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HAGEN KELLER Über die Rolle des Königs bei der Einsetzung der Bischöfe im Reich der Ottonen und Salier Joachim Wollasch zum 80. Geburtstag I. Die Fragestellung S. 153. – II. Zeugnisse für die sakrale Deutung des Königtums aus ottonisch-salischer Zeit S.160. – III. Verhandlungen zwischen König und Domkirchen um die Neubesetzung des Bischofs- stuhls S. 166. – IV. <Konsensuale Herrschaft> und <sakrales Königtum> im <Kirchenreich> der Ottonen und Sa- lier S. 168 I. DIE FRAGESTELLUNG Zur Zeit der Ottonen und Salier übten die Könige größten Einfluss auf die Be- setzung der Bischofsstühle aus. Meist sagt man, sie hätten „die Bistümer vergeben“, und kann sich dabei auf zeitgenössische Quellen stützen, die anscheinend lateinische Äquivalente dieses Begriffs gebrauchen. Die „Vergabe“ wurde in einem symbolischen Akt vollzogen: Der König investierte den zum Bischof Auserkorenen schon vor der Weihe mit dem Hirtenstab und sprach dazu die Formel: Accipe ecclesiam oder accipe epi- scopatum – empfange das Bistum, unter namentlicher Nennung der jeweiligen Kirche. Im ostfränkischen, dann römisch-deutschen Reich war diese Form der Investitur seit Otto I. allgemeiner Usus 1 . Von der Forschung wird die Verfügungsgewalt des Königs über die Bistümer heute vor allem aus dem sakralen Charakter hergeleitet, den die Zeitgenossen dem Kö- nigtum im Rahmen der religiösen Weltdeutung zuschrieben 2 . Derartige Überzeugun- 1 Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König ( Schriften der MGH 28 ) Stuttgart 1981, S. 7–36; Hagen Keller, Die Investitur. Ein Beitrag zum Pro- blem der <Staatssymbolik> im Hochmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 27, 1993, S.51–86, hier S. 61–66; Philippe Depreux, Investitura per anulum et baculum. Ring und Stab als Zeichen der Investitur bis zum Investiturstreit, in: Jörg Jarnut – Matthias Wemhoff (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneue- rung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (Mittelalterstudien 13) München 2006, S.169–195; alle mit der einschlägigen älteren Literatur. 2 Zum Problem jetzt, eigene Forschungen und Publikationen zusammenfassend, Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, S. 156–189; vgl. unten Anm. 13. Zur gegenwärtigen intensiven Forschung über die „regalità sacra“ in der italienischen Geschichtswissenschaft Giovanni Isabella, Das Sakralkönigtum in Quellen aus ottoni- scher Zeit: unmittelbarer Bezug zu Gott oder Vermittlung durch die Bischöfe?, in diesem Band, mit der dort in Anm. 3 und Anm. 6 aufgeführten Literatur. Brought to you by | University of Oklahoma Libraries Authenticated Download Date | 10/26/14 5:44 PM

Über die Rolle des Königs bei der Einsetzung der Bischöfe im Reich der Ottonen und Salier

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Über die Rolle des Königs bei der Einsetzung 153

HAGEN KELLER

Über die Rolle des Königs bei der Einsetzung der Bischöfeim Reich der Ottonen und Salier

Joachim Wollasch zum 80. Geburtstag

I. Die Fragestellung S. 153. – II. Zeugnisse für die sakrale Deutung des Königtums aus ottonisch-salischerZeit S. 160. – III. Verhandlungen zwischen König und Domkirchen um die Neubesetzung des Bischofs-stuhls S. 166. – IV. <Konsensuale Herrschaft> und <sakrales Königtum> im <Kirchenreich> der Ottonen und Sa-lier S. 168

I. DIE FRAGESTELLUNG

Zur Zeit der Ottonen und Salier übten die Könige größten Einfluss auf die Be-setzung der Bischofsstühle aus. Meist sagt man, sie hätten „die Bistümer vergeben“,und kann sich dabei auf zeitgenössische Quellen stützen, die anscheinend lateinischeÄquivalente dieses Begriffs gebrauchen. Die „Vergabe“ wurde in einem symbolischenAkt vollzogen: Der König investierte den zum Bischof Auserkorenen schon vor derWeihe mit dem Hirtenstab und sprach dazu die Formel: Accipe ecclesiam oder accipe epi-

scopatum – empfange das Bistum, unter namentlicher Nennung der jeweiligen Kirche.Im ostfränkischen, dann römisch-deutschen Reich war diese Form der Investitur seitOtto I. allgemeiner Usus 1.

Von der Forschung wird die Verfügungsgewalt des Königs über die Bistümerheute vor allem aus dem sakralen Charakter hergeleitet, den die Zeitgenossen dem Kö-nigtum im Rahmen der religiösen Weltdeutung zuschrieben 2. Derartige Überzeugun-

1 Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König(Schriften der MGH 28) Stuttgart 1981, S. 7–36; Hagen Keller, Die Investitur. Ein Beitrag zum Pro-blem der <Staatssymbolik> im Hochmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 27, 1993, S. 51–86, hierS. 61–66; Philippe Depreux, Investitura per anulum et baculum. Ring und Stab als Zeichen der Investiturbis zum Investiturstreit, in: Jörg Jarnut – Matthias Wemhoff (Hgg. ), Vom Umbruch zur Erneue-rung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (Mittelalterstudien 13)München 2006, S. 169–195; alle mit der einschlägigen älteren Literatur.

2 Zum Problem jetzt, eigene Forschungen und Publikationen zusammenfassend, Franz-ReinerErkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006,S. 156–189; vgl. unten Anm. 13. Zur gegenwärtigen intensiven Forschung über die „regalità sacra“ in deritalienischen Geschichtswissenschaft Giovanni Isabella, Das Sakralkönigtum in Quellen aus ottoni-scher Zeit: unmittelbarer Bezug zu Gott oder Vermittlung durch die Bischöfe?, in diesem Band, mit derdort in Anm. 3 und Anm. 6 aufgeführten Literatur.

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gen manifestierten sich im ottonischen Reich in gesteigerten Formen. Daraus erklärtman auch, dass den Herrschern damals gerade hier eine Position zuwuchs, die ihreRolle bei der Bischofserhebung als Ausdruck der Herrschaft über die Reichskirche er-scheinen lässt. Vor diesem Hintergrund möchte ich die Einsetzung der Bischöfe unterden Ottonen und Saliern zum Ausgangspunkt nehmen, um darüber nachzudenken, inwelcher Weise die sakrale Deutung der Königswürde hierbei zum Tragen kam. Letzt-lich geht es um das Verhältnis von Religion und Politik im 10./11. Jahrhundert.

Im 19. Jahrhundert und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein sprach man in die-sem Zusammenhang nicht von „Religion und Politik“, sondern von „Kirche undStaat“, diskutierte also das Verhältnis in institutionellen Kategorien 3. Aus dieser Per-spektive beurteilte man auch die Rolle des Königs bei der Besetzung der Bistümer. DieWertungen waren in starkem Maße zeitbedingt, und von den Erklärungsmodellen giltheute vieles als obsolet. Allerdings wirken die früheren Deutungen bis in die heutigeTerminologie nach – und das heißt oft: im unreflektierten Hintergrund unseres Ver-ständnisses. Ein knapper Blick in die Forschungsgeschichte soll einen entscheidendenPunkt bewusst machen. Dazu muss man bis in das 19. Jahrhundert zurückgehen.

Vor allem von katholisch inspirierter Seite wurde die ausschlaggebende Rolle desKönigs bei der Bischofserhebung als Missstand gesehen, als Ausdruck einer Verwelt-lichung, die sich in einer kirchenrechtlich unzulässigen Praxis niederschlug. Religiös-kirchlich gesinnte Kräfte hätten, vom Reformpapsttum geführt, seit der Mitte des11. Jahrhunderts zu Recht und mit Erfolg dagegen gekämpft und eine grundlegendeKorrektur durchgesetzt. Vor dem Hintergrund des Ersten Vaticanums (1869/70) mitseinem ausgeprägten „Gregorianismus“ – von dem man im Rückbezug auf Papst Gre-gor VII. (1073–1085) schon seit Gregor XVI. (1831–1846) sprechen darf – und vordem Hintergrund des Kirchenkampfes, den Zeitgenossen beider Lager stets auch imSpiegel des <Investiturstreits> interpretierten 4, wurde der historischen Deutung nicht

3 Mit dieser Fokussierung projizierte die Geschichtsschreibung des 19. und auch noch des 20. Jahrhun-derts die Probleme ihrer Gegenwart, die mit der Säkularisierung, dem Laizismus und vor allem demneuen Staatsdenken seit der Aufklärung aufgebrochen waren, in das Mittelalter zurück. Zum zeitgenös-sischen Kontext Wolfgang J. Mommsen, Das Ringen um den nationalen Staat. 1850–1890 (PropyläenGeschichte Deutschlands 7/1) Berlin 1993, S. 405–446; zur Historisierung der heftigen aktuellen Aus-einandersetzungen Dietmar Klenke, Bismarck, <Canossa> und das deutsche Nationalbewusstsein, in:Christoph Stiegemann – Matthias Wemhoff (Hgg. ), Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Ge-schichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, 2 Bde., Paderborn 2006, 1: Essays, S. 613–624;Günther Hirschmann, Kulturkampf im historischen Roman der Gründerzeit 1859–1878, München1978, S. 88–102; bes. S. 96 f.

4 Klenke (wie Anm. 3); Harald Zimmermann, Der Canossagang von 1077. Wirkungen und Wirklich-keit (Akademie der Wissenschaften und Literatur. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaft-lichen Klasse, Jg. 1975, 5 ) Mainz 1975, S. 3–18. Durch das bekannte Diktum Ottos von Bismarck in derReichstagssitzung vom 14. Mai 1872 beherrschte die Frage, ob der Reichskanzler doch nach Canossa ge-hen würde oder gegangen sei, die publizistische Begleitung der Verhandlungen und Vereinbarungen mitPapst und Kurie noch während der 1880er Jahre; Martin Dröge, Karikaturen aus der Zeit des Kul-turkampfes (1872–1885), in: Canossa 1077 (wie Anm. 3) 2: Katalog, S. 506–509, Nr. 595. Als „neuer In-

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nur die Perspektive der „Gregorianer“ des 11./12. Jahrhunderts auf das Verhältnis vongeistlicher und weltlicher Gewalt zugrundegelegt, sondern auch ihre kirchenrechtlichbegründete Transformation der Ekklesiologie. Die Sichtweise wurde in der seit 1934erscheinenden großen „Histoire de l’Église depuis les origines jusqu’à nos jours“ nocheinmal unterstrichen 5. In anachronistischer Zuspitzung argumentierte man mit d e mKirchenrecht, das es so, als ein einheitliches Corpus, vor und während des sogenann-ten Investiturstreits noch gar nicht gab 6. Geblieben ist davon bis in jüngste Veröffent-lichungen, dass die Rolle des Herrschers bei der Besetzung der Bistümer dem Kirchen-recht widersprochen habe, „unkanonisch“ war, wenngleich als Praxis weitgehendanerkannt. Auch wenn viele Wertungen heute als überholt gelten, wirkt die stark aufdas Recht orientierte Betrachtungsweise immer noch nach 7.

Vor allem in der deutschen, meist protestantisch bestimmten Historiographiedominierte ein anderes Modell. Unter stärkstem Einfluss der germanistischen Rechts-geschichte sah man auch hier im damaligen Rechtsdenken die Grundlage der herrscher-lichen Verfügungsgewalt über die Hochkirchen. Diese sei letztlich aus einer Kontami-

vestiturstreit“ wird der Kulturkampf bezeichnet von Christoph Weber, Kirchliche Politik zwischenRom, Berlin und Trier. Die Beilegung des preußischen Kulturkampfes (Veröffentlichungen der Kom-mission für Zeitgeschichte, Reihe B, 7 ) Mainz 1970, S. 188 (mit Bezug auf die spätere, durch die Ver-handlungen mit der Kurie geprägte Phase); Peter Stadler, Kulturkampf in der Schweiz – ein Sonder-fall?, in: Historische Zeitschrift 254, 1992, S. 33. Derartige Klassifizierungen entsprechen weitgehenddem zeitgenössischen, <historisierenden> Verständnis.

5 Émile Amann – Auguste Dumas, L’Église au pouvoir des laïcs, 888–1057 (Histoire de l’Église depuisles origines jusqu’à nos jours, hg. von Augustin Fliche – Victor Martin 7 ) Paris 1939; AugustinFliche, La réforme grégorienne et la reconquête chrétienne 1057–1123 (Histoire de l’église depuis lesorigines jusqu’à nos jours, hg. von Augustin Fliche – Victor Martin 8 ) Paris 1940. Die Perspektivehat breit dargelegt Ders., La réforme grégorienne, 3 Bde., Louvain – Paris 1934–1937; resümierendDers., La querelle des investitures, Paris 1946. Erst während der Drucklegung erhielt ich Kenntnis vonSylvain Gouguenheim, La réforme grégorienne. De la lutte pour le sacré à la sécularisation du monde,Paris 2009; vgl. die Rezensionen von Maureen C. Miller in: Francia-Recensio, 2010–4, Mittelalter –Moyen Âge (500–1500). URL: http://www.perspectivia.net/content/publikationen/francia/francia-recensio/2010–4/MA/gouguenheim_miller und von Rudolf Schieffer in: Deutsches Archiv fürErforschung des Mittelalters 66, 2010, S. 792. Für die Hinweise danke ich dem Redakteur unseres Jahr-buchs, Dr. Franz Neiske.

6 Zur Problematik Horst Fuhrmann, Das Reformpapsttum und die Rechtswissenschaft, in: Josef Fle-ckenstein (Hg. ), Investiturstreit und Reichsverfassung (Vorträge und Forschungen 17) Sigmaringen1973, S. 175–203; zum Wandel Wilfried Hartmann, Wahrheit und Gewohnheit. Autoritätenwechselund Überzeugungsstrategien in der späten Salierzeit, in: Bernd Schneidmüller – Stefan Weinfur-ter (Hgg. ), Salisches Kaisertum und neues Europa. Die Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V., Darm-stadt 2007, S. 65–84.

7 Die traditionellen Deutungen klingen vor allem an, wenn die komplexen Sachverhalte in Lexikonarti-keln oder in knappen Lehrbüchern zusammengefasst werden, selbst wenn die Autoren in ihren eigenenUntersuchungen differenziertere Auffassungen vertreten; vgl. zum Beispiel Rudolf Schieffer, Art.<Investiturstreit>, in: LThK 5, 1996/2006, Sp. 570–573, Sp. 571: „Der Investiturstreit im engerenSinne … gründete in der Diskrepanz zwischen den überlieferten Normen des Kirchenrechtes und dergewohnheitsrechtlichen Besetzung von Kirchenämtern durch Laien, die ihrer Prärogative mit der Über-gabe eines Symbols (Ring und Stab bei Bischöfen und Äbten) Ausdruck gaben.“

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nation mit dem Eigenkirchenwesen entstanden, das als „germanisch“ galt 8. InAnalogie zur Verfügungsgewalt des Grundherrn, des adeligen Trägers autogener Herr-schaftsrechte, über seine Eigenkirchen habe man die Bistümer als Eigenkirchen desKönigs oder des Reiches betrachtet, für die der Herr die Geistlichen bestimmte und siedurch Übergabe des Investitursymbols – das liturgische Buch für den Priester, analogdazu den Hirtenstab für den Bischof – in ihr Amt einwies und ihnen die Kirche mitsamtder dazugehörigen materiellen Ausstattung anvertraute 9. Hierfür lieferte, ebenfalls ger-manistisch hergeleitet, die sakrale Stellung des Herrschers eine ideelle Begründung.Denn man sah die eigentliche Wurzel des Eigenkirchenwesens in einem germanischenHauspriestertum des Sippenoberhauptes, dem in den Stammesverbänden eine ober-priesterliche Funktion der Könige entsprach 10. Mit der zunehmenden Verchristlichungdes Königtums, mit dem karolingischen Gottesgnadentum, wuchsen dem HerrscherAufgaben und eine Verantwortung zu, die sich in einer „königlichen Kirchenhoheit“verdichtete 11. Auch hier hat man in Deutschland teilweise noch germanische Vorstel-lungshorizonte nachwirken sehen und ihre Verstärkung im ostfränkischen Reich zeit-weilig gar mit der Herrschaft der Ottonen aus dem spät christianisierten Sachsen inVerbindung gebracht. Der Investiturstreit wurde dann geistesgeschichtlich als Kampfzwischen germanischem und romanischem Denken gedeutet 12.

In unserem Zusammenhang ist das alles nicht mehr relevant. Doch aus dieserForschungsgeschichte heraus wurde in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts

8 Zu Forschungsgeschichte und Literatur vgl. Rudolf Schieffer, Art. <Eigenkirche, -nwesen>, in: LMA3, 1986, Sp. 1705–1708; zur Kritik und Korrektur Wilfried Hartmann, Der rechtliche Zustand derKirchen auf dem Lande: Die Eigenkirche in der fränkischen Gesetzgebung des 7. – 9. Jahrhunderts, in:Cristianizzazione ed organizazione ecclesiastica delle campagne nell’alto medioevo (Settimane di studiodel Centro italiano di studi sull’alto medioevo 28) Spoleto 1982, S. 397–441; Ders., Die Eigenkirche:Grundelement der Kirchenstruktur bei den Alemannen?, in: Sönke Lorenz – Barbara Scholkmann(Hgg. ), Die Alemannen und das Christentum (Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts 71)Leinfelden – Echterdingen 2003, S. 1–11; vgl. Claudia Moddelmog, Stiftung oder Eigenkirche?Der Umgang mit Forschungskonzepten und die sächsischen Frauenklöster im 9. und 10. Jahrhundert,in: Wolfgang Huschner – Frank Rexroth (Hgg. ), Gestiftete Zukunft im mittelalterlichen Europa.Festschrift für Michael Borgolte zum 60. Geburtstag, Berlin 2008, S. 215–243, hier S. 215–222, S. 242 f.

9 Literatur und Kritik bei Keller (wie Anm. 1) S. 55–66; Depreux (wie Anm. 1) passim, mit wichtigenAusführungen zur Weitergabe des Bischofstabes S. 187–190.

10 Zur Problematik – mit Blick auf die ältere Forschung – Herwig Wolfram, Frühes Königtum, in:Franz-Reiner Erkens (Hg. ), Das frühmittelalterliche Königtum (Ergänzungsbände zum RGA 49)Berlin – New York 2005, S. 42–64.

11 Rudolf Schieffer, Karolingische und ottonische Kirchenpolitik, in: Dieter R. Bauer u. a. (Hgg. ),Mönchtum – Kirche – Herrschaft 750–1000, Sigmaringen 1998, S. 311–325.

12 Gerhard Kallen, Der Investiturstreit als Kampf zwischen germanischem und romanischem Denken,Berlin 1937 (= Jahrbuch des kölnischen Geschichtsvereins 19, 1937, S. 89–110). Zum Hintergrund vgl.Arnold Angenendt, Liturgik und Historik (Quaestiones disputatae 189) Freiburg – Basel – Wien2001, S. 76–87. Schon in den politischen Kontroversen um 1870 wurde die Auseinandersetzung zwi-schen Liberalismus und Ultramontanismus als Ringen zwischen „Germanismus“ und „Romanismus“bezeichnet, in dem der „germanische Geist“ siegen werde; Mommsen (wie Anm. 3) S. 406.

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die Lehre vom „ottonisch-salischen Reichskirchensystem“ ausformuliert, durch das„der Staat“ die Kirche in seinen Dienst genommen und im Gegenzug den Bischofskir-chen „staatliche Aufgaben“ übertragen habe 13. Durch die Privilegierung der Bistümerund durch den Königsdienst der Bischöfe sei auch „das Reichskirchengut in der Funk-tion praktisch dem Reichsgut gleichgestellt“ gewesen 14. Auch hier wird – das sei fest-gehalten – vor allem mit Recht, Rechtsdenken, Rechtsfiguren argumentiert. Warum ichbeides so nicht für zutreffend halte, dürften die folgenden Ausführungen zeigen.

Die geistesgeschichtliche Wende, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in den Kul-turwissenschaften vollzog 15, lenkte das Interesse der Mediävistik verstärkt auf dasPhänomen sakraler Herrschaftsbegründung. Die Erforschung der Herrscherliturgie,die Edition der Krönungsordines, die Erschließung der einschlägigen Bildzeugnisseerhielten einen mächtigen Schub; die „politische Theologie“ des Mittelalters gehörtseither zu den zentralen Themen unseres Fachs 16. Insofern sind die Belege, die ichgleich anführen werde, alle wohlbekannt. Doch wurden sie in der bisherigen Diskus-sion richtig zugeordnet? Wie beschreiben zeitgenössische Autoren im konkreten Fall

13 Leo Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchensystems (ÖsterreichischeAkademie der Wissenschaften, Wien, Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte 229, 1 ) Wien21964; grundsätzliche Kritik durch Timothy Reuter, The „Imperial Church System“ of the Ottonianand Salian Rulers: a Reconsideration, in: Journal of Ecclesiastical History 33, 1982, S. 347–74; dagegenJosef Fleckenstein, Problematik und Gestalt der ottonisch-salischen Reichskirche, in: Karl Schmid(Hg. ), Reich und Kirche vor dem Investiturstreit, Sigmaringen 1985, S. 83–98; zusammenfassend GerdTellenbach, Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert (Die Kirche in ihrerGeschichte. Ein Handbuch, 2, Lieferung F1) Göttingen 1988, S. 57–59; Rudolf Schieffer, Dergeschichtliche Ort der ottonisch-salischen Reichskirchenpolitik (Nordrhein-Westfälische Akademieder Wissenschaften. Geisteswissenschaften. Vorträge, G 352) Opladen 1998; Hagen Keller –Gerd Althoff, Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen888–1024 (Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte. Zehnte, völlig neu bearbeitete Auflage, 3 )Stuttgart 2008, S. 364–372; vgl. auch die Bemerkungen von Henry Mayr-Harting, Church and Cos-mos in Early Ottonian Germany. The View from Cologne, Oxford 2007, S. 5–9.

14 Rudolf Schieffer, Art. <Reichskirche>, in: LMA 7, 1995, Sp. 626–628, hier Sp. 627.15 Otto Gerhard Oexle, <Staat> – <Kultur> – <Volk>. Deutsche Mittelalterhistoriker auf der Suche nach

der historischen Wirklichkeit 1918–1945, in: Peter Moraw – Rudolf Schieffer (Hgg. ), Die deutsch-sprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen 62) Ostfildern 2005, S. 63–101,hier S. 73–76, 80–89; Angenendt, Liturgik (wie Anm. 12) S. 28–37, bes. S. 33 ff.; Barbara Stoll-berg-Rilinger, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (Zeitschrift für historische Forschung,Beiheft 35) Berlin 2005, S. 9–24.

16 Zu den wegweisenden Arbeiten von Percy Ernst Schramm János M. Bak, Medieval Symbology of theState: Percy E. Schramm’s Contribution, in: Viator 4, 1973, S. 33–66; Nikolaus Gussone, Herrschafts-zeichen und Staatssymbolik. Zum 100. Geburtstag von Percy Ernst Schramm, in: Maiestas 2, 1994,S. 93–99; Reinhard Elze, I segni del potere e altre fonti dell’ideologia politica del medio evo recente-mente utilizzate, in: Fonti medievali et problematica storiografica (Atti del Congresso internazionale,Roma 22–27 ottobre 1973) Roma 1976, S. 283–300; Ders., Le consecrazioni regie, in: Segni e riti nellachiesa altomedievale occidentale (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo 33)Spoleto 1987, S. 41–55; Robert L. Benson, Kantorowicz on Continuity and Change in the History ofMedieval Rulership, in: Ders. – Johannes Fried (Hgg. ), Ernst Kantorowicz (Frankfurter HistorischeAbhandlungen 39) Stuttgart 1997, S. 202–210.

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die Rolle des Königs bei der Einsetzung eines Bischofs? Meinen sie wirklich das, was inden modernen Interpretationen unter „die Bistümer vergeben“ verstanden wird? Wieist für sie das, was wir „sakrales Königtum“ oder „Herrschersakralität“ nennen, mitder Bischofserhebung verknüpft? Auch in der heutigen Historiographie scheint diePerspektive des Rechts, des „Investiturrechts“, noch nicht ganz überwunden zu sein,die erst im Verlauf des Investiturstreits herausgestellt wurde. Bis dahin begründetenandere Vorstellungen die Rolle des Königs bei der Bischofserhebung 17.

Eine kurze historische Einordnung soll den Ansatz meiner Überlegungen verdeut-lichen. Ich verwende dabei Formulierungen aus einem Beitrag zum Katalog der Aus-stellung „Für Königtum und Himmelreich. 1000 Jahre Bischof Meinwerk von Pader-born“, nehme hier jedoch das Konzept der Herrschersakralität schärfer in den Blick18.

Die Formen der Bischofserhebung haben sich von den Anfängen der Kirche bisheute stetig verändert 19. Eine Wende von weit reichender Wirkung fällt in das halbeJahrhundert, das man begrenzen kann mit dem Beginn des Pontifikats Papst Gre-gors VII. 1073 und mit dem Abschluss des Wormser Konkordats 1122. Vorkämpfer

17 Unter der Perspektive des Wandels im 11. Jahrhundert Hagen Keller, Zwischen regionaler Begren-zung und universalem Horizont. Deutschland im Imperium der Salier und Staufer. 1024–1250 (Propy-läen Geschichte Deutschlands 2) Berlin 1986, S. 107–126 („Reich und Kirche“ im Rahmen des Kapitels„Gewohnte Ordnung – gültige Normen?“, S. 107–163).

18 Hagen Keller, ‚Der König bat und befahl.‘ Über die Einsetzung der Bischöfe im ottonisch-frühsali-schen Reich, in: Für Königtum und Himmelreich. 1000 Jahre Bischof Meinwerk von Paderborn, Re-gensburg 2009, S. 40–57. Der Katalogbeitrag war Ausgangspunkt für die Überlegungen, die ich am20. 11. 2010 zu dem Workshop „Sakrale Dimensionen frühmittelalterlicher Machtausübung – Befundeund Deutungen“ beigesteuert habe, den Christoph Dartmann im Rahmen des Exzellenz-Clusters „Re-ligion und Politik in Kulturen der Vormoderne und Moderne“ an der Westfälischen Wilhelms-Univer-sität Münster veranstaltete; vgl. die Beiträge von Christoph Dartmann, Giovanni Isabella und Jenny R.Oesterle in diesem Band. Dem Aufsatz liegt die leicht veränderte Fassung des Vortrags zugrunde, dieich am 26. 01. 2011 auf Einladung von Nikolas Jaspert und Jenny R. Oesterle an der Ruhr-UniversitätBochum diskutieren konnte. Für Unterstützung bei der Ausarbeitung der Vorträge und des Aufsatzesdanke ich Franz Strukamp und Isabelle Schmitz. Die Veröffentlichung im Jahrbuch des Instituts fürFrühmittelalterforschung sei Joachim Wollasch in dankbarer Erinnerung an die langjährige Zusammen-arbeit in Münster gewidmet.

19 Jean Gaudemet, Les élections dans l’église latine des origines au XVIe siècle, Paris 1979; Anton Lan-dersdorfer, Die Bestellung der Bischöfe in der katholischen Kirche, in: Münchner Theologische Zeit-schrift 41, 1990, S. 271–290; Arnold Angenendt, Bischofswahl und Bischofsweihe, in: BarbaraStollberg-Rilinger u. a. (Hgg. ), Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800. Katalog,Darmstadt 2008, S. 27–37; Franz-Reiner Erkens, Die Bischofswahl im Spannungsfeld zwischen welt-licher und geistlicher Gewalt. Ein tour d’horizon, in: Ders. (Hg. ), Die früh- und hochmittelalterliche Bi-schofserhebung im europäischen Vergleich (Beiheft zum Archiv für Kulturgeschichte 48) Köln – Wei-mar – Wien 1998, S. 1–32; Klaus Ganzer, Zur Beschränkung der Bischofswahl auf die Domkapitel inTheorie und Praxis des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechts-geschichte, Kanonistische Abteilung 57, 1971, S. 22–82; 58, 1972, S. 166–197; Hubert Wolf, Präsenzund Präzedenz. Der kaiserliche Wahlkommissar und die Entwicklung von Verfahren und Zeremoniellbei den frühneuzeitlichen Bischofswahlen, in: Christoph Dartmann u. a. (Hgg. ), Technik und Sym-bolik vormoderner Wahlverfahren (Historische Zeitschrift Beihefte NF 52) München 2010, S. 183–200.

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einer <Kirchenreform> fokussierten zwei Akte als Kernpunkte einer notwendigenRückbesinnung und Neuordnung: Das war erstens die Wahl des Bischofs, und es warzweitens die Investitur des Erwählten mit Ring und Stab 20. Beide Akte wurden dabeineu interpretiert, wie auch die Investitursymbole – Ring und Stab – eine neue Deutungerhielten 21. Danach konnte dem König ein unerlaubter Übergriff in die geistlicheSphäre vorgehalten werden, während dessen Anhänger sich gegen eine Scheidungwandten, die zur Spaltung einer bisher <gültigen> Einheit führe.

Nach Meinung der radikalen Kirchenreformer stand dem König als einem Laienweder eine Beteiligung an der Auswahl eines Bischofs noch gar die Einweisung in dasBistum durch die Übergabe von Zeichen des geistlichen Amtes zu. Schon die Tatsache,dass der König als <Laie> eingestuft wurde, war für die Salierkönige und ihre Helfer einean Blasphemie grenzende Provokation 22; und daraus vor allem resultierte die Schärfedes Konflikts mit dem <Reformpapsttum>, der als <Investiturstreit> in die Geschichts-bücher einging.

Wie die Einsetzung der Bischöfe gestaltet wurde, war nicht einfach eine Fragerechtlicher Regelungen und institutioneller Zuständigkeiten, und es ging dabei nie inerster Linie um kirchenpolitische Einflussnahme und weltliche Macht. Die Gestaltungder Akte war primär eine Frage des Kirchenverständnisses, das heißt sie enthielt einetheologische Antwort auf die Frage, was die Kirche ihrem Wesen nach ist. Wie mussihre Erscheinungsform in dieser Welt aussehen, damit sie dem göttlichen Heilsplanund der Stiftung durch Jesus Christus entspricht?

Um 1000 verstand man <Kirche> anders, als die Protagonisten der <Kirchen-reform> sie dann sahen, und auch ihrer Struktur und Organisation nach ist die Kircheseit der Zeit der <Reformpäpste> zu etwas anderem geworden, als sie es vorher war 23.

20 Literatur wie Anm. 1; vgl. ferner Josef Fleckenstein, Heinrich IV. und der deutsche Episkopat in denAnfängen des Investiturstreites, in: Josef Fleckenstein – Karl Schmid (Hgg. ), Adel und Kirche.Festschrift Gerd Tellenbach zum 65. Geburtstag, Freiburg – Basel – Wien 1968, S. 221–236; JohannEnglberger, Gregor VII. und die Investiturfrage. Quellenkritische Studien zum Investiturverbot von1075 (Passauer Historische Forschungen 9) Köln – Weimar – Wien 1996, S. 128–180; Stefan Wein-furter, Canossa. Die Entzauberung der Welt, München 2006, S. 173–190.

21 Schieffer (wie Anm. 1) S. 40 f.; Depreux (wie Anm. 1) S. 175–178.22 Franz-Reiner Erkens, Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in

spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Vom Umbruch zur Erneuerung (wie Anm. 1) S. 71–101; LudgerKörntgen, ‚Sakrales Königtum‘ und ‚Entsakralisierung‘ in der Polemik um Heinrich IV., in: GerdAlthoff (Hg. ), Heinrich IV. (Vorträge und Forschungen 69) Ostfildern 2009, S. 127–160.

23 Das historische Urteil über die epochale Bedeutung des Investiturstreits ist so einhellig, dass sich Belegehier erübrigen – unbeschadet der Tatsache, dass in katholischer Sicht die „Wende des Investiturstreits“weiterhin als Stufe in der Entfaltung der petrinischen Tradition gedeutet wird. Mit Blick auf die Ausfor-mung des heutigen Geschichtsbildes sei erinnert an Veröffentlichungen wie Anton MAyer-Pfann-holz, Die Wende von Canossa. Eine Studie zum Sacrum Imperium, in: Hochland 30, 1931/32,S. 385–404 (vgl. unten Anm. 43); Gerd Tellenbach, Libertas. Kirche und Weltordnung im Zeitalterdes Investiturstreits (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 7 ) Stuttgart 1936. Ein tiefgrei-fender, die Kirche verändernder Wandel wurde im Rückblick schon von Autoren des 12. Jahrhundertsdiagnostiziert, dazu kurz Hagen Keller, 1100. Am Scheideweg – die lateinische Christenheit im Rich-

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160 Hagen Keller

Der Wandel der Ekklesiologie und die tief greifende Veränderung der Kirche als Insti-tution verbieten es, die Bischofserhebung in ottonisch-frühsalischer Zeit in den Kate-gorien zu beurteilen, die erst im und seit dem Investiturstreit formuliert wurden. Umdie erste Jahrtausendwende hatte man eine andere Auffassung von der rechten Ord-nung in der christlichen Welt. Der Unterschied zwischen den damaligen Überzeugun-gen und dann der neuen Ekklesiologie manifestiert sich besonders deutlich in der Stel-lung und den Funktionen, die man dem König aufgrund seiner Verantwortung vorGott für das christliche Volk zuschrieb. In der Vorstellungswelt des 10. und 11. Jahr-hunderts griffen die Aufgaben der Könige und die der Bischöfe in der Lenkung derChristenheit ganz unmittelbar ineinander 24. Bei der Bischofserhebung wurden der ge-meinsame göttliche Auftrag und die Unterschiede der jeweiligen Rolle durch symboli-sche Handlungen unterstrichen.

II. ZEUGNISSE FÜR DIE SAKRALE DEUTUNG DES KÖNIGTUMSAUS OTTONISCH-SALISCHER ZEIT

Von Bischof Thietmar von Merseburg (1009–1018) stammt eine Begründungfür die Mitwirkung des Königs bei der Einsetzung der Bischöfe, die zu Recht alsSchlüsselzeugnis für die Anschauungen der spätottonischen Zeit gilt. Er erwähnt, dasszur Zeit König Heinrichs I. der Herzog Arnolf von Bayern die besondere Vollmacht(potestas ) besaß, alle Bistümer in seinem Land mit eigener Hand zuzuteilen (distribuere );allerdings sei dieses Ehrenrecht (honor ) nicht an die nachfolgenden Herzöge überge-gangen. Dann folgt der aufschlussreiche Satz:

‚Vielmehr vollziehen diesen Akt (hoc ordinant ) allein unsere Könige und Kaiser, die auf der irdischenPilgerfahrt an Stelle des höchsten Lenkers ( summi rectoris vice ) über alle gesetzt sind (praepositi ); und nursie stehen, herausgehoben aus allen Menschen, zu Recht ihren Hirten vor (praesunt ); denn es wäreganz und gar unangemessen, wenn diejenigen, die Christus zu seinem Gedächtnis als die Erstenauf Erden eingesetzt hat (huius terrae principes constituit ), der Herrschaft (dominio ) von jemand anderemunterständen als derer, die nach dem Beispiel des Herrn durch die Ehre der Weihe und der Krone( benedictionis et coronae gloria ) alle Sterblichen überragen (praecellunt ).‘ 25

tungsstreit, in: Lothar Gall (Hg. ), Das Jahrtausend im Spiegel der Jahrhundertwenden, Berlin 1999,S. 65–105; Hagen Keller, Religiöse Leitbilder und das gesellschaftliche Kräftefeld am Aufgang derRomanik, in: Canossa 1077 (wie Anm. 3) 1: Essays, S. 184–198, hier S. 186–191. Zu den Wertungen vgl.das nachdenkliche „Nachwort“ von Tellenbach (wie Anm. 13) S. 268–272.

24 Tellenbach (wie Anm. 13) S. 43–46, S. 57–60; Stefan Weinfurter, Kaiser Heinrich II. Herrscheram Ende der Zeiten, Regensburg 1999, S. 127–167; Ders., Kollegen des Königs. Die Bischöfe im Reichvor 1000 Jahren, in: Für Königtum und Himmelreich (wie Anm. 8) S. 30–38.

25 Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung, hg. von RobertHoltzmann (MGH SS rer. Germ. NS 9) Berlin 1935, I 26, S. 32/35; auch in: Thietmar von Merseburg,Chronik, übertragen von Werner Trillmich (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte desMittelalters 9 ) Darmstadt 1957, S. 30–31; zur oft zitierten Stelle in jüngerer Zeit Ludger Körntgen,Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiogra-phie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit (Orbis medievalis. Vorstellungswelten desMittelalters 2 ) Berlin 2001, S. 121–126.

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In diesem Bild verdichtet sich das, was die Mitwirkung des Königs an der Erhe-bung der Bischöfe für die Zeit um 1000 ekklesiologisch begründen konnte. Bischöfeversehen ihr Hirtenamt in der Nachfolge der Apostel. So wie Christus die Jünger beru-fen hatte, so hatten diese ihren Auftrag an die ersten Bischöfe weitergegeben, und in derFortsetzung dieser Weitergabe liegt die apostolische Sukzession, in der alle rechtmäßi-gen Bischöfe stehen26. Ihnen ist die Kirche Jesu Christi anvertraut – doch nicht ihnen al-lein. Gott beruft die Könige in ihr Amt, durch ihn herrschen sie (Spr 8,15), wie auf einerEmail-Platte der Reichskrone zu lesen ist; sie müssen vor Gott Rechenschaft ablegen fürdie Richtigkeit des Lebens in dem Reich, das ihnen Gott selbst anvertraut hatte27. Dassman in ihm denjenigen sehe, der ‚im Namen und an Stelle Christi handle‘, wird demkünftigen König in dem Moment gesagt, in dem er bei der Weihe die Krone empfängt28.‚Du bist zur höchsten Würde gelangt, du bist vicarius Christi‘, sprach der Erzbischof vonMainz, als er 1024 Konrad II. zum König krönte29. Besonders im 10. und 11. Jahrhun-dert wurde Königen und Kaisern dieser Ehrentitel – <Statthalter Christi> – gegeben. Daswar im Grunde nicht neu; die Vorstellung lässt sich bis zu Kaisern der Spätantike zu-rückverfolgen. Unter den Ottonen aber rückte sie in das Zentrum der Herrschaftslegi-timation30. Wer die dominierende Rolle des Königs bei der Bischofserhebung in Fragestellte, musste ihm den Christus-Vikariat bestreiten. Nach Gregor VII. haben die Päpstediesen Titel exklusiv für sich reklamiert und zu einem Fundament für die hierarchischeStruktur einer vom Papst geleiteten Gesamtkirche gemacht31.

26 Luciana Mortari, Consacrazione episcopale e collegialità. La testimonianza della Chiesa antica (Testie ricerche di Scienze religiose 4 ) Florenz 1969; Rudolf Schieffer, Bischofserhebungen im westfrän-kisch-französischen Reich im späten 9. und im 10. Jahrhundert, in: Die früh- und hochmittelalterlichenBischofserhebung (wie Anm. 19) hier S. 59–64.

27 Stefan Weinfurter, Zur „Funktion“ des ottonischen und salischen Königtums, in: Michael Bor-golte (Hg. ), Mittelalterforschung nach der Wende 1989 (Historische Zeitschrift Beihefte NF 20)München 1995, S. 349–361; Stefan Weinfurter, Investitur und Gnade. Überlegungen zur gratialenHerrschaftsordnung des Mittealters, in: Marion Steinicke – Ders. (Hgg. ), Investitur- und Krönungs-rituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, Köln – Weimar – Wien 2005, S. 105–123.

28 Le pontifical romano-germanique du dixième siècle, hg. von Cyrille Vogel – Reinhard Elze, 1(Studi e testi 269) Città del Vaticano 1963, S. 257.

29 Gesta Chuonradi imperatoris, cap. 3, in: Die Werke Wipos, hg. von Harry Bresslau (MGH SS rer.Germ. 61) Hannover – Leipzig 1915, S. 22 f; vgl. Anm. 49.

30 Michele Maccarone, Il sovrano vicarius Dei nell’alto medio evo, in: La Regalità Sacra. Contributi altema dell’ VIII Congresso internazionale di storia delle religioni (Roma, Aprile 1955) (Studies in theHistory of Religions 4) Leiden 1959, S. 581–594; Walter Dürig, Der theologische Ausgangspunkt dermittelalterlichen liturgischen Auffassung vom Herrscher als Vicarius Dei, in: Historisches Jahrbuch 77,1958, S. 174–187; Ernst H. Kantorowicz, The King’s Two Bodies. A Study in Medieval PoliticalTheology, Princeton 1957, ND 1981, S. 87–93, dt. Die zwei Körper des Königs, München 1990,S. 106–111; Franz-Reiner Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. ReligiöseHerrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Ka-nonistische Abteilung 89, 2003, S. 1–55, hier S. 8–15.

31 Michele Maccarone, Il Papa Vicarius Christi, in: Miscellanea Pio Paschini. Studi di storia ecclesiastica,1, Roma 1948, S. 427–500; Ders., Vicarius Christi. Storia del titolo papale (Lateranum NS 18) Roma1951; Marie-Luise Heckmann, Art. <Vikar, -iat. III>, in: LMA 8, 1997, Sp. 1663 f.; vgl. Gerd Tellen-

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162 Hagen Keller

In Thietmars Aussage wird bildhaft die fortdauernde Gemeinschaft der Apostelmit Christus als ihrem Haupt beschworen, das heißt letztlich: das Urbild der Kirche.Die Bischöfe geben den Auftrag und die Kraft, die Christus seinen Jüngern übertragenhat, an einen neuen Mitbruder weiter. Das geschieht in sakramentaler Weise in derWeihe, durch die der Bischof zum ‚Vikar der Apostel und damit zugleich Christi‘ wird(vicarius apostolorum immo et Christi ) 32. Gerade die Quellen der ottonischen und salischenZeit heben gern hervor, wie viele Bischöfe bei der Konsekration eines neuen Mitbru-ders – nach altem Brauch – die Hand auf dessen Haupt legten 33. Sie traten so symbo-lisch als Abbild der Apostelgemeinschaft in Erscheinung, und häufig war der König,der vicarius Christi, selbst anwesend. Dass eine große Zahl von Bischöfen – manchmalsind es bewusst zwölf ‚als Abbild des apostolischen Amtes‘, wie die <QuedlinburgerAnnalen> formulieren 34 – unter Teilnahme des Herrschers die Weihe eines neuen Got-teshauses vollzog, gilt als signifikantes Phänomen der spätottonisch-frühsalischenZeit 35. Der König als vicarius Christi und die Bischöfe als vicarii apostolorum versinnbild-lichen gemeinsam, dass in der Weihehandlung selbst der Geist und die Macht Gottesanwesend sind.

Mit der Krone wurde dem König Anteil an der Königsherrschaft Christi überdie irdische Welt gegeben; zugleich erhielt er, wie es im Gebet beim Aufsetzen derKrone heißt, Teilhabe am bischöflichen Amt 36. Der geistlich-kirchliche Charakterdes Königsamtes wurde dadurch unterstrichen, dass sich die Königsweihe unterden Ottonen in ihren Formen der Bischofsweihe anglich 37. Der König steht also nicht

bach, Die Entfaltung des abendländischen Geistes, in: Saeculum Weltgeschichte 4, Freiburg – Basel –Wien 1967, hier S. 343 ff.; Horst Fuhrmann, Die Päpste. Von Petrus zu Johannes Paul II., München1998, S. 127 ff.

32 Le pontifical (wie Anm. 28) S. 199.33 Klaus Scholtissek, Art. <Handauflegung, II. Neues Testament>, in: LThK 4, 1995/2006, Sp. 1170 f.;

Cyrille Vogel, Art: <Handauflegung ( liturgisch)>, in: RAC 13, 1986, Sp. 482–493; Anthony T. Han-son, Art. <Handauflegung>, in: TRE 16, 1985, hier Sp. 418–421; Friedemann Merkel, ebd. Sp. 422 ff.;zur altkirchlichen Tradition vgl. Mortari (wie Anm. 26) bes. S. 99–104.

34 Annales Quedlinburgenses, hg. von Martina Giese (MGH SS rer. Germ. 72) Hannover 2004, ad a. 992,S. 480 ff. ( aus einer verlorenen Vorstufe der <Gesta episcoporum Halberstadensium>, S. 480 Anm. 913).

35 Karl Josef Benz, Untersuchungen zur politischen Bedeutung der Kirchweihe unter Teilnahme derdeutschen Herrscher im hohen Mittelalter, Kallmünz 1975; Ders., Episcopi conbenedicentes. Die ge-meinsame Kirchweihe durch mehrere Bischöfe im hohen Mittelalter als Ausdruck der bischöflichenKollegialität, in: Didier Méhu (Hg. ), Mises en scène et mémoires de l’église dans l’occident médiéval(Collection d’études médiévales de Nice 7) Turnhout 2008, S. 365–380.

36 Le pontifical (wie Anm. 28) S. 257.37 Eduard Eichmann, Königs- und Bischofsweihe (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wis-

senschaften, Philologisch-Historische Klasse, Jahrgang 1928, 6 ) München 1928, ist hinsichtlich derGenese der Königssalbung grundlegend korrigiert worden durch Arnold Angenendt, Rex et sacerdos.Zur Genese der Königssalbung, in: Norbert Kamp – Joachim Wollasch (Hgg. ), Tradition als his-torische Kraft, Berlin – New York 1982. In unserem Zusammenhang kommt es auf die Erscheinungs-form des gesamten öffentlichen Weiheaktes von König und Bischof im 10./11. Jahrhundert an. Vgl.auch Weinfurter, Kollegen (wie Anm. 24).

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der Kirche gegenüber, sondern im Kreis der Bischöfe steht er in ihr als der ihr vonGott gegebene Lenker. Nach den damaligen Vorstellungen ist er kein Laie, sonderndurch die Salbung wie ein Bischof christus Domini, der ‚Gesalbte des Herrn‘ 38. Er galtals die Gewalt im Sinne des Römerbriefes (13, 1–7), die Gott zur Lenkung des christ-lichen Volkes gesetzt hat 39, und deshalb ist er in seinem Reich d e r , nicht nur e i nvicarius Christi.

Diese Überzeugung wurde damals von Malermönchen in kühnen Bildern zurAnschauung gebracht. Das bekannteste Beispiel ist die Darstellung im Liuthar-Evan-geliar des Aachener Domschatzes. Hier erscheint Kaiser Otto III. in einer Art Man-dorla, was an die Darstellung Christi im Bild der <Maiestas Domini> erinnert. Durch dieGestalt der Terra im Suppedaneum des Throns und die Hand Gottes in der blau um-randeten Sphäre, aus der heraus das Haupt des Kaisers gekrönt wird, scheint der Herr-scher gewissermaßen aus der irdischen in die himmlische Zone hineinzuragen. EinBand, das die Symbole der vier Evangelisten über die Brust des Thronenden ziehen,trennt wie ein Vorhang die himmlische Sphäre von der irdischen. Das Band ist zugleichals Schriftrolle zu verstehen und visualisiert die vier Evangelien, mit denen Gott, demWidmungsvers zufolge, das Herz des Herrschers bekleiden soll. Damit Otto den Platzeinnehmen kann, auf dem ihn der Stifter Liuthar in einer Vision sieht, möge Gott seinHerz mit der Botschaft Christi erfüllen 40.

Die Miniatur steht in einer Prachthandschrift für den liturgischen Gebrauch.Liuthars Anrede enthält eine Gebetsbitte für den Kaiser ( ‚Möge Gott Dein Herzmit dem Evangelium erfüllen‘ ), die man zugleich als Ermahnung lesen kann: „Handledanach!“. Die Figur verweist auf eine Verheißung, die alle Gebote Gottes an das irdi-sche Oberhaupt einschließt. Sie müssen sein Handeln lenken, damit er – wie liturgischvielfach erfleht wird – nach der zeitlichen Herrschaft in der Ewigkeit mit dem König

38 Angenendt, Rex et sacerdos (wie Anm. 37) bes. S. 103–107; Horst Fuhrmann, Die Synode von Ho-henaltheim (916) – quellenkundlich betrachtet, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters43, 1987, S. 440–468, hier S. 448–452; Wilfried Hartmann, König Konrad I. und die Kirche, in:Hans-Werner Goetz (Hg. ), Konrad I. – Auf dem Weg zum „Deutschen Reich“?, Bochum 2006,S. 93–109, hier S. 103 ff.; Franz-Reiner Erkens, Konrad I. als christus domini, ebd. S. 112–127.

39 Werner Affeldt, Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese. Röm. 13, 1–7 in den Römerbriefkom-mentaren der lateinischen Kirche bis zum Ende des 13. Jahrhunderts (Forschungen zur Kirchen- undDogmengeschichte 22) Göttingen 1969.

40 Ernst-Günther Grimme, Das Evangeliar Kaiser Ottos III. im Domschatz zu Aachen, Freiburg – Ba-sel – Wien 1984, S. 14–20. Zur Deutung der vielfach reproduzierten Darstellung siehe insbesondereKantorowicz (wie Anm. 30) S. 71–78, dt. S. 81–97; Konrad Hoffmann, Taufsymbolik im mittel-alterlichen Herrscherbild (Bonner Beiträge zur Kunstwissenschaft 9 ) Düsseldorf 1968, S. 14–41;Hagen Keller, Herrscherbild und Herrschaftslegitimation. Zur Deutung der ottonischen Denkmäler,in: Frühmittelalterliche Studien 19, 1985, S. 290–311, hier S. 303 ff; Ders., Ritual, Symbolik und Visua-lisierung in der Kultur des ottonischen Reiches, in: Frühmittelalterliche Studien 35, 2001, S. 23–59, hierS. 46–53; Steffen Patzold, Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit. Zum Herrscherbild im Aa-chener Otto-Evangeliar, ebd. S. 243–272; Körntgen (wie Anm. 25) S. 178–211.

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der Könige, mit Christus, herrschen darf 41. Als Mensch ist der König überall in derGefahr, diesen Weg zu verfehlen, und deshalb bedarf er des unablässigen Gebets fürden Bestand seiner Herrschaft und für sein künftiges Seelenheil. Liuthars Bildvisionzeigt nicht, was der Kaiser ist, sondern was er in Gottes Weltordnung mit der GnadeGottes sein soll und sein kann. Zu einer nur wenig jüngeren Darstellung der <MaiestasDomini> heißt es im zugehörigen Titulus: ‚Diese sichtbare Erfindung bildet jenes un-sichtbare Wahre ab, dessen Glanz die Welt durchdringt mit den zweimal zwei Leuch-tern der neuen Lehre‘, d. h. mit den vier Evangelien 42.

Die symbolisch-exegetische Imagination des „unsichtbaren Wahren“, das dieOrdnung der Welt bestimmen soll, ist der Ausgangspunkt für die sich steigernden Äu-ßerungen über den sakralen Charakter der Königsherrschaft. Der Versuch, die „Wahr-heit“ zu schauen und gewissermaßen homiletisch zu vermitteln, erlaubt es, die Grund-vorstellungen durch eine assoziative Verknüpfung mit anderen Bildern zu steigern:Der Herrscher gilt als „König und Priester“ wie Melchisedek im Alten Testament, des-sen Stellung als rex et sacerdos wiederum als Präfiguration Christi, des wahren und ein-zigen „Königs und Priesters“, gedeutet wurde 43; die Sendung Christi als Mittler zwi-schen Erde und Himmel, zwischen den Menschen und Gott, spiegelt sich in der Rolledes Königs als ‚Mittler zwischen Klerus und Volk‘ 44; der König erscheint als Haupt derdomus Dei, des Hauses Gottes, als das man das nach Gottes Geboten geordnete Reichversteht 45; er kann mit Bezug auf seine Regierungsaufgabe als <guter Hirte> apostro-

41 Percy E. Schramm, „Mitherrschaft im Himmel“: ein Topos des Herrscherkults in christlicher Einklei-dung, in: Peter Wirth (Hg. ), Polychronion. Festschrift Franz Dölger zum 75. Geburtstag, Heidelberg1966, S. 480–485.

42 Keller, Herrscherbild (wie Anm. 40) S. 308 (mit Literaturhinweisen); zur Handschrift ferner: Vor demJahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu, Köln 1991 (Ausstellungskata-log), S. 40–45 (Anton van Euw); Christoph Winterer, Monastische meditatio versus fürstliche Reprä-sentation? Überlegungen zu zwei Gebrauchsprofilen ottonischer Buchmalereien, in: Klaus GereonBeuckers u. a. (Hgg. ), Die Ottonen. Kunst – Architektur – Geschichte, Petersberg 2002, S. 103–128,bes. S. 109–112.

43 Angenendt, Rex et sacerdos (wie Anm. 37) S. 100–118; vgl. Ders., Karl der Große als „Rex et sacerdos“,in: Rainer Berndt (Hg. ), Das Frankfurter Konzil. Kristallisationspunkt karolingischer Kultur, 1(Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 80/1) Frankfurt a. M. 1997,S. 255–278; Ludger Körntgen, König und Priester. Das sakrale Königtum der Ottonen zwischenHerrschaftstheologie, Herrschaftspraxis und Heilsorge, in: Die Ottonen (wie Anm. 42) S. 51–61. Zuden hier aufgeführten Belegen vgl. schon Mayer-Pfannholz (wie Anm. 23), zitiert nach dem Wieder-abdruck in: Helmut Kämpf (Hg. ), Canossa als Wende (Wege der Forschung 12) Darmstadt 1963,S. 1–26, hier S. 12–18; neuerdings z. B. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 30) S. 9–15.

44 Rudolf Schieffer, Mediator cleri et plebis. Zum geistlichen Einfluss auf Verständnis und Darstellung desottonischen Königtums, in: Gerd Althoff – Ernst Schubert (Hgg. ), Herrschaftsrepräsentation imottonischen Sachsen (Vorträge und Forschungen 46) Sigmaringen 1998, S. 345–361.

45 Weinfurter, Kollegen (wie Anm. 24) S. 31 ff.; Ders., Konfliktverhalten und Individualität des Herr-schers am Beispiel Heinrichs II. (1002–1024), in: Stefan Esders (Hg. ), Rechtsverständnis und Kon-fliktbewältigung. Geschichtliche und außergeschichtliche Strategien im Mittelalter, Köln u. a. 2007,S. 291–311, hier S. 299–302.

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phiert werden 46, so wie es auch die Bischöfe für ihre <Herde> sein sollen – als Mittlerder heilsgeschichtlichen Zuwendung Christi und Gottes zum Menschen. Solche Glau-bensvorstellungen lassen sich nicht als Einzelelemente zu einem System zusammen-fügen. Sie entfalten vielmehr eine Grundüberzeugung in komplexen bildhaften Ver-dichtungen, so wie sie auch in der spätottonisch-frühsalischen Buchmalerei zurAnschauung gebracht wird 47.

Die Belege für den sakralen Charakter der Königsherrschaft stammen in otto-nisch-frühsalischer Zeit fast alle aus e i n e m Bereich: Krönungsliturgie, Gebete fürden Herrscher, Herrscherermahnungen, theologische Deutungen historischen Ge-schehens, Herrscherbilder in liturgischen Handschriften oder auf liturgischem Gerät.Angesprochen oder ins Bild gesetzt wird nicht etwas, was der Herrscher wie eineEigenschaft besitzt und wovon er Gebrauch machen kann. Die Texte oder Bilder evo-zieren vielmehr den in Gottes Welt- und Seinsordnung vorgesehenen Platz des Königs.Darauf habe ich im Aufsatz „Herrscherbild und Herrschaftslegitimation“ vor 25 Jahrenmit Nachdruck hingewiesen 48. Wenn der Mainzer Erzbischof dem zu krönenden Kon-rad II. ins Bewusstsein ruft, dass er in diesem Akt zum vicarius Christi bestellt wird, istdiese Aussage eingebettet in eine Predigt, die von der göttlichen Setzung der irdischenGewalt ihren Ausgang nimmt. Die ganze Gemeinde wird aufgerufen, dafür zu beten,dass Konrad das Amt, das er in diesem Moment durch bischöfliche Vermittlung reinerhält, vor jeder Trübung bewahre. Sie schließt mit der Bitte (oramus ) an den Gekrön-ten, im Namen der gesamten heiligen Kirche ausgesprochen, jetzt sofort zeichenhaftdie Tugenden zu üben, die seine Herrschaft ‚von Gottes Gnaden‘ stets erfüllen sol-len 49. Auch Thietmar betont in der zitierten Passage, was als rechte Ordnung zu geltenhat; er beklagt zugleich, dass es vielerorts nicht ihr entsprechend zugeht 50.

Die Zeugnisse der ottonisch-frühsalischen Zeit heben den König nicht in einebesondere rechtliche Position. Vielmehr weisen sie ihm – zugespitzt formuliert – eineliturgische Rolle im sichtbaren Vollzug der Ordnung zu, in der er als die von Gott ge-setzte Gewalt agiert. Deshalb findet sich, wenn ich recht sehe, in Konflikten zwischendem König und betroffenen Kirchen um die Besetzung des Bischofsstuhls bis zum<Investiturstreit> nie eine Berufung auf die Sakralität des Herrschers, etwa auf seinen

46 Monika Suchan, Der gute Hirte. Religion, Macht und Herrschaft in der Politik der Karolinger- undOttonenzeit, in: Frühmittelalterliche Studien 43, 2009, S. 95–112.

47 Keller, Ritual (wie Anm. 40) S. 46–53.48 Keller, Herrscherbild (wie Anm. 40).49 Gesta Chuonradi imperatoris, cap. 3 (wie Anm. 29) S. 21 ff. Im Zusammenhang unserer Fragestellung

sind hier alle Nuancen in den Formulierungen Wipos zu beachten, insbesondere auch das implizierteTheologumenon in der Aussage (ebd. S. 23): clementiam tuam oramus ut illis dimittas pro caritate Dei, quae te

hodie in virum alterum mutavit et n u m i n i s s u i p a r t i c i p e m f e c i t , quatenus ipse tibi eandem vicem pro universis

delictis tuis dignetur rependere. Zur Verknüpfung des herrscherlichen Verzeihens mit der Gnade GottesHagen Keller, Die Idee der Gerechtigkeit und die Praxis königlicher Rechtswahrung im Reich derOttonen, in: La giustizia nell’alto medioevo (secoli IX–XI) (Settimane di studio del Centro italiano distudi sull’alto medioevo 44) Spoleto 1997, S. 91–131, hier S. 121–128.

50 Thietmar, Chronik (wie Anm. 25).

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Christus-Vikariat, als Rechtsposition. Das religiöse Idealbild steht über konkretenAuseinandersetzungen und gewinnt seine Leuchtkraft, wo Konflikte sichtbar über-wunden sind oder wo sie konsensual überwunden werden sollen 51. Im rechtlichenSinne wird erst argumentiert, seitdem die Einbeziehung in die Auswahl und Einset-zung der Bischöfe dem Herrscher grundsätzlich und von einer konkurrierenden In-stanz bestritten wird: auf der Basis einer neu gefassten Ekklesiologie und unter Beru-fung auf alte kirchliche Rechtssätze.

III. VERHANDLUNGEN ZWISCHEN KÖNIG UND DOMKIRCHENUM DIE NEUBESETZUNG DES BISCHOFSSTUHLS

Unbeschadet ihrer sakralen Stellung konnten die Könige keineswegs mehr oderweniger frei über vakante Bischofsstühle verfügen. Vielmehr mussten sie jeweils neuversuchen, in einem spezifischen Interessen- und Spannungsfeld eine Entscheidungin ihrem Sinne herbeizuführen 52. Dabei bildete die <Wahl> den kritischen Teil des Ver-fahrens. Die alte Norm, dass ein Bischof von Klerus und Volk seiner Diözese gewähltwerden soll, wurde nie bestritten. Auch in ottonischer Zeit schrieb man die einschlägi-gen Canones immer wieder ab 53. Doch was war eine Wahl, wenn man dafür keinerleigeregeltes Verfahren kannte und der Kreis der Wähler nie klar umschrieben war?

Wählen bedeutete im früheren Mittelalter, in Beratungen einen Konsens derGemeinschaft herbeizuführen und zu verhindern, dass es zu einer Spaltung kam 54.Geradezu idealtypisch schildert der Hofkapellan Wipo den für uns informellen Cha-rakter einer solchen Prozedur bei der Wahl Konrads II. zum König im Jahr 1024 55. Diewenig formalisierten Verhandlungen ließen im Grunde auch die Einbeziehung desKönigs in die Wahl eines Bischofs zu, zumal wenn man ihn als den von Gott berufenenLenker des <Kirchenreiches> sah.

51 Vgl. auch Ludger Körntgen, Möglichkeiten und Grenzen religiöser Herrschaftslegitimation. Zu denDynastiewechseln 751 und 918/919, in: Walter Pohl – Veronika Wieser (Hgg. ), Der frühmittel-alterliche Staat – Europäische Perspektiven (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philoso-phisch-Historische Klasse, Denkschriften 386) Wien 2009, S. 369–389, hier S. 387 ff.

52 Rudolf Schieffer, Der ottonische Reichsepiskopat zwischen Königtum und Adel, in: Frühmittel-alterliche Studien 23, 1989, S. 291–301; Wolfgang Georgi, Die Bischöfe der Kirchenprovinz Magde-burg zwischen Königtum und Adel im 10. und 11. Jahrhundert, in: Die früh- und hochmittelalterlicheBischofserhebung (wie Anm. 19) S. 83–137; vgl. Anm. 64 und 66.

53 Paul Schmid, Der Begriff der kanonischen Wahl in den Anfängen des Investiturstreits, Stuttgart 1926;vgl. Schieffer (wie Anm. 11) S. 71–75; Erkens, Bischofswahl (wie Anm. 19), der S. 27 mit Recht her-vorhebt, dass das Augenmerk der erzählenden Quellen kaum auf die Wahlhandlung selbst gerichtet ist.

54 Hagen Keller, Wählen im früheren Mittelalter, in: Technik und Symbolik vormoderner Wahlverfah-ren (wie Anm. 19) S. 35–52.

55 Hagen Keller, Schwäbische Herzöge als Thronbewerber: Herzog Hermann II. (1002), Rudolf vonRheinfelden (1077), Friedrich von Staufen (1125). Zur Entwicklung von Reichsidee und Fürsten-verantwortung, Wahlverständnis und Wahlverfahren im 11. und 12. Jahrhundert, in: Zeitschrift für dieGeschichte des Oberrheins 131, 1983, S. 123–162, hier S. 140–145.

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Die alte Vorstellung der Wahl durch Klerus und Volk der Diözese wurde zuge-spitzt in Regelungen, welche die Könige seit der Karolingerzeit in Privilegien für ein-zelne Bischofskirchen geschaffen hatten. Den Gemeinschaften in den Domklösternwurde das Recht verliehen, ihr Haupt – das war der Bischof – zu wählen, so wie esMönchsklöstern gemäß der Regel für ihren Abt schon früher garantiert worden war 56.Durfte ein König dieses Recht schmälern? Wie löste man in der Zeit um 1000 dabeiaufbrechende Konflikte?

In seiner Chronik schildert Thietmar in vielen Beispielen die Aushandlungspro-zesse, die der Einsetzung eines Bischofs vorausgingen, aber zugleich die symbolischenInszenierungen, in denen diese dann bildhaft sichtbar vollzogen wurde. Im Katalogzur Meinwerk-Ausstellung habe ich einige Fälle referiert und erörtert 57. An dieserStelle sei nur das für unsere Frage Wesentliche zusammengefasst.

Aufschlussreich sind die Berichte, wie der Magdeburger Domklerus nach demTode jedes Erzbischofs mit König Heinrich II. um die Wahrung seines verbrieftenWahlrechts rang 58. 1004 und zweimal 1012 vollzogen die Magdeburger sofort einerechtsförmliche Wahl, auch wenn der König ausdrücklich nur um einen einmütigenVorschlag gebeten hatte. Sie ließen sich aber dann darauf ein, über eine abweichendeVorgabe des Königs zu verhandeln. 1004 und bei der zweiten Neuwahl 1012 nahmensie schließlich einmütig den Wunschkandidaten des Königs an, nachdem Heinrich ga-rantierte, dass ihr Wahlrecht trotzdem unbeschadet gültig bleibe. 1012 wussten dieMagdeburger von vorn herein, dass der König ihren Kandidaten wegen seiner Jugendwohl nicht akzeptieren werde; sie wollten aber zunächst ihr Wahlrecht unterstrei-chen 59. Über diesen Dietrich, einen Vetter Thietmars, verhandelte Heinrich nicht: Errief ihn an den Hof, nahm ihn unter seine Kapelläne auf und gab ihm die Stelle, die bisdahin sein Kandidat für das Erzbistum innehatte. Die Magdeburger wählten den vomKönig gewünschten Gero; aber vor der Investitur übergab sich Gero dem Altar der Bi-schofskirche und schenkte zehn Höfe für die Aufnahme ins Domkapitel, wurde alsoMagdeburger Kleriker 60. Bei der ersten Wahl 1012 akzeptierte der König hingegennach Verhandlungen den in Magdeburg gewählten Dompropst, den er 1004 übergan-

56 Keller (wie Anm. 18) S. 49 f.; Santifaller (wie Anm. 13) S. 51–58. Zu den Wahlprivilegien fürMagdeburg Georgi (wie Anm. 52) S. 101–112, 123–137.

57 Keller (wie Anm. 18) S. 48–52.58 Dietrich Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert, 1 (Mitteldeut-

sche Forschungen 67/1) Köln – Wien 1972, S. 214 ff., 272 ff., 284 ff.; Weinfurter, Heinrich II.(wie Anm. 24) S. 147 f.; Georgi (wie Anm. 52) S. 112 ff., S. 124 ff., S. 131 ff.; Bernd Schütte, Bischofs-erhebungen im Spiegel von Bischofsviten und Bistumsgesten, in: Die früh- und hochmittelalterlicheBischofserhebung (wie Anm. 19) S. 175–180; Keller (wie Anm. 18) S. 50 ff. Zu den vorausgehendenAuseinandersetzungen um die Gründung des Erzbistums Magdeburg und die spätere Aufhebung desBistums Merseburg Gerd Althoff, Magdeburg – Halberstadt – Merseburg. Bischöfliche Repräsenta-tion und Interessenvertretung im ottonischen Sachsen, in: Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 44)S. 267–293; vgl. Anm. 64, 66.

59 Thietmar (wie Anm. 25) VI 74, S. 362; Claude (wie Anm. 58) S. 284 f.60 Thietmar (wie Anm. 25) VI 81, S. 372; Claude (wie Anm. 58) S. 285 ff.

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gen hatte. Thietmar beschreibt Wahl und Investitur am Hofe so: ‚Dann versammeltenwir uns alle vor dem König und erwählten aufgrund der Prüfung durch den König, derselbst als erster sein Votum abgab, diesen Vater, und alle Vornehmen stimmten bei;und alsbald empfing er vom König den Hirtenstab.‘ 61

Thietmar selbst kam 1009 bei der Besetzung des Bistums Merseburg nur zumZuge, weil der Erzbischof von Magdeburg, der Metropolit und zugleich ein enger Ver-trauter des Königs, durch energischen Einsatz den Angehörigen seines Domkapitelsgegen den von Heinrich II. favorisierten ‚verdienstvollen Adelger‘ durchdrückte. Be-vor Thietmar in Augsburg die Investitur erhielt, musste er die Bereitschaft zu umfang-reichen Schenkungen an die Merseburger Kirche erklären; zugleich trat er durchHandgang wie ein Hofkapellan in den Dienst des Königs ein 62.

Dass die Kommunikation auch scheitern konnte, zeigt die Neubesetzung desErzbistums Trier 1008. ‚Aus Liebe zum König‘ (Thietmar), aber ohne Verständigungmit ihm war ein Bruder der Königin Kunigunde, der Propst von St. Paulin, gewähltworden. Das wollte Heinrich trotz der ‚Bitte der Königin und anderer Freunde‘ auf kei-nen Fall akzeptieren, weil einige Jahre zuvor schon ein anderer Bruder Kunigundesohne seine Mitwirkung zum Bischof von Metz gewählt worden war. Stattdessen über-gab er das Erzbistum dem Kämmerer des Erzbischofs von Mainz, führte diesen mitHeeresgewalt zu Inthronisation und Weihe nach Trier und ließ den dort gewähltenAdalbero exkommunizieren. Es folgten jahrelang Kriegshandlungen. Der vom Königeingesetzte Meingaud konnte in Trier nie Fuß fassen; bis zum Tode (1016) residierte erin Koblenz 63.

IV. <KONSENSUALE HERRSCHAFT> UND <SAKRALES KÖNIGTUM>IM <KIRCHENREICH> DER OTTONEN UND SALIER

Das Zusammenwirken von Bischofskirche und König bei der <Wahl> eines neuenBischofs ist also ein kommunikatives Geschehen. Selbst wenn die Kanoniker desDomklosters zur Wahrung ihrer Rechte eine förmliche Wahl vollziehen, bitten siemeist demütig um Annahme ihres Vorschlags; sie wissen, dass der König ablehnenkann, vielleicht sogar ablehnen wird. Aber auch der König bittet, sei es um einen Vor-schlag, sei es um Aufschub der Wahl, sei es um Annahme eines von ihm Nominierten,und selbst wo er sich über den Willen der Betroffenen hinwegsetzt, heißt es in derRegel: ‚er bat und befahl‘. Die Wahl erscheint so als Aushandlungsprozess, in dem ein

61 Thietmar (wie Anm. 25) VI 67, S. 356: Et tunc omnes nos in praesentiam venientes, examinatione regis, ipso pri-

mitus eum laudante, predictum patrem elegimus, et optimi quique aspirabant; et mox a rege accepit baculum pastoralem.

Den Satz et mox a rege accepit baculum pastoralem hat Thietmar nachträglich eigenhändig eingefügt.62 Thietmar (wie Anm. 25) VI 38–42, S. 262–268; Helmut Lippelt, Thietmar von Merseburg. Reichs-

bischof und Chronist, Köln – Wien 1973, S. 121 f.; Keller (wie Anm. 18) S. 44 ff.63 Thietmar (wie Anm. 25) VI 35, S. 260; Hans-Hubert Anton – Alfred Haverkamp (Hgg. ),

2000 Jahre Trier, 2: Trier im Mittelalter, Trier 1996, S. 221 f.

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gemeinsamer Wille gefunden werden soll 64. Zum Eklat kommt es, wenn die Gemein-schaft einer Domkirche versucht, ein Fait accompli zu schaffen, ohne den König ineiner Form zu kontaktieren, die diesem noch eine Einflussnahme auf den Prozess derEntscheidungsfindung belässt. Wenn es ein Bistum neu zu besetzen gilt, gehört auchder König zu den Wählern; und seiner Stellung gemäß haben sein Wille und seine Bittegrößtes Gewicht. Die ottonisch-salische Praxis stand keineswegs in diametralem Wi-derspruch zur normgebenden Regel der Wahl des Bischofs durch Klerus und Volk sei-ner Diözese, die ja schon in den Jahrhunderten davor in unterschiedlicher Weise ge-staltet worden war und die auch nach dem <Investiturstreit> mit der Entwicklung zumausschließlichen Wahlrecht der Domkapitel eine durchaus eigenwillige und zunächstumstrittene Interpretation erhielt 65.

Die Formen der Bischofserhebung brachten stets ein bestimmtes Kirchenver-ständnis zum Ausdruck. Zugleich wurden sie aber geprägt von den Strukturen und vonden Formen der Kommunikation im Herrschaftsverband, der ebenso sehr als religiösewie als politische Gemeinschaft galt. Der Entscheidungsprozess bei einer Bischofs-erhebung gehört zu den Formen politischer Willensbildung, die heute als <konsensualeHerrschaft> gekennzeichnet wird 66. Im Reich der Ottonen und Salier besaß das Prinzipein ganz besonderes Gewicht, weil institutionelle Grundlagen der <Staatlichkeit> nochmehr fehlten als in den Jahrhunderten davor und danach 67. Die Stellung, die man demKönig in der von Gott geordneten Welt zuschrieb, gab dem Willen zum Konsens eine

64 Keller (wie Anm. 54). Von grundsätzlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang Ernst-DieterHehl, Der widerspenstige Bischof. Bischöfliche Zustimmung und bischöflicher Protest in der ottoni-schen Reichskirche, in: Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 44) S. 295–344.

65 Wie Anm. 19.66 Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer

Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig u. a. (Hgg. ), Reich, Regionen und Europa in Mittel-alter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen 67) Berlin 2000, S. 53–87;Steffen Patzold, Konsens und Konkurrenz. Überlegungen zu einem aktuellen Forschungskonzeptder Mediävistik, in: Frühmittelalterliche Studien 41, 2007, S. 75–103. Ausgehend von den Verhältnissender Ottonen- und Salierzeit hat Gerd Althoff das Spannungsverhältnis zwischen einer stets gegen-wärtigen Gewaltbereitschaft und dem ständigen Bemühen um eine Bewältigung der Konflikte durchVermittlung und die Suche nach Ausgleich auf einer neuen Basis für die Gesellschaft des Mittelalters inzahlreichen Studien analysiert: Gerd Althoff, Königsherrschaft und Konfliktbewältigung im 10. und11. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Studien 23, 1989, S. 265–290, wiederabgedruckt mit andereneinschlägigen Arbeiten in: Ders., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden undFehde, Darmstadt 1997; vgl. auch Keller – Althoff (wie Anm. 13) S. 348–373 und S. 436–444; wei-tere Aufsätze zitiert bei Hagen Keller, Gruppenbindungen, Spielregeln, Rituale, in: Claudia Gar-nier – Hermann Kamp (Hgg. ), Spielregeln der Mächtigen. Mittelalterliche Politik zwischen Gewohn-heit und Konvention, Darmstadt 2010, S. 19–31, hier S. 23 f. Anm. 8.

67 Hagen Keller, Grundlagen ottonischer Königsherrschaft, in: Reich und Kirche (wie Anm. 13)S. 17–34; Ders., Reichsorganisation, Herrschaftsformen und Gesellschaftsstrukturen im Regnum Teu-tonicum, in: Il secolo di ferro: mito e realtà del secolo X (Settimane di studio del Centro italiano di studisull’alto medioevo 38) Spoleto 1991, S. 159–203; Ders., Die internationale Forschung zur Staatlichkeitder Ottonenzeit, in: Der frühmittelalterliche Staat (wie Anm. 51) S. 113–131.

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religiöse Dimension. Nach der Auffassung jener Zeit wurde bei der Wahl eines Königsoder Bischofs der <von Gott Erwählte> ermittelt. In der einmütigen Wahl sah maneinen Ausdruck des göttlichen Willens – den Konsens zu finden, war insofern auch einreligiöses Gebot 68.

Selbstverständlich wurde bei jeder Besetzung eines Bistums auch <Politik> in un-serem Sinne gemacht. Das schloss ein, dass man den Konsens auch durch Begünsti-gungen und Kompensationen ermöglichte; ein Netz von Erwartungen, Verpflichtun-gen, Vertrauen und Vorleistungen trug schließlich die einvernehmliche Lösung. DasAmt des Bischofs war für die Adelsfamilien ein Machtfaktor von größter Bedeutung;der Herrscher seinerseits war bestrebt, bei der Auswahl eines Bischofs seinen Rückhaltin der Region zu stärken 69. Seine Ziele aber konnte er, aufs Ganze gesehen, nur imKonsens mit den Großen des Reiches und mit den bestimmenden Kräften der betrof-fenen Kirche und Region realisieren. Die konsensorientierten Formen der Herr-schaftsausübung haben den Ottonen die Konsolidierung der Königsherrschaft undeine weitgehende Integration des Reiches ermöglicht 70.

Bei der Einsetzung der Bischöfe trat das Prinzip konsensorientierter Herrschaftmit seinem religiösen Hintergrund besonders klar und besonders wirkungsvoll in Er-scheinung. Unter wichtigen Aspekten hat die Forschung dies längst herausgearbeitet,nur hat sie meines Erachtens die Befunde zu sehr vom Königtum her gedeutet, alsAusdruck einer <Kirchenpolitik>, die zugleich oder sogar in erster Linie Machtpolitikwar. Unter der Perspektive eines Handelns, das trotz hoher Konfliktbereitschaft letzt-lich auf Konsens und Integration gerichtet blieb, ließe sich vieles angemessener inter-pretieren. Dieses Handeln stand unter dem Leitbild einer von Gott gewollten Weltord-nung: Das wurde im Akt der Investitur symbolisch zum Ausdruck gebracht.

Die Vorstellung vom <sakralen> Charakter des Königtums – wenn man den Glau-ben an das Gottesgnadentum des Herrschers so bezeichnen will – ruht auf einem fes-ten Fundament: Jede Gewalt ist von Gott (Röm 13,1); wer sich – lutherisch gespro-chen – der Obrigkeit widersetzt, widerstrebt Gottes Ordnung. Die Formulierung, dassder Kaiser in der irdischen Welt auf Zeit an die Stelle des wahren Herrschers im Him-mel gestellt ist, erscheint relativ früh; insofern steht auch der Christus-Vikariat der ot-

68 August Nitschke, Die Einstimmigkeit der Wahlen im Reiche Ottos des Großen, in: Mitteilungen desösterreichischen Instituts für Geschichtsforschung 70, 1962, S. 29–59; Keller (wie Anm. 54) bes.S. 50 ff.

69 Schieffer (wie Anm. 52); Fleckenstein (wie Anm. 20); Keller – Althoff (wie Anm. 13).70 Zusammenfassend Keller – Althoff (wie Anm. 13) passim. Die Bereitschaft zum Konsens bricht im

Investiturstreit zusammen, vgl. Hagen Keller, Die persönliche Entscheidung in den Richtungsstrei-tigkeiten des spätsalisch-gregorianischen Zeitalters, in: Die Salier. Macht im Wandel. Katalog zur Aus-stellung (Speyer, 10. April bis 31. Oktober 2011), hg. vom Historischen Museum der Pfalz Speyer unddem Institut für fränkisch-pfälzische Geschichte und Landeskunde, München 2011, S. 60–67; Ders.,1100. Am Scheideweg (wie Anm. 23) S. 65–105; Gerd Althoff, Heinrich IV., Darmstadt 2006; Ders.,Päpstliche Autorität im Hochmittelalter. Neue Geltungsansprüche und ihre Konsequenzen, in: JanKeupp u. a. (Hg. ), Autorität und Akzeptanz. Das Reich im Europa des 13. Jahrhunderts ( im Druck).

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tonisch-salischen Quellen in einer langen Tradition 71. Dennoch hebt die Forschung –und ich meine: zu Recht – die gesteigerte Bedeutung dieser Überzeugungen in denQuellen des 10./11. Jahrhunderts hervor, und sie verbindet diese seit langem mit derIntensität einer Christus-Frömmigkeit, der die Zeitgenossen in vielfachen ZeugnissenAusdruck verliehen haben 72. Die ungewöhnlichen Bilderfindungen der Jahrzehnte um1000 geben Einblick in einen erweiterten Raum christologischer Imagination, der auchin den neuen Quellen der Herrscherliturgie, gespeist aus der Weiheliturgie der geist-lichen Ämter, zu Tage tritt 73.

Im Konsens kann und soll die gottgewollte Ordnung aufscheinen. Sie ist ein reli-giöses Leitbild, das man als komplementär zum Ideal konsensualer Herrschaft sehendarf. Auch diese ist ja keine vorgegebene Realität, sondern ein permanent durch dieBemühungen aller Beteiligten herzustellender und durchaus labiler Zustand. Ermah-nungen zur Einigung, zum Frieden unter der von Gott und Christus geforderten Ord-nung, finden sich in der Historiographie fast überall, wo die Autoren von Zwietrachtund Aufständen berichten. Wie ich meine, sind die Zeugnisse für den gesteigerten sa-kralen Charakter des Königtums in ottonischer Zeit vor allem unter diesem Aspekt zulesen: als Vorgabe, wie es nach Gottes Willen sein soll.

Zwei weitere Phänomene führen, wie ich meine, noch näher an ein adäquatesVerständnis heran: das gemeinsame, oft liturgisch gesteigerte öffentliche Bekenntniszu dem, was Gottes Gebot entspricht, und die Visualisierung dieser Ordnung im Zei-chen des Glaubens, der eigenen Frömmigkeit 74. Im Frankenreich der späten Karolin-ger trat bereits etwas von dem hervor, was dann für das ottonische Reich charakteris-tisch wird; aber die Wirkung blieb schwach, solange in vielen Situationen ein tragenderKonsens nicht erreicht wurde. Unübersehbar sind dann die Steigerungen beider Phä-nomene im 10. Jahrhundert. Das Paradebeispiel bietet die Entwicklung der Herrscher-liturgie: die Ausgestaltung der Einsetzungsrituale mit Salbung, Krönung, Insignien-investitur und Thronsetzung unter langen, exegetisch aufgeladenen Gebetsformeln;das Zeremoniell der Festkrönungen, deren Frequenz durch die Einbeziehung zusätz-licher Festtage erhöht wird; überhaupt die Begehung der Hochfeste in Anwesenheitdes Hofes, die nun immer häufiger in die Sakrallandschaft der Bischofsstädte verlegtwird 75. Auch die Kirchweihen unter Teilnahme des Herrschers und einer Mehrzahl

71 Wie Anm. 30.72 Kantorowicz (wie Anm. 30) S. 42–86, dt. S. 64–105; Henry Mayr-Harting, Ottonische Buchmale-

rei. Liturgische Kunst im Reich der Kaiser, Bischöfe und Äbte, Stuttgart – Zürich 1991, S. 75–128.73 Keller, Ritual (wie Anm. 40) S. 46–53.74 Keller, Ritual (wie Anm. 40).75 Hans-Walter Klewitz, Die Festkrönungen der deutschen Könige, in: Zeitschrift der Savigny-Stif-

tung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 28, 1939, S. 48–96; Josef Fleckenstein, Die Hof-kapelle der deutschen Könige, 2: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche(Schriften der MGH 16/2) Stuttgart 1966, S. 143 ff., 218 ff., 227 ff., 278 ff.; Weinfurter, Heinrich II.(wie Anm. 24) S. 161–167, vgl. S. 128; Keller, Ritual (wie Anm. 40) bes. S. 25–35; Steffen Patzold,„Gute Streiter“ und „sehr gute Hirten“. Bischöfe und ihre Städte um 1000, in: Für Königtum und Him-

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von Bischöfen gehören hierher 76. Gemeinsamer Vollzug und glanzvolle Visualisierungder Gottesverehrung prägen auch das kirchliche Leben in den Bischofsstädten und Di-özesen, und hier gibt es explizite Zeugnisse dafür, wie in der zweiten Hälfte des10. Jahrhunderts diese Akte festlicher ausgestaltet, die Anlässe vermehrt, die Öffent-lichkeit vergrößert wurden 77.

Durch die Herrschaftsform des <Reisekönigtums>, das in der Zeit um 1000 selbstnoch betonter in den Dienst reichsweiter konsensualer Herrschaftsausübung gestelltwurde 78, fanden die konstitutiven Akte der Bischofserhebung an wechselnden Ortenstatt; nur die Inthronisation musste in der Kathedrale des Bischofssitzes erfolgen. DieEinsetzung eines neuen Hirten wurde gewissermaßen vor einer Art <Reichsöffentlich-keit> vollzogen. Die am Hof versammelten Großen, voran die Bischöfe, wirkten mit,etliche sind an den Beratungen für die Auswahl beteiligt, sie stimmen der offiziellenWahl zu, sind Zeugen der Investitur, nehmen Teil an der Weihe, den Gottesdiensten,den Festmählern. In diesem Rahmen repräsentierte der König als vicarius Christi zu-sammen mit den Nachfolgern der Apostel als den Hirten der christlichen Herde füralle sichtbar die rechte Ordnung des ihm und den Bischöfen anvertrauten Kirchenrei-ches 79.

Die <Reichsöffentlichkeit> der Bischofserhebung in ihrer größtmöglichen Dimen-sion mag ein Selbstzeugnis Gundekars II. von Eichstätt vor Augen führen. Sofort nachBekanntwerden der Vakanz wurde der Hofkapellan im August 1057 nach einer Bera-tung der Kaiserin im kleinen Kreis der gerade Anwesenden – darunter zwei Erz-bischöfe und zwei Bischöfe – durch die Übergabe des Ringes nominiert. Danach holteman die Zustimmung der Eichstätter Kirche ein, zu deren Klerus Gundekar gehörte.Dann wurde der künftige Bischof am 5. Oktober während eines sonntäglichen Hoch-amts im Dom zu Speyer feierlich mit dem Hirtenstab investiert, in Anwesenheit vonvier Erzbischöfen, zehn Bischöfen, mehrerer Äbte, eines zahlreichen Klerus und na-türlich des gesamten Hofstaats; nach der Inthronisation in Eichstätt wurde Gundekaram 27. Dezember in der Königspfalz Pöhlde am Harz geweiht – in Anwesenheit derKaiserin und des jungen Königs, unter Mitwirkung von drei Erzbischöfen, elf Bischö-

melreich (wie Anm. 18) S. 198–213; Manfred Balzer, Westfälische Bischöfe des 10. und 11. Jahrhun-derts als Bauherren und Architekten, in: Jörg Jarnut u. a. (Hgg. ), Bischöfliches Bauen im 11. Jahrhun-dert (Mittelalterstudien 18) München 2009, S. 109–136.

76 Wie Anm. 35.77 Keller, Ritual (wie Anm. 40) S. 40–46, 53–59.78 Hagen Keller, Reichsstruktur und Herrschaftsauffassung in ottonisch-frühsalischer Zeit, in: Früh-

mittelalterliche Studien 16, 1982, S. 74–128, hier S. 76–100; Thomas Zotz, Die Gegenwart des Königs.Zur Herrschaftspraxis Ottos III. und Heinrich II., in: Bernd Schneidmüller – Stefan Weinfurter(Hgg. ), Otto III. – Heinrich II. Eine Wende? (Mittelalter-Forschungen 1) Sigmaringen 1997,S. 349–386.

79 Dass gerade bei den Bischofseinsetzungen der Herrscher stellvertretend-bildhaft für den Weltenlenkerhandelt, bringt die gegen 1000 verfasste zweite Vita des Bischofs Ulrich von Augsburg sehr schön zumAusdruck: Ulrich habe das Amt des Bischofs Heinrici regis munificentia immo coelestis imperatoris gratia emp-fangen; zitiert nach Schütte (wie Anm. 58) S. 154 f.

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fen sowie eines päpstlichen Legaten und selbstverständlich vor weiteren Würdenträ-gern und ranghohen Großen 80.

In solchen sich wiederholenden Akten erscheint das ottonisch-salische Kirchen-reich als das, was es sein soll und vor Gott sein will. Es wird im gemeinsamen Vollzugfür die Menschen erfahrbar, beweist sich als Ordnung, die im Sakralen und Transzen-dentalen gründet. Unbestreitbar gewinnt das Königtum hieraus den stärksten Nach-weis seiner Legitimation und damit auch tatsächliche Macht. Dieses Potential kann derKönig aber nur in dem Maße realisieren, in dem ihm die Integration des Herrschafts-verbandes durch die Herstellung von Konsens gelingt.

Obwohl die vollzogenen Akte für die Erhebung eines Bischofs konstitutiv sindund damit auch rechtliche Relevanz besitzen, darf man die Rolle des Königs bei derEinsetzung der Bischöfe nicht als ein aus der Herrschaftssakralität abgeleitetes Rechtverstehen. Versuche, sie während des Investiturstreits in diesem Sinne umzudeuten,blieben ohne Wirkung 81. Das Agieren des Königs bei der Investitur ist von liturgischerZeichenhaftigkeit, selbst die Accipe-Formel entstammt letztlich der Liturgie. Der Voll-zug der Akte stellt die Entscheidung in eine Ordnung, unter der nach Überwindungvorheriger Differenzen der Konsens besiegelt wird. Im Streitfall markiert ein solcherAkt, wer sich der von Gott und Christus vorgegebenen Ordnung widersetzt. In denAugen der Zeitgenossen lag darin stets eine Mahnung an alle Beteiligten, den Dissenszu überwinden und in die ordinatio Dei zurückzufinden.

Was den ottonischen und salischen Herrschern aufgrund des Glaubens an densakralen Charakter des Königsamtes und an die Berufung zum Statthalter Christi indem ihnen anvertrauten Kirchenreich an realer Macht zuwuchs, musste im <Investitur-streit> erst genauer identifiziert werden, ehe man im Wormser Konkordat die Königs-rechte an und gegenüber den Reichskirchen definieren konnte 82. Ekklesiologie wurde

80 Der Vorgang ist ungewöhnlich detailliert überliefert und wird deshalb als Beispiel oft zitiert; vgl. etwaSchieffer (wie Anm. 1) S. 7 f.; Keller (wie Anm. 17) S. 117/120. Zu Gundekar II. und zu den QuellenStefan Weinfurter, Sancta Aureatensis ecclesia. Zur Geschichte Eichstätts in ottonisch-salischer Zeit,in: Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte 49, 1986, S. 3–40, jetzt in: Helmuth Kluger u. a.(Hgg. ), Gelebte Ordnung – gedachte Ordnung. Ausgewählte Beiträge zu König, Kirche und Reich.Festgabe für Stefan Weinfurter aus Anlaß des 60. Geburtstages, Ostfildern 2005, S. 95–133.

81 Obwohl Heinrich IV. und Heinrich V. im Kampf mit dem Reformpapsttum zunehmend um eine defi-nierte Rechtsposition des Kaisers rangen, brachten ihnen weder gefälschte Investiturprivilegien nochdas Paschalis II. abgepresste <Pravileg> von 1111 eine entscheidende Verbesserung ihrer Position. Zuden Dokumenten vgl. Johannes Fried, Der Regalienbegriff im 11. und 12. Jahrhundert, in: DeutschesArchiv für die Erforschung des Mittelalters 29, 1973, S. 450–528, hier besonders S. 466–483; IngridHeidrich, Ravenna unter Erzbischof Wibert (1073–1100) (Vorträge und Forschungen Sonderband32) Sigmaringen 1984, S. 119–147; Die falschen Investiturprivilegien, hg. von Claudia Märtl (MGHFontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum separatim editi 13) Hannover 1986. Zum histori-schen Zusammenhang Stefan Weinfurter, Papsttum, Reich und kaiserliche Autorität. Von Rom1111 bis Venedig 1177, in: Ernst-Dieter Hehl u. a. (Hgg. ), Das Papsttum in der Welt des 12. Jahr-hunderts, Stuttgart 2002, S. 77–99.

82 Tellenbach (wie Anm. 13) S. 222–225, vgl. 217–222; Dietmar Willoweit, Art. <Wormser Konkor-dat>, in: HRG 5, 1998, Sp. 1528 ff.; Tilman Struve, Art. <Wormser Konkordat>, in: LMA 9, 1998,

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Page 22: Über die Rolle des Königs bei der Einsetzung der Bischöfe im Reich der Ottonen und Salier

174 Hagen Keller

nun nicht mehr primär in theologisch-exegetischen Bildern imaginiert, sondern vor al-lem in rechtliche Kategorien mit theologischer Begründung gefasst. Doch trotz der In-stitutionalisierung einer auf das Papsttum zentrierten lateinisch-römischen Kirche fan-den die rechtlich-hierarchischen Folgerungen aus der neuen gregorianisch-päpstlichenEkklesiologie nie die uneingeschränkte allgemeine Anerkennung. Schon seit dem12. Jahrhundert rieben sich Frömmigkeitsbewegungen an dem neuen, offiziellen Ver-ständnis und am Erscheinungsbild der Kirche. Die Diskussion über die von Christusgewollte und gesetzte Gestalt seiner Kirche wirkte als treibendes Ferment bis in dieReformation.

Kurz zusammengefasst lautet meine These: Bei der Einsetzung der Bischöfemacht das zeichenhafte Handeln vor den Augen und unter Beteiligung einer großenÖffentlichkeit die unsichtbare Wahrheit anschaulich, die den Menschen im Evange-lium Christi verkündet wird. Es setzt Normen durch gemeinsamen liturgischen undparaliturgischen Vollzug situationsbezogen in Geltung. Was die Texte, Bilder und Ri-tuale im 10./11. Jahrhundert über den sakralen Charakter des Königtums zum Aus-druck bringen, evoziert die immer neu anzustrebende, sakral verstandene Ordnung.Nur mit Gottes Gnade kann der Herrscher, ‚soviel ein Mensch vermag‘, sie in derWirklichkeit seines irdischen Regiments aufscheinen lassen. Wo es als gerecht, gott-gefällig und richtig angesehen wird, zeigt sich den Menschen in seinem Handeln seineTeilhabe an Gottes Herrschaft über die Welt. Rechte, die sich instrumentalisieren lie-ßen, vermittelte der Glaube an den sakralen Charakter des Königtums dem Herrscher,wie ich meine, nicht.

Sp. 336 f. Claudia Zey, Der Romzugsplan Heinrichs V. 1122/23. Neue Überlegungen zum Abschlußdes Wormser Konkordats, in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 56, 2000,S. 447–504, und Beate Schilling, Ist das Wormser Konkordat überhaupt nicht geschlossen worden?in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 58, 2002, S. 123–191, diskutieren den Gangder Verhandlungen während der letzten Phase sowie die Vertragstechniken ( insbesondere deren diplo-matische Aspekte ) unter der Frage, ob das „Konkordat“ überhaupt „geschlossen“ wurde.

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