Upload
andrebenn
View
124
Download
7
Embed Size (px)
Citation preview
Ullstein
ÜBER DAS BUCH:
Gurdjieff (1877-1949) war einer der bedeutendsten Mystiker und spirituellen Lehrer dieses Jahrhunderts - und einer der geheimnisvollsten. Er stammte aus dem Kaukasus und unternahm in seiner Jugend ausgedehnte Reisen zu den Wahrheitssuchern Zentralasiens und des Himalaya. Als die russische Revolution ihn aus seiner Heimat vertrieb, ging er nach Frankreich und gründete bei Paris sein legendäres »Institut zur harmonischen Entwicklung des Menschen«. Seine Lehre der Erweckung aus dem trancegleichen Zustand unseres Alltagsbewußtseins zum wahren Menschen zog zahlreiche Schüler an und ist noch heute eine der wichtigsten Quellen der Verbindung zwischen westlicher und östlicher Spiritualität.»Die Sufi-Lehrer Gurdjieffs ist eines der wichtigsten Dokumente der authentischen Sufi-Tradition im Westen des 20. Jahrhunderts. Im Rahmen einer farbigen und faszinierenden Reiseschilderung macht es den Leser vertraut mit den grundlegenden Voraussetzungen einer erfolgreichen Suche nach dem Sinn unserer menschlichen Existenz.«
Rafael Lefort
Die Sufi-Lehrer Gurdjieffs
Aus dem Englischen von Christine Spieth
Ullstein
Ullstein Buchverlage GmbH & Co. KG, Berlin Taschenbuchnummer: 35788 Titel der Originalausgabe:The Teachers of GurdieffAus dem Englischen von Christine Spieth
Ungekürzte Ausgabe Juli 1998
Umschlagentwurf:Vera BauerUnter Verwendung einer Abbildung von FPG/Bavaria Alle Rechte Vorbehalten © 1966 by Rafael LefortFirst published by Victor Gollancz Ltd., London Printed in Germany 1998 Gesamtherstellung:Clausen & Bosse, Leck ISBN 3 548 35788 1
Die deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lefort, Rafael:Die Sufi-Lehrer Gurdjieffs / Rafael Lefort.Aus dem Engl, von Christine Spieth. Ungekürzte Ausg. - Berlin: Ullstein, 1998 (Ullstein-Buch; 35788)Einheitssacht.: The teachers of Gurdieff <dt.> ISBN 3-548-35788-1
Scan & OCR von Shiva2012
Inhalt
Einführung 7
I. Hakim Abdu Qader 13
II. Hashim Mohamed Khattat 17
III. Scheich Daud Yusuf 22
IV. Ataullah Qarmani 39
V. Scheich Hassan Effendi 45
VI. Mohamed Mohsin, der Händler 52
VII. Qazi Haider Gul 66
VIII. PirDaud 67
IX. Daggash Rustam 74
X. Scheich Abdul Muhi 79
XI. Scheich Shah Naz 85
XII. Hussan Kerbali 89
XIII. Scheich Mohamed Daud 91
XIV. Ahmad Mustafa Sarmouni 95
XV. Der Scheich ul Mashaikh. 98
Schlußwort 100
Einführung
Kurz vor Beginn des ersten Weltkriegs kehrte ein weitgereister Mystiker und Esoteriker armenisch-griechischer Abstammung nach Rußland zurück und brachte eine mystische Lehre mit.
Der Mann war Georg Ivanovitch Gurdjieff. Seine Lehre war dazu bestimmt, dem Menschen zu helfen, ihn darin zu bestärken oder ihn zu zwingen, sich trotz seiner selbst zu entwickeln.
Nach Experimenten mit dem »Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen« in Tiflis, Studienzentren in Konstantinopel, Berlin, London und gelegentlichen Bühnenvorführungen geheimnisvoller Tänze, ließ er sich 1922 im Chateau du Prieuré in Avon bei Fontainebleau nieder.
In diesem Chateau lebten die Schüler und Anhänger dieses Mannes, der verschiedentlich als der »Cagliostro des 20. Jahrhunderts« und »Meister« bezeichnet wurde. Seine Methoden zogen große Aufmerksamkeit und das Interesse der Öffentlichkeit auf sich. Aber unbeschadet der Angriffe auf ihn, zogen die »Waldphilosophen«, wie sie benannt wurden, mehr und mehr Anhänger an.
Es gab kein festgesetztes »Ritual« oder »Übungskurs«. Es wurde von den Schülern erwartet, Anweisungen buchstäblich zu befolgen, Gurdjieffs Schriften zu lesen und die komplizierten Tanz- und Haltungs-»Übungen« (»Movements«) zu lernen. Gurdjieff konnte unter seine Anhänger Dr. Maurice Nicol zählen, der unter C. G. Jung studiert hatte, P. D. Ouspensky, Kenneth Walker, Orage, Herausgeber des einflußreichen New Age, Frank Lloyd Wright und ein ganzes Heer anderer, die ihn segneten, verdammten oder vergaßen. Mit Fortschreiten der Lehre wurde es immer klarer, daß ein großer Teil der Philosopie Gurdjieffs auf östlichen Ritualen
7
beruhte, und er selbst bezog sich laufend auf Derwischpraktiken und Namen, die Schülern der Sufi-Gedankenwelt bekannt sind. Eines der heiligsten Musikstücke, nach denen die »Movements« getanzt wurden, war nach den Syeds oder Nachkommen Mohammeds benannt.
Ouspensky, der Gruppen gegründet hatte, um das, was er von Gurdjieff gelernt hatte, zu vertiefen und fortzuführen, brach 1924 mit ihm. Dieser Bruch verursachte Verwirrung und viele Vermutungen. Von den in diesem Buch beschriebenen Quellen war es jedoch möglich, die wahren Gründe dafür zu erfahren. Gurdjieff wollte Ouspensky nahebringen, die Lehre durch die Herstellung einer inneren Verbindung mit ihm sozusagen »aufzulesen«, eine der üblichen östlichen Übertragungen eines Lehrers an seinen Schüler; aber Ouspensky, immer der korrekte, klassische Intellektuelle, wollte »Prinzipien«, nach denen sich die »wirkungsvollste« Methode ableiten ließe. Da das System und die Methode der Weitergabe ein- und dasselbe sind, hatte dieser intellektuelle Prozeß keinen Erfolg.
Ouspensky revoltierte gegen den »rätselhaften« Charakter von Gurdjieffs Lehre. Er verstand nicht, daß Gurdjieff seine Botschaft nur an jene weitergeben konnte, die seine Rätsel »entschlüsseln« konnten. Dies ist die übliche Lehrmethode, aber Ouspensky wollte durch Denken auf den Grund der Lehre kommen und nicht durch die erprobte traditionelle und wirkungsvollste Art. Bis zu Gurdjieffs Tod 1949 erfuhr die Lehre alle möglichen Höhen und Tiefen; sie verbreitete sich bis nach Nord- und Südamerika, aber es schien immer etwas zu fehlen. Nach seinem Tod trat sie auf der Stelle und verlor ihre positive Kraft, da die Hauptantriebsfeder fehlte. War es der mangelnde Kontakt mit der Quelle? Sei dem, wie es will, jedenfalls bewegte sie sich ab 1950 nur noch durch die Schwungkraft voran, die ihr Gurdjieff gegeben hatte. Movements, Vorlesungen und Vorträge gingen weiter, und von Zeit zu Zeit suchten Expeditionen Kontakt mit den Meistern. Sie suchten die Takamour und die Hudakar-Klöster; Yangi Hissar in Kashmir und Kizil Jan in Turkestan entzogen sich ihnen. Sie
8
hätten sich vielleicht viel Mühe ersparen können, wenn sie verstanden hätten, daß wir auf die Weitergabe der Lehre kein Recht haben, sondern daß dies ein Privileg ist, das denjenigen gewährt wird, die es verdienen, brauchen und in der richtigen Beziehung zum Zeitelement stehen. Wenn sie das Wissen gehabt hätten, um einige der Namen zu entschlüsseln, die Gurdjieff ihnen gegeben hatte, wären sie möglicherweise auf Ashuk ul Haq, Hakim Beg, Bedar Karabeg, Bahaud- din Evlia, Ahl Saz und andere gestoßen.
Aus Jahren wurden Jahrzehnte, und die Schüler Gurdjieffs und seiner Nachfolger waren ihrem Ziel noch nicht näher. Jenen, die beanspruchten, Gurdjieffs Lehrauftrag geerbt zu haben, wurde keine Anerkennung zuteil. Seine Schüler waren ruhelos; sie fürchteten sich, ihr Schicksal jenen anzuvertrauen, denen sie nur wenig Vertrauen schenken konnten. »Wie kann man«, argumentierten sie, »jenen trauen, die erklären: ›Wenn ich Fragen beantworte, habe ich das Gefühl, derjenige zu sein, der Fragen stellen sollte‹ und: ›Es dauert wohl hunderttausend Jahre, bis ein Mensch perfekt wird.‹« Das also ist der Hintergrund, vor dem meine Suche begann. Sie hat insoweit geendet, was die Quelle der Lehre betrifft, jedoch hat die Suche nach mir selbst erst begonnen. Sie hat jedoch mit Vertrauen, Leitung und Disziplin begonnen.
R. L.
9
Hakim Abdul Quader zog versonnen an seiner Wasserpfeife, stieß eine beißende Wolke Rauch aus und warf einen schrägen Blick unter schweren Lidern auf mich, bevor er meine Frage beantwortete. »Ja«, sagte er gedehnt, »ja, ich kannte Jurjizada oder Georg Gurdjieff, wie Sie ihn nennen. Er war mein Schüler. Aber warum möchten Sie dies wissen?«
Das Warum und Weshalb war leicht genug zu_beantworten. Ich hatte Ouspensky, Nicoll und schließlich Gurdjieff studiert; ich hatte versucht, dem bedeutungslosen Muster der sich wiederholenden Aktivitäten der Erben Gurdjieffs in Paris zu folgen und hatte mich schließlich desiIlusioniert entschlossen, die Quelle der Quellen, Schule oder Lehrer zu suchen, die ihm einen flüchtigen Blick darauf gestattet hatten, was das Schicksal des Menschen wirklich ist, wirklich sein kann.
Ich reiste von einem Sonderling zum anderen, von Gruppe zu Gruppe, las immer weitere Bücher und fand immer Leute, die in einem Gedankenmuster und einer Art »Verstehen« festgefahren waren, die ich unproduktiv fand. Hatte Gurdjieff, fragte ich mich, die Botschaft verfälscht, sie selbst erfunden oder hatten die Fragmente der Wahrheit seinen Tod nicht überlebt? Versuchten seine Nachfolger lediglich die Vergangenheit wiederherzustellen und auf eine sterile Art zu leben, weil sie das, was Gurdjieff versucht hatte ihnen zu sagen, auf diese Weise interpretierten?
Ich glaubte nicht, daß Gurdjieff alles, was er lehrte, erfunden hatte. Ich glaubte, daß es irgendwo Menschen gab, die ihn gelehrt hatten, und diese suchte ich. Mein Ziel war, die Quelle einer sich entwickelnden, organisch-harmonischen Aktivität zu finden. Durch die recht monolithische Art der »Aktivitäten« in Paris und den USA war es leicht, davon abge-
11
Menkt oder von ihren Behauptungen geblendet zu werden; dabei hatten die »Movements« (Bewegungsübungen und Tänze) die Wirkung einer Gehirnwäsche. Ja, sie sprachen im Namen von Gurdjieff und den »verborgenen Meistern«, aber konnte etwas derart Unfruchtbares Gültigkeit haben? Ich dachte nicht.
All und Alles und Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen hatten mir sichere Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die Lehre aus dem Osten kam. Ich hatte oberflächliche Kenntnisse des Persischen und Türkischen, und es war offensichtlich, daß der Kontinent »Aschark«, den Gurdjieff erwähnte, von dem Arabischen »As Sharq« oder »Der Osten« abgeleitet war. Zusammen mit dem Wissen um seine Reisen in den Nahen Osten war es klar, daß man dort mit der Suche beginnen mußte. Ich verkaufte mein Geschäft und fuhr in die Türkei mit sehr wenig Ahnung, wo ich beginnen sollte.
Welche Enttäuschung! »Haben Sie schon einmal von Gurdjieff oder Jurjizada gehört?«* Kennen Sie jemanden, der ihn kannte? Kann sich irgend jemand an einen Mann erinnern, der so und so aussah? Nein! Immer nein! Bis Adana!
* Sohn des Georg in persisch.
12
I. Hakim Abdul Qader
Adana, in der Südosttürkei gelegen, war und ist heute noch ein bedeutendes Handelszentrum für Waren aus Syrien, Libanon, Irak und Persien. Man hatte mich in Konia, dem Zentrum der Mevlewi-Derwische, deren Begründer Jelaluddin Rumi dort begraben ist, auf diese Stadt hingewiesen. Die Verbindung zwischen Gurdjieff und den Derwischen wird in allen seinen Schriften angedeutet. Einige seiner Tänze sind Derwischrituale, während andere Bewegungen aus dem Gebet der Moslems sind. Konia war eine wunderschöne Stadt, aber ich fühlte eine offenkundige Barriere zwischen den Menschen und mir. Obwohl die Mönchsorden in den zwanziger Jahren unterdrückt wurden, gibt es eine sehr starke Untergrundaktivität der Sufis, und ein Fremder kann diesen Vorhang nicht durchdringen.
Ich suchte in allen Gassen, bis ein Teppichhändler in der Nähe von Rumis Grabstätte mir riet, nach Adana zu gehen. Er gab mir keinen Namen oder Adresse und versuchte mich vielleicht nur loszuwerden, aber ich ging trotzdem.
Mehrere Tage lang streifte ich durch Adana. Schließlich fragte ich einen alten Weber im Teppichviertel, ob ich mich zu ihm setzen und ihm zuschauen könne, um die Anfänge seiner Kunst zu lernen. Er wehrte ab: Hadschi Abdul Qader war der Meister, nicht er. Obwohl er sich zurückgezogen hatte, nahm der Hadschi manchmal Schüler an.
Ich suchte den Hadschi auf und brachte nach unzähligen Tassen Kaffee das Gespräch auf den Anlaß meines Besuches. Ich sagte, daß ich nach den Spuren jener Männer suchte, die Gurdjieffs Lehrer waren. Ob er wohl jemanden kenne?
Seine Antwort beschleunigte meinen Herzschlag, und ich erklärte hastig die Gründe für meine Suche.
»Mein Freund«, erwiderte er, »ich bin kein Sufi in dem
13
Sinne, wie Sie das Wort im Westen verstehen. Sie würden mich einen Laienbruder nennen, und manchmal werden Leute zu mir geschickt, die ich im Weben unterrichte. Sie werden vom Oberhaupt eines Ordens gesandt, um sich bestimmtes Wissen oder Techniken anzueignen, die keine direkte Beziehung zum esoterischen Studium zu haben scheinen. Es ist nicht meine Aufgabe, herauszufinden, wer meine Schüler sind oder welchen Grad der Erleuchtung sie erreicht haben. Ich lehre sie Teppichweben, und dann ziehen sie wieder ihres Weges. Gurdjieff war einer von ihnen. Er blieb ein Jahr und einen Tag bei mir und wurde dann, obwohl er die Kunst noch nicht ganz beherrschte, an einen anderen Ort geschickt. Er war ein aufmerksamer Schüler, der den Farben und Mustern der Teppiche mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem eigentlichen Weben, aber er war ein guter Schüler.«
»Was lehrten Sie ihn noch außer Weben?« fragte ich.Der Hadschi machte eine Handbewegung. »Sonst nichts.
Ich kann nichts lehren, was ich nicht weiß. Er lernte die Kunst des Teppichwebens bei mir, die Techniken und den Verkauf. Sein inneres Leben unterstand nicht meiner Obhut, dafür waren andere verantwortlich. Sie sagten zu mir: ›Lehre Jurji- zada‹, und das habe ich getan.«
»Wer waren ›sie‹, die ihn geschickt hätten?« bohrte ich weiter.
»Das ist kein Geheimnis«, erwiderte er. »Die Bruderschaft in der Nähe des Kap Karatas, Richtung Süden. Sie waren die Schüler von Bahaddin, bekannt als die Naq'schbandis oder Maler. Sie sind nicht mehr dort, aber er wurde auf jeden Fall von einem anderen Ort aus dorthin geschickt, weil ich früher dort oft auf Besuch war und ihn niemals sah.«
»Woher könnte er dorthin geschickt worden sein?«Er lachte. »Aus dem Norden oder Süden, Osten oder We
sten, aus irgendeinem von Tausenden Orten. Von einem anderen Schulungszentrum, von einem anderen Lehrer. Wer weiß, was er studierte, bevor er zu mir kam? Vielleicht Falknerei, Musik, Tanz, Zimmerhandwerk. Es gibt keinen festge
14
legten »Kursus«, mit dem man die ›Karriere‹ eines Menschen planen kann.«
»Wohin könnte die Gruppe gegangen sein ...?« begann ich, aber er unterbrach mich.
»Die Orden ›vvandern‹ nicht. Wenn sie ihre Aufgabe an einem bestimmten Platz erfüllt haben, werden sie aufgelöst, ihr Oberhaupt bekommt eine neue Aufgabe zugewiesen, wenn Sie so wollen, und die Schüler werden auf andere Zentren verteilt. Wenn Sie wirklich herausfinden wollen, wer der Scheich war, kann ich Ihnen helfen. Es war Mulla Ali Jamal aus Kerbala im Irak. Wo er jetzt ist, weiß ich nicht, vielleicht ist er schon tot, vielleicht lebt er sonstwo in der Welt.«
Mit Bedauern nahm ich von diesem guten Manne Abschied, da ich gerne bei ihm gelernt hätte, wenn ich nicht auf der Suche nach etwas anderem gewesen wäre. Aber die tote Spur war lebendig geworden, und ich mußte ihr folgen.
Als ich mein Hotel verließ, um nach Diyarbekir und zur irakischen Grenze zu fahren, gab mir der Portier eine verschlüsselte Notiz. »Erinnern Sie sich an Abdul Qadir« lautete sie. Verwundert machte ich mich auf den Weg. Ich würde mich sicher an ihn erinnern, aber warum diese Notiz? Es konnte bedeuten, daß er für seine Information eine Belohnung wünschte. Vielleicht bedeutete es, daß ich für ihn beten sollte oder seinen Namen bei künftigen Kontakten erwähnen sollte oder...?
Bagdad ist nicht die Perle der Wüste, wie es der arabische Geograph Muqadassi in seinem Buch, das ich gelesen hatte, beschreibt. Er schrieb es allerdings im 13. Jahrhundert, vor dem Einfall des Dschingis Khan, von dem sich die Stadt niemals erholte. Sie hätte zwar genug Zeit dazu gehabt, aber anscheinend mangelte es ihr an Kraft.
Der Mittelpunkt von Bagdad ist die Raschid Straße. Von der früheren Feisal Brücke kommend, fand ich am anderen Ende ein riesiges Gebäude mit Kuppeln, Gittern und Türmchen. Der Reiseführer beschrieb es als Grabmal des Heiligen Sufi Abdul Qadir Gilani. Abdul Qadir! - War dies der Abdul Qadir, an den ich mich erinnern sollte? Ich eilte zum Semiramis
15
Hotel, buchte ein Zimmer und engagierte einen Führer, um das Grabmal zu besuchen.
Kein Nicht-Moslem darf durch die massiven Portale des Heiligtums treten, da das Grab, die Moschee, eine Schule und Bücherei beherbergt. Wie mein Führer sagte, wird Gi- lani, der Begründer des Qadiri-Ordens, von allen Sufis als Großer Meister verehrt, und sein Grad der Erleuchtung machte ihn zum Lehrer aller Sufis, einerlei, welchen Ordens. Ich streifte umher, konnte aber wenig erfahren. Ich merkte mir den Laden eines Kalligraphen (Schönschreibkünstlers) in der Nähe, den ich am nächsten Tag besuchen wollte, um einige der bemalten Schriftblätter zu kaufen, die er in seinem Fenster ausgestellt hatte.
Am Morgen war der Laden leer bis auf einen Knirps, der damit beschäftigt war, Tinte zu mischen, und nur arabisch sprach. Er gestikulierte mit Händen und Füßen, um mir zu sagen, daß sein Meister in der Moschee sei, aber bald zurückkehren werde. Ich wartete und traf so Hashim Mohamed Khattat, einen anderen Lehrer Gurdjieffs.
16
II. Hashim Mohamed Khattat
Khattat war ein freundlicher, irakischer Araber, dessen stählerner Blick und aufrechte Haltung sein Alter von 89 Jahren nicht verriet. Er begrüßte mich mit altmodischer Höflichkeit und erklärte in gebrochenem Persisch, daß die Muster der ku- fischen Schönschrift nicht zum Verkauf bestimmt waren. Er würde mir andere anfertigen und sie mir nachschicken, wenn ich keine Zeit hätte, daraufzu warten. Das Gespräch kam auf das Heiligtum in Kerbala, wo der Enkel des Propheten Mohamed begraben ist, und ein anderes Mosaiksteinchen war gefunden. Hussein hieß der Enkel in All und Alles (Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel). Kerbala, Heim des Scheichs der Tekke, des Versammlungsortes der Sufis in Karatas, ein anderer Name! Diese schnellen Gedankenfolgen machten mich schwindlig.
»Kennen Sie Scheich Ali Jamal, der früher in Karatas gelebt hat?« fragte ich.
»Ich kannte ihn, er ist lange tot. Waren Sie ein Freund von ihm?«
»Nein, aber ich möchte etwas über einen seiner Schüler, Gurdjieff, wissen.«
»Warum wollen Sie das wissen?« Die übliche Frage.Ich erklärte und - Pause -»Jurjizada war mein Schüler.«»Wirklich! Bitte sagen Sie mir, was Sie ihn lehrten und wie
und ...«Hashim hob seine Hand. »Halt ein! Ich habe ihn nur in
meinem unbedeutenden Handwerk unterrichtet. Er folgte den Anweisungen des Scheichs Muslihuddin von Oudh, der damals in Bagdad wohnte. Donnerstags abends kamen die Sucher zu ihm.«
»Die Sucher?«
17
»Die Wahrheitssucher, unsere Gruppe, die zum Qadiri-Or- den gehörte. Jeden Donnerstagabend verbrachten wir mit Meditation und Übungen unter der Leitung von Scheich Qa- lamuddin der Surkhani Bruderschaft.«
»Was können Sie mir noch über Gurdjieff erzählen? Wo wohnte er, und wer waren seine Begleiter?«
»Er wohnte bei der Witwe Bint Ahmad in der Nähe der kleinen Moschee. Er kam täglich zur Zeit des Morgengebets zu mir, und wir verbrachten den Tag mit Schreiben, Federschneiden aus Schilfrohr und dem Mischen von Tinte. Von Zeit zu Zeit gingen wir auch in den Gärten und Bazaren spazieren und hörten den Geschichtenerzählern zu. Gurdjieff sprach kein Arabisch und nur wenig Persisch. Wir sprachen wenig miteinander. Manchmal versuchten wir über die Nasruddin- Geschichte zu diskutieren, die uns unser Lehrer am vorangegangenen Donnerstag als Aufgabe gegeben hatte, manchmal erörterten wir die Worte des Zikr oder Wiederholung. Er blieb eine Woche weniger alsein Jahr und verließ mich dann. In die Türkei, so scheint es. Mehr weiß ich nicht«, fuhr Khattat fort, »ich lehrte Gurdjieff die Schreibkunst und weiß wenig über sein Leben hier. Ich hätte mir einen besseren Schüler erhoffen können, doch er war eifrig und arbeitete hart.«
»Wie ist er zu Ihnen gekommen?«»Scheich Muslihuddin, den manche Saad nennen, nach
seinem großen Vorgänger von Shiraz, sandte ihn zu mir. Er war schon einige Monate in Bagdad gewesen, bevor er zu mir gesandt wurde. Ich sah ihn oft die Büchereien besuchen und traf ihn bei den öffentlichen Vorträgen über den Koran und die Hadise (Überlieferungen von Aussagen des Propheten). Er skizzierte oft den Grundriß der Stadt, der bekanntlich auf dem Sechseck basiert und fragte mich mehr als einmal, warum das Grabmal des Gilani sich in dieser Lage und Beziehung zum Ganzen befindet. Es war nicht meine Aufgabe, ihn darüber aufzuklären.«
»Hätten Sie dies gekonnt?« fragte ich.»Zu welchem Zweck, außer dem, meine eigene Stimme zu
hören? Falls er den Grund hätte wissen sollen, hätte man es
18
ihm gesagt, oder er hätte genug Informationen bekommen, um ihn selbst herauszufinden. Es stand mir nicht zu, mir die Aufgabe seines Meisters anzumaßen. Ich hätte ihm sagen können, daß Bagdad in Form eines Neunecks, mit dem Heiligtum als neunten Punkt, gebaut ist. Aber dies hätte nur informativen Wert für ihn gehabt. Es ist kein verborgenes Wissen, aber unnötiges Wissen, wenn man nicht die Fähigkeit hat, es zu benutzen. Ein Esel mit einer Ladung von Rumis Büchern ist in einer schlechteren Lage als ein ungebildeter Mann, der den Willen hat zu lernen und eine Seite aus dem Mathnavi besitzt.«
»Wie schätzten Sie Gurdjieffs Entwicklungsstand ein?«»Raten war nicht meine Aufgabe. Wie ich versucht habe zu
erklären, war ich beauftragt, ihn eine Sache zu lehren. Wie oder wann er darauf tiefer eindrang, lag nicht in meiner Zuständigkeit. Er folgte einem bestimmten, festgelegten Ausbildungsweg- auf dem ich nur ein Wegweiser war. Er bemühte sich zu lernen und war bestrebt, in die Traditionen meiner Kunst und die des Ordens einzutauchen, aber wie tief er eindrang, weiß ich nicht. Nur sein Lehrer auf dem Gebiet der inneren Verfeinerung könnte dies sagen. Vergessen Sie nicht, mein Freund, daß es bei den Sufis Bereiche der inneren und äußeren Arbeit gibt. Diese mögen unterschiedlich sein, doch beide sind wichtig. Gurdjieff verbrachte auf Anweisung des Ordens viele Monate damit, den Satz »Gott sei mir gnädig‹ zu schreiben. Dies war offenbar eine Verbindung beider Arbeitsbereiche, aber so wird es nicht immer gehandhabt!«
Ich verabschiedete mich von Khattat und durchwanderte die Straßen. Offensichtlich war Gurdjieff von Lehrer zu Lehrer geschickt worden, und jeder hatte ihm etwas von seinem Wissen mitgegeben. Ich war sicher, daß er seine Schulung gemacht hatte, um für das Leben in der Welt genauso gerüstet zu sein wie im Bereich der Entwicklung des Menschen. Aber wie konnte ich diese verwirrten Fäden zusammenfügen, wenn ich nur die Handwerker und nicht die Lehrer fand? Konnte man von diesen Männern etwas Metaphysisches lernen? Sollte ich auch bei ihnen studieren? Ich ließ diesen Ge
19
danken fallen, da es klar war, daß es ohne die zugrunde liegende Leitung eines spirituellen Meisters nicht gut ist, sklavisch dem Muster einer weltlichen Tätigkeit zu folgen.
Untröstlich wiederholte ich in Gedanken alle Unterhaltungen, die ich geführt hatte, aber es gab keinen Hinweis. Bagdad war ein Zentrum des Wissens der Derwische, selbst der Plan der Stadt wies darauf hin, aber es gelang mir hier kein Durchbruch.
Ich suchte Tag für Tag nach Kontakten, aber ohne Erfolg.Darf ich an einem Sufi-Treffen teilnehmen? Nein!Wie konnte ich zugelassen werden? Wenn mich ein Lehrer
schicken würde.Wie konnte ich einen finden? Durch Suchen.»Wo?«»In dir selbst.«»Wozu?«»Zur Anleitung.«»Könnte ich einen Meister treffen und fragen, ob er mich
akzeptiert?«»Du hast schon einen getroffen, Hashim Mohamed.«»Aber er sagte, er wäre nur ein Schönschreibkünstler.«»Sufi-Meister sind nicht notwendigerweise geheimnisvolle
Gestalten. Sie lehren nicht alle ›Sufismus‹ wie du ihn kennst und auf die Weise, in der du es erwartest. Sie können an einem Ort leben und als Schreiner, Automechaniker oder Fischer arbeiten. Sie gehen dorthin, wo sie hingeschickt werden, und warten vielleicht Jahre, bevor ihnen ein Schüler gesandt wird. Du hast keine Rechte auf sie, du hast keinen Anspruch auf ihre Lehre. Vielleicht können oder dürfen sie eine Person auf deiner Stufe nicht unterrichten.«
Ich ging zu Hashim Khattat zurück und fragte ihn.»Ja«, antwortete er, »ich habe eine Aufgabe hier. Sie
schließt nicht ein, zufällige Schüler anzunehmen. Ich kann Sie nicht annehmen. Wenn Sie Gurdjieffs Weg aus Neugier oder Heldenverehrung folgen wollen, dann geben Sie Ihre Suche auf, weil Sie außer Kummer nichts davon haben werden. Es wird Ihnen deshalb nichts nützen, seiner Lehre zu fol
20
gen, da der Scheich ul Mashaikh erklärt hat, daß das, was an Baraka’ in Gurdjieffs Lehre verblieben war, zu Beginn des letzten Jahres der ersten Hälfte Ihres zwanzigsten Jahrhunderts verschwunden ist.«
»Wer ist der Scheich ul Mashaikh und wo . . . « , begann ich. Hashim hob seine Hand. »Keine dieser Fragen wird Ihnen beantwortet werden. Fragen zu stellen allein bedeutet nichts! Suchen Sie, aber das Motiv Ihrer Suche sollte Entwicklung und Einklang mit dem Unendlichen sein, nicht das Nachäffen einer Lehre in einer ausgedienten und sterilen Form, wie dies heute geschieht. Besuchen Sie Ali Jamals Schüler in Kerbala, Scheich Daud Yusuf, und lassen Sie mich nun bitte wieder an meine Arbeit zurückgehen.«
Ich stammelte meinen Dank und ging. Ich konnte nicht sagen, daß die Dinge sich gut fügten, sie waren nur etwas durchschaubarer. Ich muß nach Kerbala.
Nicht faßbare Kraft, die nur die großen Sufi-Meister besitzen sollen, die an Menschen, Situationen, Orte und Gegenstände nur aus einem besonderen Grund weitergegeben wird.
21
III.Scheich Daud Yusuf
Kerbala ist kein angenehmer Aufenthaltsort, da es das Zentrum des Schiiten-Fanatismus ist, und Nicht-Moslems, sogar Nicht- Schiiten wird davon abgeraten, diese Stadt zu besuchen. Das Heiligtum dort ist relativ neu, da das Original durch einen orthodoxen sunnitischen Kalifen von Irak zerstört wurde, der es als Brennpunkteines ketzerischen Glaubens ansah. Meine Begrüßung wurde kaum herzlicher, als ich durchblicken ließ, Scheich Daud Yusuf zu suchen, einen orthodoxen Kirchenmann, dessen Anwesenheit in Kerbala durch die schiitische Mehrheit nur toleriert wurde, weil er weithin bekannt war, so daß sie ihn nicht bedrohen oder belästigen konnten. Er empfing keine Gelegenheitsbesucher, obwohl ich Hashim Khattat als Referenz erwähnte. Es schien, um seine Aufmerksamkeit zu verdienen, hätte mir Hashim einen bestimmten Schlüsselsatz für den Scheich mitgeben müssen, mit dem mir ein Gespräch sicher gewesen wäre. Einer seiner Schüler, mit dem ich sprach, fragte mich wiederholt »Womit hat Sie Hashim ge- sandt?‹ und immer wieder wiederholte ich seine Worte, denen in ihren Augen das Notwendige fehlte.
Die Adresse des Scheichs war nicht herauszubekommen, sein Zeitplan undurchsichtig und die Möglichkeiten eines Empfangs zweifelhaft. Daß ich kein Moslem war, schien nicht gegen mich zu sprechen, aber kein Derwisch zu sein, war bestimmt ein Hindernis. Ich war nun sicher, daß viele meiner anscheinend harmlosen Unterhaltungen mit seinen Schülern inszeniert wurden, um mir Codeworte oder Sufireaktionen zu entlocken, die meine Ehrlichkeit und/oder meine Entwicklungsstufe von einem esoterischen Standpunkt aus zeigten. Natürlich war ich nicht in der Lage, trefflich zu zitieren oder Sätze zu erkennen, die aus Schriften von Derwischmeistern stammten.
22
Nichtsdestotrotz bohrte ich weiter. Wer war der Scheich ul Mashaikh? Wer war Abdullah Jamavi? Von welchem Orden war der Scheich? Besaß er die Kräfte der Sufi-Meister? Auf all dies erhielt ich dunkle Antworten. Der Scheich ul Mashaikh stand in Beziehung zum Großen Scheich wie ein Planet zum Unendlichen. Der Große Scheich war mehr, viel mehr als das Oberhaupt der Sufis. War Abdullah Jamavi einer der ›Pole‹ (die vier Pole sind die vier Oberhäupter der Sufis, die die vier Viertel des Globus vertreten)? Die Pole sind unbekannt, mit Ausnahme wenn sie bekannt sind! War der Große Scheich dann der Große Meister aller Orden? Ja und der Hüter der Tradition. Der Moslem-Tradition? Nein, der ursprünglich durch Musa, Isa und Mohammed offenbarten Tradition.
Würde der Scheich Jamavi mich empfangen? Geduld schult einen Menschen. Wenn ihm ihr Wert bewußt ist, bringt die Geduldsübung für ihn und andere Gewinn.
Fast drei Wochen später, in denen ich mich selbst mit Zweifeln gequält hatte und immer wieder alle Antworten und Empfehlungen, die mir geeignet schienen, hin- und hergewälzt hatte, erhielt ich eine Aufforderung, einen der Schüler des Scheichs im Laden von Sulaiman Turki auf dem Kleidermarkt zu treffen.
Ich eilte dorthin und fand den Laden vollgedrängt mit Käufern und Freunden. Mit einer Tasse grünen Tee saß ich stumm auf einem Teppichhaufen und gab mir den äußeren Anschein von Geduld, die ich versucht hatte zu kultivieren. Das Gespräch drehte sich um Teppiche, ihre Webeigenschaften und die Bedeutung von gewissen Farben und Mustern. Ich lauschte mit halbem Ohr, da mir eine Anzahl der Sprachen unverständlich waren und ich auf einen Hinweis wartete, wie oder wo ich den Scheich sehen konnte. Die Botschaft hatte zwar dieses Versprechen nicht enthalten, aber ich war überzeugt, daß er irgendwann da sein würde. In diesem aufgedrehten Zustand bemerkte ich kaum, daß einer der Kunden mir eine Frage auf Persisch gestellt hatte. Ich erwachte aus meiner Träumerei und hörte ihn wiederholen: »Denken Sie,
23
daß diese Brücke gut für meine Meditationen geeignet wäre?«
»Ja«, sagte ich, »ich sehe nichts, was dagegen spricht.«»Sie sehen keine Gründe dagegen!« kam die vernichtende
Antwort. »Weil Sie nicht richtig hingeschaut haben. Die Farben sind unharmonisch und würden stören. Das Muster läuft dem positiven Gedankenstrom entgegen und bringt den Geist aus dem Gleichgewicht. Mit solch einer primitiven Einschätzung so einer einfachen Sache beweisen Sie geringes Talent, und dennoch möchten Sie von einem Lehrer Jurjizadas etwas erfahren!«
ich sprang auf. »Dann sind Sie-Scheich Daud.«»Das bin ich.«»Es tut mir leid, sehen Sie . . . «»Ich sehe sehr genau.«»Nun, ich meine . . . «»Was meinen Sie?«»Ich brauche Hilfe.«»Zu welchem Zweck?«»Um mich selbst zu finden.«»Und dann?«»Um mich selbst zu erkennen und zu wissen, ob ich mich
entwickeln kann.«»Zu welchem Zweck?«»Um in Harmonie mit der organischen Entwicklung des
Kosmos zu sein.«»Sie haben eine hohe Meinung von Ihrem Platz im Kos
mos !«»Scheich, ich erkenne, daß ich unbedeutend bin, aber so
lange ich nicht verstehe, wie unbedeutend, kann ich nichts Konstruktives tun, um meinen Zustand zu verändern.«
»Woher wissen Sie das?«»Von den Leuten, die Gurdjieff beauftragten, ihre Botschaft
in den Westen zu bringen.«»Gurdjieff ist tot.«»Aber seine Botschaft lebt durch jene weiter, auf die Gurd
jieff seine Autorität übertragen hat.«
24
»Gurdjieff übertrug keinem seine Autorität. Seine Botschaft starb mit ihm.«
»Dann hat das, was er sagte, keinen Wert?«»Es war wertvoll, als es übertragen wurde, an dem Ort, wo
es übertragen wurde. Es war nur ein Schritt zur vollständigeren Verwirklichung der ganzen Botschaft. Ein Schritt, der ein bestimmtes geistiges Klima vorbereiten sollte. Er beauftragte niemanden, verglühte Holzscheite im Namen eines brennenden Feuers in die Zukunft zu tragen. Wenn einige dies taten, zeigten sie dadurch ihre eigene Unfähigkeit, zwischen verkohltem Holz und brennendem Feuer zu unterscheiden. Holzkohle verdankt ihre Existenz der Flamme, und wenn diese verlöscht ist, bleibt unwirksame Kohle, die nur jenen nützt, die Kohle benutzen, und nicht jenen, die die Wärme und Energie der Flamme suchen.«
»Scheich«, bat ich, »darf ich Sie über Gurdjieff befragen?«»Interessiert Sie der Mann oder die Lehre?«»Beides, aber auf verschiedene Art.«»Gurdjieff war mein Schüler, der mir von meinem eigenen
Meister Abdullah Jamavi aus Damaskus gesandt wurde. Er kam zu mir, um die Lehre des Salman Farsi zu studieren. Ich lehrte ihn, was er verstehen konnte, nicht mehr, nicht weniger.
Salman Farsi war der Schüler der großen Lehrer, und sein Auftrag kam über Bahaddin Nakshbend und Shah Gwath zu Scheich Abdullah Shattar. Es ist eine schnelle Technik zur Entwicklung, durch die der Schüler schneller Fortschritte macht als durch gewöhnliche Methoden, die aber nur dann benutzt wird, wenn ein bestimmter Grund und die Erlaubnis ihres Meisters vorliegt. Diese Methode wird nicht immer angewandt, selbst wenn sie gemeistert werden kann, aber für einige Gebiete der Lehre ist es notwendig, sie zu kennen. Gurdjieff lernte sie von mir, aber er gebrauchte sie nicht genauso, wie er sie gelernt hatte. Sie besitzt große Flexibilität, und deshalb kann schon ein Teil von ihr, falls nötig, bestimmte Wirkungen erzielen.«
»Würde es mir helfen, wenn ich sie kennen würde?« fragte ich hoffnungsvoll.
25
»Diese Frage stellt sich nicht, da ich Sie diese nicht lehren werde. Ob Sie darin später unterrichtet werden, wird davon abhängen, ob Sie dafür ausreichend vorbereitet sind und ob es dann für Sie notwendig ist, sie zu erlernen. Viele fortgeschrittene Derwische kennen diese Übung nicht, da es für sie nicht notwendig gehalten wurde, sie zu erlernen.«
»Wie war Gurdjieff als Mensch?«»Ein Mensch war er sicherlich, mit allen Schwächen und
Unfähigkeiten der menschlichen Gattung. Ein entwickelter Mensch, nein, und ob er einer wurde, kann ich nicht sagen. Denn obwohl ich die Geschichte seiner Tätigkeit in Europa gut kenne, kann man daraus nicht viel lernen, wenn man den genauen Auftrag nicht kennt, den er hatte.«
»Wer sollte den Auftrag gegeben haben?«»Das Zentrum.«»Welches?«»Versuchen Sie nicht weiter, aus mir Informationen heraus
zulocken, die Ihnen nicht dienlich sein werden. Zum ersten Mal in ihrem Leben hören Sie von einem Zentrum, und bevor Sie noch über dessen Bedeutung nachdenken, möchten Sie wissen, wo es ist und wer es leitet. Sie haben keinen Anspruch auf mein Wissen oder ein Recht auf meine Antwort auf jede Frage, die Sie sich ausdenken. Horchen Sie mich zu Ihrem eigenen Nutzen nicht so tief aus, und Sie werden mehr lernen.«
»Verzeihen Sie mir, Scheich, ich bin weit gereist und . . . «»Weit gereist!« Er lachte. »Einige hundert Meilen und das
meiste davon mit dem Flugzeug, und Sie nennen das weit! Sie lesen Stücke zusammengewürfelter Informationen auf, wie ein Hund in einem Abfallhaufen nach Knochen sucht, und Sie nehmen diese große Reise als Entschuldigung für Ihren Mangel an Feinheit und versuchen, aus mir Antworten auf Fragen herauszupressen, die Sie nichts angehen, über einen Mann, dessen Botschaft tot ist! Ich hätte Sie weniger streng beurteilt, wenn Sie mich gefragt hätten, ob die Originallehre den Westen erreicht hat oder wieder erreichen wird, anstatt zu versuchen, aus dem Schatten abgebrannten Holzes Feuer anzufachen.«
26
»Darf ich Sie danach fragen? Wo kann ich den neuen Entwurf finden?«
»Sie dürfen mich fragen! Ihre Unfähigkeit, diese Frage zu stellen, ist mir Beweis genug, daß Sie für die Antwort nicht bereit sind. Sie sind so mit schwierigen »kosmischen Geset- zen‹, verschiedenen Persönlichkeiten und unbegreiflichen Geheimlehren vollgestopft, die Sie wie ein Papagei gelernt haben, daß Ihr bruchstückhaftes Bewußtsein Ihnen nicht erlauben wird, die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen und von den Antworten zu profitieren. Sie sind »erzogen‹ oder konditioniert worden, in einem bestimmten Muster zu denken. Dieses Denken ist steril.«
»Wie kann ich lernen, wenn ich nicht frage?«»Gerade diese Frage ist beispielhaft für Sie. Man lernt
durch Tun und nicht durch Fragen. Es ist nicht die Frage, ob, wann oder wo Sie ein bestimmtes Buch lesen sollten, sondern wie Sie es lesen sollten, um die Erfahrung zu machen, die man mit seinem Inhalt machen kann. Sie sind mit der Vorstellung erzogen worden, daß jede Frage eine Antwort hat. Das ist keineswegs richtig. Jede Frage kann beantwortet werden, aber ob die Antwort nützlich ist, ist eine andere Sache. Sie haben das Gefühl, daß Sie fragen müssen, daß Sie das Recht dazu haben und die Intelligenz, die Antwort zu verstehen, und Sie haben zweifellos auch eine Universitätsbildung. Hilft Ihnen Ihr »Intellekt« auf dem Gebiet der handwerklichen Geschicklichkeit, wenn Sie ungeschickt sind? Wird Ihre Hautkrankheit schneller geheilt, wenn Sie einen Titel haben? Können Sie schneller rennen als ein dummer, aber muskulöser Athlet? Verleiht Ihr Intellekt Ihren Füßen Flügel? Lernen, Wissen und Weisheit sind nur nützlich, wenn Sie die Fähigkeit haben, sie in der richtigen Qualität und im richtigen Zusammenhang anzuwenden.«
»Darf ich dann fragen, ob es mir nützen wird, die Meister eines Mannes zu suchen, den ich niemals getroffen habe, für den ich aber einen tiefen Respekt empfinde?«
»Ja, vorausgesetzt, daß dieser Respekt ein Respekt für die Qualität seiner Lehre und nicht hauptsächlich für den Mann
27
selbst ist. Sie können dem Personenkult so nahekommen, daß Sie nicht das Eigentliche sehen, das hinter dem Mann steckt. Wenn seine Persönlichkeit von großer Bedeutung für Sie ist, dann forschen Sie nach dem, was ihm zu dieser Persönlichkeit verhalf, und Sie werden vielleicht auch einen Geschmack davon bekommen. Verehren Sie nur die Erinnerung an einen Mann, werden Sie nur ein Geschöpf so schwach wie Sie selbst verehren. Besuchen Sie im Januar Qarmani im Kupferbasar von Damaskus. Gehen Sie in der Zwischenzeit nach Jerusalem und denken Sie über Isa bin Yusuf nach. Leben Sie wohl!« Damit war er verschwunden.
Der Laden war immer noch voll von Leuten, und man unterhielt sich, aber für mich war er leer, und ich war es auch. Aber es war gut, leer zu sein. Wie die Befreiung von einem Druck, nachdem ein Abszeß geschnitten wurde. Schockartig kam mir zu Bewußtsein, daß ich mich nicht daran erinnern konnte, wie der Scheich ausgesehen hatte. Seine Stimme hatte mich gefangengenommen, eine Stimme, die persisch mit einem afghanischen Akzent sprach. Ich versuchte, mir den Eindruck von seinem Alter ins Gedächtnis zu rufen, aber es gelang mir nicht. Hätte nicht der Teppich vor mir auf dem Boden gelegen, hätte ich alles für eine Einbildung halten können.
Jerusalem, immer wieder von Israel und seinen Nachbarstaaten umkämpft, ist wirklich eine Stadt, der die Zeit nichts anhaben konnte. Ich meine natürlich das alte Jerusalem, nicht die neue Stadt.
Die Zeit hatte still gestanden, um den engen Gassen, alten Steinmauern, Wachtürmen und Gebäuden einen Hauch lebendiger Geschichte zu geben. Als ich ankam, erschauerte ich vor Aufregung. Hier, innerhalb der Mauern dieser Stadt, hatten einige der größten Männer der christlichen, jüdischen und moslemischen Geschichte gelebt und gelehrt.
Auf dem Berg Moriah, nahe beim Heiligen Grab, standen die beiden Heiligtümer des Islam, der Felsendom und die Moschee des Omar, der Mitstreiter und Nachfolger Mohammeds. Dort sind auch die letzten Bruchstücke des Tempels
28
des Salomon. Geheiligt durch drei Religionen, mußte die Stadt wohl etwas für den wahren Sucher enthalten! Vielleicht war meine Erwartung noch durch die Anweisung, die ich erhalten hatte, gesteigert worden. Es war der 1. Dezember, und ich hatte einen Monat Zeit, um die Stadt kennenzulernen und sie auf mich wirken zu lassen. Ich wußte, daß sie eine Wirkung hinterlassen würde. Es war mir klar, daß die Männer, durch deren Hände Gurdjieff gegangen war, keine leeren Versprechungen machten, und ich hatte das Gefühl, daß in dieser Stadt eine Botschaft für das wirkliche Wesen in mir lag. Dieses innere Wesen, das seine Nährstoffe und Hilfe aus dem Chaos aufnahm, das es umgab.
Der Grund meiner Suche war, den Fußspuren eines Mannes zu folgen, den ich Meister nannte. Ich würde zwar diese Suche fortsetzen, doch mit einem feinen Unterschied. Der Unterschied lag darin, daß ich nun versuchen würde, zu lernen, anzunehmen und aufnahmefähig zu werden. Ich suchte eine Lehre, der man im Zusammenhang der heutigen Zeit folgen konnte, nicht eine sterile Pantomime ohne Wurzeln. Die Männer, in die ich jetzt mein Vertrauen setzen würde, waren die Männer, die Georg Gurdjieff geformt hatten, jedoch nicht die Pflicht hatten, mich zu formen.
Dennoch war mir klar, daß sogar die Krümel von ihrem Tisch Teilchen der Wahrheit sein würden. Diese Teile konnte ich dazu benutzen, die rostige und verkratzte Oberfläche meines inneren Lebens zu reinigen, das, wie ich fühlte, in mir schlief. Ich wollte diese Oberfläche scheuern und polieren, so daß ich mein wirkliches Ich in seiner glänzenden Form sehen konnte, und ich wollte diese Oberfläche glänzend erhalten, so daß keine falsche Spiegelung mich verzaubern oder mein Bewußtsein aufsplittern könnte.
Isa bin Yusuf - Jesus, Sohn des Josef. Die Anweisung war, über seine Überlieferungen nachzudenken. Wo konnte dies besser geschehen als dort, wo er gelebt hatte und gestorben war?
Welche Richtung sollten meine Gedanken nehmen? Sollte ich mir Gedanken über ihn machen oder mir eine Meinung
29
bilden innerhalb meiner Grenzen? Sollte ich ihn als Mensch, als Lehrer, als Heiler, als Mystiker oder alles zusammen sehen? Als einen vollkommenen Menschen, der alle Fähigkeiten besaß, die ich suchte, die mir aber in einem solchen Ausmaß fehlten, daß sie nur Schatten für mich waren? Sollte ich die vorhandene Literatur benutzen oder einen eigenen Standpunkt entwickeln? Wenn, wie ein Scheich gesagt hatte, die Botschaft eines Mannes mit dessen Tod vergeht, dann würden die geheiligten Traditionen, die in All und Alles oder Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen bewahrt sind, mir sicherlich nicht weiterhelfen.
Ich mußte noch einmal an die Lehre, wie ich sie aus Paris kannte, zurückdenken. War dies alles steril? War nichts davon eine nützliche Handlungsgrundlage? War es jetzt wirklich nur noch eine mechanische Wiederholung einer Lehre und eines Tanzes, die einst brauchbar waren?
Ich war tief berührt von den Erzählungen über Gurdjieffs letzte Monate und seine letzten Worte. Ganz offenkundig schien er während seiner letzten Lebensmonate das Interesse verloren zu haben. Ich rief mir die Worte von Hashim Khattat ins Gedächtnis, daß die Beziehung zwischen Gurdjieff und den Meistern mit Beginn des letzten Jahres der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geendet hatte - 1949, das Jahr, in dem Gurdjieff starb. Wußte er selbst, daß die Verbindung erloschen war? Daß es keinen Zweck hatte, weiter zu lehren? Er muß sich voll bewußt gewesen sein, daß die Fortführung seiner Lehre, wie sie seine Schüler kannten, ihnen nicht helfen würde, sondern sie verwirren mußte. Lauten deshalb seine letzten Worte angeblich »Ich lasse euch alle ganz schön in der Klemme«? Ich bin sicher, wenn er gewußt hätte, daß sie ihre Aktivitäten unter der Leitung der Quelle dieser Lehre fortsetzen würden, hätte er sie ermuntert, zu »sein« oder zu »tun«, wie er dies sooft während seines Lebens getan hatte. Nach quälenden Überlegungen konnte ich nicht glauben, daß Gurdjieffs Botschaft vollständig war. Ich zweifelte nicht daran, daß er gesandt worden war, um ein gewisses Gebiet für einen gewissen Zweck vorzubereiten. Ob die »Fortset
30
zung« der Hauptlehre kommen würde oder gekommen war, wußte ich nicht, noch konnte ich es erraten. Es war ganz offensichtlich für mich, daß die Erben Gurdjieffs im Westen es auf ihre eigene Kappe genommen hatten, den Methoden Gurdjieffs zu folgen. Ich war sicher, daß sie dies ohne Gurdjieffs Vollmacht »weiterzumachen« taten und ohne die Vollmacht der Meister. Was für ein Schicksal für eine Botschaft, wo Gurdjieff sein ganzes Leben »mechanisches Denken« verflucht hatte!
Ich dachte über die derzeitige Situation im Westen nach. Schauderhafte Furcht regierte! Nicht Disziplin oder Respekt vor der Autorität, sondern blinde, unvernünftige Furcht. Furcht vor was? Furcht, daß man von einer der Autoritäten, die sich selbst ernannt hatten, im künftigen Leben verdammt würde? Furcht, daß Fragen oder gegenteilige Meinungen Ketzerei seien? Gurdjieff bestand auf fraglosem Gehorsam und äußerster Disziplin. Disziplin ist die sofortige Reaktion auf einen Befehl als Ergebnis eines Wunsches, der in ein Begehren und eine Identifikation kanalisiert wird. Gedankenloser Gehorsam ist eine durch Unterdrückung hervorgerufene Aktion, die wirkungslos und plump ist und die reagierende Maschine abstumpft. Entwicklung durch Furcht? Ich denke nicht, denn wenn das Gehirn vor Furcht erstarrt, kann man nicht denken, tun oder sein. Vielleicht zieht ein solches System jene an, die Furcht mit Autorität gleichsetzen oder eine solche Behandlung brauchen.
Ich vermute, daß Gurdjieff Erschrecken benutzte, aber als Instrument, mit dem er vertraut war. Es wurde nicht als Art zu leben benutzt. Was noch da ist, ist ein Überbleibsel von Schrecken, Schwäche und ziemlich widerwärtiger Pantomime. Gurdjieff sprach gebrochen, weil er gewisse Sprachen nicht beherrschte, aber ist dies ein metaphysischer Auftrag, diesen Zug allen Ernstes zu imitieren? Geheime Magie? Überidentifikation? Oder weil es sonst nichts zu offenbaren gibt?
Aber zurück zu meinem eigenen derzeitigen Problem. Sollte ich nach Derwisch-Literatur mit Überlieferungen zu
31
Jesus suchen? Sollte ich herausfinden, was sie aus diesem Mann machten, der für sich nie in Anspruch genommen hat, eine Ergänzung Gottes oder die Verkörperung der Göttlichkeit zu sein? Sollte ich dem Konzil von Nicäa beipflichten, das das Wesen von Jesus ein für alle mal festlegte und somit nicht in der Lage sein, nach der Vollkommenheit, die Jesus war, zu streben? Wenn er gut und freundlich, gütig und edel, weise, genügsam und voll Mitleid war, was niemand abstreiten wird, ist es keine große Überraschung, wenn er Teil der wahren Natur und Beschaffenheit Gottes war. Ohne leichtfertig zu sein kann man sagen, wenn sein göttlicher Status eine Tatsache ist und nicht, wie die Vernunft nahelegt, nur eine Fortsetzung des Anthropomorphismus vergangener Zeiten, dann hatte er einen höheren Ausgangspunkt.
Seine Persönlichkeit ist in Mysterien und Legenden gekleidet. Was wir im Neuen Testament haben, ist, milde gesprochen, nicht so genau wie man hoffen dürfte. Matthew Arnold hat überzeugende Beweise für die gänzliche Unzuverlässigkeit der Aufzeichnungen des Neuen Testaments erbracht. Wenn man annimmt, daß die ungebildeten Massen einen engeren Kontakt mit einer allmächtigen Gottheit brauchten, was nicht die Aufgabe einer mystischen Lehre sein konnte, kann man vermuten, daß eine Form der Lehre auch auf einer niedrigeren Stufe notwendig war. Aber war es nötig, den Auserwählten als Teilhaber göttlicher Eigenschaften zu propagieren, um somit ein konkretes Glied zwischen Mensch und Gott herzustellen? Auch hier: wenn man wie ich glaubt, daß Passagen, die den frühen Kirchenvätern unangenehm waren, ausgelassen wurden, um ihren Anspruch als Mittler zu stärken und nichts Esoterisches bestehen ließen, durch das der Mensch sich selbst und somit Gott finden kann, dann ist das Bild sehr klar. Das paulinische Christentum, aus ihrem Urboden verpflanzt und auf eine verstümmelte und bearbeitete Lehre aufgepropft, verlor seinen strengen Realismus, seine esoterische Lehre wurde zu einer Gesetzessammlung und verlor dadurch jeglichen experimentellen Charakter, sie wurde für eine neue Welt schwankenden Heidentums zu
32
rechtgestutzt, anstatt ein Gerüst für einen direkten grundlegenden Glauben zu sein, durch den der Mensch Gott finden konnte - vielleicht trotz seiner selbst.
Mystische Schriftsteller der Moslems nennen Jesus einen Propheten, einen Lehrer, einen Verkünder und geben ihm den Rang eines Insan Kamil oder Vollkommenen Menschen. Viele ihrer Geschichtsschreiber beschäftigen sich mit seinem Leben und seiner Lehre und legen Nachdruck auf die esoterische Seite, ohne vieles von dem, was in späteren Evangelien erscheint, die eine Generation nach seinem Tod gesammelt wurden, zu erwähnen. Abdul Qarn aus Ramallah beschreibt ein Ereignis, wo Jesus und seine Jünger einen Kreistanz aufführen, der dem der »wirbelnden Derwische« äußerst ähnlich ist. Dies erscheint in einigen der Apokryphen, wie auch in Erzählungen mystischen Charakters. Keine dieser mystischen Erzählungen erhielt das Siegel der kirchlichen Anerkennung und doch sind es lebendige Geschehnisse! Es sind deshalb neue Elemente, weil keine davon in den Legenden, die zu den Religionen oder Mythen vor Jesus Tod gehörten, erscheinen. Woher kamen sie dann, wenn sie nicht tatsächlich stattgefunden hatten?
Ich verbrachte meine Zeit in Jerusalem mit Studieren und Umherwandern. Ich suchte keine Kontakte, sondern bereitete mich auf die einzige mir sinnvolle Weise, der Meditation, auf den nächsten Schritt vor. Ich hielt mich häufig in dem öffentlichen Garten beim Felsendom auf, der in achteckiger Form erbaut ist. Er steht nicht nur an der Stelle, von der Mohammed während seiner berühmten Nachtreise von Mekka nach Jerusalem zum Paradies aufgestiegen sein soll, sondern es soll auch der Platz sein, zu dem die Juden einmal im Jahr kamen, um die Steine mit Öl zu salben, zu weinen und zu klagen. Archäologen sind geteilter Meinung, ob es sich hier wirklich um die Stelle des Feueropfers* handelt. Aus dem Grundriß ist ersichtlich, daß das äußere Achteck noch ein anderes Achteckt enthält, das aus acht Säulen besteht, die vier
* The Bordeaux Pilgrim (Geiger, Itinera Heirosoiymitana)
33
undzwanzig Bogen tragen. Jeder Abschnitt des äußeren Achtecks ist von fünf Fenstern durchbrochen.
Der Frieden in dem Garten war majestätisch. Große Pappeln, Brunnen und Steine entzückten das Auge, während der leise Gesang der Koranleser das Grundmotiv bildete. Donnerstag abends kamen eine Menge Leute herab und übten stille Meditation oder die Rezitationen aus dem Derwisch-Ritual. Es gab keine Musik oder Klatschen, wie ich es in Nordafrika gesehen hatte, sondern ein gemessenes Murmeln der Litanei und manchmal das rituelle tiefe Einatmen und Ausatmen, das, wie mir gesagt wurde, eine spezielle Zeremonie kennzeichnet. Ich hätte dort für immer sitzen und mich auf die Ausstrahlung dieser reinen Seelen einstimmen können, doch nagte in mir der Wunsch, die Lehre Jesus zu suchen, wenn auch nur (nur!), um die magnetische Atmosphäre dieses Kreuzwegs des Glaubens tief in mich aufzunehmen.
Erst am 18. Dezember erhielt ich einen Anhaltspunkt, was ich studieren sollte. Ich hatte eigentlich etwas zu Lesen oder eine Tätigkeit erwartet und war mir nicht der atmosphärischen Durchtränkung des Ortes bewußt. Vielleicht war der tatsächliche Aufenthalt dort ein lebendiges Studium von Jesus; vielleicht war der tägliche Kontakt mit denselben Straßen, in denen er gegangen war, meine Lektion. Dies hatte ich langsam angenommen, als ein Mann, dessen Bekanntschaft ich bei der jordanischen Touristenpolizei gemacht hatte, Mohamed Ali, der ganz gut englisch sprach, eines Abends beim Kaffee so nebenbei zu mir sagte: »Haben Sie die manichäi- schen Evangelien des Leucies, eines der Gefährten des Johannes, gelesen. Ich glaube, sie heißen die Johannes-Akten?«
Ich antwortete, daß ich die Apokryphen in meiner Jugend gelesen hatte, allerdings nur die des Alten Testaments, und nicht viel Interesse an den anderen gehabt hätte.
»Es ist interessant«, sagte er, »besonders was ein Ereignis zu Lebzeiten Jesus, kurz bevor er gekreuzigt wurde, betrifft. Es handelt sich um eine Tanzform.«
Ich sah ihn scharf an, aber sein Gesicht zeigte nichts. War dies der Hinweis, den ich suchte? Oder war ich in einem
34
solch hypersensitiven Zustand, daß ich in allem eine Bedeutung sah? Natürlich war es unvermeidlich in Jerusalem, daß das Gespräch auf Jesus kam und doch . . .
Diesen Nachmittag lieh ich mir ein Buch aus, das die Johannes-Akten enthielt. Dort, ab Vers 94, ist eine unverkennbare Beschreibung eines rituellen Tanzes der Jünger in einem Kreis um Jesus, mit dem sie Wechselgesänge singen. Es steht da, daß sie »betäubt« oder aus einem »Trancezustand« aufwachten und daß Jesus nach der Kreuzigung dem Johannes erschien und ihm gewisse Geheimnisse beschrieb, aber in einer ihm unbekannten Stimme.
Ich füge die Stellen vollständig bei, da ich das, was ich für wichtig erachte, sicher nicht richtig wiedergeben kann. Sie machen Schluß mit der Theorie, jedenfalls was mich betrifft, daß das Neue Testament, wie wir es kennen, vollständig ist.
Ich hatte überhaupt keine Zweifel, daß die Stellen Teil der esoterischen Lehren des Christentums bilden, die der erstrebten Vollmacht der Oberpriester hinderlich waren und ausgelassen wurden. Wie sonst kann man die Halbwahrheiten und anscheinenden Widersprüche der Bibel erklären ?
Man kann sagen, daß ich aufgeregt war, als ich dies entdeckte, und daß ich es glauben wollte. Dies konnte eine wertvolle Haltung sein. Doch kann man von einem Mann sagen, er habe denn Glauben gefunden, wenn er Befriedigung in einer Glaubenslehre findet, die frei von den Fesseln des Vorurteils, der Abhängigkeit und hierarchischen Alleinherrschaft ist?
Der tiefere Sinn dieser Stellen ist elektrisierend. Ich will nicht beweisen, daß Jesus ein Sufi-Derwisch war oder daß die Derwische die Lehre Jesus kopierten. Wie immer die Verbindungen sind, wer was war oder wer wen kopiert hat, ist unwesentlich. Akademiker können Haare spalten und über Neuplatonismus diskutieren und was zuerst kam, das Huhn oder das Ei. Aber was mich angeht, so möchte ich meinem inneren Wesen Nahrung geben, wenn ich noch eines habe, und zwar dessenungeachtet, wer den Glauben zuerst inspirierte oder eine Lehre organisierte. Diese Stelle ist für mich der hin
35
reichende Beweis, daß Jesus eine Technik benutzte, die der heute von den Derwischen ausgeübten gleich ist und ähnlich der, die von Gurdjieff im Westen benutzt wurde. Sie sind daher wertvoll zur »Öffnung« oder Vorbereitung einer höheren Wahrnehmung. Immer wieder las ich die Stelle, und je mehr ich las, desto mehr Verwunderung erfüllte mich.*
94 Bevor er nun von den gesetzwidrigen Juden ergriffen wurde, die von der gesetzlosen Schlange regiert werden, versammelte er uns alle und sprach: »Ehe ich jenen überantwortet werde, wollen wir dem Vater lobsingen und dann zur Erfüllung dessen, was uns bevorsteht, hinausgehen.« Er befahl uns nun, einen Kreis zu bilden, und sagte, während wir uns einander an den Händen faßten, selbst in der Mitte stehend: »Antwortet mir mit Amen!« So begann er einen Hymnus zu singen und zu sprechen:
Ehre sei dir, Vater!Und wir bewegten uns im Kreise und antworteten ihm mit »Amen«.Ehre sei dir, Logos! Ehre sei dir, Gnade! Amen.Ehre sei dir, Geist! Ehre sei dir, Heiliger! Ehre sei deiner Ehre! Amen.Wir loben dich, Vater! Wir danken dir, Licht, in dem keine Finsterniswohnt! Amen.95 Wir danken dir aber für dieses:Gerettet will ich werden und will retten. Amen.Gelöst will ich werden und will lösen. Amen.Verwundet will ich werden und will verwunden. Amen.Gezeugt will ich werden und will zeugen. Amen.Essen will ich und will gegessen werden. Amen.Hören will ich und will gehört werden. Amen.Gedacht will ich werden, der ich ganz Gedanke bin. Amen.Gereinigt will ich werden und reinigen will ich. Amen.Die Gnade führt den Reigentanz.Flöten will ich, auf daß ihr tanzet. Amen.Klagen will ich, wehklagt mit mir. Amen.Die heilige Achtzahl lobsingt mit uns. Amen.Die Zwölfzahl führt oben den Reigen an. Amen.Dem Kosmos zugehört der Tanzende. Amen.Wer nicht tanzt, begreift nicht, was geschieht. Amen.Fliehen will ich, und ich will bleiben. Amen.Schmücken will ich und will geschmückt werden. Amen.Geeinigt will ich werden und will einigen. Amen.Ein Haus habe ich nicht und habe Häuser. Amen.Einen Ort habe ich nicht und habe Orte. Amen.Einen Tempel habe ich nicht und habe Tempel. Amen.
* The Apocryphal New Testament, translated by M. R. James (Englische Ausgabe) erschienen bei: The Clarendon Press, Oxford siehe auch: E. Hennecke, Neutestamentliche Apokryphen Band II. Tübingen 1971 (J. C. B. Mohr Verlag)
36
Eine Leuchte bin ich bei dir, der du mich siehst. Amen.Ein Spiegel bin ich bei dir, der du mich anschaust. Amen.Eine Tür bin ich bei dir, der du an mir klopfest. Amen.Ein Weg bin ich bei dir, dem Pilgernden. Amen.
96 Schließe dich meinem Reigenchore an und schaue dich in mir, dem Redenden; und hast du gesehen, was ich vollziehe, so verschweige meine Mysterien.
Wenn du tanzest, so merke auf das, was ich tue. Denn es ist dein Leid, das Menschenleid, das ich leiden will! Nicht einzusehen vermagst du, was du leidest, wenn der Vater mich nicht dir als Logos gesandt hätte. Da du es sahst, verharrtest du nicht unbewegt, sondern gerietest ganz in Bewegung. Nach Einsicht verlangt es dich, nun stütze dich auf mich. Ruhe dich aus bei mir. Wer ich bin, wirst du erkennen, wenn ich von dir gegangen sein werde. Denn als was ich jetzt erscheine, das bin ich nicht. Was ich aber bin, wirst du erkennen, wenn du zu mir gekommen bist. Verständest du das Leiden - das Nichtleiden wäre dein. Was du jetzt noch nicht erkennst, das werde ich dich darnach lehren. Dein Gott bin ich, nicht des Verräters Gott. In völligem Einklang will ich vereint werden mit den heiligen Seelen. Erkenne in mir das Wort der Weisheit. Willst du aber mein Wesen erkennen, willst du wissen, was ich war: Durch das Wort habe ich alle getäuscht und bin niemals getäuscht worden. Ich frohlockte, du aber umfange im Geiste das Ganze, und wenn du es durchdrungen hast, so sprich; Ehre sei dir, Vater! Amen. Ehre sei dir, Logos. Ehre sei dir, Geist. Amen.
97 Nach diesem Reigen ging der Herr mit uns hinaus (seiner Passion entgegen). Und wir flohen hierhin und dorthin, wie Menschen, die sich verlaufen haben oder in Schlaf gefallen sind. Als ich ihn dann leiden sah, konnte ich es nicht aushalten und floh auf den Ölberg und weinte über das, was geschehen war. Und als er am Freitag gekreuzigt worden war, zur sechsten Stunde des Tages, kam die Dunkelheit über die Erde. Und mein Herr stand inmitten der Höhe und erleuchtete sie und sagte: Johannes, für die vielen unten in Jerusalem bin ich gekreuzigt und von Lanzen und Schilfrohren durchstochen, und Galle und Essig wird mir zu trinken gegeben. Aber ich spreche mit dir, und was ich spreche, höre gut. Ich gab dir ein, auf diesen Berg zu kommen, damit du die Dinge hörst, die ein Schüler von seinem Lehrer lernen sollte und ein Mensch von seinem Gott.
98 Nachdem er so gesprochen hatte, zeigte er mir ein Lichtkreuz und um dieses Kreuz eine Volksmenge nicht aus einer Form und Gestalt: und im Kreuz war eine andere Menge, die eine Form hatte. Und den Herrn selbst konnte ich über dem Kreuz sehen, doch ohne Gestalt, nur mit einer Stimme: nicht eine Stimme, die uns bekannt war, sondern eine liebliche und angenehme und wahrhaft Gottes, und sie sagte: Johannes, es ist notwendig, daß einer diese Dinge von mir hört, denn ich brauche jemanden, der es hören kann. Dieses Kreuz aus Licht wird euch zuliebe manchmal Wort genannt, manchmal Verstand, manchmal Jesus, manchmal Christus, manchmal Tür, manchmal Weg, manchmal Brot, manchmal Samen, manchmal Auferstehung, manchmal Sohn, manchmal Vater, manchmal Geist, manchmal Leben, manchmal Wahrheit, manchmal Glaube, manchmal Gnade. Mit diesen Namen wird es den Menschen vermittelt. Aber was es in Wirklichkeit ist, wie es in sich selbst begriffen wird, werde ich dir offenbaren. Es ist die Abgren
37
zung aller Dinge und das starke Erheben beständiger aus unbeständigen Dingen, und die Harmonie der Weisheit, aber auch die Weisheit in der Harmonie. Es gibt (Orte) zur Rechten und zur Linken, auch Mächte, Autoritäten, Herren und Dämonen, Wirkungen, Bedrohungen, Flüche, Teufel, Satan, und die niedere Wurzel, wo das Wesen der Dinge, die ins Sein gelangen, herkommt.
99 Dieses Kreuz also ist es, das sich durch das Wort das All zusammengefügt hat und das vom Werden Herkommende und darunter Befindliche begrenzt und dann alles in eine Einheit gebracht hat. Doch das ist nicht das Holzkreuz, welches Du sehen wirst, wenn Du dort hinunter gehst: auch bin ich nicht der, der am Kreuz hängt, den Du jetzt nicht siehst, aber dessen Stimme Du jetzt hörst. Ich mußte etwas annehmen, was ich nicht bin, und war auch nicht das, was ich für viele andere war: doch sie werden mich als etwas ausgeben, das niedrig ist und mir nicht angemessen. Wie der Ort der Ruhe weder gesehen noch ausgesprochen werden kann, wieviel mehr werde ich, der Herr, deshalb weder gesehen noch vermittelt werden können.
100 Die Menge, die sich jetzt beim Kreuz aufhält, ist ein Aspekt der niederen Natur: und die, die Du im Kreuz siehst, hat noch keine einheitliche Form, weil noch nicht jeder Teil von ihm, der hinunterkam, begriffen w'urde. Wenn aber die Menschennatur und ein mir nahekommendes und meiner Stimme folgendes Geschlecht aufgenommen wird, wird der, der mich jetzt hört, damit vereinigt, und nicht mehr der sein, der er jetzt ist, sondern über ihnen sein, so wie ich es jetzt bin. Solange wie Du Dich nicht mein nennst, bin ich nicht das, was ich bin (oder war): aber wenn Du mich hörst, wirst Du als Hörender sein, wie ich bin, und ich werde das sein, was ich war, w'enn Du wie ich bei mir bist. Denn aus mir bist Du das (was ich bin). Kümmere Dich darum nicht um die Vielen und die außerhalb des Mysteriums sind, beachte nicht; denn wisse, daß ich ganz beim Vater bin, und der Vater bei mir.
101 Keines der Dinge, von denen sie sprechen werden, habe ich gelitten: nein, auch das Leiden, das ich Dir und den anderen im Tanz zeigte, soll ein Mysterium bleiben. Denn was Du bist, das siehst Du, denn ich habe es Dir gezeigt. Aber was ich bin, weiß ich allein und sonst niemand. Laß mich das behalten, was mein ist, und das, was Dein ist, schaue durch mich, und schaue mich in Wahrheit, daß ich nicht das bin, was ich sagte, sondern das, was Du wissen kannst, weil Du damit verwandt bist. Du hörtest, daß ich gelitten habe, doch ich habe nicht gelitten; daß ich nicht gelitten habe und doch gelitten habe. Daß ich durchstochen wurde und doch nicht vernichtet, daß ich gehängt wurde und doch nicht gehängt; daß Blut von mir floß und doch nicht floß; und, in einem Worte, was sie von mir reden, das stieß mir nicht zu, aber das, was sie nicht sagen, das litt ich. Nun deute ich Dir jene Dinge, denn ich weiß, Du w'irst sie verstehen. Sehe darum in mir die Quelle des Wortes (Logos), das Erstechen des Wortes, das Blut des Wortes, die Wunde des Wortes, das Nageln (befestigen) des Wortes, den Tod des Wortes. Und so rede ich ungeachtet der Menschheit. Erkenne darum zuerst das Wort; dann wirst Du den Herrn erkennen und als Drittes den Menschen und was er gelitten hat.
38
IV. Ataullah Qarmani
Weihnachten kam und dann das neue Jahr, und ich war begierig, die nächste Etappe meiner Reise zu beginnen. Ich fuhr mit dem Taxi nach Damaskus, und nachdem ich ein Hotel genommen hatte, begann ich mit der Suche nach Ataullah Qarmani, dem Kupferschmied. Da Damaskus immer noch nach mittelalterlichen Zunftvierteln aufgeteilt ist, fand ich den Basar der Kupferschmiede ohne Schwierigkeiten. Auf Nachfragen kam ich zu einem prosperierenden Laden mit Spitzenvorhängen mit der Aufschrift »Ataullah Qarmani, Kupfergestalter, Diener des Allerhöchsten«.
Als ich auf der Schwelle zögerte, hörte ich eine Stimme aus dem Innern des Ladens. »Die Gewohnheit des Zögerns zerstört die Gewohnheit der Entscheidung. Treten Sie ein!«
Auf einem Korbstuhl, der nicht so recht zu ihm paßte, saß ein älterer Mann mit fleckenloser weißer Kleidung und einem mit Fransen besetzten kurdischen Turban. Er war über einen Tisch gebeugt und ritzte mit unendlicher Sorgfalt Zeichen in eine Kupferscheibe, die vor ihm lag. Ich stand verlegen da, bis er seinen Kopf hob und mich bat, Platz zu nehmen. Ich setzte mich und stammelte halb-persisch, halb-arabisch die Frage: »Wo kann ich den Meister Ataullah finden?«
Er hob mit gerunzelter Stirn den Kopf.»Wer nennt mich »Meisten?«Ich begann aufs neue: »Scheich Daud aus Kerbala.«»Stimmt nicht«, kam die Antwort, und er beugte sich wie
der über seine Arbeit. Ich dachte schnell zurück. Hatte Scheich Daud diese Bezeichnung benutzt? War ein Mann, der Gurdjieff lehrte, kein Meister? Dann kamen die Erinnerungen an den Teppichzwischenfall zurück, und ich erklärte: »Nein, ich benutzte die Bezeichnung »Meisten, da Sie einen Mann lehrten, den ich mit Stolz »Meister« genannt hätte.«
39
Der alte Mann erhob sich und setzte sich auf einen Stoß Häute. »Sie können nicht wissen, ob ich ein Meister bin oder nicht. Wollen Sie mir schmeicheln, mir, dessen Bart länger ist als Ihrer, obwohl Sie ihn seit Ihrer Kindheit wachsen ließen? Wen soll ich gelehrt haben?«
»Gurdjieff, Jurjizada aus Armenien. Scheich Daud sagte . . . « , und ich hielt an, da Scheich Daud nichts Derartiges gesagt hatte. Er hatte mir gesagt, Qarmani aufzusuchen, und ich hatte es als selbstverständlich angenommen, daß er einer von Gurdjieffs Lehrern war. Ich begann nochmals. »Ich suche die Lehrer von Gurdjieff. Vielleicht können Sie mir helfen, wenn Sie nicht selbst einer sind.«
Der alte Mann seufzte und machte einem Jungen Zeichen, Kaffee zu bringen. »Sie kamen hierher mit einer schon vorgefaßten Meinung, voll nutzloser Vorstellungen, und sagen unbesonnene Worte von wenig Wert. Ich lehrte Gurdjieff nicht, war aber sein Mitschüler unter der Vormundschaft von Abdul Hai Qalander, der nicht mehr unter uns weilt. Die Information, die Ihnen nützlich sein wird, werde ich Ihnen geben, aber hören Sie auf, aus allem, was irgend jemand sagt, die Bedeutung, die Sie suchen oder gerne annehmen möchten, herauszulesen. Gurdjieff war vor einem Lebensalter ein Schüler in diesem Geschäft. Der Meister, ein Qalander des Qadiri-Ordens, arbeitete hier auf Anweisung des Ordens als Kupferschmied. Er lehrte uns Kupfer zu formen, während er uns formte. Gurdjieff blieb ein Vierteljahr hier und lebte mit den anderen Lehrlingen im Gemach über dem Laden. Er sprach kein Arabisch, aber Persisch und Türkisch und seine armenische Muttersprache. Er war von Muhsin Shah aus Quds (Jerusalem) hierhergeschickt worden, der ihn wiederum vom Scheich aus Haleb gesandt bekommen hatte. Er studierte das Kupfer, dessen Eigenschaften und Gebrauch und wurde unter gleichen Bedingungen auch ins Selbststudium eingeführt.«
»Wie war das Leben eines Lehrlings?« fragte ich.»Wir erhoben uns um fünf, um uns zu waschen, die Öfen
und das Frühstück vorzubereiten, bevor der Laden um sieben
40
öffnete. Der Meister kam so um neun. Bis dahin hatten wir zwei Stunden damit verbracht, Rohgüsse herzustellen, Schalen, Becher und Vasen zu formen, die die erfahrenen Künstler gravieren und mit Silber verschönern würden. Wir studierten Entwurf und Gravur, und es wurde von uns erwartet, komplizierte Muster aus dem Gedächtnis zeichnen zu können. Nach dem Mittagessen studierten und arbeiteten wir bis zum Abend, wo wir uns im Hof des Meisters mit anderen Schülern trafen, um ihn über Religion, Ethik oder Esoterik sprechen zu hören.«
»Wie lehrte er«, fragte ich, »aus Büchern oder durch Frage und Antwort?«
Qarmani lächelte bei der Erinnerung. »Er sprach meistens in Beispielen, erzählte Geschichten und erklärte die tiefere Bedeutung. Er stellte dem einen oder anderen Schüler eine unmögliche Frage und wartete geduldig und höflich auf die Antwort. Er war nicht zurückhaltend mit seiner Kritik an unseren handwerklichen und geistigen Leistungen, aber dies auf eine solche Weise, daß seine Kritik uns eher ermutigte als ein Gefühl von Groll oder tiefer Enttäuschung hinterließ. Er hatte eine sarkastische Zunge, die einen bloßstellen konnte, aber sein Sarkasmus enthielt immer eine Lehre.«
»War Gurdjieff ein guter Schüler?«»Wir urteilten nicht über uns, da wir nicht wie die Meister
unseren jeweiligen Entwicklungsstand unterscheiden konnten. Ich kann sogar heute in dieser Hinsicht kein Urteil abgeben, da ich nicht weiß, für welchen Zweck Gurdjieff vorbereitet wurde. Er war handwerklich geschickt und hatte einen beweglichen Geist, ob er aber für die vor ihm liegende Aufgabe gut oder schlecht war, konnte ich nicht wissen.«
»Woher wußten Sie, daß er für eine Aufgabe vorbereitet wurde?«
»Da er alle Zeichen derer trug, die geschickt werden, um zu lernen und geformt zu werden, und nach der Lehre ausgesandt werden, um selbst zu lehren. Und nebenbei war Muh- sin Shah von Quds einer der Männer, die beauftragt waren, das Lehrprogramm für Nichtmoslems durchzuführen. Beauftragt von wem, fragen Sie? Beauftragt vom Meister seines
41
Meisters und dieser wiederum von den ›Hütern der Tradition«.«
»Wie kann ein Schüler in solch einen Kurs aufgenommen werden?«
»Auf viele verschiedene Arten. Durch den Kontakt mit der Lehre, und wenn die Aufnahmeprüfungen erfüllt sind, wird er zu verschiedenen Lehrern geschickt, oder er wird in die Schulung aufgenommen, wenn es für irgendeinen Zweck günstig ist oder weil er die Lehre selbst braucht und die Kapazität hat, sie zum Vorteil der Gemeinschaft, auch unbewußt, zu benutzen.«
»Warum lernen die Schüler Teppichweben, das Zimmerhandwerk, die Kalligraphie usw.?«
»Es geht nicht um das Erlernen und Meistern bestimmter Fertigkeiten. Gewöhnlich lernen sie etwas von jedem Lehrer und zur selben Zeit eine Fertigkeit, die ihnen gut zustatten kommt, wenn sie irgendwohin gesandt werden, um einen Außenposten aufzubauen, durch den die Lehre weitergeht. Der Lehrer vermittelt dem Schüler die Baraka, die er selbst durch seinen eigenen Meister erhält. Diese Baraka wirkt in dem Schüler je nach der Zeit, dem Ort, Bedarf und den Umständen, in welchen er sich befindet. Wenn die Baraka ein besonderes Ergebnis in der Person erzeugen soll, dann ist es möglich, daß dieses Ergebnis nur erreicht wird, wenn sich die Person in einem gewissen geographischen Gebiet aufhält und in einer gewissen Zeitbeziehung zu der Lehre steht.«
»Machen alle Meister diese Ausbildung mit?«»Es gibt verschiedene Meister, die mit verschiedenen Auf
gaben betraut sind. Ihre Ausbildung hängt von ihrer späteren Tätigkeit ab.«
»Was lernte Gurdjieff von Ihrem Meister?«»Sie bitten mich um eine Meinung. Meinungen, die auf
nichts basieren, sind nichts. Er studierte einen kleinen Teil von Attars Mantiq ut Tayiur (Parlament der Vögel) zusammen mit Sanais Hadiqa ul Haqiqa (Der umzäunte Garten der Wahrheit), das er mitgebracht hatte.«
»Wie wurden die Texte studiert?«
42
»Durch fortwährendes Lesen, so daß die verschiedenen Grade der Bedeutung allmählich aufgenommen werden konnten. Sie wurden nicht gelesen, um »verstanden« zu werden im Sinne, wie Sie dieses Wort gebrauchen, sondern um in die innere Struktur des bewußten Seins und in das innere Selbst aufgenommen zu werden. Im Westen lehren die Intellektuellen, daß man ein Ding verstehen muß, um davon profitieren zu können. Die Lehre der Sufis setzt ihr Vertrauen nicht in ein plumpes Ding wie ihre oberflächliche Fähigkeit. Die Baraka filtert ein, auch wenn man es nicht will, und wird nicht gezwungen, auf der Schwelle zu warten, bis der »Intellekt« ihr erlaubt, in geschwächter Form einzutreten.«
»Gibt es spezielle Übungen, die das Lesen begleiten?«»Manchmal. Dies kann die Wiederholung von Sätzen aus
dem Text sein, der studiert wird, oder von Sätzen, die der Meister gibt.«
»Erinnern Sie sich, ob Gurdjieff solche hatte?«»Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nur, daß ihm ein Satz
von Ghazzali gegeben wurde, um darüber zu meditieren. Es war ein Zitat des Propheten: »Die Menschen träumen, wenn sie sterben, erwachen sie.« Auch diesen Abschnitt: »Wer denkt, daß das Verständnis göttlicher Dinge auf strengen Beweisen beruht, hat in Gedanken Gottes große Barmherzigkeit eingeschränkt« (Ghazzali, Befreiung vom Irrtum). Und als Litanei den Satz: »Herr, sei uns barmherzig.« Ob diese Wiederholungen mit anderen Übungen verbunden waren, kann ich
. nicht sagen, denn wenn eine Person sich in der Kontemplation befindet, wer kann außer dem Scheich sagen, welche Übungen er macht?«
»Darf ich Sie fragen, ob Sie irgendeine Idee haben, warum Scheich Daud mir riet, in Quds zu bleiben und das Leben Jesus zu studieren? Ich konnte nur einen Monat dort bleiben, und dies scheint mir nicht lang genug, eine Lektion aufzunehmen, obwohl ich eine für mich riesige Entdeckung machte.« Und ich berichtete meine Meinung über die Johannes-Akten.
Qarmani hörte mir gleichgültig zu. »Woher wissen Sie, wie
43
lange Sie mit etwas beschäftigt sein müssen, bevor man sagen kann, daß Sie davon profitiert haben? Haben Sie geheime Vorbehalte, die Ihnen sagen, daß man für die Aufnahme von Wissen eine gewisse Mindestzeit benötigt? Messen Sie Baraka in Zeit oder Tiefe? Messen Sie Gewicht in Yards? Vielleicht genügte die Zeit, vielleicht nicht - Sie sollten Scheich Hassan Effendi in Quds fragen, und möge Liebe Sie begleiten«, und er beugte sich wieder über seine Arbeit.
44
V. Scheich Hassan Effendi
Als ich wieder in Jerusalem war, suchte ich meinen Freund bei der Touristenpolizei auf und fragte ihn, wo ich Scheich Hassan finden könnte.
»Jeden Tag in der Omar-Moschee und jeden Abend in der Zawiyah Hindi beim Herodes-Tor. Aber ich sage Ihnen gleich, daß er nicht der Mann ist, eine lange Reihe Fragen zu beantworten. Er ist ein Schüler des großen Muhsin Shah, des Erben der Robe des Sultan Fatih. Suchen Sie ihn unbedingt auf, aber seien Sie vorsichtig!«
Als Nichtmoslem konnte ich die Omar-Moschee nicht betreten, deshalb nahm ich mir das Zawiyah Hindi vor, ein Gasthaus für indische Pilger; alle möglichen Leute halten sich für kürzere oder längere Zeit dort auf.
Ich hinterließ hier einen Brief, nachdem ich einer sehr zuvorkommenden indischen Dame, die Englisch sprach, meine Gründe erklärt hatte. Sie versicherte mir, daß der Scheich den Brief bekommen würde. Ich wartete einige Tage, bis mir ein Bote eine Antwort brachte. Sie lautete auf englisch: »Sie möchten mich sehen, aber was veranlaßt Sie zu der Annahme, daß ich Sie sehen möchte?«
Inzwischen hatte ich entdeckt, daß dies eine klassische Sufi-Technik ist, durch die die Sufis zufällige Anfragen durch abwehrende Grobheit verhindern wollen. Ich antwortete: »Mein Wunsch, mein Wissen zu vermehren, veranlaßt mich dazu.«
Als Antwort kam zurück: »Können Sie Wissen anwenden?«
Ich antwortete: »Noch nicht, aber ich strebe danach.«Die Antwort: »Kommen Sie bei Sonnenuntergang zum
Zawiyah.«Ich ging.
45
Hassan Effendi saß im Schatten eines Orangenbaums im Hof. Ein Schüler saß hinter ihm und einer zu seiner Linken. Der Scheich war offensichtlich ein Mann sehr fortgeschrittenen Alters, jedoch war sein Gesicht glatt und ohne Falten, seine Augen durchdringend und seine Hände fest und hart. Er trug ein weißes saudisches Gewand und die rosa-goldene Kopfbedeckung des Naq'schbandi-Ordens.
Er fragte mich freundlich nach meinem Wohlergehen und schwieg.
Ich brachte das Gespräch auf den Gegenstand meiner Suche.
»Sie sollen wissen, mein Freund«, antwortete er, »daß ich ein Lehrer meines Ordens bin, kein Antrieb für Ihre Einbildungskraft oder ein Orakel für den Leichtgläubigen. Sie durchkämmen die Welt nach den Lehrern von Jurjizada, und hier sitzt einer von ihnen; doch wird es Ihnen wenig nützen, mir die Fragen zu stellen, die Ihren Geist überfluten. Ich lehrte Gurdjieff zu atmen. Wenn ich dies sage, werden Sie mich mit vielen Wies, Warums und Wenns und Abers und ob ich Sie unterrichten kann, überschwemmen. Die Antwort ist, ich kann, aber ich will nicht.«
»Darf ich fragen, Scheich, warum lehrten Sie nur Atmen?«»Nur! Nur! Dumme Frage! Dümmer noch als warum oder
wie. Denken Sie, daß richtig atmen zu lernen leicht ist? Bewirkt Ihr flaches Keuchen mehr, als Ihr Blut mit dem Minimum an Sauerstoff zu versorgen, der benötigt wird, um den Teil Ihres Gehirns, den Sie benutzen, am Leben zu erhalten? Eine der Funktionen richtigen Atmens ist, die Baraka in die entferntesten, verborgenen Winkel des tiefen Bewußtseins zu tragen. Unentwickelte Menschen versuchen, durch Gedanken oder blinde Tätigkeit das Bewußtsein zu beeinflussen. Keines davon reicht aus, und die Richtung und Intensität sind diesen auch nicht bekannt. Nur atmen! Wissen Sie, wie lange es dauert, bevor Sie geschult werden können, Ihren ersten wirklichen Atemzug zu tun? Monate, sogar Jahre, und nur dann, wenn Sie wissen, was erreicht werden soll.
Gurdjieff brachte eine bestimmte Fähigkeit zu atmen mit,
46
und ich lehrte ihn darin, wie er mit seinem Organismus, seinem Bewußtsein und seinem ganzen Wesen atmen kann. Sie atmen, um Ihre Existenzebene aufrechtzuerhalten. Der höhere Mensch atmet, um den Durchbruch auf eine höhere Seinsstufe beizubehalten. Ihre Ignoranz, wenn sie auch nicht überraschend für mich ist, erschreckt mich. Gurdjieff blieb 20 Jahre bei mir. Ja, zwanzig Jahre! Fünf Monate in Erzurum und den Rest der Zeit in Verbindung mit mir, wo immer er lernte, seinen Atem zu benutzen. Wissen Sie, was durch Ihren Atem in Ihr Bewußtsein getragen werden kann? Wissen Sie, warum ein Scheich einen Schüler anhaucht? Wissen Sie, warum ein Scheich in das Ohr eines neugeborenen Kindes bläst? Natürlich nicht! Sie erklären dies herabsetzend als magische, primitive Lebenssymbole, aber die praktischen Gründe, die überaus schwierige Arbeit, das innere Bewußtsein zu nähren, wird übersehen. Es huscht über Ihren Kopf hinweg, der über Physiologie, Psychologie, Kausalgesetze, theoretische Ekstase gebeugt ist. Sie täuschen sich selbst, das Leben täuscht Sie nicht. Sie rufen in Ihrer bedauernswerten Arroganz nach Erleuchtung, Sie beanspruchen dies als Ihr Geburtsrecht. Sie verdienen es, mein Freund, Sie verdienen es nur mit Hingabe, Mühe und Disziplin. Hundert Jahre muß ein Körper reisen, bevor er abgehärtet ist. Ein Suchender wird kein wirklicher Sufi, wenn er nicht bis ins Mark im Feuer der Realität gehärtet wurde! Reden Sie nicht so herablassend von ›nur atmen‹, und erkennen Sie, wie bedauernswert unvorbereitet Sie sind, auch nur in den Begriff ›Existenz‹ einzudringen! Ihre Fähigkeit, von irgend etwas zu profitieren, steht direkt in Beziehung zur Wirksamkeit Ihres Systems.
Das ist sowohl in physiologischer als auch esoterischer Hinsicht wahr. Sie können von Ihrem Körper nicht erwarten, Zucker zu gewinnen und zu verarbeiten, wenn Sie keine Bauchspeicheldrüse haben, und doch denken Sie in Ihrer intellektuellen, arroganten Art, daß es Ihnen möglich ist, vom Wissen anderer zu profitieren. Sie möchten das benutzen, was Sie den »Prozeß des Verstandes oder der Logik‹ nennen, um das Ganze zu übernehmen und die Teile zu essen, die Sie
47
als nahrhaft ansehen. Bestenfalls sind Ihre Gedankenabläufe oberflächliche Reaktionen, schlimmstenfalls können Sie keine Reaktion oder Gedanken aufnehmen, bevor er nicht den höllischen Prozeß, den Sie akademische Beweisführung nennen, durchlaufen hat und verdünnt, zerlegt und verformt wurde. Das bezeichnen Sie als Vernunft! Kann man das vernünftig nennen, wenn Sie riesige Stücke Weisheit schlucken und wiedergekäut in Form von Theorie, Sprache und wirrer, ungeschliffener Faselei herausspucken? Das sogenannte Zeitalter der Vernunft in Europa brachte weniger Vernunft, weniger wirklichen intellektuellen Fortschritt hervor als die Tagesarbeit eines entwickelten Menschen.
Sie streben, Sie träumen, aber Sie tun nicht! Zähigkeit wird durch Haarspalterei ersetzt, Mut durch Prahlerei und disziplinierte Gedanken durch enge, pedantische Versuche der Vernunft. Beobachten Sie einmal, wie wenig von Ihrem Intellekt für praktische Tätigkeit bleibt, wenn Sie Ihrer ernsten Mängel gewahr werden. Hören Sie auf mit Ihrer teuflischen »Selbstprüfung«. Wer bin ich? Wie viele Ichs habe ich? Sie können die Idee wirklicher Selbstprüfung überhaupt nicht verstehen. Folgen Sie einer wirksamen Philosophie, oder verdammen Sie sich dazu, den Generationen zu folgen, die sich selbst in den abgestandenen Schlammlöchern ertränkt haben, die sie als Reservoir der Vernunft und des Intellekts bezeichnen!
Sie haben keine Vernunft, keinen Intellekt, verstehen Sie? Noch weniger haben Sie von der katalytischen Substanz, die es Ihnen ermöglichen würde, wenigstens die Vernunft und den Intellekt zu gebrauchen, die Ihre so herzlich begrüßte Konditionierung überlebt haben.
Ja, ich lehrte Gurdjieff nur zu atmen! Nicht mehr, nicht weniger. Wenn Sie den flüchtigsten Eindruck davon bekommen können, was das wirklich bedeuten kann, dann haben Sie Hoffnung. Ich bin nicht geneigt, Ihnen noch weiter ihre Unfähigkeiten, die durch Ihr positives, negatives und neutrales Selbst entstanden sind, zu erklären, und die Kontrolle und Wirkung, die sie auf Ihr schon bruchstückhaftes Bewußtsein haben. Sie können ein Buch über Ihre Suche schreiben, aber
48
beschreiben Sie mich richtig. Zitieren Sie mich, wenn Sie wollen, aber interpretieren Sie mich nicht. Ich spreche in Ihrer Muttersprache mit Ihnen, so daß kein Raum bleibt für Eindrücke oder eine intellektuelle Interpretation dessen, was ich vielleicht Ihrer Meinung nach gesagt habe. Wenn Sie nicht davon profitieren können, versuchen Sie nicht, es anderen zu »erklären« oder Ihre »Gefühle und Empfindungen« und die Zu- stände, die unser Gespräch bei Ihnen hervorgerufen hat, auszulegen. Das, was ich gesagt habe, enthält keine versteckte Bedeutung. Alle notwendigen Fakten sind vorhanden. Fügen Sie nichts hinzu, und stellen Sie nichts in Klammern oder betonen etwas, wo ich es nicht getan habe.
Der Fluch der westlichen Welt war immer der Gelehrte mit dem brennenden Drang, etwas zu interpretieren, zu kommentieren und zu erklären. Die Übersetzung war für ihn ein Mittel, eine Gedankenrichtung zu erzeugen, die meistens im Originalmanuskript nicht existiert hatte. Wenn er, wie dies zu oft der Fall war, den ursprünglichen Gedankengang nicht aufnahm, führte er seinen eigenen oft absichtlich ein, um etwas zu beweisen oder es als Beweis für seine Lieblingstheorie zu benutzen.
Aufgrund der geringen Anzahl zweisprachiger Gelehrter im Westen blieb dieser Mißstand oft jahrhundertelang unbemerkt, manchmal immer. Auf diese Weise gingen Theorien, Aussagen oder Abhandlungen von beträchtlichem Wert für den Westen verloren. Traurig? Unfair? Denken Sie? Wo liegt jedoch die Schuld, wenn eine Gesellschaft nicht genug ausgebildete Menschen hat? Bei ihr oder bei anderen? Es ist schiere Unverantwortlichkeit, wenn ganze Theorien und Überlieferungen sich aus den Hirngespinsten eines Experten entwickeln dürfen. Sie erdrosseln sich mit ihrer eigenen rechten Hand selbst und protestieren, wenn niemand sie beschützt.
Die westlichen Gelehrten haben sich ihre Heiligen selbst ernannt, eine Hierarchie von Oberpriestern, die sich selbst verewigt, hochgehoben, ohne die kritische Fähigkeit zu haben, deren Qualifikation prüfen zu können. Deshalb kleben
49
sie an ihnen fest. Wenn man sie jetzt stürzt, ein Programm veranstaltet und die Bücher verbrennt, durch wen will man sie ersetzen? Ganze Gedankenschulen wurden auf der Geistesverwirrung eines Mannes aufgebaut. Sie können sagen, auf diese Weise wird Wissenschaft im Westen betrieben. Sie bezeichnen es als Theorie, die zu einer Grundlange des Verstehens führt. Das ist wahr, doch spielt hier Unehrlichkeit mit, denn warum sollte der Übersetzer oder Dolmetscher nicht sein wirkliches Interesse erklären und den Text nicht als Verkörperung des wirklichen Manuskripts oder Schriftstücks ausgeben?
Was hat dies mit Gurdjieff zu tun, denken Sie? Ziemlich viel.
Die, die Augen haben zu sehen, werden die Verbindung sehen, die, die Ohren haben zu hören, werden die Wahrheit inmitten der Verwirrung vernehmen, aber laßt sie zuerst die Fähigkeit entwickeln, die Beschaffenheit der Wahrheit zu kennen, die Wahrheit zu fühlen, die Wahrheit zu sprechen und ein Klima zu schaffen, in dem Wahrheit die akzeptierte Norm und nicht etwas Außergewöhnliches ist.
Gurdjieff sollte bestimmte Dinge für eine bestimmte Situation lehren. Daß seine Lehre verfälscht und fortgeführt werden würde, lange nachdem ihre Wirksamkeit vorüber war und unter Gegebenheiten, die sich auf jeden Fall geändert hatten, war unvermeidlich und vorhersehbar. Seine Rolle war vorbereitender Art, aber das meiste des erzielten Fortschritts wurde durch die Aktivitäten nach seinem Tod übermäßig verwässert. Sie mögen fragen, wie jene, die profitiert hatten, den Kontakt aufrechterhalten konnten, wenn sie nicht mit der Schule, die er begründet hatte, in Verbindung waren? Ganz leicht. Mit der Zeit mußte es auffallen, daß bei der Wiederholung früherer Aktivitäten ein Gerüst fehlte. Zu jener Zeit wäre es leicht gewesen, sich davon abzusetzen und den Teilchen zu folgen, die man in sich aufgenommen hatte.
Aktivitäten, wirkliche Aktivitäten im Westen verloren nie ihren Kontakt, obwohl es äußerlich so ausgesehen haben mag. Falsche Theorien tragen den Samen ihrer eigenen Zer-
50
Störung in sich. Dies ist ein unveränderliches Gesetz, das sich selbst beweist. Es gibt heute Aktivitäten für jene, die den Geschmack für die wirkliche Realität noch nicht verloren haben.«
»Meinen Sie, daß es heute in Europa Aktivitäten gibt?«»Ich meine genau, was ich sage. Wenn ich ›in Europa«
hätte hinzufügen wollen, hätte ich es gesagt. Ich mache keine nachlässige Konversation. Sie haben die nationale Schwäche, wie verbissen an das Verstehen von Dingen heranzugehen; das geht sogar so weit, daß Sie fremde Fakten oder Worte in Abschnitte einfügen, um diese sich selbst klarzumachen. Dies ist ein abscheulicher Zug, und ich rate Ihnen sehr, ihn zu vermeiden. Es ist nicht schwierig und geht ohne heroische Anstrengung, Seelenforschung und Herzschmerzen. Tun Sie es einfach nicht. Wenn Sie irgendwelche Ansprüche hinsichtlich Disziplin haben, üben Sie diese bei sich. Wenn Sie sich selbst schmeicheln und bestechen müssen, um etwas zu tun, dann tun Sie es lieber nicht, weil Sie es nicht unter Leiden tun würden. Ich habe wenig oder keine Geduld mit jenen, die grundsätzlich nicht bereit sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und einen langen, kalten Blick auf sich selbst zu werfen.
Entweder Sie können es, oder Sie können es nicht. Wenn Sie es nicht können, heißt dies gewöhnlich, daß Sie es nicht tun. Wenn Sie es können, warum tun Sie es nicht?
Stellen Sie mir noch eine Frage, mein junger Freund, und nur eine. Ich werde sie beantworten, und dann müssen Sie gehen, und möge Wahrheit Ihr Führer sein!«
»Scheich, wohin soll ich als nächstes gehen?«Ohne Zögern: »Haleb, wenn Sie möchten. Mohamed
Mohsin, der Händler, wird Sie willkommen heißen - Ishk Bashad«, und er war verschwunden.
51
VI. Mohamed Mohsin, der Händler
Krankheit zwang mich, 10 Tage in Jerusalem zu bleiben, obwohl ich begierig darauf war, auf dem Weg nach Aleppo zu sein. Es waren die üblichen Beschwerden von Reisenden, die an die Nahrung des Mittleren Ostens nicht gewöhnt sind, und da ich über Land reisen wollte, wollte ich vor meiner Abreise wieder ganz in Ordnung sein.
Mein erzwungener Aufenthalt ermöglichte mir, viel zu lesen. Meistens wählte ich persische Autoren aus, die ich lesen konnte oder von denen es eine gute englische Übersetzung gab. Ich wollte sehen, ob die gegen die Sufis erhobenen Vorwürfe des Neuplatonismus, Gnostizismus und/oder Schamanismus durch Fakten unterstützt wurden. Ich gestehe, daß ich unter ungünstigen Bedingungen arbeitete, da ich mit den großen Meistern der Sufi-Gedankenwelt nicht sehr vertraut war, um irgendein Urteil abgeben zu können. Würde mir die Sicherheit ausreichen, mir ein Urteil zu bilden, das mich allein befriedigte? Welchen Unterschied in der Wirkung würde es machen, wenn ich herausfände, daß der Sufismus durch neuplatonisches Gedankengut beeinflußt worden war? Wenn ihre Theorien Gültigkeit hätten, wäre es dann von Bedeutung, woher sie kamen oder nicht? Diese Fragen quälten mich, da ich mich gefährlich nahe daran fühlte, intellektuelle oder akademische Argumente in die Situation zu bringen.
Das Quellenmaterial, das ich mit Hilfe eines freundlichen Buchverkäufers fand, bestand aus AI Ghazzali, Jelaluddin Rumi und Fariduddin Attar, dem Chemiker.
Ghazzali wird in der moslemischen Welt als derjenige betrachtet, der den Glauben wiederbelebt hat, und er trägt auch diesen Titel. Als er Zweifel in seinem Geist entdeckt hatte, wanderte er 10 Jahre umher, bis sie behoben waren. Man glaubt, daß seine Bücher das Denken des heiligen Franziskus
52
und Thomas von Aquins beeinflußt haben, obgleich sie eine der Grundlagen der islamischen mystischen Philosophie waren. Seine Bekenntnisse eines verwirrten Gläubigen sind äußerst bewegend: »Mein Ausgangspunkt ist die Suche nach dem Wissen über die Wirklichkeit der Dinge; daher muß ich unzweifelhaft herausfinden, was Wissen wirklich ist.«
Seine Forschung war auf kalte Analyse gerichtet ohne unnötige akademische Diktion oder intellektuelles Geschwätz. Er suchte, er prüfte, und vor allem machte er Erfahrungen.
Um ihn zu zitieren: »Woher kommt das Vertrauen in die Sinneswahrnehmungen? sagt eine zweifelnde innere Stimme. Die mächtigsten Sinne sind die des Sehens. Wenn sie jedoch den Schatten auf einer Sonnenuhr wahrnehmen, steht dieser still, und sie urteilen, daß es keine Bewegung gibt. Durch Experiment und tiefere Beobachtung stellen sie dann nach einer Stunde fest, daß sich der Schatten bewegt und mehr noch, nicht ruckweise, sondern allmählich und stetig in unendlich kleinen Abständen, so daß er niemals ruht. Wenn sie die Sonne wahrnehmen, sieht diese so klein wie ein Schilling aus, und doch zeigt die geometrische Berechnung, daß ihr Umfang größer als derjenige der Erde ist.«
Ghazzali inspirierte mich beim Lesen, da er den Kampf mit seinen Zweifeln und seinem Intellekt beschrieben hatte, ebenso die Grundlagen jeder seiner Entscheidungen. Ich konnte seiner Argumentation und unfehlbaren Logik folgen und freute mich über seine Entdeckungen. Ich hätte diese Entdeckungen leicht ohne Beweise akzeptieren können, aber die ausführlichen Erklärungen erfrischten mein Bewußtsein und ermöglichten mir einen einfacheren Weg durch den Morast meiner eigenen unreifen Gedanken, Gefühle und halbgeformten Meinungen, die auf konditioniertem Denken beruhten. Rumi, der Mystiker des dreizehnten Jahrhunderts, schrieb das kolossale metaphysische Werk Mathnavi, ein dreibändiges Gedicht, das nur von den entwickeltsten Seelen voll geschätzt werden kann. Ich konnte nicht einmal damit beginnen, die eleganten Allegorien und die tiefe, pulsierende Wahrheit zu ergründen. Ich konnte es nur oberflächlich lesen
53
und versuchen, seine Realität einwirken zu lassen. Ich zitiere die Geschichte von den Griechen und den Chinesen, die den Unterschied zwischen theologischem und mystischem Denken illustriert:
Wenn Ihr eine Parabel über das verborgene Wissen wünscht, erzählt die Geschichte von den Griechen und Chinesen:
»Wir sind bessere Künstler«, erklärten die Chinesen.›Wir sind Euch gegenüber im Vorteil«, entgegneten die Griechen.»Ich werde Euch prüfen«, sagte der Sultan. »Dann werden wir sehen, wessen
Behauptung stimmt.«»Gebe uns einen Raum und den Griechen einen anderen«, sagten die Chi
nesen.Die zwei Räume lagen einander gegenüber, die Chinesen nahmen den ei
nen und die Griechen den anderen. Die Chinesen baten den König um hundert Farben, und der würdige Monarch öffnete seine Schatzkammer, und jeden Morgen erhielten die Chinesen ihre Farbenration.
»Wir brauchen keine Farben für unser Werk«, sagten die Griechen. »Alles, was wir wollen, ist, diesen Rost loszuwerden.‹ Und so machten sie sich ans Polieren.
Es gibt einen Weg von der Vielfarbigkeit zur Farblosigkeit; Farbe ist wie die Wolken, Farblosigkeit ist der Mond. Welchen Glanz und welche Pracht Du auch in den Wolken siehst, sei sicher, daß dies von den Sternen, dem Mond und der Sonne herrührt.
Als die Chinesen mit ihrer Arbeit fertig waren, begannen sie, vor Freude zu trommeln. Der König kam herein und sah die Bilder, ihr Anblick raubte ihm den Verstand. Dann ging er zu den Griechen, die den trennenden Vorhang beiseite schoben, so daß der Widerschein der chinesischen Meisterwerke auf die Wände fiel, die sie blank gescheuert hatten. Alles, was der König in dem chinesischen Raum gesehen hatte, sah hier noch lieblicher aus, so daß seine Augen aus den Höhlen sprangen.
Die Griechen, mein Vater, sind die Sufis; ohne Wiederholungen und Bücher und Lernen haben sie doch ihre Herzen von Gier und Habsucht, Geiz und Bosheit befreit. Die Reinheit des Spiegels ist ohne Zweifel das Herz, das unzählige Bilder empfängt. Der Widerschein jedes Bildes geht für immer vom Herzen aus, und jedes neue Bild, das ins Herz eintritt, zeigt sich dort ewig frei von aller Unvollkommenheit. Die ihr Herz poliert haben, haben Wohlgeruch und Farben hinter sich gelassen, jeden Augenblick, unmittelbar erblicken sie Schönheit.
Die Tiefe von Rumis Mystik ist ein kraftvolles Porträt eines erwachten Mannes »jenseits von Religion, jenseits von Ketzerei, jenseits von Atheismus, jenseits des Zweifels, jenseits von Sicherheit«. Letzteres ist die dritte Stufe von drei Zuständen, erklärt Rumi: »Zuerst verehrt der Mensch menschliche Wesen, Steine, Geld oder die Elemente, als zweites verehrt er
54
Gott und als drittes sagt er weder ›ich verehre‹ noch ›ich verehre nicht‹.«
Rumi gibt dem Menschen den Rat und ermahnt ihn eindringlich, Wissen über sich selbst zu suchen und sein unge- läutertes Selbst mit einem Glauben oder einer Lehre zu unterstützen, die zu der Erfüllung seines Schicksals führen werden. Einer der ewigen Formkräfte des menschlichen Bewußtseins ist Liebe. An einer Stelle sagte er: »Die Menschheit ist unerfüllt und hat ein Verlangen nach Erfüllung. Deshalb müht sie sich ab, dieses Ziel mit Hilfe verschiedener Unternehmungen und Ambitionen zu erreichen. Aber nur in der Liebe findet sie Erfüllung. Sie darf sie jedoch nicht auf achtlose Weise benutzen; das Feuer, das wärmt, kann auch verbrennen.«
Einer der Hauptgrundsätze des Sufi-Weges ist, daß der gewöhnliche Mensch sich selbst nicht erkennen und aus den formenden Einflüssen, die er braucht, Nutzen ziehen kann. Er muß notgedrungen einem Lehrer folgen, der weiß, wo diese Einflüsse gefunden werden können und wie und in welchem Ausmaß sie benutzt werden müssen.
Rumi warnt fortwährend davor, sich an Äußerlichkeiten zu halten: »Liebe den Krug weniger und das Wasser mehr.« Er betont die versuchsweisen Aspekte der Entwicklung und die Notwendigkeit, daran zu arbeiten, die Fähigkeit zur weiteren Entwicklung zu fördern.
Attar, der Chemiker, berühmt für sein Parlament der Vögel, steht ebenfalls in der ersten Reihe der Sufi-Großen. Sicherlich verdankt Bunyan sein Pilgrim's Progress dieser Fabel, in der sich dreißig Vögel, angeführt von einem Wiedehopf, aufma- chen, ihren König zu suchen. Nach vielen Prüfungen und Leiden entdecken sie den ›König‹ in sich selbst. »Gebt Eure Schüchternheit auf, Eure Eitelkeit und Euren Unglauben, wer Licht aus seinem Leben macht, wird von sich selbst befreit; er ist befreit von Gut und Böse wie der Geliebte.«
Diese Sufi-Gelehrten trinken tief aus den Quellen der Wahrheit und spiegeln des Menschen Durst nach Vereinigung mit dem Unendlichen wider. Ich war mitgerissen von ihrer durchdringenden Einsicht in die Hindernisse des Menschen
55
auf der Suche nach seinem wirklichen Selbst. Auch wenn er von allen möglichen Ängsten, Theorien und Konditionierungen umgeben ist, steht der Mensch nackt und unvorbereitet der Verantwortung seiner Suche nach dem Unbekannten gegenüber. Es ist wahr, daß die westliche Gedankenwelt solche Männer wie Kant und Schopenhauer und Mystiker wie Nicoll und Ouspensky hervorgebracht hat, aber jeder hat sich sehr bemüht, dem Bedürfnis nachzukommen, einen Weg der Entwicklung aufzuzeigen, doch hat es keiner geschafft, weil ihr verwickeltes und verschachteltes Denken im Weg stand. Sie waren selbst ein Ergebnis der westlichen Scholastik mit ihrem Zwang zu pragmatischem und schwerfälligem akademischem Denken und geschliffener intellektueller Argumentation, ohne die durchdringende Einsicht und Beziehung zu menschlichen Problemen und Schwächen, welches die Sufi- Meister charakterisiert. Man kann sagen, daß kein westlicher Denker sich selbst aus der Welt heraus und zum Unendlichen hin entwickelt hat, doch Rumi, Attar und andere zeigten nicht nur den Weg, sondern schritten den Weg zu ›Fana‹ oder das Erlöschen des Selbst in der Substanz der Wahrheit. Welch größerer Beweis für die Wirksamkeit einer Lehre ist nötig? Mystiker wieder hl. Franziskus, die heilige Teresa von Avila und der heilige Johannes vom Kreuz verdanken alle ihre Inspiration der Sufi-Gedankenwelt.
Konnte ich diesen klaren Hinweis ignorieren? Sicherlich war Gurdjieff von diesen Leuten geschult worden. Konnte ich hoffen, den Faden der heute angewandten Lehre aufzunehmen? Konnte ich es mir leisten, die Chance nicht wahrzunehmen? Die Entscheidung war klar, und meine Suche nahm eine mehr persönliche Form an. Ich würde Gurdjieffs Weg folgen, aber nur, um die Botschaft und die Form zu finden, die heute brauchbar waren.
Meine Reise nach Aleppo war reich an Verzögerungen und Schwierigkeiten in Gestalt von Pannen, und ich kam erst an einem Freitagmorgen an. Ich stieg in einem Hotel ab und fragte nach Mohamed Mohsin, dem Händler. Man sagte mir, daß er sich zurückgezogen habe und in dem Dorf El Bab,
56
einige Meilen entfernt, wohne. Ich fand einen jungen Mann, der sich anbot, mich zu führen, und sagte, daß er in diesem Dorf lebe und sich darüber freuen würde, mitgenommen zu werden.
Während wir die staubige Straße entlangholperten, sprach er mit großer Ehrfurcht von dem Händler und gab ihm den Titel Gul Bashi oder Blumenpfleger. Ich fragte nach dem Grund und erfuhr, daß er schon immer so genannt wurde.
Das Dorf war nahe und erfüllt von Leben. Mein Führer zeigte auf einen Weg außerhalb des Dorfes, auf dem das Auto nicht fahren konnte. Dieser führte zur Behausung des Händlers, und er schlug vor, zu Fuß zu gehen und einen Schafhirtenjungen beim Auto zurückzulassen. Der Pfad war steil und staubig, er war eigentlich ein ausgetrocknetes Flußbett und führte in die Vorgebirge. Nach einer halben Stunde zeigte der Junge auf ein kaum erkennbares Haus in der Kluft eines Hügels.
»Dort drüben«, sagte er.Wir brauchten über eine Stunde, bis wir das hübsche Stein
haus erreichten, das gegen die Klippe gebaut war. Die riesige Tür trug verschlungene Zeichen, und ein kleines Fenster wurde auf unser Klopfen hin geöffnet. Ich erklärte den Grund meiner Reise und fragte, ob ich den Händler sehen dürfte. Das Gesicht verschwand, und nach fünf Minuten wurde die Tür geöffnet, und wir wurden in den Innenhof geführt, wo Brunnen inmitten von Kieswegen und Blumenbeeten plätscherten. In einer Ecke, nahe einer Anzahl von Rosensträuchern, saß eine runzlige Gestalt in einem weiß-blauen Gewand, umgeben von anderen in weißen Gewändern. Er deutete mir, mich zu setzen, nachdem mein Führer sich verabschiedet hatte und gegangen war. Ich setzte mich auf den weichen Rasen und hoffte, mit ihm eine Sprache gemeinsam zu haben. Ich hätte mich nicht zu sorgen brauchen, da Moh- sin sich wieder an seine Zuhörer wandte und seinen Vortrag in Englisch fortführte, mit Akzent natürlich, aber sehr fließend.
»Und daher werden Sie leicht verstehen, daß Sie Ihre Infor
57
mation unweigerlich falsch bewerten, wenn sie nicht in der richtigen Weise und mit richtigem Maß interpretiert wird. Betrachten Sie diese Dinge, von denen ich gesprochen habe, nur, ich wiederhole, nur unter den Bezugspunkten, die ich Ihnen gegeben habe, und unter keinen Umständen unter gefühlsmäßigen, sozialen, politischen oder anderen Gesichtspunkten. Sie mögen diese Verbindungen haben, aber meiden Sie diese wie die Pest. Erlauben Sie sich niemals, in Gewohnheitshaltungen zu verfallen, die durch die gerade herrschenden Umstände oder zeitgenössische Atmosphäre in Ihnen hervorgerufen werden. Gehen Sie nun, und kommen Sie nächsten Donnerstag wieder, und ich werde Ihnen mehr erzählen.«
Nachdem sie die Hand meines Gastgebers geküßt hatten und gegangen waren, wandte sich der alte Mann mir zu. »Ich bin froh, daß es Scheich Hassan gutgeht. Sie suchen Hilfe bei mir. Ich kann Ihnen einige Fakten und Hinweise geben, aber ob sie Ihnen helfen, liegt ganz bei Ihnen und an Ihrer Fähigkeit, sie zu benutzen.
Sie möchten mehr über Gurdjieff wissen. Was ich Ihnen sagen kann, wird Ihnen wenig helfen, aber ich kann Ihnen so viel sagen, daß es Teil eines Bildes werden kann, wenn Sie es zusammensetzen können. Ich lehrte Gurdjieff die Pharmazie und Heilmittellehre, wie man wichtige Pflanzen züchtet und benutzt, wie man ihre Essenzen gewinnt und benutzt. Er lernte dies und verließ mich nach einem Jahr. Hilft Ihnen das?«
Ich bekannte, daß es nicht viel half, soweit ich sehen konnte. Ich erinnerte mich, daß gesagt wurde, daß sich Gurdjieff für Kräuter und deren Anwendung interessierte, aber weiter wußte ich nichts.
Ich erinnere mich, daß ich versuchte, Mohsins Alter herauszufinden, und daß es mir nicht gelang. Seine Züge waren runzlig, aber seine Zähne waren perfekt und seine Augen ungetrübt. Seine Gestalt, obwohl hager, war nicht gebeugt, und seine Hände waren ruhig. Wenn er Gurdjieffs Lehrer gewesen war - in welchem Alter - wann? Ich stellte diese Frage.
58
»Zuerst«, antwortete er, »müssen Sie es nicht als unbedingt erforderlich ansehen, daß die körperliche Anwesenheit nötig ist, um jemanden zu lehren. Man kann auf viele verschiedene Arten unterrichtet werden, jede gleich wirksam, vorausgesetzt, daß der Lehrer und der Schüler eine Verbindung geschaffen haben, die stark genug ist. Dann haben Zeit und Entfernung keine Bedeutung. Zweitens, denken Sie nicht, daß ein Jahr eine Periode von 365 aufeinanderfolgenden Tagen bedeutet. Diese können über eine lange Periode verteilt sein. Sie im Westen wollen ›Kontinuität‹ für ein Studium, nur weil Ihr Verstand so unfähig ist, daß Sie eine Lektion vergessen können, wenn die zweite nicht ein paar Tage nach der ersten folgt. Sie sind unfähig, alle Ereignisse, Umstände und Fakten einer Lektion so lebendig in Ihrem Geist zu erhalten, daß Sie sie nach einem Jahr ohne Zögern wieder aufnehmen können. Gurdjieff erhielt meinen Unterricht vor dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als ich in Erzurum war.«
»Haben Sie damals dort unterrichtet?«»Ich baute einen Garten und verbreitete auf diese Art das
Wissen, das für jene Zeit und Umstände nötig war. Denken Sie nicht, daß die einzige Sprache der Blumen die des visuellen Effekts oder ihres berauschenden Dufts ist. Blumen verändern ihre Bedeutung und ihre Wirkung je nach ihrer Stellung zueinander, in welcher Menge sie angepflanzt werden, welche Farben benutzt werden: all dies ist Teil der wirklichen Sprache der Blumen.«
»Aber was zeigen sie an ? Können sie einem Vorübergehenden etwas sagen oder ihm Eindruck machen, wenn er nichts von ihrer wirklichen Bedeutung weiß?«
»Sie wirken auf verschiedenen Ebenen. Einige, die Sie ein- sehen werden, sind die Muster ihrer verschiedenen Blüten, die die Sinne erfreuen. Ein weiterer Effekt kann die Herstellung eines Mikroklimas an einem bestimmten Platz sein, wo sich »Reisende auf dem Weg‹ ausruhen und erfrischen können, oder er kann es auf hundert andere Weisen nutzen. Die Blumen sagen ihm, wer in diesem Gebiet lebt und was sein Einweihungsgrad ist. Ihr Effekt ist nicht auf diejenigen be
59
grenzt, die ihrer Bedeutung bewußt sind - einiges ihrer Wirkung geht in ihr Bewußtsein über und erzeugt in ihnen gewisse Ideen und Gedanken, die nutzlos sind, wenn sie diese nicht unter der Führung eines Lehrers in einem gewissen Zusammenhang betrachten.«
»Lernte auch Gurdjieff diese Wissenschaft?«»Nein. Es war für ihn nicht nötig, dies zu wissen. Es gibt
eine bestimmte Bruderschaft, die die Verantwortung für den Bau dieser Gärten hat. Sie müssen jedoch nicht unbedingt in diese Technik einführen. Es gibt Orden, die nur arbeiten, um die Kommunikation ›in Gang zu setzen‹ oder zu erhalten oder den ›Reisenden‹ weiterzuhelfen.«
»Darf ich fragen, ob die Pyramiden und andere Monumente des Oberen Nils von derselben Qualität sind?«
»Sie dürfen fragen, weil ich es Ihnen angeboten habe, aber ich bin sehr bestürzt über dieses weitere Beispiel westlichen Denkens. Ich spreche vom Himmel, und Sie sprechen von einer Raupe.* Was wollen Sie um Gottes willen tun? Wollen Sie Ihre Gedanken in unwesentliche Dinge hineinziehen, die Ihnen auf keinen Fall Weisheit geben können? Wenn Sie nur fragen, um Ihr zufälliges Wissen zu vermehren, dann bin ich über Ihre Ignoranz betrübt. Wenn Sie von Ihrer Heimat hierher gereist sind, um Fragen über tote Zivilisationen zu stellen, zeugt das von wenig Fähigkeit zu zusammenhängendem Denken. Möchten Sie in der Vergangenheit leben und sich selbst in den Aberglauben und die Märchen von gestern stürzen, oder möchten Sie von einer lebendigen, pulsierenden Kraft profitieren, die das Universum erleuchtet? Pyramiden, Sphinx, Turm von Babal, Arche von Niniveh! Ihr Platz ist nicht in der Zukunft, aber Ihrer ist es! Es sind verbrauchte Kunstwerke. Jagen Sie ihnen hinterher, wenn Sie möchten, doch Sie leben dann mit dem Staub der Vergangenheit. Vermischen Sie diesen nicht mit der lebendigen Zukunft.
Kochen Sie die Kartoffelschalen von gestern mit den Kar
* Ein Wortspiel über die Ähnlichkeit zweier persischer Wörter: asman (Himmel) und reswan (Raupe).
60
toffeln von heute? Wahrscheinlich tun Sie das, aber laden Sie mich nicht dazu ein, genießen Sie diesen widerwärtigen Mischmasch alleine. Disziplinieren Sie Ihre Gedanken, oder, wenn Sie keine haben, lassen Sie es andere für Sie tun. Geben Sie diesen betrüblichen Hang auf, alles in Beziehung zu allem anderen sehen zu wollen. Ich habe so viele Ihrer westlichen »Denken gesehen, daß ich Schutz vor ihren Dummheiten suche. »Wer war Maria Magdalena, und wie paßt sie mit dem Totenbuch und dem Charakter von Barabas und der Sage von Gilgamesch und Jeanne d'Arc und Noah und Klein-Tria- non und dem Empire State Building und dem Grand Canyon zusammen?« Die Antwort ist, daß viele Dinge zusammenpassen, aber in einer Dimension, die Sie in Ihrer jetzigen Lage nicht erfassen oder durch Ihr unwissendes Im-Dunkeln-Tap- pen begreifen können. In Wirklichkeit entfernen Sie sich durch die Methoden, die Sie benutzen, um das Puzzle zusammenzusetzen, noch weiter vom Begreifen. Geben Sie diese Voreingenommenheit auf.«
Nachdem er diese Breitseite abgefeuert hatte, setzte er sich zurück.
Ich versuchte lahm zu erklären: »Sehen Sie, Gurdjieff erwähnt in seinem Buch die Sandkarte, und ich frage mich . . . «
»Sie fragen sich«, sagte er verächtlich. »Sie fragen sich nicht genug! Sie lesen auch von wilden Kamelen und Schafen und Stelzen und Klöstern und Wasserfällen, aber nichts davon erzeugt Fragen in Ihnen. Sie können es sich nicht als Allegorie vorstellen, Sie nehmen es wörtlich und profitieren überhaupt nicht davon, sondern halten sich an romantischen Dingen wie der Sandkarte und dem Zauber des Alten Ägypten fest. Warum fuhr Gurdjieff mit seiner Suche im Niltal nicht fort? Oder nach der Sarmoun-Bruderschaft? Hat er diese nur erwähnt, um Ihnen eine Allegorie zu geben, um Ihre verschlammten Köpfe von den Zeitaltern toten Denkens zu befreien ? Haben Sie jemals auf diese Weise darüber nachgedacht?«
Ich sagte kühn: »Können Sie mir dann einige Erklärungen geben, die mir helfen zu verstehen?«
61
»Nein. Weil Sie eine Erklärung suchen, die Ihnen helfen soll, und keine Erfahrung. Im Grunde möchten Sie ein Buch mit dem Titel ›Geheimnisse des Unbekannten und wie man sie kennenlernen kann‹, das Sie Lektion für Lektion durchnehmen können, um so perfekt zu werden. Ein Buch, das Sie verstehen könnten, gibt es nicht; es gibt aber ein Buch, das leicht zu beschaffen ist, doch um es benutzen und davon profitieren zu können, müssen Sie fähig sein, bestimmte Erfahrungen zu machen, die Sie auf weiteres Verstehen vorbereiten. Diese Erfahrungen müssen gemacht werden, man kann nicht nur darüber nachdenken oder sie analysieren. Fragen Sie mich nun nicht nach dem Namen des Buches, Sie müssen es selbst finden. Mein eigener Meister, Mohamed Qadir, las es sein ganzes Leben und war nach Beendigung seiner Mission noch nicht damit fertig. Gehen Sie nun, und suchen Sie Qazi Haider Gul in Homs. Wenn Sie bis dahin Ihrer Stufe entsprechend genug über die Rose nachgedacht haben, wird er Sie zu Meister Daud bringen. Baraka Bashad!« Und ich wurde von einem Diener hinausgeleitet.
Bei meiner Rückkehr zum Dorf fand ich mein Auto poliert, und der Schafhirtenjunge hatte einen Blumenstrauß in der Hand. Er verweigerte die Bezahlung sogar in Form von Schokolade. Er war auf seine Art auch ein Blumenarrangeur, da ich immer noch den Strauß getrockneter Blumen vor mir habe, während ich dies schreibe.
Mein Treffen mit Mohamed Mohsin folgte einem Muster, das ich nur verschwommen wahrnahm. Diese Sufi-Lehrer waren überhaupt nicht an Schülern interessiert, oder wollten sie nicht auf die Bedingungen der Schüler eingehen? Ihre Aussprüche schienen das Denken zu provozieren und vorgefaßtes »Wissen« zu zerstören. Keiner von ihnen besaß die äußeren Merkmale, die man von ihnen erwartet hätte. Es umgab sie zweifellos ein Hauch von Autorität und Weisheit, der durch ihre Ruhe und Anziehungskraft betont wurde; sie waren jedoch sehr wirklich und hatten nicht die flüchtige »himmlische« Art, die man unter den Beschreibungen in Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen findet.
62
Ihre Autorität oder grundlegende Wahrheit, die hinter ihren Aussagen lag, konnte ich gewiß nicht in Frage stellen. Ich wußte nur zu gut, wie unvorbereitet ich war, trotz meiner Jahre mit Gurdjieffs Movements, um aus dem, was sie sagten, Nutzen zu ziehen. Ich wußte, daß ich kein Recht hatte, ihre freimütige Kritik an meiner Haltung und meinem westlichen Intellekt als Ganzes in Frage zu stellen. Was ich immer noch etwas verzweifelt suchte, war die Möglichkeit, mich selbst in diesen Hauptstrom des Wissens stürzen zu können, der, dessen war ich sicher, von der Quelle der Lehre kam, egal, ob dies nun ein geheimnisvolles Kloster, eine Höhle im Hindukusch oder ein Planet im Weltraum war.
Denken Sie an die Rose! Ich suchte fieberhaft in meinen Büchern, was dies bedeuten konnte. Ich fand die Rose in jedem Gedicht und jedem Werk. Natürlich war es eine Allegorie im Zusammenhang mit der Liebe.
Die Rose von Bagdad war der Name, den man Abdul Qadir Gilani, dem Begründer des Qadiri-Derwisch-Ordens, gegeben hatte. Das arabische Wort für Rose ist nur eine Nuance entfernt von dem Wort mit der Bedeutung »wiederholte Übungen, Wiederholung des Göttlichen Namens« (WRD und WiRD). Es scheint, daß die Rose der Poesie und Fabel das Ziel der Wünsche der Sufis ist. Sie vergleichen sich selbst mit der Nachtigall, die sich traditionell an der Rose berauscht.
Und so beschloß ich, die Sufi-Literatur so viel zu studieren, um wenigstens eine leise Ahnung vom Wissen zu bekommen, und dann würde ich Qazi Haider Gul in Homs aufsuchen.
Ich wählte den Mathnavi-Texi. Nicht weil ich die Tollkühnheit besaß, mir vorzustellen, daß ich auf irgendeine Art genügend entwickelt war, um diesen massiven Sufi-Text zu verstehen, sondern weil er in einer guten Übersetzung vorhanden war und ich die persische Version hatte, um bei etwaigen Schwierigkeiten vergleichen zu können.
Es wäre eine Übertreibung, zu sagen, daß ich den Mathnavi in den drei Monaten, die ich damit verbrachte, ganz durchgelesen hätte. Seine Sprache ist so unübertrefflich, daß man ihn
63
nicht überfliegen kann. Die Tiefe seiner Lehre ging über meine Fähigkeit, auch nur verstehen zu beginnen. Es genügt, zu sagen, daß ich eine stetige und planmäßige Anstrengung machte, meinen Geist von seiner Konditionierung zu befreien, und daß ich in diesen wenigen Monaten mehr lernte als in Jahren zuvor. Ich versuchte, den Mathnavi »in mich einfließen« zu lassen und ihn eher zu erfahren als zu »verstehen«. Es ist sehr leicht, viel Subjektives hineinzulesen, und es ist manchmal sehr schwer, dieser Versuchung zu widerstehen. Ich hatte mir jedoch zur Aufgabe gemacht, die Fallen, die ich mir selbst stellte, zu vermeiden. Ich wußte, daß ich in meinem inneren Leben so lange auf der Stelle getreten war, weil ich immer wieder in diese Fallen geraten war.
Zugegebenermaßen könnte ich die Schuld dafür der »Gurdjieff-Arbeit«, wie sie heute existiert, geben und sagen, daß diese verkümmerte Lehre mich zurückgehalten hatte. Aber da ich mich angeschlossen hatte und aus freiem Willen dabei geblieben war, ohne die offensichtlichen Schwächen in Frage zu stellen, und immer in der Hoffnung, mit einem kurzen Blick auf die »Realität« belohnt zu werden, muß ich die Schuld daran mittragen. Ich hatte niemals, zusammen mit vielen anderen, daran gedacht, noch war es mir erlaubt worden, zu denken, daß die Originallehre, in ihrer reinen Form, irgendwo existierte. Ich nehme an, es war logisch gewesen, zu glauben, daß die derzeitige Gurdjieff-Lehre für den Westen zugeschnitten war und daß jene, die ihre Richtung »geerbt« hatten, durch die Meister in ihrem Standpunkt bestätigt worden waren.
Als ich weiterlas, stieß ich auf mehr und mehr Worte, Sätze und Geschichten, die ich in Gurdjieffs Büchern wiederfand. In der Vergangenheit hatte ich sie wörtlich genommen, aber nun konnte ich zum Beispiel sehen, daß es beim Verstehen half, wenn man wußte, daß Karatas eine Derwisch-Schule war. Daß die Erklärungen uns nicht gegeben wurden, konnte bedeuten, daß unsere Führer dies selbst nicht wußten oder sie nicht sahen, wie das Wissen darüber uns nützen konnte. Sei dem wie es will, ich hatte angebissen und machte weiter,
64
nicht mit Zittern und Zagen wie in den vergangenen Jahren, mit Angst, bei den Gurdjieff ›Movements‹ einen falschen Schritt zu machen, nicht in einer an einen Nervenzusammenbruch grenzenden Verwirrung, weil ich die Lektion über den »Kosmischen Wasserstoff« nicht verstehen konnte, sondern voll Vertrauen, vielleicht nicht sosehr in mich selbst als in die Arbeit der Derwische.
65
VII. Qazi Haider Gul
Qazi Haider Gul aus Homs war ein Dichter. Er war Usbeke, und so tat mein Persisch wieder seine Dienste. Er empfing mich in seinem Heim in der Altstadt von Homs. Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln fragte er mich: »Wissen Sie, daß Pir Daud in Istanbul lebt und kaum Besucher empfängt? Müssen Sie ihn so dringend sehen?«
Ich erklärte mein Anliegen, und seine Stirn glättete sich. »Ich habe von dem Mann mit Namen Jurjizada gehört, und ich weiß, daß er in Pir Dauds Kreis in Mosul war. Ich denke aber nicht, daß der Pir irgendwelche Fragen über ihn beantworten wird. Warum sollte er auch?«
Ich stimmte zu. Ich erklärte, daß ich versuchte, Gurdjieffs Lehrer »durchzuarbeiten«, um die Ausbildung, die formenden Einfluß auf Gurdjieff gehabt hatte, mir zu vergegenwärtigen und zu sehen, ob ich auch davon profitieren konnte.
Er nickte. »Das ist natürlich möglich, aber es würde die Sache vereinfachen, wenn Sie Pir Daud nur sagen, daß Sie von Mohamed Mohsin Kubravi kommen, und abwarten, was er sagt.«
66
VIII. Pir Daud
So flog ich mit einem Empfehlungsbrief von Haider Gul nach Adana und Istanbul und suchte Pir Daud auf. Er war ein großer Mann mit einem schwarzen, leicht grau durchsetzten Bart. Wenn er Gurdjieffs Lehrer gewesen war, mußte er nun mehr als 100 Jahre alt sein, aber er sah wie 60 aus. Er empfing mich in seinen Räumen in der Rustum Pasha Moschee, und wir unterhielten uns durch einen Dolmetscher.
»Sie sind ein Schüler von Jurjizada?«»Ja, in dem Sinn, daß ich denen folge, die behaupten, sei
nen Lehrauftrag geerbt zu haben.«Er machte eine verächtliche Geste. »Die Baraka eines Leh
rers kann nicht vererbt werden, außer bei den Seyds, den Nachkommen des Propheten. Sind Sie ein Schüler von Gurdjieffs Botschaft?«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich, »da ich ihn niemals getroffen habe und nicht sagen kann, was seine Originalbotschaft war. Auf jeden Fall bin ich mit dem, was in seinem Namen im Westen geschieht, nicht zufrieden, und ich suche den wirklichen Weg.«
Er nickte. »Es geschieht nichts außer mechanischer Wiederholung. Die Botschaft eines Lehrers geht nicht auf seine Erben über, und so war es der Fall bei Gurdjieff. Wenn Sie Wissen suchen, müssen Sie mit der Entwicklungsarbeit, die die Umstände und die Bedürfnisse der Zeit in Betracht ziehen, in Einklang sein. Sie können Ihr Haus mit Öllampen erleuchten, wenn Sie möchten und wenn Sie in einem Gebiet ohne Elektrizität sind. Aber wenn elektrischer Strom zur Verfügung steht, verwenden Sie diesen und kümmern sich nicht um traditionelle Beleuchtungsarten. Kennen Sie den Unterschied zwischen verschiedenen Arten von Wissen?« Er stellte mir ganz plötzlich diese Frage.
67
»Sechs Monate früher«, antwortete ich, »hätte ich gesagt, ich denke schon. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger weiß ich. Aber ich kann lernen.«
Er nickte bestätigend. »Gut. Zu wissen, wie wenig man weiß, ist der erste Schritt von vielen. Für manche ist es der Beginn von Verzweiflung oder Selbstanklage. Die Überzeugung, daß man lernen kann, hilft aus dieser Sackgasse, aber Disziplin ist nötig. Haben Sie diese?«
»Ich glaube, ich habe sie nun«, antwortete ich. »Und ich habe jetzt einen Geschmack davon und kenne den Unterschied zwischen ihr und der tiefen Furcht, die ich in der Gurdjieff-Arbeit hatte. Angst vor den »Höherstehenden«, Angst davor, aufgefordert zu werden, einen von ihnen zu sehen, Angst davor, andere könnten denken, man würde zurückfallen. Disziplin, meine ich, ist ein Wunsch, der aus ganzem Herzen kommt und Übereinstimmung mit demjenigen, dem man sich angeschlossen hat. Es ist ein Zustand, in dem man freiwillig seine Freiheit auf gewissen Gebieten aufgegeben hat, um denen zu folgen, die besser dazu ausgebildet sind, einen zu führen, als man selbst in der Lage ist.«
Er schaute mich genau an. »Kommt diese Antwort aus dem Herzen oder dem Kopf? Rein mechanisch, um zu gefallen, oder aus dem Herzen und gefühlt?« Ich mußte nicht lange überlegen. »Aus dem Herzen und tiefer.«
»Gut. Um einen schwierigen Weg zu gehen, brauchen Sie Disziplin. Disziplin, keine Pausen zu machen und zu versuchen, über den nächsten Schritt nachzudenken. Disziplin, um das, was Sie gegensätzlich, irrational oder verwirrend finden, zu überwinden. Sie können es verkraften, Ihre vielgepriesenen »kritischen Fähigkeiten« zu unterdrücken, wenn Sie von jemandem Anweisungen bekommen, der wirklich weiß, was er tut, und dem nur wichtig ist, was er lehrt.
Keiner, der nicht für den Unterricht dazu ausgebildet ist, darf diese Techniken benutzen, weil die Gefahr besteht, daß er den ohnehin schon ziemlich verwirrten Geist noch mehr
68
verwirren könnte. Es sind Techniken entwickelt worden über die Jahrhunderte, die Zeit, Ort und Umstände in Betracht ziehen. Jede Tätigkeit oder Technik wird von der Person, die für ein Tätigkeitsgebiet verantwortlich ist, gemäß der Zeit und den Bedürfnissen angewandt. Diese können sich fortwährend verändern, und deshalb muß der Leiter der Tätigkeit immer in Verbindung mit dem Hauptplan der Aktivität stehen. Nur eine Tätigkeit, die in Übereinstimmung mit dem Hauptplan durchgeführt wird, ist wertvoll. Aufs Geratewohl verwendete, halb-gehörte oder halb-verstandene Wahrheiten führen sogar zum Rückschritt. Wissen Siet was es bedeutet, in der Welt und doch nicht von der Welt zu sein?«
»Ich habe davon gehört, aber ich würde gern Ihre Erklärung hören.«
»Es bedeutet, daß Sie in der Welt leben müssen und sie nicht aufgeben wie ein Mönch oder Einsiedler. Es stimmt: Zu gewissen Zeiten, je nach Ihren Fähigkeiten, kann von Ihnen verlangt werden, eine gewisse Zeit an einem Ort oder mit einer Bruderschaft zu verbringen, aber nur für eine begrenzte Zeit. Sie müssen mit allen Mitteln versuchen, Ihre Arbeit oder Ihre Geschäfte hervorragend auszuführen und gewisse Techniken eine Veränderung in Ihrem Denken in bezug auf weltliche Aktivitäten bewirken lassen.
Weitaus zu viele westliche Menschen scheinen metaphysischen Fortschritt mit einem Rückzug von den Verunreinigungen der Welt gleichzusetzen. Sie werden von der Welt nicht beschmutzt, wenn Sie sich an gewisse Grundwerte und Überzeugungen halten. Sie können mit den schrecklichsten und verdorbensten Leuten Zusammensein und allen Einflüssen ausgesetzt sein und doch nicht darunter leiden.
Sie haben einen Platz in Ihrer Familie und in der Gesellschaft, dem Sie nicht entfliehen können, um in einer Höhle zu sitzen und zu meditieren, Sie haben Verantwortungen, die Sie nicht abwerfen können. Meditation kann fünfundzwanzig Sekunden oder auch fünfundzwanzig Jahre dauern. Wenn Ihr System so unwirksam und uneffektiv ist, daß Sie fünfund
69
zwanzig Jahre meditieren müssen, dann stimmt etwas mit Ihnen oder dem System oder beidem nicht.
Wenn Sie erleuchtet genug sind, um zu wissen, über was Sie meditieren sollen, dann können Sie gewisse Zentren in sich darauf einstellen und einige Sekunden darüber meditieren unter totalem Ausschluß von allem anderen. In Lumpen gekleidet in einer Höhle zu sitzen, Nüsse und Beeren zu essen, kann nur physiologische Veränderungen oder Wirkungen erzeugen, aber recht wenige Effekte esoterischer Natur.«
»Darf ich dann nach dem Zweck der klösterlichen Bruderschaften im Hindukusch fragen?« unterbrach ich.
»Ihre Frage ist nicht nur unangebracht, sondern auch ungenau«, unterbrach er unsanft. »Die Existenz ändert nichts an dem, was ich gesagt habe. Die Menschen in diesen Zentren sind mit dem Schicksal der Welt beschäftigt, aber Sie können noch nicht einmal beginnen, irgend etwas ihrer Aktivitäten zu verstehen. Dies sind keine gewöhnlichen Menschen, noch nicht einmal Mönche. Sie kennen weder Rast noch Befriedigung, da sie die Unzulänglichkeiten der Menschheit wiedergutmachen müssen. Sie sind die Wirklichen Menschen, die Sein und Nichtsein erfahren haben und schon lange in einen Entwicklungsstand eingetreten sind, wo keines der beiden irgend etwas für sie bedeutet.«
»Gurdjieff sagte, daß er eines der Zentren besucht hätte und sein Freund Prinz Lubovedski einer der Mitbewohner war. War er einer der Unsterblichen?«
Pir Dauds Augen blitzten. »Ihre unaussprechliche Naivität entspricht nicht Ihrem Alter! Gurdjieff sagte dies, Gurdjieff sagte das. Kant sagte dies, Tschechow sagte das! Jeder hat etwas zu sagen, und Sie können, und manchmal tun Sie das, Ihr ganzes Leben damit verbringen, sie zu lesen, und versuchen sie, dies und das herauszufinden und auf persönliche Erfahrungen anzuwenden oder sich durch die Ergebnisse von anderer Leute Erfahrungen hindurchzuwühlen. Nichts wird dabei herauskommen.
Sie sollten jetzt verstanden haben, daß vieles von dem, was Gurdjieff schrieb, Allegorie war - seine Charaktere, Orte und
70
Situationen. Was bedeutet es für Sie, wenn solch ein Prinz existiert hätte? Und wenn er einer der Abdals war? Sie scharren im Sand herum und werden vom Glimmer angezogen, um ihn zu einer Fensterscheibe zusammenzufügen, und erkennen nicht, daß der Sand selbst in das reinste Glas umgewandelt werden kann.
Beschäftigen Sie sich nicht mit Persönlichkeiten oder Geschehnissen aus einer Zeit, die zu Ihrer derzeitigen Situation keinen Bezug haben und die heute nicht verstanden oder verwendet werden können. Gewisse Literatur basiert auf Erfahrung und Aktivitäten in der Vergangenheit und ist nur zu Lebzeiten des Lehrers lebendig, dessen Aufgabe es war, einen gewissen Einfluß auf einen begrenzten Teil dieser Menschheit zu nehmen.
Fragen Sie sich dann, wie diese Information irgendeinen Wert für die Entwicklung eines Menschen haben kann, wenn die Umstände, die Zeit und die Leute nicht mehr dieselben sind. Sie betrügen sich selbst, wenn Sie diesen Dingen irgendeine Wichtigkeit beimessen, und die betrügen andere, wenn sie es populär machen. Sie können sich nicht damit entschuldigen: ›Es gab nichts anderes« oder ›Es gab keine andere Quellen Es gab immer Literatur über das, was passiert, und es gab immer Anhaltspunkte, wo man die Quelle finden konnte.
Es gab niemals ein Vakuum in der Projektion der Lehre. Das Vakuum existierte im westlichen Denken und Intellekt. Der Westen ermutigte den Kult der halbgebildeten Gurus, deren einzige Berühmtheit darin lag, unter einem Baum zu sitzen und den Nabel als eine Art anatomische Kristallkugel zu benutzen. O ja, der Westen hat immer ›die Weisheit des Ostens‹ gesucht, aber niemals an den richtigen Plätzen. Immer das Farbige, das leicht Erotische, aber niemals die harte Wirklichkeit. Das westliche Denken hat sich nie erholt von der toten Hand der organisierten Kirche, obwohl es das Monopol der Kirche unterstützt hatte, weil es deren Rechtmäßigkeit nie in Frage stellte. Jedem Hinweis, die organisierte Kirche habe nicht den esoterischen Gehalt, den man von ihr
71
hätte erhoffen können, wurde energisch entgegengetreten. Ich bin genausoviel Christ wie Jesus es war, aber ich bin nicht der Typ eines Christen, den Sie in den heutigen Priestern der etablierten Kirche finden. Ihr eigener hl. Augustin selbst erklärte, daß die christliche Religion schon seit alten Zeiten existierte, aber man sagt von ihm, daß er bei all seiner Heiligkeit und Ernsthaftigkeit von nichtchristlichen Lehren beeinflußt worden war.
Sie sind nun an den Punkt gekommen«, fuhr er fort, »wo Sie, durch das Bild eines Mannes ermutigt, seinen Lehren folgen wollen. Sehr lobenswert, da jedoch diese Lehren, anders als die Grundlage, von der sie ausgehen, nicht mehr wirksam sind, müssen Sie die Art und Weise suchen, in der sie heute in die Welt gebracht werden. Wenn Sie das gefunden haben, folgen Sie - vergeuden Sie keine Zeit mit unnützer Spekulation, wie es mit Gurdjieff oder Simon Petrus oder dem Pharao zu vereinbaren ist! Möchten Sie einer Lehre folgen, die entwickelt und organisch ist, oder möchten Sie die Beziehungen zwischen 1001 unähnlichen, doch aufregenden Umständen, Tätigkeiten, Leuten oder Zivilisationen zusammenstückeln? Falls Sie Letzteres wünschen, dann studieren Sie Archäologie, Anthropologie oder Kulturformen und geben sich mit interessanten Entdeckungen und aufregenden Ideen zufrieden. Suchen Sie geisterhafte ›Führer‹ in Form von indianischen Häuptlingen und eine übernatürliche Stimme, die zu Ihnen spricht? Dann beschäftigen Sie sich mit Spiritismus. Aber wenn Sie wirklichen Fortschritt mit disziplinierter harter Arbeit suchen, dann geben Sie Ihr voreingenommenes Denken und Ihren anmaßenden Stolz auf den »weiten Horizont« Ihres Intellekts auf und suchen die Erfahrung, die nur erfahren werden kann.
Gehen Sie nun nach Täbris und besuchen Sie dort Dag- gash Rustam, Meister der Trommel. Vielleicht will er Sie sehen, vielleicht nicht. Wenn ja, können Sie hoffen voranzukommen. Falls nicht -« Er breitete seine Hände vielsagend aus.
Dies ist kein Reisebericht, und obwohl die Fahrt nach Tä-
72
bris nicht ohne Interesse war, hatte ich ein Ziel und war nicht wegen der Sehenswürdigkeiten unterwegs. Es genügt, zu sagen, daß niemand die Reise ohne zwingenden Grund unternommen hätte!
73
IX. Daggash Rustam
Täbris, von dem der geheimnisvolle Derwisch-Lehrer Schemsi-Täbris seinen Namen hat, ist keine beeindruckende Stadt. Nervös wie ich war, fand ich die Leute weniger hilfreich und sympathisch als ich gehofft hatte. Jeder kannte den Meister Trommler, aber keiner konnte sagen, wo er zu finden war.
Ich verbrachte 10 Tage mit Suchen, bis eines Tages, als ich in einer Teestube saß, eine große Gestalt mit einem dicken Bart, gekleidet in ein zerlumptes, geflicktes Gewand, die Straße überquerte und meine Aufmerksamkeit anzog. Als er einen kleinen freien Platz erreichte, nahm er eine Trommel hervor und begann sie zu schlagen und rief dabei: »Schenkt Rustam Gehör.«
Ich sprang auf, verschüttete meinen Tee und lief schnell hinüber. Der Derwisch saß auf einem Stein und um ihn hatte sich eine Menge versammelt. Er hob seinen Stock und bat so um Ruhe.
»Ich werde euch eine Geschichte erzählen, obwohl ich nicht weiß, warum ich meine Zeit mit euch Tölpeln vergeude«, begann er. Ein anerkennendes Gemurmel zeigte, daß dies eine bekannte Eröffnungsfloskel war. Er erzählte die Geschichte des Derwischs aus Saadis Gulistan mit großer Ausführlichkeit, indem er die verschiedenen Stimmen imitierte. Er war wirklich ein Meistererzähler. Verzaubert verfolgte die Menge jede seiner Gesten und Worte und brach in donnernden Applaus aus, als er geendet hatte. Er sammelte eine Handvoll Kupferstücke und schritt ohne Dank davon, gefolgt von einem bunten Gemisch Knirpse, die anscheinend wußten, daß er in einem nahegelegenen Laden Zuckerzeug kaufen und unter die Kinder verteilen würde. Nachdem er dies getan hatte, machte er sich davon. Ich folgte.
Am Rande der Stadt verließ er die Straße, winkte mir zu fol
74
gen, überquerte ein Feld und setzte sich auf einen Felsen an einem Bach nieder. Er ließ mich niedersetzen und schaute nachdenklich ins Wasser. Einmal unterbrach ich die Stille, aber er bedeutete mir, still zu sein. Nach einer halben Stunde sprach e r . . . »Ishk Bashad.«
»Ishk«, antwortete ich. Dann: »Auch wenn du Wissen besitzt, diene wie die Unwissenden; denn es geziemt sich nicht, daß Chinesen die Pilgerfahrt machen und die Leute aus Mekka sich in der Nähe schlafen legen. Was begehren Sie von mir?« Ich antwortete: »Wissen, um die Komplexität des modernen Lebens durchdenken zu können und um die.Prin- zipien der großen Lehrer zu erfassen.«
Er stieß auf den Boden mit seinem Stock. »Solches Wissen kommt aus der Erfahrung und kann nicht aus einem Buch gelernt werden. Sie können die Großen lesen, Rumi, Jami, Ha- fiz, Saadi, aber ihre Schriften sind nur das Salz im Brot. Um den Laib zu schmecken, muß man ihn essen, muß die Erfahrung machen vom Salz in seiner Beziehung zum Mehl, der Hefe und dem Wasser. Sie betrachten Ihre Beziehung zum derzeitigen Leben auf der Basis Ihres konditionierten Hintergrundes und was Sie gelehrt worden sind zu denken.
Um Ihren Gaumen zu reinigen und einen neuen Geschmack zu ermöglichen, müssen Sie die alten Formeln, die in der Vergangenheit so schmählich versagt haben, verlassen und die wirklichen Werte suchen. Können Sie die Welt verlassen und, nur mit den Grundnahrungsmitteln ausgestattet, zurückgezogen in den Bergen leben?«
Ich bejahte es.»Sehen Sie«, nickte er bedauernd, »Sie denken immer
noch, daß man ein einsames Leben entfernt von unreinen Dingen führen muß, um Wissen zu finden. Das ist eine primitive Einstellung und mag für Wilde befriedigend sein. Sehen Sie nicht, daß ein kluger Entwicklungsweg den Erfordernissen des Tages Schritt hält? Können Sie die Nutzlosigkeit begreifen, der Welt zum Nutzen Ihrer eigensüchtigen Entwicklung zu entsagen?«
Er fuhr fort: »Sie brauchen vielleicht einen Kurs in einem
75
Sarmoun-Zentrum, aber dies bedeutet keineswegs die totale Aufgabe Ihrer weltlichen Aktivitäten. Es gibt nichts »Unreines« in vernünftiger weltlicher Aktivität, vorausgesetzt, Sie erlauben ihr nicht, Sie zu korrumpieren. Wenn Sie erfahren genug sind, können Sie sogar die negativen Kräfte dazu benutzen, Ihnen zu helfen ... aber Sie müssen geschickt genug sein.
Vom Anbeginn der Zeit haben unsere Leute die Sprache der Menschen gesprochen und handelten gemäß dem Zeitzustand des Planeten. Wir halten mit der Zeit Schritt und sind ihr sogar voraus - die jämmerlichen Überbleibsel einer alten Lehre, die ohne Wirkung ins 20. Jahrhundert projiziert wurden, sind nicht unsere Sache. Im Gegenteil, wir sind Menschen jeden Jahrhunderts, einschließlich des einundzwanzigsten. Sie haben viel über orientalisches Wissen gelesen? Was wissen Sie von der Wirkung unserer Musik auf den Westen ?«
Ich antwortete, daß ich nicht viel mehr wüßte, als daß der Walzer und einige Morris-Tänze Sufi-Wurzeln haben.
»Richtig«, antwortete er, »aber wie sind die westlichen Komponisten außer durch die Rhythmen dieser Musik noch beeinflußt worden, und durch wen haben unsere Melodien den Westen beeinflußt? Seit dem 9. Jahrhundert haben Spielmänner, Troubadoure und Barden Musik in den Westen mitgenommen, um westliches Denken zu beeinflussen. Dasselbe geschah mit der Lyra und der Flöte, und dasselbe geschieht heute mit modernen Instrumenten.
Wissen Sie von den Architekten des Mittelalters in Europa? Den Männern, deren Abteien, Kathedralen und Schlösser immer noch stehen. Wissen Sie von den Gärten, die immer noch die Kraft enthalten, die sie hatten, und sich im Westen ausbreiteten?
Dies sind nur Bruchstücke des ganzen riesigen Bildes. Können Sie dies mit zahnlosen alten Männern in Verbindung bringen, die in ungesunden Höhlen in den Bergen sitzen? Glauben Sie, daß das Schicksal der Welt durch Männer beeinflußt werden kann, deren einzige Technik und Berühmtheit in der Isolation von der Versuchung der Welt liegt? Eine
76
riesige amerikanische Industriefirma mit einem ausgedehnten Kommunikationsnetz, Steuerungsinstrumenten und Vertretungen existiert nicht, um nur ein Produkt auf den Markt zu bringen. Sollten wir, die mit dem Leben selbst zu tun haben, weniger Mittel haben?
Möchten Sie uns absichtliche Ungerechtigkeit widerfahren lassen? Was wissen Sie von den Männern, deren Aufgabe es ist, Ihre traurigen Gestalten im Westen zu fördern? Können Sie nur für einen Augenblick das Ausmaß der Bürde begreifen, ob Sie nun wachen oder schlafen? Die Bedeutung der Bürde, die sie für Sie tragen?«
Ich antwortete, daß mir langsam ein Bruchteil des Bildes bewußt würde und daß mich Ehrfurcht und Respekt erfülle, aber daß mein Mangel an Vorstellungskraft nicht von Ungerechtigkeit, sondern von Unwissen kam, was mir erst jetzt bewußt wurde. Ich fügte hinzu, daß ich nach Täbris gekommen war auf der Suche nach Gurdjieffs Lehrern, aber daß mein Interesse nun persönlicher wurde.
»Jurjizada«, sagte er, »ja, ein Schüler meines eigenen Meisters Scheich Durgui, bei dem ich im Auftrag von Scheich Yussuf aus Kairo Musik studierte. Ich war ein junger Schüler, als Gurdjieff kam und die Musik und Tänze der Mewlewis lernte. Ich erinnere mich gut an ihn und seinen Begleiter Dan Muslimov aus Buchara. Er blieb in der Tekke mit uns. Es war ein Teil unserer Aufgaben, die Feuer anzuzünden und die Tekke zu reinigen. Er blieb nur kurze Zeit und ging dann nach Kairo zurück.«
»War Scheich Yussuf ein Mewlewi?« fragte ich.»Nein, er warein Naq'schband, aber von hohem Rang und
daher ein Meister der Geheimnisse aller Orden. Solch ein Meister konnte einen Schüler zu jeder Tekke oder jedem Orden senden, wo er etwas Spezielles erlernte, das er benutzen oder lehren sollte. In Gurdjieffs Fall nehme ich an, sollte er einige Aspekte der Mewlewi-Musik und des Tanzes in einem anderen Wirkungskreis benutzen. Sein Begleiter blieb länger bei uns und kehrte dann nach Kairo zurück. Ich hörte, daß er in der Wüste verdurstete, weil er nicht genug Wasser mitge
77
nommen hatte. Gurdjieff und einige andere waren auch dabei, sie wurden aber durch einen Sandsturm getrennt. Aber Sie, wohin gehen Sie nun?«
Ich antwortete ehrlich: »Wo immer Sie mir raten hinzugehen. Ich weiß nicht, wieviel Zeit mir noch bleibt, aber ich würde sie gerne nutzen, um mein inneres Bewußtsein zu stärken.«
Er überlegte. »Scheich Abdul Muhi ist in Kairo in Al Azhar. Gehen Sie zu ihm. Wir werden uns Wiedersehen, aber gehen Sie nun nach Kairo.«
78
X. Scheich Abdul Muhi
Die Viertel der Professoren in Azhar waren fast so einfach wie die der Studenten, nur waren sie vollgestopft mit Büchern und fern vom Lärm und der Geschäftigkeit außerhalb der Mauern. Scheich Abdul Muhi hatte mich willkommen geheißen, und wir saßen in seinem Kabinett und tranken aromatischen Kaffee.
Er war ein ziemlich junger Mann in dem strengen Anzug eines Azhar Scheichs. Wir sprachen französisch.
»Scheich Yussuf, mein Lehrer, ist seit langem tot. Er war mein Vater und mein Führer, und von ihm lernte ich alles, was ich weiß. Er war der Scheich des Naq'schbandi-Ordens im Niltal. Er wurde in Kizil Jan in Turkestan ausgebildet und war ein Mann profunden Wissens und Größe, von unvergleichlicher Geduld und Zartheit. Ich erinnere mich an den Zwischenfall mit Gurdjieff, den Sie erwähnen. Sie reisten von Omdurman nach Aswan auf der Rückkehr von einem Besuch des Mahdi-Volkes, als ein Sturm sie trennte. Musli- mov hatte nicht genug Wasser und verlor während des mehrere Tage andauernden Sturmes sein Kamel und kam um. Der Scheich ordnete an, seinen Leichnam zur Beerdigung seiner Familie zu übergeben, und verbot allen, sich ohne genügend Nahrung und richtig ausgebildete Kamele in die Wüste zu wagen.«
»Hatte seine Erziehung bei Ihrem Vater mit Musik zu tun?« fragte ich.
»Nein, er studierte gewisse Übungen und Techniken. Er studierte Musik in Täbris, nachdem er hier fertig war, und kehrte für kurze Zeit hierher zurück, um von einem der Achaldaner, der von Jeddah gesandt war, geprüft zu werden. Ich erinnere mich, daß er hier die Stop-Übung und ›habs- i-dum‹ oder die damit einhergehende Atemtechnik beherr-
79
sehen lernte.* Es gab auch einige indische Fakire, die die Atemtechniken lernten.«
»Ist es wahr«, fragte ich, »daß das Wort ›Fakir« selbst eine gewisse Kraft besitzt?«
»›Fakir‹ kommt von der arabischen Wurzel Fuqr, was »Armut« bedeutet. Diese Männer wurden so genannt, weil sie weltlichen Wohlstand mieden und nach dem Wort Mohammeds des Propheten »Armut ist meine Zierde« lebten.«
Ich fragte: »Wäre es nützlich, die Übungen zu machen, die Gurdjieff machte?«
»Nein, diese besonderen Übungen waren für eine bestimmte Zeit und bestimmte Bedingungen. Sie müssen die befolgen, die besonders auf Sie und die vorherrschenden Umstände zugeschnitten sind. Diese müssen Ihnen von einem Lehrmeister gegeben werden, da sie sonst überhaupt nichts nützen.«
»Wie bekomme ich sie?«»Sie »bekommen« sie nicht! Sie müssen sie erarbeiten oder
sie verdienen. Sie werden Ihnen von einem Lehrmeister gegeben, nachdem Sie lange genug mit ihm gearbeitet haben und er erkennen kann, daß Sie davon profitieren können. Das beweisen Sie, wenn Sie die Lehre auf die richtige Weise aufgenommen haben und die Zeichen offenbaren, an denen er sehen kann, daß Sie einigen Gewinn daraus gezogen haben, so daß Sie nun anfangen können, an Ihrer Entwicklung zu arbeiten. Sie beginnen, wenn Sie die Fähigkeit erworben haben, lernen zu können.
Im Moment ist Ihr Denken unreif und unausgebildet. Sie müssen einen Gedanken durch eine Menge unzusammenhängender und unnötiger Informationen, die Sie als Wissen betrachten, durchfiltern. Diese Information hat sich seit Ihrer Kindheit in Ihnen angehäuft. Sie haben sich daran erinnert, weil Sie es mit Wissen gleichsetzen, aber es sind nur Fakten
* Siehe zur Beschreibung der »Stop-Übung«: G. I. Gurdjieff, Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen, Freiburg 1978 (Aurum-Verlag), und Idries Shah, Die Sufis, Düsseldorf 1976 (Diedrichs-Verlag).
80
und Zahlen und ein Widerhall von Dingen, die als wichtigerachtet werden; Fakten und Dinge, die durch konditioniertes Denken in einer konditionierten Gesellschaft gebilligt werden. Sie glauben, daß Sie das Wissen vergangener Zeiten geerbt hätten und fähig seien, selbständig zu denken.
Tatsächlich tun Sie nichts anderes, als ein paar Dinge durch diese Konditionierung hindurchschlüpfen zu lassen, und wählen davon das aus, was Ihnen in einer bestimmten Situation nützlich erscheint. Die Auswahl ist üblicherweise zufällig und basiert eher auf Gefühlen als auf einem positiven Bedürfnis oder wirklichem Wissen. So bauen Sie ganze Teil- stücke Ihrer reagierenden Persönlichkeit und Ihres Denkens auf, die viel zu oft von falschen Voraussetzungen ausgehen, schwach, unwirksam und gefährlich sind.«
»Was kann man tun, um diesem Muster zu entgehen?«»Denken Sie so, wie man Ihnen beibringt zu denken, und
benutzen Sie nur die bestimmten Anhaltspunkte, an die Sie sich halten sollen, um damit zu navigieren. Nur mit Anleitung in einer bestimmten Richtung könnten Sie Ihre Denkkapazitäten voll ausnutzen. Bei jedem anderen Vorgehen reagieren Sie nur und entwickeln nicht wirklich Ihre Denkfähigkeit. Dies bedeutet nicht, daß Sie in allen möglichen Situationen, wie unwichtig sie auch seien, auf vorgeschriebenem Weg denken und reagieren sollen, da dies in Ihrem täglichen Leben zum Chaos führen würde. Verbesserte Denkkapazität spiegelt sich im ganzen Organismus durch automatisch richtige Reaktion in allem wider.
Egal, ob man sich dessen bewußt ist, eine Reaktion durchdacht zu haben oder nicht, und wenn man nach den richtigen Regeln gedacht hat, wird die Reaktion richtig sein. Wenn die Reaktion nur oberflächlich ist, wird sie nicht tiefer als ein Reflex sein. Wenn sie tiefer in den trüben Teich des gewöhnlichen menschlichen Bewußtseins eindringt - zusammengesetzt aus Zerstreuungen, Verwirrung, Furcht und Unsicherheit dann wird die Reaktion so beschaffen sein, wie das, von dem sie zurückprallt, oder so, wie es gerade ausgewählt wird. Offensichtlich rufen ungenügende Klarheit, unvollstän
81
dige Ausbildung und unwirksame Denkprozesse Reaktionen hervor, die genau diese Dinge widerspiegeln.
Sie denken in diesem Moment, daß Sie denken, aber Sie benutzen nicht einmal ein Fünftel Ihres wirklichen Denkpotentials. Um von Ihren Gedanken profitieren zu können, müssen Sie wissen, wie man denkt und was man denkt, und sich nicht selbst täuschen, daß Ihre intellektuellen Übungen wirkliche Gedanken wären. Sie sind in Wirklichkeit eine abscheuliche Karikatur wirklichen Denkens, das vergiftet und verführt, und nichts, außer der Schwächung wirklicher Denkfähigkeit, bewirkt. Jedesmal, wo Sie einen dieser »Schatten- gedanken‹ akzeptieren, ermutigen Sie Ihr Bewußtsein, diese als wirklich anzusehen, und untergraben so allmählich den Wert wirklichen Denkens.«
»Kann man«, so fragte ich, »noch kreativ und frei denken, trotz dieses Denkens in »neuen Mustern‹?«
»Ihre Begriffsstutzigkeit überrascht mich«, gab der Scheich zurück. »Sie verlangen nach etwas, was Sie kreatives Denken nennen, aber es ist gerade diese »kreative Freiheit«, die Sie all diese Jahre im Stich gelassen hat. Kreatives Denken, kreative Kunst oder kreative Poesie sind alles Entschuldigungen, um die Welt den Verwirrungen auszusetzen, die in den trüben Köpfen der sogenannten intellektuellen Elite des Westens entstanden sind. Der wirklich kreative Künstler schreit seine Kreativität nicht in alle Welt. Der wirkliche Intellektuelle beansprucht niemals, einer zu sein. Es sind die Unerfüllten, die nicht Erfolgreichen, die Faulen und Törichten, die alte Fahrräder zusammenschweißen und verkünden, sie seien kreativ. Sie sind umringt von der gleichen Sorte, die den Mist mit Lob überschütten, damit sie wiederum gelobt werden.
Gemessen an den akzeptierten Maßstäben der Kunst - Farbe, Form, Wahrnehmung und Tiefe - haben Sie nichts. Sie schreien »Diskriminierung« und werfen der großen Mehrheit der menschlichen Rasse »altmodischen Konzepte« und Eifersucht vor, weil sie kein Verständnis für ihre Kunstschöpfungen zeigen. Sie behaupten, eine neue Welle im Denken, eine Revolte gegen die stagnierende Vergangenheit zu sein. Aus
82
gezeichnet! Niemand kann erwarten, daß man das preist, was nach allgemeinem Verständnis veraltet ist. Aber eine wertvolle Sache ist selten veraltet. Wenn ein Gedanke oder eine Idee im Grunde gesund ist, wird sie sich entwickeln. Die sogenannten unmodernen Konventionen, welche die jugendlichen »Besserwisser« im Westen umstoßen möchten, haben sich im Laufe der Jahrhunderte zu dem entwickelt, was sie sind. Ihrem Wesen nach schränken sie nicht ein, da Konventionen etwas von Wert nicht unterdrücken können. Wenn die Konventionen gewisse Fertigkeiten in der Kunst oder Literatur und ein gewisses Talent auf diesen Gebieten fordern, dann liegt es an Ihnen, die Eigenschaften derjenigen zu beurteilen, die diese Konventionen abschaffen möchten.
Im heutigen Westen gibt es kaum eigenständiges oder kreatives Denken oder Denker. Sie wehren sich gegen diese Feststellung, wie es ein gutkonditionierter westlicher Intellektueller sollte, aber es ist eine Tatsache. Der Westen durchläuft eine Periode lähmender Selbstprüfung seiner Werte und Überzeugungen. Gott oder der Mammon? Wo und wie sucht man Gott? Welches ist der Platz des Menschen im Universum? Keine dieser Fragen kann von einer Gesellschaft beantwortet werden, die sich gerne an jedes Wort der sogenannten, sich immer wiederholenden, modernen Denker hängt. Ihre Ergüsse sind eine Beleidigung für Generationen westlichen Denkens.
Wenn das westliche Denken während der Jahrhunderte richtig orientiert gewesen wäre, dann hätte es auf einer esoterischen Stufe Frucht getragen, jedoch hat es das nicht einmal auf exoterischer Ebene vollbracht. Ich sage Ihnen, der westliche Mensch kennt seine Grenzen und läuft jedem hinterher, der eine neue Denkweise für sich beansprucht, besonders wenn er aus dem Orient kommt. Die Menschen begeisterten sich für einige Aspekte der Lehre Gurdjieffs, weil es für sie ein Mittel darstellte, aus der Falle herauszukommen, in die sie durch ihre eigene Konditionierung geführt worden waren. Sie sahen in ihm einen Mann, der ihnen helfen konnte, die alten Werte wieder zu erlangen, auf die sie, wie sie fühlten, An
83
spruch hatten, aber zu denen sie keinen Zugang fanden, weil sie in der intellektuellen Theorie versumpften, die ihre intellektuellen Autoritäten hervorgebracht hatten.
Gehen Sie, mein Freund, suchen Sie Ihre Bestimmung, indem Sie das Richtige vom Falschen trennen, und behalten Sie das, was die Jahrhunderte überlebt hat und fortschrittlich und intakt daraus hervorgegangen ist. Nicht als alt-ehrwürdiger, zu verehrender Glaube, sondern als positiver Weg der Aktion und Reaktion. Dieser Weg existiert, er existiert überall und zu allen Zeiten, jedoch verbirgt er sich vor den Unfertigen, den Sensationshungrigen und den Zügellosen. Es ist ein harter Weg der totalen Verpflichtung und absoluter Disziplin. Seine Belohnung ist Auslöschung. Sie schrecken davor zurück? Vielleicht möchten Sie Ihre ›Identität‹ nicht verlieren, diese Chimäre, die dem westlichen Menschen so viel bedeutet? Sie haben keine Identität! Sie sind ein gesichtsloser Wanderer durch die Korridore der Zeit, ohne eigentlichen Wert und ohne Recht auf Fortschritt, nur weil Sie zufällig geboren wurden. Sie müssen Ihren Platz in der Sonne verdienen oder für immer im Schatten Ihrer ›Identität‹ sitzen! Lernen Sie sich durch Hingabe selbst kennen, und wenn Sie das geschafft haben, können und werden Sie sich gerne vom Mutterboden der Wahrheit aufsaugen lassen.
Gehen Sie zu Scheich Shah Naz in Konia. Er ist der älteste Schüler des Qutub (Säule), der die Studien Gurdjieffs leitete. Er wird Sie empfangen!«
Auf dem ganzen Weg nach Istanbul dachte ich nach. Alle Scheichs waren so kategorisch kritisch gewesen, daß ich mich fragte, ob ich mich selbst jemals von meiner westlichen Konditionierung befreien konnte und von neuem lernen konnte. Ich glaubte, daß ich dazu fähig sei, denn ich hatte einen Schimmer der Wahrheit, die hinter ihren Vorträgen lag, erhascht. Ich würde folgen, gelobte ich, so weit ich konnte.
84
XI. Scheich Shah Naz
Konia, wo Rumi lebte, predigte und beerdigt ist, dreht sich um sein Grabmal. Der Scheich war dort und sprach sein Abendgebet, danach wollte er mich sehen. Ein Junge fungierte als Dolmetscher.
Wir trafen uns in seinem einfachen Quartier hinter .dem Grabmal. Der Raum war mit abgenutzten Teppichen ausgelegt, und der Scheich in einem weißen Gewand mit einer schwarzen Kapuze, das Zeichen des Scheichs des Mewlewi- Ordens, saß auf einem weißen Schaffell auf einer niederen Couch. Vor ihm auf einem Tisch lag ein grünlicher Marmorstern mit zwölf Punkten. Ich hatte das Sufi-Ritual studiert, und ich wußte, daß dieser Stein - bekannt als der Taslim Taj - oft benutzt wird, um die Anwesenheit des Großen Scheichs des Mewlewi-Ordens anzuzeigen; und mein Blick fiel auf ein anderes Gewand, weiß mit einer blau gefütterten Kapuze. Der Große Scheich war also in Konia.
»Können Sie mir bei meiner Suche helfen?« fragte ich den Scheich beim Eintritt.
Er lächelte. »Mein Sohn, Sie sehen einen Mann vor sich, der mehr als 80 Sommer hinter sich hat und dessen eigene Suche erst halb beendet ist, aber fragen Sie, und ich will versuchen, Ihnen zu raten.«
»Ich suche nach den Männern, die Gurdjieff gelehrt haben, und würde gern als Schüler angenommen werden«, sagte ich kühn. »Ich weiß nicht, ob ich dafür tauglich bin, aber ich weiß, daß ich es versuchen möchte.«
Der Scheich schaute mich für einige Sekunden mit durchdringenden blauen Augen an. »Haben Sie Jurjizadas Schriften studiert?«
»Ja.«»Haben Sie aus ihnen gelernt?«
85
»Ich glaube nicht. Ich habe das Gefühl, daß zuviel verborgen ist und daß ich keine Möglichkeit habe, ihr Geheimnis zu durchdringen.«
»Es sind bestimmte Allegorien«, sagte er langsam. »Sie können in ihr Geheimnis nicht eindringen, da sie für eine andere Zeit sind.«
»Wie . . . ? « begann ich.Er unterbrach mich. »Kommen Sie«, und winkte mir, ihm
zu folgen.Wir gingen einen Durchgang entlang und einige Steinstu
fen hinunter in ein großes Zimmer, das unter dem Grabmal liegen mußte. Es war ein achteckiger Raum, ungefähr 20 Fuß hoch und gewölbt. Als ich umherschaute, fiel mein Blick auf etwas, das mein Herz schneller schlagen ließ, und ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Es war ein großer Pfosten aus Elfenbein mit gegliederten Armen desselben Materials. Jeder Arm wurde von einem Mann in einem weißen, weiten Derwischgewand und einer konischen Kappe gehalten. Sie standen in verschiedenen Haltungen, alle ganz still. Etwas weiter abseits saß eine Gestalt auf einem weißen Schaffell, in einem Mantel aus vielfarbigen Flicken gehüllt, der über ein weißes Gewand mit blau gefütterter Kapuze geschlagen war. Auf seinem Kopf trug er einen konischen Hut mit auffallenden Farbtönen, der lose von einem mehrfarbigen Turban umschlungen war. Auf seiner linken Schulter trug er eine seltsame dreizün- gige Schnalle aus Silber mit kleinen Türkisen, und in seiner Hand hatte er eine Schnur mit Gebetsperlen aus Elfenbein. Sein Gesicht lag im Schatten seiner Kapuze. Ich stand sprachlos und verschlang die Szene mit meinen Augen, bis mich der Scheich am Ärmel zupfte und wir wieder gingen.
Im Wohnzimmer fragte er mich: »Was sahen Sie?«Ich antwortete, daß es sicherlich ein Treffen von Derwi
schen war und daß der ›Baum‹ der sein mußte, den Gurdjieff beschrieben hatte.
»Wissen Sie, was es war?« fragte er.Ich gestand, daß ich es nicht wußte.»Es war ein Kommunikations-, Unterrichts- und Meßappa
86
rat. Die Männer, die die Arme hielten, waren in tiefer Verbindung mit dem Meister und im ›Stop‹-Zustand. Hierdurch kann er sie auf einer tiefen Ebene unterrichten und ihre Reaktionen abschätzen. In jedem größeren Unterrichtszentrum gibt es einen. Durch ihn spricht der Meister zu uns.«
»Darf ich fragen, wer er war und warum Sie mir dies zeigten?«
»Er war einer der Qutubs, und sie waren von den Abdals. Was Sie daraus lernen sollten, überlasse ich Ihnen.«
»War er einer der Lehrer von Gurdjieff?«»Gurdjieff sah ihn niemals.«»Hat Gurdjieff den ›Baum‹ gesehen?«»Nein, er wird nie auf die Weise benutzt, in der er es be
schrieben hat.«»Können Sie mir sagen, ob ich irgendeine Chance habe, in
irgendeiner Schule als Schüler akzeptiert zu werden?«»Sie müssen verstehen, daß wir keine Rekruten ausbilden«,
antwortete der alte Mann. »Wir wählen aus oder lehnen ab. Heute nacht werden Sie mit einigen unserer Freunde zusammensitzen, und morgen werden Sie nach Meshed fahren und dort Ihre Erfahrungen von heute nacht Hassan Kerbali berichten. Er wird Ihre Fragen beantworten. Gehen Sie mit unserem Freund und reisen Sie früh am Morgen ab.«
Später am Abend, nach dem Essen, wurde ich in einen Raum geführt, wo vielleicht ein Dutzend Männer saßen. Sie hatten europäische Kleidung an und saßen auf kleinen Teppichen. Jeder trug ein weißes Scheitelkäppchen, das mit weißer Seide bestickt war. Man gab mir ebenfalls ein Käppchen, und ich setzte mich auf einen freien Platz im Kreis.
Nach einigen Minuten begann eine Trommel zu schlagen, und die klagenden Töne einer Flöte durchdrangen die Stille. Ich versuchte nichts zu denken und schloß meine Augen, um die Musik in mich eindringen zu lassen. Die Musik und die beharrlichen Trommelschläge hatten eine hypnotische Wirkung auf mich, und es schien mir, als würde ich durch den Raum auf einen hellen Stern zugetrieben, der verschiedenfarbige Strahlen aussandte. Der weiche, gemurmelte Gesang
87
von Hu, Hu drang in mein Bewußtsein, und ich sang mit, weil ich es machte und nicht, weil ich dachte, daß ich es sollte.
Einige Minuten vergingen, der Stern wurde größer, und über der Musik und dem Gesang hörte ich eine Stimme in persisch. Ich hatte den Satz oft gelesen und kannte ihn, den Anfangsvers aus Rumis Mathnavi: »Bisnev zi nay chun hi- kayat mikundad« (Lausche der Erzählung des Schilfrohrs). Wiederholt sprach die Stimme denselben Satz, und dann kam ich auf die Erde zurück, und der Stern verschwand mit einem Aufleuchten. Es war Morgen.
Meine Reise nach Meshed beeindruckte mich kaum. Ich war innerlich zu erfüllt. Meine »einige Minuten« Meditation hatten in Wirklichkeit einige Stunden gedauert. War dies Hypnotismus? Warum sollte es sein? Welchen Nutzen hätte es? Die Fragen jagten sich in meinem Gehirn. Dann entspannte ich mich; meine Mission war es, mich zu erinnern und zu berichten und es nicht subjektiv zu untersuchen.
88
XII. Hassan Kerbali
Hassan Kerbali war Emailleur im Tilla Shahi Bazar in Mes- hed. Ich erzählte ihm von meiner Erfahrung, und er hörte ernst zu. Als ich geendet hatte, schaute er auf.
»Diese Worte sind Ihr Ausweis. Die verschiedenen Mitglieder der Gruppe hörten verschiedene Worte, je nach ihrer Fähigkeit, diese zu verstehen. Sie müssen unten beginnen, ohne Hast und Ungeduld. Sie müssen der Erzählung des Schilfrohrs lauschen. Wenn Sie dies tun können und nicht zurückschauen, wenn Sie sich vollkommen verpflichten können, dann können Sie am Verstehen arbeiten. Wenn Sie alte Ideen und intellektuelle Spielereien in Ihr erwachendes Bewußtsein hineinlassen, werden Sie die Stütze, die Sie in der Wirklichkeit haben, verlieren.«
»Ich bin bereit, es zu versuchen«, sagte ich. »Ich hoffe, daß ich den Mut dazu habe, da ich sosehr das Ergebnis meiner Konditionierung bin.«
»Benutzen Sie die weltliche Konditionierung nicht immer wieder als Entschuldigung«, kam der freundliche Tadel. »Viel müssen Sie sich selbst zuschreiben. Sie hätten viel zurückweisen können, was Sie unkritisch übernommen haben.
Der Mensch ist von Grund auf habgierig, faul, schont sich selbst und sucht jede Gelegenheit, um Aufgaben zu vermeiden, die Anstrengung benötigen. Körperliche Anstrengung ist weniger schwierig als geistige Anstrengung und Anstrengung für eine innere Entwicklung sogar noch schwieriger. Geistige Schulung ist ein Ergebnis ganz entschiedener Disziplin. Es ist kein Zufall, daß einige sie haben und einige nicht. Wenn Sie bereit sind, mit sich selbst zu kämpfen, gut; wenn nicht, suchen Sie einen leichteren Weg, der Sie nirgendwohin führen wird, aber Sie zur Annahme verleitet, die Geheimnisse des Lebens würden offen vor Ihnen liegen.
89
Zen, Theosophie oder Yoga sind alles Zufluchtsstätten für die Unfähigen, die damit ihre Zeit ausfüllen möchten und meinen, etwas Übernatürliches und scheinbar Lohnendes dafür zu erhalten. Wenn sie für ihre geistige Entwicklung nur ein Viertel der Energie aufwenden würden, die sie für verschiedene Verrenkungen oder andere seltsame Dinge vergeuden, würden sie weiterkommen.
Gehen Sie nun zu Scheich Mohamed Daud in Qandahar. Sagen Sie ihm, Hassan Chainaki läßt ihn grüßen.« Und er beschäftigte sich wieder mit seiner Arbeit.
Beim Überschreiten der afghanischen Grenze fühlte ich, daß ein wirklicher Fortschritt gemacht worden war. Gurdjieff hatte Afghanistan und Buchara, den Amu Darya, den Hindukusch und Kafiristan in seinen Schriften für besonders bedeutend gehalten, und ich fühlte, daß ich mich in der Heimat der Tradition befand.
90
XIII. Scheich Mohamed Dand
Qandahar war heiß, staubig und gastfreundlich. Scheich Daud hatte ein Teehaus in der Nähe des Schreins des Mantels des Propheten. Er grüßte mich herzlich und traf Vorkehrungen, damit ich bei seinem Sohn wohnen konnte. Ich gab ihm die Botschaft aus Meshed, und sein bärtiges Gesicht wurde ernst.
Er sagte feierlich: »Bruder, der Weg, den Sie gewählt haben, ist lang und mühsam. Nichts als totaler Gehorsam gegenüber Ihrem Lehrer wird Ihnen über die Schwierigkeiten helfen, denen Sie begegnen werden. Vollkommener Glaube und Vertrauen in ihm ist Ihre einzige Richtschnur. Jedes Zögern, jede negative Reaktion werden nicht nur stören, sondern werden Zweifel und Irrtümer erzeugen, die Ihr Verstehen trüben werden.
Vergessen Sie nun alles über Gurdjieff. Diese Lehre ist nicht für Sie. Was jetzt veraltet ist, wird Ihnen nichts nützen. Eine Lehre, die dazu bestimmt ist, in einer bestimmten Zeit vermittelt zu werden, kann nur so lange bestehen, bis ein anderer Abschnitt auftaucht. Wenn die neue Phase in Gang kommt, wird die alte Lehre steril, und nur die organischen Überreste überleben und werden in die neue Entwicklungsphase übernommen. Sogar wenn Sie diese Fragmente festhal- ten könnten, würde Ihnen das nicht helfen, da sich das Grundgefüge geändert hat und die Beziehung zwischen den einzelnen Faktoren einer subtilen Neuordnung unterzogen wurde. Gurdjieff hatte verschiedene Dinge zu sagen, und er sagte sie. In dem Augenblick, als die Fragmente, die er hatte, in einen anderen Wirkungsbereich übergeführt wurden, hörte seine Lehre auf, irgendeinen Wert zu haben. Was im Westen existiert und darauf beruht, was er tat und sagte und nicht auf dem, was er wußte, ist ein Schatten subjektiver Ein
91
bildung. Es wurde eher eine Lebensweise als ein Weg zu einem Ziel.«
»Kann jemand«, fragte ich, »der seiner Lehre folgte, etwas profitiert haben?«
»Nur in dem Maße, wie es ihn ermutigte, ein höheres Bewußtsein zu suchen, und ihn daran erinnerte, daß es einen anderen Lebensbereich gibt. Die Lehre vermochte nicht, ihm zu helfen, in dieses Reich zu gelangen.«
»Wenn es reine Allegorie war«, fragte ich, »ist es dann nützlich, nach den Erklärungen zu suchen?«
»Sie erscheinen mir nicht unintelligent«, war die vernichtende Antwort, »doch zeigen Ihre Fragen eine seltsame Unreife der Gedanken.
Was inspiriert Sie dazu, eine alte Lehre durchzuarbeiten? Nehmen wir z. B. an, Sie entdecken, daß der Alte Mann in All und Alles wirklich der Prophet Mohammed ist und sein Enkel Hussein, Imam Hussein, der Enkel des Mohammed. Wohin bringt Sie das? Wäre es nicht besser, damit anzufangen, diese Fakten zu kennen und sie als Anleitung zu benutzen, als Zeit und Energie daraufzu verwenden, vieles durchzuackern, um sie zu entdecken, und dann unfähig zu sein, sie im Kontext mit den früheren Aktivitäten Gurdjieffs zu benutzen?
Möchten Sie auch wissen, daß das Organ Kundabuffer, auf das sich Gurdjieff bezieht, aus zwei persischen Wörtern zusammengesetzt ist: kund, abstumpfen und farr Pomp oder Pracht. Das zusammengesetzte Wort ist daher ein technischer Ausdruck, der bedeutet, die Wahrnehmung durch Anmaßung oder Selbstliebe abzustumpfen. Wieviel Zeit hätten Sie benötigt, um dies auszuarbeiten und zu begreifen, was es bedeutet und wie es verwendet wird? Sie möchten die Allegorien und Schwierigkeiten vergessen, die vorher wichtig waren, und sich gründlich der Hauptlinie der Tradition, wie sie heute zur Verfügung steht, widmen. Sie dürfen keine Zeit mit akademischer Forschung oder intellektueller Untersuchung von Halbwahrheiten verschwenden. Wenn Sie sich um die Analogie von diesem und jenem kümmern, werden Sie nur Ihre eigenen Neurosen nähren. Wenn Sie dies befrie
92
digt, dann tun Sie es. Hoffentlich behalten Sie Ihre geistige Gesundheit!
Mein eigener Meister, Dil Bar Khan Hululi, lehrte Gurdjieff. Ich weiß, was er ihn lehrte. Möchten Sie, daß ich Sie etwas lehre, was Sie nicht mehr verwenden können? Oder wäre es nicht besser, einen Entwicklungsweg zu wählen, der sich auf organische Weise mit einer evolvierenden Welt deckt, in der ein Mensch seine Verwirklichung finden muß? Beide Wege stehen Ihnen offen, aber nur einem können Sie folgen. Ich werde Sie nach Peshawar senden, wenn Sie dazu bereit sind, und von dort aus werden Sie allein reisen.«
»Scheich«, antwortete ich, »ich bin bereit, nach Peshawar zu reisen. Meine einzige Absicht ist es, eine Lehre zu finden, mit deren Hilfe ich mich aus der Klemme befreien und mich entwickeln kann. Ich folgte zuerst Gurdjieffs Weg, da ich keinen anderen kannte, aber ich bin bereit, dem Weg zu folgen, der mir Hoffnung gibt, Bewußtsein zu erlangen.«
»Sehr gut«, antwortete der Scheich. »Gehen Sie zu Ahmad Mustafa, dem Schmied in Peshawar. Sagen Sie ihm, daß Sie kamen, um dem Scheich ul Mashaikh die Ehre zu erweisen, und er wird Sie beraten. Denken Sie daran, daß der Weg hart sein wird, und wenn Sie straucheln, können Sie sich nur selbst helfen. Erwarten Sie keine Wunder, aber denken Sie daran, daß am Ende tiefes, dauerhaftes Bewußtsein steht. Ishk Bashad!«
Ich wußte, daß ich recht hatte. Ich hatte mehr als nur ein Gefühl, daß ich den Weg zur Quelle gefunden hatte. Vielleicht rührte dies daher, daß ich schon auf eine neue Art dachte, ohne alles durch eine Menge konditionierter Reaktionen zu filtern. Ich bemerkte, daß ich meine Motive nicht analysierte und nicht mehr mechanisch »Selbsterinnerung« übte. Ich nahm Wissen und Information auf und speicherte es bewußt bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich es benötigen würde. Ich wußte, daß einiges davon schon in mir wirkte und die Spinnweben lebenslanger Trägheit aus mir hinausfegte.
Es wurde mir immer klarer, daß die Antwort auf meine Fragen, die ich suchte, in den Sufi-Lehren lagen, aber daß sie
93
viel leichter verstanden wurden, wenn man sie von einem neuen, unkonditionierten Gesichtspunkt aus betrachtete. Ich begann zu sehen, daß wir selbst unser Leben verkomplizierten und unser bestehendes Bewußtsein durch Faktoren trübten, die keinen wirklichen Platz hatten und Widerspiegelungen eines Geisteszustands waren, der auf einem Mangel an diszipliniertem Denken beruhte.
Ich wußte, daß ich mich vollständig in die Lehre versenken mußte. Das war der einzige Weg. Ich konnte keine oberflächliche Beziehung dazu haben oder ein »intellektueller Sufi« werden, denn so etwas gibt es nicht. Entweder ist es vollständige Unterordnung und vollständige Identifikation mit dem Lehrer oder nichts. Halbherzige Ergebenheit kann nur den entferntesten Schatten dessen erzeugen, was eine solche Beziehung wirklich sein kann.
Der Mensch hat immer »intellektuelle Freiheit« beansprucht, was das Recht bedeutet, zu jeder Zeit alles zu bemängeln, was ihn nicht mehr interessiert, um etwas Aufregenderes an dessen Stelle zu setzen. Die Loyalität der Menschen geht nicht weit, sogar wenn es um ihre eigene Zukunft geht.
Es war mir ganz klar, daß akademisches oder intellektuelles Denken gegenüber einer tiefen Lehre wie dem Sufismus für die Lernfähigkeit einer Person schädlich war. Akademische oder intellektuelle Untersuchung kann ihre Begrenzung nicht übersteigen, auch nicht in ihrer abstraktesten Form.
94
XIV. Ahmad Mustafa Sarmouni
Ahmad Mustafa der Schmied war ein Mann, dessen Alter weit über 80 hätte sein können, aber er hatte die Erscheinung eines Mannes von 50. Sein Gesicht war zerfurcht, aber ausgeruht, und sein ungetrübter Blick verriet inneren Frieden. Er grüßte mich würdig in gutem Englisch, obwohl er langsam sprach und seine Worte maß, bevor er sprach.
Er fragte, ob ich verstand, was meine Suche motiviert hatte?
Ich antwortete, daß ich begann, es zu verstehen. Zuerst war es die Suche nach bestimmten Männern, aber nun war es die Suche nach einer Lehre, um ein inneres Bedürfnis zu stillen.
Er nickte ernst. »Man sollte nur der Lehre eines Mannes folgen, wenn dies dazu führt, eine Verbindung mit dem Hauptstrom einer gültigen Entwicklungstradition herzustellen. Wenn dies nicht der Fall ist, wird ein Personenkult daraus, und die Entwicklungsmöglichkeiten werden von der Leistung des Mannes begrenzt, dem man nachfolgt.
Gurdjieff, der hier in diesem Haus war, lehrte, daß Fortschritt durch neue Gedanken und Aktion erzielt wird. Da er selbst Grenzen hatte, konnte er nur innerhalb seiner Grenzen und seines Auftrags lehren. Verbunden mit dem Zeitelement ist sein Lehrauftrag nicht vollendet worden.
Der Mann, der Gurdjieff in die Lehre aufnahm, war mein eigener Meister Scheich ul Mashaikh. Der Scheich hatte ihn ausgewählt, um einige der Reaktionen des Westens auf die Einführung der Sufi-Gedankenwelt, die im Laufe von Jahrhunderten entwickelt worden war, zu testen. Gurdjieff berichtete regelmäßig über die Experimente, die er ausführte. Schon vor seinem Tod war diese Arbeit beendet und doch versuchen manche, das weiterzuschleppen, was sie als Lehre
95
ansehen, obwohl sie wenig über die Technik und noch weniger über das Ziel wissen. Auch wenn dieser Arbeitsabschnitt noch gültig wäre, könnten sie nichts damit anfangen. Immer wieder ist ihr Recht und ihre Lehrbefähigung in Abrede gestellt worden. Wir werden die Verbindung mit ihnen nicht öffentlich dementieren, auch wenn sie geheimnisvoll von ›Zentren‹, ›Kontakten‹ und ›Klöstern‹ usw. sprechen. Diejenigen, die diesem Zirkus folgen und ihn akzeptieren, sind damit und mit dem Versprechen, das scheinbar erfüllt wird, zufrieden.«
Er machte eine Pause, und ich fragte: »Ist das aber nicht unfair denen gegenüber, die ihr Vertrauen in die Lehre gesetzt haben?«
Er machte eine gereizte Geste. »Nein, denn die wirkliche Lehre war immer verfügbar, und man konnte sie finden. Wenn sie an den fraglichen Kapriolen Gefallen finden, ist dies ihr Niveau. Diejenigen, die sich nicht von der äußerlichen Geheimniskrämerei und Exklusivität und dem Anspruch auf direkte Verbindung mit uns verwirren lassen, haben immer einen Weg gefunden, in direkten Kontakt mit der wahren Lehre zu treten. Man kann uns immer finden - Sie selbst zeugen davon -, aber ob man aufgenommen wird oder nicht, das ist eine andere Frage. Sprechen Sie nicht in Begriffen von fair und unfair. Sie wissen es nicht; Sie sind konditioniert und subjektiv. Sie sind nicht wirklich. Sie brüsten sich selbst mit der Freiheit der Wahl.
Lassen Sie sich sagen, daß gerade diese Freiheit einer der Faktoren ist, der Sie am meisten verwirrt und schwächt. Es gibt Ihnen freie Fahrt für Ihre Neurosen, Ihre oberflächlichen Reaktionen und Ihre Geistesverwirrungen. Ihr Ziel sollte Freiheit von der Wahl sein! Vor zwei Möglichkeiten gestellt, verbringen Sie Zeit und Kraft damit zu entscheiden, welche Sie akzeptieren sollten. Sie gehen das ganze Spektrum politischer, emotionaler, sozialer, materieller, psychologischer und physiologischer Konditionierung durch, bevor Sie die Antwort haben, die Sie dann sogar meistens nicht befriedigt. Wissen Sie, können Sie begreifen, wie frei Sie sind, wenn Sie
96
keine Wahl haben? Wissen Sie, was es bedeutet, so schnell und sicher zu wählen, daß Sie überhaupt keine Wahl haben? Die Wahl, die Sie treffen, Ihre Entscheidung, basiert dann auf einem so positiven Wissen, daß es gar keine zweite Alternative gibt.
Sie werden dieses Buch studieren, es ist in Englisch«, fuhr er fort. »Einiges wird Ihnen bekannt Vorkommen. Seien Sie nicht überrascht, Gurdjieff hat Tiefes daraus entnommen. Wenn der rechte Zeitpunkt da ist, werde ich Sie weitersenden. Sie werden als Motiv für Ihre Reise archäologische Studien angeben und niemandem gegenüber Ihre Verbindung mit der Tradition erwähnen, außer denen gegenüber, die dieses Zeichen benutzen oder das Losungswort, das man Ihnen geben wird. Lassen Sie sich nicht auf politische Dinge ein, die in Peshawar hin- und herschwanken. Sie sind ein Schriftsteller ohne politische Verbindungen.«
Ich blieb einen Monat in Peshawar. Während dieser Zeit las ich wiederholt Den umzäunten Garten der Wahrheit von Hakim Sanai. Es war eine Offenbarung. Hier standen in allen Einzelheiten die Grundlagen von Gurdjieffs Schriften. Wenn ich noch einen Beweis benötigt hätte, hier war er.
Eines Abends kam die Aufforderung. »Nehmen Sie den Postbus nach Jelalabad. Bleiben Sie im Hotel und warten Sie dort auf Anweisungen. Ihr Führer wird Sie grüßen m i t . . . «
Ich bemerkte kaum den Staub, das Rütteln und die Unbequemlichkeit der Reise, so eifrig war ich damit beschäftigt, mich auf die erhoffte Erfahrung vorzubereiten.
97
XV. Der Scheich ul Mashaikh
Ich sah mir Jelalabad kaum an. Die staubige Stadt interessierte mich kaum, trotz ihrer Gärten und ihres interessanten Basars, da ich befürchtete, nicht im Hotel zu sein, wenn die Aufforderung kam. Sie kam auf ungewöhnlichem Wege; ich hatte ein Taxi genommen und ließ mich zum Grab des Amir Habibullah Khan fahren. Der Fahrer brachte mich tief in die Altstadt, hielt vor einer kleinen Moschee, stieg aus, öffnete meine Tür und führte mich mit einem gemurmelten ... in die Moschee.
Im Hof saß ein jüngerer Mann in einem weißen Gewand und schwarzem Turban mit einem stattlichen, leicht grauen Spitzbart. Er bedeutete mir, mich niederzusetzen, und sah mich überlegend für einige Sekunden an, bevor er in perfektem Englisch zu sprechen begann.
»Sie sind hierhergekommen, um die Quelle der Lehre zu finden. Sie möchten als Schüler aufgenommen werden. Die Kraftzentren sind kaum einhundert Meilen von hier, aber Sie können sie nicht besuchen.«
Er schwieg, und ein Gefühl der Mutlosigkeit überfiel mich, aber er sprach erneut.
»Sie sind Europäer. Sie müssen im Westen leben, arbeiten, studieren und sich entfalten. Aus diesem Grunde gibt es Arbeitszentren im Westen. Sie haben diese Reise gemacht, eine Entdeckungsreise, um herauszufinden, wo die Lehre ist und wo man sie aufnehmen kann. Die Lehre ist hier, aber hier können Sie nicht daran teilnehmen. Sie werden nach Europa zurückkehren und einer Gruppe beitreten. Ihre Reise hat viel Geld und Zeit gekostet, Sie hätten beides besser verwenden können.
Sie können ein Schüler werden. Sie können dem Weg folgen. Sie werden vollkommen unter der Leitung von denjeni
98
gen sein, die im heutigen Zeitabschnitt für die Lehre verantwortlich sind. Lassen Sie Ihr früheres Selbst, konditioniert und befleckt durch jahrelange gierige Genußsucht, in den Abgrund fallen. Arbeiten Sie, um ein neues Äußeres zu bekommen, auf das die Wirklichkeit geschrieben werden kann. Fragen Sie nichts, gehorchen Sie. Fühlen Sie Ihren Weg mit Ihren neuen Händen und lassen Sie Ihre neuen Augen zu neuen Horizonten schauen. Sie haben viel zuviel Zeit damit verbracht, Ihre Selbstachtung zu polieren. Vermeiden Sie diesen bedeutungslosen Zeitvertreib und versuchen Sie zu leben, nicht nur zu existieren.
Kehren Sie nach Europa zurück, an den Ort, zu dem ich Sie schicken werde. Erzählen Sie niemandem, wo dieser Ort ist und wen Sie dort antreffen, sondern tauchen Sie in seine Baraka ein.«
99
Schlußwort
Ich kehrte nach Europa zurück und suchte das Zentrum auf, zu dem ich gesandt worden war. Es war 10 Meilen von meinem Haus entfernt! Ich studiere und lerne und mache Erfahrungen, die ich mir früher nicht vorstellen konnte. Ich kann keine weiteren Einzelheiten verraten, da ich befürchte, daß die Zügellosen, die Sensationshungrigen und die Querulanten eine große Sache aus diesem »neuen Orden« machen und den großen Entwicklungsplan stören werden. Andere mögen denselben Weg gehen wie ich oder versuchen, dieselben Schlüsse zu ziehen, aber bevor sie in den »geheimnisvollen Osten« Vordringen, sollten sie eine Passage aus den Traditionen lesen, die ich hier wiedergeben darf:
Die Parabel von dem Brotlaib oder den drei Bereichen
Diejenigen, die verwirrt sind - und viele Leute sind unbestreitbar verwirrt worden - durch das anscheinende Kommen und Gehen verschiedener Abschnitte der Lehre vom Schicksal des Menschen und dem »inneren Leben«, sollten zuerst diese alte Parabel anhören.
Lassen Sie uns bei der Darlegung der Parabel drei Dinge in Betracht ziehen; den Weizen in den Feldern, das Wasser im Fluß und das Salz im Bergwerk. Das ist die Beschaffenheit des natürl ichen Menschen, der Zustand des ersten Bereiches. Die drei Dinge befinden sich in einem Zustand der Potentialität, jedes ist auf seine eigene Weise gewachsen und hat sich entwickelt.
Im zweiten Bereich haben wir jedoch einen Zustand, wo etwas getan werden kann. Der Weizen wurde zu Mehl gemahlen, das Wasser wurde gesammelt und aufbewahrt, das Salz gewonnen und raffiniert. Dies ist der Bereich der Aktivi-
100
tat, der Arbeit und der Anwendung bestimmten Fachwissens zur Erzeugung gewisser Ergebnisse. Dies ist auch die Phase des theoretischen Lehrers, in der gewisse Materialien für den dritten Bereich vorbereitet werden.
Der dritte Bereich tritt in Kraft, wenn das Wasser, Salz und Mehl gemischt werden, um Teig zu machen. Wenn die Hefe hinzugefügt wird und der Ofen zum Backen des Laibes vorbereitetwird, wird auch das Wissen über das Brotbacken eingebracht. Dieses hängt genausoviel vom Gefühl als auch vom theoretischen Wissen ab.
Das ist die Stufe dessen, was wir als Schule bezeichnen.Wenn die Rohmaterialien verfügbar sind, aber nicht verar
beitet werden, können sie nur ihre natürliche Wirkung entfalten. Etwas geschieht - aber nur in ihrem eigenen Bereich - dem ersten. Im zweiten Bereich, wenn die Materialien entdeckt, verarbeitet, systematisch geordnet und aufbewahrt werden, wäre es dumm, zu versuchen, sich mit dem dritten Bereich zu beschäftigen. Nur im dritten Bereich können die Endprozesse stattfinden, die einen speziellen »Bäcker« erforderlich machen.
Die derzeitige Situation ist die des dritten Bereiches. Menschen, die an den ersten und zweiten Bereich gebunden sind, können den Prozeß nicht klar sehen. Daher gehen die meisten ihrer Fragen von der Annahme aus, daß sie in den ersten beiden Bereichen sind. Andere arbeiten im zweiten Bereich, ohne zu bemerken, daß das Brot fertig zum Backen ist. Bis dieses Konzept des geordneten Fortschritts des Großen Werkes ganz klar angenommen wird, wird die Verwirrung anhal- ten, und es wird nicht möglich sein, sich den Leuten mitzuteilen, deren Inkonsequenz teilweise von der Verwirrung der verschiedenen Bereiche und teilweise von ihrem Wunsch herrührt, sich etwas anzuschließen, ohne sich der tatsächlichen Stufen der »Arbeit« gewahr zu werden.
Nichts kann durch Experimentieren, Versuch und Irrtum erreicht werden, auch nicht durch Arbeit in einem Bereich, der nicht für die heutige Zeit, diesen Ort oder diese Gemeinschaft und ihre wirklichen Bedürfnisse nützlich ist. Ihre wirk-
101
liehen Bedürfnisse unterscheiden sich von den allgemeinen theoretischen Bedürfnissen der Menschheit als Ganzes, wie es in dem vorbereitenden Material umrissen wurde, das von vielen als wirkliches »Arbeitsmaterial« benutzt wird.
Der Erfolg der »Arbeit« des dritten Bereiches hängt immer von der richtigen Formulierung zur rechten Zeit, am rechten Ort und bei den richtigen Leuten ab. Dies wird von den ständigen Hütern der Tradition versichert.
Was ich so lange gesucht habe, habe ich nun endlich gefunden. Nicht in den grotesken Kapriolen eines veralteten Systems, nicht in den Dialogen der Intellektuellen, noch in den tiefen und geheimnisvollen Winkeln des Hindukusch, sondern hier in meinem eigenen Land. Ich habe herausgefunden, daß sich die wirkliche Tradition gemäß ihrem Auftrag und Zweck verbreitet hat, um der ganzen Menschheit den einzig wirklichen, tiefen und sinnvollen Weg zu zeigen, der den Menschen zu einer Verwirklichung seines Schicksals führen kann.
102
Ganzheitlich wohnen und leben
Die jahrtausendealte chinesische Kunst des Feng Shui findet mittlerweile auch in der westlichen Welt immer mehr Anhänger, da die Bedeutung von ökologischem Planen, Bauen und Wohnen für unsere Gesundheit bekannt ist. Dieses Standardwerk gibt einen umfassenden Einblick in die faszinierende Tradition des Feng Shui und bietet eine Fülle von Tips, Anleitungen und Verbesserungsvorschlägen für ein Leben mit den positiven Energien einer natürlichen Umgebung.
Eva Wong Feng ShuiDie chinesische Kunst, Lebensräume harmonisch zu gestalten368 Seiten mit zahlr. Abb. Ullstein TB 35732
Ullstein Taschenbuch
Beweise für ein Leben nach dem Tod
Existiert der Himmel? Wie könnte er aussehen? Kommen wir dorthin, wenn wir in unserem Leben Schlechtes getan haben? Werden wir unsere Freunde und Lieben Wiedersehen?Die Journalistin Mally Cox- Chapman erörtert diese und weitere Fragen, basierend auf über fünfzig Interviews mit Menschen, die ein Nahtod- Erlebnis hatten.
Mally Cox-Chapman Begegnungen im HimmelBeweise für ein Leben nach dem Tod 240 Seiten Ullstein TB 35690
Ullstein Taschenbuch
»Was ich so lange gesucht habe, habe ich nun end
lich gefunden... Nicht in den Dialogen der Intellek
tuellen, noch in den tiefen und geheimnisvollen
Winkeln des Hindukusch, sondern hier in meinem
eigenen Land. Ich habe herausgefunden, daß sich
die wirkliche Tradition gemäß ihrem Auftrag und
Zweck verbreitet hat, um der ganzen Menschheit
den einzig wirklichen, tiefen und sinnvollen Weg
zu zeigen, der den Menschen zu einer Verwirk
lichung seines Schicksals fuhren kann.«
Gurdjieff war einer der bedeutendsten Mystiker
und spirituellen Lehrer dieses Jahrhunderts - und
einer der geheimnisvollsten. Zu seinen Anhängern
zählten Namen wie Cocteau, Gide, Diaghilew,
Huxley und Katherine Mansfield. Dieses Buch
macht uns mit einem der wichtigsten Dokumente
der authentischen Sufi-Tradition im Westen des
20. Jahrhunderts vertraut.