48
Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 Strategisches Management In 7 Lektionen zum Zertifikat Autor: Prof. Dr. Reiner Hillemanns Fachliche Leitung: Prof. Dr. Reiner Hillemanns

Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Schriftlicher Lehrgang Management und Führung

Lektion 2

Strategisches ManagementIn 7 Lektionen zum Zertifikat

Autor: Prof. Dr. Reiner HillemannsFachliche Leitung: Prof. Dr. Reiner Hillemanns

Page 2: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion 2

Strategisches Management

Autor: Prof. Dr. Reiner Hillemanns Schriftlicher Lehrgang

Management und Führung In 7 Lektionen zum Zertifikat Fachliche Leitung: Prof. Dr. Reiner Hillemanns

Hinweis des Herausgebers:Hinweis des Herausgebers:Hinweis des Herausgebers:Hinweis des Herausgebers: © 09/2010, Herausgeber dieser Lektion des schriftlichen Lehrgangs ist die Haufe Akademie GmbH & Co. KG, Freiburg. Wir weisen darauf hin, dass das Urheberrecht sämtlicher Texte und Grafiken in dieser Lektion bei dem Autor und das Urheberrecht des Lehrgangs als Sammelwerk bei dem Herausgeber liegen. Die begründeten Urhe-berrechte bleiben umfassend vorbehalten. Jede Form der Vervielfältigung z. B. auf drucktechnischem, elektroni-schem, fotomechanischem oder ähnlichem Wege – auch auszugsweise – bedarf der ausdrücklichen schriftlichen Einwilligung sowohl des Herausgebers als auch des jeweiligen Autors der Texte und Grafiken. Es ist Lehrgangsteil-nehmern und Dritten nicht gestattet, die Lektionen oder sonstigen Unterrichtsmaterialien zu vervielfältigen.

Page 3: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Autor

2

Prof. Dr. ReiProf. Dr. ReiProf. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemannsner Hillemannsner Hillemannsner Hillemanns

Professor für Unternehmensführung im trinationalen BWL-Studiengang der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach mit der Fachhochschule Basel und der Universität Colmar. Vorher Geschäftsbereichsleiter Swisscom Mobile und sieben Jahre Unternehmensberater auf Vorstands- und Geschäfts-leitungsebene bei den Beratungsfirmen Accenture und A.T. Kearney. Assis-tenz und Promotion über die „Kritischen Erfolgsfaktoren der Unternehmens-beratung“ an der Universität St. Gallen. BWL-Studium an der Universität Mannheim.

Page 4: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Inhaltsverzeichnis

2

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ................................................................................................... 5 1.1 Warum ist Strategie für Sie im mittleren Management so

wichtig? ....................................................................................................... 5 1.2 Was ist Strategie? ....................................................................................... 6 1.3 Überblick über diesen schriftlichen Lehrgang in Anlehnung an

das St. Galler Managementmodell ............................................................ 7 2 Vision eines Unternehmens ................................................................... 10 2.1 Visionsbestimmung – Empfehlungen für Ihren Visioning

Workshop .................................................................................................. 10 2.2 Vom Papier in die Köpfe der Mitarbeiter ............................................... 12 3 Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens ......... 14 3.1 Was ist Unternehmenskultur? ............................................................... 14 3.2 Wie entstehen Unternehmenskulturen, was prägt sie? ....................... 15 3.3 Typologisierungsversuche von Unternehmenskulturen ...................... 16 3.3.1 Stärkenorientiertes Orientierungsprofil nach Gomez .......................... 16 3.3.2 Vierdimensionales Orientierungsprofil nach Bleicher ......................... 17 3.3.3 Zweidimensionaler Ansatz von Deal & Kennedy................................... 19 3.3.4 Sechs Kulturtypen nach Geiselhardt ...................................................... 21 4 Strategienentwicklung und Umsetzungsplanung .............................. 25 4.1 Marktsegmentierung ............................................................................... 27 4.2 Externe Analyse ........................................................................................ 29 4.2.1 Umfeldanalyse – Bitte kein Blindflug .................................................... 32 4.2.2 Branchenanalyse – Können Sie den Wettbewerbskräften Ihrer

Branche „Paroli bieten“? ......................................................................... 35 4.2.3 Marktanalyse – Vertrauen Sie keinen Marktstudien! ........................... 38 4.2.4 Kundenanalyse ......................................................................................... 40 4.2.5 Konkurrenzanalyse: Vergleich der Stärken- und Schwächen-

position mit dem stärksten Wettbewerber............................................ 42 4.3 Interne Analyse Ihrer Kernkompetenzen – Ein Schlüssel zu

erfolgreichen Wachstumsstrategien ...................................................... 46 4.3.1 Was sind Ihre Kernkompetenzen? ......................................................... 47 4.3.2 Die fünf Voraussetzungen für Kernkompetenzen ................................ 48 4.3.3 Kernkompetenzarten und Kernkompetenzportfolio ............................ 51 4.4 Entwicklung und Bewertung strategischer Optionen .......................... 52 4.4.1 SWOT-Analyse .......................................................................................... 53 4.4.2 Ansoff-Matrix und Risiken strategischer Optionen .............................. 54 4.4.3 Bain-Spinne ............................................................................................... 60 4.4.4 Portfolioansatz .......................................................................................... 61 4.4.5 Erfolgreiche Positionierung des Unternehmens im Markt:

Porter’s Wettbewerbsstrategie und Trend „Outpacing-Strategie“ ...... 64 4.5 Maßnahmenplanung................................................................................ 65

Page 5: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Inhaltsverzeichnis

2

5 Strategieimplementierung .................................................................... 67 5.1 Implementierungsstrategien: Bombenwurf, frühe Partizipation

oder Bottom-up? ....................................................................................... 67 5.2 Kommunikation der strategischen Neuausrichtung ............................ 69 5.3 Anpassen der Geschäftsprozesse und Aufbauorganisation .................. 70 5.4 Messen Sie Ihren Implementierungsfortschritt durch die

Balanced Score Card! ................................................................................ 70 6 Lernkontrollen ......................................................................................... 74

In dieser Lektion wird bei der Bezeichnung von Personen die männliche Form verwendet,

um die Lesbarkeit zu erleichtern. Selbstverständlich sind stets weibliche und männliche

Personen gleichermaßen gemeint. Wir bitten dafür um Verständnis.

Page 6: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Einleitung

5

2

1 Einleitung

1.1 Warum ist Strategie für Sie im mittleren Management so wichtig?

Die Themen dieses schriftlichen Lehrgangs „Management und Führung“ sind alle Bestandteil des Tagesgeschäfts einer verantwortungsvollen Führungs-kraft. Dazu gehört für Sie auch die Auseinandersetzung mit der zukünftigen Positionierung Ihres Unternehmens. Für diese strategischen Aufgaben sollten Sie ebenso Ihr Handwerkszeug beherrschen wie für Ihren Business-Alltag. Wenn Sie also im mittleren Management tätig sind oder auf dem Sprung in die Geschäftsleitung, sollte die Beschäftigung mit folgenden Fragen zentraler Bestandteil Ihres Tagesgeschäfts sein:

• Was für ein Unternehmen wollen Sie in zehn Jahren sein? • Unterstützt Ihre heutige Unternehmenskultur die Erreichung dieser

Vision? • In welchen nationalen und internationalen Märkten und Marktseg-

menten wollen Sie in Zukunft tätig sein? • Wo sind in diesen Marktsegmenten Ihre zukünftigen Marktchancen

und neue Umsatzpotentiale? • Haben Sie die notwendigen internen Ressourcen und Fähigkeiten an

Bord, um diese Marktchancen besser wahrzunehmen als Ihr stärkster Wettbewerber? Angesichts dessen, was Sie besser können als Ihre Wettbewerber: Wie können Sie mit Ihren „Kernkompetenzen“ noch zusätzliche Umsätze tätigen?

• Wie finden Sie angesichts Ihrer externen Marktchancen und internen Ressourcenposition den besten Weg, also Ihre „Strategie“, zur Errei-chung Ihrer Fünfjahresziele?

• Wie können Sie das (zumeist erhebliche) Risiko für Ihr Unternehmen und Ihre Karriere schätzen, das mit strategischen Entscheidungen verbunden ist?

• Papier ist geduldig und landet häufig im Mülleimer. Wie implemen-tieren Sie Ihre Strategie erfolgreich in Ihrem Unternehmen und wie messen Sie den Implementierungsfortschritt?

Die Lektion „Strategisches Management“ hilft Ihnen dabei, diese Fragen er-folgreich zu beantworten und in Ihr Unternehmen hineinzutragen. Für eine Führungskraft gibt es natürlich viele Anlässe, um sich mit dem Thema Stra-tegie zu beschäftigen:

• Ihr Topmanagement oder Ihre Unternehmenseigentümer verlangen von Ihnen eine konkrete Aussage zu Ihrer Vision für Ihren Verant-wortungsbereich. Sie wissen aber nicht, wie und mit wem Sie einen Visioning Workshop durchführen sollen.

• Ihre Mitarbeiter erwarten von Ihnen, dass Sie eine „klare Richtung“ vorgeben und eine strategische Aussage jenseits des Tagesgeschäfts

Page 7: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Einleitung

6

2

treffen, wohin die Reise für Ihr Unternehmen und auch für jeden ein-zelnen Mitarbeiter in den kommenden Jahren gehen soll.

• Anspruchsvolle Fünfjahresziele werden Ihnen vorgegeben. Sie sollen ein Konzept vorstellen, wie Sie diese langfristigen Ziele erreichen wol-len und wie Sie sich gegenüber den Wettbewerbern aufstellen wollen.

• Eine Strategie wird von Ihnen erwartet, Sie wissen nur nicht, welche Untersuchungen Sie hierzu durchzuführen haben und wie Sie Ihre Powerpoint-Präsentation aufbauen sollen.

• Ihr Team sieht mehrere Alternativen, wie Sie in den kommenden fünf Jahren Ihre Umsätze jenseits des Kerngeschäfts steigern können. Sie wissen nur nicht, wie Sie die einzelnen strategischen Optionen auch hinsichtlich des Erfolgs- und Scheiterrisikos beurteilen sollen.

• Sie werden als Projektleiter mit der Entwicklung einer marktorien-tierten Strategie in Kooperation mit einer externen Unternehmensbe-ratung beauftragt. Am Erfolg des Projekts hängt auch Ihre weitere Karriere. Sie sind verunsichert, weil Sie weder die Methodik kennen noch das Standardrepertoire zur Strategienentwicklung und Umset-zung.

• Sie haben ein schlechtes Gewissen, weil Sie z. B. Ingenieur oder Na-turwissenschaftler sind und das Handwerkszeug eines betriebswirt-schaftlich geschulten Managers nicht so gut kennen, aber ein Unter-nehmen oder einen Geschäftsbereich zu führen haben. Ihr schlechtes Gewissen plagt sie und Sie gehen davon aus, dass die Betriebswirt-schaftslehre Ihnen mit einer konkreten Methodik Hilfestellung in Ih-rer Unternehmenssituation geben kann.

1.2 Was ist Strategie?

Zum Strategiebegriff gibt es keine einheitliche Definition. Aus etymologischer Sicht kommt der Begriff Strategie aus dem Griechischen, sein Ursprung liegt in den Begriffen „Stratos“ (Heer) und „agein“ (führen). Das Wort „Stratos“ bezeichnet die Kunst der Heerführung und insbesondere die Funktion des Generals im griechischen Heer. Auch im deutschen Sprachraum wurde durch Clausewitz der Begriff zunächst im militärischen Bereich verwendet.

• In der Betriebswirtschaftslehre erfolgte die Verbreitung des Strategie-begriffs zunächst in den USA. So definiert Chandler (1962) Strategie als Maßnahmenbündel zur Erreichung langfristiger Ziele des Un-

ternehmens. • Henderson betrachtet Strategie als das nachhaltige Stören des Wett-

bewerbs. Ein existierendes Wettbewerbssystem soll zugunsten der Marktposition des eigenen Unternehmens nachhaltig gestört werden, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen.

• Drucker reduziert Strategie auf „doing the right things“: Während es im operativen Management darum geht, die Dinge richtig zu tun, geht es im Strategischen Management darum, „die richtigen Dinge“ zu tun.

Page 8: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Einleitung

7

2

• Gemeinsam ist heutigen Strategiedefinitionen, dass Strategie ein Weg zur Erreichung des mittel- bis langfristigen Unternehmensziels ist. Bei diesem Weg zum Ziel sollen externe Marktchancen und unterneh-mensinterne Stärken und Fähigkeiten beachtet und entwickelt wer-den, damit gegenüber dem stärksten Wettbewerber im relevanten Marktsegment eine führende Marktposition erlangt wird.

Was verstehen wir unter Strategie?

Strategie ist ein Weg der Zielerreichung, wie externe Marktchancen unter Ausnutzung interner Unternehmensstärken so wahrgenommen werden können, dass gegenüber dem stärksten Konkurrenten im relevanten Marktsegment nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielt werden können.

1.3 Überblick über diesen schriftlichen Lehrgang in Anlehnung an das St. Galler Managementmodell

Die hier vorgestellten Aufgaben eines heutigen Managers lassen sich gut am integrierten System der Unternehmensführung (Dillerup/Stoi, 2006) in An-lehnung an das St. Galler Managementmodell (Bleicher, 2004) veranschauli-chen und einordnen.

Abb. 1: St. Galler Managementmodell (Dillerup/Stoi, 2006 in Anlehnung an Bleicher, 2004)

Page 9: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Einleitung

8

2

Aufgabe der normativen Topmanagementebene ist die Definition der Legi-timität des Unternehmens mit der Entwicklung der Vision, Mission, Unter-nehmenskultur und den grundlegenden Regelungen über die Organisation und Kontrolle eines Unternehmens (Corporate Governance). Es geht hier ins-besondere darum, die „sinnvollen Dinge zu tun“ und eine Antwort auf die Frage zu finden: „Wer wollen wir in fünf bis zehn Jahren sein?“. Die Aufga-ben auf dieser Managementebene sind entsprechend schlecht strukturiert und betreffen das gesamte Unternehmen.

Aufgabe der oberen und mittleren (strategischen) Führungsebene ist es dagegen, „die richtigen Dinge zu tun“. Managementaufgaben sind hier die Entwicklung der Strategie, Aufbauorganisation, Prozesse und Führung der Mitarbeiter zur Steuerung des Unternehmens in Richtung der vom Top-management erarbeiteten langfristigen Vision und Zielvorgaben. Die Trag-weite der Entscheidungen ist hoch und betrifft einzelne Unternehmensberei-che. Die Fristigkeit der Entscheidungen sind langfristiger Natur (zwei bis fünf Jahre).

Aufgabe der mittleren und unteren (operativen) Managementebene ist die Realisierung der Maßnahmenpläne im Tagesgeschäft und damit, „die Dinge richtig zu tun“. Eine effiziente Umsetzung ist zu gewährleisten. Die Probleme sind hoffentlich klar strukturiert hinsichtlich Aufgaben, Verantwortlichkei-ten, Budget und Zeitplan. Die Fristigkeit der Entscheidungen ist kurzfristig (quartalsweise, ein bis zwei Jahre), die Entscheidungsfreiheiten sind eher ge-ring und die Tragweite der Entscheidungen betrifft eher einzelne Unterneh-mensteile bzw. Teilaktivitäten.

Ihre erste Aufgabe in diesem schriftlichen Lehrgang ist die Erarbeitung

einer Vision für Ihr Unternehmen. Das ist kein „softer Quatsch“, wie es viele altmodische „harte“ Manager noch heute abtun: Empirische Untersuchungen der Universität Stanford (Collins/Porras 2005) haben die höhere Aktienper-formance visionärer Unternehmen eindeutig nachgewiesen. Eine Vision ist ein anspruchsvolles und erstrebenswertes Zukunftsbild und einzigartiges Ziel für Ihr Unternehmen in ca. fünf bis zehn Jahren. Die Beantwortung der Fra-ge: „Wer sind wir in zehn Jahren?“, soll Ihre Mitarbeiter auf das gleiche Ziel einschwören, begeistern und auch ohne finanzielle Anreize zu Höchstleistun-gen anspornen. Halten Sie Ihre Vision, den Unternehmenszweck und Unter-nehmensziele schriftlich fest, spricht man hier von Mission oder neudeutsch von einem „Mission Statement“. Wir werden Ihnen klassische Methoden zur Visionsentwicklung für Ihren Visioning-Workshop in dieser Lektion aufzei-gen und mit Ihnen die Frage diskutieren, wie Sie die Vision in die Köpfe Ihrer Mitarbeiter bekommen und ins Tagesgeschäft integrieren.

Begeisternde Visionen wirken sich positiv auf die Unternehmenskultur aus. Die Unternehmenskultur Ihres Unternehmens einzuordnen und konkrete

Verbesserungsansätze zu finden, ist Ihre zweite Aufgabe in diesem schrift-

lichen Lehrgang. Die Unternehmenskultur, als Persönlichkeit Ihres Unter-nehmens, steuert das tägliche Verhalten Ihrer Mitarbeiter in Richtung Ihrer

Page 10: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Einleitung

9

2

Vision – oder auch nicht. Je stärker Ihre Unternehmenskultur ist, desto her-ausfordernder können die Ziele und Aufträge sein, die Sie Ihren Mitarbeitern geben. Die Steuerung Ihrer Unternehmenskultur ist somit ein zentraler Er-folgsfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens und muss da-her wesentlicher Bestandteil Ihrer täglichen Personalführung sein. Wir wer-den Ihnen klassische Methoden zur Einordnung Ihrer Unternehmenskultur aufzeigen und auch Ansatzpunkte, wie Sie die Persönlichkeit Ihres Unter-nehmens so steuern können, dass das tägliche Verhalten der Mitarbeiter visi-ons- und zielorientierter verläuft.

Die Vision unseres Unternehmens fungiert als inhaltliche Leitplanke für die im Anschluss zu erarbeitende Strategie, dem Weg zum Ziel. Es gibt bekann-termaßen viele Wege nach Rom. Sie suchen über arbeitsintensive Branchen-, Markt-, Kunden- und Konkurrenzanalysen (Outside-in-Betrachtung) nach den-jenigen Umsatzpotentialen in den kommenden fünf Jahren, die Sie aufgrund Ihrer internen Ressourcen und Kernfähigkeiten (Inside-out-Betrachtung) bes-ser wahrnehmen können als Ihr stärkster Wettbewerber – im relevanten Marktsegment. Diese externen Marktchancen müssen sich mit Ihrer unter-nehmensinternen Stärkenposition ergänzen! Zuletzt entscheidet meistens ein quantitativer Businessplan auf Excel-Basis mit der Gegenüberstellung der jeweiligen potentiellen Umsätze und Kosten über das attraktivste Investment.

Die Risiken strategischer Entscheidungen sind für Ihr Unternehmen, Ihre Mitarbeiter und Ihre Karriere üblicherweise hoch. Die meisten Abgänge auf der Geschäftsleitungsetage resultieren aus Fehlentscheidungen auf strategi-scher Ebene. Diese Risiken werden wir diskutieren und auch verstehen, wa-rum so viele Strategien falsch entwickelt werden und scheitern.

„Papier ist geduldig.“ Viele Powerpoint-Strategiepapiere landen im Schrank

und später im Mülleimer. Wie kriegen wir also die „PS auf die Straße“? „Im-plementation is 90 per cent of it!“. Sie lernen unterschiedliche Implementie-

rungsstrategien kennen wie z. B. die Bombenwurfstrategie. Sie werden auch in die Lage versetzt, ein Kommunikationskonzept zu erarbeiten, wie Sie Ihre Mitarbeiter für die Umsetzungsphase „abholen“. Die Balanced Score Card wird Ihnen schlussendlich helfen, Ihren Implementierungsfortschritt über ein operatives Kennzahlensystem einfach und für alle gut nachvollziehbar zu messen.

Page 11: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Vision eines Unternehmens

10

2

2 Vision eines Unternehmens

2.1 Visionsbestimmung – Empfehlungen für Ihren Visioning Workshop

Vision ist der Ursprung und die Leitidee der unternehmerischen Tätigkeit und damit die Vorstellung davon, wie das Unternehmen in fünf bis zehn Jah-ren aussieht. Visionen sind auch das Leitmotiv des unternehmerischen Han-delns und sind gerade in Zeiten der Veränderung wichtig. Eine Vision ist eine Zustandsbeschreibung Ihres Unternehmens, z. B.: „Wir sind im Jahr 2019 Markt- und Technologieführer im Marktsegment YXZ. Wir sind mit unseren Wertschöpfungspartnern in der Lage, unseren Kunden den Nutzen XYZ zu stiften und gehören hinsichtlich unseres Service Levels XYZ bereits zu den Top XYZ in Europa …“. Wir formulieren also nicht einen Wunsch, wer wir sein wollen, sondern definieren möglichst konkret, wer wir in zehn Jahren sind. Die Mission ist die schriftliche Festlegung der Werte, der Vision, des Unternehmenszwecks und der Ziele des Unternehmens.

Beispiele unternehmerischer Visionen

VW-Chef Martin Winterkorn will 2018 mehr als zehn Millionen Autos bauen. 2018 ist Toyota in der weltweiten Absatz- und Pannenstatistik vom VW-Konzern geschlagen.

Jack Welch, langjähriger CEO von General Electric, gab die Vision aus, in den Wachstumsbranchen der Zukunft die Marktführerschaft zu er-reichen oder zumindest als Marktzweiter zu reüssieren.

Bill Gates und Steve Balmer von Microsoft hatten die Vision, dass auf jedem Schreibtisch ein Computer steht, mit dem die Menschen mit ei-ner einfach zu nutzenden, einheitlichen Software (wie dem Betriebs-system Windows) arbeiten können.

Ihre Vision sollte nach Simon (2004) möglichst vier Kriterien und Funktio-

nen gerecht werden:

1. Unverwechselbarkeit: Ihre Vision sollte das Zukunftsbild Ihres Un-ternehmens beschreiben, das dieses einzigartig und unverwechselbar macht! Was ist das Alleinstellungsmerkmal Ihres Unternehmens? Was macht Ihr Unternehmen aus Sicht der Kunden und Zulieferer so einzigartig? Was ist Ihre „unique selling proposition“? Diese Einzigar-tigkeit sollte auch in Ihre Vision einfließen und verhindern, dass Sie nur eine Vision entwickeln, die auch für Ihre Wettbewerber gelten könnte.

2. Orientierungsfunktion: Ihre Vision sollte ein Fixstern für Ihre Mitar-beiter sein und auch als Leitplanke für die Strategieformulierung

Page 12: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Vision eines Unternehmens

11

2

fungieren können! Die Vision von Microsoft hat jahrzehntelang er-folgreich verhindert, dass Microsoft auch Hardware hergestellt hat.

3. Sinnstiftung: Die Vision muss den Mitarbeitern den tieferen Sinn ih-rer Arbeit aufzeigen und helfen, sich mit ihrer Aufgabe in Kombinati-on mit der Gesamtaufgabe des Unternehmens besser identifizieren zu können. Wo sich nur noch jeder Fünfte mit seinem Unternehmen in Deutschland identifiziert, ist es hier Ihre Aufgabe, Sinn zu stiften. Stellen Sie sich die Frage: Warum sollen Ihre Mitarbeiter ihre be-grenzte Lebenszeit gerade in Ihrem Unternehmen verbringen?

4. Mobilisierungsfunktion: An welchem faszinierenden Ziel können und dürfen ihre Mitarbeiter mitwirken, dass sie morgens engagiert und begeistert aus den Betten reißt? Eine Vision soll ihre Mitarbeiter emotional anregen, das angestrebte Zukunftsbild als gemeinsames Ziel zu verfolgen.

Praxistipp: Visionsentwicklung

Ihre Vision sollte ein Stück Utopie in sich bergen. Werfen Sie Ihre Ge-danken mutig voraus! Kümmern Sie sich in diesem Schritt noch nicht um interne Restriktionen (Personal, Finanzen, Patente etc.). Wenn Sie und Ihre Mitarbeiter an die Vision glauben, werden Sie auch Wege finden. Vertrauen Sie der Kraft Ihres Zukunftsbildes! Denken Sie an die Vision von John F. Kennedy, dass noch in den 60er Jahren ein Mensch auf dem Mond landet und wieder sicher zurückkommt!

Passen Sie den Zeithorizont der Vision an die Geschwindigkeit Ihrer Branche an. In manchen Branchen sind zehn Jahre zu viel (Mobilfunk), in manchen zu wenig (Ölindustrie)!

Veranstalten Sie Ihren „Visioning Workshop“ an einem besonderen Ort mit symbolischem Charakter. Nehmen Sie auch kreative Köpfe, in-terne Meinungsführer, den Personalverantwortlichen, Ihre Kunden und Lieferanten mit und sichern Sie einen frühen Einbezug Ihrer wichtigsten Mitarbeiter!

Sechs Ansatzpunkte zur Visionsbestimmung können nach Simon (2004)

von Ihnen für Ihre Visionsbestimmung genutzt werden:

1. Interne Fähigkeiten oder neue Technologien (Lasertechnik, Werk-zeugmaschinen, Magnetbahn, Software Microsoft).

2. Neue Märkte und/oder Nutzung neuer Distributionskanäle (Schaffung neuer Märkte als Vision, z. B. von eBay).

3. Marktführerschaft: Streben nach Marktführerschaft bei regionaler Expansion, Eintritt in neue Marktsegmente. Wir sind ein großer „Fan“ von Marktführerschaftsvisionen: Mitarbeiter und Zulieferer ar-beiten gerne für den Marktführer; den höchsten Marktanteil der

Page 13: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Vision eines Unternehmens

12

2

Branche im Kerngeschäft zu haben, verschafft Ihrem Unternehmen zudem Kostenvorteile in Ihrer gesamten Wertschöpfungskette und erhöht auch die Markteintrittsbarriere gegenüber dem potentiellen Wettbewerb.

4. Qualitäts-, Service- oder Kostenführerschaft: Mitarbeiter identifizieren sich auch gerne mit der Position des Besten, Schnellsten, Freundlichs-ten, Innovativsten. Keiner von uns will Mittelmaß sein.

5. Überholen des Konkurrenten: Wie Avis gegenüber Hertz, Nike gegen-über Adidas, Pepsi gegenüber Cola. Ursprünglich eher im US-amerikanischen Bereich verwendet, greift heute die VW AG in ihrer Vision direkt den Wettbewerber Toyota an. Gut, weil einfach und plastisch.

6. Mitarbeiterorientierung, Wohlergehen und Entwicklung der Mitar-beiter stehen im Vordergrund, z. B. der „HP way“ von Hewlett-Packard.

2.2 Vom Papier in die Köpfe der Mitarbeiter

Wie kriegen wir das Zukunftsbild in die Köpfe unserer Mitarbeiter? Am wich-tigsten ist: Vorleben und „Vorarbeiten“. Ihre Mitarbeiter haben ein gutes Gefühl dafür, wo Sie Ihre Zeit als Führungskraft investieren. Wenn Sie also 2019 Marktführer in den USA sein wollen, sollten Sie nicht quartalsweise nur in den Flieger nach China steigen! Zudem:

• „Betroffene“ zu Beteiligten machen: Frühe Involvierung der Leis-tungsträger und Meinungsführer in die Visionsentwicklung.

• Im täglichen Kontakt mit den Mitarbeitern die Verbindung zwischen unternehmerischer Vision, individuellem Jahresziel und aktueller Aufgabe des einzelnen Mitarbeiters herleiten.

• Allgemeine Bekanntmachung an alle Mitarbeiter, Kunden, Aktionäre, Geschäftspartner in zentralen und dezentralen Veranstaltungen. Das erzeugt Erfüllungsdruck!

• Außergewöhnliche Kommunikationsformen und symbolträchtige Gesten. Betriebsversammlungen an einem symbolträchtigen Ort.

• Begleitende Kommunikation via Video, Rundschreiben, Poster, Web-pages, Konzerte, interaktive Medien etc.

• Wichtig: Anpassung der Anreiz- und Vergütungssysteme zugunsten der neuen Zielvorgaben.

• Greifbar für den einzelnen Mitarbeiter, individuell übersetzt durch das Middle-Management!

In Lektion 4 „Change Management“ dieses schriftlichen Lehrgangs wird die-ses Thema vertieft. Sie erhalten dort weitere wertvolle Hinweise und Anre-gungen zur Kommunikation im Wandel.

Page 14: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Vision eines Unternehmens

13

2

Übung: Visionsentwicklung

Formulieren Sie die Vision für Ihr Unternehmen. Wo soll Ihr Unter-nehmen 2019 bzw. in zehn Jahren stehen? Beachten Sie bitte, dass Ih-re Vision folgenden Kriterien gerecht wird:

• einzigartig aus Sicht des Kunden (Identitätsstiftung), • sinnstiftend für Ihre Mitarbeiter (Identifikationsfunktion), • anspornend aber noch machbar: Balance zwischen Realitätssinn und

Utopie (Mobilisierungsfunktion).

Übung: Vision: „In die Köpfe der Mitarbeiter“

Wie können Sie die Vision in Ihrer Firma charismatisch vorleben und sicherstellen, sodass alle Mitarbeiter Ihre Vision kennen und ihr im Tagesgeschäft folgen? Wie springt der Funke in Ihrer Firma über?

Page 15: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

14

2

3 Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbei-terverhaltens

Erst mit dem „Japan-Schock“ der amerikanischen Wirtschaft in den 80er Jah-ren hat das Thema Unternehmenskultur schlagartig an Bedeutung gewonnen: Kohäsive Unternehmenskulturen wurden für die Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Wirtschaft verantwortlich gemacht. Heute ist das Thema ein nicht mehr unterschätzter Wettbewerbsfaktor, der besondere Aufmerk-samkeit des Managements in den westlichen Industrieländern genießt und auch bei der Führungskräftebeurteilung hinsichtlich der Mitarbeiterzufrie-denheit breite Beachtung findet.

3.1 Was ist Unternehmenskultur?

Der größte Teil eines Eisbergs ist weder sichtbar noch greifbar. So ist es auch bei der Unternehmenskultur. Das Wertesystem des Unternehmensgründers, die Gebote beim Umgang mit den Kunden und Zulieferern, die Verbote beim Umgang mit internen Ressourcen, die Kriterien, nach denen rekrutiert und befördert wird, die Einstellung gegenüber Kosten und Innovation, die Bedeu-tung bei der Einhaltung des Dienstweges, der Respekt vor Hierarchie und Macht im Unternehmen … sind alle weder sichtbar noch greifbar und damit unterhalb der „Wasserlinie“. Sie beeinflussen aber in hohem Maße das tägli-che Verhalten unserer Mitarbeiter in positiver wie negativer Sicht. Zudem haben alle diese unsichtbaren Einflussfaktoren einen erheblichen Einfluss darauf, ob der Job und die kollegiale Zusammenarbeit den Mitarbeitern Spaß macht und damit die Mitarbeiter auch ohne große finanzielle Anreize zu Höchstleistungen angespornt werden.

Entsprechend wird Unternehmenskultur in der Betriebswirtschaftslehre auch unterschiedlich definiert:

• Verhaltensdimension normativen Managements: Unternehmenskul-tur signalisiert den Mitarbeitern den Korridor für das zukünftig von ihnen erwartete Verhalten und wirkt quasi als „Autopilot“ für das Verhalten der Mitarbeiter.

• Im Gegensatz zur Organisation als formaler Regelung handelt es sich hier um „weiche“ Faktoren, die einen engen Zusammenhalt im Un-

ternehmen erzeugen, basierend häufig auf einer charismatischen vi-sionären Person, der Unternehmensvision oder einer bestimmten Stärke des Unternehmens. Welche weichen Faktoren erzeugen in Ih-rem Unternehmen einen engen Zusammenhalt zwischen den Kolle-gen?

Page 16: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

15

2

Übung: Persönlichkeit eines Unternehmens

Wenn die Tür in Ihrem Büro aufgehen würde und die Verkörperung Ihres Unternehmens in Form einer Person herein käme, was für ein Typ wäre sie, welchen Charakter hätte sie?

Wie denkt sie? Wie löst sie Probleme? Welchen Führungsstil hätte sie? Ist sie eher Ingenieur, BWLer oder Naturwissenschaftler? Ist sie ehr-lich und offen oder unehrlich und hintenherum? Weiblich oder Männlich? In welchem Alter ist Ihre Unternehmenskultur? etc.?

Beschreiben Sie das Bild dieser Person im Detail!

Dramatische Spannungsfelder existieren heute für die Entwicklung einer harmonischen Unternehmenskultur in Ihrem Unternehmen. Die Gründe sind vielfältig:

• Der Wunsch der Mitarbeiter nach Arbeitserleichterung („Freizeitge-sellschaft“) läuft den steigenden Arbeitsbelastungen durch verschärf-ten globalen Wettbewerb entgegen.

• Die „Multioptionsgesellschaft“ hat zur Individualisierung geführt, mit entsprechendem Fokus auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse, nicht aber derjenigen des Kunden und des Unternehmens.

• Auch die IT hat den Berufsalltag nicht erleichtert, nur beschleunigt. • Leistungsfähige Spezialisten und „Topmanager“ schüren den Neid mit

überzogenen Gehalts- und Boniforderungen im Management. • Aufgrund des Fusionstrends, des permanenten Zwangs zu Innovatio-

nen, kurzer Produktlebenszyklen, kurzfristigen Shareholder-Value-Denkens und einer „Hire-and-fire-Politik“ im Unternehmen denken die Mitarbeiter immer kurzfristiger, illoyaler und fühlen sich stark verunsichert.

Wichtig

Statistisch gesehen identifiziert sich nur noch jeder fünfte Mitarbeiter in Deutschland mit seinem Unternehmen! Und Sie sind nun in diesem Kontext dazu aufgerufen, eine sinnstiftende Vision und eine starke Unternehmenskultur zu entwickeln!

3.2 Wie entstehen Unternehmenskulturen, was prägt sie?

Rolle der Führung: Häufig haucht der Unternehmensgründer sowohl seine Vision als auch sein Wertesystem ins Unternehmen ein. Dieses Wertesystem prägt die Unternehmenskultur in hohem Maße. Jeder Verhaltensakt des Top-

Page 17: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

16

2

managements hat zudem eine symbolische Bedeutung, die von den Mitarbei-tern überprüft wird. Alles, was die Führung beachtet und kontrolliert, wird zum kulturprägenden Element, insbesondere auch die Zuweisungskriterien für Ressourcen (Anzahl Mitarbeiter, Budget, Büro und Infrastruktur, Firmen-wagen etc.) und die Selektionskriterien für die Einstellung von Mitarbeitern.

Rolle der Mitarbeiter: Mitarbeiter glauben an vermittelte Werte und richten ihr Verhalten danach aus. Verstöße gegen die Normen werden zumeist in irgendeiner Form geahndet. Die neuen Mitarbeiter bekommen die Werte, Ge- und Verbote von den älteren Kollegen vermittelt. Nicht zu vernachlässigen ist aber auch der Einfluss der Organisationsstruktur, Branche, Landeskultur, von Funktionsbereich, Ort, Gebäude und auch die räumliche Ausgestaltung auf die Entwicklung Ihrer Unternehmenspersönlichkeit.

3.3 Typologisierungsversuche von Unternehmenskulturen

Zur Beschreibung der Unternehmenskultur Ihres Unternehmens helfen ver-schiedene Typologisierungsversuche. Wir möchten Ihnen vier vorstellen. Nehmen Sie das Handwerkszeug, das Ihnen spontan am ehesten zusagt und lassen Sie auch Ihre Mitarbeiter die Unternehmenskultur Ihres Unterneh-mens einordnen bzw. im Ist-Zustand beschreiben.

3.3.1 Stärkenorientiertes Orientierungsprofil nach Gomez

Das stärkenorientierte Orientierungsprofil nach Gomez beschreibt die Unter-nehmenskultur über sieben Kriterien.

Abb. 2: Stärkenorientiertes Orientierungsprofil (Gomez 1993)

Page 18: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

17

2

Je größer die Entfernung vom Mittelpunkt, desto stärker prägt dieser Faktor die Unternehmenskultur. Das Unternehmen in Abbildung 2 hat eine Unter-nehmenskultur, die von einer starken Orientierung an den Kundenbedürfnis-sen, von innovativen Produkten und der Orientierung an den Mitarbeiterbe-dürfnissen geprägt ist.

3.3.2 Vierdimensionales Orientierungsprofil nach Bleicher

Das interessante Orientierungsprofil von dem Mitbegründer des St. Galler Managementmodells, Knut Bleicher, beschreibt Unternehmenskulturen an-hand von vier Kulturdimensionen:

1. Offenheit Ihrer Unternehmenskultur

Ist Ihre Unternehmenskultur eher geschlossen und binnenorientiert oder offen und außenorientiert? Bei geschlossenen Unternehmenskulturen wer-den Außenbeziehungen in der täglichen Arbeit kaum wahrgenommen, man beschäftigt sich zu sehr mit internen Abstimmungsproblemen und Macht-kämpfen. In offenen außenorientierten Unternehmenskulturen sieht man sich in fortwährender Leistungssituation gegenüber Dritten (Kunden, Liefe-ranten etc.), deren Bedürfnisänderungen von allen Kollegen hochsensibel wahrgenommen werden.

Ist Ihre Unternehmenskultur eher änderungsfeindlich oder änderungs-freundlich? Änderungsfeindliche Unternehmenskulturen orientieren sich gerne an Formalien. Bewahrungsstrategien stehen im Vordergrund. Ände-rungsfreundliche Unternehmenskulturen sind zukunfts- und chancenorien-tiert. Mitarbeiter denken unternehmerisch, Diskussionen orientieren sich an Inhalten.

2. Differenziertheit Ihrer Unternehmenskultur

Ist Ihre Unternehmenskultur eher spitzenorientiert oder basisorientiert? In spitzenorientierten Unternehmen („top down gemanagt“) warten die Mitar-beiter auf Anweisungen von oben und bitten um Genehmigungen. Solche Unternehmenskulturen findet man in vielen lateinamerikanischen und afri-kanischen Ländern, aber auch in China und Indien. Bei basisorientierten Un-ternehmen („bottom up gemanagt“) kommen die bewegenden Kräfte zur Steuerung des Unternehmens eher von unten, z. B. von den Vertriebsmitar-beitern, die als erstes Kundenbedürfnisänderungen sensibel wahrnehmen. Die Unternehmensspitze koordiniert nur.

Ist Ihre Unternehmenskultur subkulturell geprägt, mit großen Unterschieden in der Kultur in einzelnen Abteilungen? Herrscht bei Ihnen Spartendenken, Ressortegoismus und ein (fruchtbarer oder schädlicher) Wettbewerb der Kul-turen? Oder haben Ihre Mitarbeiter ein gemeinsames Wertesystem mit einer

Page 19: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

18

2

Einheitsorientierung („we are one firm“)? Das Zugehörigkeitsgefühl wird von der Unternehmensspitze vermittelt.

3. Kulturprägende Rolle Ihrer Führung

Haben Sie eine instrumentelle Kultur mit Neigung zur Perfektion, mit einer Bestrafungskultur mit Angst vor Fehlern und einer Instrumenten- und Ver-fahrensorientierung oder eher eine entwicklungsorientierte Kultur mit Im-provisationsneigung, Belohnungskultur und Toleranz gegenüber Fehlern?

Haben Sie eine kostenorientierte Kulturprägung (wie beim Generikaherstel-ler Ratiopharm oder bei Aldi) oder eine nutzenorientierte Kultur (wie z. B. bei Google, Apple oder A.T. Kearney)? Bei ersterer liegt der Fokus auf Rationa-lisierung und Controlling und Skaleneffekte stehen im Vordergrund. Bei der nutzenorientierten Kulturprägung steht der Kundennutzen, die „value propo-sition“ für den Kunden im Vordergrund.

4. Kulturprägende Rolle der Mitarbeiter

Werden Ihre Mitarbeiter als Mitglieder oder als Akteure gesehen? Mitglieder werden für mehrjährige Betriebszugehörigkeit und Loyalität entlohnt, Ak-teure primär nach ihrem Leistungsbeitrag.

Haben Sie eine individuelle, heroengeprägte Kultur, die auf einzelnen Leis-tungsträgern basiert („self motivated organization“)? Erfolge und Misserfolge werden tendenziell einzelnen Personen zugeschrieben. Im Gegensatz dazu unterscheidet man kollektive Kulturen mit einem ausgeprägten „Wir-

Gefühl“: Man ist eine Gemeinschaft mit gleichen Wertvorstellungen; Grup-penkompetenz, -verantwortung und indirekte Erfolgszurechnung stehen im Vordergrund.

Beispiel: Unternehmenskultur Google

In einem Interview mit dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin Bu-sinessWeek beschreibt Google-Chef Eric Schmidt die Erfolgsfaktoren des Unternehmens. Dazu gehöre die Orientierung auf den Nutzer und vor allem die besondere Unternehmenskultur bei Google.

Es sei diese besondere Unternehmenskultur, die den Unterschied ma-che, sagte CEO Eric Schmidt. Innovation lasse sich nicht von oben len-ken. Man brauche vielmehr die richtigen Rahmenbedingungen – und die sind bei Google offensichtlich anders als bei anderen Unterneh-men: „Niemand arbeitet so wie wir.“ Innovationen seien etwas, das von kleinen Teams ausgehe. Diese ent-wickelten eine Idee, die ihren Kollegen und Chefs nicht verständlich sei. Man müsse aber sicherstellen, dass das mittlere Management sol-

Page 20: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

19

2

che Innovationen nicht verhindere. Google räumt deshalb seinen Mit-arbeitern die Möglichkeit ein, 20 Prozent ihrer Arbeitszeit anderen Projekten zu widmen. Ein Angestellter habe das Recht, seinem Vorge-setzten zu sagen, er gebe alles, worauf dieser Anspruch habe: 80 Pro-zent seiner Arbeitszeit. “Ich glaube, dass dieses Innovationsventil in jedem Unternehmen, das sich mit Technologie beschäftigt, einsetzbar ist“, so Schmidt. (Business Week 4/08; Zit. nach Golem.de, 30.04.2008)

Quintessenz: Es gibt nicht die beste Unternehmenskultur

Auch wenn Offenheit, Änderungsfreundlichkeit, Basis-, Einheits- und Entwicklungsorientierung im Trend liegen. Es gibt keine Kultur, die in jedem Land, jeder Branche und strategischer Positionierung immer die „beste oder schlechteste“ ist! In lateinamerikanischen, afrikanischen, osteuropäischen und vielen asiatischen Unternehmen oder Niederlas-sungen herrschen zumeist hierarchische, „top down“ geführte Kultu-ren vor. IT-Unternehmen und -Beratungen sind per se änderungs-freundlicher als Hochschulen mit langfristigem Staatsauftrag und ei-ner notwendigen, risikoaversen Null-Fehler-Kultur. Unternehmen wie Aldi oder Lidl mit einer Kostenführerschaftsstrategie benötigen kos-tenorientierte Kulturen mit Dominanz des Rechnungswesens und des Controllings.

3.3.3 Zweidimensionaler Ansatz von Deal & Kennedy

Der Ansatz von Deal & Kennedy zur Einordnung von Unternehmenskulturen unterscheidet je nach dem Risiko, das mit der geschäftlichen Aktivität ver-bunden ist und der Geschwindigkeit, mit der Firmen Feedback aus dem Markt auf ihre Entscheidungen bekommen, vier Typen von Unternehmenskulturen.

Abb. 3: Zweidimensionaler Ansatz von Deal/Kennedy, 1987

Page 21: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

20

2

Bei Risikokulturen können wie in der Biotech-, Pharma-, Flugzeug-, Rüs-tungs- oder Ölindustrie Jahre vergehen, bis man weiß, ob unternehmerische Entscheidungen richtig waren. Korrekte Kleidung und Auftreten sind wichtig, der Karriereaufstieg erfolgt langfristig.

Demgegenüber leben Unternehmen mit einer Verfahrenskultur in einer Welt mit geringen oder keinen Rückkopplungen. Der Fokus liegt auf den Prozessen, einem fehlerfreien, perfekten Arbeitsvollzug. Der Mitarbeiterbei-trag ist häufig nur schwer messbar. Der Fokus liegt mehr darauf, wie etwas getan wird. Typisch für Behörden, Banken, Versicherungen und Versor-gungsunternehmen.

Macho-Kulturen, die Welt „harter Männer“ ist eine Welt voller Individualis-ten und Heroen, die regelmäßig hohe Risiken eingehen und schnell erfahren, ob sie falsch oder richtig liegen. Typisch sind hier „Up-or-out-Kulturen“ wie im Investmentbanking, in der Strategieberatung und in der Werbung, mit sehr hohem Erfolgsdruck auf den einzelnen Mitarbeiter. Nur der Erfolg zählt.

Harte-Arbeit-viel-Spaß-Kulturen sind häufig in der IT- oder Restaurant-branche, aber auch im Vertrieb von Konsumprodukten zu finden. Rituale, Ranglisten und Promotions küren gute Verkäufer und Manager als Helden.

Beispiel zu zwei höchst unterschiedlichen Unternehmenskulturen in der Unternehmensberatung

Zumeist versteht man die Unternehmenskultur des eigenen Unter-nehmens erst dann, wenn man die Firma wechselt. Der Autor selbst hat mehrere Jahre in zwei amerikanischen Beratungsfirmen mit recht unterschiedlichen Unternehmenskulturen gearbeitet. Die Unterneh-menskultur der einen Firma – nennen wir sie Firma A – war dadurch geprägt, dass man vom „Klienten“ und nicht vom „Kunden“ wie in der Beratungsfirma B gesprochen hat. Der „Klient“ war zumeist der Auf-traggeber und nicht die Gesamtorganisation, für die man schlussend-lich ein strategisches Konzept erarbeit hat. Die Berater dieser Firma – meist mit Promotion – wurden gerne von den besten Business Schools und technischen Universitäten rekrutiert. Die Berater der Firma A sa-hen das Klientenproblem als einzigartig an, das „Rad“ der Beraterme-thode wurde immer wieder neu erfunden. Die Unternehmenskultur war über die weltweiten Büros einheitlich. In der Terminologie von Knut Bleicher war es eine heroengeprägte Kultur: Entscheidend war, wer die entscheidende Lösung für das Klientenproblem gefunden hatte und auch die beste Klientenbeziehung aufbauen konnte. Das Team stand weniger im Vordergrund. Eine typische „Macho- und Up-or-Out“-Kultur im Sinne Deal & Kennedys mit viel Leistungsdruck und durch-schnittlichen Arbeitszeiten von 9 bis 23 Uhr, zumindest von Montag bis Donnerstag. Die ungeschriebene Kleiderordnung sah Manschetten-knöpfe und Ledersohlenschuhe vor, man kleidete sich gerne wie der

Page 22: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

21

2

Vorstand oder die Geschäftsleitung auf der Klientenseite. Die meisten jungen Berater haben diesen Job nicht länger als zwei Jahre gemacht und sind dann freiwillig oder unfreiwillig gegangen. Das wusste aber jeder schon, bevor er den Job angetreten hatte.

Die Berater der Firma B trugen bevorzugt Hemden ohne Manschetten-knöpfe (teilweise sogar sportliche Button-down-Hemden) und ent-stammten eher der „Gummisohlenfraktion“. Bei der Firma B beruhte das Selbstbewusstsein der Berater weniger auf den Bestnoten bei den besten Business Schools, sondern auf einem extensiven internen Knowledge-Management-System und der Fähigkeit, auch sehr große Projekte mit vielen Mitarbeitern sehr termingetreu liefern zu können. Es konnte zumeist auf ein vergleichbares Projekt, das irgendwo auf der Welt in der gleichen Branche erfolgreich abgeschlossen worden war, zurückgegriffen werden, ohne das Rad der Beratermethode gänzlich neu erfinden zu müssen. Durchschnittliche Arbeitszeiten waren nur von 9 bis 21 Uhr bei den Strategieberatern aus Deutschland (in Groß-britannien deutlich höher) und von 9 bis 19 Uhr bei den Prozessbera-tern. Weniger eine Einheitskultur wie bei der Firma A als eine von Subkulturen geprägte Unternehmenskultur. Dies wurde gerade dann deutlich, wenn Strategieberater parallel mit Prozess- und IT-Beratern zusammengearbeitet haben. Firma B war weniger heroengeprägt, das Team stand im Vordergrund. Weniger eine „Up-or-Out-Policy“ als eine „Harte-Arbeit-und-viel-Spaß-Kultur“.

3.3.4 Sechs Kulturtypen nach Geiselhardt

Vielleicht können Sie Ihre Unternehmenskultur am besten über die sechs Kulturtypen nach Geiselhardt (2006) beschreiben.

Merkmale von Machtkulturen sind öffentliche Belohnungs- und Bestrafungs-rituale. Der Erfolg und Misserfolg wird personifiziert. Auch wenn nach außen hin alle am gleichen Strang ziehen, geht es de facto doch eher darum „to please the boss“. Gesichtswahrung steht vor sachdienlichen Lösungen. Man muss dem Mächtigen erzählen, was er hören will, nicht was richtig ist.

Praxistipp zum Umgang mit Machtkulturen

Spielen Sie das „power play“ mit und holen Sie sich zunächst den Res-pekt bei Ihrem „Fürsten“ ein. Kommunizieren Sie auf Augenhöhe. Bil-den Sie Allianzen. Aber stellen Sie den Mächtigen niemals bloß! Ge-winnen Sie lieber den Mächtigen als „change hero“ und kombinieren Sie effektiv Sach- und PR-Arbeit!

Page 23: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

22

2

Merkmale von Patriarchenkulturen sind die emotionale Bindung und gegen-seitige Abhängigkeit von der „Vaterfigur“ des Unternehmers bzw. Patriar-chen. Loyalität und persönliches Vertrauen sind wichtig. Nach außen hin kann man mit allen Problemen zu ihm gehen. Er verwechselt aber gerne beim Überbringer schlechter Nachrichten Bote und Botschaft. Von seinen ehemaligen Glanztaten hört er gerne. Seine „Steckenpferde“ sollte man lieber nicht angreifen.

Praxistipp zum Umgang mit Patriarchen

Informieren Sie den Patriarchen konsequent. Gewinnen Sie sein Ver-trauen und das seiner Sekretärin. Transplantieren Sie bei Projekten Ih-re eigenen Ideen und gewinnen Sie auch den Patriarchen als „change hero“. Nutzen Sie entspannte Gönnersituationen. Überlassen Sie dem Patriarchen seinen persönlichen Erfolg!

Merkmale von Teamkulturen sind durch ein ausgeprägtes Gemeinschaftsge-fühl gekennzeichnet. Vertrauen, Spaß und Lust auf Leistung, ein gegenseiti-ges Aufputschen und hohe intrinsische Leistungsbereitschaft herrschen vor. Die Zusammenarbeit ist hierarchiearm. Eine Vielfalt an Meinungen und die Erfolgsfaktoren Teamgeist, Begeisterung und Kreativität kennzeichnen die Teamkultur. Nach außen hin kann jeder jedem alles offen und ehrlich sagen. Auch Individualität wird offen gefördert. De facto wird aber häufig das Risiko anonymisiert, da keiner mehr verantwortlich ist. Fördern Sie auch in Ihrem Bereich die Teamentwicklung. Aber schleusen Sie Ihre eigenen neuen Leute ein. Sichern Sie sich klare Verantwortlichkeiten in Ihrem Verantwortungsbe-reich durch individuelle Zielvorgaben.

Merkmale einer Hierarchiekultur sind Privilegien, vom Parkplatz über die Lage des Büros bis zur Größe des Dienstwagens. „Ober sticht unter“: Es herrscht eine eindeutige Ordnung mit Dienstgraden, entsprechend abgestuf-ten Kompetenzen, Disziplin und Gehorsam sowie Abteilungsdenken. Die hie-rarchische Einordnung wird zunächst zum persönlichen Erfolgsfaktor. Kein Hinterfragen der „Order“, sondern flexible Unterordnung und striktes Einhal-ten des Dienstweges sind die offen kommunizierten Spielregeln! Die gehei-men Spielregeln lauten in diesen bedauernswerten Kulturen: Ärger mit dem Chef ist schlimmer als Ärger mit dem Kunden, nach oben buckeln, nach un-ten wird getreten, Suche nach Sündenböcken und revisionssicheres Verhal-ten.

Praxistipp zum Umgang mit Hierarchiekulturen

Halten Sie sich zunächst an die Spielregeln und ordnen Sie sich in die Hierarchie ein! Gewinnen Sie dann die „Hierarchie“ für ihre ange-strebten Veränderungen und beziehen Sie die „wichtigen“ Personen in Lenkungsausschüsse ein! Ändern Sie die Organisation aber nur „top

Page 24: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

23

2

down“. Nutzen Sie regelmäßige Berichterstattung und schaffen Sie „Info-Bypässe“ zur Hierarchieabflachung. Definieren Sie in einer spä-teren Phase die Symbole und Rituale um, und schaffen Sie die alten Statussymbole ab.

Merkmale von Bürokratiekulturen sind Überregulierung, Dienstordnung, Zuständigkeitsdenken, Beamtenmentalität, Vermeidung persönlicher Emoti-onen, Richtlinienkult, Beschäftigung mit sich selbst und Hochdienen mit Senioritätsprinzip. Fast alles ist reglementiert, Ausnahmen dürfen nur selten stattfinden. Die geheimen Spielregeln sind: Eigeninitiative ist unerwünscht, „please the boss“, „so hat es schon immer funktioniert“ und „klein ist schön, weil mich dann niemand sieht!“.

Praxistipp zum Umgang mit Bürokratiekulturen

Machen Sie ein strukturiertes, fehlerfreies und regelkonformes Vorla-genmanagement. Kleiden Sie dann Ihre Veränderungen in ein geregel-tes Projekt ein. Dokumentieren Sie Veränderungen. Nutzen Sie das eingeführte „Verbesserungsvorschlagswesen“.

Konsenskulturen vermeiden Konfrontation und Konflikt. Kooperativer Füh-rungsstile mit der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner stehen im Vordergrund. Unterordnung unter die Gemeinschaft wie in Japan steht vor der US-amerikanischen Fokussierung auf die Individualziele. Überzeugung und Kompromiss sind zentrale Erfolgsfaktoren. De facto lauten die gemeinen Spielregeln aber, dass Konsens vor sachdienlichen Lösungen geht und alle zufriedengestellt werden müssen.

Praxistipp für die Konsenskultur

Binden Sie die Betroffenen ein. Sprechen Sie Ziele und Absichten offen an. Stärken Sie persönliche Beziehungen und das Gruppengefühl. Dis-kutieren Sie geduldig aus und bieten Sie zunächst Kompromisse an. Holen Sie aber frisches Blut von außen und stellen Sie übergeordnete Ziele in den Vordergrund. Führen Sie bewusst kreative Prozesse ein und schaffen Sie mehr internen Wettbewerb.

Page 25: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Management und Führung

Unternehmenskultur – Autopilot des Mitarbeiterverhaltens

24

2

Quintessenz: Umgang mit Unternehmenskulturen

Arbeiten Sie nur bei Unternehmen, deren Unternehmenskultur Ihrer eigenen Persönlichkeit entspricht. Das ist der Vorteil von Unterneh-mensgründern. Das Leben ist zu kurz, um keinen Spaß bei der Arbeit zu haben! In der Praxis kann es diese Entsprechung aber nicht immer und in allen Abteilungen geben. Versuchen Sie zunächst, das „Spiel mitzuspielen“ und fügen Sie sich ein. Dann gehen Sie vom „pacing“ in das „leading“ im Sinne von Geiselhardt über und versuchen Sie das Spiel nach Ihren Spielregeln zu ändern.

Übungen: Unternehmenskultur

1. Ordnen Sie bitte die Unternehmenskultur Ihres Unternehmens in mindestens einen der vier Typologisierungsversuche ein.

2. Beschreiben Sie bitte die „Persönlichkeit“ Ihres Unternehmens. Was

für ein „Typ Mensch“ ist Ihr Unternehmen z. B. hinsichtlich Alter, Geschlecht, Ausbildung, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die Umwelt, Kreativität, Kommunikationsstil, Führungsstil, Arbeitsstil, Teamfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Hilfsbereitschaft, Ehrlich-keit und Offenheit, Lebensstil, Einkommen, Arbeitstempo, Um-gangsformen?

3. Ist diese Unternehmenskultur bzw. „Persönlichkeit“ diejenige, die

Sie benötigen, um Ihre Vision zu realisieren? Welche Unterneh-menskultur brauchen Sie, um Ihr anspruchsvolles Ziel zu erreichen?

4. Wie kann in Ihrem Unternehmen die Kultur durch die Geschäftslei-

tung dramatisch verbessert werden? Klarere Vorgabe einer Zu-kunftsvision und strategischen Orientierung? Klareres Zielsystem pro Mitarbeiter formulieren sowie stärkere Leistungsorientierung? Anpassung/Änderung der Anreiz- und Belohnungssysteme? Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter? Umfassendere Information und Kommunikation der Mitarbeiter (Transparenz)? Firmenüber-greifende Projekte? Personalentwicklung und Sicherung der Ar-beitsplätze? Änderung Führungsstil? Veränderungsbewusstsein bei allen Beteiligten sicherstellen? Akzeptanz und Vertrauen schaffen durch Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit, Nachhal-tigkeit? Bessere Räumlichkeiten?

5. Welche Maßnahmen sollten von der Mitarbeiterseite Ihres Unter-

nehmens getroffen werden, um die gewünschte Kultur zu entwi-ckeln?

Page 26: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Schriftlicher Lehrgang Management und Führung

Lektion 4

Change ManagementIn 7 Lektionen zum Zertifikat

Autorin: Dr.-Ing. Claudia KostkaFachliche Leitung: Prof. Dr. Reiner Hillemanns

Page 27: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion 4

Change Management Autorin: Dr.-Ing. Claudia Kostka Schriftlicher Lehrgang

Management und Führung In 7 Lektionen zum Zertifikat Fachliche Leitung: Prof. Dr. Reiner Hillemanns

Hinweis des Herausgebers:Hinweis des Herausgebers:Hinweis des Herausgebers:Hinweis des Herausgebers:

© 4/2009, Herausgeber dieser Lektion des schriftlichen Lehrgangs ist die Haufe Akademie GmbH & Co. KG, Frei-burg. Wir weisen darauf hin, dass das Urheberrecht sämtlicher Texte und Grafiken in dieser Lektion bei dem Autor und das Urheberrecht des Lehrgangs als Sammelwerk bei dem Herausgeber liegen. Die begründeten Urhe-berrechte bleiben umfassend vorbehalten. Jede Form der Vervielfältigung z. B. auf drucktechnischem, elektroni-schem, fotomechanischem oder ähnlichem Wege – auch auszugsweise – bedarf der ausdrücklichen schriftli-chen Einwilligung sowohl des Herausgebers als auch des jeweiligen Autors der Texte und Grafiken. Es ist Lehr-gangsteilnehmern und Dritten nicht gestattet, die Lektionen oder sonstigen Unterrichtsmaterialien zu vervielfäl-tigen.

Page 28: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Autorin 4

Dr.Dr.Dr.Dr.----Ing. Claudia KostIng. Claudia KostIng. Claudia KostIng. Claudia Kostkakakaka

Dr. Claudia Kostka ist Autorin einiger Bücher zu den Themen Change und Prozess-Management. Nach einer Tätigkeit als Krankenschwester, einem Ma-schinenbau- und Produktionstechnikstudium an der Tu Berlin und der UC Berkeley (Organizational Behavior, Business Communications), Industrieer-fahrung, dann Forschung und Lehre an der Universität sowie Beratungstätig-keit ist sie seit 2007 Geschäftsführerin der Energetic Change GmbH. Diese unterstützt Unternehmen mit Beratung und Software ihre Geschäftsprozesse transparent zu gestalten und auf Veränderungen auszurichten.

Page 29: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Inhaltsverzeichnis

4

Inhaltsverzeichnis

1 Change Management: Mode oder Methode? ......................................... 5 1.1 Einleitung .................................................................................................... 5 1.2 Begriffsklärung Change Management ...................................................... 7 1.3 Anlässe für Change Management.............................................................. 8

Lernkontrolle 1 ..................................................................................................... 10

2 Psychologie der Veränderung ................................................................ 11 2.1 Widerstände gegen Veränderungen ....................................................... 11 2.1.1 Widerstandssymptome ............................................................................ 12 2.1.2 Widerstandsmuster im Change Management ....................................... 13 2.1.3 Typische Einstellungen in Veränderungsprozessen .............................. 15 2.1.4 Bedürfnisse des Menschen ....................................................................... 17 2.2 Phasen von Veränderungsprozessen ....................................................... 18 2.2.1 Veränderung ist die Regel nicht die Ausnahme .................................... 18 2.2.2 Die Phasen im Überblick .......................................................................... 18 2.3 Schock- und Überraschungsphase: Was ist los? .................................... 19 2.4 Ablehnung- und Verneinungsphase:

Das stimmt nicht, das geht nicht! ........................................................... 20 2.5 Rationale Einsicht: Wo sind die Schuldigen? ......................................... 21 2.6 Emotionale Akzeptanz: Wieso habe ich das bisher nicht erkannt? .... 22 2.7 Lernen: Wie kann es gehen? Was kann ich tun? .................................. 23 2.8 Erkenntnis: Heureka, ich hab’s! .............................................................. 25 2.9 Integration: Die Veränderung ist vollzogen ........................................... 26

Lernkontrolle 2 ..................................................................................................... 27

3 Die Reise des Helden – ein metaphorischer Transformations-

prozess ....................................................................................................... 29 3.1 Der Held in seiner gewohnten Welt ....................................................... 29 3.2 Ruf des Abenteuers ................................................................................... 31 3.3 Weigerung ................................................................................................. 32 3.4 Begegnung mit dem Mentor .................................................................... 33 3.5 Überschreiten der ersten Schwelle.......................................................... 35 3.6 Bewährungsproben, Verbündete und Feinde ........................................ 36 3.7 Vordringen zur tiefsten Höhle ................................................................ 38 3.8 Entscheidende Prüfung ............................................................................ 39 3.9 Belohnung, Initiation ............................................................................... 40 3.10 Rückkehr in die Heimat ........................................................................... 41 3.11 Tod und Wiedergeburt (Auferstehung) .................................................. 41 3.12 Rückkehr mit dem Elixier ........................................................................ 43

Lernkontrolle 3 ..................................................................................................... 45

4 Veränderungsprozesse gestalten .......................................................... 46 4.1 Typische Fehler bei Veränderungsvorhaben .......................................... 46

Page 30: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Inhaltsverzeichnis

4

4.2 Das 8-Stufen-Konzept für erfolgreiches Change Management nach John Kotter ................................................................................................ 49

4.2.1 Stufe 1: Gefühl der Dringlichkeit für Veränderungsbedarf schaffen .. 50 4.2.2 Stufe 2: Eine tragfähige Koalition bilden................................................ 52 4.2.3 Stufe 3: Vision und Strategie entwickeln ............................................... 55 4.2.4 Stufe 4: Vision und Strategie kommunizieren ....................................... 58 4.2.5 Stufe 5: Betroffene zu Beteiligten machen ............................................. 60 4.2.6 Stufe 6: Kurzfristig sichtbare Erfolge planen und kommunizieren .... 62 4.2.7 Stufe 7: Beharrlich und systematisch die erreichten Veränderungen

ausbauen .................................................................................................... 65 4.2.8 Stufe 8: Veränderungen konsolidieren, neue Verhaltensweisen

kultivieren und institutionalisieren ....................................................... 67 4.3 Kommunikation des Veränderungsprozesses ........................................ 68 4.3.1 Kommunikation in Stufe 1: Gefühl für Dringlichkeit .......................... 69 4.3.2 Kommunikation in Stufe 2: Eine tragfähige Koalition bilden .............. 72 4.3.3 Kommunikation in Stufe 3: Vision und Strategie entwickeln ............. 73 4.3.4 Kommunikation in Stufe 4: Vision und Strategie kommunizieren ..... 75 4.3.5 Kommunikation in Stufe 5: Betroffene zu Beteiligten machen ........... 78 4.3.6 Kommunikation in Stufe 6: Kurzfristig sichtbare Erfolge planen ....... 80 4.3.7 Kommunikation in Stufe 7: Beharrlich und systematisch die

erreichten Veränderungen ausbauen ..................................................... 82 4.3.8 Kommunikation in Stufe 8: Veränderungen konsolidieren, neue

Verhaltensweisen kultivieren und institutionalisieren ........................ 83 4.4 Eine herausragende Führungspersönlichkeit ........................................ 84

5 Zusammenfassung ................................................................................... 87

Lernkontrolle 4 ..................................................................................................... 88 In dieser Lektion wird bei der Bezeichnung von Personen die männliche Form verwendet, um die Lesbarkeit zu erleichtern. Selbstverständlich sind stets weibliche und männliche Personen gleichermaßen gemeint. Wir bitten dafür um Verständnis.

Page 31: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

11

4

2 Psychologie der Veränderung

„Der Mensch ist ein mittelmäßiger Egoist. Selbst der Klügste nimmt seine Gewohnheiten wichtiger als seinen Vorteil.“

Friedrich Nietzsche

2.1 Widerstände gegen Veränderungen

Bei Veränderungsvorhaben treten in der Regel Widerstände gegen das Neue auf. Von Widerstand spricht man dann, wenn die von den Führungskräften vorgesehenen Entscheidungen oder getroffenen Maßnahmen aus zunächst nicht ersichtlichen Gründen bei einzelnen oder vielen Mitarbeitern auf kon-krete oder diffuse Ablehnung stoßen, nicht unmittelbar nachvollziehbare Bedenken erzeugen oder durch passives Verhalten unterlaufen werden.

Dabei sind Widerstände gegen die Veränderung nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Die Ursachen für das Auftreten von Widerständen liegen im emotionalen Bereich. Das sind ganz normale Phänomene, wenn Menschen mit neuen Her-ausforderungen konfrontiert werden.

Grundsätzlich entstehen Widerstände durch Ängste vor z. B.:

• Verlust des Arbeitsplatzes, • Verlust der Position, • Verlust der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, • Verlust von Sicherheit, • Verlust von Anerkennung, • Angst, Fehler zu machen.

Angst ist neben Wut, Scham, Liebe, Freude und Trauer ein menschliches Grundgefühl. Der Begriff Angst kommt von Enge und äußert sich in einer als bedrohlich empfundenen Situation. Auslöser können dabei erwartete Bedro-hungen wie der körperlichen Unversehrtheit, der Selbstachtung oder des Selbstbildes sein.

Ursprünglich hatte Angst die Funktion, in Gefahrensituationen ein überle-benssicherndes Verhalten einzuleiten. Die Angst löst dabei einen Schutzme-chanismus aus, der blitzschnell die Sinne schärft, um zu flüchten oder anzu-greifen. Beides ist im heutigen sozialen Kontext nicht mehr sinnvoll.

Veränderungssituationen führen bei den meisten Menschen (vor allem dann, wenn sie an der Entscheidung für bestimmte Maßnahmen und Schritte nicht beteiligt werden) zu einem generellen Mangelgefühl, das häufig als Bedro-hung wahrgenommen wird. Das natürliche Verhalten in so einer Situation wäre Flucht oder Angriff. Beides ist in unserer zivilisierten Gesellschaft nicht

Page 32: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

12

4

möglich. Daher äußern sich Widerstände gegen die Veränderung eher auf subtilere Art und Weise.

Übung

In welcher beruflichen Situation (z. B. Personalgespräch, Assess-mentCenter, Bewerbungsgespräch, Projektpräsentation, Zielvereinba-rungsgespräch) hatten Sie das letzte Mal das Gefühl von Angst?

Was genau hat Ihre Angst dabei ausgelöst?

Wie wirkte sich das Gefühl Angst konkret bei Ihnen aus (z. B. Herzra-sen, Schweißausbrüche, Sprachschwierigkeiten etc.)?

Was glauben Sie, hätte Ihnen in dieser Situation geholfen? Z. B.

• lautes Üben der Präsentation vor dem Spiegel, • vorheriges Treppensteigen zum Abbau der Stresshormone, • in der Situation: tiefes Einatmen und einen Moment innehalten, • einen Talisman in der Tasche zum Festhalten haben (siehe dazu den Film „Manhattan Maid“)?

2.1.1 Widerstandssymptome

Veränderungsvorhaben werden zunächst von den meisten Mitgliedern einer Organisation abgelehnt. Diese Ablehnung kann sich auf unterschiedliche Weise zeigen (Kostka, Mönch, 2006).

Typische Anzeichen für den Widerstand können sich z. B. in lustlos geführten Sitzungen oder stockenden Entscheidungsprozessen manifestieren. Es wird endlos über nebensächliche Details debattiert und kein „roter Faden“ ver-folgt. Ebenso sind auffallende Zurückhaltung sonst aktiver Mitarbeiter oder unklare Antworten auf klare Fragestellungen typisch für eine Kontra-Einstellung der Betroffenen. Andere Äußerungen von Widerstand können auch hohe Krankenstände, Fehlzeiten, interne Unruhe, Gerüchte und Intrigen sein. Ein abteilungsübergreifender Papierkrieg, hohe Ausschussraten und Pannen sind weitere Indizien dafür.

Page 33: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

13

4

Abb. 1: Typische Widerstandssymptome (Doppler 2002)

2.1.2 Widerstandsmuster im Change Management

Eine positive Einstellung und Akzeptanz der Veränderungsmaßnahmen sind notwendige Voraussetzungen für den Erfolg. Anfangs sind i.d.R. nur ca. fünf Prozent von der Vorteilhaftigkeit der Maßnahmen überzeugt (Kostka, Mönch, 2006).

Die Mitarbeiter eines Unternehmens lassen sich anhand ihrer persönlichen positiven und negativen Einstellung zu Neuerungen sowie einer Unterteilung der persönlichen und sachlichen Risiken, die sie fürchten, in verschiedene Gruppen klassifizieren. Mit persönlichen Risiken werden z. B. Jobverlust, Sta-tuseinbußen oder weniger Einkommen assoziiert. Sachliche Risiken um-schreiben die Befürchtung, dass die Veränderungsmaßnahme keine Effizienz-steigerung und keine Verbesserung des Status quo erbringt.

Am Anfang wird das Veränderungsvorhaben von den meisten abgelehnt. Eine anfangs nur ca. fünf Prozent umfassende Gruppe in Organisationen sind die Befürworter oder auch Promotoren. Sie schätzen die sachlichen und persönli-chen Risiken als gering ein und stehen dem Veränderungsprozess positiv ge-genüber. Dieser risikofreudige Personenkreis sollte als Startbasis für Trans-formationen genutzt werden.

Ca. 40 Prozent des Belegschaftsanteils sind Skeptiker. Sie bewerten die sachli-chen Risiken als außerordentlich hoch. Sie erwarten keine wirklich spürbaren Verbesserungen der Situation und sie stehen dem Veränderungsvorhaben misstrauisch gegenüber. Sie sind von der Vorgehensweise oder der Wahl der

Page 34: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

14

4

Mittel nicht überzeugt und entwickeln eine eher negative Einstellung. Die Bewertung ihrer persönlichen Risiken spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Um Skeptiker zur Mitarbeit zu bewegen, müssen sie von der Qualität und der Notwendigkeit der Veränderungsmaßnahme überzeugt werden.

Abb. 2 Akzeptanzmatrix und Widerstandsmuster (Mohr, 1998)

Eine ebenso große Gruppe repräsentieren die Bremser. Das persönliche Risiko, wie z. B. den Arbeitsplatzverlust, schätzen diese Personen als besonders hoch ein. Obwohl sie die Notwendigkeit erkennen, stehen sie der Veränderung äußerst negativ gegenüber. Sie befürchten, Verlierer der Umgestaltung zu werden. Die persönlichen Vorteile durch die Veränderungsmaßnahmen müs-sen den Bremsern nähergebracht werden, um sie zur aktiven Mitarbeit zu bewegen.

Die letzte Gruppe ist die der Gegner. Die persönlichen und sachlichen Risiken werden von dieser Gruppe als besonders hoch eingestuft. Die Notwendigkeit der Veränderungsmaßnahmen wird ebenso wie ihre persönliche Zukunft als nicht positiv eingeschätzt und veranlasst sie, ihren aktuellen Status aggressiv zu verteidigen oder sogar das Unternehmen zu verlassen. Diese Mitarbeiter sind nur durch Erfolge in ihrer Meinung zu beeinflussen und bei Mitarbeit kritisch zu beobachten.

Page 35: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

15

4

2.1.3 Typische Einstellungen in Veränderungsprozessen

Krebsbach-Gnath (Vahs, 1999) differenziert sieben Typen von Personen und Personengruppen in Veränderungsprozessen. Die nachfolgende Abbildung zeigt die typischen Einstellungen gegenüber dem organisatorischen Wandel auf der Basis einer Normalverteilung:

Abb. 3: Typische Einstellungen gegenüber dem organisatorischen Wandel auf der Basis einer Normalverteilung (Vahs, 1999)

Visionäre und Missionare

Sie entstammen in erster Linie dem Topmanagement, haben die Ziele und Maßnahmen mitentwickelt und sind von der Notwendigkeit der Änderung überzeugt.

Aktive Gläubige

Sie können als erste von den Visionären überzeugt werden und übernehmen die Aufgabe als Multiplikatoren.

Opportunisten

Sie schauen zunächst nach ihren persönlichen Vor- und Nachteilen. Gegen-über Vorgesetzten zeigen sie eine positive Haltung zum Wandel, gegenüber Mitarbeitern äußern sie verhaltene Kritik.

Page 36: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

16

4

Abwartende und Gleichgültige

Sie zeigen nur sehr geringe Bereitschaft, sich an den Veränderungen zu betei-ligen. Sind nur durch spürbare Verbesserungen ihrer individuellen Situation zur Mitarbeit anzuregen.

Untergrundkämpfer

Sie sind aktive Gegner von Veränderungen, gehen aber in ihren Aktivitäten verdeckt vor.

Offene Gegner

Sie sind ebenso wie die Untergrundkämpfer aktive Gegner von Veränderun-gen, bringen diese Haltung aber offen zum Ausdruck. Sie sind von ihrer Hal-tung überzeugt und handeln aus sachlichen und nicht aus persönlichen Mo-tiven. Ihre Argumente und Einwände können den Veränderungsprozess posi-tiv beeinflussen.

Emigranten

Sie haben sich entschlossen, den Wandel nicht mitzutragen und verlassen die Organisation. Vielfach handelt es sich um Leistungsträger, die nach dem Ver-änderungsvorhaben keine ausreichende Perspektive für sich erkennen kön-nen.

Quintessenz

Jedes Veränderungsvorhaben ist mit Widerständen verbunden.

Widerstände erscheinen als lästig und zeitraubend, sind aber wichtig, um Denkpausen für klärende Gespräche zu nutzen und ab und zu Kurskorrekturen im Transformationsprozess vorzunehmen.

Wenngleich eine starke Neigung der Verantwortlichen zur Missach-tung und Bagatellisierung besteht, müssen die auftretenden Wider-stände ernst genommen werden. Für den Fortgang des Wandelungs-prozesses und um Verzögerungen und Fehlschläge zu vermeiden, ist ein konstruktiver Umgang mit Widerständen erfolgsentscheidend.

Die meisten Mitarbeiter sind anfangs weder Befürworter noch Gegner, sondern unentschiedene oder skeptische Mitläufer oder bremsende Bedenkenträger, die aber durch aktive Einbindung durch Promotoren schrittweise überzeugt und eingebunden werden können.

Page 37: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

17

4

2.1.4 Bedürfnisse des Menschen

Die Normalverteilung in der Akzeptanzmatrix und bei den Veränderungsty-pen kommt zustande, weil durch die drohende Veränderungsmaßnahme die Bedürfnisstruktur der einzelnen Personen aus dem Gleichgewicht geraten ist. Die lässt sich leicht mit der Bedürfnispyramide von Abraham H. Maslow (1908–1970) erläutern, der fünf Bedürfniskategorien definiert:

1. Physiologische Grundbedürfnisse: gesunde natürliche Umwelt, Gesund-heit, gesunde Ernährung, Schlaf, körperliche Aktivität und Ruhe.

2. Sicherheitsbedürfnisse: gesicherte Umwelt: Wohnung und materielle Gü-ter, Ordnung, Organisation, Gesetze und Grenzen, Stabilität, Schutz von Exis-tenz und Eigentum.

3. Zugehörigkeitsbedürfnisse: Gemeinsamkeit, Kontakt, soziale Akzeptanz der eigenen Person und positiver Selbstwert, Geborgenheit, Mitgliedschaft und Familie.

4. Bedürfnis nach Anerkennung: Erfolg, Führung, Einfluss und Wissen, Pres-tige, Status, Aufmerksamkeit, Bedeutung, Respekt, Selbstbestätigung.

5. Selbstverwirklichung: eigene Ziele und Träume realisieren.

Die ersten vier Bedürfnisse in der Pyramide werden als Defizitbedürfnisse bezeichnet. Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung wird als Wachstums-

bedürfnis bezeichnet.

Bei Veränderungsprozessen sind für viele Menschen durch das reale oder vermeintliche Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, gleichzeitig Sicherheits-, Zugehörigkeits- und Anerkennungsbedürfnisse bedroht. Dass diese Vorstel-lung Angst macht, leuchtet ein, wird aber häufig bei Veränderungsvorhaben überhaupt nicht berücksichtigt.

Praxistipp

Selbst wenn der Abbau von Arbeitsplätzen nicht geplant ist, sollte bei Veränderungsvorhaben die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und die Erwartung persönlicher Nachteile durch die Veränderungsmaßnahme für Kommunikationsmaßnahmen immer berücksichtigt werden. Die Ängste der Belegschaft sind die Ursachen für auftretende Widerstän-de.

Page 38: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

18

4

Übung

Zeichnen Sie Ihre Lebenslinie und markieren Sie Krisenpunkte.

Überlegen Sie für jeden Krisenpunkt,

• was diese Krise ausgelöst hat, • was das Thema der Krise war, • wie sie mit dieser Krise umgegangen sind, • wer oder was Ihnen dabei geholfen hat und • was sie gelernt haben bzw. auch was Sie hinter sich gelassen haben, • wie sie diese Krise gemeistert haben und • was danach anders/besser war.

2.2 Phasen von Veränderungsprozessen

2.2.1 Veränderung ist die Regel nicht die Ausnahme

Menschen müssen sich seit Jahrtausenden aufgrund von Dürre oder Über-schwemmungen, Krieg und wirtschaftlichen Entwicklungen mit Veränderun-gen auseinandersetzen. Auch in unserem heutigen relativ bequemem Leben gibt es Veränderungen, denen wir uns stellen müssen, wir werden z. B. älter, lernen oder erleben Neues, die Menschen um uns herum verändern sich, Kin-der werden geboren, sie lernen laufen, gehen zur Schule und dann aus dem Haus. Familienmitglieder oder Freunde sterben, es gibt Trennungen oder Umzüge, Jobwechsel etc. Die Umwelt, die Jahreszeiten, die Moden, die Trends, die Technik usw. verändern sich. Veränderung gehört zu unserem Leben wie das Licht der Sonne. Sie bedeutet einerseits die Sicherung des Überlebens und führt andererseits nicht selten zu Verbesserungen des täglichen Lebens. Ver-änderung ist Entwicklung (Kosta, 2007).

Tiefgreifende Veränderungen sind immer mit einem Erkenntnis- und Rei-fungsprozess verbunden, der jedoch häufig schmerzhaft und deshalb mit Widerständen verbunden ist.

Früher gab es bestimmte Rituale, die bestimmte Lebensphasen einläuteten oder als beendet zelebrierten. Lebensabschnitte waren zeitlich klar definiert. Heute scheint sich alles und jeder in der Dauerveränderung zu befinden, aber ohne zu wissen, wo er dabei steht und welche weiteren Schritte notwendig sind.

2.2.2 Die Phasen im Überblick

Jede Veränderung ist ein emotionaler Reifungsprozess, der in sieben typi-schen Phasen verläuft. In der folgenden Abbildung spannt sich eine Kurve über die Zeit und die wahrgenommene eigene Kompetenz. Diese Kompetenz,

Page 39: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

19

4

mit der neuen und veränderten Situation umgehen zu können, entscheidet letztlich, wie groß die Widerstände gegen die Veränderung sind und dem-nach auch, wie fundamental der ablaufende Veränderungsprozess im inneren Erleben stattfindet.

Abb. 4: Phasen von Veränderungsprozessen

Im Folgenden werden die einzelnen Phasen beschrieben, um die psychologi-sche Reaktion von Menschen in Veränderungsprozessen verstehen zu kön-nen. Jeder, der Menschen durch Veränderungsprozesse führen oder begleiten soll, muss dafür ein tiefes Verständnis entwickeln. Für Führungskräfte ist es essenziell, sich damit auseinanderzusetzen, denn nur wer versteht, was sich in Veränderungssituationen in den Köpfen der Mitarbeiter abspielt, ist in der Lage, Gestaltungsmaßnahmen so zu entwickeln, dass Betroffene zu Beteilig-ten werden.

Wir werden in den folgenden Abschnitten anhand des Beispiels der Entwick-lung des Umweltbewusstseins in Deutschland das Verständnis der Verände-rungsphasen verdeutlichen.

2.3 Schock- und Überraschungsphase: Was ist los?

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und reagiert auf unerwartete Situationen in der Regel mit Schock oder Angst. Das resultiert daraus, dass wir nur über eine begrenzte Anzahl von Handlungsmöglichkeiten verfügen, die wir immer wieder einsetzen, um bestimmte Situationen zu meistern. Mit den bewährten Handlungsmustern fühlen wir uns sicher, dadurch wird unser Selbstwertge-fühl gesteigert oder zumindest bewahrt. Neue, unerwartete Situationen er-fordern im Regelfall auch neue Denk- und Verhaltensweisen, die tendenziell riskant sind: Sie sind nicht eingeübt und es können Fehler gemacht werden, was eine Bedrohung unseres Selbstwertgefühls darstellt.

Page 40: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

20

4

Je nachdem, als wie bedrohlich die Situation empfunden wird, macht der Körper ganz unbewusst mobil. Der daraus resultierenden Stressreaktion kann aber nicht durch Weglaufen, tot stellen oder Angreifen begegnet werden. In unserer zivilen Gesellschaft wird ein angepasstes Verhalten erwartet. Die Stresssituation führt bei den betroffenen Personen zu einer Einschränkung des Handlungsspielraums. Dadurch sinkt die wahrgenommene eigene Kom-petenz, denn für die neuen Rahmenbedingungen gibt es noch keine angemes-senen Verhaltensweisen oder keine bestehende Lösung. Diese Phase ist ge-kennzeichnet durch hohe Unsicherheit und starke Emotionen.

Beispiel: Die Entwicklung des Umweltbewusstseins in Deutschland

Veränderungsphase # 1: Schock

Bei der Bundestagswahl am 6. März 1983 erhalten Die Grünen 5,6 Pro-zent der Stimmen. Grünes Denken erhält eine Stimme im Bundestag.

Am 29. März 1983 ziehen die Grünen mit 27 Abgeordneten als kunter-bunte Truppe mit Turnschuhen, Latzhosen und langen Bärten in den Bundestag ein. Die Mehrheit der Bundesbürger war darüber scho-ckiert.

2.4 Ablehnung- und Verneinungsphase: Das stimmt nicht, das geht nicht!

Mit neuen unbekannten Rahmenbedingungen entstehen Gefühle des Kon-trollverlustes und damit das Bedürfnis, an dem bisherig Bewährten festzuhal-ten. Das fördert das Bedürfnis, die bedrohte oder verloren gegangene Hand-lungsfreiheit zurückzugewinnen. Sämtliche Glaubensätze, Werte, Einstellun-gen oder Verhaltensweisen etc. werden aktiviert, um das bestehende Weltbild wieder herzustellen. Die Ablehnung einer notwendigen Veränderung ist die normale und unvermeidliche Begleiterscheinung von Veränderungsprozes-sen.

Da sich die Welt draußen aber nicht (zurück-)verändert, kommt es zu inneren und/oder äußeren Konflikten, Widerständen (z. B. Dienst nach Vorschrift) oder Auseinandersetzungen (z. B. Machtkämpfe). Ablehnung von und Wider-stand gegen Veränderungsprozesse in Organisationen zeigen sich auch darin, dass häufig keine wirklichen Entscheidungen getroffen werden. Man bleibt in der Analysephase, bringt ständig neue Argumente, warum etwas nicht geht oder verliert sich in Detaildebatten. Es wird viel Papier produziert und wenig umgesetzt.

Page 41: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

21

4

Beispiel: Die Entwicklung des Umweltbewusstseins in Deutschland

Veränderungsphase # 2: Ablehnung, Weigerung

Durch ihren chaotischen Formbildungsprozess und unkonventionel-les, teilweise auf Störung angelegtes Verhalten stießen Die Grünen und damit auch ihre politischen Themen auf große Ablehnung. Öf-fentliche Fraktionssitzungen, das Rotationsprinzip der Parlamentarier und andere Anfangsnaivitäten sorgten für viel öffentliche Aufmerk-samkeit.

Bei den etablierten Abgeordneten von SPD, FDP und CDU/CSU stieß dieses Verhalten zu Recht auf Ablehnung und Unverständnis. Es lie-ferte den etablierten Parteien ausreichend Argumente, um die tatsäch-lich anstehenden Umweltthemen in der breiten Öffentlichkeit zu dis-kreditieren und lange Zeit abzulehnen.

Der politische Eingriff in das wirtschaftliche Handeln z. B. bei Che-mieunternehmen wurde so um Jahrzehnte hinausgezögert. So ist erst heute allgemein akzeptiert, dass es Aufgabe des Staates ist, durch strenge Umweltgesetze die Industrie und die Bürger zu zwingen, die Umwelt zu schützen.

2.5 Rationale Einsicht: Wo sind die Schuldigen?

In dieser Phase wird den Betroffenen klar, dass Veränderungen vorgenom-men werden müssen, ob man will oder nicht. Die neue Situation und die da-mit verbundenen veränderten Anforderungen werden akzeptiert, zugleich sinkt die wahrgenommene eigene Kompetenz. Noch sind keine adäquaten Handlungsmuster vorhanden, auf die man zugreifen könnte. In erster Linie sollen sich die anderen ändern und gerne werden Schuldige gesucht und ge-funden.

In dieser Phase kommt es oftmals zu ersten Trennungen zwischen Unter-nehmen und Mitarbeitern. Noch wird einer tiefgreifenden Veränderung aus-gewichen und das Risiko von Pseudolösungen, d. h. Symptom kurierenden kurzfristigen Lösungen und die Angst vor Entscheidungen steigen. Ein wirkli-cher Wille zu einer paradigmatischen Veränderung ist noch nicht vorhanden.

Beispiel: Die Entwicklung des Umweltbewusstseins in Deutschland

Veränderungsphase # 3: Rationale Einsicht

Bereits lange vor den Grünen gab es Umweltorganisationen. Sie wid-meten sich Themen wie der Umweltverschmutzung, dem sauren Re-

Page 42: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

22

4

gen und den Gefahren der Atomkraft. Berichte über die Zerstörung von Wäldern durch den sauren Regen wurden zur Kenntnis genom-men. Auch der Club of Rome hatte in seinem 1972 verfassten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ an den achtsamen Umgang mit der Umwelt appelliert. Eine Verhaltensänderung aber kam für die breite Masse nicht in Frage. Außerdem erschien der Wald vor der Haustür immer noch grün und gesund.

Erst nachdem in den 1980er Jahren mehrere Umweltkatastrophen er-heblichen Schaden verursacht hatten und diese medienwirksam Ver-breitung fanden, kam es zu einer rationalen Einsicht bei einer breiten Bevölkerungsschicht, dass nämlich ein achtsamer Umgang mit der Umwelt notwendig sei.

1986 führte z. B. ein Brand in einer Lagerhalle von Sandoz in Basel (heute Teil von Novartis) zur Verunreinigung des Rheins mit 20 Ton-nen hochgiftiger Pestizide und Insektizide. Fernsehbilder zeigten ein gigantisches Fischsterben über eine Länge von 450 Rheinkilometern. Als Reaktion auf die Umweltkatastrophe, bei der man auch versucht hatte, die Bevölkerung zu täuschen, entstand ein enormer öffentlicher Druck.

2.6 Emotionale Akzeptanz: Wieso habe ich das bisher nicht erkannt?

Nach der Phase der rationalen Einsicht manifestiert sich der innere Konflikt. Es werden bisherige Ziele, Werte und Handlungsfähigkeiten in Frage gestellt. Das Tal der Tränen ist erreicht. Damit wird der Wendepunkt des Verände-rungsprozesses markiert.

In dieser Phase werden von den betroffenen Personen inadäquate Denk- und Verhaltensweisen bewusst wahrgenommen und kritisch betrachtet. Die Not-wendigkeit, sich selbst zu verändern, wird erkannt. Die wahrgenommene eigene Kompetenz schrumpft auf ein Minimum. Diese Phase wird auch als Krise (griech. Krisis; Entscheidung oder entscheidende Wendung) bezeichnet. Es findet eine Konfrontation zwischen dem alten Verhaltensmuster und der Erkenntnis statt, dass dieses Verhalten für die neuen Herausforderungen keine adäquaten Lösungen hervorbringt.

Emotionale Akzeptanz meint das tiefe innere Verstehen und Annehmen einer Herausforderung zur Erneuerung. Erst wenn die Erkenntnis stattgefun-den hat, dass man selbst das Problem ist und die Lösung in sich trägt, kann Veränderung stattfinden. Hier wird der Betroffene zum Initiator der Verän-derung. An diesem Punkt findet die fundamentale Entscheidung statt, ob gänzlich neue Wege gegangen werden oder ob man sich zurück in den Wi-

Page 43: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

23

4

derstand – die Ablehnung – begibt. Der Weg zur emotionalen Akzeptanz ist meist mit vielen inneren Zweifeln verbunden.

Ist die Person zur Veränderung bereit, ist das der Punkt, wo alte Muster, Wer-te und Verhaltensweisen losgelassen werden. Entsprechend dem Mythos kann man hier „Wie ein Phönix aus der Asche ...“ bis dahin ungenutzte Potenziale wecken, wobei man nach dieser Vorstellung die Essenz der alten Erfahrungen nutzt. Der Volksglaube lehrt uns, dass Phönix am Ende seines Lebens ein Nest baut, sich hinein setzt und verbrennt. Nach Erlöschen der Flammen bleibt ein Ei zurück, aus dem nach kurzer Zeit ein neuer Phönix schlüpft.

Beispiel: Die Entwicklung des Umweltbewusstseins in Deutschland

Veränderungsphase # 5: Emotionale Akzeptanz

Am 26. April 1986 kommt es im Kernkraftwerk in Tschernobyl (Sow-jetunion, heute Ukraine) zu einer Kernschmelze und Explosion im Kernreaktor Block IV. Sie gilt als eine der schwersten Havarien und größten Umweltkatastrophen überhaupt. Zehn Tage lang wurden ra-dioaktive Stoffe freigesetzt. Viele Teile Europas und letztendlich die ganze nördliche Halbkugel war betroffen. Die Langzeitfolgen dieser Katastrophe sind nicht abschätzbar. Die Raten von Unfruchtbarkeit, Totgeburten und Fehlbildungen sind in der Unglücksregion, aber auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern nach dem Unglück gestiegen.

Durch den Super-GAU in Tschernobyl, die Fernsehberichterstattung über Tote und Verletzte und die damit verbundenen sicht- und spür-baren Folgeschäden für Umwelt und Mensch hatte so gut wie jeder verstanden, dass das Umweltthema uns alle betrifft und globale Folgen haben kann.

Die Überlegung, eine Umweltkatastrophe könnte durch mein Umwelt-verhalten, meine Kinder und meine Angehörigen und mich selbst an Leib und Leben auf grausame Art und Weise treffen, hat bei breiten Bevölkerungsschichten das Umweltbewusstsein stark gefördert und zu Verhaltensänderungen angeregt.

2.7 Lernen: Wie kann es gehen? Was kann ich tun?

Die emotionale Akzeptanz zur Veränderung setzt den Lernprozess in Gang. Der Wille zum Lernen ist vorhanden, neue Verhaltensweisen werden auspro-biert und neue Maßnahmen implementiert. In dieser Phase gibt es sowohl Erfolge als auch Misserfolge. Geduld und Ausdauer sind hier notwendig, aber auch die Flexibilität, eine Korrektur vorzunehmen, wenn ausgeführte Maß-

Page 44: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

24

4

nahmen nicht zum gewünschten Erfolg führen. Jetzt werden die Potenziale erschlossen, die bisher nicht sichtbar und ungenutzt waren.

Der feste Bezugsrahmen von Werten, Normen und Grundannahmen wird in Frage gestellt und durchbrochen. Erst dadurch können gewohnte Denkweisen (Paradigmen) aufgebrochen und neue Verhaltensweisen entwickelt werden. Das verhält sich wie beim Straßenbau. Es muss zunächst die Fahrbahnstrecke ausgerichtet und anschließend müssen Gräben ausgehoben werden, bevor zum Abschluss der Asphalt die Strecke leicht befahrbar macht. Ganz zum Schluss muss die alte Strecke noch beseitigt werden. Bis darüber Gras ge-wachsen ist, vergeht wieder einige Zeit.

So ähnlich verhalten sich beim Menschen die Neuronen, die beim Lernprozess mit anderen in Verbindung treten. Bei neu Erlerntem sind die Verbindungen noch zart, durch Wiederholung verstärken sie sich. Positive Emotionen för-dern dabei das Lernen und halten das Gehirn lebendig. Gefördert werden die Neuronen beim Wachstum neuer Ausläufer durch Serotonin und Dopamin, zwei Hormone, die ebenfalls eine Schlüsselrolle für Lust, Genuss und Sympa-thie innehaben. Daher funktioniert Lernen bzw. Veränderung leichter mit einem reizvollen Ziel und in einer angenehmen, wertschätzenden Umgebung.

Beispiel: Die Entwicklung des Umweltbewusstseins in Deutschland

Veränderungsphase # 6: Lernen

In den 1980er Jahren durchdringt das Thema Umweltbewusstsein immer mehr Themen des alltäglichen Lebens, wie Umgang mit Nah-rungsmitteln, Schadstoffreduktion von Verbrennungsmotoren, Pro-duktion umweltfreundlicher Produkte.

Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gegründet, um drän-gende Umweltthemen regierungsseitig beeinflussen zu können. Ge-setzliche Auflagen führen u. a. ab 1989 zum Einbau von Fahrzeugka-talysatoren, die die Schadstoffemissionen von Verbrennungsmotoren reduzieren.

Durch Organisationen wie Greenpeace (deutsche Sektion ab 1980) oder Robin Wood (1982) werden Umweltsünden aufgedeckt und über die Medien bekannt gemacht. Die breite Masse wird schrittweise in das umweltbewusste Handeln hineingezogen.

Nicht zuletzt dadurch erfahren die Bioläden in den 1990er Jahren ei-nen Zuspruch in breiteren Bevölkerungsschichten. Heute finden sich in fast allen konventionellen Supermärkten Bioprodukte. Ein Großteil der Bevölkerung scheint umweltbewusst zu leben.

Page 45: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

25

4

2.8 Erkenntnis: Heureka, ich hab’s!

Beim Üben werden immer mehr Informationen gesammelt und auf Tauglich-keit geprüft. Lernen auf der untersten Ebene ist Versuch und Irrtum. Viel-leicht braucht es einen Versuch oder es sind viele davon notwendig, bis neue Denk- und Verhaltensweisen erlernt werden. Indem die Schleifen des Lernens durchlaufen werden, vollzieht sich der Lernprozess von der unbewussten über die bewusste Inkompetenz bis zur bewussten Kompetenz,. „Steter Trop-fen höhlt den Stein“, weiß der Volksmund.

Irgendwann kommt es nach einer Phase des intensiven Übens zum Aha-Effekt. Das ist eine erleichternde, positive – vielleicht auch heilsame – emoti-onale Reaktion auf das spontane Erkennen; das Begreifen einer zuvor diffusen oder rätselhaften Sachlage. Zumeist wird ein „Aha“ oder „Ach so“ ausgespro-chen, begleitet von deutlich erleichtertem Ein- und Ausatmen. Archimedes von Syrakus soll sogar unbekleidet und laut „Heureka“ (griechisch ������ „ich habe gefunden“) rufend durch die Stadt gelaufen sein, nachdem er in der Badewanne das nach ihm benannte Archimedische Prinzip entdeckt hatte. Seitdem ist „Heureka“ ein freudiger Ausruf bei der gelungenen Lösung einer schweren Aufgabe.

Was in der Phase der emotionalen Akzeptanz beginnt, findet im Aha-Effekt der Erkenntnis seinen Höhepunkt. In der Psychologie und Philosophie spricht man in diesem Zusammenhang von Katharsis (griechisch ������, „die Rei-nigung“), der Befreiung von einem inneren Konflikt. Verdrängte Gefühle, unterdrückte Wünsche und neue Handlungsperspektiven treten ins Bewusst-sein. Die immer wieder aufsteigenden negativen Emotionen (Angst, Zorn, Missgunst etc.) verlieren ihre störende Wirkung, denn die neuen Möglichkei-ten gewinnen an Kraft und Form. Menschen durch diese Phase zu führen, ist die zentrale Aufgabe des Change Management.

Beispiel: Die Entwicklung des Umweltbewusstseins in Deutschland

Veränderungsphase # 7: Erkenntnis

Die Erkenntnis, dass Umweltschutz nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch ist, z. B. sparen moderne umweltfreundliche Hei-zungen Geld, setzt sich durch.

Marktwirtschaftliche Instrumente sollen wirtschaftliche Anreize für umweltfreundliches Verhalten setzen. Das geschieht beispielsweise durch eine steuerliche Belastung des Einsatzes umweltschädlicher Stoffe. Die Gebäudesanierung zur CO2-Reduktion wird staatlich geför-dert. Eigentümer bekommen Zuschüsse und haben dabei auch den Vorteil, dass sie Heizungskosten sparen.

Page 46: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Psychologie der Veränderung

26

4

Auch die Wirtschaftsverbände haben in den letzten Jahren eigenstän-dige umweltpolitische Positionen entwickelt und Selbstverpflich-tungserklärungen abgegeben.

2.9 Integration: Die Veränderung ist vollzogen

Allmählich kommt man wieder in einen Rhythmus, die neuen Denk- und Verhaltensweisen werden zur Gewohnheit. Der bewusste Lernprozess ist ab-geschlossen. Die bewusste Kompetenz gräbt sich allmählich ins Unterbe-wusstsein ein und vollzieht sich automatisch. Die neuen Denk- und Verhal-tensweisen werden zur Routine und sind integriert. Integration (von latei-nisch integer bzw. griechisch entagros = unberührt, unversehrt, ganz) bedeutet die Herstellung eines Ganzen.

Beispiel: Die Entwicklung des Umweltbewusstseins in Deutschland

Veränderungsphase # 7: Integration

Längst sind umweltpolitische Themen fester Bestandteil im Programm aller Parteien geworden.

Wenngleich es noch viele offene Umweltthemen gibt, sind breite Be-völkerungsschichten von der Notwendigkeit eines nachhaltigen Um-gangs mit der Umwelt überzeugt und verhalten sich umweltbewusst.

Es gibt Öko- und Biosiegel sowie Umwelt- und Risikomanagement, was teilweise noch freiwillig erworben, aber in vielen Branchen selbstver-ständlich verpflichtend ist.

Es könnten hier viele weitere Beispiele folgen. Umweltbewusstes Den-ken und Handeln ist in Deutschland in vielen Bereichen integriert, aber es gibt noch viel zu tun.

Quintessenz

Da Organisationen in erster Linie aus Menschen bestehen, die den be-schriebenen Veränderungsprozess erst durchlaufen und für sich in ih-rer Situation gestalten müssen, braucht Veränderung Zeit, stete Erin-nerung an die Ziele der gewünschten Veränderung und die Wert-schätzung von erreichten Ziele. Veränderungsprozesse sind in Organi-sationen, welcher Art auch immer – Unternehmen, Gesellschaften, Kulturen – mit Schwierigkeiten und Widerständen verbunden. Wider-stände sind die normale Reaktion jedes Menschen auf Veränderungen. Sie drücken sich nur unterschiedlich aus.

Page 47: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Lernkontrolle 2

27

4

Lernkontrolle 2

1. Wie äußern sich Widerstände in Veränderungsprozessen?

2. Wodurch entstehen Widerstände in Veränderungsprozessen?

3. Welche Widerstandsmuster treten bei Veränderungen in Organisationen auf und wie verteilen sie sich typischerweise in der Anfangsphase?

4. Wie ist die Bedürfnispyramide aufgebaut?

Page 48: Schriftlicher Lehrgang Management und Führung Lektion 2 ... · Lektion Management und Führung Autor 2 Prof. Dr. ReiProf. Dr. Reiner Hillemanns ner Hillemanns Professor für Unternehmensführung

Lektion Change Management

Lernkontrolle 2

28

4

5. Benennen Sie die verschiedenen Phasen der Veränderung.

6. Zeichnen Sie die Phasen des Veränderungsprozesses in eine Kurve und er-läutern Sie, wofür die Koordinaten stehen.

7. Beschreiben Sie die einzelnen Veränderungsphasen im Detail.

8. Wie unterscheidet sich emotionale Akzeptanz von rationaler Einsicht?