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    Reader zumTranshumanismus

    De:TransDeutsche Gesellschaft

    furTranshumanismus

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    Reader zum Transhumanismus

    Wurzburg, Marz 2005

    De:Trans: Deutsche Gesellschaft fur Transhumanismus e. V., Berlin

    http://www.detrans.de

    Umschlaggestaltung: Silvia Mathwig, Halle

    Satz: Klaus Mathwig, Wurzburg, gesetzt mit LATEXund dem KOMA-Script Paket

    http://www.detrans.de/
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    Inhaltsverzeichnis

    1 Zu diesem Reader 5

    2 Transhumanismus was ist das? 7

    3 Eigentumlich frei: Die Transhumanisten 13

    4 Transvision 2004: Technik und Kunst in Kanada 21

    5 Die Philosophie des Transhumanismus 33

    6 Die Position zum Klonen 37

    7 Nanotechnologie 45

    8 Kryonik 53

    9 Uploading 61

    10 Fragen und Antworten 69

    11 J. Hughes: Die politische Dimension des Transhumanismus 83

    12 Julian Huxley: Transhumanismus 103

    13 The Ultimate Resource 2 109

    A Die Transhumanistische Erklarung 113

    B Literaturliste 115

    C Wichtige Organisationen und Personen 119

    D Glossar 123

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    1 Zu diesem ReaderAngeregt durch einen Artikel in der Zeitschrift ct fuhren im Sommer 1998 eini-

    ge Deutsche nach Amsterdam zur TransVision, der ersten Konferenz europaischer

    Transhumanisten. Ende 1998 wurde De:Trans gegrundet, um auch im deutschspra-

    chigen Raum ein Forum fur den Transhumanismus zu schaffen. De:Trans hat sich

    als Aufgabe gestellt, die Moglichkeiten und Visionen, die sich aus dem technischen

    Fortschritt fur die Menschheit ergeben, zu diskutieren und in die Offentlichkeit zu

    bringen.Dieser Reader richtet sich vor allem an Neumitglieder von De:Trans und andere

    am Transhumanismus interessierte. Er soll eine Einfuhrung in die transhumanisti-

    schen Ideen und Visionen geben. Der Text

    Transhumanismus was ist das? bietet

    eine erste Ubersicht. Der Bericht von der Transvision 2004 und das Interview mit

    einem der Autoren (TN) geben einen Einblick in die Vielfaltigkeit der Bewegung

    und ihrer Akteure. Nach einem kurzen Text zur Philosophie des Transhumanis-

    mus folgt eine Einfuhrung in die wichtigsten transhumanistischen Technologien:

    Gentechnik und Klonen, Nanotechnologie, Kryonik und Uploading sind jeweils

    mit einem Artikel vertreten. Mit einer Auswahl von Fragen und Antworten aus derFAQ-Liste werden wichtige Einzelthemen angesprochen. Die drei folgenden Texte

    befassen sich mit politischen Aspekten des Transhumanismus. Der Reader schliet

    mit einem Glossar und einer Liste der wichtigsten Personen und Organisationen.

    Insbesondere die Literaturliste sei dem interessierten Leser ans Herz gelegt. Sie

    mag als Anfangspunkt fur die weitere Beschaftigung mit dem Thema dienen.

    Wir mochten uns herzlich bei allen Vereinsmitgliedern bedanken, die durch

    eigene Texte, Ubersetzungen oder Verbesserungsvorschlage zu diesem Reader

    beigetragen haben. Besonders danken wir Markus Dicks fur ausfuhrliches Korrek-

    turlesen und Silvia Mathwig fur die Gestaltung des Umschlags.

    Wurzburg und Bonn,

    im Marz 2005 Klaus Mathwig, Torsten Nahm

    Gundolf Freyermuth: Lust nach Laune und Leben ohne Ende (ct-Magazin 1997),

    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/2/2196/1.html

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    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/2/2196/1.html
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    2 Transhumanismus was istdas?

    1. Jedes auf rationalem Gebrauch von Wissenschaft, Technik, Krea-

    tivitat und anderen Mitteln basierende Denk- oder Aktions-

    schema, das menschliche Grenzen zu uberwinden sucht durch

    Verlangerung der maximalen Lebenserwartung, Erhohung der

    Intelligenz sowie physische und psychische Verbesserung desMenschen.

    2. Die geistige und kulturelle Bewegung, die sich, gleich dem

    Humanismus, fur menschlichen Fortschritt insbesondere durch

    Anwendung der Vernunft anstelle des Glaubens engagiert; sie un-

    terscheidet sich vom Humanismus darin, dass sie fundamentale

    Anderungen des menschlichen Wesens zum Besseren nachdruck-

    lich fur moglich und wunschenswert halt, beispielsweise durch

    Einsatz der Technik zur Eliminierung des Alterns und einer be-

    deutenden Erweiterung der intellektuellen, physischen und psy-chischen Kapazitaten des Menschen.

    Max More

    Der Wunsch des Menschen, seine ihm von der Natur in Form seiner biologischen

    Konstruktion gesteckten Grenzen zu uberwinden, ist wohl so alt wie das Denken

    selbst. Starker, schneller, intelligenter zu werden, als das naturlicherweise moglich

    schien, hat von jeher die Phantasie der Dichter beflugelt. Was jedoch zur Verwirk-

    lichung dieser Ziele fehlte, war zuallererst das Wissen um die Ursachen dieser Be-schrankungen. Im Streben nach Erklarungen der (menschlichen) Natur fullte man

    diese Lucke mit religiosen oder magischen Konzepten, die vordergrundig darauf

    abzielten, die Beantwortung diverser Fragen entweder durch Dogmen und Glau-

    benssatze zu ersetzen oder

    auf spater zu verschieben (z. B. Jenseits, unsterbliche

    Seele).

    Viele Menschen gaben sich damit jedoch nicht zufrieden, suchten ihre eigenen

    Antworten und trugen so Stuck fur Stuck den gewaltigen Erkenntnisschatz zusam-

    men, der die moderne Wissenschaft ausmacht. Der rasante Fortschritt der letzten

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    2 Transhumanismus was ist das?

    Jahrzehnte liefert uns nun ein immer detaillierteres Bild der Welt, die uns umgibt,

    und deren Bestandteil wir sind. Dies bringt uns von Tag zu Tag einem Teil des ur-

    alten Traums naher: wir beginnen zu verstehen, warum unsere Grenzen dort liegen,

    wo wir sie vorfinden. Wir begreifen die Gesetzmaigkeiten, nach denen auch wir,

    als Teil der Natur, konstruiert sind. Unsere Weltsicht gestaltet sich radikal um; der

    Mensch verliert seinen Platz als

    Krone der Schopfung und erweist sich einfach als

    (hochst komplexes) Produkt einer langen evolutionaren Entwicklung, die mit ein-

    fachsten zur Selbstreplikation fahigen Molekulen begann und gelenkt wurde (nicht

    in einem aktiven, zielgerichteten Sinn!) durch zufallige auere Umstande.

    Dies mag auf den ersten Blick als bedauerlich erscheinen und den Menschen sei-

    ner von vielen als

    gottgegebenangesehenen Sonderstellung berauben (und in der

    Tat haben die Kirchen erwartungsgema die groten ideologischen Probleme mit

    neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen). Transhumanisten hingegen sehen hierin

    unermessliche Chancen.Denn warum quasi einen Schritt vor dem Ziel stehenbleiben? Warum sich mit

    der

    reinen Erkenntnis der Zusammenhange in der Welt (besonders der biologi-

    schen) zufriedengeben? Wir beginnen zu verstehen, wie wir unsere Grenzen uber-

    winden konnen! Es wird uns moglich sein, den alten Menschheitstraum zu verwirk-

    lichen, uns geistig und korperlich zu verbessern, mit Hilfe von Wissenschaft und

    Technik die im Zuge der naturlichen Evolution entstandenen suboptimalen biolo-

    gischen Losungen durch eigene, unseren Vorstellungen entsprechende zu ersetzen.

    Der Mensch wird nicht mehr auf das blinde Spiel der Natur (d. h. der Gene) ange-

    wiesen sein und sich endlich frei entfalten konnen. Der Mensch wird seine eigeneEntwicklung steuern. Dies ist die Grundidee des Transhumanismus.

    Werkzeuge der Umgestaltung

    Worauf grundet sich der Optimismus, schon bald geeignete technologische Mit-

    tel zur Umgestaltung unserer selbst nach eigenen Designplanen zur Verfugung zu

    haben? Im folgenden seien einige der absehbaren oder heute schon anwendbaren

    Techniken und ihre potentielle Anwendung vorgestellt.

    Der Molekularbiologie haben wir eine der wohl wichtigsten Entdeckungen derMenschheitsgeschichte uberhaupt zu verdanken: die Entdeckung unseres eigenen

    Bauplans , der DNA. Sie stellt gewissermaen das Programm dar, nach dem al-

    le auf der Erde lebenden Wesen konstruiert sind. Erst dadurch ist es denkbar ge-

    worden, auf unsere biologische Konstitution grundlegenden Einfluss nehmen zu

    konnen. Wahrend sich der in der DNA gespeicherte Code uber einen langen Zeit-

    raum evolutionar, aber ziellos entwickelt hat, wird es uns durch seine Entschlusse-

    lung moglich, ihn zielgerichtet zu optimieren. Wir werden nicht nur in der Lage

    sein, den Code zu

    debuggen, d. h. unerwunschte Nebenwirkungen zu entfernen

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    und suboptimale Losungen zu verbessern, sondern auch, ganz neue Eigenschaften

    hinzuzufugen. Vorrangige Ziele durften etwa die Uberwindung von Krankheiten

    und Krebs sowie des Alterns sein; spater werden dann verbesserte Losungen fur

    von der Natur schlecht (d. h. nicht in unserem Sinne) ausgefuhrte Konstruktionen

    angedacht werden. Dies ist Aufgabe der Gentechnik, die sich mit der Beeinflussung

    des Erbmaterials im Zellkern beschaftigt, u. a. zum Zwecke der Hervorbringung

    neuer Eigenschaften an biologischen Organismen. Erste Erfolge bei Pflanzen und

    Tieren geben Anlass zu der Hoffnung, dass der noch weitverbreitete ideologische

    Widerstand gegen solche Manipulationen am Erbmaterial des Menschen schwindet,

    sobald der ungeheure Nutzen dieser Technik praktisch sichtbar wird. Denkbar sind

    hier nicht nur Eingriffe in die Keimbahn des Menschen (sog. Reprogenetik), die zu

    dauerhaften vererbbaren Veranderungen des genetischen Materials in den Keimzel-

    len fuhren (und damit langfristig moglicherweise zu einer Veranderung der gesam-

    ten Art), sondern auch das Einbringen veranderter Gene in bestimmte Gewebe des

    entwickelten Organismus (sog. somatische Therapie) zum Zwecke der Heilung ge-

    netisch bedingter Krankheiten. Dies fuhrt auf das Feld der modernen Medizin, die

    von solcherart neuen Methoden zunehmend profitieren und Gesundheit weit besser

    als bisher erhalten bzw. wiederherstellen konnen wird.

    Eine ganz andere, aber nicht minder umwalzende Entwicklung vollzieht sich

    auf dem Gebiet der unbelebten Natur (obwohl die Grenze zwischen belebter und

    unbelebter Natur diffuser wird, worauf wir weiter unten noch zuruckkommen).

    Dank modernster physikalischer und chemischer Instrumentarien sind wir inzwi-

    schen in der Lage, einzelne Atome, die Bausteine der materiellen Welt, gezieltzu manipulieren. Dies eroffnet uns die grandiose Vision einer molekularen Na-

    notechnologie, durch die wir imstande sein werden, die Materie Atom fur Atom

    mit Hilfe nanometergroer Maschinen (sog. Assembler) nach unseren Vorstellun-

    gen umzubauen. Unser Leben wird sich dadurch grundlegend verandern, denn die

    Anwendungsmoglichkeiten sind zahllos: abfallfreie und wirklich umweltschonen-

    de Produktion aller nur denkbaren Guter und Materialien (mit heute unerreichba-

    ren Eigenschaften), gezielte und wirkungsvolle Beseitigung von Abfallen und Um-

    weltschaden der gegenwartigen Industriegesellschaft, Einsatz in der Medizin zur

    Bekampfung von Krankheiten und Verbesserung korperlicher Eigenschaften aufZell- und Molek ulebene (!) etc.

    Und naturlich die Konstruktion von Computern, deren Rechenleistung um

    Groenordnungen uber der heute erreichbaren liegt. Was die (notwendige?) Ba-

    sis fur die Erschaffung k unstlicher Intelligenz legen wurde, an deren Entwicklung

    schon heute intensiv gearbeitet wird (mit teilweise beachtlichen Erfolgen man

    denke nur an Schachcomputer), die aber sicherlich weit hohere Verarbeitungska-

    pazitaten voraussetzt, als die besten Maschinen heute zu liefern vermogen. Ein auf

    mechanischer, elektronischer oder gar optischer Grundlage arbeitender

    Nanocom-

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    2 Transhumanismus was ist das?

    puter dagegen besae eine Speicherkapazitat, die die des menschlichen Gehirns

    (des groten Datenspeichers, den wir kennen) bei weitem ubertreffen konnte. Und

    dessen Verarbeitungsgeschwindigkeit bedeutend groer ware als die der auf Ionen-

    leitung beruhenden auerst langsamen biologischen Losung.

    Beste Voraussetzungen also, sowohl fur die Schaffung kunstlichen Bewusstseins

    (in Zusammenarbeit mit z. B. den Kognitionswissenschaften, die die Funktions-

    weise und Grundlagen des Bewusstseins am bisher einzigen konkreten Beispiel

    dem Menschen studieren), als auch, in einem ersten Schritt, fur die Erwei-

    terung und Verbesserung des menschlichen Geistes durch Kopplung des Gehirns

    an externe (oder implantierbare) Computer (mit Hilfe der Medizin), was zusatz-

    liche oder verbesserte Funktionalitat mit sich bringen wird. Den Abschied vom

    Menschsein im heutigen Sinne konnten wir spatestens dann konstatieren, wenn

    wir in der Lage waren, den menschlichen Geist (unsere Software) auf kunstlicher

    Hardware, auf Computern ausreichender Rechenleistung, ablaufen zu lassen (sog.Uploading). Wir waren dann dem alten Traum von Unsterblichkeit ein groes Stuck

    naher (Sicherungskopien des Gehirns machten dies moglich), und die Verbindung

    vieler einzelner Geister zu einem

    Super-Bewusstsein planetaren Mastabs ware

    der Beginn einer Intelligenz, die auf kosmischen Skalen agiert und nichts mehr ge-

    mein hat mit den denkenden Zweibeinern auf wassriger Basis, aus denen sie einst

    entstand. . .

    Diese Liste transhumanistischer Techniken ist naturlich nicht vollstandig.

    Erwahnenswert waren z. B. weiterhin: Designerdrogen zur chemischen Beeinflus-

    sung des Bewusstseins (im biologischen Gehirn) zur Intelligenzverstarkung undAnderung unerwunschter Gemutszustande; die Theorie komplexer Systeme, die be-

    schreibt, wie sich aus einfacheren Strukturen durch Selbstorganisation hoch ent-

    wickelte Einheiten wie das menschliche Bewusstsein entwickeln konnen; wahrend

    die Evolutionstheorie beschreibt, wie sich diese Systeme in Wechselwirkung mit-

    einander und mit der Umgebung weiterentwickeln; Memetik, beschreibt die Evolu-

    tion von Ideen im Umfeld informationsverarbeitender Systeme (z. B. Gehirn); die

    Raumfahrt, von der letztlich eine Losung fur das Problem der begrenzten Entwick-

    lungskapazitaten der Menschheit auf ihrem Heimatplaneten durch Nutzbarmachen

    anderer Planeten erhofft wird; viele weitere lieen sich aufzahlen oder werden sichin Zukunft als nutzlich erweisen.

    Moralische Bedenken?

    Transhumanismus propagiert nicht weniger als die mogliche totale Umgestaltung

    der menschlichen Art, die selbstgesteuerte Evolution. Naturlich gibt es viele Men-

    schen, auf die diese Gedanken unnaturlich und erschreckend wirken. Meist basiert

    das auf (religiosen) Vorurteilen oder einseitig negativer Erwartungen bezuglich der

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    Folgen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.

    Ist z. B. das Streben nach Uberwindung des gegenwartigen menschlichen Zu-

    standes

    unnaturlich? Man muss sich klar machen, dass die Grenzen des Begriffs

    naturlich flieend sind. Sieht man den Menschen als Teil der Natur an, so kann

    man mit Berechtigung auch alles, was er erschaffen hat, als Teil der Natur anse-

    hen. Wo liegt der prinzipielle Unterschied zwischen einem zur Replikation fahigen

    DNA-Molekul und einer selbstreplizierenden Nanomaschine, die von Menschen-

    hand geschaffen wurde?

    Und ist alles im klassischen Sinne

    naturliche unbedingt positiv? Erstens

    bekampfen die Menschen von jeher Krankheiten und andere Unannehmlichkei-

    ten. Sobald sich eine neue Technik als wirkungsvoll und das Lebensniveau ver-

    bessernd erwiesen hat, wird sie allgemein akzeptiert, und niemand fragt mehr da-

    nach, ob z. B. Organtransplantationen, Empfangnisverhutung oder IVF (In-Vitro-

    Fertilisation) naturlich sind oder nicht. Zweitens verlauft die naturliche Evolution

    nicht zielgerichtet (schon gar nicht

    zum Wohle des Menschen), sondern vollig

    zufallig und blind. Warum sollen wir unser Schicksal in dieser Hinsicht (als Art)

    dem Zufall uberlassen, wo wir es doch bei anderen Gelegenheiten mit allen Mitteln

    zu unseren Gunsten zu beeinflussen versuchen?

    Jeder, der angesichts des Transhumanismus den

    moralischen Zeigefinger hebt,

    sollte sich seiner wirklichen Beweggrunde dafur im Klaren sein und sich bewusst

    machen, dass Ethik und Moral geschichtlich gewachsene Komplexe von Uberzeu-

    gungen und Lebensregeln sind, die fur bestimmte auere (und innere) Umstande

    Geltung beanspruchen konnen. Andern sich diese Umstande, wie im Falle desUbergangs vom menschlichen zum trans- oder sogar posthumanen Zustand, so wer-

    den sich fruher oder spater auch die Anschauungen der Allgemeinheit andern. Wie

    schnell dies vonstatten geht, hangt von Erziehung und Lebensphilosophie jedes Ein-

    zelnen ab.

    Der Transhumanismus vollzieht schon heute diese Ver anderungen und bef urwor-

    tet deren Verwirklichung. Transhumanisten sind somit in idealer Weise auf zukunf-

    tige Entwicklungen vorbereitet.

    FRANK PRENGEL, TORSTEN NAH M

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    3 Eigentumlich frei: DieTranshumanisten

    Unsterblich werden und unter Wasser atmen konnen? Alles nur Science-Fiction?

    Interview mit Torsten Nahm, aus

    eigent umlich frei (Nr. 29, 2002)

    ef: Herr Nahm, konnen Sie kurz die Ziele und Kernaussagen des Transhu-

    manismus erlautern?

    Nahm: Transhumanisten sind der Uberzeugung, dass die Technik unsere Le-

    bensgrundlagen in Zukunft radikal verandern wird. Insbesondere wird der Mensch

    seine biologischen Grenzen hinter sich lassen, etwa durch Verschmelzung mit

    dem Computer.

    De:Trans als Verein mochte dazu beitragen, unsere Gesellschaft

    auf diese Veranderungen vorzubereiten und fruhzeitig Diskussionen uber die

    Technologien der Zukunft anzustoen. Fur uns ist die Technik der entscheidende

    Faktor, der dazu gefuhrt hat, dass wir heute selbstbestimmt leben konnen und

    nicht mehr in Lehmhutten hausen und stundenlang mit der Hand Getreidekornermahlen mussen. Wir wollen dazu beitragen, dass sich die personlichen Freiheiten

    und Moglichkeiten aller Menschen zur Selbstverwirklichung auch in Zukunft

    kontinuierlich erweitern.

    ef: Personliche Freiheit und Moglichkeiten zur Selbstbestimmung sind ja

    such das Ziel der Libertaren. Sehen Sie Anknupfungspunkte zwischen Transhuma-

    nismus und Libertarismus?

    Nahm: Wie der Name schon andeutet, sieht sich der Transhumanismus inder Tradition des Humanismus. Es ist unser Ziel, dass jeder Mensch sich nach sei-

    nen personlichen Neigungen und Fahigkeiten verwirklichen kann und frei ist von

    aueren Zwangen. Solche Zwange konnen biologischer Natur sein: Krankheiten

    konnen unseren Moglichkeiten enge Grenzen setzen, aber Ich wurde auch der Alte-

    rungsprozess oder als unwichtigeres Beispiel die Tatsache, dass ich nicht unter

    Wasser atmen kann, als zu uberwindende Einschrankung sehen. Andere Zwange

    erwachsen aus der gesellschaftlichen und insbesondere staatlichen Regulierung, die

    viele Transhumanisten ebenso abschaffen wollen. Die amerikanischen Extropianer

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    3 Eigent umlich frei: Die Transhumanisten

    als prominenteste Organisation innerhalb der Transhumanisten sind ganz klar

    libertar ausgerichtet. Es besteht also eine Affinitat zwischen Transhumanisten und

    Libertarismus. Es gibt aber auch Transhumanisten, die den Staat fur notwendig

    halten, um einen gesellschaftlichen Rahmen zu garantieren, der die Vorteile

    technischen Fortschritts moglichst der ganzen Bevolkerung zukommen lasst. Sie

    wurden sich hochstens eine gewisse Lockerung der staatlichen Einschrankungen

    oder Forschung wunschen.

    ef: Eines der wichtigsten Prinzipien

    des Libertarismus, wenn nicht sogar

    das wichtigste, ist das Selbsteigentum,

    also das Prinzip, dass jeder Mensch

    Eigentumer seines eigenen Korpers ist.

    Ist die Anerkennung dieses Prinzips

    nicht eine Voraussetzung fur das vonIhnen angesprochene Ziel der Transhu-

    manisten,

    dass jeder Mensch sich nach

    seinen personlichen Neigungen und

    Fahigkeiten verwirklichen kann und frei

    ist von aueren Zwangen ?Transhumanistische Kunst von

    Nanogirl Gina Miller

    Nahm: Die Selbstbestimmung uber den eigenen Korper ist fur Transhumanisten

    sehr wichtig. Es gibt schon heute verschiedene Wirkstoffe und Praparate, die

    versprechen, die korperliche und geistige Leistungsfahigkeit zu steigern undden Alterungsprozess zu verlangsamen. Viele davon sind aber in unserem Land

    nicht zugelassen. Es ist abzusehen, dass mit den Moglichkeiten der Zukunft, wie

    genetischer Veranderung oder Korperengineering, Transhumanisten noch viel mehr

    durch die Gesetzeslage eingeengt und an der Verwirklichung ihrer Ziele gehindert

    werden. Daher fordern viele Transhumanisten eine weitgehende Liberalisierung.

    Es gibt aber auch Transhumanisten, fur die ein gesellschaftlicher Konsens wichtig

    ist, und die wollen, dass die Handlung der Einzelnen auch an sich selbst einer

    gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen.

    ef: Wie sieht denn der Beitrag der gemeinnutzigen Vereins

    De:Trans zur

    Erweiterung der menschlichen Moglichkeiten konkret aus?

    Nahm: Der Transhumanismus ist im Kern eine politisch-soziale Bewegung.

    Als solche sehen wir es als unser Hauptziel an, die Gesellschaft uber die tech-

    nischen Moglichkeiten de Zukunft zu informieren. Wir werben dafur, dass es

    www.foresight.org/Nanomedicine

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    http://www.foresight.org/Nanomedicine
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    jedem Menschen moglich ist, diese Technologien fur sich einzusetzen, um seine

    Fahigkeiten zu erweitern und seine biologischen Grenzen zu uberwinden. Naturlich

    diskutieren wir im Verein auch uber Transhumanismus und Technik, und einige

    von uns sind selbst in de Forschung aktiv.

    ef: Wie wird man eigentlich zum Transhumanisten? Wie sind Sie selber dar-

    auf gekommen?

    Nahm: Hier geht es mir wie vielen anderen Mitgliedern unseres Vereins: Ich

    war eigentlich schon immer Transhumanist, nur dass Ich lange nicht wusste, dass

    es dafur auch einen Namen gibt. Die Begeisterung fur die Moglichkeiten der

    Technik und die Uberzeugung, durch Wissenschaft und Technik eine bessere Welt

    schaffen zu konnen, trage Ich auf jeden Fall schon lange in mir.

    ef: Viele gestehen zu, dass technischer Fortschritt zu mehr Freiheit und Wohlstand

    gefuhrt hat und noch fuhren wird, halten aber dennoch viele Ziele der Transhu-

    manisten fur allzu utopisch und von einer naiven Technikeuphorie beseelt. So

    sprechen manche Transhumanisten nicht nur von der Verlangerung menschlichen

    Lebens durch medizinischen Fortschritt, sondern von dem Erreichen der

    Unsterb-

    lichkeit, was vielen Kritikern unserios vorkommt. Und auch die

    Verschmelzung

    des Menschen mit dem Computer klingt fur viele nach Science-Fiction. Was sagen

    Sie solchen Kritikern?

    Nahm: Es ist klar, dass, wenn Transhumanisten an die Offentlichkeit treten,

    vor allem die plakativen Schlagworter haften bleiben. Tatsachlich bewegt sich die

    Debatte innerhalb der Transhumanisten auf einem wesentlich hoheren Level. So

    wird Unsterblichkeit als

    relative Unsterblichkeit in Verknupfung mit Uploading,

    der Ubertragung von Information vom Gehirn auf den Computer, diskutiert, und

    zur Integration des Computers in unser Leben existieren ernsthaft Konzepte. Wenn

    unsere Vorstellungen wie Science-Fiction klingen, mochte Ich jedoch dagegen

    halten, dass die Wirklichkeit einen Teil der Science-Fiction aus den Anfangen des

    20. Jahrhunderts langst uberholt hat. Andererseits ist die Zukunft extrem schwerzu erahnen, und so handelt es sich bei vielen transhumanistischen Diskussionen

    sicherlich um wilde Spekulationen. Es ist aber wichtig, diese Diskussionen

    trotzdem schon zu fuhren. Es war fur uns erschreckend, wie unvorbereitet die

    Weltoffentlichkeit vom Klonieren von Saugetieren Dolly uberrascht wurde. Wir

    wollen versuchen, zumindest ein Bewusstsein fur die Technologien zu wecken, die

    auf uns zukommen werden. Und wenn wir auch nicht genau wissen, wie, so sind

    wir doch sicher, dass der Menschheit gewaltige Umwalzungen bevorstehen.

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    3 Eigent umlich frei: Die Transhumanisten

    ef: Wie stellen Transhumanisten sich den Vorgang des

    Uploading vor?

    Nahm: Fur Transhumanisten ist das Gehirn nichts anderes als ein hochkom-

    plexer Computer, der uber elektrische Nervenimpulse unser Denken realisiert.

    Daher musste es prinzipiell moglich sein, einen elektronischen Computer zu bauen,

    der das Gehirn einer Person komplett simuliert, indem alle in den Neuronen ab-

    gelegten Informationen auf den Computer ubertragen werden. Diese Ubertragung

    bezeichnet man als

    Uploading. Die meisten Transhumanisten sind uberzeugt,

    dass es mit schnellen Rechnern und genugend guter und feinkorniger Simulation

    moglich ist, ein Upload zu konstruierten, das sich genau wie die ursprungliche

    Person verhalt. Es ist aber noch ungeklart, ob das Upload auch Bewusstsein hatte.

    Durch das Uploading ergaben sich vollig neue Moglichkeiten. So unterliegt ein

    Upload nicht mehr dem biologischen Altern des Hirns und des restlichen Korpers,

    ein Upload wurde also wahrscheinlich sehr lange oder sogar unbegrenzt leben. Es

    wurde in einer virtuellen Welt existieren, die es beliebig verandern konnte, so wie

    Ich heute in einem Level Designer eines Computerspiels bin. Es konnte aber auch

    die Software seines eigenen Gehirns direkt verandert werden, um etwa psychische

    Erkrankungen zu heilen. Hier ergibt sich naturlich ein groes Gefahrenpotenzial

    der Manipulation.

    ef: Neben dem Kampf gegen die zeitliche Begrenzung des menschlichen Le-

    bens scheint es ja auch der Weltraum den Transhumanisten angetan zu haben.

    Glauben Sie, dass die Zukunft der Menschheit auerhalb der Erde liegt?

    Nahm: Ich hoffe, dass es schon bald moglich sein wird, den Weltraum zu

    erforschen und die Erde zu verlassen. Insbesondere die Entdeckung auerirdischen

    Lebens wurde ganz neue Horizonte fur die Menschheit eroffnen. Die Erforschung

    des Weltraums wird aufgrund der gigantischen Distanzen besonders von den trans-

    humanistischen Technologien profitieren. Ein Beispiel: Als Upload kann Ich die

    vielen Jahre oder Jahrzehnte einer interstellaren Reise in Sekunden uberbrucken,

    indem ich einfach meine Gedankenprozesse vorubergehend einfriere, vergleichbar

    mit dem Stand-by-Modus eines Computers. Ich konnte sogar 1000 Kopien von mirmachen, die jeweils ein anderes Sonnensystem erforschen, und nachher alle ihre

    Erfahrungen wieder zu einer Person zusammenschmelzen lassen.

    ef: Viele Vorstellungen des Transhumanismus, wie der Wunsch nach Uns-

    terblichkeit, finden sich in anderer Form auch in religiosen Glaubenssystemen. Wie

    ist das Verhaltnis des Transhumanismus zur Religion? Ist der Transhumanismus ein

    Ersatz fur Religion? Steht er Religion prinzipiell feindlich gegenuber? Oder ist er

    mit Religionen wie dem Christentum, dem Islam oder dem Buddhismus vereinbar?

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    Nahm: Ich glaube, die Frage ist falsch ge-

    stellt: Fur mich ist Religion ein schlechter

    Ersatz fur Transhumanismus. Dass bei-

    de das Thema Sterblichkeit beruhren, hat

    einfach damit zu tun, dass uns Men-schen dieses Thema sehr beruhrt und

    uns seit Anbeginn der bekannten Ge-

    schichte beschaftigt. Im Gegensatz zu

    den Versprechungen der Religion bietet

    der Transhumanismus aber tatsachliche

    Losungsmoglichkeiten zur Verlangerung

    menschlichen Lebens und menschlicher

    Gesundheit. Dass die Lebenserwartung

    sich in den letzten 200 Jahren in Deutsch-land mehr als verdoppelt hat, ist dem tech-

    nischen Fortschritt zu verdanken und nicht

    Transhumanistische Kunst von

    Nanogirl Gina Miller

    dem Glauben und Religion. Als aufklarerische Weltanschauung in der Tradition

    des Humanismus steht der Transhumanismus der Religion aber grundsatzlich

    kritisch gegenuber, und tatsachlich sind fast alle Transhumanisten Atheisten.

    ef: Gibt es f ur ein unsterbliches Individuum eigentlich noch einen Grund,

    sich fortzupflanzen? Wird es in einer Welt ohne Tod noch Fortpflanzung geben?

    Nahm: Das wird naturlich jedem einzelnen uberlassen bleiben. Aber es ist

    ja heute schon so, das ein wesentlicher Teil des Elterndaseins die Freude daran ist,

    ein junges Wesen heranwachsen zu sehen und dessen Entwicklung begleiten zu

    konnen. Dass diese Freunde auch unabhangig von genetischer Notwendigkeit ist,

    zeigt sich schon daran, dass viele Eltern Kinder adoptieren. Auerdem ist es sicher

    wunschenswert, immer neue und frische Ansichten der Welt zu bekommen, von

    Kindern, die in die Zukunft hineinwachsen. Der ganze Weltraum steht und offen,

    so dass Ich mir keine Sorgen wegen

    Uberbevolkerung mache.

    ef: Hat es Falle in der BRD oder anderen Landern gegeben, in denen Trans-

    humanisten nicht nur mit Vorurteilen in der Offentlichkeit zu kampfen hatten,

    sondern sich auch direkter staatlicher Repression ausgesetzt sahen?

    Nahm: Der wohl spektakularste Fall waren die polizeilichen Manahmen

    www.foresight.org/Nanomedicine

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    http://www.foresight.org/Nanomedicine
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    3 Eigent umlich frei: Die Transhumanisten

    gegen eine Einrichtung fur Kryonik in den USA im Jahre 1987, der so genannte

    Dora Kent Case.

    ef: Moment: Was ist

    Kryonik?

    Nahm: Bei der Kryonik werden Menschen nach ihrem Tod bei -200 C auf-

    bewahrt, in der Hoffnung, sie in der Zukunft wiederbeleben zu konnen. In dem

    genannten Fall wurde eine so genannte Neurosuspension durchgefuhrt, es wurde

    also nur der Kopf abgetrennt. Viele Patienten wahlen diesen Weg, da das Gehirn

    allein der Sitz der Personlichkeit und der Erinnerung ist. Ihr Korper dagegen

    ist austauschbar und durfte in der Zukunft leicht regenerierbar oder durch einen

    verbesserten ersetzt werden konnen. Es ging im

    Dora Kent Case darum, dass

    der Patientin Barbiturate verabreicht wurden; der Streit dreht sich darum, ob

    diese zu einem beschleunigten Sterben der Patientin gefuhrt hatten. Es wurde eine

    Autopsie angeordnet und am Korper (ohne Kopf) von Dora Kent durchgefuhrt.

    Ihr Kopf war zu diesem Zeitpunkt schon in kryonischer Suspension, und der

    Leichenbeschauer wollte diesen ebenfalls autopsieren, was Alcor, das beauftragte

    Kryonikunternehmen, erfolgreich verhindern konnte. Der Hintergrund war wohl,

    dass es einen schwelenden Konflikt zwischen dem Leichenbeschauer und Alcor

    gab; dies wei Ich aber nur vom Horensagen. Weil sich Alcor weigerte, wurde

    eine Hausdurchsuchung durchgefuhrt, einiges an Ausstattung beschlagnahmt und

    Mitarbeiter vorubergehend festgenommen. Es war Gluck und gute Planung des

    Personals, die verhinderten, dass die Korper auftauten und unwiederbringlichgeschadigt worden waren?

    ef: Wird Dora Kent je wieder zum Leben erweckt werden?

    Nahm: Nun, es ist nicht klar, ob Personen in kryonischer Aufbewahrung tatsachlich

    wiederbelebt werden konnen, oder ob trotz der eingesetzten Schutzmanahmen

    die Gewebeschadigungen so gro sind, dass sie selbst eine fortgeschrittene Nano-

    technik nicht beheben konnte. Falls die Wiederbelebung aber moglich ist, hatte die

    polizeiliche Aktion, die auf Unkenntnis und einer einschrankenden Gesetzeslageberuhte, eine fahrlassige Totung Dutzender Personen zur Folge haben konnen. Es

    ist leider auch bei uns der Fall, dass solche Rechtsunsicherheiten und staatliche

    Befugnisse immer wieder Forschung behindern oder von vornherein unmoglich

    machen. Man denke nur an die Diskussion uber den Einsatz embryonaler Stamm-

    zellen hier in der BRD.

    ef: Ich hatte Sie gebeten, an unserem kleinen Online-Spiel

    Staaz-O-Meter

    (freiheitsforum.de) teilzunehmen ...

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    Nahm: Aha, war ja ganz lustig. Ob ich mit den Grunen als Partei allerdings

    zufrieden ware?!

    ef: Den Eindruck habe Ich eigentlich nicht. Jedenfalls bedanke ich mich

    herzlich fur das Gesprach!

    Das Interview f uhrte f ur ef Ulrich Wille.

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    4 Transvision 2004: Technik undKunst in Kanada

    Die diesjahrige Transvision fand in Toronto, Kanada, statt und stand unter

    dem Motto Art and Life in the Posthuman Era. Entsprechend gesellten sichzu dem ublichen Programm von Vortragen uber die Technik der Zukunft

    etliche kunstlerische Vortrage und Exponate: Wahrend die posthumane Be-

    deutung der ausgestellten fluoreszierenden Brieftaschen unklar blieb, zeigte

    der australische Performance-Kunstler Stelarc ansprechend den spielerischen

    Umgang mit korperlicher Modifikation und Technik, etwa mit einer uber

    die Bauchmuskeln gesteuerten mechanischen dritten Hand. Und womoglich

    tragt gerade dieser konkrete Umgang mit Technik mehr zur Rezeption des

    Transhumanismus bei als die geballte Abstraktion der technischen Vortrage,

    die wie ublich von den Gefahren der Nanotechnologie bis zum Leben am Endeder Zeit reichten.

    Mit 100 Teilnehmern war die Transvision 2004 zwar etwas kleiner als die Trans-

    vision 2003 in den USA, aber deutlich groer als die europaischen Transvisions

    fruherer Jahre. Eroffnet wurde die Konferenz am Freitagabend mit einem Gruwort

    von Robert Logan, einem Professor an der Universitat von Toronto. Er war anwe-

    send fur das Marshall McLuhan Programm, einen der Sponsoren der Konferenz.

    Nachdem er sich erstmal mit dem Publikum identifizierte (I am one of you), mitder merkwurdigen Begrundung, dass er einen Kurs

    Die Schonheit der Physik (kei-

    ne Mathe-Kenntnisse erforderlich) unterrichte, stellte er Marschall McLuhan und

    seine Gedanken vor. Weitergehende Erkenntnisse waren aus dem Vortrag nicht zu

    gewinnen, auer dem Verdacht, dass er gar nicht richtig wusste, wen oder was er

    da sponsort. Die Teilnehmer nahmen es gelassen und dankten mit hoflichem Ap-

    plaus. Immerhin stellte die Universitat der Konferenz nicht nur ein paar Raume fur

    die Vortrage ab, sondern sorgte auch fur ein eingespieltes technisches Team, dass

    Tonaufzeichnungen aller Vortrage produzierte.

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    4 Transvision 2004: Technik und Kunst in Kanada

    Steve Mann lasst den Geek raushangen

    Gloggen mit Cyborg Steve

    Das eigentliche Programm begann mit der Keynote des

    bedeutendsten Cyborgs

    Steve Mann, der wie kein anderer sowohl die technischen wie die kunstlerischen

    Aspekte der Konferenz in sich vereinte. Steve Mann, ein Professor an der Univer-

    sitat von Toronto, experimentiert seit vielen Jahren mit verschiedenen Implantaten

    und tragbaren Computern. Sein momentanes Projekt ist die so genannte

    mediated

    reality. Im Gegensatz zur reinen

    augmented reality soll damit betont werden,

    dass die Realitat nicht nur erganzt, sondern transformiert wird. Dazu benutzt Mannein ausgeklugeltes System: Eine Kamera folgt seinem Blick, und gibt die Bilder

    in Echtzeit an einen Computer weiter. Der Computer verandert den Videostrom je

    nach Aufgabe und gibt ihn uber ein Head-Mounted-Display an den Benutzer wei-

    ter. Dadurch empfangt die Retina ein komplett vom Computer verarbeitetes Bild.

    Gezeigt wurde eine Demonstration, wo etwa die Kontraste des Bildes verstarkt wur-

    den. Ebenso konnte etwa nervige Plakatwerbung durch Informationen der Naviga-

    tionssoftware oder (als kleine Spielerei) durch eine X11-Shell ersetzt werden.

    Wie das aussieht, konnten die Zuhorer live verfolgen: wahrend des ganzen

    Abends war ein Echtzeit-Video auf der Leinwand zu sehen, dass die Welt aus derPerspektive Steve Manns zeigte. Dazu wurde das Signal seiner Headcam auf einen

    Beamer durchgeschleift und auf die Leinwand projiziert. So konnte man sehen, wie

    Mann wahrend der Grurede Logans etwas gelangweilt auf seinem Zeichenblock

    malte, und nachher, wie er seinen Laptop wahrend des Vortrags bediente. Wahrend

    dieses Echtzeit-Video am Anfang befremdlich wirkte, konnte man ihm nach und

    nach mehr Nutzen abzugewinnen. Es war viel plastischer, direkt die Intentionen

    Steve Manns zu erschlieen, indem man sie durch seine Augen sah, als ihn nur von

    auen und aus betrachtlicher Entfernung zu beobachten. Als das Echtzeit-Video

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    Sousveillance, oder: Jetzt uberwache ich dich auch

    kurzzeitig fur eine andere Prasentation ausgeschaltet wurde, vermite man schon

    dessen zusatzliche Information. Wenn es nach Steve Mann geht, werden bald viele

    Menschen einen Live-Stream ihrer Headcam online stellen. Statt nur als Blogger

    im Weblog personliche Texte zu veroffentlichen, wurden diese Menschen zu so ge-

    nannten Cyborgloggern oder kurz Gloggern, die den ganzen Videostrom ihresLeben aus ihrer ganz personlichen Perspektive verfugbar machen.

    Ein zweiter Teil des Vortrags befate sich mit den kunstlerischen und subversi-

    ven Elementen von Steve Manns Schaffen. Wahrend die gezeigte Kunst zum Teil

    etwas zu technisch wirkte und auch sonst nicht auergewohnlich war, waren sei-

    ne gesellschaftspolitischen Ideen interessanter. So schlug er vor, der wachsenden

    allgegenwartigen Uberwachung (Surveillance) durch Videokameras eine demokra-

    tische Gegenbewegung (die von ihm benannte

    Sousveillance) entgegenzusetzen,

    in der jeder einzelne eine Videoaufzeichnung seiner Umgebung anfertigt, um sie

    als Beweismittel parat zu haben. Passend dazu zeigte er Sousveillance-Technologiein Form von Schmuck, wie z. B. die Sousveillance-Necklace, einer Kette mit einer

    Uberwachungskamera als Anhanger.

    Interessant fur die versammelten Transhumanisten war es sicher, hier einen der

    ersten echten Transhumanen vor sich zu haben. Denn statt nur uber die Moglich-

    keiten der Technik zu philosophieren, hat Steve Mann sein Leben dazu benutzt,

    die jeweils neuesten Computertechniken fur sich einzusetzen, um sich selbst, sei-

    ne Wahrnehmung und sein Menschsein zu transformieren. Als solches ist er auch

    eine interessante Fallstudie fur die soziale Ausgrenzung, die einem veranderten

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    4 Transvision 2004: Technik und Kunst in Kanada

    Menschen begegnet, der mit ein paar Kilo Hardware am Korper und einem Head-

    Mounted-Display zum Kiosk lauft oder zur Arbeit fahrt. Mann erzahlte von alltagli-

    chem Misstrauen und Verachtung, und sogar von tatlichen Ubergriffen. Doch trotz

    dieser gesellschaftlichen Ausgrenzung ist Mann seinem Drang zur Veranderung

    treu geblieben, und hat das Publikum als ein erstaunlich offener, humorvoller und

    engagierter Mensch uberrascht.

    Am Rande zu erwahnen bleibt noch der unerfreuliche Trend, dauernd Reklame

    fur sich selbst und seine Bucher zu machen. Wie einige andere Redner antwortete

    Steve Mann auf fast jede Publikumsfrage mit

    Auch nachzulesen in meinem neuen

    Buch, ehe er sich der eigentlichen Frage widmete.

    Aubrey de Grey ist Transhumanist des Jahres

    Der Samstagmorgen begann mit einer zweiten Eroffnung, diesmal von James

    Hughes, dem Generalsekretar der WTA. Besonders stolz war James auf die Ein-

    richtung eines zweiten Preises der WTA. Neben dem J. B. S. Haldane Award, der

    fur den besten transhumanistischen Aufsatz eines Studenten vergeben wird, wurde

    auch der H. G. Wells Award geschaffen, fur einen

    herausragenden Beitrag zum

    Transhumanismus. Ein pikantes Detail am Rande ist, dass damit beide offiziellen

    Preise der WTA nach bekennenden Sozialisten benannt sind. Es liegt nicht fern,

    hier das Wirken von James selbst zu vermuten, der wohl am ehesten dem sozialis-

    tischen Flugel der WTA zuzuordnen ist, auch wenn dieser betonte, der Vorschlag,

    die Ehrung nach H. G. Wells zu benennen, stamme von Jose Cordeiro (der eherzum konservativen Flugel der WTA gehort, und sich mit James schon offentliche

    Gefechte uber Politik geliefert hat).

    Wahrend die Namensgebung der Preise also durchaus kontrovers gewesen sein

    durfte, war die Findung des Geehrten leichter. Mit breitem Konsens wurde der erste

    H. G. Wells Award an Aubrey de Grey fur seinen eloquenten und erfolgreichen

    Einsatz fur die Wissenschaft der Lebensverlangerung vergeben. An erster Stelle ist

    hier der

    Methuselah Mouse Preis zu nennen, der im letzten Jahr das Profil der

    Alterungsforschung stark gehoben hat. Der J. B. S. Haldane Award ging dieses Jahr

    an Kip Werking fur den Aufsatz The Posthuman Condition.Aubrey de Grey bedankte sich fur den Preis, und schritt gleich zur Tat: In sei-

    nem Vortrag

    The feasibility and desirability of indefinite youth: recent advances

    from unexpected quarters zeigte er sich als bekennender Transhumanist, und hielt

    ein sympathisches Pladoyer gegen das Altern. Der grote Teil des Vortrags ent-

    sprach seiner Rede auf der letzten Transvision, die schon im letzten Konferenz-

    Bericht ausfuhrlich wiedergegeben wurde, und sich mit der Wissenschaft der

    Lebensverlangerung beschaftigte. Neben diesen wissenschaftlichen Aspekten be-

    fasste er sich auch mit den sozialen Implikationen dieser Forschung. Seine These

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    Aubrey de Grey wirbt fur das Methuselah-Projekt

    ist, dass die meisten Menschen in einer Art Trance seien, was ihr Einstellung zum

    Tod betrifft, denn anders seien ihre irrationalen Aussagen zur Lebensverlangerung

    (

    Ware langes Leben nicht todlich langweilig, ...) gar nicht zu erklaren. Gegen

    eine Trance lasse sich nicht rational argumentieren. Vielmehr mussten wir der Ge-sellschaft auf emotionaler Ebene, durch Beispiele, klar machen, dass verlangertes

    Leben wunschenswert ist, und sie so aus ihrer Trance befreien.

    Nach der Keynote begann der Hauptteil der Konferenz mit insgesamt uber vier-

    zig Vortragen und Prasentationen. Um diese Fulle uberhaupt in zwei Tagen unterzu-

    bringen, waren die meisten Vortrage in zwei oder drei parallele Strange organisiert.

    Angesichts dieser groen Zahl der Beitrage beschrankt sich der Artikel im Folgen-

    den auf einige Schlaglichter.

    Vom Cult of Technology zum strategischen Partner der Humanisten

    Erfreuliches zu berichten gibt es von der Vernetzung des Transhumanismus mit der

    humanistischen Bewegung. Wahrend letztes Jahr aus diesem Lager eher Zuruckhal-

    tung zu vernehmen war und die Transhumanisten von einigen als

    Cult of Technolo-

    gy angesehen wurden, war dieses Jahr mit Jende Huang ein ranghoher Vertreter der

    American Humanist Association anwesend, der sich aktiv fur weitere Zusammenar-

    beit einsetzte. In seinem Vortrag

    Humanism and the Culture Wars beschrieb er in

    reichlich martialischer Sprache den Kampf der amerikanischen Humanisten gegen

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    4 Transvision 2004: Technik und Kunst in Kanada

    die religiose Rechte in den USA, und schoss schwer gegen die Bush-Regierung,

    die er als verantwortlich fur viel religiosen Fanatismus und antiaufklarerische Ein-

    stellungen sah. Dem europaischen Beobachter schien es manchmal so, als wurde

    Huang nicht die momentane Welt, sondern das Mittelalter beschreiben, als er uber

    die Zustande in den USA sprach. Doch auf Nachfrage versicherte er, dass es in den

    USA unter Bush zu umfassenden konservativen Umwalzungen gekommen sei und

    die amerikanische humanistische Aufklarung sich schwer tue, sich zu behaupten.

    Ist exponentieller Fortschritt ein Mythos?

    Ein Hohepunkt des Nachmittags war der Vortrag von Phil Goetz mit dem provo-

    kanten Titel

    The Myth of Accelerating Change. Goetz versuchte zu zeigen, dass

    wir keineswegs in einem besonders revolutionaren Zeitalter leben, sondern dass

    zumindest fur die letzten 200 Jahre Menschen einem ahnlichen Tempo von tech-

    nologischer Veranderung ausgesetzt waren wie heute. Dazu zeigte er exemplarisch

    Folien mit groen technischen Umwalzungen fur die Zeitraume 1970-2000, 1940-

    1970, 1910-1940 und 1880-1910. Tatsachlich zahlte er fur jeden dieser 30-Jahres-

    Zeitraume etwa gleich viele

    bedeutende technische Erfindungen auf. So wurde

    zwischen 1940 und 1970 der erste Satellit ins All gebracht, zwischen 1910 und

    1940 entstand das Fernsehen, und das Flugzeug wurde zwischen 1880 und 1910

    erfunden.

    Goetz Vortrag zeigte, dass die jetzige Zeit keineswegs so einzigartig oder

    umwalzend ist, wie viele Transhumanisten behaupten. Es ware vermessen anzu-nehmen, dass sich das Leben von Arbeitern in Deutschland heutzutage so radikal

    und schnell verandert, wie es etwa fur Arbeiter wahrend der industriellen Revoluti-

    on in England der Fall war. Der Vortrag regte zum Nachdenken an, und uberzeugte

    als gelungene Warnung, historische Zusammenhange im Auge zu behalten. Er zeig-

    te auch, dass quantitatives exponentielles Wachstum allein nicht zu entsprechenden

    Qualitatssprungen fuhren muss. Ein Beispiel: Seit Jahrzehnten wachst die Anzahl

    der Veroffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften steil exponentiell, ohne

    dass dies mit einer entsprechenden qualitativen Zunahme an bedeutenden Erfindun-

    gen einhergeht. Gerade fur die Anhanger der nahenden Singularitat war der Vortragein Dampfer, sich und den Fortschritt der Menschheit nicht zu uberschatzen.

    Goetz stellte noch eine weitere sehr interessante These. Er widersprach der oft

    gehorten Meinung, dass Not den Erfindergeist weckt und die Technik gerade in

    Kriegszeiten durch konzertierte militarische Forschung besonders groe Fortschrit-

    te macht. Goetz konnte dagegen statistisch gestutzt zeigen, dass die beiden Welt-

    kriege den Fortschritt und das Tempo an bedeutenden Erfindungen fur viele Jahre

    verlangsamt haben, und erst etliche Jahre nach Kriegsende das fruhere Niveau wie-

    der erreicht wurde.

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    Erst zoffen, dann mauern Neuigkeiten vom Board

    Spater am Nachmittag fand das WTA Board Meeting statt, zu dem alle zahlenden

    (und damit stimmberechtigten) Mitglieder der WTA eingeladen waren. Dort gab

    es einen kurzen Rechenschaftsbericht uber das letzte Jahr. Danach wurden die mo-

    mentanen Plane der WTA vorgestellt. An erster Stelle steht, verstarkt Mitglieder

    zu werben. Angesichts dessen, dass die WTA trotz ihrer internationalen Bedeutung

    nur 120 zahlende Mitglieder hat, ist es dafur auch hochste Zeit. Kein Wunder, dass

    gegenuber der Presse immer nur die mehreren Tausend (nicht zahlenden) Basic

    Members genannt werden, deren Einsatz sich aber bis jetzt in den meisten Fallen

    auf das Ausfullen des Beitrittsformulars beschrankt. Weiterhin sollen auch Spon-

    soren und Philanthropen gesucht werden, die bereit sind, die WTA zu unterstutzen.

    Hier hat sich die WTA ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Mehrere hunderttausend Dollar

    sollen es in den nachsten Jahren werden, die es der WTA erlauben sollen, eigeneBuroraume zu beziehen und Mitarbeiter einzustellen.

    Einige kritische Fragen gab es zu dem Fiasko im Fruhjahr 2004, als im Vor-

    sitz der WTA Konflikte hervorbrachen, die die Organisation fast handlungsunfahig

    machten, und die inmitten bitteren offentlichen Gezanks schlielich mit dem Ruck-

    tritt zweier Vorstandsmitglieder endeten. Die anwesenden Vorstandsmitglieder ga-

    ben sich zu diesen Fragen alle sehr bedeckt: Es hie nur, dass der Konflikt jetzt

    beigelegt sei, es sich nicht lohne, in alten Wunden zu bohren, und dass das neue

    Board ganz ausgezeichnet zusammen arbeite.

    Weniger zuruckhaltend war Keith Henson. Henson ist eines der lebenden Urge-

    steine des Transhumanismus. Er hat 1975 die L5 Society mitbegrundet, trat in den

    80er Jahren Alcor und den Extropians bei, und ist jetzt ebenfalls Miglied der WTA.

    Er sagte, dass solche Konflikte leider unvermeidlich seien. Gerade in Organisatio-

    nen wie der WTA, die sich als wichtig fur die globale Entwicklung sehen, wurden

    sich viele Individuen finden, die ubertrieben ideologisch, dickschadelig und wenig

    kompromissbereit seien. Aus diesem Grund seien groere Zerwurfnisse nur eine

    Frage der Zeit. Es sei nicht moglich, solche Konflikte grundsatzlich zu umgehen.

    Wichtiger sei es, zu lernen wie man mit solchen Vorfallen umgeht. Er habe die Er-fahrung gemacht, dass es bei groeren Konflikten auerst wichtig sei, sich haarklein

    auf die Regeln und die Vereinssatzung zu berufen, denn wenn der gute Wille zwi-

    schen den Parteien aufgebraucht sei, mussten Konflikte formal gelost werden.

    Tatsachlich war es in der WTA auch ahnlich abgelaufen: Der Konflikt im Vor-

    stand wurde im Endeffekt durch formale Abstimmungen entschieden. Es ist nur zu

    hoffen, dass beim (nach Henson unvermeidlichen) nachsten Mal die Parteien um-

    sichtig und bescheiden genug sind, den Konflikt nicht so breit in der Offentlichkeit

    auszutragen.

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    4 Transvision 2004: Technik und Kunst in Kanada

    Keith Henson, ein Urgestein der transhumanistischen Bewegung

    Am Rande der Konferenz war auch etwas zum aktuellen Status der nigeriani-

    schen Transhumanisten zu erfahren. Ursprunglich hie es, dass funf Mitglieder

    dieses umstrittenen Vereins zur Konferenz kommen wollten. Diese hatten sich auch

    tatsachlich angemeldet. Auch angemeldet hatten sich eine groe Menge weitererTeilnehmer aus etlichen anderen afrikanischen Staaten, von denen noch kein Trans-

    humanist je etwas gehort hatte. Irgendwann roch der WTA das alles zu komisch,

    und auf einen Hinweis hin, dass es sich hier wahrscheinlich um das Werk von

    Schlepperbanden handelte, die auf diese Weise Menschen nach Kanada einschleus-

    ten, zog die WTA die Notbremse und stornierte kurzerhand alle Buchungen aus

    Afrika. So gab es leider keine Moglichkeit, die nigerianischen Transhumanisten

    mal personlich kennen zu lernen, und es bleibt nach wie vor spannend um die

    Ni-

    geria Connection.

    Stelarc fullt den Saal

    Der Samstag endete mit einer Prasentation des australischen Performance-Kunst-

    lers Stelarc, der verschiedene seiner Projekte als Videoaufzeichnungen vorstellte.

    Wahrend es vielleicht ubertrieben ware, Stelarc selbst als Transhumanisten zu be-

    zeichnen, behandelt seine Kunst zumindest zum Teil transhumanistische Themen.

    Fur das

    Third Hand Projekt etwa steuert Stelarc, der aus Prinzip seine meisten

    Darbietungen im splitternackten Zustand gibt, einen Roboterarm uber seine Bauch-

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    muskeln. Wahrend hier naturlich die Spielerei im Vordergrund steht, war es den-

    noch beeindruckend, wie er das Wort

    EVOLUTION mit drei Handen (fur je drei

    Buchstaben) gleichzeitig schrieb. Als Antithese zur dritten Hand stand ein ande-

    res Projekt, bei dem Stelarc seinen linken Arm von einem Computer durch direkte

    Stromreizung der Armmuskeln fernsteuern lie, und sich damit der Maschine unter-

    ordnete. Fur seine gekonnten und interessanten Prasentationen gab es viel Applaus.

    Stelarc selbst war sehr sympathisch und zuganglich, und durfte mit seinem Werk so

    manchen Transhumanisten vom Sinn tranhumanistischer Kunst uberzeugt haben,

    der mit Natasha Vita-Mores Projekten nicht so viel anfangen kann.

    Stelarc: Meistens nackt, immer mit technischem Upgrade

    Den Auftakt des Sonntags bildete ein Vortrag von Max More zum Thema

    Hy-

    peragency vs. Humility. More bezeichnet sich selbst als

    strategic philosopher,

    und setzt sich nicht nur durch diesen Titel, sondern auch durch sein im Fitnessstudio

    stromlinienformig optimiertes Aueres von dem Stereotyp des Philosophen im Stile

    Kants ab. Das machte sich auch in seinem Vortragsstil bemerkbar, der durch Dy-

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    4 Transvision 2004: Technik und Kunst in Kanada

    namik und rhetorische Fahigkeiten glanzte. Seine Hauptthese war zwar keineswegs

    neu, aber uberzeugend vorgetragen: Es argumentierte, dass der Transhumanismus

    deswegen so viele Feinde hat, weil er radikal an den Kern des menschlichen Wesens

    geht. Aus diesem Grund, so More, sollten Transhumanisten sich in der offentlichen

    Debatte gar nicht so viel mit technischen Details aufhalten, sondern stattdessen

    emotional vermitteln, dass Freiheit nicht beangstigend sei. Es gelte, uberzeugende

    Fabeln und Geschichten von der Zukunft zu entwerfen, und nicht nur mit abstrakten

    wissenschaftlichen Begriffen um sich zu werden. Der Vortrag endete mit einer Auf-

    forderung an jeden einzelnen, sich immer wieder zu fragen, was einem nicht gefallt,

    worauf man verzichten und wie man sich verbessern konne. Diese

    Hyperagency

    sei das beste Mittel gegen Stagnation.

    Wie ubrigens bei fast der Halfte der Redner bestand ein Gutteil von Mores Vor-

    trag daraus, auf die Bush-Regierung, die christlichen Fundamentalisten und insbe-

    sondere immer wieder auf Leon Kass, den wissenschaftlichen Berater von Bush,zu schimpfen. Der Gedanke der Vortragenden war wohl, dass der Appell gegen

    gemeinsame Feinde zusammenschweit, und tatsachlich gab es bei den Amerika-

    nern immer wieder Applaus. Fur die kanadischen und nicht-amerikanischen Gaste

    dagegen wirkte so viel rhetorische Beschimpfung eher befremdlich.

    Herr Doktor, ein Mitochondrien-Update bitte

    Wahrend des Vormittags gab es einige Vortrage zu Lebensverlangerung und Al-

    tern. Am interessantesten war der Vortrag Mitochondrial Transfection von RafalSmigrodzki, dessen Firma Gencia an einem Verfahren arbeitet, menschliche Mit-

    ochondrien zu erneuern. Mitochondrien sind ein Teil der menschlichen Zellen, der

    aus endosymbiontischen Bakterien hervorgegangen ist. Aus diesem Grunde stellen

    sie eine Art Altlast dar, die nur zum Teil die fortgeschrittenen schutzenden Me-

    chanismen hat, die im Rest der Zelle DNA-Schaden begrenzen. Diese Uberlegung

    und einige wissenschaftliche Untersuchungen haben dazu gefuhrt, dass einige Al-

    tersforscher sie fur die schwache Kette in der menschlichen Zelle halten, die zu

    einem groen Teil fur die abnehmende Leistungsfahigkeit im Alter verantwortlich

    ist. Wenn dies stimmt, musste es moglich sein, durch den Austausch der alten Mit-ochondrien gegen frische Exemplare menschliche Zellen zu verjungen.

    Die Methode soll laut Smigrodzki zuerst fur einige seltene Krankheiten ein-

    gefuhrt werden, bei denen starke Schadigung der Mitochondrien wissenschaftlich

    nachgewiesen ist. Smigrodzki hofft aber, dass die Methode, sobald sie in den USA

    zugelassen ist, dann auch gegen das Altern eingesetzt werden kann (ein so genann-

    ter

    off-label use). Er selbst wurde viel lieber direkt mit diesem Ziel forschen, aber

    um in den USA ein Medikament einzufuhren, musse man sich immer auf eine kon-

    krete Krankheit beziehen, und Altern sei leider noch nicht als Krankheit anerkannt.

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    Nick Bostrom, der Philosoph der Transhumanisten

    Leider war Smigrodzki, was die Details des Verfahrens anging, sehr verschwie-

    gen und verwies auf Forschungsgeheimnisse seiner Firma. Aubrey de Grey, der

    im Publikum sa und die Theorie der Mitochondrien-Alterung selbst mitentwickelt

    hatte, war naturlich hoch interessiert, konnte aber auch keine genaueren Antworten

    bekommen. Am Rande sei erwahnt, dass Smigrodzki sogar dicht hielt, nachdem

    beide schon einige Glaser Bier intus hatten, und de Grey ihn in der Kneipe immernoch weiter locherte. Wir werden also auf die offizielle Vorstellung des Verfah-

    rens in hoffentlich baldiger Zukunft warten mussen. Aber vielleicht wird man in

    10 oder 15 Jahren tatsachlich zum Doktor gehen konnen, um ihn zu bitten, wie es

    Smigrodzki anschaulich formulierte:

    Herr Doktor, ich hatte auch gerne noch ein

    Mitochondrien-Update.

    Die Transvision schloss am Sonntag Nachmittag mit einer Prasentation von Nick

    Bostrom, einem der Grunder der WTA. Auch er thematisierte die Problematik des

    Transhumanismus, in der Gesellschaft Fu zu fassen. Er schlug vor, den Gegnern

    des Transhumanismus besser zuzuhoren: Statt nur die eigenen Visionen zu pro-klamieren, sollten Transhumanisten sich ernsthaft mit den Argumenten gegen den

    Transhumanismus auseinandersetzen. Denn wahrend manche tatsachlich irrational

    seien (z. B.

    Wer mochte schon 150 Jahre alt werden?), gabe es auch viele ernst-

    zunehmende Probleme.

    Ein Argument gegen den Transhumanismus ist etwa, dass es nicht sinnvoll sei,

    menschliche Attribute zu verbessern, weil dann nachher alle relativ gesehen gleich

    gut da standen. Bostrom fuhrte an, dass dies ein legitimes Argument ist: Wenn etwa

    Athleten durch genetische Verbesserung die 100 m in 5 statt in 10 Sekunden lau-

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    4 Transvision 2004: Technik und Kunst in Kanada

    fen konnten, gabe es trotzdem noch genau einen Sieger: Der Wettbewerb hatte sich

    nur verschoben, der Fortschritt sei ein Nullsummenspiel. Wahrend dies fur einige

    transhumanistische Veranderungen zutreffen mag, sei es wichtig herauszustellen,

    dass Fortschritt nicht immer auf ein Nullsummenspiel hinauslaufe. Ganz im Ge-

    genteil wurde ein groer Teil des Fortschritts immanenten Vorteil haben: Wenn wir

    durch genetischen Fortschritt zum Beispiel ein robusteres Immunsystem bekom-

    men, sind wir weniger anfallig fur Krankheiten. Das ist kein Nullsummenspiel,

    sondern bringt jedem Einzelnen einen echten Vorteil an gewonnener Lebensqua-

    litat, ohne dass deswegen andere verlieren.

    Transvision 2005 in Venezuela

    Fur die Transvision 2005 im nachsten Jahr gibt es eine echte Neuerung: Sie findet

    in Caracas, der Hauptstadt von Venezuela statt, und ist damit die erste transhuma-

    nistische Konferenz, die in der dritten Welt stattfindet. Damit soll auch ein Zeichen

    dafur gesetzt werden, dass der technische Fortschritt allen zu Gute kommen soll und

    gerade den Armen die Chance auf ein besseres Leben bietet. Diese Entscheidung

    wurde auf das Drangen des umtriebigen Jose Cordeiro getroffen, der im Vorsitz

    der WTA ist. Cordeiro kommt selbst aus Venezuela, und hat unglaublich viel fur

    den Transhumanismus in Sudamerika getan. Unter anderem ist er eigenhandig fur

    die Grundung mehrerer transhumanistischer Landesverbande in Sudamerika ver-

    antwortlich. Es durfte auf jeden Fall interessant sein, wie das Thema Transhuma-

    nismus in einem Entwicklungsland aufgefasst wird, und welche Perspektiven sichhier fur den Transhumanismus bieten.

    Alle Vortrage der Transvision wurden auf Tonband aufgezeichnet, und sol-

    len demnachst online verfugbar sein. Hier finden sich schon jetzt die Audio-

    Aufzeichungen des eintagigen

    Faith, Transhumanism and Hope Symposium, das

    der Transvision vorausging, und dass sich mit dem Wechselspiel zwischen Trans-

    humanismus und Religion beschaftigte.

    TORSTEN NAH M

    Transvision Audio-Aufzeichnungen:

    http://transhumanism.org/tv/2004/program.shtml

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    http://transhumanism.org/tv/2004/program.shtml
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    5 Die Philosophie desTranshumanismus

    Wie jede revolutionare gesellschaftliche Bewegung beginnt der Transhumanismus

    mit einer groen Idee. Die Idee des Transhumanismus ist so alt wie die Menschheit

    selbst und tief in der menschlichen Natur verwurzelt. Es ist das Streben, uber sich

    selbst hinauszuwachsen, seine Unzulanglichkeiten zu uberwinden und eine hohere

    Stufe des Daseins zu erreichen.

    Ursprunglich hat dieses Streben nach Transzendenz seinen Ausdruck in der Re-

    ligion gefunden. In der fruhen Geschichte, als noch jede Generation von Menschen

    der vorherigen glich, und die Lebensweise fest und unveranderbar erschien, muss-

    ten Fantasien und Mythen herhalten, um die menschlichen Grenzen zu sprengen.

    Ob in Sagen eines goldenen Zeitalters, einer Utopie nach dem Tod oder der Ver-

    leihung gottlicher Krafte, der Mensch war auer Stande, sich selbst als Motor der

    Veranderung zu begreifen.

    Erst mit dem Aufkommen des Humanismus in der Aufklarung wurde zum ersten

    Mal die Idee gepragt, dass der Mensch im Mittelpunkt seiner eigenen Bemuhun-gen stehen soll, dass er sein Leben selbst in die Hand nehmen und durch Bildung

    nach Selbstverwirklichungen und moralischer Verbesserung streben soll. Aber so

    sehr der Humanismus die eigene geistige Verbesserung erstrebte, sah er doch den

    Menschen selbst als unveranderbar an. Der Rahmen klassischer Bildung wurde nie

    verlassen, die Moglichkeiten der Technik finden im Humanismus nur am Rande

    Eingang.

    Die Voraussetzungen fur den Transhumanismus wurden erst im 19. Jahrhundert

    gelegt, durch zwei revolutionare Ideen, die die Weltgeschichte verandert haben. Die

    erste Idee ist die Theorie der Evolution, die von Darwin gepragt wurde. Sie entzogaller religiosen Selbstgefalligkeit den Boden: Der Mensch war nicht mehr Gottes

    Abbild, unveranderlich als Krone der Schopfung gewahlt. Er bildete nurmehr ein

    vorubergehendes Ergebnis der Evolution, eine unvollkommene Form in einer end-

    losen Reihe, gerade gut genug, um momentan als Art zu bestehen.

    So stand der Mensch am Ende des 19. Jahrhunderts entzaubert dar. Durch die

    Aufklarung der schutzenden Religion beraubt, durch die Evolutionstheorie im Kern

    seines Selbst erschuttert, blieb er nur auf sich allein gestellt. Im vollen Bewusstsein

    seiner naturwissenschaftlich blogestellten Unzulanglichkeiten musste er am Stre-

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    5 Die Philosophie des Transhumanismus

    ben nach Selbstverbesserung verzweifeln. Die Mundigkeit, die er durch den Hu-

    manismus erhalten hatte, konnte nur als schwacher Trost dienen. Denn gleich, wie

    viel er sich bemuhte, er war unentrinnbar gefesselt im Gefangnis der biologischen

    Notwendigkeit.

    Der Samen, dessen Frucht den Weg zur Befreiung des Menschen aus der aue-

    ren Determination zeigen sollte, wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts gelegt.

    Durch den beschleunigten Fortschritt wurde erstmals fassbar, wie sich die Leben-

    sumstande des Menschen durch Technik verandern. Der erste, der diese Erkennt-

    nis wissenschaftlich formulierte, war Karl Marx. Obwohl sein Name heutzutage

    hauptsachlich mit seinen politischen Theorien assoziiert wird, steht er auch in einer

    rein wissenschaftlichen Tradition der Philosophie und Gesellschaftswissenschaft.

    Marx zeigte, dass die Einstellungen, Beschrankungen und Moglichkeiten jeder Ge-

    sellschaft durch ihre technische Basis vorgegeben werden und damit durch den

    Menschen selbst gestaltbar sind.

    Doch keine dieser Entwicklungen konnte eine Antwort auf die menschliche

    Sehnsucht nach Transzendenz liefern. Darwin hatte nur die Beliebigkeit der Bio-

    logie aufgezeigt, aber keine Moglichkeit, sie grundlegend zu verbessern oder gar

    zu uberwinden. Marx hatte die grundsatzliche gestalterische Macht der Technik

    erkannt, die menschliche Biologie aber als unveranderlich angesehen. Erst in den

    letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gelang die Synthese und Aufhebung dieser

    beiden Ideen in einer neuen Weltsicht, deren Kern die Befreiung des Menschen aus

    der biologischen Notwendigkeit ist.

    Die Bezeichnung Transhumanismus hat sich als Bezeichnung fur dieseBewegung durchgesetzt. Sie betont die Verbundenheit mit den Ideen des Huma-

    nismus, als dessen moderne Fortsetzung der Transhumanismus sich sieht. Vor

    allem beschreibt sie den Willen, die menschlichen Grenzen zu uberschreiten. Der

    Transhumansimus propagiert, die Technik zu nutzen um den Menschen selbst zu

    verandern und die Evolution in die eigene Hand zu nehmen. Ziel der transhuma-

    nistischen Bestrebung ist die Verbesserung des Menschen in den Posthumanen,

    der nicht mehr den Beschrankungen menschlicher Biologie unterworfen ist. Der

    Transhumanismus zeigt die Moglichkeiten von Gentechnik, Informationstechnolo-

    gie und Nanotechnologie auf, um diese Vision naturwissenschaftlich zu realisieren.Damit beschreibt er erstmals einen realisierbaren, eigenverantwortlichen Weg

    zur menschlichen Transzendenz, anstatt auf eine hohere Macht zu hoffen. In

    Ahnlehnung an Ludwig Feuerstein konnen wir sagen, dass der Transhumanismus

    das Streben nach Transzendenz vom Kopf auf die Fue gestellt hat.

    Zusammenfassend erkennen wir, dass der Transhumanismus auf drei

    Saulen ruht: dem Streben nach Transzendenz, dem humanistischen Weltbild

    und der Einsicht in die Technik als Mittel der Veranderung des Menschen.

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    Jede einzelne ist fur das transhumanistische Weltbild unverzichtbar. Die

    Nutzung der Technik zur Veranderung des menschlichen Wesens grenzt den

    Transhumanismus von der Religion und vom klassischen Humanismus ab.

    Das humanistische Weltbild betont die zentrale Bedeutung des Menschen,

    ohne die eine technologische Gesellschaft zur Technokratie werden kann. Das

    Streben nach Transzendenz schlielich stellt den revolutionaren Kern des

    Transhumanismus dar, der die momentane Gesellschaft und die Bedingungen

    menschlichen Daseins grundsatzlich in Frage stellt. Erst in ihrer Kombination

    entfalten diese drei Fundamente ihre volle Kraft in einem Weltbild, dessen

    Ziel nicht weniger ist als die selbstbestimmte Befreiung des Menschen aus den

    Fesseln der Natur.

    TORSTEN NAH M

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    6 Die transhumanistischePosition zum Klonen

    Die Technik des Klonens

    Der Begriff

    Klonen ist ungenau und kann in den Biowissenschaften verschiedene

    Bedeutungen haben. Spatestens seitdem das Schaf Dolly 1997 geklont wurde [1],

    bezeichnet er im allgemeinen Sprachgebrauch aber den biotechnologischen Pro-

    zess, den Dolly auf die Welt gebracht hat. Im wissenschaftlichen Kontext spricht

    man vom

    somatic cell nuclear transfer (SCNT), der bis jetzt nur bei Saugetie-

    ren angewandt wurde. Dabei werden normale Korperzellen eines ausgewachsenen

    Saugers kultiviert und in entkernte Eizellen injiziert (Abbildung 1). Entkernte Ei-

    zellen enthalten fast keine eigene DNA mehr, damit sie fremdes Erbmaterial von

    der Spender-Zelle in Form von DNA aufnehmen konnen. Eine elektrische Stimula-

    tion lasst die Eizelle und Spender-Zelle miteinander verschmelzen. Danach findet

    eine Reprogrammierung der Gene der Spender-Zelle statt, die sie wieder in einen

    fruhen embryonalen Zustand versetzt. Es kann sich aus einer solchen Fusions-Zellein Zellkultur ein Embryo entwickeln, der, in ein Muttertier implantiert und ausge-

    tragen, zu einem Nachkommen heranreifen kann. Dieser besitzt eine exakte Kopie

    des Erbguts der Spenderzelle und ist deshalb ein Zwillingsgeschwister oder Klon

    des Spenderorganismus.

    Klonen von Tieren

    Mit gentechnologischen Verfahren konnen artfremde Gene in Nutztiere einge-

    schleust werden, die damit medizinische Wirkstoffe gegen viele Krankheitenproduzieren. Umweltbelastende und teure chemische Synthesen bestimmter phar-

    mazeutisch wirksamer Substanzen lieen sich so vermeiden. Auch konnte z. B.

    Kuhmilch vermarktet werden, die Wirkstoffe gegen chronische Leiden, etwa ein

    Antidepressivum, enthalt (Pharma-Food). Die psychisch belastende tagliche Ein-

    nahme von Pillen wurde wegfallen gerade Kindern wurde dies helfen, mit ihrer

    Erkrankung zu leben. Mit einem verbesserten Klonprotokoll konnten wertvolle

    transgene Tiere kostengunstig vermehrt werden, um ihre grotechnische Nutzung

    moglich zu machen. Transhumanisten begruen jeden technischen Fortschritt, der

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    6 Die transhumanistische Position zum Klonen

    Verlauf des Klonens. [2]

    Lebensqualitat und Komfort des Menschen steigert, und werben daher fur eine

    offentliche Akzeptanz von Forschung und Entwicklung in diesem Bereich.

    Klonen von Menschen?

    Groes Aufsehen hat die Klon-Technik aber auch deshalb erregt, weil sie prinzipi-

    ell auch auf den Menschen ubertragbar ist. Zum jetzigen Zeitpunkt verbietet sich

    ein solcher Versuch, da die Technik noch nicht ausgereift ist, da es in Tierexperi-menten zu Komplikationen bei vielen der geborenen Klone gekommen ist. Doch

    die Wissenschaft schreitet voran: Dolly war noch der einzige Erfolg von 277 Expe-

    rimenten, was einer Erfolgsquote von 0,4 % entspricht. Heute liegen die Erfolgs-

    quoten bei ahnlichen Experimenten immerhin bei bis zu 10 % lebend geborenen

    Klonen [2].

    Dies bedeutet jedoch nicht, dass 90 % der Tiere nach der Geburt sterben: 80% der

    Fusionszellen erreichen gar nicht erst das Embryonalstadium und konnen keinem

    Muttertier zugefuhrt werden, viele Embryonen sterben ab noch bevor sie das Fotal-

    Stadium erreichen. In Experimenten mit Rindern [3] wurden jedoch hohe Fehlge-burtsraten beobachtet und bei drei von acht lebend geborenen Klon-Kalbern direkt

    nach der Geburt schwere Krankheiten diagnostiziert. Wissenschaftler vermuten,

    dass die Ursache dieser Komplikation in der unvollstandigen Reprogrammierung

    der Spender-DNA liegen konnte, genaues ist jedoch noch nicht bekannt.

    Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Verbesserungen im Klon-Protokoll

    werden jedoch irgendwann das Klonen von Menschen ethisch vertretbar machen,

    weshalb es sinnvoll ist, eine technische Folgenabschatzung zu versuchen. In der

    offentlichen Diskussion haben sich hier zwei Schlagworte gebildet: Reproduktives

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    Klonen und Therapeutisches Klonen. An dieser Stelle folgt eine Diskussion der

    Thematik aus transhumanistischer Sicht.

    Reproduktives Klonen

    Der Begriff meint die Anwendung der Klontechnik in der Reproduktionsmedizin,also das Klonen von Menschen zum Zwecke der Fortpflanzung. In unserer Gesell-

    schaft liegt eine fundamentale Ablehnungshaltung gegenuber dieser potenziellen

    Technik vor, so dass politische Meinungsfuhrer langst ihr weltweites Verbot anstre-

    ben.

    Ein menschlicher Klon ware prinzipiell ein gleichberechtigtes Individuum und

    als Mensch mit denselben Grundrechten ausgestattet. Ein Klon ist kein minderwer-

    tiges Duplikat eines bestehenden Menschen, sondern genauso einzigartig in seinem

    Denken und Handeln wie eineiige Zwillingsgeschwister, die man ebenfalls als Klo-

    ne betrachten kann.

    Es gibt Szenarien, die das Klonen von Menschen nicht absurd erscheinen lasst:

    Kombiniert mit Verfahren aus der kunstlichen Befruchtung zur Gewinnung von

    Eizellen waren Frauen durch Reproduktives Klonen plotzlich in die Lage versetzt,

    Kinder zu bekommen, ohne dass die Notwendigkeit eines Partners oder einer Sa-

    menspende bestunde. Wenn eine Frau eine lange Beziehung mit einem Mann wegen

    ihrer sexuellen Vorlieben oder anderer Grunden ausschliet und die Vaterschaft ei-

    nes Fremden fur sie nicht in Frage kommt, dann ware das Reproduktive Klonen die

    einzige Moglichkeit fur sie, eigene Kinder zu bekommen.Auf dem gleichen Weg konnten lesbische Paare zu eigenen Kindern gelan-

    gen. Homosexuelle Manner mussen nicht von diesem reproduktionsmedizinischen

    Fortschritt ausgeschlossen bleiben, waren jedoch vorerst auf Eizellspenden und

    Leihmutter angewiesen. Das offensichtliche Problem bei Paaren ist, dass mittels

    SCNT nur einer der beiden Partner sein Erbgut an die Nachkommen weitergeben

    kann. Doch dafur gibt es bereits eine Losung. Man konnte von beiden Partnern Em-

    bryonen klonen und diese vereinigen. Dabei entstunden so genannte

    Chimaren,

    d. h. Organismen die aus Zellen verschiedenen Ursprungs bestehen. Eine solche

    Chimare wurde sich das Erbgut zu je 50 % mit beiden Muttern oder Vatern tei-len. Im Tierexperiment erhaltene Chimaren sind gesund und in ihrem Verhalten

    unauffallig.

    Familienplanung ist etwas sehr Personliches, in das eine Gesellschaft nicht re-

    gulativ eingreifen darf. Transhumanisten glauben sogar, dass es ein Recht auf Re-

    produktionsfreiheit geben sollte, von dem Homosexuelle nicht ausgenommen sein

    durften. Aus dieser Sicht ware daher ein volliges Verbot des Reproduktiven Klo-

    nens als unverhaltnismaige Beschrankung eines solchen Grundrechts anzusehen.

    Sie basiert auch nicht auf rationalen Argumenten und sollte daher nicht als Grund-

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    6 Die transhumanistische Position zum Klonen

    Eine Maus-Chimare aus Zellen von Mausen mit schwarzem und weiem Fell.

    Korperfunktionen und Verhalten sind ansonsten unauffallig. [4]

    lage fur eine Gesetzesinitiative dienen. Die In-Vitro-Fertilisation (IVF) ist seit ih-

    rer Erfindung als medizinische Manahme, um heterosexuellen Paaren zum Fa-

    miliengluck zu verhelfen, inzwischen weitgehend akzeptiert, obwohl sie seinerzeit

    ebenfalls eine kontroverse Debatte angestoen hatte. Momentan verbietet das Em-

    bryonenschutzgesetz in Deutschland Reproduktives Klonen und die Erzeugung von

    menschlichen Chimaren.

    An dieser Stelle folgen Argumente gegen die haufigsten Bedenken:

    Wenn sich Menschen klonen, vermindert sich die genetische Vielfalt, die

    Evolution wurde eingeschrankt.

    Die Zahl der Menschen, die sich klonen lassen werden, durfte wahr-

    scheinlich sehr gering sein, da der Aufwand und die Kosten fur das Ver-

    fahren im Vergleich zur naturlichen Fortpflanzung wahrscheinlich im-

    mer unverhaltnismaig hoch sein werden. Nach einer Forsa-Umfrage

    in Deutschland aus dem Jahr 1997 beantworteten nur 2 % die Frage

    Wurden Sie sich selbst klonen lassen? mit Ja.

    Ahnliche Umfrage-ergebnisse ergaben sich auch in anderen Landern. In diesem Umfang

    ware der Einfluss auf den Genpool sehr gering.

    Davon abgesehen ist der Einfluss der naturlichen Evolution auf

    den Menschen und damit seine Bedeutung hochst fragwurdig. Der

    moderne Mensch definiert sich uberhaupt erst dadurch, dass er die

    Bedingungen seiner Selektion selbst schafft: Durch Ingenieurs- und

    Baukunst, Medizin und nicht zuletzt durch den Aufbau von Gesell-

    schaftssystemen, die schwache Mitglieder schutzen.

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    Der Klon ware menschenrechtswidrig fremdbestimmt und durch seine fehlende

    genetische Einzigartigkeit in seiner personlichen Freiheit eingeschrankt.

    Ein menschlicher Klon ist ein selbstandig denkendes und handelndes

    Individuum. Ein Klon ist kein minderwertiges Duplikat eines Men-

    schen und auch keine 1:1-Kopie. Wie jeder Mensch durchlebt ein Klon

    im Laufe seines Erwachsenwerdens einen personlichen Reifungspro-

    zess, der seine Personlichkeit und Individualitat pragt. Seine geneti-

    sche Identitat hat darauf zwar einen Einfluss, aber der ist auch nicht

    groer als bei naturlich gezeugten Kindern oder bei eineiigen Zwil-

    lingen, die als naturliche Klone tagtaglich zu Tausenden auf die Welt

    kommen. Bei letzteren wurde man sich ebenso wenig um eine Iden-

    titatskrise aufgrund fehlender genetischer Einzigartigkeit sorgen.

    Therapeutisches Klonen

    Im Gegensatz zum Reproduktiven Klonen ist hier das Ziel nicht die Erzeugung von

    lebenden Klonen, sondern vielmehr die Produktion von Stammzellen zu medizini-

    schen Zwecken. Viele Krankheiten, die durch eine Zerstorung von korpereigenem

    Gewebe beruhen, lieen sich durch Transplantation von geeigneten Stammzel-len dauerhaft heilen. Beispiele hierfur sind der Diabetes Mellitus Typ I (Jugend-

    Diabetes), Morbus Parkinson oder die Herzmuskelschadigung nach einem Infarkt.

    Stammzellen sind Gewebe-Vorlaufer-Zellen, die sich schnell teilen und dabei zu

    spezialisierten Gewebszellen, wie Nervenzellen, reifen konnen. Spezialisierte Zel-

    len wie die meisten Zellen des Nervensystems teilen sich nicht mehr und sind daher

    nicht in der Lage, Schaden am Organ zu regenerieren. Sie konnen jedoch aus undif-

    ferenzierten Stammzellen gebildet werden. Durch Transplantation von geeigneten

    Stammzellen konnte man so die Heilung des geschadigten Gewebes induzieren.

    Das Problem bei jeder Transplantation ist jedoch die Immunabwehr des Korpers,die fremde Zellen abstot. Man brauchte also gewebekompatible Stammzellen, die

    jedoch schwierig zu bekommen sind (vgl. Organtransplantation).

    Ein Ausweg konnte Therapeutisches Klonen sein. Dabei wurden embryonale

    Stammzellen (ES) des Patienten erzeugt werden, die totipotent sind, d. h. sie konnen

    sich in jede beliebige Korperzelle entwickeln. Aus ihnen konnten dann gewebsspe-

    zifische Zellen in Kulturen gewonnen werden, die keine Abstoungsreaktion im

    Korper des Empfangers auslosen konnen. Dass es moglich ist, ES aus humanen

    somatischen Zellen zu erhalten, wurde erst vor kurzem bewiesen [5].

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    6 Die transhumanistische Position zum Klonen

    Langfristig wird es sogar moglich sein, ganze Organe aus ES-Zellinien zu

    zuchten, denn prinzipiell steckt der Bauplan eines Organs wie der Leber oder Niere

    vollstandig im Erbgut der ES. Spatestens dann werden Organspenden uberflussig

    sein. Die geklonten Organe konnten auch keine Abstoungsreaktionen auslosen,

    ein haufiges Problem nach einer Organtransplantation, dem in der Regel durch le-

    benslange Einnahme von Immunsuppressiva vorgebeugt werden muss.

    Obwohl die Technik verspricht, verschiedene schlimme Krankheiten zu heilen,

    wird in der Offentlichkeit immer wieder verlangt, Therapeutisches Klonen eben-

    falls zu verbieten. Wichtigstes Argument: Bei der Gewinnung gewebsspezifischer

    Stammzellen werden Embryonen verbraucht, weil die ES gezielt reprogrammiert

    werden mussen. Dabei verlieren die ES ihre Totipotenz, d. h. die Fahigkeit alle Zel-

    len des menschlichen Korpers bilden zu konnen, was der Vernichtung eines

    poten-

    ziellen menschlichen Lebens gleichkommt. Das Argument zielt letztlich auf die

    Frage ab, wo menschliches Leben beginnt. Stellen ES menschliches Leben dar?

    Ideologische oder religiose Betrachtungen helfen hier nicht weiter, weil sie nicht

    kompromissfahig sind. Die Naturwissenschaften geben auch keine Antwort, weil

    es keinen definierten Zeitpunkt in der Embryonalentwicklung gibt, ab dem der Em-

    bryo lebendig ist.

    Es bleibt eine praktische Herangehensweise [6]. Man wei z. B., dass das Gehirn

    des Fotus zwischen der 20. und 24. Schwangerschaftswoche funktionsfahig wird.

    Bis dahin kann der Fotus also weder Schmerzen fuhlen, noch denken und leiden.

    Im fruhen Embryonalstadium, um das es hier geht, besitzt er noch nicht einmal

    Ansatze eines Nervensystems, weshalb es so gesehen gerechtfertigt erscheint, ESnicht als menschliches Leben anzusehen. Man kann den

    ethischen Wert ungebo-

    renen menschlichen Lebens auch an dem Entwicklungsstadium selbst festmachen.

    So ist die Auswirkung eines spontanen Aborts, der haufig unbemerkt zwei bis drei

    Tage nach der Befruchtung stattfindet, auf die Eltern gewiss weniger dramatisch

    als eine Fehlgeburt in einer spaten Schwangerschaftsphase oder gar der Tod eines

    Neugeborenen. Dieser Argumentation folgend kann es moralisch vertretbar sein,

    Embryonen fur medizinische Zwecke zu nutzen, insbesondere, weil es darum geht,

    geborenes Leben zu retten.

    Wo fangt menschliches Leben an? Diese Frage hat einen weiteren interessan-ten Aspekt, namlich die Definition von Leben im Allgemeinen. Es sehr schwierig

    eine exakte Definition zu geben, und es wird an dieser Stelle auch vermeiden. Den-

    noch gibt es zumindest zwei grundlegend verschiedene Interpretationen: 1) Leben

    im allgemeinen (biologischen) Sinne. Dazu gehoren Eigenschaften wie Reproduk-

    tionsfahigkeit, Stoffwechsel und Evolution. Einzellige Lebewesen wie Bakterien

    und Algen sind demnach lebendig, genauso wie jede einzelne unserer Korperzel-

    len. 2) Leben im speziellen Sinne, das stark mit der Ausbildung eines Nervensys-

    tems verknupft ist. Dazu gehoren die Fahigkeit seine Umwelt zu erfahren und zu

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    abstrahieren, Lernfahigkeit, ein Erinnerungsvermogen und emotionale Bindungen

    zu Familie und Freunde. Diese Fahigkeiten besitzen hohere Tiere und insbesondere

    der Mensch. Am deutlichsten tritt der Unterschied zwischen 1) und 2) beim Hirntod

    eines Menschen zu Tage: Obwohl das Grohirn irreparabel geschadigt ist, funk-

    tionieren die elementaren Lebenserhaltungssysteme wie Atmungszentrum, Herz-

    schlag, Zellerneuerung, Haarwuchs und Zellstoffwechsel. Der Patient ist also im

    Sinne von Interpretation 1) noch lebendig. Dennoch kann er in Deutschland legal

    fur tot erklart und zur Organspende freigegeben werden, was dem Absprechen ei-

    nes ethischen Werts gleichkommt. Die Diskussion um die ethischen Aspekte des

    Therapeutischen Klonens ist leider gepragt durch eine undifferenzierte Vorstellung

    daruber, was

    lebendig eigentlich heit. Obwohl Embryonen uber keine der Merk-

    male aus 2) verfugen, besitzen sie in der Bundesrepublik einen besonderen rechtli-

    chen Status, den das Embryonenschutzgesetzes (ESchG) definiert. Fur die meisten

    Menschen durfte menschliches Leben im Sinne von Kategorie 2) aber kostbarer

    erscheinen. Bei der abstrakten Ethik-Diskussion in Deutschland sollte nicht verges-

    sen werden, dass viele unheilbar kranke Menschen groe Hoffnungen in die neue

    molekulare Medizin setzen.

    Transhumanisten fordern:

    die Abschaffung des Embryonenschutzgesetzes,

    Freiheit der Forschung und Verzicht auf ihre weltweite Achtung,

    eine sachliche Diskussion uber Chancen und Risiken der Klon-Technologie,

    die Anerkennung des Grundrechts auf Reproduktionsfreiheit und Akzeptanz

    des Reproduktiven Klonens.

    GERNOT KIESERITZKY

    Zitate

    [1] I. Wilmut et al.: Viable offspring derived from fetal and adult mammaliancells. Nature 385 810-913 (1997)

    [2] Yang et al.: Cloning animals by somatic cell nuclear transfer biological

    factors. Reproductive Biology and Endocrinology 1 98 (2003)

    [3] J. R. Hill et al.: Clinical and pathologic features of cloned transgenic calves

    and fetuses (13 case studies) Theriogenology 51, 8 1451-1465 (1999)

    [4] http://www.criver.com/products/genetic testing/dxgmon2.html

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    http://www.criver.com/products/genetic-testing/dxgmon2.html
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    6 Die transhumanistische Position zum Klonen

    [5] S. Y. Moon et al: Evidence of a Pluripotent Human Embryonic Stem Cell

    Line Derived from a Cloned Blastocyst. Science 303 1669-1675 (2004)

    [6] R. Lisker: Ethical and Legal Issues in Therapeutic Cloning and the Study of

    Stem Cells. Archives of Medical Research 34 607-611 (2003)

    Empfohlene Literatur und Links

    L. Silver: Das geklonte Paradies (Droemer, Munchen 2000)

    Embryonenschutzgesetz online:

    http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/eschg/htmltree.html

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    http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3426269783/qid%3D1113996655/028-4903394-9878100http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/eschg/htmltree.html
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    7 NanotechnologieDie Nanotechnologie ist voraussichtlich die Technik mit dem groten Potential,

    die Zukunft der Menschheit stark zu verandern. Die Technologie konnte neue

    industrielle Produktionswege eroffnen, die Medizin stark beeinflussen, ungeahnt

    leistungsfahige Computer erschaffen und schlielich auch den Menschen selbst

    verandern.

    Mit Nanotechnologie ist hier die ursprungliche molekulare Nanotechnologie ge-

    meint. Der Begriff hat sich inzwischen stark gewandelt und fasst nun alle Techno-logien zusammen, die sich mit Strukturen auf der Nanometerskala (ein Nanometer

    = ein milliardstel Meter = 109 Meter) befassen. Danach reicht die Nanotechnik

    von Computerchips uber Brennstoffzellen bis hin zur Bratpfannenbeschichtung.

    Die molekulare soll dagegen die komplette Kontrolle uber Materie auf moleku-

    larer Ebene ermoglichen, und zwar durch gezielte chemische Reaktionen zwischen

    einzelnen Molekulen oder Atomen.

    Die Chemie ermoglicht nur eine statistische Anordnung von Atomen. Es kommt

    zwar zu bestimmten Reaktionen zwischen sehr vielen Molekulen, aber einzelne

    Atome lassen sich nicht direkt beeinflussen.Mit physikalischen Methoden lassen sich gezielte Veranderungen hervorrufen,

    aber noch nicht auf so kleinem Mastab. Nur in einzelnen sehr speziellen Fallen ist

    es gelungen, Atome direkt zu verschieben. Allgemein ist es so schwierig wie mit

    Boxhandschuhen Legosteine zusammenzusetzen.

    Funktionsweise der Nanotechnologie

    Die Kontrolle uber einzelne Atome soll durch einen Assembler (Monteur), eine

    molekulare Maschine, erreicht werden. Ein Assembler ware ein Roboter, der nuraus wenigen Molekulen besteht, die mit atomarer Prazision zusammengesetzt sind.

    Er soll mit einer Energieversorgung, einem Antrieb und einem Computer ausge-

    stattet sein und mit anderen Assemblern kommunizieren konnen. Und er soll eine

    Art Greifarm besitzen, mit dem er gezielt einzelne Molekule aufgreifen kann und

    gezielt chemische Reaktionen mit anderen Molekulen verursachen kann.

    Im Unterschied zur herkommlichen Industrie werden also nicht groe Rohmate-

    rialien zu kleineren Produkten verarbeitet, sondern die Produkte aus ihren kleins-

    ten Bestandteilen gefertigt. Wenn ein Team aus verschiedenen Assemblern entspre-

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    7 Nanotechnologie

    chend programmiert wurde und die richtigen Rohstoffmolekule in einer Nahrlosung

    bereitstehen, konnte es daher unterschiedlichste und auch sehr komplizierte Dinge

    wie z. B. die Komponenten eines Autos oder auch ein Stea