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Tet Zwangsweise ZwangsweiseZwangsweise - izsr.de · 4 Inhaltsverzeichnis Jörn Petersen 6 Vorwort Gina Lastrup 10 Zwang auf der Station 5b im ZKH Bremen-Ost Kay Schätzchen 11 Psychiatrie

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Impressum

IRRTURM-Sonderausgabe:Erscheinungsdatum: 29.Nov. 2012Auflage: 250 StückDruck: LaserLine

Herausgeber:Zeitungsinitiative IRRTURM,Arbeitsbereich derzur sozialen Rehabilitation e.V.

Redaktionsanschrift:IRRTURMJörn PetersenKoordinatorLiegnitzstraße 6328237 BremenTelefon: 0421 396 4808E-Mail: [email protected]: www.irrturm.info

Schwerpunktthema:Die Änderung des PsychKG und die neueUN-Behindertenrechtskonvention

Layout und Satz:Maita PetersenBeratung: Silke Wouters, Jörn Petersen

Motiv Titelbild: Dagmar HerrmannMotiv Rückseite: Maita PetersenSeite 2: Bettina Delitzsch

Offene Redaktionssitzung:Mittwochs 11 bis 13 UhrLiegnitzstraße 6328237 Bremenbarrierefrei

Schutzgebühr: 2,00 Euro

KünstlerInnen:

Andrea Damm (pixelio), Almuth Stender, Cornelia Kaiser, Dagmar Herrmann, Eva-Maria Roßmann (pixelio), Gerd Altmann (pixelio), Gilda Jenzen, Heike Oldenburg, Irmgard Hannemann, Julia Braun, Jürgen Schäfer, Katha-rina Bregulla (pixelio), Maclatz (pixelio), Maita Petersen, Petra Rumpsfeld, Pierre, Silke Wouters

AutorInnen:

Andreas RoemerClaudia GräberDagmar HerrmannEin BremerGina LastrupIrmgard HannemannKay SchätzchenNicoleta Craita Ten‘oPetra RumpsfeldSilke Wouters

Diese Broschüre können Sie sich kostenlos von der homepage der Initiative...e.V. als pdf herunterladen:www.izsr.de/aktuelles/php – oder per email bei [email protected] anfordern

Auszug von Bettina Delitzsch

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Impressum Auszug von Bettina Delitzsch

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Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Jörn Petersen6 Vorwort

Gina Lastrup

10 Zwang auf der Station 5b im ZKH Bremen-Ost

Kay Schätzchen

11 Psychiatrie – Hölle Spandau

Landesverband Psychiatrieerfahrener Bremen e.V.

12 Auszüge aus der Stellungnahme und Forderungen

Irmgard Hannemann

19 Interviewauszüge

Petra Rumpsfeld

20 Angeschnallt

Petra Rumpsfeld

21 Interviewauszüge

Nicoleta Craita Ten‘o

23 Sich wie ein Mensch zu fühlen

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Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Irmgard HannemannMissbrauchtes Vertrauen 25

Claudia Gräber

Die Würde des Menschen ist unantastbar? 27

Klinikum Bremen Ost

Interview mit einem Pfleger und zwei Ärzten . . . 29

Ein Bremer

außerirdisch – überirdisch – unterirdisch 37

Anonym

Sie glaubten ihr nicht! 38

Andreas Roemer

Beschluss und Entscheidung 40

Silke Wouters

Interviewauszüge 42

Dagmar Herrmann

Die Gedanken sind frei 44

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weise Medikamentenbehandlung von psychisch kranken Menschen zum Zwecke der Heilbehandlung ungenügend. In der Konsequenz bedeutet dies, niemand kann mehr gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen mit Medikamenten behandelt werden, ambulant wie stationär, es sei denn, eine nachgewiesene Notsituation liegt vor.Außerdem muss die UN-Behinder-tenrechtskonvention umgesetzt wer-den, die die Inklusion von allen be-hinderten Menschen (also auch den seelisch behinderten Menschen) vor-sieht. Das bedeutet, das Menschen nur wegen einer Erkrankung oder Behinderung nicht rechtlich anders gestellt werden dürfen als die All-gemeinbevölkerung. Ihnen darf der Zugang zur gesellschaftlichen Teil-habe nicht vorenthalten werden.Mit seinen Urteilen vom 23.03.2011 und 12.10.2011 reagiert das Bun-

lerInnen, BeurteilerInnen wenden. Wir haben das ehrgeizige Ziel, ihre Sichtweise auf psychische Erkran-kungen und auf krisen- und psych-iatrieerfahrene Menschen zu verän-dern. Wir wollen uns einmischen in die herrschenden Verhältnisse.So melden wir uns gezielt und aus-schließlich zum Thema Zwangsbe-handlung und neues PsychKG zu Wort.

Der Anlass ist günstig, denn es gibt etwas zu entscheiden: Die Ausgangslage ist eine recht-lich neue Situation in der deutschen Psychiatrie.Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Urteilen die bisherigen Rechts-grundlagen für ambulante und sta-tionäre zwangsweise Medikamen-tenbehandlung für nicht ausrei-chend und mit EU-Recht nicht ver-einbar erklärt. Laut den Urteilen ist die Rechtsgrundlage für die zwangs-

Liebe Leserinnen und Leser,

warum eine Sonderausgabe?Der IRRTURM hat sich in Bremen als Forum für psychiatrie- und kri-senerfahrene Menschen etabliert. Er ist seit langem ein Medium des Aus-tauschs, der Selbstreflektion und der Verarbeitung von Krisen. Gleichzei-tig ist die jährliche Publikation ein buntes, literarisches Lesebuch von Betroffenen für Betroffene.Als Letzteres wird der IRRTURM aus unserer Sicht in erster Linie wahrgenommen.Wir wollen aber mehr sein. Wir wol-len uns mit unseren Geschichten, Sichtweisen und Diskussionen auch an die Allgemeinbevölkerung und an die EntscheiderInnen, Behand-

Vorwort von Jörn PetersenVorwort von Jörn Petersen

Vorwort

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Vorwort von Jörn PetersenVorwort von Jörn Petersen

desverfassungsgericht auf eine ge-änderte gesellschaftliche Wahrneh-mung von Behinderung, die sich un-ter anderem in der UN Behinderten-rechtskonvention äußert.Also muss auch in Bremen das Psy-chKG geändert werden. Aller Vor-aussicht nach werden die Möglich-keiten, medikamentöse Zwangsbe-handlung vorzunehmen, sehr stark eingeschränkt werden.

Die Sicht der BetroffenenAus Sicht von Betroffenen ist die-ser Schritt zu begrüßen, denn da-mit wird ein gesellschaftliches Mit-tel des Zwangs abgeschafft oder zu-mindest stark eingeschränkt. Ein Teil der Menschen, die sich im Laufe ih-rer Biografie eine Diagnose erwor-ben haben (auf welchem Weg auch immer), wurden mittels Neurolep-tika nicht nur behandelt, sondern auch kontrolliert, ruhiggestellt und

den sehr unterschiedliche Sichtwei-sen zu diesem Thema vertreten:

Wer meldet sich in der Diskussion noch zu Wort?Der Bundesverband der Psychia-trie-Erfahrenen (BPE) bezeichnet medikamentöse Zwangsbehand-lung prinzipiell als Folter. Die Or-ganisation BPE verlangt die Einstel-lung jeglicher Zwangsbehandlung und die Abschaffung aller Sonder-gesetze für Menschen, die als psy-chisch krank bezeichnet werden. (siehe auch www.bpe-online/zwangsbehandlung.de)Ganz anders die Deutsche Gesell-schaft für Psychiatrie, Psychothera-pie und Nervenheilkunde (DGPPN). In der Stellungnahme der ärztliche Fachgesellschaft zum Gerichtsur-teil wird im wesentlichen beklagt, das nun eine sinnvolle Behandlung von einwilligungsunfähigen Kran-ken nicht mehr möglich sei, und die

verletzt1.Wir wollen dieses Thema aus Sicht Psychiatrie-Erfahrener beleuchten und Sie bei Ihrer Meinungsbildung durch Informationen unterstützen.Deshalb kommen in diesem Heft vor allen Dingen Psychiatrie-Erfahrene zu Wort. Die meisten von ihnen ha-ben die Zwangspsychiatrie am eige-nen Leibe kennengelernt. Sie bezie-hen ihre eigene Position und verar-beiten ihre Erlebnisse auf ihre Weise. Wir haben Auszüge aus Interviews mit Erfahrenen von Zwangsbehand-lung dokumentiert (jeweils ab S. 19, 21, 42), sowie weitere aktuell zum Thema Zwangsbehandlung einge-reichte Texte. In der öffentlichen Diskussion wer-1- Zu den schädlichen Nebenwirkun-gen von Neuroleptika: Volkmar Ader-hold, langjähriger Psychiater und ehemali-ger Oberarzt in Hamburg Eppendorf, jetzt Universität Greifswald, Internet: DGSP: www.psychiatrie.de/dgsp/neurolepti-kadebatte; bei Google Volkmar Aderhold Neuroleptika eingeben.

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Vorwort von Jörn PetersenVorwort von Jörn Petersen

sicht wird an verschiedenen Stellen deutlich, wie schmal der Grat zwi-schen Behandlung, Disziplinierung und Bestrafung ist. Abweichendes Verhalten wird als Krankheitssymp-tom verstanden und muss schnell ab-gestellt werden, zum Schutz der Mit-patientInnen und des Personals, zur Befriedung des sozialen Umfelds.Krankheitssymptome sind auch Ausdruck von Leid und subjektiver Perspektivlosigkeit.Dass ein jeder Mensch (und damit sind auch die in der Psychiatrie Tä-tigen gemeint) ein Anrecht auf kör-perliche und seelische Unversehrt-heit hat, ist selbstverständlich und muss gesichert sein.Es muss dafür Sorge getragen wer-den, dass PatientInnen nicht willkür-lichen Schikanen ausgesetzt werden können, dass ein subjektives Rechts-verständnis von BehandlerInnen sich nicht in psychiatrische Behand-lungspraxis einschleichen kann.

sellschaftlichen Wahrnehmung von psychischen Krisen muss unserer Ansicht nach sein, das gesamte Prin-zip der psychiatrischen Behandlung einer Überprüfung zu unterziehen.Am Ende könnte die Abschaffung des PsychKG stehen und die Heraus-lösung des Maßregelvollzuges aus den Regelungen der Behandlung von psychisch kranken Menschen.Wird nur die medikamentöse Zwangsbehandlung stark einge-schränkt oder abgeschafft, ändert die-ser Schritt an dem System der Aus-grenzung und Kontrolle, dass die Psychiatrie auch ausübt, nur wenig. Denn statt der zwangsweisen Medi-kamentengabe wird Fixieren und Iso-lieren praktiziert werden, oder die Hintertüren des Gesetzes werden schrittweise so breitgetreten, dass wir bald wieder bei der Ausgangsla-ge angekommen sind.In den abgedruckten Texten und In-terviewauszügen aus Betroffenen-

Psychiatrie so genötigt werde, ge-fährliche psychisch Kranke Men-schen aufzubewahren und mit me-chanischen Zwangsmaßnahmen wie Fixieren und Isolieren zu behandeln bzw. zu verwahren.Ab Seite 29 drucken wir in Auszü-gen ein Interview ab, das wir im Kli-nikum Ost mit in der Psychiatrie Tä-tigen geführt haben. Wir wollten wissen, wie in der Akutpsychiatrie mit der neuen Rechtslage umgegan-gen wird.Der Landesverband der Psychiatrie Erfahrenen Bremen bezieht zu dieser Thematik Stellung. Die Forderungen drucken wir (in gekürzter Form) ab. (die Stellungnahme in voller Länge können wir auf Anfrage gerne per mail zusenden)

Welche Position ist nun die richtige?Die Konsequenz der Urteile des BVG, der UN Behindertenrechtskon-vention und einer veränderten ge-

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Vorwort von Jörn PetersenVorwort von Jörn Petersen

se durchlebt oder nach einem länge-ren Auslandsaufenthalt zurückkehrt und von der Rolle ist, kann in der Psychiatrie landen und entsprechend schlecht oder gut behandelt werden.Vielleicht meldet die Firma, für die Sie selbst so engagiert arbeiten, plötz-lich Insolvenz an, und die Arbeitslo-sigkeit stürzt sie selbst in eine tiefe Krise.

Eine Frage der Ressourcen, aber auch der EinstellungIn den meisten Texten, die von er-littener Zwangsbehandlung han-deln, wird das Bedürfnis nach mehr Menschlichkeit und Kommunikati-on geäußert, das Bedürfnis, gesehen und gehört zu werden steht im Zen-trum der Äußerungen.Aus unserer Sicht ist dies eine Fra-ge der Ressourcen, aber nicht nur. Es macht einen Unterschied, mit wel-cher Haltung Menschen in Krisen begegnet wird.

mit sogenannten Symptomen müs-sen akzeptiert und gesucht werden.Es braucht Phantasie, Spielräume und Begleitung. Nur wer wählen und sich entscheiden kann, kann bewusst einen Weg (mit-)gehen.Need adapted Treatment (Bedürfnis angepasste Behandlung) muss einge-führt werdender Einsatz von EX-IN AbsolventIn-nen (Psychiatrie-Erfahrene als ausge-bildete GenesungsbegleiterInnen) in der Psychiatrie muss festgeschrieben werden.(Hierzu ausführlicher die Forderun-gen des Landesverbandes Psychiat-rieerfahrener ab Seite 12.)Die Psychiatrie kann jede/n treffenBedenken Sie, ihre pflegebedürftige demente Mutter oder Ihr Vater kann schnell in eine Situation geraten, in der Zwangsmaßnahmen ausgeübt werden.Ihr Sohn oder Ihre Tochter, die in der Adoleszenz eine Entwicklungskri-

Dafür braucht es Instrumente der Beurteilung, der Kontrolle und der Sanktion.Und: Je weniger Möglichkeiten des Zwangs eine Gesellschaft ihren Ins-titutionen anbietet, desto mehr muss die Gesellschaft dafür Sorge tragen, dass die Phänomene, die sie hervor-bringt, bewältigt werden im Dialog. Dafür braucht es Personal, ein ent-sprechendes gesellschaftliches Kli-ma, Prävention und Inklusion. Es reicht nicht, ein paar Paragrafen zu ändern.

Wie kann es gehen?Die Bereitschaft zur Akzeptanz von Anderssein und die Akzeptanz der unterschiedlichen Lebenswege und Entwürfe, das Stärken von Recovery und Empowerment Ansätzen,Selbsthilfe-Strukturen müssen un-terstützt, gestärkt und ausreichend ausgestattet werden.Unterschiedliche Wege des Umgangs

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Erfahrungsbericht von Gina Lastrup

Bremen, im Juli 2005

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf folgende Weise wurde am7. Juni 2005 an mir Zwangsmedi-kation durchgeführt. Drei Männer führten mich vom Dienstzimmer, in dem Frau Perkovic stand, ab, zwei Männer hängten sich in mei-ne Schultern, so dass sie eingekegelt nach unten gedrückt wurden. Der dritte Mann war blond, fast ohne Haare und drückte mir mit voller Kraft meinen Kopf vom Nacken aus nach unten. Diese Haltung war eine völlig machtlose Stellung für mich. Sie war schlimm.

war. Das war bedrohlich für mich.In diesem Moment brach etwas in mir. Und das ist für immer gebro-chen. Der Griff war zu gleicher Zeit bedrohlich und ließ mich ohnmäch-tig fühlen. Die zweite Strecke der Strecke führten sie mich ans Bett zum Fixieren. Die anderen Herum-stehenden beruhigten mich am Bett.Ich habe meine Vorgeschichte. Schlimme Erfahrungen von Gewalt. Trotzdem wendeten die Männer Ge-walt bis zum Äußersten, bis zu ei-nem äußersten Punkt an. Bis ich in-nerlich darunter zusammenbrach. Ich werde aus Angst vor dieser Situ-ation das nächste Mal alles mit mir machen lassen.Der Griff war die totale Stilllegung.

Besonders deshalb, weil ich im Dienstzimmer keinerlei Widerstand zur Festnahme geleistet hatte. Ich bot meine Arme noch an. Ich hatte nur ruhig, ohne Aufregung gesagt, dass ich diese Medikamente nicht nehmen würde. Ich war nicht erregt. Jeder konnte klar mit mir reden. Auf halbem Weg im Gang, mit Ziel mein Zimmer, bat ich darum, mei-nen Kopf von dem blonden Mann nicht so weit runtergedrückt zu be-kommen. Ich käme auch so mit. Da sagte er: „Jetzt ziehen wir das auch richtig durch.“ Das sagte er wörtlich.Die Haltung, in die die Männer mich drückten, erregte in mir Angst; ich hat-te so keine Übersicht mehr, was um mich herum los

von Gina Lastrup

Bild: Silke Wouters

Zwang auf der Station 5b im

ZKH Bremen-Ost

Erfahrungsbericht von Kay Schätzchen

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Erfahrungsbericht von Gina Lastrup Erfahrungsbericht von Kay Schätzchen

Anno Domini 1983.Alles fing ganz harmlos an.Damals machte ich gerade eine Gärt-nerausbildung in einem Berufsbil-dungswerk in Berlin. Ein wenig Psy-chiatrieerfahrung hatte ich damals schon gesammelt. Eines Nachts am Glienicker See (damals noch in der Mitte der Zonengrenze) dachte ich, Ost und West, durch meine menta-len Fähigkeiten, wieder zusammen-bringen zu können. Später fiel ich ei-ner Polizeistreife auf, und am nächs-ten Morgen kam der Wagen von der Nervenklinik Spandau. Dort verab-reichte man mir gleich Haldol und Neurocil in hoher Dosierung, wo-rauf ich etwas aggressiv reagier-

te, was aber an dem Zusammen-wirken diese beiden Mittel lag. Da-raufhin folgte eine „Fixierung“, die mit kurzen Unterbrechungen zirka vier Wochen dauerte. Während die-ser Zeit wurde mir des Öfteren Hal-dol intravenös gespritzt. Dadurch und durch das lange Liegen konn-te ich mich kaum noch alleine bewe-gen und nicht alleine essen, sämtli-che Schleimhäute waren ausgetrock-net (kein Sprechen, nur noch schrei-en, und das zum Schluss auch nicht mehr!). Nachts wurde ich alleine ins Bad geschoben (wegen der Nacht-ruhe). Durch die psychotischen Ge-danken habe ich in dieser Zeit echte Todesängste ausgestanden. Ein hal-bes Jahr war ich mit Beschluss dort untergebracht. Meine Rettung war, dass mein Vater seine Freimaurer-

kollegen in Berlin um Hilfe bat, die den Klinikchef zum Umdenken be-wegen konnten, worauf die Medi-kamente runtergefahren wurden und ich jeden Tag mit dem Rollstuhl ins Bewegungsbad gefahren wurde. Irgendwann konnte ich wider allei-ne laufen und wog wieder normale 100 Kg statt 65 Kg im Psycho-Knast.

Psychiatrie – Hölle Spandau

von Kay Schätzchen

Foto: Dagmar Herrmann

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Professionelle Alternative

3. Zukünftige Formen der Behand-lungen, Begleitungen und Förderun-gen (Hilfen) in einem gesamtgesell-schaftlichen Kontext (Inklusion).

So, wie das heutige PsychKG vieler-orts angewendet, interpretiert und ausgewertet wird, sowie in seinen Behandlungs- und Umsetzungs-strukturen ihren Niederschlag fin-den, leistet es der Stigmatisierung und Diskriminierung rechtswidrig Vorschub.Sehr viele Patienten, Angehöri-ge, Freunde und Helfer usw. bekla-gen, dass die Betroffenen mit ihren menschlich normalen Irrungen un-rechten und menschenunwürdigen Zwängen bis zur Entmündigung ausgesetzt werden.

Der Landesverband vertritt die In-teressen der Patienten bzw. aller Be-troffener sowohl im klinischen, wie im außerklinischen – Bereich. Ziel dieser Stellungnahme ist die Verankerung der Rechte (. . .) für die Menschen in psychiatrischen Ein-richtungen bis in die Gesellschaft hi-nein (Inklusion).(. . .)

Folgende drei Bereiche wollen wir in dieser Stellungnahme speziell auf-zeigen. (. . .)

1. Zwangsmedikationen und Zwangs-maßnahmen entfallen künftig.

2. Der Maßregelvollzug wird aus dem PsychKG entfernt.

Stellungnahme des LVPE – Landes-verbandes Psychiatrie-Erfahrener Bremen e.V. zur Mitteilung des Se-nats an die Bremische Bürgerschaft vom 17.07.2012 (Drucksache 18/528 zu Drs. 18/268 vom 17.07.2012) be-züglich der Novellierung des Bre-mer PsychKG.

Auszüge aus der Stellungnahme des Landesverbandes

Psyiatrieerfahrener Bremen zur Novellierung des PsychKG

Foto: Almuth Stender

Professionelle Alternative

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Professionelle Alternative Professionelle Alternative

zu begreifen und zu therapieren, ist gleichfalls menschenunwürdig.Zwangsbehandlungen sind ebenfalls in der Regel menschenunwürdig.Für die angeführten Einzelfälle ist eine Ausnahme von dieser Regel und sind weiter ethische, gesund-heitsfördernde (heilende) wie recht-liche Grundlagen zu finden und festzuhalten.Diese sind mit dem Patienten vorher – samt ausführlichen Aussagen mit Wirkungen, Risiken und Rechten – zu besprechen und sodann schrift-lich und nachprüfbar festzuhalten.(u.a. Kontrollen durch die Be-suchskommission, sowie eine neu zu gründende Kontrollinstanz mit Durchgriffsrechten, wie auch Sanktionsrechten)Wir lehnen in diesem Zusammen-hang auch Begriffsverschiebungen (statt Zwangsmedikation . . .) hin zu zum Beispiel Notmedikation und dergleichen, ab.

Ablehnungen von Medikamenten-einnahme ist zu fast 100% KEINE sogenannte Krankheits-Uneinsich-tigkeit, die bisher zu oft zum Anlass dient, die elementaren Menschen-rechte außer Kraft zu setzen.

Gebräuchliche Formeln, wie: „Zu Ihrem Nutzen“ oder „Zu Ihrer Hilfe“ werden von vielen Patienten oft als Nötigung bis hin zur Erpressung un-ter Gewaltbedrohung verstanden.Das Leben unter einer „chemischen Keule“ mit Entlassungen nach zwei Wochen, oder auch länger, ohne die eigentliche „Krankheit“ aus kom-plexen Einwirkungen von außen und unter Verwirrung bzw. Ängs-ten, Paniken usw. derjenigen Person

(Speziell bei der übermäßigen (Zwangs-) Medikamentengabe).(. . .)1. Zwangsmedikationen und Zwangs-maßnahmen entfallen künftig.

Der LVPE e.V. - als einer von Vielen – lehnt seit langem eine Zwangsmedi-kation ausnahmslos ab; besonders in der geltenden Form, die massenwei-se, statt in eng begrenzten Einzelfäl-len Anwendung findet (siehe Bericht vom 11.05. u.A.).Wer die angebotenen Medikamen-te – nach einer umfangreichen In-formation dazu – persönlich einneh-men möchte, kann dies tun.

Foto: Katharina Bregulla, pixelio.de

Foto: Gerd Altmann, pixelio.de

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Professionelle Alternative

gelmäßigkeiten bis hin zu schweren Erkrankungen in ihrer Unterschied-lichkeit zu bewerten und zu berück-sichtigen hat.Mit seinen deutlichen Ausführun-gen zwingen die oben genannten Ur-teile dazu, Stigmatisierung und Dis-kriminierung ausnahmslos als nicht menschenwürdig anzusehen.Wenn, wie bisher:a.) Hilfen zur seelischen Gesundheit undb.) Festlegungen zum Maßregelvoll-zug in einem (noch) bestehendem Sonderrecht, also dem PsychKG, zu-sammengefasst sind, sehen wir die-ses auch als diskriminierend und stigmatisierend an.Ein bis zu seiner gerichtlichen Ver-urteilung mutmaßlicher Gewalt-/ Straftäter hat offensichtlich mehr Rechte als ein Mensch, der seelische Hilfen braucht, auch und gerade wenn ein Verhalten „auffällig“ wird. (. . .)

ruhigen? Und: wie sollen dadurch „unnormales“ Verhalten und „Ta-ten“ verhindert werden?Die verabreichten Medikamente ha-ben häufig starke Nebenwirkungen.(. . .) 2. Der Maßregelvollzug wird aus dem PsychKG entfernt.

Bis hin zum Bundesverfassungsge-richt haben diverse deutsche Gerich-te die Zwangseinnahme von Psycho-pharmaka, wie auch diverse psychi-atrische Strukturen, als rechtswidrig und die Menschenrechte und Men-schenwürde verletzend verboten.Der LVPE Bremen e.V. begrüßt die-se Klarstellungen, gemeinsam mit seinem Bundesverband BPE e.V. mit seinem Sitz in Bochum. Wir sind jedoch der Ansicht, dass eine Betrachtung aus vielen Sich-ten die Wirkungen und Folgen al-ler Umstände bei psychischen Unre-

Ebenfalls erfolglos ist die Gabe von Spritzen unter Zwang. Wenn diese Medikamente nach der Entlassung wegfallen hat dies oft eine Absetz-psychose zur Folge.

Eine Zwangsspritze und/oder eine Fixierung vergisst der Mensch meist lebenslang nicht.Es ist breiter Konsens, dass diese nicht gegen die Erkrankungen wir-ken, sondern der Ruhigstellung die-nen. Wer will sich da eigentlich be-

Foto: Jürgen Schäfer

Professionelle Alternative

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Professionelle Alternative Professionelle Alternative

Vorreiterrolle aus den 80er Jahren. Es könnte aufgrund seiner Aus-gangslage; den erforderlichen Rechtsanpassungen nach den oben genannten Urteilen; und dem „Schwung derzeitiger Akteure“ wie-der Vorreiter für eine 2. Psychiatrie-Reform sein.Diese Sicht teilen die Experten des oben genannten Fachtages (siehe dessen Bericht), aber auch viele nicht dort Anwesende teilen und unter-stützen diese Sicht (breiter Konsens).Ähnlich, wie in anderen medizini-schen Bereichen fordert der LVPE ei-nen Behandlungsvertrag.In diesem sind die Maßnahmen; ihr Zweck und Ziel; Folgen; Risiken; Rechte usw. schriftlich vor Behand-lung zu fixieren.Der Patient wird darin über seine Er-krankung aufgeklärt.Risiken und Nebenwirkungen der Behandlung, wie auch etwaiger Me-dikamente, deren Dosierung, sonsti-

einbeziehen.(. . .)Eine Eil-Novellierung des PsychKG brächte vermutlich mehr Schaden als längerfristigen Nutzen. Daher sollte erst einmal die Herausnahme des Maßregelvollzuges, sowie der Unterbringung, aus dem PsychKG, samt einigen Sofortmaßnahmen an-gedacht sein. Dabei müssen die wei-teren Eckpunkte und Schritte so-wie deren Ziele, samt planerischem Zeitlauf in eine solche „kleine No-vellierung“ Eingang finden.Das Land Bremen, hat immer noch das Image der beispielgebenden

Fazit ist, dass der Maßregelvoll-zug, wie in anderen Bundeslän-dern, in einem separaten Gesetz zu regeln ist; analog dazu ebenfalls die Unterbringungen. 3. Zukünftige Formen der Behand-lungen, Begleitung und Förderun-gen (Hilfen) in einem gesamtgesell-schaftlichen Kontext (Inklusion).

Jeder Mensch hat prinzipiell die Ver-anlagung, seelisch zu erkranken. Im Anfangsstadium ist oft der Terminus Krankheit noch gar nicht erreicht oder ausgeprägt.Eher würde man von mutmaßli-chen Verhaltensstörungen sprechen können.Daher muss sich – speziell nach den zitierten Urteilen – die Gesellschaft Gedanken machen und vorhande-ne Vorschläge, Studien und Beweise Bild: Julia Braun

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Unser LVPE fordert im Zusammen-hang mit den bestehenden gesetzli-chen, sowie den Verwaltungsrichtli-nien im Hinblick auf eine Neustruk-turierung die Einrichtung einer un-abhängigen Beschwerde-Instanz im psychiatrischen Bereich.(. . .)Durch dieses neue System von neu-em, wirksamen und humanem Kri-sendienst samt Auffangstruktur im sozialen Umfeld würden künf-tig sehr viele Einweisungen – und weiteres Leid für Betroffene und Angehörigen/das direkte Umfeld – vermieden. Selbst, wenn eine Einweisung mit richterlichem Beschluss dann noch nötig wäre, ist dann in Folge der niedrigschwelligen Hilfe und evtl. Deeskalation eine der mutmaßlichen Erkrankung eher angepasste Hilfe vorhanden. Eine Einweisung erfolgt dann nicht mehr sofort in eine geschlossene Ab-

Professionelle Alternative

ger Maßnahmen müssen erklärt und dokumentiert werden.

Dies alles wird vom Arzt, dem Pa-tienten und einer Vertrauensperson unterschrieben.Das Behandlungsziel ist leicht ver-ständlich zu beschreiben; auch not-wendige Vor-, Zwischen- oder Nach-untersuchungen (Beispielsweise zur Überleitung des Patienten an ambu-lante oder andere Hilfen).Der Patient hat das Recht, eine Ver-trauensperson, einen Rechtsbeistand oder ähnlich hinzuzuziehen.Das BverfG fordert solche Doku-mentationen. (Urteil vom 22.03.2011; B II3b.) cc.) und dd.)Das Bremer Vor- und Nachsorgesys-tem muss ausgebaut werden. Als ein Vorbild empfehlen wir das finnische Modell NAT.

Übersetzt heißt NAT „Bedürfnis an-gepasste Behandlung“. Dort gibt es einen Krisendienst, der 24 Stunden am Tag erreichbar ist und schon beim ersten Anruf reagiert. (. . .)

Dort würde anonym beraten, gehol-fen, wie im Modell NAT, weiter ver-mittelt usw.Viele Menschen sind am Anfang einfach oft nur ratlos, sind in unge-schulten und oft nachlässigen Struk-turen gefangen und wissen sich da-her keinen Rat und Hilfe.Solche Verwirrungen sind in allen Bereichen menschlicher Tätigkeit anzutreffen.Im Falle der Psychiatrie daraus um-gehend eine „Krankheit“ zu konst-ruieren, ist menschenunwürdig.(. . .)

Professionelle Alternative

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Professionelle Alternative Professionelle Alternative

Ein solches – hier nur kurz umrisse-nes Vor- und Nachsorgesystem mit Aufklärung und sanfter Kontrol-le – wird zu einem starken Abbau der jetzt vorgehaltenen Klinikbetten führen.Heute schon hat die GAPSY und An-dere ein allseits akzeptiertes System in Bremen begonnen.Das neue, erweiterte System würde die Kliniken entlasten und dort zu verbesserten Strukturen führen und sich damit – nach einer Übergangs-zeit – selbst finanzieren.Das Geld empfiehlt der LVPE in sinnvolle, überfällige Präventionsar-beit zum Beispiel in Schulen und in andere Strukturen einzusetzen.Zusätzlich gibt es ein Soteria-Mo-dell, welches als gut empfunden und empfohlen wird.

Eine Kameraüberwachung in der Psychiatrie (zum Beispiel Station 63 im Klinikum Bremen-Ost) lehnen

teilung wie zum Beispiel in das Kli-nikum Bremen-Ost. Am Beispiel BHV-Reinkenheide sind bzw. werden diverse dieser zu ver-bessernden Strukturen bereits reali-siert bzw. stehen an.Unser LV fordert die Einbeziehung von Genesungsbegleitern mit EX-IN Ausbildung in allen Strukturen.In Reinkenheide wird dies bereits sehr erfolgreich praktiziert.

wir grundsätzlich ab. Viele Patien-ten unter Anderem mit Verfolgungs-ängsten, Schock, Panik oder Trau-matisierungen befinden sich auf den Stationen.

Eine wichtige Forderung unse-res LV ist ein Recht auf einen tägli-chen Ausgang von mindestens ei-ner Stunde. In jeder JVA ist dies selbstverständlich.In der Psychiatrie aber haben die Pa-tienten häufig wochenlang keinen Ausgang, müssen Gänge entlang laufen usw.Eine solche Vorgehensweise stellt Bild: Petra Rumpsfeld

Foto: Julia Braun

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Professionelle Alternative

Körperverletzung dar und ist Menschenrechtsverletzung.Gemäß geltendem Recht, spezi-ell nach den oben genannten Urtei-len sind der § 52 PsychKG in Verbin-dung mit § 27 PsychKG aus dem Ge-setzestext zu entfernen. Unser LV fordert aus den Erfah-rungen der Vergangenheit und Ge-genwart ein umfassendes neues Qualifizierungssystem. Unbedingt ist die notwendige Fach-kompetenz zum Beispiel bei anhö-renden Richtern oder bei Polizeibe-amten usw. sicherzustellen.Derzeit gibt es keine Richtlinien und Verordnungen über die Qualifikati-on, Kenntnisse und Erfahrungen aus den verschiedenen Bereichen des Netzwerkes in der Psychiatrie.Der qualifizierte Ablauf einer Anhö-rung ist gesetzlich bisher noch nicht geregelt. Zum Beispiel finden sich keine Anhaltspunkte dazu, dass je-der Mensch ein Recht auf rechtli-

Bild: Cornelia Kaiser

che, umfassende Information haben muss und dass jeder ein Recht auf Beistand in einem solchen Verfahren zusteht.Im neuen Landes-Psychiatrie-Plan, wie auch in allen Maßnahmen zum Ziel, Gesetze, Verordnungen usw. zu ändern oder zu novellieren, sind die Forderungen nach umfassendenQualifikationen aller Beteiligten, samt ihrer Vernetzung hin zu allen Beteiligten im System einzubauen.(. . .)Bremen, den 31. August 2012Der Vorstand des LVPE Bremen e.V.Horst G. Gerhards (1. Vorsitzender), Detlef Tintelott (Kassenwart)

Zum Gesetzgebungsverfahren hat der Landesverband konkrete For-mulierungsvorschläge eingebracht. Wer sich für diese interessiert, kann per E-Mail mit dem LVPE Bremen in Kontakt treten:[email protected]

Erfahrungswerte von Irmgard Hannemann

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Professionelle Alternative Erfahrungswerte von Irmgard Hannemann

„Es muss aufhören, dass man, sobald man mit einer Psychose in die Psychiatrie kommt, dass man da nur Objekt ist und keinen eigenen Willen haben darf, keine eigene Ansicht haben darf. Die Leute sollen einen als Mensch sehen und nicht als Objekt. Auf gleicher Höhe mit einem sprechen, sonst geht es nicht, sonst bleibt alles so, wie es ist.“

„Ich verhalte mich so, auch gegen innere Wünsche, dass ich nicht zu sehr auffalle, aber der Zwang ist da, die Medikamente, die die Ärzte ohne Absprache verabreichen, ohne zu gucken, was tut das mit mir. Ich nehme die Medikamente nur, um nicht Verschärfung oder Zwangsbehandlung erleben zu müssen.“

mit Irmgard Hannemann

„Mir fehlte, dass man jemanden hat,

mit dem man sprechen kann. Und nicht

da fixiert liegen, alle rennen an diesem

Vorhang oder dem Zimmer vorbei und

man liegt da, und sieht und sieht die

ganze Nacht, die Uhr geht nicht weiter.

Menschlichkeit und sprechen mit

jemandem, wäre da die Hilfe.“

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Erfahrungsbericht von Petra Rumpsfeld

Da ist so eine immens große Sehn-sucht in mir. Unter dem Druck der äußeren Welt, weil ich das hier nicht finden kann, suche ich in mir. Viele suchen meiner Ansicht nach, denn viele Menschen haben Süchte, sind unzufrieden, in Not, Leid, Elend. Sucht kommt von Suchen. Die Behörden machen Druck. G e l d m a n g e l drückt. Ich kann mei-nen Kindern nicht geben, nicht das bieten, was ich möchte,

weiß, da gibt es noch was, ganz tief.Ich schreibe. Ich bin eingesperrt. Und ihr? Diese immens große Sehnsucht tragt ihr doch auch in euch oder nicht? Sehnsucht nach irgendetwas, was man nicht benennen kann. Sehnsucht.Ich schreie.Und ihr? Schnallt mich an. Auf jahre-langes inneres Schreien ist das eure Antwort. Angeschnallt.Ich streichle dem Pfleger die Hand. Ich liege, liege angeschnallt.

was mein Muttersein, meine Liebe zu ihnen, was meiner Sehnsucht und ihrer entspricht.Wir sind eingesperrt. Wenn man kein Geld hat, kann man sich nicht frei ent-falten, man ist eingesperrt, jahrelang. Ich suche. Ich habe keine Möglichkeit umzu-ziehen und weiß auch nicht wohin. Ich muss aber. Manchmal wird Un-mögliches verlangt. Ich suche. Was ist real, Ausbeute oder die Sehn-sucht in mir? Ich ringe unter dem Vorwurf, unsozial zu sein. Ich arbei-te ja nicht.Ich mache das nicht nur für mich, ich ringe für Weiterentwicklungen, für euch auch, für meine Kinder. Einen Weg finden, heraus, ohne Selbstmord. Ich bin Therapeutin, wisst ihr das? Wer unterstützt mich dabei? Ich ringe. Ich wühle alles durch in mir. Ich

von Petra Rumpsfeld

Angeschnallt

Foto: Eva-Maria Roßmann, pixelio.de

Bild

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gard

Han

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ann

Erfahrungswerte von Petra Rumpsfeld

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Erfahrungsbericht von Petra Rumpsfeld Erfahrungswerte von Petra Rumpsfeld

Spritzen, Menschen um mich rum. Mein Bitten hilft nicht mehr. Unbeachtet sein, stundenlang. Ich liege, fest, festgelegt, mit offe-nen Augen.Die Uhr sehe ich an, zwischen der Jalousie, unbeachtet. Tick…tick…tick…tick...Es drückt, es tut weh, mein Fuß wird kalt. Tick…tick…Ich mache was ihr wollt, alles, ja. Ich bin auch still, seht ihr. Schon ganz lange. Guckt mich an, guck doch mal, ein-mal, etwas tiefer. Weiße Kittel, Wichtigkeit, Akten, Bücher, Spritzen. Tick…tick.

mit Petra Rumpsfeld

„Ich habe zweimal so eine Fixierung erlebt. Einmal war das so, dass kein Platz im Zimmer mehr frei war, dann wird man halt in irgendeinen Flur geschoben und da kommt dann so eine Stellwand davor. Da liegt man dann, und es war bei mir tatsächlich so, dass keiner nach mir geguckt hat, also ich war die ganze Nacht allein. Vielleicht bin ich mal hin und wieder so ein bisschen eingedöst, aber ich war fast die ganze Nacht wach. Dann war da noch so eine Scheibe zu dem Schwesternzimmer, da waren Jalousien vor, die ein bisschen auseinander waren. und da konnte ich immer ein bisschen durchgucken und habe immer die Uhr im Blickfeld gehabt. Ich konnte nicht so ganz erkennen, wie viel Uhr es war, habe aber immer wieder geguckt, wie spät ist es wohl wäre und gedacht, hoffentlich ist die Nacht bald rum.“

„Mit Liebe behandeln, nicht mit Gewalt. Das ist die Quintessenz, würde ich mal sagen.“

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Erfahrungswerte von Petra Rumpsfeld

„Da musste ich mich dem eben ergeben, was

ich eigentlich überhaupt gar nicht wollte. Ich

hatte immer eine furchtbare Abneigung gegen

Krankenhäuser und habe auch nie Vertrauen

zu Ärzten gehabt. Nun war ich dem Ganzen da

ausgeliefert. Und dann halten die einen da fest.

Ich habe gestrampelt, und dann sind da ungefähr

zehn Leute, die einen festhalten. Da hat man die

Spritze dann weg und wird fixiert. Ja, und dann

verschwinden die Leute wieder. Man selbst liegt

einfach nur da und kann sich nicht mehr rühren. Ein

Pfleger saß noch dabei, dass fand ich ganz schön,

der hatte so eine andere Seite, so eine menschliche

Seite und man merkte, der hat Mitgefühl und

möchte das eigentlich auch nicht, was da gerade

alles passiert.“

„Ab und zu sah ich mal Schwestern, die haben aber nicht zu mir geguckt. Es kam mir so vor, als wenn die extra an mir vorbeigeguckt haben. Es hat sich überhaupt keiner um mich gekümmert und ich lag da eben. Ich konnte in so einer unbequemen Haltung auch nicht schlafen. Die Gurte drückten, und die Zeit, die geht so furchtbar langsam rum, das ist so eine Qual. Man denkt, die Nacht, die geht nie mehr vorbei.“

„Irgendwann war ich dann eine ganze Weile still, ich war sehr schnell beruhigt, vielleicht durch das Medikament, was sie mir gespritzt haben. Es kam aber auch die Einsicht, wenn ich aufmüpfig bin, komme ich jetzt hier überhaupt nicht weiter, also ich muss mich dem jetzt fügen. Das ist auch verbunden mit einem ganz extremen Ohnmachtsgefühl, also, man kann ehrlich kaum noch ohnmächtiger sein. Irgendwann habe ich dann gerufen, ich mache jetzt was ihr wollt, oder: ich wehre mich nicht mehr, guckt doch. Aber es hat überhaupt keiner gehört.“

Erfahrungsbericht von Nicoleta Craita Ten‘o

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Erfahrungswerte von Petra Rumpsfeld

Sie war nicht alt genug, um alles zu wissen. Nicht schlau genug, um alles zu verstehen.Sie war gefangen, in sich gefangen.Ein grausames Gefühl, es war ein grausames Gefühl, aufzustehen und sich im falschen Körper zu fühlen. Sich selbst zu hassen, sich verletzen zu wollen. Sich selbst nicht ausste-hen zu können.Was half? Nicht viel. Auch die Hand-voll Tabletten half nicht immer.

Aber nein, weil sie sich wie ein Ver-brecher fühlte! Sie stellte sich natür-lich die Frage: war sie ein Verbre-cher oder fühlte sie sich nur wie ein Verbrecher?Und wenn sie ein Verbrecher war, war sie nicht berechtigt in der Ein-richtung eingeschlossen?

Ich sage euch, was geholfen hat:ihr die Freiheit gelassen zu haben, über sich zu entscheiden. Ihr zu-zutrauen, dass sie Verantwortung übernehmen kann, darf, dass sie es darf. Es hat ihr geholfen, sich über die Möglichkeiten, die sie in ihrem

Gespräche halfen nicht. Nicht immer. Sie las viel. Auch über sich selbst. Sie las auf einer Internetseite den Kom-mentar eines Users, wahrschein-lich ein gesunder Mensch, kein Be-troffener, kein Schizophren . . . Er meinte, schizophrene Menschen sei-en pervers. Es ist schwer, sich selbst zu hassen und zu hören zu kriegen, dass man, wegen seiner Krankheit, als Perversling angesehen wird. Das tut nicht gut.Nein, das hilft nicht. Es hilft nicht! Aber was hilft?Natürlich dachte sie nach, ob sie nicht eingesperrt sein sollte. Ob sie nicht eine Gefahr für sich selbst und für die anderen sei? Sie war nicht in der Lage sich selbst einzuschätzen. Sollte sie eingesperrt werden? War sie eine tickende Zeitbombe? Soll-te sie zwangseingewiesen werden? Das wurde sie. Ein paar gute Male.Wie ein Verbrecher.War das die Lösung in ihrem Fall?

Erfahrungsbericht von Nicoleta Craita Ten‘o

Sich wie ein Mensch zu fühlen

von Nicoleta Craita Ten‘o

Bild: Pierre

Foto: Andrea Damm, pixelio.de

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Mensch behandelt, ein Mensch, der Entscheidungen treffen darf, dem Fehler verziehen werden und der immer wieder eine zweite Chance bekommen wird, wenn er auf einen Irrweg geraten ist.

liche Bedürfnisse. Sie brauchen es, sich wie Menschen zu fühlen. Oft sind sie diejenigen, die sich nicht viel zutrauen. Zu etwas gezwungen zu sein, verstärkt ihre Selbstzweifel.

Kranke Menschen brauchen aber Be-treuung und Unterstützung. Sie soll ihnen gewährt sein. Es ist manch-mal schwer, sich in einen seelisch kranken Menschen hineinzuverset-zen. Aber dieser Versuch sollte nach Möglichkeit unternommen werden. Die Freiheit, über sich selbst zu ent-scheiden, ist eine erforderliche Maß-nahme auf dem Weg der Besserung seelischer Qualen. Die Freiheit, über sich selbst zu entscheiden, soll nicht mit einer mangelhaften Beratung verwechselt werden. Die Beratung, die Unterstützung eines Arztes ist das Wichtigste für einen Patienten.Und das Gefühl, er wird wie ein

Fall hatte, bewusst zu werden. Es hat geholfen, zu wissen, dass sie je-derzeit ärztliche Unterstützung be-kommen wird, wenn sie ärztliche Unterstützung braucht, aber auch dass sie selbst entscheiden darf, in-wiefern und wieweit diese Unter-stützung gehen soll.

Psychisch kranke Menschen ha-ben ähnliche Wünsche wie gesunde Menschen. Ähnliche Träume, ähn-

Erfahrungsbericht von Nicoleta Craita Ten‘o

Foto: Irmgard Hannemann

Erfahrungsbericht von Irmgard Hannemann

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Erfahrungsbericht von Nicoleta Craita Ten‘o

Es war im Sommer 2002. Ich war in der Uni-Augenklinik in Göttingen. Hier in Bremen wollte oder konnte man nicht operieren. Mit einer Seel-sorgerin hatte ich darüber gespro-chen, dass dadurch mein Leben ganz anders werden würde und dass ich nicht wüsste, ob ich so weiterleben wolle. Zwei Stunden danach kam ein Arzt und wollte mit mir sprechen. Er stell-te sich vor und sagte, er sei Ober-arzt in der Psychiatrie. Ich wollte nicht mit ihm gehen, denn ich fürch-tete mich, in der Psychiatrie zu lan-den. Er sagte noch mal: „Nur ein Ge-spräch!“ Im Gespräch kam er immer wieder darauf, dass ich mit einem

Ich weinte. Nach einiger Zeit, so ungefähr zwei Stunden, kam mei-ne Mutter mit einem Rollstuhl, da-rauf meine Sachen, Reisetasche, Ja-cke usw. Sie begrüßte mich aufge-regt und sehr vorwurfsvoll: „Du wolltest dich umbringen und hast mich in eine so scheußliche Situa-tion gebracht!“ So hatte ich Mutter noch nie erlebt. Erst danach wurde ich in ein Zimmer gebracht und be-kam ein Bett, an dessen einen Sei-te ein Fenster zum Stationszimmer war. „Hier können wir Sie immer sehen, wie es Ihnen geht“, sagte die Schwester und ließ mich allein. Ich bekam keinen Ausgang. Wollte ich zur Ergo, kam ein Pfleger und brachte mich hin und holte mich wieder ab. Ich kam mir vor, als sei ich ein Paket, das zugestellt wur-de. Kam meine Mutter mich besu-chen, durfte sie mit mir nur in den Hof. An drei Seiten die Klinikgebäu-de, und bei der vierten eine Mauer,

Auge nicht leben wolle. Die Seel-sorgerin hatte ihre Schweigepflicht gebrochen.

Der Arzt zwang mich, mit ihm auf eine Station zu gehen und sagte, hier bekäme ich Hilfe. Mir war ganz schlecht geworden, als er die Stati-onstür aufschloss und nach uns wie-der zu. Ich war gefangen und hilflos. Ich weinte und war wütend auf die Seel-sorgerin. Ich war auf der geschlosse-nen Station gelandet und keiner half mir.

Erfahrungsbericht von Irmgard Hannemann

Missbrauchtes Vertrauen

von Irmgard Hannemann

Foto: Almuth Stender

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Erfahrungsbericht von Irmgard Hannemann

Dann kam Mutters 88. Geburtstag. Ich war schon vier Wochen in der Klinik. Mutter wollte ein gemeinsa-mes Kaffeetrinken mit der Familie zu Hause. Wurde nicht erlaubt.

Mutter durfte nur mit mir mit dem Taxi zum nächsten Café und muss-te mit mir in zwei Stunden zurück in der Klinik sein. Das war eine Het-ze, nur schwer zu schaffen und nicht gemütlich. Da ich keinen Beschluss hatte, hätte ich in alles einwilligen müssen, aber was hätte das für Fol-gen gehabt? Ich hatte nur Angst und war total hilflos. Keiner glaubte mir, dass ich mir gar nicht das Leben neh-men wollte. Ohne Vertrauen gab es keine Lösung, nur Angst und Druck.

mehr als zwei Meter hoch. Der Hof eine Grasfläche mit einem Baum in der Mitte und einem Plattenweg, der einmal in die Runde ging wie ein Ge-fängnishof. Hatte man Angst, dass ich mit meiner Mutter davonlief?

Foto: Gilda Jenzen

Foto: Almuth Stender

Erfahrungsbericht von Claudia Gräber

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Erfahrungsbericht von Irmgard Hannemann Erfahrungsbericht von Claudia Gräber

Als ich meinen ersten Text über Zwangseinweisung und Fixierung in der Irrturm-Redaktion vorstellte, wurde er schlichtweg abgelehnt. Ich war ein wenig verwundert und er-staunt. War es doch meine Absicht, Partei für die Patienten zu ergrei-fen, sie in Schutz zu nehmen. Doch als ich auf dem Nachhauseweg mehr und mehr darüber nachdachte, wur-de mir klar, dass ich mein Ziel völ-lig verfehlt hatte. Was wohl daran lag, dass ich zu wenig darüber wuss-te und nie selber eine Zwangsein-weisung oder Fixierung am eigenen Leib erfahren hatte.

Ich persönlich weiß nicht, ob Fixie-rungen heutzutage noch über län-gere Zeiträume vorgenommen wer-den. Doch eines ist sicher: So etwas darf nicht sein, nein, so etwas darf es einfach nicht geben!Eine Fixierung ist für den Patienten eine extrem schlimme und schmerz-hafte Erfahrung. Die meisten Pa-tienten fühlen sich nach der Fixie-rung schlechter und kränker als vor-her. Für viele ist die Fixierung ein traumatisches Erlebnis, was sie ihr Leben lang nicht vergessen können.

Nach all diesen neuen Erkenntnis-sen, die mir bisher nicht bewusst waren, habe ich meine Meinung und meinen Standpunkt zur Fixie-rung grundlegend geändert. Heu-te bin ich davon überzeugt, dass man Fixierungen wohl am bes-ten ganz und gar abschaffen sollte.

So habe ich nun erfahren, dass Zwangseinweisung und Fixierun-gen oft angeordnet und angewandt wurden/werden, obwohl gar keine ausreichende Notwendigkeit oder Begründung dafür besteht oder be-stand. Als ich dann noch hörte, dass Fixierungen vorgenommen wurden, die sich über Tage, ja sogar Wochen hinziehen und andauern, war ich zu-tiefst schockiert.Ist so etwas nicht schon Folter?Werden hier nicht die Menschen missachtet?

Die Würde des Menschen ist

unantastbar?

von Claudia Gräber

Bild: Pierre

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Erfahrungsbericht von Claudia Gräber

Ja, vielleicht wäre es am besten, sie schlichtweg ganz zu verbieten. Und bei Zwangseinweisungen scheint es doch auch eher so zu sein, dass viele Zwangseinweisungen unberechtigt und willkürlich vor-genommen bzw. angeordnet wer-den. Ohne wirklichen Grund. Eine meiner „Irrturm-Kolleginnen“ führ-te mir ein gutes Beispiel vor Augen. Wenn eine Person das Gesetz bricht und eine Straftat begeht, wird sie ja auch nicht gleich zwangseingewie-sen. Wenn die Straftat nicht allzu gra-vierend ist, bleibt sie für gewöhnlich auf freiem Fuß und bekommt dann eine gerechte Gerichtsverhandlung.

Zwangseinweisung und Fixierung! Wird da nicht die Würde des Men-schen angetastet? Dabei heißt es doch schon in unserem Grundge-setz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es gibt ein schönes Sprichwort, da heißt es: „Die Hoff-

nung stirbt zuletzt.“ Und so hoffe auch ich, dass es irgendwann in ab-sehbarer Zeit so sein wird, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

Bild: Almuth Stender

Professioneller Einblick

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Erfahrungsbericht von Claudia Gräber Professioneller Einblick

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, dass wir am 27. Sep-tember dieses Jahres im Klinikum Bremen Ost geführt haben. Un-ser Thema war der Umgang in der Akutpsychiatrie mit der veränderten Situation durch die neue Rechtspre-chung. Wir wollten darüber mit den klassisch ausgebildeten in der Psy-chiatrie Tätigen vor Ort sprechen. Und natürlich wollten wir erfahren, was sich dadurch für sie im täglichen Umgang mit den Patienten verän-dert hat. Dass Zustandekommen des Interviewtermins verdanken wir un-ter anderem der freundlichen Unter-stützung des Krankenpflegers Herrn Treichel, der den Kontakt zu den

Uns schien es im Nachhinein so, als hätten unsere Interviewpartner die Befürchtung, sie sollten jetzt einem anklagenden Tribunal ausgesetzt werden. Die Situation beruhigte sich jedoch rasch, als klar war, dass wir nicht anklagen wollten, sondern in erster Linie daran interessiert waren, ins Gespräch zu kommen.Unsere Fragen wurden größtenteils direkt und ohne Umwege beantwor-tet. Mehr erhellende Details aus dem Stationsalltag hätten wir uns ge-wünscht, an diesem Punkt wurden die Auskünfte dann doch ein wenig allgemeiner gehalten.Wie auch immer, es war ein interes-santes Gespräch, dass in angeneh-mer Atmosphäre und auf Augenhö-he geführt wurde.

Verantwortlichen des Klinikums er-möglichte. Zunächst gingen wir da-von aus, zum Gespräch käme ledig-lich noch ein Arzt hinzu und dann redet man mal. Weit gefehlt.Offensichtlich war das Thema bri-sant genug, um zur Chefsache er-klärt zu werden, und so saßen wir, Silke Wouters, Heike Oldenburg, Sieghard Borchert und Jörn Peter-sen, zum vereinbarten Termin mit Professor Dr. Zimmermann, dem neuen Leiter der Abteilung Psychiat-rie im Klinikverbund Bremen, Herrn Maurer, Chefarzt, Frau Theil, Presse-referentin von Gesundheit Nord und Herrn Treichel am runden Tisch.Unsere kleine Delegation wurde sehr freundlich empfangen und in ein ge-räumiges Sitzungszimmer geführt, in dem bereits kleine Erfrischungen in Form von Kaffee, Tee und Keksen bereit standen.Anfangs war die Situation ein wenig angespannt.

im Klinikum Bremen Ostzum Thema Zwangsbehandlung

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Professioneller Einblick

Nach dem eineinhalbstündigen Ge-spräch kamen in der anschließenden Transkription 26 Seiten Text zusam-men (Vielen Dank, lieber Sieghard), die wir nun in Auszügen hier in der Sonderausgabe abdrucken. Dabei sind die Äußerungen weitestgehend wortwörtlich belassen, so dass es manchmal etwas holpern mag.

Jörn Petersen: Für uns zuerst einmal die Frage, ob sich die Praxis in der Psychiatrie, also auf den Akut Stationen seit dem Gerichtsurteil eigentlich grundle-

kation bekommen, die sich gefähr-lich verhalten, sag ich jetzt einmal so pauschal. Aber die müssen sich dann auch wirklich gefährlich ver-halten, und da reicht nicht aus, wenn jemand friedlich in der Ecke sitzt und beispielsweise Wahnvorstellun-gen hat und wir dann solche nachbe-handeln können, gegen seinen Wil-len. Das geht nicht. Sondern es geht nur im Rahmen von begrenzten Not-fallsituationen, die wir auch gut do-kumentieren müssen, und für die wir auch dann hinterher, unter Um-ständen uns auch rechtfertigen müs-sen. Das sind die Rahmenbedingun-gen, unter denen sich das abspielt.

Jörn Petersen: Das heißt, zusammengefasst ist es schon so, dass sich die Praxis verän-dert hat, weil die Situationen, in de-nen unter Zwang Medikamente ver-abreicht werden, sich in Ihrer Praxis verringert haben.

gend gewandelt hat oder ob die Pra-xis im Moment nach dem geltenden PsychKG in Bremen unverändert weiter gelaufen ist.[. . .]Herr Mauer: Also, die Rechtslage ist ja so, nach dem Urteil des Bundesverfassungs-gerichtes im letzten Jahr und jetzt auch in diesem Jahr, nach dem Ur-teil des Bundesgerichtshofes, dass eine Zwangsmedikation auf den be-stehenden gesetzlichen Grundlagen nicht möglich ist, kann also nicht genehmigt werden. Das ist so die eine Seite. Die andere Seite ist, was es schon immer auch gegeben hat und eigentlich auch einen größeren Umfang angenommen hatte als eine richterlich genehmigte Zwangsme-dikation, das Handeln in Notfallsi-tuationen. Das ist davon ausgenom-men. Das findet auch so weiter statt, das heißt, es gibt immer wieder Si-tuationen, wo Menschen eine Medi-

Foto: Heike Oldenburgvon links nach recht: Hr. Prof. Zimmermann, Fr. Wouters, Hr. Treichel, Hr. Borchert, Hr. Mauer, Hr. Petersen, Fr. Theil

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Professioneller Einblick Professioneller Einblick

man sich eben die Frage stellen.Klar ist es für den Patienten selbst immer sehr unschön, aber man muss auch daran denken, wir haben nicht nur den einen Patienten auf Station, sondern es sind ja noch über zwan-zig andere Patienten, die auch ir-gendwie ein Recht haben auf Für-sorge und auch Sicherheit. Wenn zum Beispiel, jemand nachts brül-lend durch die Zimmer geht und die anderen Patienten weckt, wäre da mit einer Indikation was zu ma-chen. Klar, man spricht mit dem Pa-tienten, dann spricht man vielleicht auch ein Zimmergebot aus, aber wie gesagt, man muss dann auch an die anderen Patienten denken, die auch schleunigst wieder gesund werden wollen und das dann auch nicht er-tragen können.

tion denn hin? Das ist ja wahrschein-lich auch eine Schwierigkeit für Sie.

Herr Treichel: Sicher. Das führt auch immer wie-der zu Diskussionen innerhalb des Teams, ist die Situation überhaupt noch tragbar oder müssen wir jetzt eingreifen, um zum Beispiel auch Mitpatienten zu schützen.

So was eben. Natürlich, es wir ver-sucht, das irgendwie so lange wie es geht, das auszuhalten oder dem Pa-tienten auch Alternativen zu bieten, wie zum Beispiel. ein Zimmergebot oder ihn in den Garten zu schicken, um eine zu rauchen.Manchmal kommt man damit auch zum Ziel, es ist alles gut, die Wogen glätten sich, aber manchmal geht es dann auch gar nicht. Dann muss

Herr Mauer:Richterliche Genehmigungen gibt es gar nicht mehr, das ist ja nicht mehr möglich. Das Amtsgericht Bremen hält sich auch daran. Wir beantragen das trotzdem noch, aber das ist eher so ein Randphänomen, damit wir abgesichert sind.[. . .]Jörn Petersen: Gut, dann wäre unsere Frage: Was macht man dann stattdessen? Gibt es andere Maßnahmen, die stattdes-sen angewendet werden, Kommt es jetzt häufiger zu solchen „mechanischen“ Maßnahmen wie Fixieren und Isolieren, oder wird man mit den Zustände, sage ich mal oder Patienten, die man eben me-dikamentös nicht mehr behandeln darf, die das verweigern und die aber erregt sind oder wo man den Eindruck hat, die könnten gefähr-lich werden oder tatsächlich gefähr-lich sind, wie kriegt man diese Situa-

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Zwangsmedikation kann man sich in Ruhe Verstärkung holen, man kann schon mal ein Umfeld vorbe-reiten, um dass Ganze etwas, wie soll ich das sagen, entspannter klingt in diesem Zusammenhang nicht be-sonders gut, aber ein bisschen ruhi-ger und geplanter durchführen, als wenn man halt wartet, Ok, jetzt gibt es hier gerade eine körperliche Aus-einandersetzung im Tagesraum und wir müssen jetzt sofort handeln, und dazwischen, und uns mit den Leu-ten, also den Patienten auf dem Bo-den wälzen womöglich. Man weiß nicht genau, wenn man da jetzt den Alarmknopf drückt, kommen da schnell genug Leute. Es ist so was ja auch immer ein potentielle Gefahr für einen selbst. Zum einen ist es na-türlich für den betroffenen Patienten sehr unangenehm in diese Lage zu kommen, dass er gegen seinen Wil-len fixiert wird, aber auch für das Personal ist es ja auch immer eine

dann behandeln und den auch nach der Rechtslage auch noch behandeln dürfen, der wäre unter Umständen zu vermeiden gewesen, wenn man schon von Anfang an hätte behan-deln können.

Herr Treichel: Solche Situationen laufen dann meist auch relativ chaotisch ab, weil man spontan handeln muss, wenn, sag ich mal, das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist. Es ist ja nun einmal so, bei einer geplanten

Prof. Zimmermann:Was denkbar wäre, warum es zu zu-sätzlicher Gewalt kommen könnte, man könnte ja nach der alten Rechts-lage auch in einer solchen Situation behandeln, noch bevor es zu Gewalt-tätigkeiten gekommen ist. Ich würde dann eine suffiziente, also sinnvol-le, wirksame Behandlung einleiten, die dann das Krankheitsbild verbes-sert, und verhindert, unter Umstän-den oder in vielen Fällen verhindert, dass überhaupt das Krankheitsbild so weit fortschreitet, dass es zu Ge-walt zum Beispie kommt.

Das ist sicherlich in vielen Fäl-len auch gelungen. Und das würde weg fallen, wenn man nicht behan-deln darf oder wenn man abwarten muss, bis wirklich ein Notfall ein-tritt. Dieser Notfall, den wir jetzt

Foto: Heike OldenburgHr. Prof. Zimmermann (links), Hr. Treichel (rechts)

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Professioneller Einblick Professioneller Einblick

men, und der hätte einen Antrag ge-genüber dem Betreuer gestellt und dann hätten wir die eine oder ande-re Situation vermeiden können. Die hat es schon gegeben, ob sich das statistisch niederschlägt, kann ich gar nicht sagen, weil wir die Zahlen für dieses Jahr noch nicht ausgewer-tet haben. Das Verfassungsgericht fordert ja eine vernünftige, angemesse-ne Grundlage. Das Verfassungs-gericht hat ja nicht gesagt, geht grundsätzlich gar nicht sondern es hat gesagt, die gesetzlichen Grund-lagen sind nicht ausreichend. Das ist ja im Prinzip zu begrüßen, z.B. das auch mit der Außenkontrol-le. Bisher ist es ja so gewesen, dass wir das Gutachten erstellt haben, Zwangsmedikation ist erforder-lich. Dann ist ein Richter gekom-men oder der Richter hat gesagt in Ordnung, hat das geprüft und hat gesagt, wird genehmigt oder wird

eine Veränderung wahr, seit dem letzten Jahr, dass es sozusagen ag-gressiver, aufgedrehter ist, weil so-zusagen diverse Leute ohne Medika-mente sich dort aufhalten und mehr Randale, mehr Unruhe reinbringen?

Herr Treichel: Ganz schwer zu sagen. Also das ist immer so wellenartig. Mal ist es ein bisschen mehr, mal weniger, je nach-dem, was wir für Patienten auf Stati-on haben.

Herr Mauer:Punktuell ist es schon so. Also ich habe in diesem Jahr mehrere Situa-tionen rückgemeldet bekommen, wo Menschen auf der Station waren, die sich gegenseitig hochgepowert ha-ben, wo wir in früheren Zeiten frü-her eingegriffen hätten, das heißt. wir hätten früher einen Antrag ge-stellt – das ist ein geregeltes Verfah-ren – dann wäre ein Richter gekom-

potentielle Gefahrenquelle, bei sol-chen Situationen verletzt zu werden. Das ist in der Vergangenheit auch öf-ter mal der Fall gewesen.

Heike Oldenburg:Gibt es dafür Zahlen, wie oft so was passiert im Verlauf eines halben Jahres?[. . .]

Herr Mauer:Von diesem Jahr noch nicht, aber von den letzten Jahren. Das schwankt immer. Das schwankt zwischen 140 und 270 Fixierungen im Jahr. Bei fast 5000 Patienten. In der örtlichen Akut-Psychiatrie in Bremen-Ost.[. . .]Jörn Petersen: Genau, das war jetzt noch mal die Frage zu der Atmosphäre auf den Stationen. Nehmen Sie denn da jetzt

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um eine sinnvolle Sache ist, eine Zwangsmedikation. Gerade die Beantragung einer Zwangsmedi-kation war immer schon das „letz-te Mittel“, wenn alles andere nicht geklappt hat. Was wir im Moment tatsächlich haben, dass wir zum Teil Menschen die halt nicht un-mittelbar gefährdet sind oder sich gefährdend verhalten in Verfas-sungen entlassen müssen, wo wir das früher so nicht gemacht haben. Also Patienten, von denen wir wis-sen, die profitieren von der Medi-kation und nach drei Tagen sind die gut drauf – das gibt es ja auch mal - und sagen, Mensch gut, dass ich das gekriegt habe. Aber die ers-ten drei Tage – wissen wir aus der Vergangenheit – haben die gesagt, nee will ich nicht. Und die entlas-sen wir jetzt zum Teil in der glei-chen Verfassung, wie sie hier ein-gewiesen worden sind. Stimmt uns manchmal sehr bedenklich.

Jörn Petersen:Na ja, es ist ja so, dass man von au-ßen vermuten kann, dass es einge-fahrene Wege gibt, dass dann im-mer dieselben handelnden Per-sonen miteinander dasselbe aus-handeln und dass da sozusagen in gewohnter Weise entschieden würde. Da ist es natürlich gut, wenn da mehr Öffentlichkeit her-gestellt wird in so einem Bereich und es kann ja auch der inhaltli-chen Weiterentwicklung dienen, wenn jemand von außen guckt und kontrolliert.

Herr Mauer:Es ist ja immer nur das „letzte Mittel“. So versuchen wir das, so kriegen wir das auch einigerma-ßen hin. Also es wird immer mit den Menschen, bei denen es jetzt nicht akut gefährlich ist, wird ge-redet, es wird versucht sie zu mo-tivieren, ihnen zu erklären, war-

nicht genehmigt.In Zukunft wird das zum Beispiel so sein, dass es da eine Außenkon-trolle geben wird, die bestimmte Fristen gibt zwischen dem Antrag und der Genehmigung.Das ist eine Stärkung der Patien-tenrechte, die im Prinzip sehr zu begrüßen ist. Nur der Gesetzgeber muss jetzt mal in Gang kommen, weil, im Moment haben wir näm-lich keine gesetzliche Grundlage.

Jörn Petersen: Eine externe Kontrolle wäre dann z.B. die Besuchskommission.

Herr Mauer: Und ein Zweitgutachten. Wenn man nicht davon ausgeht, dass alle Psychiater unter einer Decke stecken und sowieso voneinander abschreiben.

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der UN-Behindertenrechtskonven-tion - von psychisch Kranken und somatisch Kranken. Es gibt halt eine Konvention, dass psychisch Kranke da einer gesonderten Be-trachtung bedürfen. Deswegen gibt es die Gesetze PsychKG und Betreuungsrecht, die setzen ja eine psychische Erkrankung und eine Willenseinschränkung voraus, und das ist erst mal eine Konvention und eine Rechtsgrundlage, auf der wir uns auch bewegen. Und auf-grund dieser Rechtsgrundlagen ha-ben wir dann auch einen schwieri-gen Auftrag. Man kann das, so wie Herr Zimmermann das ausgeführt hat, natürlich auch ganz anders be-trachten, aber in diesem Rahmen müssen wir uns ja bewegen. [. . .]Heike Oldenburg: Wie ist denn das mit dem freien Willen, wenn jemand im Vornhe-rein Behandlungsvereinbarungen

Herr Mauer:Man sollte allerdings, glaube ich, noch der Vollständigkeit halber erwähnen, dass es natürlich auch im somatischen Bereich Menschen gibt, die sich gegen ärztlichen Rat nicht behandeln lassen. Krebskran-ke zum Beispiel sagen, nee, ich lass mich nicht operieren und ähnli-ches. Die dürfen das auch. Also es geht ja bei diesen Urteilen auch um die Gleichstellung - auf dem Boden

Prof. Zimmermann: Man muss ja auch sagen, nach un-seren Erkenntnissen, dass bestim-me Erkrankungen dadurch chro-nifizieren können, sich also ver-schlimmern können, dass keine Behandlung stattfindet. Zum Bei-spiel bei schizophrenen Psychosen gibt es doch zumindest erheblich Hinweise darauf, dass wenn die unbehandelt verlaufen, dann der Verlauf insgesamt schlechter ist, das heißt, man würde dann auch mit einer solchen Verhaltenswei-se den Patienten nachhaltig schä-digen. Das muss sich die Justiz na-türlich auch fragen, ob das gewollt ist. Das ist aus meiner Sicht auch unethisch.

Jörn Petersen: Der Begriff der „Freiheit zur Krank-heit“. Das ist ja in der Urteilsbe-gründung erwähnt.[. . .]

Foto: Heike OldenburgHr. Mauer (links), Hr. Petersen (rechts)

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vom gutbürgerlichen etwas weit entfernt sind, also das dort sich viel Müll Garten gesammelt hat und ähnliche Geschichten, das würde für mich nicht ausreichen.

auch unter Psychiatern ein unter-schiedliches Spektrum. Für mich ist der freie Wille nicht von der Di-agnose abhängig, sondern von der konkreten Situation. Und nicht, je-mand hat eine Schizophrenie und deswegen ist er in seiner Willens-bildung eingeschränkt, sondern Beispiel: Jemand nimmt seine Tab-letten nicht, weil er glaubt, die sind vergiftet. Da wird es ganz deut-lich, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem „sich-nicht-mit-Medikamenten-behandeln-las-sen-wollen“, will ich auch noch mal in Klammern anmerken (also Behandlung besteht ja bei Wei-tem nicht nur aus Medikamenten) Klammer zu, sondern da gibt es diesen Zusammenhang relativ ein-deutig, das könnte man auch gut begründen, aber nicht alleine, weil die Diagnose so ist und jemand zu Hause, sagen wir mal in Verhält-nissen sich eingerichtet hat, die

macht und dann einen Willen hat, sozusagen schon bekannt ist, wie wird denn das gehandhabt, wenn er dann in der Krankheit ist?

Herr Mauer:Wenn es eine Patientenverfügung gibt, ist die bindend, da können wir nicht mehr dran deuteln. Da gibt es zwar auch unterschiedliche Interpretationen, soweit ich weiß, aber es gibt auch eine, die sagt, die Patientenverfügung ist bindend. Das ist nicht vergleichbar mit ei-ner Behandlungsvereinbarung. Da steht ja dann meistens drin, wenn´s irgend geht oder so ähnliche For-mulierungen. Aber wenn es eine richtige Verfügung gibt, dann ist das so. Dann dürfen wir das auch nicht. Das mit dem freien Willen ist in der Tat auch ein Problem, da gibt es

Foto: Silke WoutersPsychiatrie Klinikum Bremen Ost (Haus: 5)

Erfahrungsbericht von Ein Bremer

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Was geht denn hier ab, wo bin ich gelandet, ist das hier noch planet earth?

Na gut, einen kleinen Größenwahn gebe ich ja zu, aber: diese Veranstaltung als Reaktion da-rauf finde ich jetzt nicht angemessen!

Bleibt doch mal locker, falls ihr das könnt – in milderer Form kommt das häufi-ger vor . . .

Psychose ist kein Schnupfen, ach so, haha. Psychotiker sind aber auch Menschen und wünschen sich normalerweise

eine genesungsorientierte Behand-lung –nicht eine restriktive oder bemächtigende.

Sagt mal, es gibt doch son Eid – also für Ärztinnen und Ärzte, mein ich jetzt –dass die sich verpflichten, zum Wohl ihrer Anvertrauten zu handeln . . . Da war doch was?

Und dann gibt’s so neue Wörter wie „recovery“ oder „empowerment“ – Schon mal davon gehört? Nee? – Na ja, macht nichts, ist ja auch Englisch . . .

Jedenfalls, wenn ihr euch in euren Kliniken mal nichtso versteift und verbrettertin euren Stationszimmern verste-cken würdet, dann . . .

Seid ihr irgendwie auf der Flucht vor euren Patienten, oder so?

Im Ernst: inner Krise ist es meines Er-achtens notwendig, dass zugewand-te Menschen mit dir reden, und zwar so normal wie möglich.Ihr seid doch auch Menschen, gebt doch einfach mal zu, dass ihr auch Ängste habt oder Schwächen, oder, oder, oder . . .

Dann würdet ihr vielleicht zuneh-mend bemerken, dass die Betroffe-nen fitter sind als ihr denkt, und dass man uns durchaus was zutrauen, zu-muten und vertrauen kann.Stichwort: der Versuch einerAnnäherung.

Irgendwie wird’s schon klappen.Und vielleicht müssen sich dann nicht andere wieder so komplizierte englische Wörter ausdenken, die keiner verstehen tut.

Außerirdisch – überirdisch –

unterirdisch

von Ein Bremer

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Erfahrungsbericht – Anonym

Es begann im Winter. Sie war noch keine zweiundzwanzig Jah-re alt. Froh darüber, dass sie ih-ren Wunsch, Kunst und als weite-res Fach Behindertenpädagogik auf Lehramt zu studieren, sogar gegen den Willen ihrer Eltern, durchsetzen konnte. Sie blühte auf durch die vie-len lieben Kontakte an der Uni, war zur Schulzeit sehr schüchtern und eher Außenseiterin, hatte aber im-mer eine ganz enge feste Freundin.

Beim Schlittschuhlaufen, mit ganz lieben Studentenfreunden, hatte sie sich den rechten Knöchel gebro-chen. Sie war fast dankbar, dass ihr diese Verletzung geschah, denn sie

keines ist. Sie bekam Kontakt zu sei-ner Exfreundin, die ihr erzählte, dass dieser Mann von ihr gewollt hätte, mit einem Eselhengst Verkehr zu ha-ben. Sie dachte, dass seine Exfreun-din nicht wolle, dass er eine neue

entdeckte, wie viele, wirklich liebe Freunde und Studienkollegen (so-gar ihre Vermieterfamilie mit zwei Kindern) sich um sie kümmerten, ihr Hilfe anboten und sie besuchten. Als sie am Morgen nach dem Eisun-fall an Krücken zum Arzt humpeln wollte, da sie einen Gips bekommen sollte, kam gerade ihr netter Nach-bar zum Auto und bot sich an, sie zu fahren. Sie hatte ihn schon oft, wenn sie morgens aus der Disco vom Tan-zen kam (als er zur Arbeit fuhr), ge-troffen. Sie fand ihn nett, attraktiv und mochte ihn auch sehr leiden. Da der Nachbar sie mit Witz, Hilfs-bereitschaft, eigenem Hund, vielfäl-tigem Wissen und selbstgebautem Wohnmobil sehr beeindruckte, ver-liebte sie sich schnell in ihn. (Es war schon seit ihrer Kindheit ihr größter Wunsch, einen Hund, ein Pferd oder ein Pony zu haben.) Sie wurden tat-sächlich ein Paar. Aber das ist noch nicht das Ende des Märchens, das

von Anonym

Sie glaubten ihr nicht!

Foto: Anonym

Erfahrungsbericht – Anonym

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Erfahrungsbericht – Anonym Erfahrungsbericht – Anonym

Freundin bekäme; trotzdem fass-te sie sich ein Herz – denn sie hat-te schon viel Vertrauen zu ihrem Freund – und sprach ihn vorsichtig auf die unglaubliche Behauptung der Exfreundin an. Zu ihrem Entset-zen antwortete er, es wäre wahr, aber er bräuchte dies nicht mit ihr auszu-üben, wenn sie es nicht wolle.

Sie war erschrocken, und trotzdem mochte sie noch seine Ehrlichkeit und Offenheit. Nach viel Zweifeln und Weinen bemerkte sie, dass sie doch noch total verliebt war in ihn und glaubte, er würde sie nie mit ei-nem männlichen Tier als Ersatz be-drängen. Sie ging sogar in ihren Ge-danken so weit (wobei sie sich be-sonderes tolerant fühlte), dass er diese sexuellen Wünsche mit einer anderen Frau (die das dann natür-lich selbst wollen müsse) sogar aus-

leben dürfe, wenn er sich in diese Frau (evtl. Prostituierte) nicht verlie-ben würde.Leider hielt sich ihr neuer Freund ei-nige Monate später nicht mehr an sein Versprechen.

Nachtrag: Wenige Wochen später wurde sie wegen akuter Psycho-se zwangseingewiesen. Als sie den Ärzten und Psychologen in der Kli-nik von dem Missbrauch an ihr be-richtete, hielten diese ihre Aussage nur als ein Anzeichen ihrer Psycho-se. Ihr damaliger Partner stritt seine sexuelle Neigung ab und muss auf die Ärzte (im Gegensatz zu ihr) sehr glaubwürdig gewirkt haben.

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Erfahrungsbericht von Andreas Roemer

Ich habe einen gekannt, jemanden, der per sogenannten Beschluss ein-gewiesen wurde. Er war ein Mu-sikerkollege, ungestüm auf seiner E-Gitarre und zunehmend in die vernebelnden Klänge seines Mul-ti-Effekt-Gerätes verstrickt. Und zu-nehmend betrunken, so dass man

Er hatte in die offene Abteilung übergewechselt, lebte also prak-tisch nebenan mit der Perspektive Entlassung.Es klappte trotzdem nicht mit dem Ausgang.Wir hatten Mühe genug, unsere Sie-bensachen, einschließlich eines rü-ckengeplagten Schlagzeugers, bei Laune zu halten.Der Auftritt musste ein Erfolg wer-den und er wurde es auch.Als nächstes verkrachte er sich (nach langer darauf zulaufender Vorge-schichte) mit dem Schlagzeuger. Je-ner galt fortan als unser Sorgenkind, und wir verzichteten notgedrungen auf unseren quertreibenden Rhyth-musgitarristen (wir telefonierten stattdessen sehr viel). Und wenn un-ser Schlagzeuger dafür umso öfter im Proberaum auftauchte, waren wir jedes Mal froh und erleichtert.Etwas später hörten wir dann von seiner zweiten Zwangseinweisung.

ihn nach der Probe nach Hause fah-ren musste.In seinen guten Zeiten hatte er noch für seine Band mehrere geradlinige, ausdrucksstarke Songs geschrieben, gesungen und gnadenlos rockig an der Gitarre begleitet.Nachdem ich mit der Bassgitarre zu-gestoßen war, versuchten wir diese eingängigen Nummern wieder zum Leben zu erwecken. Aber kurz bevor seine Songs wieder auf die Bühne kamen, wurde er zwangseingewie-sen. Er soll wohl einen alten Musi-kerkollegen getroffen und anschlie-ßend erbarmungslos über die Strän-ge geschlagen haben, wie es nun mal seine Art war. Das Konzert vor dem Gesellschafts-haus fand wenig später dann ohne ihn statt, möglicherweise noch mit „Running, Running“, jedenfalls nicht mehr mit „Lies by Lies“, was ich mir als bekennender Rocker so sehr gewünscht hatte.

von Andreas Roemer

Beschluss und Entscheidung

Foto: Maclatz, pixelio.de

Erfahrungsbericht von Andreas Roemer

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Erfahrungsbericht von Andreas Roemer Erfahrungsbericht von Andreas Roemer

Der Grund: relativ irrelevant.Als ich ihn eingeschlossen unter vie-len, sich gegenseitig nervenden Ein-geschlossenen – inklusive der sicht-lich überforderten Pfleger – dort be-suchte, erschrak ich darüber, dass er relativ abgemagert war.Mehrmals hatte er für uns gekocht, hatte mich auch auf dem Lande besucht. Da er kein Kostverächter war, hät-te ich eigentlich erwartet, man wür-de ihn in der Klinik wieder aufpäp-peln beziehungsweise er würde es sich trotz des stolzen Sturkopfes, der ihm, dem Arztsohn anerzogen war, gefallen lassen.

Dieser enorme Sturkopf fiel stattdes-sen – offenbar während eines Frei-gangs, um sich Sachen zu holen – aus dem Fenster seiner Wohnung im

3. Stock und landete im Innenhof. Wie verzweifelt musste er wohl ge-wesen sein, um das zu tun?Den Ausführungen seiner Schwes-ter zufolge, welche ihm sehr vertraut war, konnten wir erahnen, dass die-

se, seine Band, der er seit zwölf Jah-ren angehörte, für ihn so etwas wie das Lebenselixier war, der stärkste Antrieb, der zum letzten Strohhalm wurde.

Am Tag danach probten wir in unserem Raum in der Nähe des Haupthauses und erfuhren es so-fort. Wir spielten „Running, Run-ning“ und „Knocking on Heaven‘s Door“. Was hätten wir sonst noch für ihn tun können?Gerne ginge ich wieder in unse-ren alten Proberaum, der aber nicht lange nach diesem tragischen Ende ausgebrannt ist.In die Zwangsabteilung, hoch oben in dem Betonmoloch, hatte ich mich nur noch ein letztes Mal hineinge-wagt, um unserem Schlagzeuger dort eine Nachricht zu überbrin-gen. Er ist zum Glück seit einem Jahr wieder draußen.

Foto: Almuth Stender

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Erfahrungswerte von Silke Wouters

mit Silke Wouters

„Die haben mir nicht gesagt: „Also, jetzt

hören Sie mal bitte auf, sonst müssen wir Sie

fixieren“, sondern sie sind gleich gekommen

und haben gesagt: „O.k., wir müssen Sie jetzt

trennen“, und dann bin ich fixiert worden.

Am Nachmittag, als ich fixiert wurde, sagten

sie mir, dass ich die ganze Nacht durch bis

morgens früh fixiert sein würde. Sie sind

dann allerdings schon immer wieder mal

zu mir gekommen, so alle viertel bis halbe

Stunde, und ich hab dann jedes Mal gebettelt,

dass sie mich wieder frei machen.“

„Innerlich war ich am Explodieren. Das Gefühl, was ich da hatte, das kann ich überhaupt nicht beschreiben, wie schrecklich das war. So dazuliegen . . . Ich hatte auch das Gefühl, dass ich das nicht verdient hatte, und dass mir das überhaupt nicht genutzt hat. Als sie mir sagten, „Wir tun das zu Ihrem eigenen Wohl“, hätte ich vor lauter Wut fast losgeschrien, da ich tief in mir das Gefühl hatte, das es denen überhaupt nicht um mein Wohl ging, sondern um ihr eigenes.“

„Weil ich bei Daimler-Benz aufgelaufen bin und da mein Projekt vorgestellt habe, immer in der Hoffnung, dass ich das Projekt verwirklichen könnte, wurde ich ins Krankenhaus Ost eingeliefert. Dort kam ich auf die geschlossene Station. In der ersten Woche gab es überhaupt keinen Ausgang. Es war Sommer, und es war glühend heiß. Auf Station war es noch heißer, und ich durfte überhaupt nicht nach draußen. Es gab nur einen winzigen Balkon mit einem engen Gitter davor. Dieses kleine „Räumchen“ empfand ich als schrecklich beengend.“

Erfahrungswerte von Silke Wouters

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Erfahrungswerte von Silke Wouters Erfahrungswerte von Silke Wouters

„Ich glaube, ich hätte Zeit gebraucht, um einzusehen, dass

Medikamente nötig sind. Ich hätte auch jemanden gebraucht,

der auf mich eingegangen wäre. Mit den anwesenden Ärzten

hatte ich wirklich das Gefühl, dass sie nur ihre Medikamente

im Sinn hatten und überhaupt nicht auf das Menschliche

eingegangen sind. Wenn ich das mehr erlebt hätte, ich könnte

ich mir vorstellen, dass ich die Medikamente genommen hätte.“

„Nach einer Woche durfte ich dann zweimal am Tag fünfzehn Minuten nach draußen. Schon unbegleitet, aber mir wurde auch mit auf den Weg gegeben: „Also, wenn Sie eine Minute länger bleiben, dann werden Sie dieses Recht auch wieder verlieren.“ Ich hatte wirklich das Gefühl, ich war ein Affe im Käfig. Am Ende war ich drei Wochen in dieser geschlossenen Station, und als ich dann rübergebracht wurde zur offenen Station, da wurde mir noch gesagt, dass ich das im Grunde nicht verdient hätte, dass das nur aus Platzmangel passiert wäre, dass ich auf die offene Station käme und ich sollte mir überlegen, dass da ja auch noch die Forensik sei. Ich habe im Grunde während meines gesamten Aufenthaltes nur Angst gehabt und hatte das Gefühl, so gefügig gemacht worden zu sein. Zu einer Einsicht kam es erst, als ich aus dem Krankenhaus Ost wieder entlassen wurde.“

Bild: Silke Wouters

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Erfahrungsbericht von Dagmar Herrmann

Durch den Dämmerzustand dringen ein paar Worte in ihr Bewusstsein, nehmen Gestalt an und tanzen hin-ter ihren geschlossenen Lidern wie blank geputzte Schilder:„Am Schluss haben wir alle gesun-gen: Die Gedanken sind frei.“ Dann schließt sich eine Tür, sie hört nur noch ein Stimmengemurmel, das langsam verebbt.Elena wird unruhig, wirft den Kopf hin und her. In ihr regt sich ein Fun-ke, eine ihr nur allzu bekannte Emp-findung, ihr vermaledeiter Wider-spruchsgeist weckt sie aus ihrer Benommenheit. „Die Gedanken sind frei“, nur bruch-stückhaft erschließt sich ihrem umne-

Es ist so mühsam zu denken.Wieder entgleiten ihr die Worte.

Warnende, drohende Stimmen drin-gen aus weiter Ferne zu ihr vor:„Gedanken sind frei, ja. Doch was bringt das? Sag nichts. Du kannst al-les denken, aber nicht alles sagen. Du kommst noch in Teufels Küche mit deinem vorlauten Mundwerk. Wer nicht hören will, muss fühlen.“Die das sagen, sagen, sie meinen es doch gut. Elena empfand diese Sprüche wie ei-nen Fluch, der ihr, dem widerborsti-gen, eigenwilligen Kind, mit auf den Weg gegeben wurde. Ich weiß gar nicht, woher du das hast. „Wahrscheinlich vom Teufel“, denkt Elena erschöpft. Elena schluchzt in kurzen harten Abständen.

belten Gehirn der Sinn des Gehörten.„Die Gedanken, frei. Ein billiger Trost, ein billiger Trost . . .“ wiederho-len sich die drei Worte wie ein mehr-fach nachhallendes Echo. Sie quält sich, weitere folgen zu las-sen, sich den Text in Erinnerung zu rufen: „ . . . und sperrt man mich ein in finsteren Kerker . . . meine Gedan-ken zerreißen die Schranken. Hil-fe, das ist dumm, so dumm.“ Elena schwinden wieder die Sinne.Sie verliert den Faden.Als öffne sich ein Fenster, dringt nach einer Weile wieder Licht in die Dun-kelheit ihres Gemüts.Sie fragt sich: „Wem will man das er-zählen? Dem, der in einem Verlies an-gekettet liegt, einem Gefolterten, dem der Schmerz den Verstand raubt, dem Stummen, dem man die Zunge mit einem glühenden Eisen heraus-gerissen hat, dem Systemkritiker, der zum Idioten erklärt und in die Psych-iatrie gesteckt wird?“

von Dagmar Herrmann

Die Gedanken sind frei

Erfahrungsbericht von Dagmar Herrmann

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Erfahrungsbericht von Dagmar Herrmann Erfahrungsbericht von Dagmar Herrmann

Sie ist wieder ganz da, ganz wach, alle Sinne sind gespannt, es schmerzt, aber tut gut, wieder da zu sein. „Die Gedanken sind frei, auch die un-bequemen, solange man sie für sich behält. Den Hofnarren der Moder-ne, Freaks, Clowns und Komikern, ist es gestattet, zur allgemeinen Belus-tigung bis zu einem gewissen Grad ungestraft Kritik zu üben. Menschen, die ernsthaft Missstände benennen, Forderungen stellen, sich nach einer besseren, gerechteren Welt sehnen, werden ausgegrenzt und abfällig rea-litätsferne, naive Gutmenschen, Träu-mer und Spinner genannt. Menschen werden einsam, weil sie ihre Umwelt verstören mit ihrem offensichtlichen Verlangen nach Liebe und Anerken-nung, das vielleicht der Schlüssel zu allem ist. Vermisst du sie in der Kind-heit und Jugend, wirst du sie immer vermissen.“ Elena flüstert:„Die Gedanken sind frei. Ich denke,

was ich will . . . doch alles in der Still’ . . . und wie es sich schicket.“ Sie lacht lautlos ein bitteres Lachen. Sie krallt die Finger in das Laken, reißt am Betttuch, strengt sich an, weiter zu denken:„Es gibt solche, die wollen sich nicht abfinden und nicht abfinden lassen. Sie haben eine Wut im Bauch, die so elementar ist, dass ihnen alles egal ist. Sie schmeißen Scheiben ein, setzen Autos in Brand, radikalisieren sich.

Sie machen es der Gesellschaft leicht, ein Urteil zu fällen, und es gibt einen Schuldspruch.Doch was passiert den Friedlichen, die nur lautlos schreien, sich nur selbst verletzen, die am Leben zer-brochen sind, die die sogenannte Re-alität leugnen, mit der sich die an-geblich Normalen so gerne brüsten? Gott ist mein Zeuge, ich habe ver-sucht, mich zu schicken, doch da-durch ist alles noch viel schlimmer geworden.“

Ihr Kopf sinkt zur Seite, sie dämmert erneut vor sich hin.Elena ist am Ende. Sie hat niemals jemanden etwas zuleide getan, nur sich selbst. Ihr Leben war von Anbe-ginn ein dorniger Pfad. Nun ist von ihr nur eine an Herz, Seele und Kör-per narbenübersäte Hülle geblieben. Als ein barmherziger Samariter Bild: Dagmar Herrmann

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IRRTURM-RedaktionErfahrungsbericht von Dagmar Herrmann

sie dringen Lichtstrahlen, malen im Wechselspiel parallel laufende, helle und dunkle Linien an die Wand. Elena wartet. Sie weiß jetzt, sie wird IHNEN für immer entkommen. Sie kennt eine sichere Methode. SIE werden ihr nie wieder etwas anhaben können. Es ist ihr freier Wille. Das ist ein guter Gedanke und macht sie ganz ruhig. – Ja, die Gedanken sind frei.

Der blonde Jüngling kommt mit den blauen Pillen. Sie schluckt sie folg-sam. „Braves Kind“, sagt er.Sie lächelt ganz sanft zu ihm empor.

tüchtigen, die psychisch Auffälligen, wie es heißt, am eigenen Leibe. Ihr wird der letzte Rest von Stolz und Würde genommen. Elena ist wieder ganz bei sich, als sie ihren Gedankengang wieder aufnimmt:„Soll so das unvollendete Werk der Eltern und Erzieher vollendet wer-den? Sie hielten es wahrscheinlich für ihre Pflicht, mich und meinesglei-chen auf die unerbittliche Härte des Lebens vorzubereiten. Bei der Aus-wahl der Mittel und Methoden waren sie nicht gerade zimperlich. Die Er-ziehung zu Gehorsam und Unterord-nung durch Brechen des Willens und Vernichtung des Eigensinns mach-te auch vor seelischen und körperli-chen Grausamkeiten nicht halt, aber sie meinen es ja nur gut.“Elenas Verstand weigert sich, sich an Einzelheiten zu erinnern. Sie starrt gegen die kalkweiße Decke. Oben ist ein Fenster, durch die Jalou-

sie von den Schienen hob, auf de-nen sie sich zur ewigen Ruhe legen wollte, wurde sie mit der Ambulanz fortgebracht. Als sie sich in einem letzten Aufbe-gehren wehrte, hat man sie festge-schnürt wie ein Paket. Eine Weile hat sie noch gezappelt, gestrampelt und geschrien, an den Fesseln ge-zerrt, sich aufgebäumt. Erst nach ei-ner Spritze gab sie Ruhe. Jetzt sorgen Leute für sie. Fremde kommen und gehen, sehen auf sie hinab, verabrei-chen ihr Pillen und weitere Spritzen. Die helfen, haben sie gesagt, bald geht es dir besser, bald bist du ganz ruhig. Ein netter blonder Jüngling hat ihre Hand getätschelt. Sie erschrak, gerät in Panik, aber es bleibt bei der Berüh-rung der Hand. Elena weiß nicht, ob sie Stunden oder Tage festgebunden liegt. Sie ge-hört nun zu den Ausgelieferten, sie erfährt die Strafe für die Lebensun- Foto: Andrea Damm, pixelio.de

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IRRTURM-RedaktionErfahrungsbericht von Dagmar Herrmann

Foto: Jürgen Schäfer

Der ist ein seit 1988 be-stehendes professionell begleitetes Forum für Menschen mit psychischer Erkrankung und Krisenerfahrung. Wir ermöglichen Betroffenen ihre Erfahrungen schriftlich und künst-lerisch darzustellen. Die Texte und Bilder werden in einem Buch, das selbst erstellt und vertrieben wird, veröffentlicht. Die Redaktion arbei-tet selbstbestimmt und ohne institu-tionelle Vorgaben.

Wir freuen uns über jede Spende!Spendenkonto:Sparkasse BremenBLZ 29050101Konto: 1163724

⊲ Wir machen öffentlich, was Men-schen durch Psychiatrie und/oder psychische Erkrankung erfahren. ⊲ Die besondere Perspektive, die durch seelische Verletzung entsteht, findet hier ein Sprachrohr. ⊲ Die gesellschaftlichen Vorurtei-le gegenüber Menschen mit psychi-scher Erkrankung können hier bear-beitet werden.⊲ Wir möchten gemeinsam an The-men arbeiten, die uns unter den Nä-geln brennen.⊲ Wir möchten kritisch über das psychiatrische Hilfesystem berich-ten, Personen interviewen, die über die Versorgung in Bremen etwas in-teressantes zu sagen haben.

⊲ Ängste und Vorurteile in unserer Gesellschaft abbauen. ⊲ Die Lobby der NutzerInnen in der Öffentlichkeit stärken und weiter entwickeln. ⊲ Eine lebendige Diskussion über Psychiatrie und psychische Erkran-kung anregen und aufrecht erhalten.

Wer wir sind Was wir machen Unsere Ziele

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ZwangsweiseZwangsweiseZwangsweise Zwangsweise Zwangsweise Zwangsweise Zwangsweise Zwangsweise Zwangsweise Zwangsweise Zwangsweise Zwangsweise Zwangsweise ZwangsweiseZwangsweise ZwangsweiseZwangsweise

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