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Gewässer von Fredy Elber, Tino Stäheli & Mathieu Camenzind Revitalisierung von Fliessgewässern in Zeiten des Klimawandels Natürlicherweise beschattet Nach den Eiszeiten war die Schweiz aus- serhalb von Feuchtgebieten bis zur Wald- grenze dicht bewaldet (Abb. 1). Fliessge- wässer waren von Gehölzen gesäumt und dadurch in der Regel stark beschattet und kühl. Offene, besonnte Flächen an kleine- ren Bächen fanden sich mit Ausnahme der höher gelegenen Gebiete nur in Ried- landschaften oder dort, wo der Wald durch Störungen (Feuer, Windwurf, u. a.) Lücken aufwies. Grosse Fliessgewässer hingegen waren abschnittsweise schon immer besonnt (Auen, breites Gerinne). Dies machte jedoch einen geringen Anteil der Fliessstrecke des Gewässernetzes aus. Einheimische Wasserlebewesen sind des- halb mehrheitlich an tiefere Temperaturen und die damit verbundenen chemisch- physikalischen Bedingungen angepasst. Mit der Entwicklung des Ackerbaus und der Viehwirtschaft wurde durch Rodung aus der Waldlandschaft die Kulturland- schaft (Abb. 1). Bevölkerungswachstum, Industrialisierung sowie Verkehrs- und an- dere Infrastrukturanlagen benötigten im- mer mehr Flächen zu Lasten der Wälder und die intensive Nutzung des Raumes führte zur Verbauung und Begradigung der Gewässer. Die einstmals gewässerbe- gleitende Vegetation wurde auf ein Mini- mum reduziert oder entfernt (siehe Abb. 2) . So wurden aus beschatteten, kühlen Bächen besonnte Fliessgewässer, die sich stark erwärmen können. Darunter leiden die angepassten Populationen. Können sie nicht in kühlere Gewässer ausweichen, droht sogar ein Verschwinden ganzer Bestände. Effektverstärkend kommt ne- ben künstlichen Wasserausleitungen hin- zu, dass sich aufgrund des Klimawandels der Abfluss in den Gewässern ändert und bei nicht gletscherbeeinflussten Gewäs- sern im Sommer mit deutlich weniger Wasser zu rechnen ist. b Abbildung 1: Entwicklung der Bestockung entlang von Fliessgewässern in der Schweiz unterhalb der Waldgrenze. 1 Fliessgewässer nach der Eiszeit. Umgeben von Wald, stark beschattet. 2 Fliessgewässer im Mittelalter. Anthropogene Einflüsse verstärkt vorhanden. Meist noch bewaldet, Siedlungen gewässerfern. 3 Fliessgewässer heute: Anthropogene Einflüsse überwiegen. Begradigungen, Verbauungen, fehlende Bestockung. 4 Fliessgewässer morgen: Anthropogene Einflüsse nehmen etwas ab. Revitalisierte Abschnitte. Begleitender Gehölzstreifen i.d.R. vorhanden. 1 3 2 4 Quelle: AquaPlus Quelle: AquaPlus

Revitalisierung von Fliessgewässern in Zeiten des Klimawandels...halb mehrheitlich an tiefere Temperaturen und die damit verbundenen chemisch-physikalischen Bedingungen angepasst

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Page 1: Revitalisierung von Fliessgewässern in Zeiten des Klimawandels...halb mehrheitlich an tiefere Temperaturen und die damit verbundenen chemisch-physikalischen Bedingungen angepasst

Gewässer

von Fredy Elber, Tino Stäheli & Mathieu Camenzind

Revitalisierung von Fliessgewässern in Zeiten des Klimawandels

Natürlicherweise beschattet

Nach den Eiszeiten war die Schweiz aus-

serhalb von Feuchtgebieten bis zur Wald-

grenze dicht bewaldet (Abb. 1). Fliessge-

wässer waren von Gehölzen gesäumt und

dadurch in der Regel stark beschattet und

kühl. Offene, besonnte Flächen an kleine-

ren Bächen fanden sich mit Ausnahme

der höher gelegenen Gebiete nur in Ried-

landschaften oder dort, wo der Wald

durch Störungen (Feuer, Windwurf, u. a.)

Lücken aufwies. Grosse Fliessgewässer

hingegen waren abschnittsweise schon

immer besonnt (Auen, breites Gerinne).

Dies machte jedoch einen geringen Anteil

der Fliessstrecke des Gewässernetzes aus.

Einheimische Wasserlebewesen sind des-

halb mehrheitlich an tiefere Temperaturen

und die damit verbundenen chemisch-

physikalischen Bedingungen angepasst.

Mit der Entwicklung des Ackerbaus und

der Viehwirtschaft wurde durch Rodung

aus der Waldlandschaft die Kulturland-

schaft (Abb. 1). Bevölkerungswachstum,

Industrialisierung sowie Verkehrs- und an-

dere Infrastrukturanlagen benötigten im-

mer mehr Flächen zu Lasten der Wälder

und die intensive Nutzung des Raumes

führte zur Verbauung und Begradigung

der Gewässer. Die einstmals gewässerbe-

gleitende Vegetation wurde auf ein Mini-

mum reduziert oder entfernt (siehe Abb.

2). So wurden aus beschatteten, kühlen

Bächen besonnte Fliessgewässer, die sich

stark erwärmen können. Darunter leiden

die angepassten Populationen. Können

sie nicht in kühlere Gewässer ausweichen,

droht sogar ein Verschwinden ganzer

Bestände. Effektverstärkend kommt ne-

ben künstlichen Wasserausleitungen hin-

zu, dass sich aufgrund des Klimawandels

der Abfluss in den Gewässern ändert und

bei nicht gletscherbeeinflussten Gewäs-

sern im Sommer mit deutlich weniger

Wasser zu rechnen ist.

Abbildung 1: Entwicklung der Bestockung entlang von Fliessgewässern in der Schweiz unterhalb der Waldgrenze. 1 Fliessgewässer nach der Eiszeit. Umgeben von Wald, stark beschattet.

2 Fliessgewässer im Mittelalter. Anthropogene Einflüsse verstärkt vorhanden. Meist noch bewaldet, Siedlungen gewässerfern. 3 Fliessgewässer heute: Anthropogene Einflüsse überwiegen. Begradigungen, Verbauungen, fehlende Bestockung. 4 Fliessgewässer morgen: Anthropogene Einflüsse nehmen etwas ab. Revitalisierte Abschnitte. Begleitender Gehölzstreifen i.d.R. vorhanden.

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Page 2: Revitalisierung von Fliessgewässern in Zeiten des Klimawandels...halb mehrheitlich an tiefere Temperaturen und die damit verbundenen chemisch-physikalischen Bedingungen angepasst

Die Zeitschrift für Gewässerschutz

Erhöhte Temperatur

und ihre Wirkung

Wasserbewohner wie Fische und Wirbel-

lose werden in vieler Hinsicht durch die

Temperatur beeinflusst, etwa bezüglich

der Stoffwechselaktivität, der Entwick-

lungsgeschwindigkeit oder auch hinsicht-

lich des Ausbruchs von Krankheiten. So

liegt die kritische Grenze für den Aus-

bruch der proliferativen Nierenkrankheit

(PKD) bei Bachforellen bei 15 Grad. Von

einigen Organismen sind Temperatur-

obergrenzen bekannt, deren Überschrei-

ten tödlich sein kann (Küttel et al. 2002).

Für adulte Forellen und Äschen liegt die-

ser Wert bei 25 Grad. Er wurde zum Bei-

spiel im Hochrhein in den Hitzesommern

2003 und 2018 übertroffen, so dass es zu

Fischsterben kam.

Beschattung und ihre Wirkung

Schattenwurf durch Ufervegetation kann

das Temperaturregime eines Gewässers

insbesondere in Hitzeperioden substan-

ziell verändern und so massgeblich zum

Überleben sensibler Organismen beitra-

gen. Abbildung 3 zeigt den Tagestempe-

raturverlauf eines beschatteten und eines

unbeschatteten Fliessgewässerabschnit-

tes. In der kritischen Nachmittagszeit im

Sommer ist die Temperaturdifferenz der

beiden Abschnitte mit rund fünf Grad am

grössten. Im Frühling und im Herbst sind

die Unterschiede bedeutend kleiner, im

Winter sind sie vernachlässigbar. Generell

sind die Amplituden des täglichen Tempe-

raturverlaufes des offenen Abschnittes

grösser als jene des bestockten, was an

der dämpfenden Wirkung der Vegetation

auf das Mikroklima (Windgeschwindig-

keit, relative Feuchtigkeit, Lufttemperatur)

liegt (Garner et al. 2017).

Nicht nur, dass die Temperatur im be-

schatteten Gewässer insbesondere im

Sommer tiefer ist; wie Untersuchungen

der EAWAG an der Orbe ergaben, nimmt

die Wassertemperatur beim Durchfliessen

beschatteter Abschnitte auch ab (Moos-

mann et al. 2005). So konnte bei Niedrig-

abfluss auf einer 400 Meter langen, voll-

beschatteten Fliessstrecke eine Reduktion

der Maximaltemperatur um bis zu vier

Grad festgestellt werden (Abb. 4). Abfluss

und Fliessgeschwindigkeit spielen dabei

eine wichtige Rolle. Bei grösseren, schnel-

ler fliessenden Bächen sind die Verände-

rungen weniger ausgeprägt als bei klei-

nen und langsam strömenden.

Für den Temperaturhaushalt eines Gewäs-

sers ist das Ausmass der Beschattung von

entscheidender Bedeutung, da damit die

direkte Sonneneinstrahlung beziehungs-

weise die kurzwellige Strahlung vom Was-

serkörper ferngehalten wird. So konnte

gezeigt werden, dass die Beschattung

beispielsweise nur der Hälfte des Gewäs-

sers oder nur während eines halben Tages

(abhängig von der Ausrichtung des Ge-

wässerlaufs) in etwa den gleichen Effekt

hat, wie die Halbierung der beschatteten

Strecke (Moosmann et al. 2005).

Welcher Umfang an Beschattung ist je-

doch erforderlich, um die sonnenbeding-

te Temperaturerhöhung auf ein erträgli-

ches Mass zu beschränken? Broadmeadow

et al. (2001) fanden, dass mit einer 20 bis

40 prozentigen Beschattung die Som-

mertemperaturen unter der lethalen Tem-

peraturgrenze für Bachforellen blieben.

Etwa 80 Prozent Beschattung waren

dagegen notwendig, um Temperaturen

zu verhindern, die über dem für das opti-

male Wachstum von Bachforellen ange-

gebenen Bereich von vier bis 19 Grad (El-

liot 1981) liegen. Die Autoren gehen

Abbildung 2: Bilder unterschiedlicher Beschattungssituationen an Fliessgewässern. A Fehlende Beschattung.

B Bestockung im oberen Bereich der Böschung, kaum Schattenwirkung.

C Büsche in Gruppen gepflanzt. Kaum Schattenwirkung.

D Beidseitig dichte Bestockung schafft wirksame Beschattung.

E Beidseitige Bestockung und überhängen-de Äste schaffen wirksame Beschattung.

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Gewässer

aqua viva 3 / 2019

schliesslich davon aus, dass zum Schutz

temperaturempfindlicher Arten eine noch

stärkere Beschattung erforderlich ist.

Beschattung bei Revitalisierun-

gen und Wasserbauprojekten

gestern und heute

Revitalisierungen haben die Wiederher-

stellung der natürlichen Funktionen bei

verbauten, korrigierten oder eingedolten

Gewässern zum Ziel. Dies kann mit bau-

lichen Massnahmen aber auch einem

angepassten Unterhalt erfolgen. Es resul-

tieren in der Regel auch bei Hochwasser-

schutzprojekten strukturreichere Gewäs-

ser, die so gestaltet sind, dass sie und der

Gewässerraum gemäss Art. 37 Gewässer-

schutz- bzw. Art. 4 Wasserbaugesetz ei-

ner vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt als

Lebensraum dienen und eine standortge-

rechte Ufervegetation gedeihen kann.

Damit die Bepflanzung des Uferbereichs

als gewässergerecht bezeichnet werden

kann, ist gemäss Modul Ökomorpholo-

gie des Modulstufenkonzeptes (BUWAL

1998) mindestens ein 25-prozentiger Flä-

chenanteil von einheimischen Bäumen

und Sträuchern im Uferbereich gefordert.

Die Betrachtung von ausgeführten Revita-

lisierungs- und Wasserbauprojekten zeigt,

dass diese Vorgaben in keiner Weise die

Entstehung naturnaher, stark beschatte-

ter Gewässer garantieren. Vielmehr wur-

den oft parkartig gestaltete Gewässer ge-

schaffen. Diese weisen zwar eine grössere

Strukturvielfalt als zuvor auf, bereichern

das Landschaftsbild und bieten Zugang

für die erholungssuchende Bevölkerung.

Büsche und Bäume werden jedoch oft zu

Gruppen formiert und irgendwo in den

Gewässerraum gepflanzt – am liebsten

fern des Gerinnes, damit sie den Abfluss-

querschnitt nicht verkleinern und nicht ins

Wasser fallen können. Natürliche Gewäs-

ser, welche einen ausgewogenen Tempe-

raturhaushalt aufweisen, sehen anders

aus, wie einleitend erläutert.

Konsequenzen für kün#ige

Revi talisierungen, Wasserbau-

projekte und Unterhalt

Um das Fortbestehen der Lebensgemein-

schaften unserer Fliessgewässer im fort-

schreitenden Klimawandel zu gewähr-

leisten, sind die Wassertemperaturen

möglichst tief zu halten und den Wasser-

tieren in kritischen Zeiten kühle Rückzugs-

orte zu bereiten. Bezüglich Revitalisierun-

gen, Wasserbauprojekten und Unterhalt

gilt es deshalb zwei zentrale Massnahmen

zu fordern:

1. Beschatten, Beschatten, Beschatten

Wenn Fliessgewässer konsequent und zu

einem grossen Teil stark beschattet wer-

den, kann das Auftreten problematischer

Wassertemperaturen reduziert oder ver-

hindert werden. Als Richtgrösse sollten

mindestens 80 Prozent der Wasserfläche

dauerhaft unbesonnt bleiben. Diese Vor-

gabe gilt für kleine bis mittlere Gewässer

bis rund zehn Meter Gerinnebreite. Bei

diesen kann das Ziel mit direkt ans Ge-

wässer gepflanzten Sträuchern und Bäu-

men und überhängenden Ästen erreicht

werden. Bei grösseren und grossen Ge-

wässern ist wenigstens der ufernahe Ge-

rinnebereich so gut wie möglich zu be-

schatten. Eine Erwärmung des Wassers

kann bei diesen jedoch zumindest alleine

mit Beschattung nicht vermieden werden

(auf andere temperatursenkende Mass-

nahmen wird an dieser Stelle nicht einge-

gangen). Hingegen gelangt bei konse-

quenter Beschattung der Zuflüsse weniger

stark erwärmtes Wasser in das grössere

Gewässer und kühlt dieses mindestens

partiell.

Abbildung 3: Mittlerer Tagesverlauf der Wasser- (5 Stellen) und der Lufttemperatur (1 Stelle) in den Monaten Januar, April, Juli und Oktober 2006 für einen unbeschatteten und einen beschatteten Gewässerabschnitt (Standardfehler als senkrechte Klammern); Quelle: Broadmeadow et al. (2001).

Tem

pera

ture

°C

Time of day (GMT)

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Die Zeitschrift für Gewässerschutz 29

Gewässer

Um das Ziel einer effektiven Beschattung

erreichen zu können, sind Bäume und

Sträucher möglichst nahe an das aktive Ge-

rinne zu pflanzen (Abb. 5). Dies erfordert

allenfalls eine Erweiterung des in der Regel

minimal ausgeschiedenen Gewässerrau-

mes (was gemäss Art. 41a Abs. 3 Gewäs-

serschutzverordnung möglich ist), da aus

Hochwasserschutzgründen der notwendi-

ge Abflussquerschnitt auch mit Bestockung

gewährleistet sein muss. Bei Dämmen, die

aus Sicherheitsgründen in der Regel ge-

hölzfrei sind, ist es somit angezeigt, die Be-

stockung innerhalb der Dämme vorzuneh-

men, beziehungsweise das Gewässerbett

ausreichend breit vorzusehen.

Bei einem neu gestalteten Gewässer dau-

ert es mehrere Jahre, bis die Entwicklung

der Bestockung zu einem wirksamen

Schattenwurf führt. In dieser Zeit besteht

die Gefahr einer übermässigen Erwär-

mung des Wassers, so dass der neu

geschaffene, morphologisch attraktive

Lebensraum für temperatursensible Orga-

nismen zumindest im Sommer nicht zur

Verfügung steht. Abhilfe können direkt

ans Gewässer gesetzte, rasch wachsende

Sträucher oder die Pflanzung schon grös-

serer Gehölze schaffen. Letztere sind

aufgrund des Sonnenganges besonders

effektiv eingesetzt, wenn bei ost-west-

ausgerichtetem Gewässerverlauf das Süd-

ufer bepflanzt wird.

Auch beim Unterhalt ist auf eine ausrei-

chende Beschattung zu achten. Gewäs-

sernah aufkommende Bäume und Sträu-

cher sind zu erhalten und der Rückschnitt

ist mit Augenmass und jeweils auf kurze

Strecken zu beschränken.

2. Vernetzen

Von temperaturempfindlichen Tierarten

wie etwa der Bachforelle oder der Äsche

ist bekannt, dass sie bei thermischem

Stress kälteres Wasser aufsuchen. Deshalb

ist die Vernetzung insbesondere von

grossen und grösseren Gewässern mit in

der Regel kühleren (beschatteten) Zuflüs-

sen sicherzustellen. Hierzu ist ein sohlen-

gleicher Übergang erforderlich; unüber-

windbare Abstürze sind zu beseitigen.

Rechtliche Grundlagen

für die Bestockung

von Fliessgewässern

Die Gewässerschutzverordnung Art. 41c

verlangt bezüglich Gewässerraum eine

extensive Gestaltung und Bewirtschaf-

tung. Die Pflicht zur gewässergerechten

Gestaltung (Art. 37 GSchG) ergibt sich

erst bei wasserbaulichen Eingriffen. Fak-

tisch bedeutet dies, dass ein Grossteil der

Gewässer mit landwirtschaftlicher Nut-

zung bis unmittelbar ans Gewässer auch

künftig im Sommer stark erwärmt wird. In

Zeiten des Klimawandels gilt es nun, auch

diese Gewässer zu beschatten und kühl

zu halten. Die rechtlichen Grundlagen

hierzu sind vorhanden:

– Gemäss Art. 9 des Bundesgesetzes

über die Fischerei haben die Fischerei-

behörden unter Berücksichtigung der

natürlichen Gegebenheiten und allfälli-

ger anderer Interessen alle Massnah-

men vorzuschreiben, die geeignet sind,

günstige Lebensbedingungen für Was-

sertiere zu schaffen hinsichtlich (Pkt. 5)

der Wassertiefe und -temperatur. Dies

gilt für neue Anlagen, gemäss Art. 10

BGF jedoch auch für bestehende Anla-

gen, sofern die Massnahmen wirt-

schaftlich tragbar sind. Letzteres ist

heute im Landwirtschaftsgebiet der

Fall: Der Gewässerraum darf ohnehin

nur noch extensiv bewirtschaftet wer-

den und Ufergehölze sind über Direkt-

zahlungen deutlich bessergestellt als

Uferwiesen.

– Gemäss Art. 21 NHG sorgen die Kanto-

ne dafür, dass fehlende Ufer vegetation

angelegt wird oder die Voraussetzun-

gen für deren Gedeihen geschaffen

werden.

Abbildung 4: Längsverlauf der Temperatur am 22. Juli 2004, 15:00 Uhr, mit und ohne Beschattung. Die schraffierten Zonen stellen die beschatteten Strecken im Szenario «400 Meter Beschattung», die grauen Zonen die beschatten Strecken im Szenario «800 Meter Beschattung» dar. Le Brassus ist ein kühlender Zufluss. Quelle: Moosmann et al. (2005).

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Abbildung 5: Morphologische Veränderungen an Fliessgewässern zur Förderung der Beschattung.

Verbautes Gewässer, Bestockung fehlend oder gewässerfern; Beschattung kaum vorhanden.

Naturnahes Ufer mit Bestockung direkt am Gewässer; starke Beschattung.

Dammsituation, verbautes Gewässer, Bestockung fehlend oder gewässerfern; Beschattung kaum vorhanden.

Naturnahes Ufer mit Bestockung direkt am Gewässer; starke Beschattung.

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Die Zeitschrift für Gewässerschutz 31

Gewässer

AquaPlus AG

Gotthardstrasse 30

6300 Zug

041 729 30 00

[email protected]

[email protected]

[email protected]

Fredy Elber

Dr. phil. II Biologie

Uni Zürich, ist

Geschäftsleiter von

AquaPlus. Nach dem

Studium gründete er

AquaPlus und nahm

eine Lehrtätigkeit an der Uni Zürich

und Basel auf. Er ist Mitglied der

Fachkoordination Wasserkraft des

VUE, welche das Ökostromlabel

nature made vergibt, und war von

2011–2015 Leiter des Centre de

Compétence des VSA. Seine Schwer-

punkte sind Gewässerökologie,

Umweltverträglichkeitsprüfung,

Revitalisierung und Siedlungsentwäs-

serung.

Tino Stäheli

Dipl. Umwelt-Natw.

ETH, ist Teil der

erweiterten

Geschäftsleitung bei

AquaPlus. Seine

Schwerpunkte sind

Umweltverträglichkeitsprüfung,

Revitalisierung, hydrologische

Gewässernutzung und Seeufer.

Mathieu

Camenzind

MSc Biologie Uni

Zürich, ist Teil der

erweiterten

Geschäftsleitung

bei AquaPlus.

Seine Schwerpunkte sind Fischökolo-

gie, hydrologische Gewässer nutzung,

Drohnen (UAV) und Tauchuntersu-

chungen.

AquaPlus ist seit 1990 Partner für

Beratung und Planung mit Schwer-

punkt Gewässer und begleitet

Projekte in allen Belangen der

Ökologie.

Fazit

In Zeiten des Klimawandels gilt es, die

Fliessgewässer ähnlich dem ursprünglich

bewaldeten Zustand stark zu beschatten,

um die Wassertemperatur in Hitzeperio-

den möglichst tief halten und so das

Überleben der temperatursensitiven Or-

ganismen gewährleisten zu können. Mit

einer gewässernahen, mehr oder weniger

durchgehenden Bestockung kann dieses

Ziel am effektivsten erreicht und gleich-

zeitig eine ökologische Aufwertung be-

ziehungsweise Revitalisierung vorgenom-

men werden. Die rechtlichen Grundlagen

sind vorhanden, um sowohl bei Was-

serbauvorhaben (Revitalisierungen und

Hochwasserschutzprojekte) als auch ohne

zusätzlichen Anlass, Gewässer zu besto-

cken. Es braucht nur noch die Umset-

zung.

Literatur

Broadmeadow, S. B., J. G. Jones, T. E. L.

Langford, P. J. Shaw and T. R. Nisbet (2001).

The influence of riaprian shade on lowland

stream water temperatures in southern

England and their viability for brouwn trout.

River Res. Applic. 27: 226–237.

BUWAL (1998). Methoden zur Untersuchung

und Beurteilung der Fliessgewässer in der

Schweiz. Ökomorphologie Stufe F (flächen-

deckend). Mitteilungen zum Gewässer-

schutz Nr. 27. 49 S.

Elliott, J. M. (1981). Some aspects of thermal

stress on freshwater teleosts. In Stress and

Fish (A. D. Pickering, ed), pp. 209–245.

London: Academic Press.

Garner, G., I. A. Malcolm, J. P. Sadler, D. M.

Hannah (2017). The role of riparian vegeta-

tion density, channel orientation and water

velocity in determining river temperature dy-

namics. Journal of Hydrology 553: 471–485.

Küttel, S., A, Peter & A. Wüest (2002). Tempe-

raturpräferenzen und -limiten von Fischarten

Schweizerischer Fliessgewässer. Rohne

Revitalisierung, Publikation Nr. 1. 34 S. und

Anhang.

Moosmann, L., M. Schmid & A. Wüest (2005).

Einfluss der Beschattung auf das Tempe-

raturregime der Orbe. EAWAG Kastanien-

baum. 27 S.