasse Plus 4Bevölkerungs-Statistik 1Gewalt/Kriminalität 2Verkehr 10Restaurant- und Bartipp 3Image 1Polizeimeldung 1Kultur 1Positives Image 1

Page 17: Ps Arbeit Gentrification

16

IV.1.1 KLEINES FAZIT

Image

15 Meldungen geben ein negatives Image vom Gebiet rund um die Langstrasse. Wobei 11

solcher negativen Berichte im Zeitraum 1994-2000 erschienen. 2001-2007 waren es nur noch

deren 4. Umgekehrt verhält es sich mit den Berichten, die ein positives Image abgeben: Von

den total 18 Berichten, erscheinen 4 in den Jahren 1994-2000 und die restlichen 14 positiven

Meldungen erscheinen 2001-2007. Rein rechnerisch betrachtet ergibt das ein eher Positives

Image.

Kriminalität/Polizeimeldungen

22 Artikel sind Polizeimeldungen oder berichten über Kriminalität bzw. Gewalt. 4 Meldungen

sind es von 1996-2000, 2001-2007 die restlichen 18.

Verkehr

7 von 24 Artikeln widmen sich 1994-2000 dem Verkehr. 17 Artikel 2001-2007, wobei 10

alleine im Jahr 2007 erschienen sind.

Städtische Projekte: Pro Langstrasse/Langstrasse Plus

1994-2000 berichten 4 Artikel vom städtischen Projekt Pro Langstrasse. 2001-2007

erscheinen 41 Meldungen, welche entweder das Projekt selber, den Projektleiter Rolf Vieli

(Interviews) oder die Fortschritte des Projektes thematisieren.

Kultur (Kunst/Lesungen/Events)/Bar- und Restauranttipps

Ab 2002 berichten 11 Artikel über Bars, Restaurants und kulturelle Veranstaltungen.

Bewohner/Innen-Stimmen und Stimmen der Gewerbetreibenden

2002 und 2003 je einen Artikel.

IV.2 136 KLEINE UND GROSSE ARTIKEL MIT DEM SUCHBEGRIFF

"LANGSTRASSE PLUS" IM ZEITRAUM VON 01.01.2001 – 19.11.2007

Quellen und Anzahl Meldungen: Tagesanzeiger 41, Neue Zürcher Zeitung 35, Tagblatt der

Stadt Zürich 9, Zürichsee Zeitung 3, Zuger Zeitung 3, Neue Luzerner Zeitung 8, Aargauer

Zeitung 11, Der Landbote 1, Der Bund 1, Cash 1, Facts 1, Die Weltwoche 2, Limmattaler

Tagblatt 7, Hochparterre 1, Willisauer Bote 1, Le Temps 2, Le Matin 1, Tribune de Genève 1,

Zürich Express 4, Züritipp 1, Blick 1, heute 1

Page 18: Ps Arbeit Gentrification

17

2001 Anzahl ArtikelLangstrasse Plus 24Polizeimeldungen 4Podiumsdiskussion 1Die Besetzten Häuser, Ego-City an der Badenerstrasse und das Haus an der Ecke Stauffacher-/Herman-Greulich-Strasse 1

Parteipolitische Stimmen zu Langstrasse Plus 2

2002: Anzahl ArtikelParteipolitische Meinungen (1xDrogenliberalisierung, 1xWegweisungsartikel) 7Podiumsdiskussion 1Polizeimeldungen (Zusammenarbeit von Kantons- mit Stadtpolizei/Sicherheit) 6

Interview mit Stadträtin und Sozialdepartementsvorsteherin Monika Stocker 1Langstrasse Plus 16Fürsorge-Konflikt 3Bewohner/Innen-Stimmen Gewerbetreibende (Umgang mit Drogen- und Sexmilieu) 3Bordell-Statistik 1Kriminalität/Gewaltakte 45 Tage in der Problemliegenschaft Lugano-Bar, Erlebnisbericht 1Rassismusvorwurf gegen Polizei 1Kultur 4Das Projekt eines neuen Stützli-Sex Etablissements an der Zinistrasse 2

2003: Anzahl ArtikelLangstrasse Plus 19Geschichte zur Langstrasse 1Anwohner/Innen-Stimmen 3Kultur 1Parteipolitische Meldungen 3Quartierzentrum Kreis 4 1

2004: Anzahl ArtikelImage 4Podiumsdiskussion 1Quartierzentrum Kreis 4 2Langstrasse Plus, Liegenschaften, Umnutzung 10Frauenbus Flora-Dora, Anlaufstelle Isla Victoria 2Kutur/Wandzeitung 4/5 1

2005: Anzahl ArtikelAnwohner/Innen-Stimmen 1Stadtrat Meldungen 7Image 2Langstrasse Plus, Liegenschaften, Milieu 5Abfallcontainer 2Rassismus 1

Page 19: Ps Arbeit Gentrification

18

2006: Anzahl ArtikelKriminalität 3Langstrasse Plus, Liegenschaften, Integration, Image 21Anwohnerstimmen 1Kultur/Zürich 4, Paris 18 1Podiumsdiskussion zur Langstrasse 1WM-Lärm, Prostitution während WM 1

2007: Anzahl ArtikelImage 8Kultur 1Statistik 1Anwohnerstimmen 1Langstrasse Plus 6Polizeimeldungen 1

IV.2.1 KLEINES FAZIT

Image

2004-2007 erscheinen 14 Artikel, die den Wandel an der Langstrasse begrüssen und explizit

ein positives Image abgeben oder neue Läden und Bars loben. Es erscheinen keine negativen

Image Artikel.

Langstrasse Plus

Im ganzen Zeitraum berichten 101 Artikel direkt vom Projekt, den laufenden Massnahmen

und Erfolgen.

Kultur

Ab 2002 erscheinen 8 Artikel zu kulturellen Veranstaltungen wie Lesungen, Ausstellungen,

Galerienrundgang, Zwischennutzungen.

Anwohner/Innen-Stimmen und Stimmen der Gewerbetreibenden

Ab 2002 werden 9 Artikel publiziert, die die Bewohner/Innen und den Gewerbetreibenden zu

Wort kommen lassen. 2002 erscheinen 3 Berichte, die den Umgang der Bewohner und

Arbeitnehmenden mit den Milieus (Sex/Drogen) schildern. 2006/2007 werden 2 Mal

Bedenken gegenüber dem Aufwertungsprozess und dem Projekt "Langstrasse Plus" geäussert.

Dabei wird befürchtet, dass eine Yuppisierung stattfinden könnte.

Polizeimeldungen

10 von 11 Artikeln erscheinen in den ersten zwei Jahren von Langstrasse Plus 2001/2002, ein

Artikel 2007.

Gewalt/Kriminalität

4 Artikel im 2003, 3 Artikel 2006

Page 20: Ps Arbeit Gentrification

19

Podiumsdiskussion

4 Artikel berichten über Podiumsdiskussionen rund um die Aufwertung, 2001-2003 und 2006

je einen.

Parteipolitische- und Stadtratsmeldungen

19 Meldungen insgesamt, 12 parteipolitische Äusserungen in den Jahren 2001-2003, 2005

werden 7 Stadtratsmeldungen veröffentlicht.

Sozialamt/Fürsorge

2002 erscheinen 1 Interview mit Monika Stocker und 3 Artikel über die Unterkunft weniger

Sozialhilfeempfänger/Innen in Einzelzimmern von schwierigen Liegenschaften, deren Miete

das Sozialamt übernimmt.

Besetzte Liegenschaften

2001 erscheint 1 Artikel zu Ego City, dem besetzen Haus an der Badenerstrasse und der

Besetzung an der Ecke Hermann-Gräulich-/Stauffacherstrasse. Beide existieren heute nicht

mehr und mussten einem Design Hotel und einem Komplex mit teureren Wohnungen und

einem "Lifestyle" Restaurant weichen.

Page 21: Ps Arbeit Gentrification

20

V. ZUSAMMENFASSUNG DER BEOBACHTUNGEN BEIDER RECHERCHEN

"Das Langstrassenquartier galt jahrelang als zweifelhaftes Sex-, Drogen- und Vergnügungs-

viertel. Plötzlich aber bauen Private millionenteure Häuser mitten im Kreis 4. [...]

Gegenwärtig werden zwischen Bahnunterführung und Helvetiaplatz nämlich ein halbes

Dutzend neue Wohn- und Geschäftshäuser geplant und gebaut. Deren Kosten: total

mindestens 25 Millionen Franken. An der Ecke Lang- und Brauerstrasse soll an Stelle des

früheren Modegeschäfts Perla ein fünfstöckiger Neubau entstehen. In den oberen Geschossen

sind Wohnungen und Lofts geplant (Fläche: 80 bis 100 Quadratmeter), im Parterre

Geschäftsräume oder ein Restaurant. Die Baukosten belaufen sich auf drei bis vier Millionen

Franken, Bauherr ist eine Privatperson aus dem Säuliamt. [...] Bereits abgebrochen ist das

Gebäude des ehemaligen Restaurants La Côte an der Lagerstrasse. Hier lassen drei

Privatpersonen aus den Kantonen Zürich und Aargau ein siebenstöckiges Haus mit fünfzehn 3

1/2-Zimmer-Wohnungen (Fläche: 100 bis 125 Quadratmeter) sowie zwei Geschäften bauen.

Die Kosten betragen rund neun Millionen Franken, die Eigentumswohnungen kosten

zwischen 560 000 und 850 000 Franken. Mehr als die Hälfte davon sei schon verkauft, sagt

der Projektleiter. Bezugsbereit ist die Liegenschaft im Herbst 2007. Ebenfalls im Herbst 2007

fertig ist das Haus an der Schöneggstrasse 27. Im fünfstöckigen Gebäude entstehen fünf Lofts

und ein Laden. Bauherrin ist eine private Baugenossenschaft aus Zürich, die Land und Altbau

von der Stadt im Baurecht übernommen hat. Die bestehende Liegenschaft wird abgerissen,

der Neubau kostet rund drei Millionen Franken. Die Wohnungen mit 80 bis 125 Quadratmeter

Fläche und Mietzinsen zwischen 2200 und 2800 Franken monatlich seien bereits vermietet,

sagt der Projektleiter. Zwei sechsstöckige Gebäude sind an der Neufrankengasse geplant. Das

eine steht bereits im Rohbau, und zwar an Stelle zweier Abbruchliegenschaften. Im Haus sind

acht Lofts, drei Büros und eine Bar geplant. Die Wohnungen sind bis 130 Quadratmeter gross

und kosten monatlich zwischen 2300 und 3300 Franken. Unmittelbar daneben, wo sich heute

das Restaurant Tessinerkeller befindet, soll in rund drei Jahren ein Gebäude mit ebenfalls acht

Wohnungen sowie mit Geschäftsräumen entstehen, die etwa gleich teuer sind wie die im

Nachbarhaus. [...] Dass private Investoren im Langstrassenquartier plötzlich Häuser bauen,

dürfte zwei Gründe haben. Zum einen greift das städtische Quartierberuhigungsprogramm

Langstrasse Plus mehr und mehr. Die halb offene Drogenszene konnte vor allem durch

vermehrte Polizeirazzien verkleinert werden. Die Zahl der Sexsalons und Bordelle verringerte

sich, weil die Stadt mit baurechtlichen Massnahmen zahlreiche Etablissements schloss. Vor

allem aber griffen Stadt und Langstrasse-Plus-Projekt in den Immobilienmarkt im Kreis 4 ein.

Page 22: Ps Arbeit Gentrification

21

Ein ehemaliges Bordell an der Sihlhallenstrasse kaufte die Stadt selbst, verschiedene andere

problematische Liegenschaften wurden von der städtischen Stiftung PWG erworben.

«Natürlich war die Quartierberuhigung durch die Stadt ein Grund für unsere Investition», sagt

etwa der Bauherr des Projekts an der Langstrasse."31

Diese Auszüge aus einem Tages-Anzeiger Artikel geben exemplarisch meinen gewonnen

Eindruck wieder. Die Printmedien berichten seit dem Jahr 2000 bis heute kontinuierlich,

überwiegend positiv von der Langstrasse:

Anfangsphase der Betrachtung: Wir sind aktiv!

Anfangs wurde das Projekt "Langstrasse Plus" vorgestellt und die darin enthaltene Strategie

der Stadt, in den Liegenschaftenmarkt einzugreifen bzw. Häuser aufzukaufen. Neben diesem

Vorstellen des städteplanerischen Vorhabens, erschienen in der Anfangsphase von

"Langstrasse Plus" 2001/2003 viele Artikel, die die Polizei- und SIP-Arbeit beleuchten, dies

weit über die Kantonsgrenzen hinaus. Es erscheinen mehrere, reportageartige Artikel, deren

Autor einen Polizisten in seiner Tätigkeit an der Langstrasse begleitet. Die Leserin, der Leser

ist mit dabei an vorderster Front. In dieser Anfangsphase kommen zu Langstrasse Plus,

Polizei-/SIP-Arbeit, noch die zahlreichen Berichte über die Erfolgreiche Rückeroberung der

Bäckeranlage und die nachhaltige Vertreibung der Junky- und AlkoholikerInnen-Szene.

Mittlere Phase der Betrachtung: Wir bleiben dran!

Nun greifen die ersten Massnahmen von "Langstrasse Plus", die Käufe der Stadt und die neue

Nutzung der Liegenschaften werden intensiv beschrieben, immer im Kontext der städtischen

Aufwertung, der städtischen Politur. Vermehrt rücken nun auch private

Liegenschaftenbesitzer in den Fokus der Berichte. Zum einen werden Besitzer von schwierig

eingestuften Liegenschaften an den Pranger gestellt, zum anderen werden erwünschte Kauf-

und Sanierungstätigkeiten von privaten Investoren oder Baugenossenschaften ausgeleuchtet.

Das Quartierleben, der Verein, die Zeitung, die kulturellen Events und Gastrotipps finden

vermehrt Eingang in die Presse.

Letzte Phase der Betrachtung: Und es wird noch besser!

Neben den steten Berichten zu neuen Wohnungen, Gastrobetrieben, Geschäften, Klubs und

kulturellen Ereignissen ist häufig der Verkehr und der Lärm Thema der Presse. Als kritische

Beobachterin der Presse, könnte man prompt den Eindruck gewinnen, hier wird eine

städteplanerische Verkehrsmassnahme eingeleitet.

31 Lukas Häuptli, Lofts in Zürichs Problemquartier, Tages-Anzeiger, 08.08.06, S 13.

Page 23: Ps Arbeit Gentrification

22

Gentrificationindikator Medienberichte

Betrachtet man meine Analyse rein rechnerisch, so überwiegen die Meldungen in der

Kategorie positives Image. In meiner abschliessenden Betrachtung zähle ich aber die

Berichte der Kategorie Langstrasse Plus, Kultur und Restaurant- und Bartipps hinzu. Weil

diese die verbesserte Situation im öffentlichen Gedächtnis etablieren, das positivere Image

längerfristig verankern. Derart, das risikoscheuere, potentielle QuartiersnutzerInnen und

potentielle QuartiersbewohnerInnen es wagen, dort hinzukommen, wo Zürich eine Weltstadt

ist, um zu wohnen, zu arbeiten oder die Freizeit zu verbringen. Die anfänglichen Zweifel, ob

im Langstrassenquartier eine Gentrification im Gange ist und nicht eine soziale

Stadtteilentwicklung, haben sich quasi in der Masse des "postiven Image-Gebilde" der Presse

aufgelöst. Ich kann sogar zur eingangs erwähnten Metapher des Bilderbuches zurückgreifen:

Wie im Lehrbuch, häufen sich die positiven Berichte von Jahr zu Jahr. Das Image wird

geschaffen, etabliert und untermauert. Fasst man die Medienberichte als Indikator für eine

mögliche Gentrification auf, so findet sie hier, wie schon in den 70er Jahren beschrieben,

statt.

Was mich doch bisweilen etwas traurig gestimmt hat, ist der Umstand, dass sich im

Untersuchten Pool, der sich doch über 10 Jahre erstreckt, gerade mal 5 Artikel kritisch zum

Aufwertungsprozess äussern. Dort fragen sich die Autorinnen und Autoren, wohin denn die

vertriebenen Prostituierten verschoben werden. Wie wird das soziale Netz der vertriebenen

Sexarbeiterinnen ersetzt? Wo wohnen künftig die vielen SozialhilfebezügerInnen und die

frisch eingewanderten oder geflohenen Immigrantinnen und Immigranten? In welchen

Räumlichkeiten werden kreative Kräfte, ihre billigen Arbeitsplätze finden?

Page 24: Ps Arbeit Gentrification

23

SCHLUSSWORTDie Medien, so bin ich heute überzeugt, sind Akteure im Gentrificationprozess im

Langstrassenquartier. In der Forschung, soweit ich das überblicke, werden die Medien als

Akteure erwähnt, aber in der empirischen Forschung ausgeblendet. Doch die Medien erfinden

die Welt nicht neu: jedem Medientext geht ein anderer Text oder mehrere voran, die so

genannten Prätexte. In diesem Zusammenhang würde ich in einem nächsten Schritt meiner

neuen These nachgehen wollen, dass die Stadt die Presse für ihre Ziele instrumentalisiert.

Eine genaue Analyse der Pressemitteilungen, der Leitbilder, der Studien und öffentlichen

Informationsveranstaltungen wären hier sicher aussagekräftig.

Eine, aus persönlicher Sicht, noch viel wichtigere Perspektive: die These, dass sich im

Langstrassenquartier die Bevölkerungsstruktur sich zu Gunsten von besser verdienenden

ändern wird. Dies wird heute schon seitens der Stadtentwicklung Zürich längerfristig

betrachtet nicht mehr dementiert. Sie erachten dies als ein normales, globales Phänomen im

Wettbewerb der Städte. Etwas natürliches, der Lauf der Dinge bzw. der Wirtschaft halt. Wenn

man die Dimensionen der Verdrängung hier an der Langstrasse zum Beispiel mit jener inShanghai vergleicht, dann sieht man sich leicht mit der eigenen Kritik am Prozess in die Ecke

gedrängt. Eben mit dem Argument, wenn wir mithalten wollen, dann passiert das halt. Die

Verdrängung trifft ja nur wenige Randgruppen. Und wenn man der Verdrängungsfrage dann

doch nachgeht, dann landet man ganz unverhofft in einer sozialromantischen, linken Ecke und

wird als Idealistin belächelt. Doch gerade die Forschungsgeschichte zur Gentrification hat

gezeigt: dass die kritischen Betrachtungen und Benennungen problematischer Fakten zu

neuen integrativen Strategien des Städtebaus führen kann. In dem Sinne lautet mein

Schlusswort: forschen, forschen, forschen!

Page 25: Ps Arbeit Gentrification

24

LITERATURVERZEICHNISAtkinson, Rowland und Gary Bridge (Hg.): Gentrification in a global context. The new urbancolonialism. London: Routledge, 2005.

Berger, Christina, Irene Somm und Bruno Hildenbrand: Stadtteil zwischen Abwertung und

Aufwertung. Verunsicherte lokale Zugehörigkeit in den Zürcher Stadtkreisen 4 und 5. Kurzfassung desForschungsberichtes. Forschungsbericht aus dem Institut für Suchtforschung, Nr. 93. Zürich: Institutfür Suchtforschung, 1999.

Friedrichs, Jürgen und Robert Kecskes (Hrsg.): Gentrification: Theorie und Froschungsergebnisse.

Opladen: Leske + Budrich, 1996.Glatter, Jan: Gentrification in Ostdeutschland – untersucht am

Beispiel der Dresdner Äußeren Neustadt. Dresden: Selbstverlag des Instituts für Geographie, 2007

(Dresdener Geographische Beiträge, 11).

Häußermann, Hartmund (Hg.): Großstadt. Soziologische Stichworte. Opladen: Leske + Budrich, 1998.

Häußermann, Hartmund und Walter Siebel: Stadtsoziologie. Eine Einführung. Unter Mitarbeit von

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Krajewski, Christian: Urbane Transformationsprozesse in zentrumsnahen Stadtquartieren –

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Vorstadt in Berlin. Diss. Münster. Münster: Institut für Geographie der Westfälischen Wilhelms-Univerität, 2006 (Münstersche Geographische Arbeiten, 48).

Sägesser, Peter: Geschlossene Stadt. Stadtentwicklung und Gentrifizierung. Bern: Edition Soziothek,2004 (Diplomarbeiten der Hochschule für Sozialarbeit HSA Bern).

Stahel, Thomas (Hg.): Wo-Wo-Wonige! Stadt- und wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968.Zürich: Paranoia city, [2006].

Wehrheim, Jan: Die überwachte Stadt – Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung. 2. völligüberarbeitete und aktualisierte Auflage. Opladen, Barbara Budich, 2006

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Beobachtungen am Beispiel Zürich West. In: Disp. Dokumente und Informationen zur Schweizer Orts-, Regional- und Landesplanung 38/3 (2002), 4-10.

Page 26: Ps Arbeit Gentrification

25

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Fachstelle für Stadtentwicklung, Präsidialdepartement, Zürich (Hg.): stadtentwicklung.zh.

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Fachstelle für Stadtentwicklung, Präsidialdepartement, Zürich (Hg.): Leben im Langstrassenquartier.Zürich, Oktober 2007.

Fachstelle für Stadtentwicklung, Präsidialdepartement, Zürich (Hg.): Quartieraufwertung mit

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Schlussbericht. Zürich, Dezember 2003.

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Liechtenhan, Werner: Mitwirkungs- und Beteiligungsprozesse in der Stadt Zürich. In: Stadtblick 15,März 2007.

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Polizeidepartement der Tadt Zürich (Hg.): Projekt Langstrasse PLUS. Bericht März 2003 bis März

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Zeitungsartikel aus dem online-Archiv der Schweizerischen Mediendatenbank, www.smd.ch.Recherche mit dem Suchbegriff "Langstrasse", ohne zeitliche Beschränkung.

Page 27: Ps Arbeit Gentrification

26

Zeitungsartikel aus dem online-Archiv der Schweizerischen Mediendatenbank, www.smd.ch.

Recherche mit dem Suchbegriff "Langstrasse Plus", ohne zeitliche Beschränkung.

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Alle Abbildung sind vom Fotografen Gerry Amstutz (gee_ly) in meinem Auftrag gemacht. ©gee-ly.ch