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Psychiatrische Krankheitsmodelle Josef Marksteiner Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie LKH Klagenfurt

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Psychiatrische Krankheitsmodelle

Josef MarksteinerAbteilung Psychiatrie und Psychotherapie

LKH Klagenfurt

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Die Medizin ist so weit fortgeschritten, dass praktisch niemand mehr gesund ist.

Aldous Huxley

                                                                                                                                                                  

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Gesundheit (WHO 1946)

"Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen

Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen."

Idealnorm

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Krankheit und Gesundheit

Medizin

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Krankheit und Gesundheit

Medizin

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Krankheit aus Sicht des Kranken

Beschwerden (Symptomwahrnehmung)

Vermindertes Wohlbefinden

Vermindertes Handlungsvermögen

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Körperwahrnehmung

Interozeption („Innenwahrnehmung“):• Propriozeption (Wahrnehmung des Bewegungsapparates)• Viszerozeption (Wahrnehmung der Eingeweide)• Nocizeption (Schmerzwahrnehmung)

Außenwahrnehmung (durch sich und andere):„Ich bin zu dick“ (interne oder externe Norm)

Exzessive Selbstbeobachtung und Überbewertung von Wahrnehmungen : Hypochondrie

Aber: mangelnde Selbstwahrnehmung ist medizinisch gesehen problematischer (Verschleppung von Diagnose und Therapie).

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Befinden und Befund

Subjektives

Erleben

Objektive

Daten

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Gesund oder krank ?

Bei Frau J., einer 45 jährigen, derzeit nicht berufstätigen Krankenschwester war bei einer Routineuntersuchung ein zu hoher Blutdruck aufgefallen.

Selbstmessungen ergaben wiederholt Werte um 190/110.

Sie hat keinerlei Beschwerden.

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Biomedizinisches Krankheitsmodell

NoxeChemischBiologischPhysikalisch

PathologieStruktur- und Funktionsstörung

Wiederherstellung

Defektheilung

Tod

ÄtiologieLehre von den

Krankheits-ursachen

PathogeneseEntstehung eines

krankhaften Geschenens

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Probleme des Biomedizinischen Krankheitsmodells

• Bei vielen Erkrankungen gibt es keine eindeutigen Noxen, sondern multiple Risiken (z.B. genetische Disposition, Umweltfaktoren – z.B. Ernährung)

• Psychische und soziale Ursachen sind in den Modell nicht abgebildet

Biopsychosoziales Krankheitsmodell (umfassendes Modell)

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Biopsychosoziales Krankheitsmodell (I)

RisikofaktorenGene / familiäre Belastung

Verhalten, Soziale Umwelt

Epidemiologie (z.B. Hypertonus)

SchutzfaktorenGene (z.B. Immunkompetenz)

Einkommen

Psychische Ressourcen

Soziale Unterstützung

Resilienz:

Widerstandskraft

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Biopsychosoziales Krankheitsmodell (II)

Risikofaktoren Schutzfaktoren

Heilung

Chronifizierung

Rezidiv

Rehabilitation

Krankheit

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Yerkes, R.M. & Dodson, J.D. (1908). The Relationship of Strength of Stimulus to Rapidity of Habit Formation. Journal of Comparative Neurology and Psychology., 18, 459-482

Anspannung und Leistungs-Niveau

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Biopsychosoziales SymptomverständnisDie Systeme

Das Biologische System • Genetisch • Hormonell • Neuronal• Konstitutionell

Das Psychische System • Gefühle• Gedanken • Wahrnehmungen• Erinnerungen• Hypothesen • Glaubenssätze

Die Sozialen Systeme • Familie • Umwelt • Lebenskontext ( Kultur, Religion, Politik etc.)• Geschichte• Kommunikation, Interaktion, Bewertungen

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Soziale Systeme

Systemische Aspekte Biopsychosoziales Symptomverständnis

SymptomAuffälligkeit

Biologisches System

Psychisches System

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Vorteile heutiger KlassifikationssystemenVorteile heutiger Klassifikationssystemen

☻ Zuverlässige Stellung von Diagnosen

☻ Verbesserung der Kommunikation zw. Diagnostikern verschiedener Einrichtungen, Ländern und Kulturkreisen sowie zw. Psychologe/Arzt und Patient

☻ Verbindung einer Diagnose mit verschiedenen Ebenen von Interventionsentscheidungen bis hin zu spezif. Therapien

☻ Definition von Kontraindikationen

☻ Bestimmung der Prognose (weiterer Verlauf, Remission, Rückfallrisiko)

☻ Weitere Planung von Rehabilitation u. a. Sozialmaßnahmen

☻ Verbesserung der politischen Gesundheitsplanung

Wuchse (2003)

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Vulnerabilität/Verletzlichkeit + Frühwarn-

signaleBelastungen/

(Stress)

SozialesNetz

Bewältigungs-Möglichkeiten

Symptome

Vulnerabilität – Stress - Modell

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Kritischer Grenzwert

Person A Person B Person C

Vulnerabilitäts-Stress-Modell

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Vulnerabilität – ein Vergleich• Wenn man an einer Kette zieht und sie damit einer sehr hohen

Belastung aussetzt, dann reißt sie. Und zwar reißt sie an der Stelle mit dem schwächsten Glied. Bei einer Depression ist das ähnlich.Wenn man Menschen einer extrem hohen Belastung aussetzt, dann können sie dieser für eine gewisse Zeit standhalten. Der eine länger, der andere kürzer. Dabei spielt der Stoffwechsel im Gehirn eine sehr große Rolle. Er ist sozusagen das schwächste Glied. Unter Belastung gerät er ins Ungleichgewicht, so wie die Kette Risse bekommt. Wenn eine höhere Verletzlichkeit für Belastungssituationen und starker Stress zusammentreffen, dann wird vermutlich ein kritischer Grenzwert überschritten. Die Kette reißt, bzw. beim Menschen kommt es zum Ausbruch einer Depression.

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Stressor, Belastung

Normales ErregungsniveauGesund

Vulnerabler Mensch

Symptom Dekompensation

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Die Ursachen der Depression

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Grundprobleme traditioneller Grundprobleme traditioneller KlassifikationssystemeKlassifikationssysteme

Klassifikation psychischer Störungen stellt im Grunde eine Typologie dar > Prototyp, um den wirkliche Belange variieren (z.B. DSM-III-R Persönlichkeitsstörungen > Cluster)

Stigmatisierungseffekte sowie mangelhafte Reliabilität von Diagnosen psychischer Störungen in empirischen Studien nachgewiesen

Mangelnde Begriffsschärfe und Überschneidungen hinsichtlich Kernsymptomen diagnostischer Klassen, Ein- und Ausschlusskriterien, Zuordnungsregeln auf Syndromebene

Wuchse (2003)

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Kennzeichen aktueller KlassifikationssystemeKennzeichen aktueller KlassifikationssystemeAmerican Psychiatric Association, APAAmerican Psychiatric Association, APA

DSM-III, 1980DSM-III, 1980DSM-III-R, 1887DSM-III-R, 1887

DSM-IV, 1994DSM-IV, 1994

Deskriptiv-phänomenolog.

Ansatz

Einheitliche u.systematische

Struktur

MultiaxialerAnsatz

DiagnostischeEntscheidungs-

bäume

Kurzglossar derwichtigsten

Kriterienbegriffe

Komorbiditätsprinzip

Beurteilu

ngskriterie

n

für Schweregrad u. R

emission

Wuchse (2003)

ICD-10ICD-10

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Kennzeichen aktueller KlassifikationssystemeKennzeichen aktueller KlassifikationssystemeDSM-IV (APA, 1997)DSM-IV (APA, 1997) ICD-10 (WHO, 1995)ICD-10 (WHO, 1995)

• Operationalisierte Diagnostik Vorgabe psychopathologischer Symptome (Ein-/Ausschlusskriterien),

zeitliches Bestehen, Verlauf Entscheidungs- und Verknüpfungsregeln für diagnostische Kriterien

• Komorbiditätsprinzip Querschnittkomorbidität = gemeinsames Auftreten verschiedener

psychischer Erkrankungen bei einer Person zum selben Zeitpunkt Längsschnittkomorbidität > Lebenszeitkomorbidität Hauptdiagnose (jene mit der größten klinischen Bedeutung bzw. Anlass

für Kontaktaufnahme), Nebendiagnosen (verlaufsmodifizierend) Multimorbidität = Vorliegen zusätzlicher körperlicher Störungen

• Multiaxiale Diagnostik Mehrere Betrachtungsebenen (DSM > 5 Achsen; ICD > 3 Achsen) der

klinischen Bedingungen eines Patienten soll der Komplexität eher gerecht werden.

Wuchse (2003)

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Kode Bedeutung Beispiel

F Hinweis auf psych. Störung

Fx Hauptkategorie F4 Neurot., Belastungs- u. somatoforme Störungen

Fxx Kategorie=Störungseinheit F40 Phob. Störungen

Störungsbezogene Klassifikationsebenen ICD-Störungsbezogene Klassifikationsebenen ICD-10 10 (WHO 2000)(WHO 2000)

Wuchse (2003)

Fxx.x Spezifikation aufgrund Inhalte F40.0 Agoraphobie

Fxx.xx Zusatzspezifikation F40.00 .. mit Panikstörung

Fxx.xxx Zusatzspezifikation F1x.200 Abhängigkeitssyn. mit früherer Remission

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Multiaxiale Ansätze im DSM-IVMultiaxiale Ansätze im DSM-IV

► Achse IAchse IKlinische Störungen u.a. klinische Zustandsbilder

► Achse IIAchse IIPersönlichkeitsstörungen, Intelligenzstörungen

► Achse IIIAchse IIIAllgemeine medizinische Zustandsbilder

► Achse IVAchse IVPsychosoziale Umgebungsfaktoren

► Achse VAchse VGlobalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus (GAF-Skala)

Wuchse (2003)

Bio-Bio-Psycho-Psycho-SozialerSozialerAnsatzAnsatz

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Unterschiede zw. ICD-10 u. DSM-IVUnterschiede zw. ICD-10 u. DSM-IV► Geltungsbereich, Versionen, Autorenschaften:Geltungsbereich, Versionen, Autorenschaften:

ICD > Klin. Diagn. Leitlinien; ForschungskriterienDSM > eine Version national

► Darstellung:Darstellung:DSM > Als Lehrbuch konzipiertICD > Beschreibungen, Kriterien

► Gewinnung der Einheiten:Gewinnung der Einheiten:DSM > Orientierung an empirischen Ergebnissen bei Entw.

► Definition der Einheiten:Definition der Einheiten:DSM > Operationalisierung psych. Störungen eher verbunden mit psychosozialen Funktionsbeeinträchtigungen

► Zuordnungsregeln:Zuordnungsregeln:ICD > teilweise implizite ZuordnungsregelnDSM > Entscheidungsbäume

► Multiaxialität:Multiaxialität:DSM > offizielles Vorliegen des multiaxialen Systems (5 Achsen)

► Diagnoseunterschiede:Diagnoseunterschiede:Unterschiede bei akuten Psychosen, depressiven Störungen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen

Wuchse (2003)

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Modelle zum Zusammenhang von Körper und Psyche

• Psychoanalytisches/psychosomatisches Modell (z.B. Alexander 1950, Umleitung blockierter emotionaler Energie in Organsysteme)

• Biopsychosoziales Modell z.B. Stresskonzepte, kritische Lebensereignisse

• Verhaltenstheoretisches Modell (z.B. Angsterkrankung als Ergebnis von Lernprozessen)

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Psychosomatisches (psychoanalytisches) Krankheitsmodell

Soziale Normen (“Über-Ich“)

Körpergebundene Triebansprüche (“Es“)

Vom “Ich“ nicht gelöster und andauernder Konflikt Krankheit