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STVDIA GRATIANA POST OCTAVA DECRETI SAECVLARIA COLLECTANEA HISTORIAE IVRIS CANONICI XII~ CVRANTIBVS lOS. FORCHIELLI - ALPH. M. STICKLER EM. IVR. ECCLES. PROF. RJST. IVR. CAN. PONT. ATHEN. SALES. BOMAIt VNIVERSITATIS BONON1AIt COLLECTANEA STEPHAN KVTINER IL SIGlLLVM CIVITATIS BONON. S• XIV INSTITVTVM GRATIANVM BONONIAE MCMLXVII

STVDIA GRATIANA - mgh-bibliothek.de · Hadrian IV. geht darüber hinaus, indem er auch bel ausdrücklichem Widerspruch der Herren die Ehe der Unfreiengültig sein läßt. In der theologischen

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STVDIA GRATIANAPOST OCTAVA DECRETI SAECVLARIA

COLLECTANEA HISTORIAE IVRIS CANONICI

XII~CVRANTIBVS

lOS. FORCHIELLI - ALPH. M. STICKLEREM. IVR. ECCLES. PROF. RJST. IVR. CAN.

PONT. ATHEN. SALES. BOMAItVNIVERSITATIS BONON1AIt

COLLECTANEA STEPHAN KVTINERIL

SIGlLLVM CIVITATIS BONON. S • XIV

INSTITVTVM GRATIANVMBONONIAE MCMLXVII

HADRIANS IV. DEKRETALE «DIGNUM EST It (X.4.9.t.) UNDDIE EHESCHLIESSUNG UNFREIER IN DER DISKUSSIONVON KANONISTEN UND THEOLOGEN DES 12. UND 13.

JAHRHUNDERTS

PETER LANDAUBann

SUMMARIUM: Die Dekretale Dignum est (X. 4. 9. r) stammt von Papst Hadrian IV., nichtvon Alexander Ill.; sie wird durch das übereinstimmende Zeugnis der Dekretistendes 12. Jahrhunderts Hadrian IV. zugewiesen. Die Dekretale sprach das Prinzip aus,daß die Unfreien ohne Zustimmung ihrer Herren Ehen schließen könnten; das standim Widerspruch zum bisherigen Kirchenrecht, welches die betreffende Materie in c.30 des Konzils von Chalon 813 geregelt hatte, einem Konzilskanon, der in viele vor-gratianische Rechtssammlungen, in das lombardische Recht durch den Liber Papien-sis und auch in das gratianische Dekret Eingang gefunden hatte.

Die theologische Literatur der Frühscholastik hat meist an dem Erfordernis ei--ner Zustimmung der Herren zur Eheschließung festgehalten; eine Ausnahme stelltWaiter von Mortagne dar, der in seinem Traktat De coniugio bei Nichtwissen der Her-ren eine gültige Ehe annimmt. Hadrian IV. geht darüber hinaus, indem er auch belausdrücklichem Widerspruch der Herren die Ehe der Unfreien gültig sein läßt.

In der theologischen Literatur des 12. Jahrhunderts hat die Dekretale Dignumest zunächst keine Auswirkungen: so hält Gandulph in seinem Sentenzenwerk den Kon-sens der Herren für eine notwendige Voraussetzung einer gültigen Eheschließung Un-freier.

Von den Dekretisten und Dekretalisten wurde Dignum est seit Simon von Bisi-gnano häufig kommentiert. Sie interessierte besonders, welcher Rang der Dienstpflichtgegenüber den Herren im Vergleich zur ehelichen Pflicht zukäme. Schon von der Sum-ma Lipsiensis und von Huguccio wurde den Pflichten aus der Ehe im allgemeinen einVorrang gegenüber den Verpflichtungen aus dem Dienstverhältnis eingeräumt; dieswird zu Anfang des 13. Jahrhunderts auch von den französischen GlossenapparatenMilitant und In quibusdam libris entschieden vertreten, während Ricardus Anglicusund Alanus Anglicus die Dienstpflichten grundsätzlich voranstellen wollten.

Für die Rangordnung von Dienstverpflichtung und ehelicher Pflicht wurde im13. Jahrhundert vielfach eine Unterscheidung Raymunds von Penafort akzeptiert,der der ehelichen Pflicht bei solchen Ehen den Vorrang zuerkennen wollte, die mit Zu-stimmung der Herren zustandegekommen wären, während die Dienstverpflichtungin den Fällen der ohne Zustimmung zustande gekommenen Ehen vorangehen sollte.Diese Distinktion wurde von Albertus Magnus, Bonaventura, Thomas von Aquin,Petrus von Tarantaise und Richard von Mediavilla in ihren Sentenzenkommentarenübernommen. Demgegenüber hielten die Kanonisten Hostiensis und Bernhard vonBotone daran fest, daß die eheliche Pflicht außer im Fall einer Notlage des Herrn stetsüberzuordnen sei.

Die Frage, ob den Dienstherren ein Recht zum Verkauf verheirateter Unfreierund damit möglicherweise zur Trennung der Eheleute zukäme, wurde von Kanoni-sten und Theologen häufig untersucht. Simon von Bisignano wollte die Kirche zumAnkauf verehelichter Unfreier dann veranlassen, wenn nur ein Kauf durch die Kir-che eine Trennung der Ehegatten verhindern konnte. In den Werken der französischenDekretistik um n8s wurde den Herren noch das Recht zuerkannt, die unfreien Ehe-gatten durch Verkauf voneinander zu trennen. Dagegen meinte Huguccio, daß denEhegatten stets das Recht zum Zusammenleben erhalten bleiben müsse und insofern

33.. Studia Gratlana - vol. XII.

Peter Landau

das' Verkaufsrecht der Herren eingeschränkt sei. Johannes Teutonicus <;ingsogar soweit, daß er es für notwendig hielt, von kirchlicher Seite einzugreifen, wenn schon zurZeit der Eheschließung die Unfreien durch Dienstverhältnisse an verschiedenen Ortenvoneinander getrennt seien; das Einschreiten der Kirche hielt er ratione peuati fürlegitimiert, da die Trennung von Ehegatten eine Sünde sei. Auch nach Hostiensis warder kirchliche Richter zum Einschreiten zugunsten des Unfreien berechtigt, wenn einVerkauf in fremde Länder die Eheleute voneinander zu trennen drohte. Dagegen ver-trat Bonaventura die Ansicht, daß bei einer Ehe von Unfreien gegen den Willen derHerren letztere ein uneingeschränktes Recht zum Verkauf und zur Trennung der Ehe-

gatten behielten.Eine Umgestaltung der tatsächlichen Rechtsverhältnisse scheint die Dekretale

Dignum est nicht bewirkt zu haben; Hostiensis stellt ausdrücklich fest, daß die Rechts-verhältnisse seiner Zeit sich vielfach im Widerspl'1lch zu den Prinzipien der DekretaleDignum est befänden [Po L.].

SUMMARIUM: Fpistola Decretalis Dignu,n est (X. 4. 9. I.) S. P. Hadrianum IV non vero Ale-xandrum III auctorem habet: quod omnes Decretistae saec. XII agnoscebant. Quaequidem Decretalis principium statuit servos sine dominorum consensu matrimonium

inire posse, quod contradicebat iuri canonico eo usque vigenti, quo praesens materia

in canone 30 Concilii CabiIJonensis determinata est. Hic canon post alias collectionesin Decretum Gratiani denique receptus est. Auctores theologiae prioris scholasticae

plerumque retinebant normam qua dominorum consensus necessarius habebatur; Apudauctores saeculi XII Dignum est nullum sortitus est effectum. Decretistae (inde a Si-mone de Bisignano) et Decretalistae frequenter Dignum est commentati sunt; ipsi prae-sertim qualern locum haberet officium servitutis erga dominos inquisiverunt compa-

ratum tarnen cum debito coniugali. Qua in quaestione, inter utrum que officium magisin dies ratio debiti coniugalis ab ipsis praeferri coepta est, paucis in contrarium sen-tientibus. Saeculo autem XIII ilia sententia a S. Raimundo de Peiiafort inducta, amultis recepta est qua debitum coniugale in iis matrimoniis emineret quae dominorumconsensu contracta essent, cum tarnen officium servitutis in ceteris casibus praefer-retur, Quae sententia ab Alberto Magno, Bonaventura, Thoma Acquinate, Petro deTarantasia et Richardo a Mediavilla in suis commentariis in Librum Sententiarum re-cepta est, contra quam canonistae Hostiensis, Bemardus de Botone retinebant debi-

tum coniugalis officium semper esse praeferendum excepto tamen casunecessitatisdomini. Quaestio vero de venditione servorum coniugatorum cum consequente sepa-ratione ab, alterutro coniuge, a canonistis et theologis saepe tractata est. A plerisquetarnen canonistis quaestio in servorum favorem, variis quidem modis solvebatur;theologi autem magis dominis favebant. '

Nulla mutatio status iuridici vigentis a Decretali Dignum est effecta esse vide-tur; Hostiensis enim expresse fatetur talern statum tune temporis vigentem saepeeontradicere principiis in Decretali Dignum est statutis.

Die Fähigkeit der Unfreien, eine Ehe ohne die Zustimmung ihrerHerren .einzugehen, ist durch das Dekretalenrecht des 12. Jahr-hunderts im kanonischen Eherecht verankert worden.' Dieses Prinzipwurde eindeutig in der Dekretale Dignum est (JL 10445) ausgespro-

Hadrians IV. Dekretale «Dignum est. (X.4.9.I.) 515

ehen, dem einzigen Brief Papst Hadrians IV., der in den Liber ExtraAufnahme gefunden hat.

Allerdings ist die Autorschaft Hadrians an der Dekretale nichtunbestritten geblieben. So hat vor allem Dauvillier Dignum est PapstAlexander Ill. zugeschrieben (I). Seiner Auffassung, daß die hand-schriftliche Überlieferung die Dekretale generell Alexander Ill, zu-teile (2), muß jedoch widersprochen werden, DiE; Überlieferung inden Dekretalensammlungen des 12. Jahrhunderts nennt überwie-gend Hadrian als Aussteller; ihm wird Dignum est in 6 Sammlungenzugeschrieben (3), während nur 3 Sammlungen Alexander Ill. an-geben (4). Nach einer Mitteilung von Walther Holtzmann ist Di-gnum est noch in 3 weiteren frühen Dekretalensammlungen des 12,Jahrhunderts _. nämlich Florianensis c. 124, Duacensis c. 59 undCusana c. 140 zu finden (5), Da Holtzmann sich an dieser Stelle miteinem Aufsatz von Mc Laughlin auseinandersetzt (6), der Dignum estHadrian IV, zugeschrieben hatte, hätte er es wohl vermerkt, wenneine der von ihm erwähnten Sammlungen Alexander Ill. genannthätte; es kann daher vermutet werden, daß auch diese SammlungenHadrian angeben, Außer in den genannten Dekretalensammlungenist der Brief JL 10445 schließlich noch in einer nicht-kanonistischenBriefsammlung des 12. Jahrhunderts überliefert, die in dem Mis-cellancodex Paris BibI. nato 14664 enthalten ist (7), Aus diesemCodex wurde der Brief von Löwenfeld ediert (8); hier wird in der Ins-kription Alexander tertius genannt,

(I) DAUVILLlER, Le marJage dans le droit classique, 1933, p. ISS. Ebenso MARARICUA,EltnaJrimonio de los esclavos, Romae 1940, p. 157. Da die Dekretale an Erzbischof Eberhardvon Salzburg (II4,-II64) gerichtet ist, müßte sie dann in die Anfangsjahre des PontifikatsAlexanders Ill. gEsetzt werden.

(2) DAUVILLlER, loco cit, p. 185.

(3) Parisiensis 1I: 79· I, Berolinensis 53, Casselana 65. un., Appendix 45. 7, Brugt"·sis 49. 8, Sangermanensis 9· 35·

(4) Parisiensis I: 9', Wigorniensis I. 27, Claustroneoburgensis 56.(5) HOLTZMANN, Traditio vol. 18, p. 457.(6) Me LAUGHLIN, Mediaeval Studies 20, 1958, p. 1,0.

(,) Hierzu DELlSLE, Invenlajre in Bibliothjque de l'tcole tUs ekartes XXX, 1869, p. 37 f.Der Codex stammt aus dem 17. Jahrhundert.

(8) LöWENFELD, N. A. 7,1882, p. 167, no. XIII. SECKEL, N. A. 25, 1900, p. 528 schriebsodann Dignum zuerst Alexander HI. zu, wobei er sich auf die Inskriptionen in Wigorniensis,Parisiensis I und Paris J4664 stützte. Dem schloß sich BRACKIoIANN,Germania Ponlificia I, 191I.p. 41I an. Für Hadrian entscheiden sich SINGER in seiner Analyse der Sangtrmanensis (Sitzungs-

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Nun ist allgemein zu bemerken, daß den kanonistischen Sammlerndes 12. Jahrhunderts der Name Alexanders Ill. als Ausstellers vonDekretalen ungleich geläufiger war als der Hadrians, von dem nursehr wenige Stücke in Sammlungen auftauchen. Es ist daher eherdenkbar, daß man in der Überlieferung den Namen Hadrians durchden Alexanders ersetzt hat, dessen Dekretalen ohnehin den Haupt-bestand der Sammlungen ausmachten (g), als daß man umgekehrtanstelle Alexanders irrtümlich Hadrian gesetzt hätte. Die Autor-schaft Hadrians an der Dekretale Dignum est wird aber auch von denDekretisten des 12. Jahrhunderts übereinstimmend bezeugt. So hobbereits Schulte hervor, daß Simon von Bisignano in seiner Summazum Dekret Dignum est als Dekretale Hadrians IV. erwähnt (10).Bemhard von Pavia schreibt in seinem Jugendwerk, der Summade matrimonio, die Dekretale ebenfalls Hadrian zu (II). In der fran-zösischen Schule nennt die Summa Tractaturus magister Hadrianals Aussteller (12); ferner wird auf Hadrian in diesem Zusammenhangvon Huguccio hingewiesen (13). Aufgrund des Zeugnisses der Dekre-tistik läßt sich annehmen, daß Dignum est in das Pontifikat HadriansIV. gehört, also die Jahre II54-II5g.

Stil und Begründungszusammenhang der Dekretale sind in mehr-facher Hinsicht interessant. Der Papst hält es eingangs für richtig,darauf hinzuweisen, daß man sich in Zweifelsfragen an den aposto-lischen Stuhl wenden solle. Dies ist dann verständlich, wenn manbedenkt, daß die Dekretale in eine Zeit fällt, in der das Einholen

ber, Wien Phil.-hist. KI., Bd. 171, 1913. p, 338 no. 5) sowie LOHMANN in der Analyse der

Wigorniensis (ZRG Kan. Abt. 22, 1933, p. 84).(9) Cf. die Tabelle bei HOLTZMANN,Nachrichten der Akademie Göttingen Phil.-hist. KI.,

1945, p. 19·(10) SCHULTE, Beitrag I, Sitzungsber. Wien, Phil.-hist. Kl., Bd. 63, 1869. p. 325. Fer-

ner Me LAUGHLIN, I. c. p. 170.[r r) Bernardi Summa de matrimonio (ed. KUNSTMANNAKKR 6, 1861 und LASPEVRES,

Bernardi Papiensis Summa decretalium, 1860, p. 287-306): Verum ob hoc debita servitia pro-priis dominis non sunt deneganda, ut in dscretali Adriani papae missa salisburgensi archiepi-scopo ' dignum esi ' (ed. KUNSTMANNp. 235, etwas abweichend LASPEVRES, I.C. p. 295, dessenEdition sich jedoch nur auf eine Handschrift der Summa stützt - cf. LASPEVRES, I. c. Prae-latia p. XLVIII).

(12) Summa Tracuüurus magister, MS. Paris Bibi. nat. 15994, ad C. 29, q. 2, C. 8 (fol.78 rb): Set contra est ipsum c. et in extravaganti c. Adriani •Dignum est' legitu, manifeste contra.

(13) Huguccio, Summa ad C. 29, q. 2, C. 8 (MS Admont 7, fol, 355 va): Item Adrianushoc dicit a parte in extra ' Dignum '.

Hadrians IV. Dekretale « Dignum est I> (X.4.9.r.) 517

päpstlicher Grundsatzentscheidungen noch nicht zur Selbstverständ-lichkeit geworden ist (14). Die Anfrage ging dahin, was bei Ehender servi erfolgen solle, die gegen den Willen und den Widerspruch.ihrer Herren eingegangen worden seien: de servorum coniugiis, quaeinvitis et contradicentibus dominis contrahuntur, quid fieri debeat.Der Papst gibt zur Antwort, Ehen zwischen Unfreien dürften inkeinem Fall verboten werden. Er begründet dies mit dem Verständ-nis der Ehe als Sakrament: da es gemäß dem Wort des Paulus inChristus weder Freie noch Sklaven gebe (IS), könnte niemand vonden Sakramenten der Kirche ferngehalten werden (16). Folglich seienEhen, die gegen den Widerspruch der Herren von Unfreien abge-schlossen seien, niemals durch kirchlichen Urteilsspruch aufzulösen(17); die Unfreiheit bildet also kein Ehehindernis. Zum Schluß weistder Papst darauf hin, daß jedoch die Dienstverpflichtungen der Un-freien gegenüber ihren Herren durch die Eheschließung nicht be-einträchtigt werden dürften (18).

Es sei hier bereits darauf hingewiesen, daß der Ausdruck servusin den kanonistischen Quellen und der dazugehörigen Literatur imRahmen dieser Arbeit auf deutsch regelmäßig mit « Unfreier I> wieder-gegeben wird. Das Kirchenrecht kennt nur die Kategorien serui,

. liberti und liberi; es bleibt dabei offen, auf welche Schichten sich derBegriff serous in der Dekretale Dignum und in der kanonistischenLiteratur bezieht.

Da die Ständeordnung sich in West- und Mitteleuropa im Hoch-mittelalter in sehr unterschiedlichen Formen entwickelt hat, läßtsich der Umfang des Begriffs serous nur sehr schwer festlegen. Unterden durch Geburtsstand Abhängigen lassen sich aber für das 12.

und 13. Jahrhundert einige größere Gruppen unterscheiden, die

(14) Die Bedeutung von Alexanders Ill. Pontifikat für die Verbreitung des Dekre-talenrechts in Europa wurde häufig hervorgehoben, cf. u. a. DUGGAN,Twelfth Century Decre-tal Collections, 1963, passim. Ferner LE BRAS - LEFEBvRE - RAMBAUD, VAge classique(Hisloire du droit et des institutions de l'eglise Bd, VII), 1965, p. 143.

(IS) Gal. 3, 28: Non est serous, neque liber ... omnes enj", VOS unum estis in Christo Jesu.(16) X. 4. 9. I: (ed. FRIEDBERG): sicut m Christo Jesu neque liber, neque serous est, qui

a sacramentis ecclesiae sit remooendws, ita quoque nee inter servos mat,imonia debent ullatenusprohiberi. ,

(17) Et, si contradicentibus dominis et invitis contracta luerint, nulla ratione sunt propterhoc ecclesiastica iudicio dissolvenda.

(18) Debita tamen et consueta seruitia non minus debent propriis dominis exhiberi.

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sich durch eine unterschiedliche Rechtslage voneinander abheben. Essind ,I. die Sklaven, Leute orientalischen, griechischen oder osteuro-päischen Ursprungs, zum Teil Nichtchristen. Sie waren in Italien(19), Spanien und Südfrankreich (20) noch während des ganzen Mittel-alters vorhanden; in den Mittelmeergebieten bestand ein reger Skla-venhandel (21). Konversion zum Christentum veränderte den recht-lichen Status dieser Sklaven nicht (22). Ferner kommen 2. die serviin perpettto servitio oder in domo deseruienies in Betracht, die zumHausgesinde gehörten oder auf dem Herrenhof zu täglichem Dienstverpflichtet waren. Sie waren in Deutschland im 12. und 13. Jahr-hundert noch verbreitet (23), während sie in Frankreich in dieserPeriode wohl nur noch in Burgund anzutreffen sind (24). Als nächsteKategorie sind 3. die serui casati oder manentes zu nennen, persön-lich abhängige Bauern. In Deutschland sind sie im allgemeinen zuDiensten für den Herrn verpflichtet (25), in Frankreich dagegen nurnoch zu Abgaben, die auf die Person bezogen sind (26). In Frank-leich werden sie ab etwa 1200 generell als homines de corpore bezeich-

(19) Zu den Sklaven in Italien cf. LEICHT,Stori« del Diritto Italiano, Il mritlo PrivatoBd, It 1941, p. 48 f. Ferner auch ERNSTMAYER,Italienische Verfassungsgesehichte, Bd. I, 1909,p. 188 f.

(20) Zur Sklaverei in Spanien und Südfrankreich cf. dieausführliche Darstellung beiVERLINDEN,L'eselavage dans l'Eurrl/>e ttUdiivale, Bd. I, 1955, passim.

(21) Cf. hierzu VERLlNDEN,op. eil. passim.(22) Cf. hierzu VERLINDEN,op. cit. pp. 303, 456, 803.(23) Zu dieser Gruppe und zu den Unfreienschichten in Deutschland allgemein cf. den

Überblick bei Bosi., Freiheit und Unfreiheit, Vjerleljahrschrift für Sosial· und Wirlschaftsge·sc~jchte Bd. 34, 19.57, p. 193 fi., besonders p. 214. Einen weiteren Überblick findet man beiPERRIN,Le servage en France et en Allemagne in: Rela:ioni del X Congresso Internasionale diScien:e Storiche, Bd. Ill, 19.55, p. 213 ff., besonders p. 235. Zu den servi in domo deservienlescf',auch WAlTZ, DeulsCM Verfassungsgeschichte, Bd, V, 3. Aufl. 1893, p. 209 ff. Ausführlichauch DOLLINGER, L'Jvolulion des classes "u,ales en BavUre, 1949, p, 264 ff.

(24) Cf. VERLINDEN,op. eil. p. 740 ff. VERRIEST,Collection de documents anciens rela-tifs all Hainaul,lnstilutions ttUdieval..8, Bd. I, 1946, p. 176, weist darauf hin, daß es in Frank-reich stets' serfs-domestiques " gegeben habe. In Italien begegnet diese Gruppe als servi dimasnada, cf. MAYER,rl/>. cii., p. 176 fi.

(2S) Zu den servi casati oder manentes in Deutschland cf. PltRRIN, I. c. p. 233, Bost.,I. c. p. 214, CONRAD,Deulsche Rechtsgeschichte Bd, I, 2. Aufl. 1962, p. 304, DOLLINGER,op.cit. p. 280 ff.

(26) Hierzu grundlegend BLOCH,Libel'U et servitude personnelles all moyen·age in: Anua·rio de Historia del Derecho Espaiiol, Bd. X, 1933, p. 19'IJS, Neudruck in BLOCH,Melangeshistoriques Bd. I, 1963.

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net (27). Ferner lassen sich 4. Grundhörige. coloni, Barschalken,seroi glebae, abheben, deren Abhängigkeit auf dem ihnen in unfreiererblicher Leihe zustehenden Grund und Boden beruhte. Diese Schichtläßt sich in regional unterschiedlichen Varianten in Deutschlandund Italien nachweisen (28). Schließlich ist 5. auf die Schichtder censuales oder sanctuarii (Sainteurs) hinzuweisen, die unterdem Schutz meist eines geistlichen Stifts lebten und eine per-sönliche Abgabe (census de capite) zu zahlen hatten (29). Sie warenvor allem in Deutschland verbreitet. Die censuales werden in Deutsch-land den serui nicht zugerechnet, sondern als liberi oder auch libertibezeichnet (30).

Für die Unfreien und auch für die censuales gait die Regel, daßsie für die Heirat mit einer Person, die in Abhängigkeit von einemanderen Herrn stand - [orismaritagium -, eine Erlaubnis ihreseigenen Herrn (licentia maritandi) benötigten und bei einer solchenEhe eine Abgabe, [ormariage oder bedemund genannt, zu zahlenhatten (31). Über den tatsächlichen Umfang der Rechte der Herrenbei der Eheschließung der verschiedenen Schichten von Abhängigenim 12. und 13. Jahrhundert läßt sich aus dem gegenwärtigen Standder Forschung kaum Klarheit gewinnen (32).

Die Frage, wo die Grenzen des Begriffs servitus für das kanonischeRecht zu ziehen seien, haben die Kanonisten im Zusammenhang mitdem error conditionis erörtert, da die conditio servilis ein trennendes

(27) Zum Terminus homo de corpore, der in Frankreich in der Sprache der Notare den, Ausdruck SenJUS verdrängt, cf. BLOCH, Serl de la glebe in: Revue historique 1921, p, 220'242,auch Melanges Bd. I, p. 356-373, besonders p. 359 If.,

(28) Für Deutschland cf. PERRIN,I. e. p. 234 f. LUDMIL HAUPTMANN, Colonus, Barschalkund Freimann in: Wirtschaft und Kultur, Festschrift für A.l/ons Dopsch; 1938, p. 170 If., be-sonders p. 176; DOLLINGER, 01'. cit. p. 316 If.

Für Italien cf. MAYER, 01'. eit. Bd. I, p. 185, LEICHT, 01'. eit. p. 45.(29) Hierzu Bost., I. e. p. 216 f. Ferner DOPscH, Herrschaft und Bauer i .. de, deutschen

Kaiserseit, 1939, p, 26 ff., HERBERT KLEIN, Die Salsburge, Freisasse .. in: Vortrdge und For-schungen Bd. I1, Das Problem de, Freiheit (Mainauvortrage 1953), p. 84 If. Ausführlich auchschon WAlTZ, ~. eil. Bd. V, p, 234 ft., ferner DOLLINGER, 01'. eit. p. 332 ff.

(30) ,Hierzu cf. BOSL, I. e. p. 217, KLEIN, I. e. p, 85, DOPSCH, 01'. eit. p. 30.(31) Zu lormariage cf. vor allem BLOCH, L,berU et servitude personnelles, Anuario p.

27 ff., VERRIEST, 01'. eit. p. 209 ft., DOLLINGER, ~. eit. p. 253 ft. Die formariage-Abgabe wur-de auch von den Censualen entrichtet, cf. DOPSCH,~. cit, p, 35, WAITZ,~. eit. Bd. V p. 2~9,DOLLINGER, 01'. cit. p. 256:

(32) Daß viele Probleme im Zusammenhang mit • formariage' ungelöst sind, wirdauch von PURIN, Rela,ioni p. 222 hervorgehoben.

520 Peter Landau

Ehehindernis war (33). Hier waren die Ansichten geteilt: JohannesFaventinus meinte in seiner Summa, daß die Grundhörigen, die imAnschluß an das römische Recht als originarii, adscriptitii und serviglebae bezeichnet wurden, eine conditio servilis im Sinne des kanoni-schen Rechts hätten (34); dagegen wollten Huguccio und Bernhard. von Pavia die Grundhörigkeit nicht als conditio servilis verstehen (35).Von späteren Kanonisten schloß sich Hostiensis der Lehre Hugucciosan (36); doch scheint die Frage umstritten geblieben zu sein.

Für den Begriff des servus im Sinne der Dekretale Dignum müs-sen jedoch andere Maßstäbe als beim error conditionis gelten. Wennnämlich nach dem Wortlaut der Dekretale niemand von den Sakra-menten ausgeschlossen werden durfte, so mußte sich das auf alleDienstverpflichteten beziehen: wenn schon auf die seroi in perpetuoservitio, dann erst recht auf die Grundhörigen und die censuales,Der Begriff des servus ist daher hier ähnlich wie inden Stadtrechts-quellen der Zeit (37) auf alle durch Geburtsstand zu Diensten Ver-pflichteten zu beziehen. Wenn in dieser Arbeit der Ausdruck «Un-freier s für den servus des I2. und I3. Jahrhunderts verwendet wird,so sollen damit alle gemeint sein, die aufgrund ihrer Geburt Dienst-leistungen zu erbringen hatten; die Bedeutung des Ausdrucks soll

(33) Zum error conditionis cf. ESME1N.GENESTAL, Le mariage en droit canonique, Bd.I, 1929, p. 365 ft.; ferner THANER, Die literar·geschichtliche Entwicklung der Lehre vom errorqualitatis ,edundans in personam und vom error eonditionis (Sitzungsber. Wien Phil.·hist. KI.Bd. 142, 1900).

(34) Johannes Faventinus, Summa ad C. 29, q. 1 (gedruckt bei KUNSTMANN, AKKR6, 1861, p. 221): error conditionis servilis tantum, vel ascriptieie impediunt matrimonium.

(35) Zu Huguccio cf. Glossa O,d. ad C. 29, q. 2 pr, v. secunda: Dubitari autem consue-vit, si libera contrahil per errorem cum kamine ascriptitiae conditionis, an tenea; matrimoniumJH. dieit quod teneal.

Zu Bemhard von Pavia cf. Bernhards Summa de matrimonio (ed. KUNSTMANN, AKKR6, 1861, p. 223-262); tit. VI, p. 233 f.: Conditio autem alia servorum, alia libertorum, alia ori-gina'iorum qui seroi glebae appellantur ... Originariorum conditio et si ab aliquo ignoretur, ma-t,imonium tamen non exeludit. Etsi enim ad operas quasdam teneantur, quia tamen vendi velalienari non possunt ut servi, non mihi videtur eorum conditio matrimonium impedire, nee pe,canones tale matrimonium invenio sepa,atum.

(36) Hostiensis, Summa (ed. Lyon 1537), fol, 207 : Quid si liber contrahat cum ascrip-tilia, nunquid celebratur divortium si erravitJ Quidam dieunt quod non ... sed contra se. quodnon vateat matrimonium ... Primum verius credo. Cf. zu dieser Frage auch ESMEIN-GENESTAL,op, eil. p. 369 f.

(37) Cf. zur Verwendung von servus in den Stadtrechtsquellen STRAHM, Stadtlult machtI,ei in: Vortrage und Forschungen Bd. 11 (Mainauvorträge 1953), p. 106 f.

Hadrians IV. Dekretale « Dignum est» (X.4.9.I.) 52!

etwa der von «serf» im Englischen und Französischen entsprechen.Die Dekretale Dignum gelangte in die Compilatio I als erstes

Kapitel des Titels De coniugio servorum vel disparis condition is undspäter in den Liber Extra. Raymund von Pefiafort ließ bei der Re-daktion des Texts das ecclesiastico iudicio bei ecclesiastico iudicio dis-solvenda fort; damit war das Mißverständnis ausgeschlossen, daß esüber die Unfreienehen neben der kirchlichen eine weltliche Juris-diktion geben könne.

Um die Bedeutung der Dekretale Dignum für die Entwicklungdes Eherechts erkennen zu können, ist ein kurzer Rückblick auf dieRegelung der Unfreienehe vor Mitte des !2. Jahrhunderts erforder-lich. Das römische Recht hatte die Verbindungen von Sklaven alscontubernia, faktische Eheverbindungen ohne Rechtsfolgen, be-trachtet (38). Die Kirche hat diese Rechtsordnung zunächst nichtdurchbrechen wollen, auch nicht mit der von Hippolyt überliefertenEntscheidung Calixtus I. aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts, in dervon den meisten Autoren eine Anerkennung der Sklavenehen alsmatrimonia gesehen wurde. Wie Gaudemet nachgewiesen hat, betraf.die Entscheidung des Calixtus nur den moraltheologischen Bereich:es sollte festgestellt werden, daß die moralische Verbindlichkeit dercontubernia unter Christen der der matrimonia gleichstehe, ohne daßCalixtus daran dachte, damit die Geltung der weltlichen Rechtsord-nung in Ehefragen zu bestreiten (39).

Veränderungen in der Wertung der Unfreienehen gegenüber demrömischen Recht findet man in den Volksrechten der Germanen.So haben die Westgoten Ehen von Freien mit Unfreien nicht mehrals contubernia, sondern als matrimonia bezeichnet (40), während sie

(38) So KASER,Das römische Privatrecht I, 1955 (Handbuch de, AltertumswissenschaftX. 3. 3) p. 269, Ferner MAilARICUA,I. c. p. 77-103; BIONDI,Appunti intorno allo stato servilenel Corpus juris civilis in: Studia Gratiana VII, 1959, p. 466.

In nachklassischer Zeit läßt sich eine Entwicklung zur Anerkennung des contuber"iumals dauerhafter Verbindung feststellen. Hierzu cf. ORESTANO,La struttura giuridica del ma·trimonio romano in: Bulleuno dell'lstituto di Diriuo Romano 55-56, 1952, p. 323 £I.

(39) GAUDEMET,La decision de Callixte en mattere de mariage, Studi Paoli; 1955, p.333-344, besonders p, 338 £I.

Auch BIONDI,I. c. p. 474 meint, daß die Anerkennung der Sklavenehe durch Calixt nurfür den spirituellen, nicht für der weltlichen Bereich habe gelten sollen.

Dagegen vertritt KAsER, P,ivatrecht Bd. lI, 1959, p. 85, weiterhin die Auffassung, daßdie Kirche die Ehen der Sklaven als vollgültig anerkannt habe.

(40) Lex Visigothorum 3. 2. 3, MGH Leg. Sect. I, Bd. I, ed. ZEUMER, 1902, p. 134 f.Die Verbindung wird zwar bestraft, aber offenbar als gültige Ehe anerkannt.

522 Peter Landau

für die Ehen Unfreier untereinander den Ausdruck contubernia beibe-hielten (41). Bei den Langobarden wurden von der GesetzgebungLiutprands die Verbindungen der Unfreien als legitime Ehen aner-kannt; ja in dem Gesetz Liutprand 139 wurde sogar vorausgesetzt,daß die Ehen von Unfreien verschiedener Herren gültig seien, bevores zu einer convenientia zwischen den Herren gekommen sei, d. h.daß sie vom Konsens der Herren unabhängig seien (42). Bei den Fran-ken scheint gegen Ende des 6. Jahrhunderts die Verbindung vonUnfreien als Ehe anerkannt gewesen zu sein, sofern sie mit Willendes Herrn abgeschlossen war. Dies kann aus der Lex Salica geschlossenwerden, nach der ein Unfreier, der sich mit einer fremden Magd ge-gen den Willen ihres Herrn ehelich verband, bestraft werden soll (43).Der Ausdruck extra voluntate domini sui wird in den späteren Fassun-gen der Lex Salica - von der Recensio Guntchramna Ende des 6. Jahr-hunderts an - in den Text der Stelle eingefügt; es kann daraus ent-nommen werden, daß cum voluntate domini eine Eheschließung mög-lich war (44).

Bei der Interpretation der kirchlichen Rechtsquellen sind, frei-lich diejenigen Stellen, die nur das Prinzip der Unauflöslichkeit eheli-cher Verbindungen von Unfreien aussprechen, nicht als beweiskräftig

(41) Lex Vis. 10. I. 17, ed. ZEUMERp. 389 f. Zum Eherecht der Unfreien bei den West-goten cf. MA~ARICVA,I. 'c. p, 201,208; LEICHT, Il matrimonio del servo, S"itti Contar!io Fer-,ini I, 1947, p. 310 ff. '

(42) Llutprand c. 104 (ed. BEYERLE,Gesetlt der Langobarden, 1947, p. 268): «Si ser-vus cuiuscumque, habens legitimam uxorem... t. Liutprand c. 139 (ed. DEYERLE,p. 309): Sialdius cuiuscumque, aldiam alienam t"Zerit, aut seruus ancillam, et antequam de ipso coniugioali·quam convenentiam domini earum inter se jaciant ... Zu diesen Stellen cf. LEICHT,I. c. p. 312 f.,der hervorhebt, daß das langobardische Recht unter Liutprand schon zur völligen Anerken-

. nung der Eheschließungsfreiheit bei den Unfreien gelangt ist.(43) Lex Salica XXV, 7 (ed. K. A. ECKHARDT,Pactus Legis Salicae in: Germanenrec1Jte,

N. F. lI, I, 1955, p. 196): Si seruus cum ancilla aliena extra voluntate domini sui sibi in coniu·gium sociaverit ••• CX X denarios ••• domino ancillae cogatur exsoloer«; Die extra voluntatedomini geschlossene Ehe war ungültig; so auch DALON,Trait~ de Droit Salique (Ius MediiAevi 3) Bd. 2, 1965, p, 514.

(44) Der Zusatz extra volunlate domini sui zuerst in den Handschriften der TextklasseC (= Recensio Guntchramna), cf. ECKHARDT,I. c. Die Entstehung dieser Rezension fällt indie Zeit zwischen 567 und 596, cf. hierzu ECKHARDT,Germanenrechte, N. F. I, Pactus LegisSalicae; Einführung, 1954. p. 217.

Wie hier im Ergebnis auch KOEHNE,Die Geschlechtstll1'bindungender Unfreien im frän·kischen Recht (Gierkes Untersuchungen 22, 1888), p. 7 f., p, 27 f.; HOVER,Die Ehen minderenRechts tn der fränkischen Zeit, 1926, p. 208 f. Beide führen als älteste Textform statt in con-iugium sOciatlerit jedoch intlita traxerii an, was so nur in einer Handschrift der TextklasseA ·AI· überliefert ist und daher schwerlich als älteste Textform zugrunde gelegt werden darf;cf. zu Al im Verhältnis zu den anderen Handschriften ECKHARDT,Einleitung, I. c. p, 89.

Hadrians IV. Dekretale «Dignum est» (X.4.9.I.) 523

dafür zu betrachten, daß die Kirche auch diese Verbindungen in denRang eines legitimuni matrimonium erheben wollte. So wird in einemBrief Papst Pelagius I. aus dem Jahre 559 (JK 1023) zwar die Un-auflöslichkeit der Unfreienehe betont, jedoch nicht der Ausdruckmatrimonium, sondern coniunctio verwandt, so daß sich aus diesem.Text nichts dafür entnehmen läßt, daß Pelagius eine solche Ehe nichtmehr als contubernium verstanden wissen wollte (45). Auch der Ka-nonro des Konzils von Verberie 758-768 (?) will nur erreichen, daßdie unfreien Eheleute, auch wenn sie durch Verkauf voneinandergetrennt werden, weiterhin an ihre Ehe gebunden bleiben. Die Un-auflöslichkeit der Unfreienehe ist hier zudem durch den Ausdruck:praedicandi sunt, ut sie maneant, deutlich als moralische Verpflichtung,aber nicht als zwingende Rechtsnorm formuliert (46). Das Konzilvon Chalon-sur Saöne 813 bezeichnet zum erstenmal die Ehen derUnfreien als legüima matrimonia (47). Es ist nur folgerichtig, daßhier auch jede Trennung dieser Ehen, die im Frankenreich zu Anfangdes 9. Jahrhunderts offenbar häufige Praxis war (48), unter Berufungauf den Satz Quod Deus coniunxit, homo non separei, ausgeschlossenwerden sollte.

Eine vollständige Freiheit zur Eheschließung wollte auch dasKonzil von Chalon für die Unfreien noch nicht begründen. Es for-

(45) FREISEN,Geschichte des kanoniselum Eherechts bis ,um Verfall der Glossenlileratur,2. AuS. 1893, p. 283, sieht hingegen in diesem Brief eine Anerkennung des ehelichen Cha-rakters der Sklavenehe ausgesprochen. Zweifelnd MARARICUA,op. eil. p, 235. Cf. Text desBriefs bei GAsso-BATTLE,Pelagii 1 Papa« Episiulae quae supersunt, 1956, Nr. 64, p. 167-170.Hier zur Bedeutung von coniunctionis im Sinne von contuberniu"l p. 169, no. 4.

(46) Concilium Vermeriense c. 19, ed. BORETlUs,MGH Capil. I, 1883, p.•p. Vgt, auchReginos Kritik an diesem Canon De synodalibus causis 1.11, C. 121, ed. WASSERSCHLEBEN,1840,p. 261. Nach !\[ARARICUA,op. eil. p. 223 ist jedoch die Anerkennung der Unfreienehe im Fran-kenreich vor allem auf das Konzil von Verberie zurückzuführen. Dies ist sehr zweifelhaft,zumal dasselbe Konzil in c. 7 die Verbindung eines Unfreien mit seiner eigenen ancilla nichtals Ehe ansah. '

Hierzu ESMEIN-GENEsTAL,01'. cit, p, 352 f. Nach DE CLERCQ,La Ugislmion religieuseFranque de Clavis ci Charkmagne, 1936, p. 140-142, handelt es sich bei den als Kanones vonVerberie überlieferten Stücken um einen Entwurf einzelner Bischöfe für das Konzil von Corn-pi~gne·757; ein Konzil von Verberie habe es nicht gegeben. Die Grunde DE CLERCQ'Ssindnicht zwingend; dagegen schon BARIONin: ZRG Kan, Abt. Bd, 26, 1937, p• .567.. (47) Concilium Cabillonense c. 30 (ed, WERMINGHOFF,MGH, Leg. Sect. Ill, Cone. III, 1906, p. 279): Dictum nobis est, quoil quidam legiti,na servorum matrimonia potestativa qua-dam presumptiane dirimant, non attendentes illutlevangelieum; Quod Deus coniunxit homo nonseparee.

(48) Hierzu CONRAD,Deutsche Rechtsgeschichte I, 2. AuS. 1962, p, 156.

Peter Landau

derte nämlich die Zustimmung der Herren bei Eingehung der Ehe(49). Diese Zustimmung war in der fränkischen Kirche als selbst-verständliche Voraussetzung jeder Verbindung von Unfreien be-trachtet worden, wie sich aus c. 24 des Konzils von Orleans 541ergibt (So).

Kanon 30 des Konzils von Chalon wurde von Benedictus Levita inseine Sammlung falscher Kapitularien aufgenommen (SI). Burchardvon Worms bringt ihn in seinem Dekret (52). In der ersten Hälftedes II. Jahrhunderts erscheint der Kanon ferner, nur leicht im Wort-. laut verändert, im Capitulare italicum des Liber Papiensis (53). Hierwird der Kanon als Kapitular Karls des Großen bezeichnet; er warnunmehr zu einem Bestandteil des lombardischen Rechts geworden.

Für das lombardische Recht bedeutete diese Bestimmung inso-. fern eine Neuerung, als das vermeintliche Kapitular Karls des Großenim Gegensatz zum oben erwähnten Gesetz Liutprands c. 139 die Zu-stimmung der Herren als notwendige Voraussetzung für die Ehe-schließung der Unfreien ansah. Dieser Widerspruch wurde bereitsim II. Jahrhundert vom Verfasser der Expositio zum Liber Papiensiserkannt. Er betont, daß Liutprands Gesetz durch das Kapitular Karlsdes Großen teilweise außer Kraft gesetzt worden sei, da jetzt eineohne Einwilligung der Herren von den Unfreien geschlossene Ehekein matrimonium legitimum mehr sei (54). Die Aufnahme des Kanon30 des Konzils von Chalon in das lombardische Recht hatte zur Folge,

(49) Cone. Cabil. c. 30: Et hoc in illis observandum est, ubi legalis coniuncticJluil, et pervoluntatem dominorum. DE CLERCg'SBemerkung 01'. eit. p. 244 zu diesem Kanon: c Les mal-tres ne peuvent separer les serfs qui se sont maries sans leur consentement t, geht am Sinnder Stelle vorbei.

(50) Cone. Aurelian. 541, C. 24 (MGH Cone. 1, ed. MAASSEN,p. 92): Quaeeumque man-cipia sub specie coniugii ad Ecclesiae atria eon/ugerinl ••• propriis dominis '" iub separaticJnispromissicJnereddanlur, postmodum tamen pa,entibus atque dominis liberlate concessa, si eos 00·

luerint propria voluntate conjungere.(51) Benedictus Levita Add. Ill, 54 (ed. KNUST,MGH LL Il, 1837, p. 141).(52) Burchard Decretum IX, 29. (P. L. 140)•..153) Liber Papiensis Karl. M. c. 128 (129), ed. BORETIUS,MGH LL IV, 1868, p. 218.

Zur Ubemahme des Konzilskanons in den Liber Papiensis cf. LEICHT,I. c. p. 315.(54) Expositio ad Liber Pap. Liutpr. 138 (139), MGH LL IV p. 467: Lex iSta' dicens:

anlequam de ipso coniugio aliquam convenientiam domini inter se faciant, et dominus eiusdemmulieris tantum mundium de ea suscipiat, et adulterum ei cuius uxorem violaverit subiiciens,absque dominorum voluntate fieri potuisse coniugium, evidenter insinuat. Unde a Cal'oH caPi-tulo I'umpitul' quod est Ut coniugia servorum non dil'imantul', in quo servorum coniugium nonabsque dominorum oolunlate posse fieri iudicatul'. Zu dieser Stelle auch LEICHT,I. c. p. 313·

Im gleichen Sinne Expositio ad Karol, M. c. 128 (129). Die Entstehung der Expositioliegt um 1070. Hierzu cf. FICKER,Forschungen IUI'Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens, 1868-74, Bd. Ill, p. 64; CALASSO,Medio Evo del Dil'itto I, 1954, p. 313.

Hadrians IV. Dekretale « Dignum est» (X.4.9.I.) 525

daß auch von den lombardistischen Kommentatoren des I2. Jahr-hunderts, Ariprand und Albertus, die Zustimmung des Herrn zurEheschließung der Unfreien für erforderlich gehalten wurde (55).

Ivo von Chartres bringt den Kanon des Konzils von Chalon so-wohl in der Panormie als auch an' drei Stellen seines Dekrets (56).Zweimal bezeichnet er ihn richtigrnit Cone ilium Cabillonense (57),zweimal als Kapitular (58); in einem Fall ist seine Quelle offenbarBenedictus Levita gewesen (59).

Gratian hat ebenfalls den Kanon des Konzils von Chalon in seinDekretbuch aufgenommen (60). Er stellt dem Kanon die Frage voran,ob Unfreie, die verschiedenen Herren gehören, miteinander eine Eheeingehen könnten (6I), und führt zur Beantwortung nur die erwähnteBestimmung an, die er offenbar als abschließende legislative Re-gelung dieser Rechtsmaterie betrachtet (62). Die Zustimmung derHerren zur Eheschließung war also noch für Gratian notwendige Vor-aussetzung der Unfreienehe.

Es besteht nun aber die Möglichkeit, daß sich in der theologischenLiteratur des frühen I2. Jahrhunderts, nämlich in der Frühscholastik.Ansätze zu einer neuen Bewertung der Ehe von Unfreien nachweisenlassen, auf die Hadrian IV. zurückgreifen konnte. Hier finden wireine Erörterung eherechtlicher Probleme in einigen anonym über-lieferten Traktaten aus der Schule Anselms von Laon (63), die der

(55) Cf. ANSCHÜTZ(ed.), Die Lombarda-Commentare des Ariprand und Albertus, 1855,p_ 92• Ariprand: Inter scroum ergo et ancillam matrimonium constat, dum alia non inhibeaturratione, ut tamen dominis; quorum consensus pro mundio est, seroiatur sicut et antea. Albertus:Inter seroum ergo et ancillam matrimonium constat .. , ut tamen dominis, quorum consensu con-iugium {.eri debeat, seruiatur sicut el antea. Es handelt sich bei beiden Schriften nicht umeigene Werke dieser Rechtslehrer, sondern um Summen von Schülern, die auf Vorle-sungen oder Glossen des Ariprand und des Albertus aufbauen; cf. HI!RMANNKANTOROWICZ,De pugna in: Studi in onore di Enrico Besta Il, 1939, p. 6. Die Summa. nach Ariprandkann um uso angesetzt werden; cf. R. ABBONDANZAArt. Ariprando in: Disionarie Bio-grajico degli Italiani IV, 1962, p. 196 f.; die Summa nach Albertus stammt aus der zwei-ten Hälfte des 12. Jahrhunderts, cf. KANTOROWICZ,1. C. p. r r; L. PROSDOCIMI,Art.Atbato in: Disionarie I, 1960, p, 746.

(56) Ivo, Pan. 6. 40, Deer. 8. 54, 8. 167, 16. 335. (P. L. 161)(57) Ivo, Pan. 6. 40, Deer. 8. 167.(58) Ivo, Deer. 8. 54, 16. 335.(59) Deer. 8. 54 ist überschrieben: Adjecti Capitulares c. 55 = Ben. Lev. Add. 3. 54.(60) C. 29, q. 2, C. 8.(61) Gratian, I. c.: Queritur etiam, si serous unius alterius ancillam acceperit, an sit con-

iugium inter eos?(62) Gratian, I. c.: D& his ita statutum est in Concilio Cabillonensi etc.(63) Cf. BUEMI!TZRII!DER,Anse1ms von Laon systema.tische Sentenzen (Beiträge sur Ge-

schichte der Philosophi« des Mittelalters vol. XVIII, Heft 2-3), 1919, p. 129 If.

Peter Landau

ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts angehören. Bliemetzrieder hatunter dem Namen Sententiae Anselmi als ein Teilstück den TraktatCum. omnia sacramenta ediert, der allerdings kein eigenes Werk An-selms ist, sondern schon verschiedene Quellen in der Schule Anse1msvon Laon hat (64). Der Verfasser des Traktats führt aus, daß Knecht-schaft kein selbständiges Ehehindernis sei, sofern die Zustimmungder Herren vorliege. Die Notwendigkeit dieser Zustimmung wird vonihm aus dem Neuen Testament mit I. Petrus 2. 18erwiesen (65). Daßaußerdem nach diesem Traktat auch die auf dolus beruhende Ehe un-gültig sein soll, d. h. eine Eheschließung, bei der sich ein Unfreier alsfreiausgibt (66), gehört zu den Error-Problemen im Eherecht, diehiernicht behandelt werden können.

Mit der Lehre des Traktats Cum omnia sacramenta stimmt dervon ihm abhängige, ebenfalls der Schule Anselms von Laon ange-hörige Traktat Decretum dei fuit (67) vollständig überein. Auch Si-mon von Tournai kennt in seinem Tractatus de sacramentis, der umII48 entstanden ist (68), die Unfreiheit nicht als Ehehindernis, be-handelt jedoch auch nicht die Frage der Zustimmung der Herren (69).. Eine neue Wendung in der Lehre über die Eheschließung derUnfreien bahnt sich in dem Traktat De coniugio an. Dieser Traktatist in den Handschriften oft zusammen mit der Summa Sententia-

(64) BLlEMETZRIEDER, I. c. p. XII f. schrieb das Werk Anselrn von Laon selbst zu. Spä-ter gelangte er zu der Ansicht, daß die sog. Sentenun von einem anderen Verfasser stammten,der bei Anselm geliehene Sätze darin aufgenommen habe, cf. BLlEMETZRIEDER, RT A M 3,1931, P.289-290 und DERS., RTAM 7, 1935, p, 47. Zu ähnlichem Ergebnis gelangt auch LOT-

TIN, RTAM 10, 1938, p. 101'122: die sog. Senlentiae Anselmi seien kein Grundtext, sondernhätten schon verschiedene Quellen in der Schule Anse1ms von Laon.

(65) BLIEMETZRIEDER, Anselms von Laon etc. p. 145: Seruitus etiam, nisi fiat contravoluntatem dominorum vel dolo, non impedit coniugium. Contra voluntatem dominorum nondebet fieri, cum dieat apostolus: Subditi estote dominis serui, non tantum bonis et modestis, sedetiam dyscolis,

(66) Vgl. vorige Anm. und Traktat Decretum dei [uit (ed. WEISWEILER, cf. Anm. 67),p. 378: Dolus est vera, cum servus dicens se liberum liberam accipit,

(67) Ediert von WEISWEILER, Das Schrifttum der Schule Anse1ms von Laon und Wil-helms von Champeaux in deutschen Bibliotheken (Beitrllge zur GeschichJeder Philosophie. undTheologie des Mittelalters Bd. 33, 1936), Ed. p. 361-379: p. 378: Servitus etiam, nisi fiat con-tra voluntatem dominorum vel dolo, non impedit coniugium. Contra voluntalem dominorum nondebet fieri ete.

Nach WEISWEILER, ebendas.p. 43 war Cum omnia sacramenta Quelle für Decretum dei fuit.(68) Simon von Tournai, Tractatus de sacramentis (ed. WEISWEILER, Spitilegium Lo-

»aniense fase. 17. 1937). Nach \VEISWEILER, I. C. p. LXII um U48 entstanden. .(69) Simon kennt nicht sm'itus als Ehehindernis. Hierzu WEISWEILER, I. c. p, CXCV-

CXCVI.

Hadrians IV. Dekretale « Dignum est I> (X.4.9.r.) 527

rum verbreitet worden, meist als 7. Buch der Summa (70). Der Trak-tat wurde daher wie die ganze Summa häufig Hugo von St.-Viktorzugeschrieben (71). In Wahrheit ist dieses 7. Buch ein selbständigerTraktat, der von Walter von Mortagne verfaßt wurde (72). WaIterwar ein Schüler des Alberich von Reims, der seinerseits Anselm vonLaon zum Lehrer hatte (73). Seit etwa II20 lehrte Walter in Laon(74); seinen Ehetraktat verfaßte er spätestens um II40 (75). WaIterzitiert in cap. 14 seines Werks zunächst den Kanon des. Konzils vonLaon, den er Ivos Panormie 6.40 entnommen zu haben scheint (76).Bemerkenswert ist aber nun ein Kommentar, den Walter an seinZitat anschließt. Er betont zunächst, daß nach dem Schlußsatz deszitierten Kapitels zwischen Unfreien ohne Erlaubnis der Herrenkeine Ehe statthaben könne, beruft sich dagegen jedoch auf die Ra-tio, derzufolge das Paar sich den gegenseitigen Ehekonsens wirksamgeben könne, auch wenn ihre jeweiligen Herren nichts davon wüß-ten. Er führt dann als Beispiel. an, daß ein junger Mann und einMädchen von Sarazenen in die Sklaverei verschleppt würden; dannsei es schon zur Vermeidung der Unzucht vernünftig, die Eheschlies-sung nicht von der Zustimmung des islamischen Herrn abhängigzu machen (77). WaIter geht aber nicht soweit, ausdrücklich den

(70) Cf. hierzu OTT, Untersuchutlgen zur theologischen Briefliteratu, de, F,ühscholastik(Beitrage lur Geschichteder Philosophie und Theologie des Mittelalters Bd, 34, 1937), p, 14°-141.

(71) Bei MIGNE, P. L. vol. 176 ist die Summa sententiarum als Werk Hugos von St.«Viktor gedruckt. PORTMANN, Wesen und Unauflöslichkeit der Ehe in der kirchlichen Wissen-schaft und Gesetzgebungdes II. und 12. [ahrhunderts, 1938, geht p. 71 irrig davon aus, daßdas 7. Buch von Hugo von St.-Viktor stamme.

(72) Hierzu OTT,Briefiiteratur, p. 14011. Bereits GRABMANN, Geschichteder scholastischenMethade Bd. 11, 1911, p. 298 und '300 hatte das Werk WaIter von Mortagne zugeschrieben.

(n) So OTT, I. c. p. 128 f.(74) OTT, I_ c.(75) Nach OTT, Walter von Mortagn« ulld Petrus LOlllbardusin ih,e,,, Verhtlltnis ,ueinan·

der in: Melanges de Ghellinck n, 1951, p. 653 f. wurde der Ehetraktat bereits in dem Paulus-kommentar des Petrus Lombardus, der von II42-43 entstand, als Quelle benutzt. J. C. DJ'VIER in: Catholicisme, vol. IV, 1956, col. 1785, Art. Gautier von Mortagne, setzt den Traktatbereits vor 1138 an.

(76) Hierzu OTT, Melanges p. 683: sein gesamtes Beweismaterial- se, fUr die Eheder Unfreien- habe Waiter aus der Panormia entnommen.

(77) Summa sentenJiarum VII, c. 14 (P. L. 176, col. 166): Et attende quod in fine nu;uscapituli videtu, af!i,ma,j quod inte, servum et ancillam absque permissione dominorum nequeatfie,i copula con;uga1is, videtur tamen rationabiliter quod inter tOS possit fieri conjugium si excommuni consensu copulentu" quamvis eorum domini ignoraverint. Si enim contingeret iuve·nem et puellam quorum uterqulI Christianus esset et libe« a Saracenis captivarj et in servitutemredigi, quae ratio vetartt pro vitanda fornicatione ex communi consensu copulari?

528 Peter Landau

Widerspruch des Herrn für unbeachtlich zu erklären; nur bei Nicht-wissen des Herrn will er eine gültige Ehe annehmen (78).

Petrus Lombardus behandelte in seinem bald nach IISO geschrie-benen Sentenzenwerk (79) das Ehesakrament im vierten Buch. Fürseine Ehelehre hat er auch WaIters Ehetraktat als Quelle benutzt(80). Er zitiert in Distinctio 36 ebenfalls das Konzil von Chalon,meint dann im Anschluß an Walter, daß hier die Zustimmung derHerren zur Eheschließung von Unfreien anscheinend gefordert werdeund fügt schließlich hinzu, nach Meinung einiger könne ohne Wissender Herren eine gültige Ehe zustande kommen (8r). Die hier vomLombarden erwähnte Lehrmeinung ist die des Walter von Mortagne;und es kann kaum bezweifelt werden, daß sich Petrus Lombardusmit der Wendung Quibusdam uidetur auf Walter bezieht (82).

Bei der Bedeutung, die das Werk des Petrus Lombardus fürdie Theologie der folgenden Epoche hatte, war es folgenreich, daßsich der Lombarde WaIters Ansicht gerade nicht zu eigen zu ma-chen schien. Insgesamt kann in der frühscholastischen theologischenLiteratur vor Hadrian IV. keine Stelle festgestellt werden, die denStandpunkt der Dekretale Dignum est vertreten hätte. Nur die Lehredes Walter von Mortagne geht zumindest in die Richtung der Ent-scheidung Hadrians IV.

Der Zeit um II6o-II70 gehört das theologische Sentenzenwerkdes Bologneser Dekretisten Gandulph an (83), der darin auch aufdie Ehe der Unfreien eingeht. Gandulph meint, daß 'weder Unfreieuntereinander noch Unfreie mit Freien ohne Zustimmung der Her-ren eine Ehe eingehen könnten. Dies begründet er damit, daß ereinen Vergleich zwischen der Ehe und dem Empfang der höherenWeihen bzw. dem Eintritt in ein Kloster zieht. Letztere Fälle wer-den von ihm als geistliche Ehe, spiriiuale coniugium, bezeichnet.Da. nun zum spirituale coniugium die Zustimmung der Herren erfor-

(78) Vg. vorige Anm.(79) Zur Entstehungszeit cf. LANDGRAF, Einführung in die Geschichte der theologischen

Literatur der Frükscholastik, 1948, p. 94, mit Literaturangaben.(80) Hierzu OTT, Melanges, p. 652 f.(81) Petrus Lombardus lib. IV, Dist. 36, C. 2 (P. L. 192, col. 930): Attende /inem hujus

capituli, ubi uidetur innui praeter voluntatem dominorum inteT seroum et antillam non possecontTahi con;ugium, vel si conirahitur non esse ratum, Quibusdam tamen videtuT inter eos possefzeri conjugium, dominis ignorantibus.

(82) So schon OTT, Melanges, p. 684.(83) Zur Entstehungszeit cf. ed. v. WALTER, 1924, Einleitung p. LXVIII.

Hadrians IV. Dekretale «( Dignum est» (X.4.9.I.) 529

derlieh sei, so müsse sie auch beim carnale coniugium, der eigentlichenEhe, vorliegen (84). Gandulph zieht also einen Analogieschluß, ohneHadrians Dekretale zu erwähnen .. Mit dieser Analogie, die wohlzuerst von Gandulph in der Frage der Unfreienehe als Argumentherangezogen wurde, setzten sich die späteren Kanonisten und Theo-logen häufig auseinander, wobei die Gleichstellung beider Fälle durchGandulph allgemein abgelehnt wurde (85).'

.Der Schule Simons von Tournai ist der theologische TraktatPerfice gressus meos zuzuordnen, der um n60 entstanden ist (86).Hier wird die servitus neben der consanguinitas als allgemeines Ehe-hindernis genannt, das nur durch eine Erlaubnis des jeweiligen Herrnbeseitigt werden könne; die Begründung gibt der Traktat wie schonCum omnia sacramenta mit dem Hinweis auf I. Petrus 2. 18, derMahnung an die Sklaven zum Gehorsam gegenüber ihren Herren(87)·

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts haben die Dekretistensich mit Hadrians Dekretale auseinandergesetzt, indem sie an denWiderspruch zwischen Dignum und Gratians Lehre in C. 29, q. 2,c. 8 anknüpften. Roland, Rufinus und die Summa Parisiensis gehenallerdings noch nicht auf dieses Problem ein. Stephan von Tournaibemerkt hingegen in seiner Summa, man müsse das per uoluntaien:dominorum bei Gratian im Sinne von maxime per voluntatem verste-hen, da nur der Konsens der Eheleute causa etficiens der Ehe sein

(84) Gandulph, Sentenzen, lib. IV, § 289, ed. v. WALTER p. 561: Quod seroi sine consensudominorum SUOfummatrimonium conirahere non possunt. Notandum est, quod serous cum H-bera vel e converso sew serous et ancilla matrimonium contrahere non possunt sine consensu do-minorum SUOfum. Si enim spirituale coniugium serui inire non possunt sine consensw domi-norum sUOfum, quod contTakitur cum äeo,dum vel ad sacros ordines promoventur vel religionissuscipiunt habitum, multo minus carnale coniugium inter seruos contrahi poterit contra domi-norum consensum. Zur Abhängigkeit Gandulphs von Petrus Lombardus cf. besonders pE

GHELLlNCK, Le mouvement tkeologique du XIIe siecle; 2. Aufl. 1948, chap. Ill, p. 297 If.(85) Cf. ,unten p. 531 Anm. 95, p. 533, Anm. 100.

(86) Der Traktat ist in MS Madrid BibI. nac. cod. 564 erhalten. Er wurde von WEIS-WEILER in SPicilegium Lovaniens« fase. 17, 1937, p. 82'98 ediert, der ihn um 1160, jedenfallsvor II75 ansetzt (I. c. p. LXIX). Über die Zusammenhänge mit Simon von Tournai cf.

WEISWEILER, I. e. p. LXIII-LXV.(87) Ed. WEISWEILER p. 96: Notandum est tria esse que coniugium impediunt, scilicet

seroitutem, ariditalem, eonsanguinitatem. Servitus impedit, quia nee seTVUSduett nee ancilla nU-bet sine licentia terreni domini; et hoc iuxta Apostolum: Servi, subditi estote in omni tilnot'e do-minis.

34. Studia Gratiana • vol. XII.

53° Peter Landatt

dürfe (88). Hier wird der Gratiantext schon deutlich relativiert unddie Zustimmung der Herren offenbar nicht mehr als notwendige Vor-aussetzung der Eheschließung betrachtet, freilich nicht unter Be-rufung auf Hadrians Dekretale, sondern auf das Konsensprinzip.Stephan ist sich auch des Unterschieds des kanonischen Rechts zumrömischen Recht auf diesem Gebiet bewußt, da er hinzusetzt, daßdie leges Verbindungen von Unfreien als contubernia bezeichneten (8g).

Johannes Faventinus erwähnt bei per voluntatem Stephans Aus-legung, hier maxime zu subintelligieren, und bezeichnet sie als besserals eine andere Ansicht, die die Stelle wörtlich verstehen will (90).Da auch er von der Dekretale Dignum noch nichts erwähnt, ist zuschließen, daß sie offenbar bis etwa Il70 in der Bologneser Dekre-tistik noch nicht verwertet wurde (er). .

Einer viel ausführlicheren Erörterung der Probleme der Unfreien-ehe ,begegnen wir in der zwischen Il77 und Il79 verfaßten Summades Simon von Bisignano. Es wurde bereits eingangs darauf hin-gewiesen, daß Simon die Dekretale Dignum zitiert. Er wirft in derKommentierung von C. 29, q. 2, c. 8 zunächst die Frage auf, ob derHerr dem Unfreien Enthaltsamkeit auferlegen könne, indem er ihmkeine Erlaubnis zur Eheschließung erteilt (92). Er weist darauf hin,daß einige die Ansicht verträten, der Unfreie könne ohne Erlaubnisdes Herrn keine Ehe eingehen (93). Simon setzt sich auch mit demArgument auseinander, die Eheschließung sei in bezug auf das Her-renrecht dem Eintritt in einen Orden gleichzustellen, was ebenfalls

(88) Stephan von Tournai, Summa ad C. 29, q. 2, c. 8 (ed. SCHULTE, 1891, p, 240): t tper voluntatem. Subaudiendum est maxime, ne aliorum; quam nllbentill1n conunsussit ejfICiens causa ad matrimonium.

(89) Stephan von Tournai, I. c.: Leges talium personarum coniunctiones contubernia va-.cant, non coniugia.

(90) Johannes Faventinus ad C. 29, q. 2, C. 8 (MS Reims 684, fol. 128 raj: D i ct u mest usque per v 0 I u n tat emd 0 m i nor" m. Ut dictum est in principia cause que-stionis. Vel secundum alias quod melius est: Subaudiendum est maxime •••

(91) Die Summa wurde nach II71 vollendet, cf. KUTTNER, Repertorium der Kanonistik I,1937, p. 143 f.

(92) Zur Entstehungszeit KUTTNER, Repertorium p. 149.

Simon ad C. 29, q. 2, C. 8 (MS Bamberg 38, fol. 43 vb): "s que per v 0 I " n ta' e md 0 111i nor um. Qllid autem erit si serous continere non polest? Ne liideatur ei a dominocontinentia imperari? Conqueraiu« serous apud civitatis episcopum, ut dominum a,mnoneal,qualmus seruo det nubendi licentiam.

(93) Simon, I. e.: Hinc tamen quidam uolunt asserere servtttn. sine domini voluntate nonposse nuptias celebrare, Non mim habet liberum arbitrium nee voluntatem solutatn, ut C.xxxii, q. ji, c. i,

Hadrians IV. Dekretale « Dignum est » (X.4.9.I.) 53!

nicht ohne Zustimmung des Herrn möglich sei. Dieses Argumentstammt, wie bereits dargelegt wurde (94), aus dem Werk des Gan-dulph. Simon meint, daß die Fälle nicht vergleichbar seien - beimEintritt in den Orden verliere der Herr sein volles Recht, währendihm bei der Eheschließung kein Schaden zu entstehen brauche (95).Er meint daher, daß der Unfreie auch ohne Zustimmung des Herrneine Ehe schließen könne, und zur Beseitigung jeden Zweifels weister auf die auctoritas summi pontificis hin, nämlich auf Hadrians De-kretale (96). Im Prinzip ist die Frage für Simon durch die päpstlicheEntscheidung geregelt. Er setzt sich aber anschließend noch mitder Frage auseinander, daß die Unfreien durch Verkauf oder Schen-kung eines von ihnen räumlich getrennt werden könnten, so daßein Vollzug der Ehe nicht mehr möglich sei. Dieses Problem ist fürSimon schwer zu lösen, da er den Ausweg vermeiden will, daß dieunfreien Eheleute in einem solchen Fall fortdauernd Enthaltsamkeitzu üben hätten. Er empfiehlt daher als eigene Lösung, daß der örtlichzuständige Bischof den zum Verkauf angebotenen Unfreien selbstkaufen solle, um eine Forsetzung der Ehe zu ermöglichen. Die Kirchesoll nach Simon demnach eingreifen, um die Forderungen ihrer Rechts-ordnung gegenüber der unvollkommenen weltlichen Sozialordnungdurchzusetzen. Lehnt der Bischof den Ankauf des Unfreien jedochab, so hält Simon den Verkauf in eine fremde Gegend und die damitverbundene Trennung der Eheleute für zulässig; die Eheleute müßtendann Enthaltsamkeit üben. Schließlich erwägt Simon noch, daß derVerkauf durch eine Bestimmung des römischen Rechts, nämlichC. 3. 38. r r, verboten sein könne, nimmt zu dieser Möglichkeit je-doch selbst nicht mehr Stellung (97).

(94) Hierzu oben p. 528(95) Simon, I. c.: Cum deo etiam mm potest matrimonium contrah/re domino invito, ut

Di, LIV Generalis. Set melius diciiur quod sine voluntate domini potest serous matrimoniumcontrahere, ut supra e. q. Si quis liber. Nee obstat quod eo invito non potest ad religionem irans-.re. Tune mim dominus t" toto suo iur« jraudaretur, d ci iniuria fiertt. Hie vera nihil depe·"it sue !lWitati.

(96) Simon, I. C.: Ut autem firm ius sit quod dicimus, d omnis deineeps possit ambiguilasamoueri; auctoritatem summ; pontificis in medium inducamus. A.it enim Adrianus: Dignum est...

(97) Simon, I. c.: Ecce invilis dominis contractum est matrimonium inter seruos, Pro-cedent« tempore dominus vult servum vel andlla,n vendere vel donare alicuJ, qui in remoüssi-mas partes vult servu,,. vel ancillam ducer«, ubi moratur. Quid ergo tune litt de altero vel altem,cum non possit ad secunda vota transire vivo alterar Ineontinentes motus nequeunt libidinis re-Ireflare. Ceri« acute moventu,. qui sie obiciunt. Eis tamen satislacimus in hune modu", dieentestquod episcopus loci lune debet iusto precio servu", redi",ere, ul ecelesie seroal et u"ori debitum

532 Peter Landau

Sikard von Cremona erörtert in seiner zwischen II79 und II8rgeschriebenen Summa (98) das Problem der Unfreienehen, ohne sichauf die Dekretale Dignum zu beziehen. Sein Hauptargument fürdie Eheschließungsfreiheit entnimmt er dem Naturrecht: die Ver-bindung von Mann und Frau sei de iure naturali, folglich müßtensie auch jederzeit eine Ehe schließen können (99). Als Gegenargumentebringt er zunächst den Hinweis auf die Gratianstelle C. 29, q. 2,c. 8; anschließend weist er darauf hin, daß der Unfreie auch nichtgegen den Willen des Herrn die höheren Weihen empfangen könne,und zum Schluß bringt er das Argument, daß die Zugehörigkeit derUnfreien zu ihren jeweiligen Herren es unmöglich mache, daß sieals Ehegatten in Sinne der christlichen Ehelehre einander ange-hören könnten. Diese Ehelehre müßte in Verbindung mit der Rechts-ordnung des ius civile zu der Konsequenz führen, daß die Herren

reddat, Si uero hoc [acer« nollet episcopus, liberum erit domino seruwm suum vel andllam cui»CU1ll(Juevult vendere; et alter tenetur vivo altero continere, si mim imputetur qllod contrahendisnuptiis dominicum presumpserunt preteri,e mandatum. In legibus tamen uidetur innui, quod do·minus non debet talem servum vel ancillam. extraneo vendere, C. I. III Communia ut,iusque iu-dicii, Possessionum, Quis mim feral liberos a parentibus, sorores a Iratriblls, a uiris coniugesseparari? ••

Der Verkauf von Unfreien in auswärtige Gebiete konnte sich auf verschiedene Schichtenbeziehen. Zunächst ist hier auf den umfangreichen Sklavenhandel im Mittelmeerbereich -Südfrankreich, Spanien, Italien - hinzuweisen, bei dem die von den Kanonisten erörterten

Probleme des Verkaufs entstehen konnten; cf. VE~INDEN, L'esclavage p. 296 ff., p. 306 ff.,p. 471 ff., p. 792 ff., LEICHT, Storia del Diritto Italiano, 11Diritto Prioaio Bd. I, 1941, p. 48 f.Nach auswärts verkauft wurden auch die nicht ansässigen Unfreien - servi in domo deser-vientes -; jedoch scheint der Verkauf in fremde Länder bei ihnen nicht mehr zulässig ge-

wesen zu sein; hierzu cf. für Deutschland GRIMM, Deutsche Rechtsalterthüme" 4. AuO. 1899,Bd, I, p. 474f., DOLLINGER,op. cit. p, 266 f.; WÄCHTER,Handbuch des im Königreiche Würltem-berg geltenden Privatrechts Bd, I, I. Abt. 1839, p. 157, WAlTZ, Deutsche VerlassungsgeschichteBd, V, 3. AuO. 1893, p, 207 f. In -Burgund gehen die' coutumes' noch im 14. Jahrhundertdavon aus, daß der Herr die nicht ansässigen Unfreien (' serfs-servage ') verkaufen könne,cf. VERLINDEN, op. cit. p, 742. Sonst scheint in Frankreich im Hochmittelalter der Verkaufeines servus ohne den von ihm bewirtschafteten Hof nicht mehr möglich gewesen zu sein,cf. OLIVIER-MARTIN,Histoir« du Droit Fratlfais, 1948, p. 247.

Die Kanonisten gehen hier stets von Veräußerungen der Person ohne ein Gut aus. Daßdie Grundhörigen (= ascripticii) nicht in diesem Sinne verkauft werden konnten, bemerktauch Bernhard von Pavia, cf. oben p. 520, Anm. 35.

(98) Zur Entstehungszeit und Zugehörigkeit der Summa zur französischen Schule cf.KUTTNER, Reflexions sur les Brocards des Glossateurs in: Melanges Ghellinck II, p. 785 f.

(99) Sikard ad C. 29, q. 2, c. 8 (MS Bamberg 38, foI. 106 r): Deinde queritu, utrum ne-scientibus dominis vel etiam scientibus et cont,adicentibus mat,imonium sit inter servu", et an-ci/lam. Quod {it in hunc modum. Omnes homines de natu,ali iure sunt liberi, quia et isH. Undeet ea que sunt ju,is fUUuralispossum facere. Set coniunctio maris et femine est de jure _tllrali,ergo et isH possunt conlrahere matrimonium.

Hadrians IV. Dekretale «Dignum esi » (X-4-9.I.) 533

durch die Eheschließung Besitz an den Ehegatten ihrer Unfreienerwürben, was offenbar die Besitzrechte an Unfreien verwirren wür-de (100). Sikard sieht somit bereits das Problem, daß bei Ernstneh-men der Unfreienehe die Verfügungsrechte der Herren eingeschränktwerden. Der Satz: Debita et consueta servitia non minus debeni pro-priis dominis exhiberi in der Dekretale Dignum hatte nicht die Fragegelöst, welcher Rang der-Unfreienehe beim Konflikt mit den Dienst-pflichten zukäme.

Sikard schließt seine Kommentierung von C. 29, q. 2, c. 8 ohneeigene Lösung der Frage, ob die Zustimmung der Herren erforderlichsei. Er meint, daß hier entsprechend der uaria consuetudo verfahrenwerden müsse (101), weiß also noch nichts von einer einheitlichenRegelung der Materie durch das Dekretalenrecht.

In der französischen und anglonormannischen Dekretistenschulekann eine Auswirkung der Dekretale Dignum in der Summa Trac-taturus magister und in. der Summa Lipsiensis festgestellt werden.Tractaturus magister geht davon aus, daß gemäß Hadrians Entschei-dung eine Zustimmung der Herren zur Eheschließungnicht erforderlichsei. Die Kinder aus solchen Ehen gingen in den Besitz des Herrnder Magd über. Den Herren stehe auch trotz der Eheschließung dasRecht zur Trennung der Eheleute zu, die dann Enthaltsamkeit übenmüßten. Simons Vorschlag, daß dann die Kirche die Unfreien kaufensolle, wird vom Verfasser erwähnt, aber als consilium bezeichnet,also keine Verpflichtung der Kirche anerkannt, für die Möglichkeitdes Ehevollzugs bei den Unfreien Sorge zu tragen (102).

(100) Sikard, 1. c.: Contra. Econtra in ultimo c. huius cause. Matrimonia servorum nondirimunlur, mazime cum legalis coniundio luerit, et per volunlatem dominorum. Hoc est ob·seroandum. Item in V (!), q. zu, c. Nosiraies, Federa matrimoniorum in eorum sunl voluntate,im quorum contrahentes sunt potestate. Item: Si quis serous ot'dines susceperit, infra ordinemdiaconatus et presbiteratus intelligas, nesciente domino vel conlradicente nolens revocabitur inseroitutem, etiam ecclesia reclamanie, Similiter et curiales, A simili et istum a matrimonio, quoddomino ignorante vel contradicente contrazit, poterit revocare, saUem quoad cohabitationem etdebi.ti redditionem, sicut clericum impedit de executione ordinis. Item concesso quod matrimo-nium sit inter cos, indirecte sic proceditur. Apostolus dicit: Mulier non habet potestatem corpo-ris sui, set vir. Et e converso.Set dicit lex: Quicquid per seroum acquiritur, domino acquiritur, qua-re cum ipsa sit in potestate servi et una etiam caro cum ipso, erit et in potestate domini. Namquicquid est possessionis, est possessoris possessionem possidenlis. Eadem ratione probabiturquod serous est domini ancille; et uterque utriusque, et illorum illi, et neuter alterius.

(101) Sikard, I. C.: Hanc questionem varia terrarum consuetudo determinat.(102) Summa Tractaturus magister ad C. 29, q. 2, C. 8 (MS Paris Bib. nat, 15994, fol.

78 rh): per voluntatem dominorum. arg. per contrarium quod sine illa non potest

534 Peter Landau

Auch die Summa Lipsiensis beruft sich für die Eheschließungs-freiheit auf die Dekretale Dignum und will ebenfalls den Herren dasRecht zum Verkauf und zur Trennung der Eheleute vorbehalten(103). Der Verfasser erwähnt jedoch bereits eine Ansicht, derzufolgeverehelichte Unfreie überhaupt nicht mehr durch Verkauf vonein-ander getrennt werden dürften (104). Ferner erörtert er die Frage,in welchem Verhältnis die eheliche Pflicht gegenüber der Dienst-verpflichtung stünde, und entscheidet sich dafür, daß die Verpflich-tung aus der Ehe Vorrang hätte; bei Konkurrenz der Obligationenseien die ehelichen Verpflichtungen stärker (lOS).

Huguccio beschäftigt sich in seiner Summa sehr ausführlich mitder Ehe von Unfreien. Das Recht der Unfreien zu selbständigerEheschließung ergibt sich für ihn aus den canones wie auch aus derlex divina; letztere sieht er in dem Pauluswort: Unusquisque habeatsuam uxorem propter fornicationem (106). Das darin von dem Apostelgegebene Recht zur Eheschließung dürfe niemandem wieder genom-men werden (107). In Hadrians Dekretale sieht er folglich nur eine

stare. Set contra esl primum e. et in extravaganti c. Adriani • DiKnU',. est ' legitur ma,.ifesu con-tra. Quod et verum est. Unde hie supplendum est: Maxime. Nee derogatu, in aliquo iuri aZUru-trius dominorum, cum parta sequitur ventrem, servus aNUm non lenetur domino suo lilies gig-nete, nee amittit lIterlibet poteslaUm distrahendi, in quo casu oportebit eos continere, si remotia se invicem luerint. Licet quidam dieunt episcopus loci debet eos emere in taU casu, set lorle con-silium est.

(103) Summa Lipsiensis ad C. 29, q. 2, C. S (MS Rou~n 743, Iol. lIS vb): Servi eni,,. do-minis invüis possunt ccmtrahere,ut in extra' Dignu,,, est'. Solet obic; a qui1Jusdam:esto quod ma-trimonium ita contractum sit. Dominus vult ventiere servum ad paries remotas. Quid liet de IUO-

re? Debetne cogi ut eum sequitur? Ita. Vel sequetur vel continebi' ... Set quid si dominus velit re-tinere aneillam et vendere servum? Dieunt quod episcapus loci debet emer« iusto p,ecio ad apusecclesie. Vel si noluerit episcapus, liberum eri' ei lune vende,e, et si imputent, in contrahendop,emmiserunt dietum mandatum.

(104) Summa Lipsiensis, I. c.: Am dicunt quod nequaquampotesl vende" in casu isto...(lOS) Summa LipsiensiS, 1. c.: Ilem quid si dominus vocel eum ad debitu", serviciu", et

uxor vocet eu"" ul reddat ei debitum, vel quid si dominus valuerit uI pro/iciscat", stew", in pe-,egrinatiene aliqua, et uxor contradicatr Dicunt quod parebil uxori, quia /i,,,,ius obligatur eiquam domino.

(106) Huguccio, Summa zum Dekret adC. 29, q. 2, C. S (MS Admont 7, fol. 35S va):Secundu", canones vero et legem dimnam servus contrahere polest invilo domino, na", ad con·tinentia", corporalem ;psum compellere non potest, cu'" sit ,es IIOti,noli precepti. Fornicari au-tem servus non debet, ergoa matrimonio ,epelli non potest. Item apostolus generaliter dicit: • unus-quisque habeat sua'" uxorem propter lornicationem', set licentiam ab apostalo concessam nul-Ius alii potest auler,e, ut Di. XXVIII De hiis.

(107) Cf. vorige Anm.

Hadrians IV. Dekretale «Dignum est. (X.4.9.I.) 535

erneute Verdeutlichung' der lex divina (108). Er betont auch, daßsich bereits aus dem christlichen Unzuchtsverbot die Erlaubnis zurEheschließung für jedermann ergebe (roe). Jedenfalls sei dies einBereich, in dem die canones den leges vorgingen (no).

Auch für Huguccio werden durch die Eheschließung des Unfreiennicht die Pflichten gegenüber dem Herrn aufgehoben. Seine Darle-gungen laufen jedoch darauf hinaus, daß die Verfügungsgewalt desHerrn nach der Eheschließung des Unfreien erheblich eingeschränktist. Für das Verhältnis der beiden Obligationen aus der Dienstab-hängigkeit und aus der Ehe will er keine allgemeine Regel geben,es sei vielmehr in vernünftiger Beurteilung abzuwägen, welcher Ver-pflichtung in der Situation der Vorrang zukäme. So gehe die Ehe-pflicht vor, wenn der Knecht auf den Acker geschickt werden solle,während der Dienst zuerst zu erfüllen sei, wenn er in einer Hilfe-leistung für einen Armen in Lebensgefahr bestehe (Ill). Es scheintsomit, daß die Dienstverpflichtung des Unfreien für Huguccio nurim Fall einer Nothilfe Vorrang hat, während der normale Diensthinter der ehelichen Verpflichtung zurücktreten muß. So darf derUnfreie auch nicht dem Herrn gehorchen, wenn dieser ihn, obwohlihm die Ehefrau dorthin aus Gesundheitsgründen nicht folgen kann,in eine entfernte Gegend schicken will (Il2).

Schließlich setzt sich Huguccio mit der Frage auseinander, wie-weit der Herr nach der Eheschließung des Unfreien sein Verkaufs-recht behält. Ist die Frau eine Freie, so dürfe er nur dann verkaufen,

(108) Cf. hierzu oben p, 534, Anm. 106(J09) Cf. oben p. 534, Anm. 106(rro) Huguecio, l. c.: Quod autem hie - se. bei Gratian - dieitur·non obvial, quia aut

dicitu, secundu,,, leges, quibus in hoc arliculo canones P"iudicanl ...(UI) Hugucrio, l. c.: Quid si simul dominus precipiat servo ut facial aliquid et uxo, exi-

git debitum? Cui prius est obediendum? Set hic potius quam dodrina necessaria est discretio bonioiri; seilicet ut inspiciat, quod Worum citius possit expleri, et quod potius sine periculo possitditJe"i, et in cuius dilaciane limeatltr maius periculum vel minus. Tempus etiam, locus et ali«circumstanlie possunl ualer«, Videndum, cui prius sit obediendum. Si ergo dominus seruo pre-eipiat ul eat ad ligna vel ad agros, et tunc ipsa petal debitum, prius reddat et postea proficisaü,Set si precipial ul porrigat panem pauperi inconlinenli morituro, nisi ci subvenialur, tunc priusporrigat et postea debitum reddat.

(uz) Huguecio, 1. c.: Quid si dominus lleW mietere servu," in regianem longinquam etuxor prohibeat? Potius obediat domino et ipsa eogatur sequi ipsum, si non potest Ilel non vult con·tinere ... Quid si est infirma vel clauda adeo ut ire non possit? Feratur in nalli vel in oehiculo,Si nichil tale potest fieri, potius pareat uxori quam domino.

· Peter Landau

falls die Frau ihrem Manne folgen könne (II3). Sind beide Ehe-gatten unfrei und gehören einem Herrn, so dürfe er sie in die Fremdenur zusammen verkaufen. Gehören sie verschiedenen Herren, so kön-nen nur beide zusammen ihre Unfreien nach auswärts verkaufen; denUnfreien muß also nach Huguccio stets die Möglichkeit ehelichenZusammenlebens erhalten bleiben und insofern ist das Verkaufs-recht ihrer Herren eingeschränkt (II4). Ein das Recht der Ehegattennicht berücksichtigender Kaufvertrag ist ungültig (IIS). Huguccioberuft sich für diese Einschränkung des Herrenrechts auch auf dasrömische Recht, C. 3. 38. 11,. eine Bestimmung, die bereits von Si-mon herangezogen worden war (II6). Schließlich erörtert Huguccionoch den Fall, daß die unfreien Eheleute von Anfang an in verschie-denen Orten wohnen und verschiedene Herren haben. Dann müssedie Kirche eingreifen, um ein Eheleben zu ermöglichen, indem sieeinen der Herren zum Verkauf an den anderen oder dessen Nachbarnzwingen könne, unter Umständen auch selbst den Unfreien 'kaufenmüsse, um die Trennung der Eheleute zu beseitigen (II7). SOergibtsich im ganzen, daß Huguccio die Möglichkeit des Vollzugs der Ehefür die Unfreien stets sicherstellen will und demgegenüber das Her-renrecht grundsätzlich zurücktreten läßt.

Die kurz nach II91 entstandene, wahrscheinlich von Petrus Be-

(Il3) Huguccio, I. c.: Idem dico si dominus vult vendere servum hismaelitis vel aliis re-matis, et uxor est libera, scilü:et quid si uxor potest eam sequi? Sequi~u,. Si non potest non lice-bit 'une domino vendere seroum peregrinis.

(II4) Huguccio, I. C.: Quid si uterque est serous? Hie distinguo: aul sunl seroi unius auldiversorum. Si unius: tune lü:ebit ei vendere vicinis utrumque vel unum sine altero, Extraneisvera et peregrinis non lü:ebit ei vendere unum sine altero, set Was duos. Sie distinguo tamen: uniextraneo vel diversis in eodem loco habitanlibus non (?, richtig: vera?)poterit eos vendere. Si veradiversorum dominorum sunl, uterque poterit vendere suum propinquo, quamvis alter non ven-dat. Set extraneo et peregrino non potest unus dominorum vendere suum nisi alter similiter ven-dat suum eidem vel alii wino eidem.

(ns) Huguccio, I. c.: Si autem laeta luerit venditio debet i"itari.(n6) Huguccio, I. c.: Quis enim lerat coniuges a viris separari? Si qui ergo sie sociata

mancipia traxerinl in diversum ius, in unum ea ,edigere coganlur. Ut C. Commuflia utriusque,I. 11 (I), Possessionum.

(Il7) Huguccio, I. c.: Set ecce serous unius conlrahit cum ancilla alterius. Domini ha-btlant in diversis locis. Quid liet tunc? Dico quod tunc ecclesia inveniat remedium, quod poterit.Puta cogatalterum ut vendat alteri vel alii eidem vieino. Quid si non est qui emat? Dico quod tuncecclesia debet lacere hoc, quia opus est pietatis, et poterie ille seroire ecclesie. Vel sicut ecclesiacogit alterum vendere, ita cogat alterum emere.

Hadrians IV. Dekretale « Dignum est» (X·4.9.I.) 537

neventanus stammende Summa Reginensis (n8) wiederholt im we-sentlichen Huguccios Argumentation in verkürzter Form. Dabeigelangt der Verfasser manchmal zu noch stärkerer Einschränkungder Rechte des Herrn als Huguccio. Hatte dieser noch zulassen wol-len, daß einer der Unfreien ohne den anderen an einen Nachbarnverkauft würde, da dies die Vollziehung der Ehe nicht unmöglichmachte, so hält die Summa Reginensis nur einen Verkauf beiderzusammen für erlaubt (rrc),

Petrus Cantor geht in seiner Summa de sacramentis et animaeconsiliis auf die Ehe der Unfreien ein (I20). Er erörtert in diesemZusammenhang zunächst den Fall, daß ein servus eines Bischofs,der mit einer ancilla desselben Herrn verheiratet ist, sich in eineStadt flüchtet, in der er selbst die Freiheit erlangt. Verweigert dannder Bischof der Ehefrau die Erlaubnis, ihrem Manne zu folgen, sodürfe diese sich auch gegen den Willen ihres Herrn zu ihrem Ehe-gatten flüchten. Das begründet Petrus Cantor damit, daß das Bandder Ehe dem der Knechtschaft grundsätzlich überzuordnen, sei, wienach dem Privilegium Paulinum die Ehe hinter dem Glauben zurück-stehen müsse (I2I). Im Anschluß daran behandelt Petrus Cantorden Fall, daß ein servus eine freie Ehefrau hat, die ihn verläßt undsich zu ihren Eltern begibt. Dann solle der servus sein Dienstver-hältnis nicht verlassen, jedoch nicht wegen seiner Unfreiheit, sondernaus Gründen der Ehe, da nämlich die Frau dem Manne zu folgenverpflichtet sei. Kann der servus seine Frau trotz dieser Verpflichtungnicht zur Rückkehr bewegen, so solle er ihr bei Gefahr von [orni-catio folgen, d. h. er dürfe dann eigenmächtig seinen Dienst verlassen

(uB) Hierzu STICKLER, DecretisH bolognesi dimenticati in: Siudia Grtüiana Ill, 1955,

p. 391 f.(II9) Summa Reginensis ad C. 29, q. 2, C. B (MS Vat. Reg. lat 1061, fol. 32 raj: Ven·

dere autem unum sine altero p,ohibitum est in Codice Utriusque iudicii, I. antepenull (?).(120) Die Entstehungszeit der Summa liegt zwischen 1I9a und u97i cf. hierzu VAN

DEN EYNDE in: Antonianum 26,1951, p. 23B.(Z21) Petrus Cantor, Summa de Sacramentis et animae consiliis, Pars Ill, cap. XXIX, §

274,ed. DUGAUQUIER(Analecta Mediaevalia Namurcensia 16, 1963) p. 295: Aliquis serous episco-pi vel comitis, cum premeretur iugo importabiU, aufugit ad Ziberamcivitatem, relicta iuvencula uxo-re que similiter erat ancilla illius episcopi. Non vult reverti vi, eiftS, nee episcopus potest eumreuocare, Petit uxor licentiam ab episcopo accedendi ad vi,um suum. Negat dicens quod ipsa te-netu" cum seruilis sit conditionis obedi,e domino suo magis quam viro, iuxta vocem Apostoli:Servi, subditi estote in omni timore dominis vestris. Sed sicut {ides prefertur matrimonio, undefidelis potest relinquere infulelem et aliam accipere, ita vinculum matrimonii prefertur vinculoservitutis. Unde ipsa teneiu« si potest absqu« licentia domini lugere ad vi,um.

Peter Landau

(122). Wenn schließlich eine ancilla einen Freien ohne Wissen ihresHerrn heirate, so dürfe sie mit ihm zusammen fliehen, sei nicht zurRückkehr anzuhalten und begehe durch eine solche Flucht auchnicht einmal eine Sünde (123). Bei Petrus Cantor tritt demnach dasDienstverhältnis völlig hinter der Ehe zurück, ja es kann sogar injeder Konfliktsituation von Ehe und Dienst einseitig vom Unfreienaufgelöst werden. Mit dieser radikalen Stellungnahme geht PetrusCantor weit über die bisherigen Lehren der Dekretisten hinaus. Zwarbehandelt er die Frage der Eheschließung nicht ausdrücklich, jedochkann es nach seinen sonstigen Ausführungen nicht zweifelhaft sein,daß er die Zustimmung der Herren nicht für erforderlich hielt, da janach ihm das Dienstverhältnis im Konflikt mit der Ehe grundsätz-lich zurückstehen soll. Er war sich bewußt, eigenwillige Ansichtenin kanonistischen Fragen zu vertreten (124); es müßte wohl in größe-rem Zusammenhang untersucht werden, wie weit sich seine Lehrenin der französischen Kanonistik ausgewirkt haben.

Nach Bekanntwerden der Compilatio I entstand eine umfangrei-che dekretalistische Literatur. Da die Kanonisten nun unmittel-bar mit der Interpretation der Dekretale Dignum befaßt waren, istes nicht verwunderlich, daß sich neue unterschiedliche Lehrmei-nungen entwickelten, in denen die Diskussion der Dekretistik fort-geführt wurde. Ricardus Anglicus beschäftigt sich in seinem um II95entstandenen Apparat zur Compilatio I (125) mit der Frage, ob beider Unfreienehe eheliche Pflicht oder Dienstpflicht den Vorranghätten. Ricardus bezieht nicht die bereits von Huguccio und derSumma Lipsiensis vertretene Position, daß die Ehe das Dienstver-hältnis einschränkt, sondern betont, daß die Dienstpflichten denehelichen Pflichten vorgingen. Der Ehevertrag zwischen den Un-freien sei nämlich salvo domini servicio abgeschlossen worden, unterdem Vorbehalt, daß alle Rechte der Herren auf Dienste erhalten

(122) Petrus Cantor, I. c.: Sed si serous duxerit libera,n scienter, et ilia aulugiat ad pa·felltes, non debet ipse sequi eam invito domino, cum vir sit caput mulieris, et ipsa potius debeatsequi virum quam e converso. Ego cOllsuleremquod ipse sequeretur si nee per christianitakm,nee alia modo posset eam reuocare,et timeret de lapsu suo vel uxoris.

(123) Petrus Cantor I. c.: Sed esto quod ancilla alieuius, domino ignorante, nupsit libero etlugit. Peccavit contra dominum suum, tenetur reverti ad satisfaciendum? Non credo.

(124) Bezeichnend ist z. B. die Bemerkung I. c.: Ex incidenti etiam dico, quod lieet canones .dicant non esse matrimonium ubi est error conditionis, quod secundum opinionem mea,1I est ibimaI,imonium.

(125) Cf. KUTTNER, Repertorium, p. 225.

Hadrians IV. Dekretale« Dignum est & (X.4·9·1.) 539

blieben (126). Einen Verkauf der Unfreien in verschiedene Länderhält dagegen Ricardus auch für unzulässig und sieht in C. 3. 38. 11das Verbot, die unfreien Ehegatten zu trennen, ausgesprochen (127) .

.Der Zeit um 1205 gehören der Glossenapparat des Alanus und dieanonymen, in der französischen Schule entstandenen Apparate Mi-Want siquidem patroni und In quibusdam libri« an (128). Alle dieseWerke kommentieren die Dekretale Dignum ausführlich. Alanuswill grundsätzlich wie Ricardus der Dienstpflicht vor der ehelichenPflicht den Vorrang zugestehen, da die Ehe der Unfreien unter dieserBelastung zustande gekommen sei; er schwächt diese These dannaber wieder etwas ab, da bei Gefahr von fornicatio oder großer Nachteilefür die Ehefrau die eheliche Pflicht vorangehen müsse (129). In derFrage des Verkaufs in fremde Länder will Alanus unterscheiden:ist einer der Ehegatten frei, dann könne der Unfreie stets verkauftwerden, da ihm in diesem Fall der freie Teil folgen müsse; sind beideunfrei, so dürften sie niemals durch Verkauf getrennt werden (130).

Der Apparat In quibusdam libris bringt zur Frage der Trennungdurch Verkauf bei verschiedenen Herren den Gedanken, daß in die-sem Falle, sofern einer der Herren verkaufen wolle, der andere ent-

(126) Ricardus Anglicus ad 1 Comp. 4.9. 1 (~IS Bamberg 20 fol., 39 raj: Sei quid ,rit Sluxor PelUdebUum et dominus eodem tempore aliud s,rvieium? CUl prius ,rU obediendum? Resp»:Polest diei quod domino. Na,,, in secunda obligatione subauditur hee exceptio salvo domini. (!)

seroieio.(127) Ricardus Anglicus, I. c.: Set quid si dominus eius veli' eum (I, richtig: eam?) eendere

greeis et dominus sero. velit eum oender«yspanis? Resp.: Quis ferret a viris coniuges s(parari, ergotalis venditio prohibitur, ut C. Communia utriusque iudieii, I. Possessionum.

(128) Zum Apparat des Alanus cf. KUTTNER, Repertorium p, 325 f. Zum Apparat Mili·tant cf. STICKLER, LThK2 V, col. 1294. Zum Apparat In quibusdam libris cf. KUTTNER, Bernar-dus Compostellaflus ''''tiquus in: Traditio 1, 1943, p, 317, Anm. 54.

(129) Alanus ad I Comp.... 9. I (MS Karlsruhe Aug. XL, fol. 57ra): Ergo si dominusservicium exigal et uxor debitum eodem tempore, domino est potius obediendum. Quod verumpufo nisi perieulum !ornicationis in uxore timealur, vel magnum fiat preiudieiu,,, exori, quocasu ifltelligitur illud apostoli. Et hoc ideo quia servu« prius IlIit domino obligatus, cum eodem/ionere transit ad uxorem.

(130) Alanus, l. c.: Set quid si dominus eius velil eum vendere grecis?Resp.: Potest, et uxor,si libera est, tenetur eum sequi. Et idem de uxore ancilla et viro libero. Si vero vir est serous et u%Ofancilla, dominus non debet eos separare, ut C. Communia utriusque iudieii, Possessionum. Idemsi diversorum dominorum, quia quos deus coniuflgit, homo non potest separare.

Tankred gibt die Ansicht des Alanus etwas anders wieder: Tankred ad I Comp. 4. 9. J

(MS Vat. 2509, fol. 68rb): Notavit hie alanus, quod ipsum vendere polest, et uxor tenetur eumsequi, aiam (!) Sl libera est.

540 Peter Landau

weder diesen Unfreien kaufen müsse oder seinen Unfreien bzw. seineUnfreie mitverkaufen müsse. Zur Begründung wird C. 7. IS. I an-geführt, eine Konstitution, die Regeln zur Mannmission enthält.Wie hier nach Ansicht des Dekretalisten ein [auor libertatis für dieSklaven ausgesprochen sei, so müßten die Abhängigkeitsverhältnisseder Unfreien im Sinne eines [auormatrimonii ausgelegt werden (131).Der Apparat befürwortet auch wie Simon und Huguccio, daß dieKirche den Unfreien notfalls kaufen solle, damit so die Ehe aufrecht-erhalten werden kann (132).

Der Apparat Militant betont im Gegensatz zu den bisher bespro-chenen Dekretalisten, daß stets die eheliche Pflicht der Dienstver-pflichtung überzuordnen sei. Das ergebe sich daraus, daß die Ehe-pflichten den Vorschriften des ius divinum und des Naturrechts ent-nommen seien, während die Dienstpflichten nur im ius civile be-gründet seien. Das ius civile könne jedoch das Naturrecht nicht abän-dern (133).

Da dieser Apparat der französischen Schule angehört, könnteer auch in der These, daß die Ehe dem Dienstverhältnis grundsätz-lich voranzustellen sei, von der Lehre des Petrus Cantor beeinflußtsein; jedoch findet man bei Petrus Cantor nicht die hier vertretenenaturrechtliche Argumentation.

Der Apparat Militant erörtert auch die Frage, welchem derHerren die Kinder zufielen, sofern die unfreien Eheleute verschiede-nen Herren gehören. Er erwähnt hierzu zwei Lehrmeinungen: Nacheiner Ansicht stünden die Kinder dem Herrn der Mutter zu, nach

(131) Apparat In quibusdam libris ad I Camp. 4.9. I (Paris BibI. nat, 15398, fo1. 263 rb)Unde si diversi sun' domini seroi et aneille, et alter velit vendere servum vel ancillam, relicus tene,tur emer» vel vendere alium, ex quo sum vir et uxor, ar, C. Communia de manumissionibus I. 1-ubi dieitur, si plure« habeant servum communem, et alter velit manumittere, alter cogitur comitarevel vendere suam partem. Et hoc in lavorem libertatis. Similiter et hie in lavarem matrimonii.

(132) Apparat In quibusdam libris, I. c.: Item si non inveniatur qui emat, credo quod ec-clesia debet emer«.

(133) Apparat Militant ad I Camp. 4. 9. I (MS Troyes 385, fol, 73 rb): Con sue t ase r v ic i a , Ergo servus post matrimonium est iure domin£o sieut ante. Et hoc verum est sineuxoris preiudie£o, unde si uxor petat debitum et dominus servi preeipiat contrarium, pocius uxoriquam domino est obediendum, hac ratione quia preceptum est celestis domini, uxoris debitum red-dere; quam terreno; ut XI q. 111 Qui resistit. Item alia ratione, quia tenetur precepto iuris natu-ralis, quod dieit vir non habet polestatem sui, set mulier, ut XXII q. 11 Sunt qui dieunt. Set ser-vus domino tenetur tantum precepto juris civilis, ut 1nst, de libertinis, in prineip£o. Iura autemnaturalia non possum corrumpi a iure civili, ut 1mt. de legitima agnatorum tutela, in fine.

Hadrians IV. Dekretale «Dignum est» (X.4.9.1.) 541

der anderen, die von P. Abbas vertreten werde (134), erlangten beideHerren gemeinschaftlich. das Recht an den Kindern (135).

Tankreds Apparat zur Compilatio I, der zur Glossa Ordinariawurde, bringt zu I Comp. 4. g. I zunächst die Glosse des Alanus. Inseinen anschließenden eigenen Ausführungen bekämpft er die vonihm nicht ganz zutreffend wiedergegebene Ansicht des Alanus, daßein Verkauf des Knechts in fremde Länder stets zulässig sei, da dieFrau dem Manne folgen müsse. Er stimmt vielmehr der Ansichtdes Ricardus Anglicus zu, daß ein solcher Verkauf verboten sei,und sieht darin einen Mißbrauch des Herrenrechts. Dieser Mißbrauchmüsse im Interesse der öffentlichen Ordnung verhindert werden,wofür Tankred den römischrechtlichen Satz: Interest enim rei publice,ne quis re sua male uta/ur zitiert (136).

Johannes Teutonicus hält in der Glossa Ordinaria zum Dekretjede Trennung der Ehegatten für unzulässig, wenn die Herren inverschiedenen Provinzen wohnen,' also offenbar auch dann, wenndieser Zustand bereits zur Zeit der Eheschließung vorhanden war.Einer der Herren müsse dann an den anderen oder an die Kircheverkaufen (137). Finde sich kein geeigneter Käufer, so müsse jeden-falls die Frau dem Manne folgen, also wohl das Dienstverhältnisauf eigene Faust verlassen (138). Neuartig ist das Hauptargumentdes Johannes für diese weitgehende Ausschaltung der Herrenrechte:

. (134) P. Abbas ist wohl kaum Petrus Beneventanus, sondern eher ein französischer Ka-nonist, aber auch nicht Petrus Brito, der im allgemeinen mit der Sigle, P. B•• in der ka-nonistischen Literatur zitiert wird; cf. GILLMANN,AKKR 120, 1940, p. 60 11., KUTTNERIn:Traditio I, 1943, p. 317, Anm. 54j WEIGANDin: Traditio :U, 1965, p. 489. Vielleicht ist andieser Stelle ein weiterer bisher unbekannter französischer Kanonist des Namens' Petrus'(?) erwähnt.

(135) Apparat Militant, 1. c.: Set quid si serous "nius ,ontrahat ,um andlla alterius'Utrius iIlorum dominorum erit proles ex talibus suscepta' Dicunt quidam quod erit domini ma·tris, quia partus sequitur lIentl'em,ut D. de re (!) lIendicatione, I. Pomponius; § ult. P. Abbas di·cit quod erat communis utl'iusque illorum daminorum.

(136) Tancred ad I Comp, 4. 9. I (MS Vat. 2509, fol. 68 rb): Set quid si dominus IIdUeum lIendere gl'acis' NotalJit hie a/anus, quod ipsum lIendere potest, et uxor tenetur eum sequietiam si libera est. Ego sencio cum R., quod prohibenda est talis lIendicio, arg. Communia utl'ius·que iudicii, Possessionum, arg. LIV Di, Praternitatem, et ,ogi debet alii "endi bonas ,ondicionesaUerenti. Interest mim rei publice ne quis re sua male utatur, Inst. De his qui sui iuris sunt velalieni, § penult., et U. e. t. Si da·minus. t.

(137) Glossa Ord. ad C. 29, q. 2, C. 8 ad v. Die t 11m est "0 bis: Sed quid si dominisint in diversis provinciis? Credo alterum compellendum ut lIendat reliquo: lIel si neuter lIultredimat ecclesia. Non enim debent uxores a vir;s separari •••

(138) Glossa Ord., I, c.: Et non est qui emat, et potius sequitur uxor "irum quam econllerso.

542 Peter Landau

da die Trennung der Ehegatten eine Sünde sei, könne die. Kircheratione peccati die Herren zum Aufgeben ihrer Rechte zwingen; dasEingreifen der Kirche wird mit der Dekretale Novit Innocenz' Ill.(K. 2. I. 13) gerechtfertigt (139).

In der theologischen Literatur der ersten Hälfte des 13. Jahr-hunderts ist noch die Lehre vorherrschend, daß die Rechte der Her-ren durch die Eheschließung der Unfreien nicht beeinträchtigt wer-den dürften. Wilhelm von Auxerre behandelt in der nach 1215 ge-schriebenen Summa aurea (140) die Unfreienehe im Zusammenhangmit dem Einwand, daß der Unfreie nicht die volle Verfügungsgewalt- dominium - über seinen Körper habe und folglich auch nichtohne Konsens des Herrn eine Ehe schließen könne (141).

Er will diesen Einwand nicht gelten lassen, da der Unfreie zumAbschluß des Ehevertrages selbständig verfügungsbefugt sei; dochhabe er infolge des Dienstverhältnisses keine volle Gewalt über sei-nen Körper, so daß er in bezug auf die Erfüllung seiner ehelichen Pflich-ten nicht frei entscheiden könne (142); diese Beschränkung der ehe-lichen Pflicht sei aber in einem solchen Ehevertrag zwischen denGatten bereits als imputiert anzusehen, sofern sie sich nicht überdie beiderseitigen Standesverhältnisse geirrt hätten (143). Die Ten-denz geht also bei Wilhelm von Auxerre dahin, dem Dienstverhältniseinen Vorrang gegenüber der. Ehe einzuräumen.

Viel weiter als Wilhelm von Auxerre geht Alexander von Halesin seiner Glosse zu den Sentenzen des Petrus Lombardus (144), in-dem er die Rechte der Unfreien erheblich einschränken will. Er stelltzunächst den Widerspruch zwischen dem Konsenserfordernis bei

(139) Glossa Ord .• I. C.: Nam peccarent domini eos separando, et ita sattem indirecte suntcompellendi relaxare eos, ut extra de iudi. Nouit,

(140) Zur Entstehungszeit cf. LANDGRAF, Ein/jjhrung p. 128.(141) \\'ilhelm von Auxerre, Summa aurea (ed. Paris Pigouchet 1500, fol, 192): Proba-

tur quod non possunt contrahere; quia serous flan habet potestatem corporis sui, sed dominus.Ergo non potest transtcrr« dominium corporis sui in aliam personam sine consensu domini.

(142) Wihelm von Auxerre, I. c.: Ad secundum diei",us quod bene possunt servus et seroaconiraher« inter se et contradieentibus domini» salvo iure dominorum suorum. Potest enim sicutdictum est StyVUS reddere debitum uxori loco et tempore, et domino suo seruire loco et tempore.Et dicimus quod serous "abet potestatem corporis sui quantum ad contrahendum, sed verum estquod plenarie non habet potestatem corporis sui. Unde non ita libere potest redder» debitum uxori,sicut si esset liber, sed mulier que scienter talem duxit sibi implltd.

(143) Cf. vorige Anm. am Ende.(144) Die Glosse des Alexander von HaIes entstand zwischen 1223 und 1227; cf. Prole-

gomena zur Ed. Quaracchi, Bd. I, p. 1I6, A. EMMEN in LThKI I, col. 307.

Hadrians IV. Dekretale « Dignum est » (X.4.9.1.) 543

Petrus Lombardus und der Dekretale Dignum fest. Merkwürdiger-weise folgert er nun aber nicht, daß durch die Dekretale das ältereRecht abgeändert worden sei, sondern meint, daß Hadrians De-kretale nur eine Interpretation des ius divinum sei, also nicht posi-tives Recht habe setzen wollen. Das positive Recht, das in diesemBereich das ius divinum pro necessitate temporis abgeändert habe,ist für ihn vielmehr in dem von Petrus Lombardus zitierten Kanondes Konzils von Chalon enthalten (145). Diese Begrenzung des Sinnsder Dekretale auf ein positivrechtlich aufgehobenes ius divimmJwird nach Alexander in dem Passus nulla ratione... e c c l e s i a s t i C 0

i 11 die i 0 dissolvenda von der Dekretale selbst ausgesprochen; dasecclesiasticum iudicium des ius divinum ist nach seiner Ansicht of-fenbar im Bereich des Unfreienrechts nicht maßgebend. Alexandervon HaIes gelangt somit zu einem Ergebnis, nach dem die DekretaleDigmo» praktisch irrelevant ist.

Für das Problem der Rangordnung von Ehepflichten und Dienst-verhältnis entwickelt Raymund von Pefiafort in seiner nach 1234verfaßten Summa de matrimonio (146) eine neue Lösung, die spätervor allem in der theologischen Literatur des 13. Jahrhunderts wirk-sam wurde: Nach ihm haben die Ehepflichten Vorrang, wenn dieEhe mit Zustimmung des Herrn zustandegekommen ist, währendbei Ehen ohne Zustimmung grundsätzlich die Dienstpflicht vorge-hen soll, da der Herr nicht ohne eigene Schuld der Dienste seinesserous beraubt werden dürfe (147): Diese Distinktion Raymunds wird

(145) Alexander von HaIes, Sentenfenglosse (ed. Quaracchi, Bd. IV, 1957, p, 552): Quae·,itu, etiam si seruus unius etc., praeter vo/untatem dominorum iotterservum et ancill4m coottrahi.Contra hoc, Primis, De coniugio seruorum, Dignum est ••• Respondemus: lacienda est vis in kooquod dicitur • ecclesiastico iudicio ', Est enim quodd4m iudicium ecclesiasticum quod sequitursimpliciter ius divinu,n, et aliud quod fit in lavor"n do",i'lOrum pro necessitate tempori», No"sie autem loquitur illa deeretalis.

(146) Die Summa ist wahrscheinlich 1235 und jedenfalls vor der des Goft'redus enstan-den; cf. SCHULTE, Die Geschichte der Quellen und Literat"r des ranonischen Rechts, Bd, I1,1877, p. 412; sie erscheint in den Handschriften häufig als viertes Buch der Sum,na de casi-bus: cf. TEETAERT, Ius PonIi{lCiu,n9, 1929, pp. 9-25.

(147) Raymund de Pei\afort, Summa de casibus, lib. IV (MS Köln Hist. Archiv W 224,fol 149ra): De impedimento conditionis ••• Pone quod domiNus pruipit servo co"iugato aliquid,60demtempore petit uxor vel e converso. Credo salvo tlJeliori iudicio ess« distinguendum, quoniamaut co"t,axit seruus consentieottedomino aut eo ;gnoraottevd contradiceotte.In primo casu debttredder« debitum, quoniam cum dominus concessit principale, se. matrimonium, intelligitur ac·cessoria concessisse ... In secunda vero casu videtur quod drbeat dictum mandatum i,,,plere nisiprobabiliter Umeat periculum adulteri; ex ditatione. Alioquin posset dominus servieio sui serviomnino sine culpa sua privari, quod esse non debet.

544 Peter Landau

von den zeitgenössischen Kanonisten allerdings nicht übernommen.Goffredus von Trani in seiner zwischen I24I und I243 geschriebenenSumma decreialium (148) und Innocenz IV. in seinem um 1250 ent-standenen Apparat zum Liber Extra (149) gehen davon aus, daß dieDienstverpflichtung als zeitlich frühere Obligation grundsätzlichVorrang habe, doch müsse sie bei Gefahr des Ehebruchs gegenüberder ehelichen Pflicht zurücktreten (ISO). Beide Autoren vertretenalso weiterhin eine Lehre, die bereits von Ricardus AngIicus undAlanus Anglicus in der Bologneser Kanonistik entwickelt wordenwar (151).

Goffredus beschäftigt sich auch mit der Frage, was zu geschehenhabe, wenn Unfreie heiraten, deren Herren in verschiedenen Ge-genden wohnen. Wolle in diesem Fall einer der Herren den zweitenUnfreien kaufen, so könne die Kirche den anderen Herrn zum Ver-kauf zwingen. Will keiner der bisherigen Herren den zweiten Un-freien kaufen, so müsse der Herr der ancilla sie in der Provinz desservus zum Verkauf anbieten; falls dann kein Käufer erscheine, somüsse die Kirche selbst kaufen (152). Der Kauf von Unfreiendurchdie Kirche, ursprünglich von Simon von Bisignano als eine Möglich-keit empfohlen (153), wird von Goffredus also als eine Pflicht der

(148) Zur Entstehungszeit cf. VAN HOVE, Prolegomena, (Commentarium Lovaniensevol. I. t. r) 2. Aufl. 1945, p. 476j SCHULTE, Quellen und Lileratur Bd, II, p. 90.

(149) Zur Entstehungszeit cf. VAN. HOVE, op, cit, p. 477.(ISO) Summa GoOredi (Inkunabel um 1480, Stadtbibi. Köln): De coniugw servorum ...

Sed queritur quid si dominus exigat servieium a servo et eodem tempore uxor petat debitum? Dicipotest quod se impediunt in occursum ... Verius est domino obediendum quia vir cum konore (!ltransit ad uxorem et quia kec decretalis dieit: consueta seroicia non minus debent dominis exhi-beri, Quod intelligo verum nisi perieu114mfornicationis timendum sit in uxor«.

Innocentius IV. Apparat zum Liber Extra, ad. X. 4. 9. I v. Dignum (ed. Frankfurt1570): Et si simul concurrai uxor ad petendum debitum, et dominus ad petendum servitium, quiade debito reddenda se cito expedit, videtur dominus malitiose facere, si nee modieum momentumdet servo ad satiSfaciendum uxori, unde eius malitiae non est indulgendum ... quia lamen nonpotui' se obligare in preiudieium prioris obligationis, et quia res transit cum onere suo, primaobediet domino ... nisi Umeatur de adulterio,

(151) Cf. oben p. 539.(152) Goffredus, I. c.: Sed quid si diversi domini diversarum sint ,egwnum, ita ut vi, et

uxor mutuo conoenir« non possint ad coniugale officium exercendum? Respondeo ut evitetu, ma-xima fornicationis materia, cogatur per ecclesiam alter dominorum vender» alteri volenti emere ...Sed quid si neuter dominorum emere velit? Cogatur alter dominorum cuilibet extraneo venderein provincia servi vel venalem exponat,et si nullus appareat emptor, emat ecclesia, ut arg. LIV Di.Fraternitatem. Viri enim et uxores separandi non sunt.

(153) Cf. oben p. 531.

Hadrians IV. Dekretale «Dignum est. (X49.I.) 545

Kirche dargestellt, falls nur auf diese Weise eine Trennung der Ehe-leute vermieden werden kann.

Innocenz IV. hält jede Trennung der Ehegatten, insbesonderedurch den Verkauf eines von ihnen in ein fremdes Land, wie Ricar-dus Anglicus und Tancred für unzulässig (154). Auch Bernhard vonBotone schließt 'sich in der Glossa Ordinaria zum Libe« Extra derAnsicht an, daß eine Trennung durch Verkauf in fremde Länderverboten sei (ISS). Anders als Goffredus und Innocenz lehnt jedochBernhard die Lehre vomVorrang des Dienstverhältnisses gegen-über der Eheverpflichtung ab; nach ihm gehen die ehelichen Pflich-ten grundsätzlichvor, es sei denn, daß der Herr von dem serouseine Hilfeleistung für einen anderen Menschen verlangt (156). Diesesozialethische .Bewertung der verschiedenen .Verpflichtungen beiBernhard von Botone entspricht im wesentlichen der Lehre Huguc-eios, der ähnliche Entscheidungskriterien angeführt hatte (157).

Hostiensis vertritt in seiner Summa ebenso wie Bernhard vonBotone die Ansicht, daß die eheliche Pflicht der Dienstverpflichtungvoranzustellen sei; eine Ausnahme wilIer nur für den Fall geltenlassen, wenn der Herr des 'serous von Feinden bedroht wird (IS8).Der Herr darf auch nach Hostiensis den servus nicht in ein fremdesLand verkaufen, sofern hierdurch die Ehegatten getrennt werden;Hostiensis meint, daß der kirchliche Richter in solchen Fällen auf

(154) Innocentius IV., I. c.: Si tamm "elld eum "et1dere Grecis, !oru lIOn posset, quiaseparari lIOn debenl ... Sell alicui propinquo cogi PoUril a4 "endendum bonis condilionibu,. In-teresl enim, ne quis re sua male utalur :.. llem erellim"" si dilJersorum 'erW el ancillu copulen-tu" quia lIOn debenl ita dilJidi, quod sibi aliquando debitum redder, non possi"'.

(1'5) Glossa o,d. ad X. 4. 9. I V ... , r 11i' i a: Quid si domin", wllel "endere ,erwmsuum alicui, qui "eZIeIeumducere a4 eztraneaa paries !<WIein Graeciam} Di%iIAla. quod pottsI,el uzor Unetu, cum sequi. Verius fJidelu,. t4I alii dicu"', quod Ialis "enditio p,ohibenda esl.

(156) Glossa O,d. I. C.: Ergo si domin", servilium ,zigil. d uzor debilum CI ",ro "a" eo-dem t""pore, domillOest poti", obedienäum. Dicu'" quidam quod potius est obeäienäum domino:nisi periculum !ornicationis limealur, fiel magnum preiudicium /ial uzori, sell fIoIi", fJideturquod uzari ipsi", reddat debitum, cum "er hoc nullum pre,udicium, "el saltem modicum /ial do-millO propter moram modici temparis, nisi !<WIedomin", in ausilium persona, peterel .ervumsuum.

(157) Cf. oben p. SH.(158) Hostiensis, Summa aurea (ed. Lyon 1537), lib. IV. De coniugio ,eruorum, fo1. :z06v:

Quid si domitl'" servi qui eo invito comrasit petal ab eo sibi Idiberi debilum ,ervitium " uso,eadem lempore ezigil debitum coniugalel Dic si domino PMaur gr"IJ' preiudici"m, ut ,i in,miciipsum dominum aggrelliamu" in hoc enim casu fIoIius debet domino .trfJ'" obelli" gua", usor'nimis importune ... aliaa leneretu, dominus modicum upecta" quam cito poterU obelli". DieseStelle zum Teil auch bel ESMEIN-GENESTAL. Bd. I p. 355.

35. Studia Gratiana - vol. XII.

Peter Landau

Denuntiation des Unfreien hin den Herrn zur Unterlassung des Ver-kaufs zwingen könne (159). Nur in den Fällen, in denen der Unfreiemit einer Freien verheiratet ist, will Hostiensis im Anschluß an Ala-nus Anglicus einen Verkauf gestatten, da hier die freie Ehefrau ver-pflichtet sei, ihrem Gatten zu folgen (160).

So läßt sich zusammenfassend feststellen, daß die den Unfreiengünstige Tendenz der Kanonistik um 1200 auch bei den Kanonistender Mitte des 13. Jahrhunderts aufrechterhalten bleibt. Diese denUnfreien günstige Einstellung geht bei Hostiensis etwa auch daraushervor, daß er den Passus consueta servicia der Dekretale Dignumest so auslegen will, die Kirche habe die Unfreien darin zu schützen,daß sie nicht über die gewohnheitsrechtlich festgelegten Dienste hin-aus von ihren Herren zu Dienstleistungen herangezogen würden(161). ]ohannes Andreae schließlich wiederholt in der Frage der Un-freienehe die Argumente des Hostiensis, ohne neue Gesichtspunktebeizubringen (162). Die wichtigsten Argumentationen der Kanonistenwaren in dieser Materie schon in der Zeit vor 1215 entwickelt worden.

Mit den Problemen der Unfreienehe setzen sich auch die großenTheologen der Hochscholastik auseinander, so daß zum Abschlußnoch ein Blick auf die Theologie der Mitte und der zweiten Hälftedes 13. Jahrhunderts zu werfen ist.

Zunächst muß hier der Sentenzenkommentar des Albertus Mag-nus genannt werden, der zwischen 1243 und 1248 geschrieben wur-

(159) Hostiensis, I. c.: Quid si dominus vult uender« servum suum uxoratum alieui quiad remotas partes eum ducere flult? Nunquid potest? Dicunt quidam quod sic et uxor debet eumsequi, sieut et virum leprosum ••• Verius videtu, quod hoe non possit jacere dominus, nee eumtransjer,e de una terra ad aliam, matrimonium enim rii« contractum nee potestate dominica neepatria vel vi conditionis apposite in tegatodirimendum est •••unde si iude» ecclesiasticus ad denun-ciationem ipsius set'vi et ipsum dominum ex officio suo compescere potest. Auf diese Lehre desHostiensis, daß der kirchliche Richter in einem solchen Fall ex officio einschreiten könne,wird auch von ESMEIN-GENESTAL, I. c. p. 355 und von DAUVILLIER, Le mariage etc. p, 187hingewiesen.

(160) Hostiensis, Lectura ad X••• 9. I v. ex h i be r i: Quid si dominus vult vendereseroum in longinqua ,egione? Dixu ala. quod hoc [acer«potest ••• Sin autem serous eont,axit cumliber« seienter, habet locum sententia Ala. et imputet sibi libera, quod contraxit scienter, namdebuit praecauer»,

(161) Hostiensis, Ledura ad X •• ,' 9. I V. con sue t a: Cert« et non consueta, quia om-nia sunt domini, ut dictum est. Vel ideo hoc dicit: quia si consuetudo /orsan esset in aliquibusregionibus, quod ad ceria tantum seroitia astringetur, ecclesia talem consuetudinem tueri debet.

(162) Cf. Joannes Andreae, Novella in Decretales Gregorii IX., (ed. Venedig 1581), adX. 4. 9. I.

,Hadrians IV. Dekretale «Dignum est. (X.4.9.1.) 547

de (163). Albertus Magnus begründet die Befugnis der Unfreien,ohne Zustimmung ihrer Herren eine Ehe zu schließen, mit natur-rechtlichen Argumenten: da die Ehe bereits von der Natur zur Er-haltung der Art eingerichtet sei, könne sie von keinem Dritten ver-boten werden (164). Dagegen ist die Zustimmung des Herrn nachAlbertus für die Frage bedeutsam, ob die eheliche Pflicht oder dieDienstverpflichtung den Vorrang beanspruchen könnten. Hättendie Herren der Ehe zugestimmt, so sei die eheliche Pflicht dem Dienstüberzuordnen, da mit der Einwilligung in die Hauptsache - se. dieEhe - auch in die Akzessorien eingewilligt worden sei. Werde abergegen den Willen der Herren geheiratet, so sei auch dann die Dienst-verpflichtung nicht in jedem Fall vorrangig - es komme vielmehrauf Zeit und Situation an (165). Die Distinktion der Entscheidungüber den Vorrang der Pflichten nach Erteilung oder Verweigerungder Zustimmung der Herren war vor Albertus bereits von Raymundvon Pefiafort getroffen worden (166); diese Lehre kehrt nunmehrin verschiedenen Varianten in den großen Sentenzenkommentarender nächsten Jahrzehnte wieder.

Im Sentenzenwerk des Albertus Magnus ist ferner noch der Hin-weis auf die rechtliche Stellung der Kinder aus einer Unfreienehebemerkenswert. Gehören die Eltern verschiedenen Herren und ha-ben sie mehrere Söhne, so würden diese in einigen Teilen Deutsch-lands unter den verschiedenen Herren aufgeteilt; sei nur ein Sohn

(163) Zur Entstehungszeit cf. W. KÜBEL,LThKI I, col. 28S.

(164) Albertus Magnus, Commentarii in IV Sentemiarum (ed. BORGNET,Bd, 30, 1894),Dist. XXXVI, Art. IV: ... quoad hune consensum non est servus in potestale domini: quia ill«consensus habet conditionem libenati« ex seipso ••• Et causa hujus est, quia quod ad naturae per.manentiam in solalium mortalitaii« natura &oncessit,non debet poni in potestale cuiusquam: etideo etiam domino contradicente, dummodo alias velit servu«, potest liber« consentir« in mal,i·monium.

Auf diese Stelle weist auch DAUVILLlER,Opecit. p. 187 hin.(165) Albertus Magnus, I. e.: ••• aut servus &ont,axit malrimonium wnsentien/ibus domi.

nis, suo et uxoris, aut dissentien/ibus ... Si autem P'imo modo, tunc solvendum ed debitum con·jugale; quia qui consen/it principale, intelligitur consensisse accessorium. Et ita quando malri·monio consenserun/, concessisse intelligun/u, et tempus ad solvendum debitum. Si autem ambodissentjunt, tunc adhuc djstjnguendum videtu;, scilice, aut quia non est Iwra solvendi debitummaritale, aut serviendi dominis, Si primo modo, si est IIOX, et in cubili secreto est cum IIxore, pu-to quod tenetur solver» debitum. Si secundo modo, tune puto debent servi" dominis. Cf. hierzuauch MdIARICUA,ope cit, p. 263. .

(166) Cf. Joannes Andreae, Novella ad X. 4. 9. r v. p, t er' t S" 11 14m: S' serouscon/raxil sciente el permittente domino, debet debilum ,eddere ••• Si autem eo contradicente, velignorante, videtu, quod debeal mandatum domini adimpler, ••• Rai, Cf. auch oben p. S43.

Peter Landau

vorhanden, so falle er einem der Herren zu und der andere Herrerhalte eine Geldabfindung (167).

In den fünfziger Jahren des 13. Jahrhunderts entstanden die gros-sen Sentenzenkommentare des Bonaventura, des Thomas von Aquinund des Petrus von Tarantaise (168). In diesen Werken werden dieEhen der Unfreien ausführlich behandelt, wobei die Stellungnahmenin Einzelfragen voneinander abweichen, jedoch stets das Rechtder Unfreien, unabhängig vom Willen ihrer Herren die Ehe einzu-. gehen, bejaht wird.

Für Bonaventura ist es entscheidend, daß gemäß dem ius novum- d. h. der Dekretale Dignum - die Eheschließung der Unfreienkeiner Zustimmung der Herren bedarf (169). Für ihn ist also dieBerufung auf das positive Recht in dieser Materie letztlich maß-geblich. In der Frage der Pflichtenkollision greift er die Unterschei-dung des Albertus Magnus auf, will aber im Falle, daß die Eheschlies-sung ohne Genehmigung der Herren erfolgt war, der Dienstverpflich-tung einen grundsätzlichen Vorrang einräumen. Nur bei Gefahr vonfornicatio gehe das Recht der Frau gemäß der lex caritatis vor (170).

(167) Albertus Magnus, I. c.: ... si plures tales generarent {ilios, tunc dividuntur a domi-nis in quibusdam Alemaniae partibus: si autem unus solus, tunc dividi non potest, sed unus abalio accipit. pretium, et tunc est unius tantum.

Nach Bayerischem Landrecht fielen die Söhne dem Herrn des Vate~, die Töchter demHerrn der Mutter zu; cf. Bayerisches Landrecht von 1616, Teil IV, Art. 5. Diese Regelungkommt der von Albertus erwähnten nahe, zumal wenn man annimmt, daß bei ihm filii fürliberi steht, da er die Töchter nicht erwähnt.

Eine Aufteilung der Kinder durch Verträge der Herren scheint in Süddeutschland,besonders in Bayern, häufig gewesen zu sein, cf. die Hinweise bei DOLLINGER, op. cit, p. 257;ferner JACOBGRIMM,Deutsche Recktsalterthümer, 4. Aufl, 1899, Bd, I, p. 448.

(168) Der Sentenzenkommentar des Bonaventura entstand 1250-52 (cf. E. W. PLAT-ZECK,LTkK' Ir, col. 582), der des Thomas von Aquin 1253-59 (cf. O. H. PESCH,LTkK2 X,col. 122), der des Petrus von Tarantaise 1256-58 (cf. STEGMÜLLER,Repertorium commenta-riorum, Bd. I, 1947, p. 333).

(169) Bonaventura, In Sententiarum lib. IV (ed. Quaracchi t. IV, 1889), Dist. XXXVI,Art. I, q. I: Dicendum, quod secundum ius novum conditio servitutis non impedit matrimonium,etiam domino contradicente, vel dominis, quia Sacramenta ecclesiasiica omnibus sunt communia,et serous etiam coniugatus potest suo domino debita servitia exhibere; unde per matrimoniumnon subtrahitur a domini potestate.

(170) Bonaventura, I. c.: Ad illud quod obiicitur de reddition« servitii, dicendum, quodserous aut contrakit, domino consentiente, aut contradicente. Si consentiente, cum concedens aU-quid concedat et illa quae ad illius ius pertinent, et ad matrimonium pertinet redditio debiti, cumuxor petat; uxore pel.entedebitum, et domino aliud imperante, tenetur et debet non obediredomino,sed uxori, - Si auiem, domino contradicente, contractum est; cum dominus sua iur« privari nondebeat, ex utraque parte pari imminenee periculo, debet domino obedir», Quads. ma.us periculum

Hadrians IV. Dekretale (I Dignum est. (X.4·9·1.) 549

Bonaventura behandelt auch die Frage, ob ein verheirateter Un-freier verkauft werden dürfte. Hier will er ebenfalls danach entschei-den, ob der Herr der Eheschließung zugestimmt hat. Liegt die Zu-stimmung vor, so dürfe ein Verkauf des Unfreien nicht zum Nach-teil der Ehefrau erfolgen; der dominus der Gattin müsse dann ent-weder selbst den Ehemann kaufen oder seiner ancilla erlauben, denDienst zu verlassen und ihrem Gatten zu folgen. Haben die Her-ren der Eheschließung aber nicht zugestimmt, so könnten sie jeder-zeit ihr Verkaufsrecht ausüben und den Unfreien auch in ein ent-ferntes Land verkaufen; Bonaventura kommt damit zu dem Er-gebnis, daß die Herren praktisch über die eheliche Gemeinschaftihrer Unfreien jederzeit verfügen könnten (171). Die Abhängigkeitdes Unfreien von seinem Herrn wird somit von Bonaventura ins-gesamt viel stärker als von den zeitgenössischen Kanonisten betont.

Thomas von Aquin beruft sich für die Befugnis der Unfreien zurUnabhängigkeit bei Abschluß einer Ehe nicht auf das Dekretalen-recht, sondern das Naturrecht. Die Ehe ist nach ihm eine naturrecht-liche Institution, die servitus sei hingegen nur positivrechtlich undmüsse daher hinter naturrechtliehen Institutionen zurücktreten. DerHerr könne dem Unfreien so wenig die Ehe wie das Essen und Schla-fen verbieten (172). In der Frage, ob der Dienstpflicht oder der ehe-

sit ex parte uxoris, quia fimeHapsum in fornicalionem et no" limet graviter dominum oBende,e:debet set:undum legem ca,jtatis divinae debitum prius uxori reddere quam e.nequi imperium do.mini sul. Regulariter tamen tenendum est, quod cum cotIlrahif cum servo scienter, domino COK-t,adicente, vel e converso, sib; p,aeiudicat, ut ius pelendi _ Weal, quando obsequium postu-labil; et ideo servus _ obligalur hac repugnantia, quia lenetur debitum solvere, cum nullumpraeiudicium domino general!".

(171) Bonaventura, I. c. Dist. XXXVI, Dubium 11:Dicendum, quod si servus et aneillacontr/Uerunt, domiKis contradicentibus, ipsi sibi praeiudicant, no" domiKis suls; et ideo, si domi-nus indigd, polest aneillam vendere, et si no" potest vender, in terra sua, polest vendere ill aliena.Si tame" in lerra sua possit vendere, lenetur; alioquln maKi/este iniuriatur viro et abutitur "sua in praeiudicium alienum. - Si vera dominis consetllientibus; tune simpliciter dicendum,quod _ potest aliquis eorum vendi a domino in praeiudicium coniugis, et si aller lIendat, de-bet aller compelli, vel quod redimat, vel debet eum emere, vel aneil1ae liceKtiam dar" quod virumsequalur. ' .

(172) Thomas von Aquin, In Sentenliarum lib. IV (ed. FRETT! vol. XI, 1874), DW.XXXVI, q. I, Ari. 11: Respondeo dicendum, quod cum ius positivum ... progrediatur " iur, na-turali, ideo set'Vitus, quae est deiu" positivo, _ potest praejudicar, his, quae sunt de leg, na·turaU. Sicut autem appetitus naturae est ad conset'llaliOlftmindividui, ita est ad conservationemspet:iei per generalionem. Und, sicut servus non subditur domino qui" liber, possit comeder,et dormire, et alia hujusmodi facer, quae ad necessitatem corporis pertinent, sine lJuibus natur"conservari non Polest; ita non subditur ei quantum ad hoc quod non possit liber, matrimoniumcotIlrahere, etiam domino nesciente aut contradicente. Hierzu auch MARARICUA, 01'. cit. p. 260.

550 Peter Landau

lichen Pflicht der Vorrang gebühre, unterscheidet auch Thomas vonAquin zwischen Ehen mit Zustimmung und solchen ohne Zustim-mung der Herren; bei der Eheschließung ohne Konsens der Herren seiunter den entgegenstehenden Pflichten je nach der Situation abzu-wägen, so daß Thomas hier zu denselben Ergebnissen wie AlbertusMagnus kommt (173).

Petrus von Tarantaise will ebenso wie Thomas von Aquin dieselbständige Befugnis der Unfreien zum Abschluß einer Ehe ausdem Naturrecht entnehmen, da die servitus im positiven Rechtihren Ursprung habe (174). Auch bei ihm soll es wieder auf die Zu-stimmung der Herren zur Eheschließung für die Entscheidung derFrage der Pflichtenkollision ankommen. Hat der Herr die Eheschlies-sung nicht genehmigt, so sollen für den Unfreien die DienstpflichtenVorrang haben - außer bei Gefahr von fornicatio, - so daß Petrusvon Tarantaise in dieser Frage mit Bonaventuras Lehre überein-stimmt (175).

Petrus von Tarantaise will einen Verkauf des verheirateten Un-freien zulassen, da durch ihn die Ehe dem Bande nach nicht auf-gelöst werde. Zum Schutze des Unfreien soll allerdings der Herrgezwungen werden können, an denjenigen Käufer zu verkaufen, der

(r73) Thomas von Aquin I. c.: ••• si serous volente domino matrimonium contraxit, lunedebet praetermittere servitium domini imperantis, et reddere debitum uxori: quia per hoc quoddominus concessit ut matrimonium servu« contraheret, intelligitur ei eoncessiss« omnia quae ma-trimoni.um ,equirit: si autem matrimonium ignorante vel contradicente domino est contractum,non tenetu, ,eddere debitum, sed potius domino obedire, si utrumque simul esse non possit. Sedtamen in his multa particularia considerari debent, sicut etiam in omnibus actibus, scilicet pe,i-culum casti/alis imminens uxor;, et impedimentum quod ex reddifione debiti seroitio imperato ge-neral, et aliis hujusmodi: quibus omnibus ,ite pensalis iudicari poterit cui magis servus obedi,eteneatu, domino, vel uxori. Cf. hierzu auch MA&ARICUA, op. cit. p. 263.

(r74) Petrus von Tarantaise, In IV Sententiarum (ed.Toulouse r6sr),lib.IV, Dist, XXXVI,q. I, Art. 1I: Ius positivum p,ogreditur a iure naturali, non e converso. Untie non potest ei prae-iudica,e, sed e converso, et ideo seroitus quae est de iure positivo non potest praeiudica,eiis quaesunt de iure naturali. Appetitus autem naturalis ita est ad conservaliOnem individui per come-,tianem. Untie sicut servu« domino non subditur, quin possit libere comedere, et ea quae carportsunt necessaria [acer«; ita non subditur quin possit matrimonium cont,ahere, sive Domino con-sentiente, sive. cont,adictnte.

(175) Petrus von Tarantaise, I. c.: Nam aut cont,axit Domino sciente et permittente, autnesciente seu contradicente. In p,imo casu Do,,,inus qui principale permisit, videtu, permisisseaccessorium. Untie tenetur magis reddere debitum uxori, quam Domino contra,ium praecipientiobedire. In secundo casu matrimonium r;idetur contractum salvo iure Domini. Untie tenetur ma-gis obedire Domino, ita tamen ut si potest sine gravi oUensa Domini, subveniat periculo fornica-lionis uxoris suae.

Hadrians IV.' Dekretale (C Dignum est. (X.4.9.1.) 551

eine Fortsetzung der Ehe des verkauften Unfreien am ehesten mög-lich machen kann und dafür günstige Bedingungen anbietet (176).

In dem um 1290 entstandenen Sentenzenkommentar des Richardvon Mediavilla (I77) wird die servitus im Anschluß an Aristotelesnicht mehr als. eine Institution des positiven Rechts, sondern desNaturrechts angesehen (178). Für Richard ist es daher schwierigerals für Thomas von Aquin, die Freiheit der serv;' bei der Eheschließungzu begründen. Er hilft sich mit der Überlegung, daß niemand einemanderen in denjenigen Dingen, die zur Erhaltung der Art notwendigseien, zum Gehorsam verpflichtet sei, und sich folglich die servitusauf die Schließung der Ehe nicht erstrecke (179) - verwendet alsoauch eine naturrechtliche Argumentation ohne Erwähnungdes De-kretalenrechts. In der Frage der Pflichtenkollision übernimmt aucher die Distinktion : hinsichtlich der. Zustimmung der Herren;liegt keine Zustimmung vor, so sollen stets die Dienstpflichten Vor-rang haben (I80). Einen Verkauf des verehelichten Unfreien hält

(176) Petrus von Tarantaise, I. e.: Quamvis servus vend4lur, M" tame" matrimo"iumdividitur qwoad villCulum, liM cohabitatio de facto dividatur. Sib; autem imputet qui cum taUlicenür colltrazit. Nihiklminus Dominus polest cog; ut vetldal servum emptori bonas coNditio·MS otJerellti, _ g,aves et onerosas mat,imo"io.

(177) Nach V. HEYNCK, LThKI VIII, col. 1292, liegt die Entstehungszeit zwischen128S und 129S.

(178) Richard von Mediavilla, Super IV Libros Selltelltia,um (ed. Brixiae IS91), lib.IV, Disl. XXXVI, Art. IV, Q. I: ...Servitus aute", de iu" positivo ... Sell haec responsio ullumfalsum videtur supponere, scilicet quod servitus _ sit de iu" Mturali: cum dicat Pkil, 1li. Po-li: 1. ca., quod illud quod polest mellt, p,aevider, debet esse prillCipans Hatura, quod aut potesthoc corpore facere et Mn potest mellte p,aevidere esse servum Mtura.

Cf. hierzu auch DAUVILLJER, 01'. eil. p. 188.(179) Richard von MediaviIla, I. c.: Polesl ergo dici, quod ccmclusio"is ratio esl haec,

quia mat,;_ium - #alltum esl de iUrl Hatu,ali a Hatu,/J speciei: ,ell etillm /J HatU,/JgeM''is, et esl Haturalis mat,i_ii fi"is conservatio speciei: quamvis /Jutem aligua .ervitus, s, deiure Hatu,ali /J Hatur/J speciei inqualltum Hatu,alis ralio diclat quosdam debere esse domiHOs,et quosdam servos propter meliorem dÖmus " civitatis dispositiollem: tame" HO" diclat aliquoldeber, ess, servos ill his, quae IlUessa,ia sullt lid iNdividu, vel speciei COIIServatiollemi,ell qua",lum lid alia servitia, quae Mtu,alibus operwus ,uperaddulltur, " ideo "ullus homo alii ittJ ,uiici·tu" qui" ipso i"vito possit facere Ill, quae 1Itc6Ssariasullt lid COIIServaliollemIlIi, et specie••

(180) Richard von Mediavilla, I. c.: RespOlldeo, quod servi aut coIItrahullt de licelltia," COIISensfldomiNorum, aut lI0II. Si sic: domillus HO" Poles' ... aliguid sibi praecipe" ill pru-iudicium ,edditionis debiti. Unde si eodem tempore COIIiurudebitum petit /J coniuge .ervo, etdomillus sm aliguod opus incompossibile ''''Ullgit, mtJgis debet COIISeIIt".COIIiug'debitum pe.tellti, quam opus sibi· praeceptum 4 domillO enqui. Si /Jutem coIItrahullt .illl consens" do",,·Norum, ,lle coIItractus esl omll. iu" domilli salvo.

552 Peter Landau

er nur dann für zulässig, wenn dadurch ein Vollzug der Ehe nichtunmöglich gemacht wird (181).

Zusammenfassend wird man sagen können, daß im allgemeinendie Theologen der Hochscholastik die Rechte der Unfreien bei derEhe in stärkerem Maße zugunsten der Rechte der Herren einschrän-ken wollten, als es der Lehre der zeitgenössischen Kanonisten ent-sprach.

Die Frage, in welchem Maße die Dekretale Dignum und die ansie anknüpfende Rechtslehre das praktische Rechtsleben umgestaltethaben, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erörtert werden (182).Hostiensis bemerkt in seiner Lectura, daB viele Herrscher seinerZeit sich nicht nur bei Unfreien, sondern auch bei ihnen untertäni-gen Freien das Recht vorbehielten, für jede Eheschließung eine Er-laubnis zu erteilen (183). Es kann kaum zweifelhaft sein, daB in die-sem Bereich die Bestimmungen des Dekretalenrechts und die Lehrender Kanonisten zunächst weitgehend ohne Einfluß auf die tatsäch-

(181) Richard von Mediavilla, I. e.: Sic ad ius domini non pertinet posse oender« ser-vum suum taliter ut totaliter impediatur ab officio, propter quod matrimonium est institutum.

(182) Für die deutschen Verhältnisse wird von BÖHMER, Ius ecclesiasticum P,otestan-tium, Bd. IV, 4. Aufi. 1754, p. 85 f. (= lib. IV,t. 9, § 9) behauptet, daß das kanonische Recht dieZustimmung des Herrn als Gültigkeitsvoraussetzung für die Ehe nicht beseitigen konnte.

Er meint in diesem Zusammenhang: manilestum sit, ius canonicum eius potentiae non luisse,. ut mores antiquos ubique eliminare potuerit.

Dagegen war es bei den Germanisten des 19. Jahrhunderts herrschende Lehre, daßeine ohne Zustimmung des Herrn eingegangene Ehe nicht nichtig gewesen sei, sondern nuran den Herrn eine Buße zu zahlen war; so EICHHORN,Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte 5.Aufl, Bd. lI, 1843, p. S55 f.; MITTERMAIER,Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 7.Aufl, Bd. I, 1847, p, 277; REYSCHER,Das gesamte würltembergische Privatrecht, Bd. I, 1837, p.359, Anm. 10; KINDLINGER,Geschichteder deutschen HiJrigkeit, 1819, p. IS, S7 und II6. EineUntersuchung der Frage liegt außerhalb des Rahmens dieser Arbeit. Die spätere Literaturdes deutschen Privatrechts - z. B. GIERKE - hat sich mit Fragen der Leibeigenschaftkaum noch beschäftigt; neuere Untersuchungen der rechtshistorischen Aspekte fehlen fastvöllig. Für Frankreich cf. BLOCH, Liberli et servitude etc. in: Anuario de Historia del DerechoEspaiiol X, 1933, p. JI, Anm. 31: die weltliche Jurisprudenz habe anscheinend die Lösungder Frage durch das kanonische Recht zunächst nicht akzeptiert. OLIVIER-MARTIN,Histoiredu droit Iranyais, p. 250, nimmt an, daß die ohne Erlaubnis eingegangene auswärtige Ehenicht nichtig gewesen sei, sondern nur eine Geldbuße habe gezahlt werden müssen.

(183) Hostiensis, Leclura ad X. 4. 9. I V. in t e, , e r v 0 s: Est etiam hec littera es-presse contra ",uUos p,incipes nost,i temporis, qui iam plus quam episcopi lacti sunt, adeo quodnedu", servos, sed nee liberos permittunt sine sua speciali licentia matrimonialiter copular;, quodevidenter hic ,eprobatur.

Hadrians IV. Dekretale « Dignum est» (X.4·9·I.) 553

lichen Rechtsverhä1tnisse blieben. Diese Festellung ändert aber nichtsdaran, daß das klassische kanonische Recht zuerst die notwendigenKonsequenzen aus dem Paulinischen Satz: Non est serous, neque liber ...omnes enim vos unum estis in Christo] em für das Gebiet des Eherechtsgezogen hat.