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UNTERNEHMEN REGION TITELTHEMA Wie Innovationsforen und Innovationsforen Mittelstand Strategien und Netzwerk- strukturen schaffen Ausgabe 3|2017

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UNTERNEHMENREGION

TITELTHEMA

Wie Innovationsforen und Innovationsforen Mittelstand Strategien und Netzwerk­strukturen schaffen

Ausgabe 3|2017

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RUNDBLICK

06 | Der Stent der Zukunft___Innovative Implantate des Zwanzig20­Konsortiums „RESPONSE“

08 | Das Aachen­Prinzip___Auf der Teststrecke für auto­matisierte und vernetzte Fahrzeuge

11 | Die Jäger des verlorenen Schatzes___Wertvolles Lithium aus heimischen Lagerstätten

14 | Was rostet, das kostet___Neue Lösungen für Offshore­Windparks

18 | Wie viel wiegt ein Kilogramm?___Mit Techno­logien aus Ilmenau und Leipzig zur Neudefinition

EINBLICK

36 | Der Prototyp___Ein Tag im Leben des Fab­Lab­Managers Daniel Heltzel

44 | Start­up mit 50+___Unternehmensgründer Holg Elsner im Porträt

Seite 36 Ein Tag im Leben

Seite 11 Die Jäger des verlorenen Schatzes

Liebe Leserin, lieber Leser,

Forum – so wurde im Römischen Reich der zentrale Platz einer Stadt genannt. Das Forum war Marktplatz, Treffpunkt und Gerichtsort; ein öffentlicher Platz, an dem Gedanken ausgetauscht wurden und das Leben pulsierte. Heute finden wir solche Orte, an denen Menschen über Ideen dis­kutieren, in verschiedenen Ausprägungen – real und auch in der virtuellen Welt, zum Beispiel in Internetforen.

Diese Chance nutzt auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit den Förderformaten „Innovationsforum“ und „Innovationsforum Mittelstand“. Leitgedanke ist, dass sich Akteure aus den unterschiedlichsten Branchen und Disziplinen zusammenfinden, zukunftsweisende Themen diskutieren und Forschungsergebnisse austauschen. Es entstehen Netzwerke, die über die bloße gemeinsame Projektarbeit hinausgehen und in nachhaltige, strategische Bündnisse münden. Dies bringt Fort­schritt – für kleine und mittlere Unternehmen, für einzelne Kom­munen und Regionen und für das ganze Land. Mehr über den „Marktplatz der Möglichkeiten“ erfahren Sie im Dossier ab Seite 22.

Eine spannende Lektüre voller ungewohnter Einblicke wünscht Ihnen

Prof. Dr. Johanna WankaBundesministerin für Bildung und Forschung

Vorwort

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TITELTHEMA

22 | Marktplatz der Möglichkeiten___ Wie zwei Förderprogramme neue Themen, Strategien und Netzwerkstrukturen generieren

25 | Zur Förderung ausgewählte Foren___„Innovationsforen“ und „Innovationsforen Mittelstand“ auf einen Blick

26 | Drohnen, Geobiotechnologie und Ultra­schall___Drei „Innovationsforen“ im Porträt

31 | Wussten Sie schon ...?___Auswahlkriterien und Zahlen aus der Förderung

32 | 3D­Audiotechnologien und Carbon­Verbundmaterialien___Zwei Innovations­foren Mittelstand im Porträt

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DURCHBLICK

48 | Warum Forscher zusammenarbeiten müssen___Eine Außenansicht der Wissenschaftshistorikerin Prof. Kärin Nickelsen

50 | Was ist eigentlich ein Kryo­Elektronen­mikroskop?___Die Nobelpreisträger­Erfindung im Porträt

RUBRIKEN

02 | Vorwort04 | Panorama___Von digitalem Düngen und einem

Mondfahrzeug aus dem 3D­Drucker21 | Zahlen, bitte!52 | Mein Schreibtisch + ich___Klinik­Geschäftsführer

Dr. Raimund Mildner55 | Impressum

„ Innovationsforen“ und „Innovationsforen Mittelstand“

Seite 22

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R u n d b l i c k · E i n e n e u e Ä r a

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Moon light | Nur 30 Kilo bringt der „AUDI lunar quattro“ auf die Waage. Der Autohersteller und mehrere Partner wollen das Forschungsfahrzeug 2019 auf Mondmission schicken. Gegenüber sei­nem Vorgänger aus der legendären Apollo­17­Mission hat lunar quattro über 80 Prozent abge­speckt. Sein Geheimnis: Sämtliche Bauteile entstehen in additiven Fertigungsverfahren, in denen Werkstoffe schichtweise, dreidimensional aufgetragen werden. Größtes Forschungsvorhaben zur auch 3D­Druck genannten Technik in Europa ist das Zwanzig20­Konsortium „AGENT­3D“. Einer von über 120 Partnern? AUDI.

Austausch einmal anders | Mit dem Pro gramm „Zwanzig20“ geht das Bundesfor schungs­ministerium seit 2012 neue Wege. Das wurde auch bei einem zweitägigen Symposium im September deutlich: Die zehn Konsortien hat­ten schon im Vorfeld die Workshop­Themen selbst erarbeitet. In Berlin präsentierten sie sich dann auf ungewöhnliche Weise: Ihr Zeit ­budget von jeweils nur fünf Minuten nutzten sie für Kurzfilme, szenische Darstellungen und interaktive Quizspiele. Einen kräftigen Denk­anstoß lieferte Professor Bernd Scherer. Der Intendant des Berliner Hauses der Kulturen der Welt überraschte mit seiner philosophi­schen Keynote „Curating of Ideas in the Making“.

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E i n e n e u e Ä r a · R u n d b l i c k

Warme Wände | Etwa die Hälfte der hierzulande erzeugten Energie verbrauchen Haushalte, Handel, Dienstleis tungs betriebe, Industrie sowie Verkehr, um daraus Wärme zu machen. Doch nur 13 Prozent die­ser Energie stammt aus erneuerbaren Ressourcen. Grund genug für das Zwanzig20­Forum „Wärmewende“, das gleichnamige Projekt voranzu­treiben. Eines von fünf Demonstrationsprojekten ist dieses Quartier in einem Potsdamer Wohngebiet. Seine 62 Wohnungen könnten in Zukunft über eine solarthermische Anlage versorgt werden, die mit einem „e­Tank“ genannten Erdspeicher und einer Wärmepumpe kombiniert wird.

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P A N O R A M A

Düngen digital | Ein Acker, ein Boden, ein Dünger? So ein­fach ist es leider nicht, denn schon innerhalb weniger Meter

kann sich die Bodenqualität verändern. Das Innovationsforum Mittelstand „SeBiMo“ erkundet deshalb den Zustand von Böden

mit Hilfe intelligenter Sensortechnologien. Wo heute Labore umständlich Bodenproben auswerten, sollen in Zukunft

Traktoren die Felder scannen. So können Landwirte in Echtzeit herausfinden, wie viel Stickstoffdünger an einer

ganz bestimmten Stelle gerade nötig ist. Dieses sensorbasierte Biosphärenmonitoring soll die

Basis für einen effizienten und nachhaltigen Ackerbau legen.

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R u n d b l i c k · I n n o v a t i v e I m p l a n t a t e

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Der Stent der Zukunft

Für Engstellen in den Blutgefäßen gibt es seit vielen Jahren eine Gefäßstütze, den Stent. Er hilft, das Gefäß offen zu halten, damit das Blut wieder ungehindert fließen kann.

Am häufigsten setzen Mediziner diese Mikroimplantate in ver­engte Herzkranzgefäße ein. Danach ist der Patient in vielen Fällen erst einmal beschwerdefrei. Doch die Stents von heute bergen Risiken: Entzündungen und erneute Verengungen kön­nen schnell gefährlich werden.

Deshalb haben sich Mediziner und Ingenieure, Wissen­schaftler und Unternehmer aus ganz Deutschland zusammen­getan. Im Zwanzig20­Konsortium RESPONSE, das von der Universität Rostock koordiniert wird, entwickeln sie den Stent weiter. Gemeinsam arbeiten sie an besseren Mikroimplantaten, mit denen Krankheiten der Herzkranzgefäße, des Auges und des Ohrs behandelt werden sollen. Doch mit welchen Aspekten der Stent­Entwicklung beschäftigt sich RESPONSE?

Allein in Deutschland wird Hunderttausenden Patienten im Jahr ein Stent in die Herzkranzgefäße implantiert. Stents stützen die Gefäße und retten Leben, doch sie haben auch Nachteile. Das Zwanzig20­Konsortium „RESPONSE“ entwickelt deshalb die Implantate der Zukunft.

STRÖMUNG | Die Forscherinnen und Forscher simulieren die Blutströmung in einem Stent am Computer. Mit dieser Simulation erkennen sie, ob er Turbu len zen oder andere ungewollte Strömungen verursacht: Je besser das Blut durch den Stent fließt, desto geringer sind die Risiken – etwa für Throm bosen. So können Stentdesigns verbessert werden.

DESIGN | Die Ärztinnen und Ärzte dehnen den Stent mit einem Ballon auf, wenn sie ihn in ein Gefäß implantieren. So erhält er seine endgül­tige Form. Diese einmal eingestellte Form und Größe soll er dauerhaft behalten. Gleich zeitig darf er beim Aufdehnen nicht die Gefäß wand verlet­zen. Über diese Eigenschaften entscheidet das Design, das RESPONSE mit Simula tionen der Verformungen und der einwirkenden Kräfte ent­wickelt.

HERSTELLUNG | Ingenieure arbeiten an sogenannten generativen Verfahren, um Stents in Schichtbauweise herzustellen. Der Einsatz der Lasertechnik soll die Mikrostrukturen des Materials optimieren. Daneben entwickeln sie neue Verfahren, um Implantate zu prüfen.

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I n n o v a t i v e I m p l a n t a t e · R u n d b l i c k

OBERFLÄCHEN | Nach dem Aufdehnen des Stents kann es bedingt durch eine lokale Reaktion der Gefäßwand zu einer erneuten Verengung des Blutgefäßes kommen. Um dies zu verhindern, beschichten RESPONSE­Partner den Metall stent mit Polymeren, die Medikamente ent­halten und auf die Zellwand des Gefäßes wirken – ein zentrales Thema in der Stentforschung.

WECHSELWIRKUNG | Eine gute Verträglichkeit zwischen Implantat und Gewebe ist oberstes Ziel. Der Stent soll das Gefäß nicht nachteilig verändern, aber auch keine Neben­wirkungen hervorrufen. Deshalb untersuchen RESPONSE­Forscherinnen und ­Forscher, wie das Gewebe auf den Stent reagiert und wie sich neu­entwickelte Implantate im Körper abbauen.

ABBAUBARE IMPLANTATE | Aller­gische Reaktionen, Durchblutungs störun gen oder gar Thrombosen: Wenn Stents dauerhaft im Körper verbleiben, kann dies auch unan genehme Folgen haben. Stents, die biologisch abgebaut werden, sollen dies verhindern. Sie lösen sich auf, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Hierfür ent­wickelt RESPONSE Polymere, die sich im Körper mit der Zeit zersetzen und damit den Abbau des Stents steuern. Gemeinsam mit den Industrie­partnern wird auch am abbaubaren Magne sium­stent gearbeitet.

REGENERATION | RESPONSE beschich­tet den Stent nicht nur mit Medikamenten, die den Wiederverschluss verhindern. Zusätzlich soll die Beschichtung auch aktiv Zellen in der Gefäß­wand schützen. Dadurch sollen sich auf der Oberfläche des Implantats körpereigene Zellen ansiedeln.

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Das Aachen-PrinzipWeltweit investieren Unternehmen Milliarden in das autonome Fahren. Doch die Mobilität der Zukunft wird nur dort funktionieren, wo Daten ausgetauscht wer­den, Schnittstellen kompatibel sind und Steuergeräte den Charakter einer BlackBox verlieren. In Aachen hat diese digitale Kulturrevolution begonnen.

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A u t o n o m e s F a h r e n · R u n d b l i c k

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Ein lauter Knall zerreißt die Stille. Blaue Plastikteile fliegen den weißen Wolken entgegen, Rauch steigt auf. Die vielen Männer und wenigen Frauen, die an diesem sonnigen Tag

auf dem Aldenhoven Testing Center nordöstlich von Aachen sind, schauen sich erschrocken an. Das hätte gerade noch ge fehlt – ein Unfall. Heute. Wo die zahlreichen Partner der Rheinisch­Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen doch zeigen wollen, wie weit sie schon vorangekom­men sind. Was ihre Forschungsergebnisse für die neue Mobilität hergeben. Ob die Region Aachen, weitab von den Metropolen in München, Frankfurt, Hamburg oder Berlin, zum Schrittmacher taugt.

Doch Entwarnung! Die Fiktion des Fernsehens stieß auf die Fiktion der mobilen Zukunft: Nur wenige Meter hinter dem Testgelände, aber abgegrenzt durch einen meterhohen Wall, entstehen die Actionszenen für die Fernsehserie „Alarm für Cobra 11“, die auf die Faszination Auto setzt. Konsequent unau­tonom, halsbrecherisch – nur was für harte Jungs und coole Frauen. Durchatmen also und ab ins Actionmobil des Instituts für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen. Oder besser gesagt, in einen eher unscheinbaren VW Passat. Spektakulär aber ist sein Inneres. Doch dazu kommen wir noch.

Vernetzt, vertrauenswürdig, offen

Micha Lesemann weiß, wie wichtig eine enge und vertrauens­volle Kooperation ist: „In Aachen arbeiten wir seit Jahrzehnten regelmäßig in unterschiedlichsten Verbünden zusammen. Für die Erforschung und Entwicklung der Mobilität von morgen braucht es neben vielen klugen Köpfen vor allem eine leistungs­fähige Forschungsinfrastruktur. Anders lassen sich die teils ele­mentaren Fragestellungen zum Beispiel beim automatisierten Fahren nicht eindeutig beantworten.“ Das Ziel der angewandten Forschung müsse es immer sein, Ideen in Innovationen zu über führen, ist der Oberingenieur des ika überzeugt.

Ganz offensichtlich überzeugt diese Sichtweise auch andere. So entschloss sich das Bundesministerium für Bildung und For­schung dazu, das Vorhaben „CERMcity“ im Rahmen des För der­konzeptes „Innovation und Strukturwandel“ als eines von 16 Pilot projekten zu fördern. Der Forschungsschwerpunkt dabei liegt auf dem autonomen Fahren in der Stadt und schafft mit einer Ergänzung der Möglichkeiten auf dem Aldenhoven Tes ting Center vor allem die Möglichkeiten, den Reifegrad von auto­nomen Ansätzen so weit zu bringen, dass sie im Straßen verkehr eingesetzt werden können – von der Idee zur Innovation eben. Und hier wartet viel, sehr viel Arbeit. Nicht nur auf Micha Lese­mann und die ika­Mannschaft, sondern auch auf die Institute für Regelungstechnik und Hochfrequenztechnik der RWTH Aachen, die zusammen mit dem Deutschen Forschungs zentrum für künstliche Intelligenz, der Fachhochschule Aachen, dem TÜV Rheinland sowie den Unternehmen BASELABS und Silicon Radar die Widrigkeiten der urbanen Mobilität entdecken und beherrschen wollen.

Testgelände Aldenhoven: In CERMcity wird autonomes Fahren in der Stadt erforscht. Modernste Funknetze und Computertechnik sollen Standards setzen.

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R u n d b l i c k · A u t o n o m e s F a h r e n

Wie aber verläuft denn nun der eigene Weg? Die Aachener machen kein großes Geheimnis daraus, ganz im Gegenteil: „Das Testgelände in Aldenhoven ist ein offenes Areal. Hier kann jedes interessierte Unternehmen, jede wissenschaftliche Einrichtung, ob Fahrzeughersteller, Zulieferer oder Institut, auf die Piste und austesten, was geht und was nicht“, unterstreicht Professor Lutz Eckstein, Leiter des ika und Chef des „Future Mobility Lab“. Er hatte im Rahmen des 26. Aachener Kolloquiums Fahrzeug­ und

Motorentechnik auf das Testgelände eingeladen, das von einem Joint Venture der RWTH Aachen und des Landkreises Düren betrieben wird.

Ohne diese Offenheit werde man nicht Schritt halten kön­nen in Deutschland und Europa mit den US­amerikanischen und asiatischen Machern von autonomem Fahren und Elektro­mobilität: „Ein Vergleich spricht Bände: Stehen in den USA ins­gesamt rund 17 Milliarden Dollar für Forschung und Entwick­lung zur Verfügung, beläuft sich diese Summe in der EU auf rund eine Milliarde. Darum bauen wir hier keinen ‚Aachen Closed Shop‘, sondern das genaue Gegenteil davon. Unser Aachen­Prin zip bedeutet Vernetzung und Offenheit, um mit Vertrauen Technologieführerschaft und Marktstärke zu errei­chen“, gibt sich Lutz Eckstein zuversichtlich.

Die Revolution beginnt

Und Vodafone macht mit. Einer der Weltmarktführer in der Telekommunikation hat eine Entscheidung getroffen: „Wir haben das Aldenhoven Testing Center mit einer Infrastruktur aus gestattet, als wenn das Morgen schon heute ist“, erläutert Pro jekt manager Michael Bösinger. Einzigartig in der EU habe man hier Glasfasernetze, Antennen und vier Funkmasten mit je drei Sektoren gebaut, die schon jetzt die Nutzung des aktuellen Standards LTE Advanced Pro ermöglichen. Sobald die ersten Proto typen 2018 verfügbar sind, wird hier auch mit dem Zukunfts standard 5G gefunkt. Den werde man auch so schnell als möglich brauchen, um eine rasende Kommunikation zwi­schen den Verkehrsteilnehmern sicherzustellen.

Aber Vodafone denkt noch weiter. Alle auf dem Testgelände gewonnenen und relevanten Daten können über eine 20­Giga­bit­Leitung von Aldenhoven in die Vodafone Innovation Labs

nach Düsseldorf übertragen werden – oder bleiben vor Ort, wenn der Kunde dies bevorzugt. Dort ausgewertet, finden sie sofort Anwendung auf einer Stadtstrecke mitten in der NRW­Landeshauptstadt, wo das Unternehmen autonomes Fahren live und mitten im normalen Stadtverkehr testen wird.

Was passiert aber, wenn auch die Telekom in Aldenhoven vor der Tür steht und testen will? „Wir heißen sie willkommen, definieren die Schnittstellen, stehen mit Rat, Tat und sicher

Lenkrad. Gerade will er sich zum Bei fahrer wenden, als von rechts, wie aus dem Nichts, ein BMW geradezu herausschießt. Jetzt hilft nur eins: Augen zu und bremsen! Bevor aber dieser Gedanke die Strecke vom Hirn zum Fuß und auf das Bremspedal gefunden hat, verzögert der Passat schon vehement. Das gesamte Arsenal an Sensoren, Kamera­ und Funk technik hat seinen Job gemacht. Kein Unfall, keine Verletzten, noch nicht einmal Blechschaden. Timo Woopen, der beim ika für Fahrerassistenz­systeme zuständig ist, atmet doch ein wenig auf: „Zum ersten Mal haben wir hier eine typische Straßenkreuzung in der Stadt nachgebaut. Mit Hauswänden aus zwei Tonnen schweren Beton teilen und anderen Hindernissen, die Funkwellen gar nicht durchlassen oder sie reflektieren. Mit weiteren Verkehrs­teilnehmern, die immer größer werdende Datenmengen liefern und blitzschnell zu Entscheidungen im Fahrzeug führen müs­sen.“ Darum arbeite man hier auch mit lokalen WLAN­Netzen im 802.11p­Standard und nicht mit Bluetooth, dessen Reichweite und Über tragungsgeschwindigkeit nicht ausreichen.

Doch wie im richtigen Leben: Die nächste Baustelle ist schon in Sicht. „Dank CERMcity können wir 2018 ein umfassendes städ­tisches Szenario erzeugen, also weitere Kreuzungen, Kreis­verkehre, gespickt mit Ampeln, Haltestellen für Bus und Straßen­ bahn und LKW­Verkehr“, erzählt Micha Lesemann. „Wenn – wie bisher – alles klappt, starten wir Ende 2018 mit dem neuen Testfeld für das autonome Fahren in der City.“ Ein stolzes Schmunzeln kann er sich dabei nicht verkneifen, wenn er zurück denkt, wie sie 2013 ihre ersten Gedanken, Ideen und Kon ­zepte für dieses City­Testfeld zusammengetragen haben. Und wer heute im Beirat dieses Projektes mitarbeitet: „Es wird wohl einen guten Grund haben, wenn neben anderen Ford, BMW und ZF mitarbeiten. Unser Aachen­Prinzip scheint zu funktionieren. Neuer Mut für frische Ideen braucht nicht immer die Metropole.“

auch mit vielen Fragen zur Verfügung!“, zeigt Manager Bösinger klare Kante. Nur so könne man miteinander die entschei­denden Fragen beantworten, woraus sich künftige technische Standards erge­ben werden, die auf dem Weltmarkt funktionieren müssen.

Jetzt aber: Action!

Der Test­Passat des ika beschleunigt wie von Geisterhand. Timo Woopen hält die Füße still und nimmt die Hände vom

Testfall Kreuzung: Trotz missachteter Vorfahrt bleibt der Crash aus.

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Lithium wird immer begehrter, die Weltmarkt­preise explodieren. Freiberger Forscher haben jetzt ein Verfahren entwickelt, mit dem sie den Rohstoff aus heimischen Vorkommen gewin­nen und aus alten Batterien recyceln können.

Die Jäger des verlorenen Schatzes

Probesprengung in Zinnwald: Rund 70.000 Tonnen lithiumreichen Zinnwaldits sollen hier lagern.

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R u n d b l i c k · L i t h i u m a u s S a c h s e n

Martin Bertau und seine Mitstreiter wollten das ändern. Bereits vor sechs Jahren gründeten die Wissenschaftler der TU Bergaka­demie Freiberg gemeinsam mit regionalen Unterneh mens part­nern das Bündnis „Hybride Lithiumge winnung“, das durch das Wachstumskern­Potenzial­Programm des BMBF gefördert wurde. Ihre Idee war, Lithium mit ein und demselben Verfahren zu gewinnen und zu recyceln. „Das Bundesforschungs minis­terium hatte damals schon die Weitsicht, unser Vorhaben zu fördern, als noch kein anderer an Lithium gedacht hat“, erinnert sich Bertau. Dafür ist er sehr dankbar, denn diese frühe Unter­stützung trägt inzwischen reichlich Früchte.

Lithium ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Ob in Ceran kochfeldern oder Solarzellen, in den Akkus kabel­loser Telefone oder elektrischer Zahnbürsten und natür­lich in Autos. Vor allem die zunehmende Elektromobilität lässt die Nach frage steigen. Bis 2025 sollen 70 Prozent des gehandelten Lithi um carbonats – die Rohstoffquelle von Lithium – für Batterien von Elektroautos genutzt werden. Lithium ist für Speicher techno logien sehr gut geeignet, weil das Leichtmetall eine hohe Energiedichte erreicht. Prognosen gehen von einer Vervier fachung der Nachfrage bis 2025 aus. Der Weltmarktpreis hat sich in den letzten zwei Jahren bereits mehr als verdoppelt. Eine Tonne Lithium kostet mittlerweile fast 14.000 US­Dollar, Ten denz steigend. „Lithium ist ein kriti­scher Rohstoff“, sagt Pro fessor Martin Bertau, Chemiker an der Technischen Universi tät Bergakademie Freiberg in Sachsen. „Man sollte es nicht wegwerfen und neues kaufen, sondern im Kreislauf behalten.“

Frühzeitige Förderung

Bis vor wenigen Jahren hat sich in Deutschland niemand darum gekümmert. Die heimischen Lithium­Ressourcen blieben unge­nutzt – sowohl unter der Erde als auch in alten Akkus, die im Müll landeten, statt aufbereitet zu werden.

„Die Gewinnung des heimischen Zinnwaldits

macht uns unabhängig von teuren Importen.“

Professor Armin Müller und seine Deutsche Lithium GmbH wollen im Erzgebirge Zinnwaldit in großem Stil abbauen.

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Eisen und Fluor. Aus diesem Materialmix Lithiumcarbonat zu gewinnen, das unter anderem für die Produktion von Lithium­Ionen­Batterien genutzt wird, ist erst durch das Freiberger Verfahren möglich. Wie funktioniert dieses Verfahren? Zunächst wird das Erz zerkleinert und auf circa 1.000 Grad Celsius erhitzt. Auf diese Weise bilden sich aus dem Zinnwaldit neue minerali­sche Komponenten, vor allem ein lithiumreiches Silikat mit dem Namen β­Spodumen. „Unter Zugabe von Kohlendioxid und Wasser reagiert das im Spodumen enthaltene Lithium zu Lithiumhydrogencarbonat“, erklärt Bertau. „Die gering konzen­trierte Lithiumhydrogencarbonat­Lösung lässt sich mit Hilfe der Elektrodialyse anreichern. Das dabei erhaltene Konzentrat wird erhitzt, das CO2 entweicht und es entsteht Lithiumcarbonat, welches sich einfach abtrennen lässt.“ Das Kohlendioxid gelangt nicht in die Atmosphäre, sondern wird aufgefangen und erneut genutzt. Das klingt sehr komplex, ist aber ein relativ unkompli­ziertes chemisches Verfahren, und das Beste daran: Es lässt sich genauso gut für das Recycling nutzen. Aus alten Akkus wird damit der Rohstoff Lithiumcarbonat wiedergewonnen und ver­schwindet nicht im Müll.

Internationales Interesse

Die Kosten für das neue Verfahren sind überschaubar. Für die chemische Gewinnung einer Tonne Lithiumcarbonat aus Zinn­waldit rechnen die Freiberger Forscher mit 1.000 US­Dollar. Hinzu kommt die Finanzierung des Erzabbaus. Doch selbst damit bleiben sie mit ihrer Methode weit unter den derzeitigen Weltmarktpreisen. „Außerdem macht uns die Gewinnung des heimischen Zinnwaldits unabhängig von teuren Importen“, resümiert Martin Bertau.

Drei Patente haben der Chemiker und sein Team für ihr Verfahren bereits angemeldet. Anfragen von Firmen aus der ganzen Welt liegen auf ihrem Tisch. Ein europäisches Unter­nehmen prüft gerade den Kauf der Patente, um das Ver fah ren in die industrielle Nutzung zu überführen. Dem steht nichts im Weg, denn die Anlagen, die für die Lithium­Gewinnungs tech­nologie gebaut werden müssen, sind Standard in der chemi­schen Industrie, keine Sonderanfertigungen. Nach dem soge­nannten Upscaling vom Labor­ in den Industriemaßstab und einer kurzen Testphase kann es richtig losgehen.

Auch der Abbau von Zinnwaldit wird vorangetrieben. Das Freiberger Unternehmen Deutsche Lithium GmbH, das sich um weitere Investoren bemüht, plant ein Bergwerk, in dem künftig bis zu 150 Beschäftigte arbeiten sollen. Wenn alles gut läuft, soll im Sommer 2021 das erste Lithium­Produkt aus Sachsen auf den Markt kommen.

Für Martin Bertau und seine Mitstreiter ist das ein toller Erfolg. Ihre Idee, die mit dem Wachstumskern­Potenzial erst­mals gefördert wurde, ist nun aufgegangen. Die von ihnen ent­wickelte nachhaltige Technologie wird die Lithiumgewinnung revolutionieren – weit über die Grenzen Sachsens hinaus.

Üppige Vorkommen

Die Freiberger haben eine Technologie entwickelt, die es ermög­licht, den wertvollen Rohstoff aus dem Lithiumerz Zinnwaldit zu gewinnen. Das Erz ist nach dem Ort benannt, in dem es reich lich unter der Erde lagert: das sächsische Zinnwald im Erzgebirge. Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass dort rund 70.000 Tonnen des begehrten Erzes zu finden sind – deut­lich mehr als bisher angenommen. Es sind die größten Zinn­waldit­Vorkommen in ganz Europa und die zweitgrößten der Welt. Die Gewinnung ist recht unproblematisch. „Zinnwaldit wird durch Tiefbergbau abgebaut“, erläutert Martin Bertau. „Das heißt, anders als beim Abbau von Kohle gibt es keinen Tagebau und damit auch keinen großflächigen Eingriff in die Natur.“ Lediglich eine Öffnung im Berg, durch die Lastwagen rollen können, ist notwendig. Der Rohstoff wird unter Tage gewonnen und nur die Erze werden abtransportiert. Das restliche Material bleibt im Berg. Hohlräume, die später Probleme bereiten könn­ten, gibt es deshalb nicht.

Doppelter Nutzen

Doch so einfach und umweltschonend es auch sein mag, den Rohstoff ans Licht zu holen, so schwierig ist es, daraus Lithium zu gewinnen. Denn das Zinnwaldit­Erz enthält auch Aluminium,

Ob im Smartphone, Elektroauto oder Flugzeug: Lithium­Ionen­Akkumulatoren sind weit verbreitet.

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Präzisionsarbeit von Hand: Dominik Schröder von der Muehlhan AG in Rostock lackiert Prüfplatten, denen nun ganz unterschiedliche Martyrien bevorstehen.

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O f f s h o r e ­ W i n d e n e r g i e · R u n d b l i c k

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Was rostet, das kostetBis 2030 sollen Windparks vor deutschen Küsten bis zu 15 Millionen Haushalte mit Strom versorgen. Ein Rostocker Wachstumskern will diesen Prozess mit Innovationen und neuen technischen Entwicklungen begleiten. Das Ziel: Die Kosten für Strom aus Offshore­Anlagen sollen deutlich fallen.

Dominik Schröder schlüpft in seinen weißen Schutz­overall und legt sorgfältig seine Atemschutzmaske an. Dann greift er zur Farbpistole. In den nächsten Minuten

wird er genau 200 stählerne Prüfplatten mit einer gelben Polyurethan­Deckschicht überziehen, bis sie einander gleichen wie ein Ei dem anderen. Schröder ist Lackierer bei der Muehlhan AG, einem norddeutschen Unternehmen für Oberflächenschutz. Die 15 verschiedenen Beschichtungen von sieben verschiede­nen Herstellern auf den Stahlplatten werden dann unter ihrer gelben Decke verborgen sein – zumindest so lange, bis Schröders Kollegen in der Fraunhofer­Einrichtung für Großstrukturen in der Produktionstechnik IGP in Rostock Ernst machen. Sie haben Prüfverfahren entwickelt, die zeigen sollen, wodurch, wie und wann Korrosionsschäden auf den beschichteten Metall­platten entstehen. Wirtschaftsingenieur Michael Irmer leitet dieses Projekt, das Teil des Wachstumskerns „OWS­MV – Offshore Wind Solutions Mecklenburg­Vorpommern“ ist. „Wir wollen keine neuen Beschichtungen entwickeln, sondern her­ausfinden, wie Transport­ und Montageschäden auf die unter­schiedlichen Beschichtungen wirken“, erklärt Irmer. „Dafür haben wir neuartige Prüfmethoden entwickelt, die uns zeigen sollen, welche Beschichtung geeigneter ist.“

Die Arbeitsbedingungen in Offshore­Windparks sind alles andere als heimelig. Salz, Wellen, Wind, Sonne und Kälte setzen Mensch und Material zu. Gleichzeitig bergen Installations­ und Wartungsarbeiten auf hoher See Gefahren für die Menschen, die sie ausführen, sie sind aufwendig und verursachen somit hohe Kosten. Um die Ausgaben zu senken, hat der Wachs­tumskern OWS­MV zahlreiche Ideen entwickelt. Eine von ihnen setzt bereits bei den verwendeten Materialien an. Die Erfahrung zeigt, dass erste Schäden schon beim Transport und bei der Installation eines Offshore­Windparks entstehen.

Defekte betreffen vor allem das Transition Piece, das Verbin­dungsstück zwischen Turm und dem darunterliegenden Stahlgerüst. Sie entstehen durch Abrieb, hohen Druck oder Schläge. Meist bleiben sie unsichtbar und führen im späteren Einsatz bei Wind und Wetter zu den gefürchteten Rostschäden, die dann aufwendig repariert werden müssen.

Gedrückt, geschlagen und gealtert

Zurück am Fraunhofer IGP. Die gelb lackierten Platten durchlei­den nun ganz unterschiedliche Martyrien. Einige von ihnen werden in den Abriebprüfstand gespannt. Er ist eine Eigen­entwicklung der IGP­Wissenschaftler, bei der lediglich die Rollreibräder und Drehteller vorgegeben waren. „Alles andere haben wir selbst entwickelt, um mit unterschiedlichen Kräften auf die Platten einzuwirken“, erzählt Michael Irmer. Hier soll nachempfunden werden, wie ein Gurt oder eine Kette durch stunden­ oder tagelanges Reiben auf das Material wirkt. Die abgeriebenen Partikel fangen Irmer und seine Kollegen auf und schicken sie zurück an die Muehlhan AG, die das Verschleiß­verhalten analysiert. Eine andere Charge der Prüflinge durch­läuft den Schlagprüfer. Er simuliert, wie zum Beispiel ein Hammer auf ein Bauteil fällt. Manche der Platten haben Glück und erhalten eine zusätzliche Folie, die sie noch besser vor Beschädigungen schützt – oder nicht. Denn genau das wollen die Prüfer herausfinden. Die Gurtprüfung ahmt hingegen den Druck nach, der beim Tragen während des Transportes entsteht.Anschließend müssen 75 ausgewählte beschädigte Platten zusam men mit einigen unbeschädigten in die beschleunigte Alterung. Ein 25­wöchiger Klimazyklus in zwei Prüfkammern mit Salzsprühnebel und Kondenswasser steht ihnen bevor. Pro Woche heißt das: drei Tage unter UV­Strahlung und im Kon­

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R u n d b l i c k · O f f s h o r e ­ W i n d e n e r g i e

denswasser, drei Tage im Salzsprühnebel bei 35 Grad Celsius und ein Tag in der Klimakammer bei minus 20 Grad. So simulieren die Tester die Korrosion während eines 20­ bis 25­jährigen Ein satzes auf See. „Wir fangen jetzt mit diesem Klimazyklus an, und ich tippe mal, dass einige Proben nicht so lange durchhalten“, pro­phezeit Michael Irmer. Anschließend werden er und seine Kolle­gen die Korrosionsschutzwirkung der verschiedenen Beschich­tungen prüfen, bewerten und mit den unbeschädigten Körpern vergleichen. „Mit unserem Projekt wollen wir erreichen, dass möglichst keine Schäden an den Materialien entstehen, um Korrosion zu verhindern. Dadurch werden auch weniger Repara­turen an den Windenergieanlagen nötig“, fasst Irmer zusammen.

Mit Datenbrillen auf See

Eine Etage höher im Fraunhofer IGP. Das große Thema Wartung von Windenergieanlagen nehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier von einer anderen, ergänzenden Seite

in Angriff. Mit digitaler Technik wollen sie Wartung, Diagnose und Reparatur von Schäden auf hoher See verbessern. Schon während Inspekteure vor Ort die Windenergieanlage untersu­chen, sollen sie in Zukunft über eine Datenbrille Fotos der Beschichtung aufnehmen und weiterleiten. Experten an Land können die Schäden fast zeitgleich und unter optimalen Bedin­gungen analysieren und einen Reparaturvorschlag auf gleichem Wege zurückschicken.

Der Wirtschaftsingenieur Martin Eggert und sein Kollege, der Maschinenbauer Florian Beuß, entwickeln am Fraunhofer IGP diese mobilen Assistenzsysteme für den Wartungseinsatz, um den Technikern vor Ort die Arbeit zu erleichtern. „Große Teile der aufwendigen Dokumentation sollen digitalisiert wer­den, damit die Techniker draußen in den Offshore­Anlagen ihre digitalisierten Checklisten durchgehen können und direkte Rückmeldung erhalten“, erzählt Eggert. Wenn der Monteur die Anlage besteigt, ist er künftig mit digitalen Hilfsmitteln wie Tablet, Datenbrille oder Headset ausgerüstet, so das Ziel dieses

Drei Tage unter UV­Strahlung, drei Tage im Salzsprühnebel bei 35 Grad und ein Tag in der Klimakammer bei minus 20 Grad.

Abrieb, Druck und Kälte setzen den Prüfplatten im Labor der Rostocker Fraunhofer­Einrichtung IGP zu. Michael Irmer (Bild rechts) begleitet das Projekt von A bis Z.

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Turbinen und dem Konverter zeigen an, welche Bauteile in gutem Zustand oder wo Reparaturen notwendig sind. Verschiedene Sensoren, die in den Anlagen verbaut sind, sen­den die Signale. So zeigt zum Beispiel ein Vibrationssensor Probleme an Lagern an, ein Stromstärke­ und Spannungsmesser ermittelt den Widerstand und signalisiert so ein gegebenenfalls defektes Kabel.

Optimal wäre es, wenn der Datenaustausch in beide Richtungen schnell und reibungslos funktionieren würde, sowohl vom Meer aufs Land als auch andersherum. Für dieses Ziel machen sich Eggert, Beuß und seine Kollegen von der Software entwicklung nun wieder ans Programmieren, eine stille und bisweilen mühsame Arbeit ohne sofort sichtbare Erfolge – aber immerhin geschützt vor Salzwasser, Wind und Kälte.

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OWS­MV­Projektes. Dann wird er vor Ort auf viele Informa­tionen zugreifen können, die ihm bisher verwehrt sind. Das Projekt läuft in enger Zusammenarbeit mit Unternehmen, die sich auf die Wartung spezialisiert haben. „Wir haben die Informationsplattform dort hineingebracht und digitalisieren den Prozess vom Erhalt des Auftrages bis hin zur Nachbereitung der Wartung. So haben wir auch Zugriff auf die Wartungshistorie“, beschreibt Eggert das Szenario. Ein Drittel dieses Zieles ist erreicht. Zurzeit sind die Projektbeauftragten mitten in der Programmierung.

Ein Blick in die Zukunft

Martin Eggert und Florian Beuß stehen nun vor einer großen Leinwand. Sie blicken in die Zukunft eines digitalen Offshore­Windparks. Er erlaubt eine Übersicht über alle Turbinen und den Konverter, der den auf See erzeugten Strom zum Land überträgt. Rote, gelbe und grüne Punkte über den einzelnen

Die Ingenieure Florian Beuß (links) und Martin Eggert vor einem digitalen Offshore­Windpark. Mit digitalen Checklisten wollen sie die Wartungsarbeiten der Techniker auf See vereinfachen.

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Wie viel wiegt ein Kilogramm?In einem Tresor bei Paris liegt seit fast 130 Jahren das Ur­Kilogramm. Doch es nimmt ab. 2018 soll des­halb das neue Kilogramm definiert werden. Forscher aus Ilmenau und Leipzig sind daran beteiligt.

Gut geschützt: Der deutsche Prototyp

des Kilogramms wird seit den 1950er­Jahren

in der Physi kalisch­Technischen Bundes­anstalt Braunschweig

unter Verschluss gehalten.

R u n d b l i c k · K i l o g r a m m ­ D e f i n i t i o n

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K i l o g r a m m ­ D e f i n i t i o n · R u n d b l i c k

Warum der kleine Zylinder aus Platin und Iridium an Masse verliert, obwohl er unter drei Glasglocken steht und nur alle paar Jahrzehnte zum Putzen und

Prüfen herausgenommen wird, ist noch nicht geklärt. Fest steht nur: Die Referenz für die Maßeinheit der Masse ist ungenau geworden. Zwar liegt die Abweichung bei gerade mal 50 Millionstel Gramm, doch selbst diese winzige Abweichung kann große Auswirkungen auf präzise wissenschaftliche Messungen haben. Statt einen neuen Metallzylinder als Vergleichsbasis her­zustellen, soll das Kilo gramm nun zuverlässiger bestimmt wer­den. Eine Naturkon stante, das sogenannte Plancksche Wirkungsquantum, wird die Grundlage dafür sein. Max Planck hatte diese universell anwend bare Konstante vor mehr als 100 Jahren eingeführt. Damit wird das stets gleich bleibende Verhältnis von Energie und Frequenz eines Lichtteilchens beschrieben.

Der erste Schritt

Um diese Konstante für das neue Kilogramm genau zu errech­nen, hat ein britischer Forscher die sogenannte Watt­Waage erfunden. Bei dem Gerät wird die Gewichtskraft mit einer elek­tromagnetischen Kraft verglichen. Ähnlich wie bei einer Balkenwaage wirkt auf der einen Seite die Gewichtskraft und auf der anderen Seite übt eine stromdurchflossene Spule durch ein Magnetfeld eine Gegenkraft aus. Die elektrische Leistung Watt, die dafür benötigt wird, ist an das Plancksche Wirkungsquantum gekoppelt. Dadurch lässt sich ein Bezug zwischen einem Kilogramm und der Naturkonstanten herstel­len. Forscher in den USA und Kanada haben auf diese Weise den Wert des Kilogramms äußerst genau ermitteln können.

Die Weiterentwicklung

Der Aufbau der Watt­Waage ist allerdings sehr komplex und die Messungen finden in einem Hochvakuum statt. Für die prakti­sche Anwendung ist das schwierig. Deshalb haben Wissen­schaftler der Technischen Universität Ilmenau gemeinsam mit der Physikalisch­Technischen Bundesanstalt in Braunschweig die Planck­Waage entwickelt. Das Ilmenauer Forscherteam wurde auch im Rahmen der Innoprofile­Transfer­Initiative „Innovative Kraft mess­ und Wägetechnik“ vom Bundesfor­schungs minis te rium gefördert. Die hochpräzise, stufenlos mes­sende Waage, die sie mit den Braunschweigern entwickelt haben, funktioniert ähnlich wie die Watt­Waage: Ein zu wiegen des Massestück auf der einen Seite wird durch eine elektrische Kraft auf der anderen Seite aufgewogen. Diese elektrische Kraft ist untrennbar mit dem Planckschen Wirkungsquantum verbunden, das daraus errechnet werden kann.

Bereit für den Einsatz

Die Planck­Waage hat einen großen Vorteil: „Ob in Pharma­ und Biotechlaboren oder Landeseichbehörden: Überall braucht man bisher eine Vielzahl an Eichgewichten – sogenannte Normale –, um Waagen zu kalibrieren und regelmäßig zu prü­fen“, erklärt Professor Thomas Fröhlich, Leiter des Projekts an der Technischen Universität Ilmenau. Die neue Waage braucht diese Referenzmasse nicht. Sie ist das erste selbstkalibrierende Messgerät. Außerdem hat sie einen sehr großen Messbereich von einem Milligramm bis zu einem Kilogramm. Ihr Aufbau ist unkompliziert und damit äußerst praxistauglich. Ende 2017 soll ein erster Prototyp zum Einsatz kommen.

Besser messen: Mit der neuen Planck­Waage soll das Kilogramm demnächst sehr viel exakter bestimmt werden.

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Das Referenz­Experiment

Allerdings wird das Kilogramm erst neu bestimmt, wenn ein zweites, unabhängiges Experiment einen übereinstimmenden Wert für das Plancksche Wirkungsquantum liefert. Wissen­schaftler der Physikalisch­Technischen Bundesanstalt in Braun­schweig wollen deshalb im sogenannten Avogadro­Experiment die Atome in einer hochreinen Siliziumkugel zählen. Auf diese Weise erhalten sie die Avogadro­Konstante. Das ist die Anzahl der Teilchen, die in einer bestimmten Menge eines Stoffes ent­halten sind. Damit lässt sich das Plancksche Wirkungsquantum ebenfalls errechnen. Zunächst messen die Braunschweiger die Größe der Kugel und bestimmen mit Hilfe der Röntgen­Kristallografie die Struktur des Silizium­Gitters. Auf diese Weise können sie die dort enthaltenen Atome zählen. Um das Volumen des Kristalls exakt zu messen und Messunsicherheiten zu redu­zieren, muss die Siliziumkugel so rund wie möglich, ihre Oberfläche also so glatt wie möglich sein. Dazu haben Leipziger Wissenschaftler der InnoProfile­Transfer­Initiative „Ultraprä­zisions bearbeitung mit atomaren Teilchenstrahlen“ (UAT) bei­getragen. „Die Vermessung der Siliziumkugel zeigte zunächst

Abweichungen von der mathematisch idealen Kugelform im Bereich von 40 Nanometern“, erzählt Professor Thomas Arnold, UAT­Projektleiter. Die Leipziger haben die Oberfläche der Kugel mit Ionenstrahlen bearbeitet und erreichten damit Abwei­chungen von nur noch 14 Nanometern. „So konnten wir dazu beitragen, dass die Unsicherheiten bei der Vermessung der Kugel so gering wie möglich sind“, sagt Arnold. Inzwischen ist es gelungen, dass die Werte zur Bestimmung des Kilogramms beim Avogadro­Experiment und der Watt­Waage übereinstim­men.

Die Verkündung

Dem neuen Kilogramm steht nun also nichts mehr im Weg. Auf der 26. Generalkonferenz für Maß und Gewicht in Paris 2018 soll es verabschiedet werden. Statt mit einem in die Jahre ge kom menen Metallzylinder wird es dann über eine Natur­konstante definiert werden – so wie alle anderen physikalischen Einheiten auch. Damit erreicht das Kilogramm eine neue Qualität und wird in Zukunft ganz sicher nicht mehr an Masse verlieren.

Glatt und rund: Diese hochreine Siliziumkugel wird an der Physikalisch­Technischen Bundesanstalt in Braunschweig nanometergenau vermessen, um das neue Kilogramm zu errechnen.

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47•000Menschen besuchten das Zelt der Bun des­regierung auf dem diesjährigen Bürgerfest zum Tag der Deutschen Ein heit. In Mainz mit dabei war das Zwanzig20­Konsortium „3Dsensation“. Das Bündnis hat sich der Mensch­Maschi ne­Interaktion verschrie­ben und zeigte den Besucherinnen und Besuchern, wie ein Industrieroboterarm mit einem 3D­Sensor zusammenspielt. Nebenan bot das Innovationsforum Mittel stand „Virtual Reality Babelsberg“ die Möglichkeit, mit einer VR­Brille neue Anwendungsszenarien einer Zukunfts­technologie kennenzulernen.

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9•600•000 Patienten erkrankten allein im Jahr 2014 weltweit an Tuberkulose; 1,5 Millionen von ihnen star­ben. Zwar existiert seit gut 90 Jahren ein Impfstoff gegen einen der bakteriellen Erreger, doch bei Erwachsenen wirkt er nicht. Das Zwanzig20­Konsortium „InfectControl 2020“ entwickelt deshalb effektive Impfstoffe und untersucht gleichzeitig, ob diese auch bei häufig betroffenen Nutztieren wirken.

Zahlen, bitte!105WIR!-Skizzen gingen bis zum Stichtag 31. Oktober 2017 beim zuständi­gen Projektträger ein. Unterstützt von hochrangigen Experten wählt das Bundesministerium für Bildung und Forschung nun bis zu 20 Initiativen aus, die in die zweite Phase des Förderprogramms „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ starten. Im Anschluss an diese Zeit intensiver Strategiearbeit wählt eine vom BMBF berufene Jury bis zu 12 Initiativen aus, die ihre Konzepte dann umsetzen können.

173Quadratmeter Nutzfläche soll das zweistö­ckige „CUBE“ bereitstellen, das bis 2019/2020 mitten in Dresden entsteht. CUBE wird dann das erste funktions fähige Carbonbeton­Haus der Welt sein. Das Projekt des Zwanzig20­Konsortiums „C3 – Carbon Concrete Com­po site“ soll Archi tekten, Ingenieuren, Bau­fachleuten und der Öffentlichkeit offenstehen und die aktuellen Forschungsergebnisse zum Thema Carbonbeton demonstrieren.

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I n n o v a t i o n s f o r e n ( M i t t e l s t a n d ) · T i t e l t h e m a

Marktplatz der MöglichkeitenInnerhalb von 16 Jahren hat das Bundes for schungs­ ministerium 230 „Innovationsforen“ und „Innova­tions foren Mittelstand“ gefördert.

Ein Dossier über Drohnen, Carbon und Hörge nuss, über ungewöhnliche Partnerschaften in Ost­ und Westdeutschland – und über die enorme Kraft zweier scheinbar kleiner Förder instru mente.

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„Der Weg zur Innovation gleicht einer Expedition: Sich aus ver­trautem Territorium herauszuwagen, Grenzen zu überschreiten und Offenheit für das Unerwartete sind notwendige Voraus­setzungen. Doch Erfolg winkt nur dem, der sich seiner eigenen Stärken bewusst ist und die richtigen Partner an seiner Seite hat. Genau solche Expeditionen fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit seiner Programmfamilie Unter­nehmen Region.“

Mit diesen Worten beginnen viele Jahre lang die individuellen Flyer, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für jedes einzelne Innovationsforum herausgibt. Insge­samt 181 solcher Expeditionen fördert das BMBF in den Jahren 2001 bis 2016 im Rahmen des Programms Inno vations foren: Das bedeutet 181 innovative Bündnisse aus ostdeutschen Regio­nen, die fast die gesamte Bandbreite innovativer Themen felder abdecken: von smarten technischen Textilien über Nahrungs­mittel aus Lupinensaaten bis hin zur telemedizinischen Versorgung in Rettungswagen. Von der Glyko­Bio techno logie über eine Werkzeugsystemplattform für Faser ver bund­Misch­bauweisen bis hin zu Biopolymeren. Von der zivilen Nut zung von Drohnen über Ultraschalltechnik bis hin zur Geo bio­technologie. (Mehr über die drei zuletzt genannten Bündnisse lesen Sie ab Seite 26.)

Doch so unterschiedlich sich die einzelnen Innovationsforen inhaltlich ausrichten – sie haben eine Menge gemeinsam: Sie treiben die Netzwerkbildung in ihrer Region voran und bringen

Sie treiben die Netzwerkbildung in ihrer Region voran und bringen Leistungsträger aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik an einen Tisch.

Leistungsträger aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik an einen Tisch. Dabei ist die Förderung von Beginn an nicht auf die bloße Kooperation ausgelegt und die entstehen­den Netzwerke dürfen kein Selbstzweck sein. Vielmehr sollen die beteiligten kleinen und mittleren Unternehmen, For­schungs einrichtungen und Hochschulen strategische Bündnisse schmieden, die für ihre Region ein klares, innovatives Profil entwickeln. Im Mittelpunkt des Programms steht stets eine zweitägige Veranstaltung, die an einen Fachkongress erinnert und die meist selbst „Innovationsforum“ genannt wird. Wie im Forum – dem Marktplatz der römischen Antike – knüpfen die relevanten Akteure Kontakte und finden neue, bisher unbe­kannte Partner. Sie bestimmen gemeinsam ihre Position im Wettbewerb und stellen erste strategische Weichen.

Dabei unterstützt das Innovationsforen­Programm inner­halb der „Unternehmen Region“­Familie meist eine frühe Phase der Netzwerkbildung. Doch auch bestehende Bündnisse kön­nen sich als Innovationsforen qualifizieren, sofern sie eine neue Ebene in ihrem Innovationsfeld erreichen wollen. In einem För der zeitraum von nur sechs Monaten und mit maximal 85.000 Euro ausgestattet, lösen viele Innovationsforen eine Initialzündung in ihrer Region aus. Sie nutzen die Förderung, um nachhaltige Strukturen aufzubauen, und werben in der Fol ge private Finanzierungsmittel ein.

Wegen Erfolges eingestellt

Die Wirkungen des Programms überzeugen nicht nur immer neue Interessenten, sondern auch die evaluierenden Wissen­schaftler: „Wir haben einen sehr starken Entwicklungs schritt bei Struktur, Identität und Dokumentation der Innova tions­foren beobachtet, wobei der Status auch nach dem Ende der Förderphase stabil ist“, sagt etwa Thomas Brenner von der Uni ­versität Marburg. In den Jahren 2010/11 hat Brenner für das BMBF die Netzwerkentwicklung von 49 Innovationsforen unter sucht. Positive Effekte wie diese führten zu einem auf den ersten Blick überraschenden Ergebnis: Im vergangenen Jahr stellt das BMBF die Innovationsforen­Förderung ein. Gleich­zeitig baute es das Programm allerdings zur Förderinitiative „Innovationsforen Mittelstand“ aus.

Die Grundzüge der neuen Förderinitiative erinnern stark an ihren Vorgänger, doch es gibt ein paar wichtige Neuerungen: Interessenten genügt zunächst eine einfache Skizze, um ihre Chancen abschätzen zu lassen (siehe dazu auch Seite 31). Erfolg­reiche Bewerber fördert das Forschungsministerium dann für bis zu neun Monate und mit maximal 100.000 Euro. Der größte Unterschied zu den „alten“ Innovationsforen ist aber: Inno­vationsforen Mittelstand stehen Bewerbern aus ganz Deutsch­land offen. In bislang vier Auswahlrunden wurden 49 Skizzen für eine Förderung ausgewählt.

Auch die Innovationsforen Mittelstand zeigen eine enorme

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I n n o v a t i o n s f o r e n ( M i t t e l s t a n d ) · T i t e l t h e m a

Vielfalt, sowohl in der Art des Netzwerks als auch in ihren Themen: Diese reichen von der digitalen Blockchain­Tech­nologie bis zur Optogenetik und von 3D­Audio techno logien bis zur Kombination von nano­ und makroskaligen Kohlenstoffen. (Mehr über die beiden letztgenannten Inno va tionsforen Mittelstand erfahren Sie ab Seite 32.) Derzeit finden Mo nat für Monat Workshops und Forenveranstaltungen in ver­

schiedenen deutschen Städten statt: in Potsdam, Dresden und Jena, aber auch in Lübeck, Hamburg, in Hannover und Nürn­berg (siehe Landkarte). Seit dem Start 2001 hat die Inno va tions­foren­ und Innovationsforen­Mittelstand­Förde rung 230 Bünd­nisse auf den Weg gebracht. Eine Landkarte der geförderten Initiativen zeigt ein teilweise unübersichtliches und fast poin­tillistisches Bild. Es steht ganz im Gegen satz zu zwei ein fachen,

klaren und effektiven För der­instrumenten.

Zur Förderung ausgewählte Foren„Innovationsforen“ und „Innovationsforen Mittelstand“

auf einen BlickBAYERN

SAARLAND

RHEINLAND-PFALZ

HESSEN

THÜRINGEN

SACHSEN

SACHSEN-ANHALT

BRANDENBURG

MECKLENBURG-VORPOMMERN

BERLIN

SCHLESWIG-HOLSTEIN

NORDRHEIN-WESTFALEN

BADEN-WÜRTTEMBERG

NIEDERSACHSEN

BREMEN

HAMBURG

Innovationsforen (2001 – 2016)

Innovationsforen Mittelstand (seit 2016)

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T i t e l t h e m a · I n n o v a t i o n s f o r e n ( M i t t e l s t a n d )

Uwe Meinberg ist Professor für Industrielle Informations tech­nik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cott bus­Senftenberg (BTU). In den Jahren 2015 und 2016 koordinierte er das Innovationsforum „CURPAS – Civil Use of Remot ely Piloted Aircraft Systems“. Das Bündnis ist mit dem Ziel gestartet, in der Region Berlin­Brandenburg ein Netzwerk zu knüpfen, das die zivile Nutzung von Drohnen vorantreibt. Für Uwe Meinberg setzt die Branche gerade zum Höhen flug an: „Alle Welt geht davon aus, dass wir bald eine Vielzahl von gewerblichen Droh­nen in der Luft haben werden.“ Dabei geht es um weit mehr als die Inspektion von Strommasten oder Windkraft anlagen. Die unbemannten Flugobjekte können medizinische Proben und Blutkonserven transportieren, Verkehrsströme aufzeichnen, chemische Anlagen überwachen oder den Diebstahl in Tage­bauen verhindern. Zukunftsvisionen? „Zu all diesen Einsatz­mög lich keiten laufen bereits Projekte, an denen CURPAS­Partner beteiligt sind“, stellt Uwe Meinberg fest.

Hochbegabte Flugobjekte

Innerhalb weniger Jahre hat die Drohnen­Branche zum Höhenflug angesetzt. Das Innovationsforum „CURPAS“ zum Beispiel ent­wickelt in Berlin­Brandenburg neue zivile Anwendungen und macht den europäischen Luftraum sicherer.

Wenn Netzbetreiber den Zustand von Stromleitungsmasten überprüfen wollen, haben sie bisher die Wahl zwischen

großem Aufwand und riesigem Aufwand. Entweder sie beauf­tragen Industriekletterer oder sie bringen die Inspekteure per Helikopter auf Augenhöhe mit möglichen Material­, Korrosions­ oder Wetterschäden. In beiden Fällen ist die Arbeit gefährlich, aufwendig und teuer. „Deshalb haben wir für einen Netzbetreiber untersucht, ob und wann man die Masten vollautomatisch mit Drohnen inspizieren kann“, sagt Uwe Meinberg. „Unser Fazit: In eineinhalb bis zwei Jahren wird das funktionieren! Zumindest sofern man auf eine neue zu entwickelnde Sensorik sowie auf intelligente Auswertungsprogramme und Algorithmen setzt.“

„Alle Welt geht davon aus, dass

wir bald eine Vielzahl von gewerblichen

Drohnen in der Luft haben werden.“

Diebstahl in Tagebauen verhindern, Strom­masten inspizieren oder Blutkonserven transportieren: Drohnen haben viele Talente.

Ihre Technik ist mittlerweile ausgereift (Bild S. 27 oben).

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Die Erzfreunde

Die europäische Wirtschaft ist auf Rohstoff­importe angewiesen, obwohl es auch auf unserem Kontinent Lagerstätten gibt. Ein säch­sisches Innovationsforum hat deshalb ein euro­paweites Projekt zur Rohstoffgewinnung geschmiedet. Dabei kann das Bündnis auf die Unterstützung winzig kleiner Helfer bauen.

Sie heißen unter anderem Acidithiobacillus ferrooxidans oder Acetobacter methanolicus und sind mikroskopisch

klein. Mikroorganismen schaffen vergleichsweise einfach und kostengünstig, woran Zentrifugen, Zusatzstoffe und andere physikalisch­chemische Verfahren bisweilen scheitern: Sie kna­

I n n o v a t i o n s f o r e n ( M i t t e l s t a n d ) · T i t e l t h e m a

Vogelwilde Drohnenschwärme?Er und sein BTU­Team beschäftigen sich bereits seit einigen Jahren mit zivil genutzten Drohnen. Zum Senkrechtstarter wurde das Thema allerdings erst mit dem Innovationsforum CURPAS. Zur Auftaktveranstaltung im April 2016 kamen rund 90 Fachleute auf den Flughafen Berlin­Schönefeld. In der Folge zurrten vier intensive Workshops die wichtigsten Themenfelder fest. Die Abschlussveranstaltung im Oktober 2016 schließlich besuchten rund 150 Expertinnen und Experten, darunter auch Vertreter des Landes Brandenburg, die eine weitere Förderung in Aussicht stellten. Bereits am 7. Oktober gründete sich darauf­hin der Verein CURPAS e.V., der mittlerweile rund 30 Mitglieder zählt. „Die Drohne ist für uns nur das Werkzeug zur Datener­fassung“, sagt Uwe Meinberg. „Deshalb sind die CURPAS­Mit­glieder überwiegend Anwender, die an der Prozesskette und neuen Einsatzmöglichkeiten arbeiten.“

So verlockend die Chancen auch sind: Vogelwilde Drohnen­schwärme am Himmel bergen auch Risiken, vor allem für die Luftfahrt. Die Europäische Kommission und die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt forcieren deshalb ein Flugverkehrsmanagement für Drohnen. Zusammen haben sie eine Initiative gestartet, die bis 2019 ein gemeinsames europäi­sches Regelwerk und eine einheitliche Kommunikations platt­form für den Luftraum bis 150 Meter Höhe schaffen soll. In drei europäischen Regionen sollen im Jahr 2018 Feldversuche star­ten – darunter auch im brandenburgischen CURPAS­Revier. Für Uwe Meinberg ist dies der nächste Schritt in der Entwicklung des Netzwerks, doch den entscheidenden Wegbereiter vergisst er nicht: „Ohne das Innovationsforum wären wir nicht da, wo wir heute sind.“

„Die Biologie schafft bisweilen das, was

Chemie und Physik nicht schaffen.“

Sie sind die kleinsten Bergarbeiter der Welt: Bakterien helfen dabei, Metallverbindungen in Erzen aufzubrechen.

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T i t e l t h e m a · I n n o v a t i o n s f o r e n ( M i t t e l s t a n d )

Programmziel der Partnerfindung ungewöhnliche Wege ging. „Wir haben sehr gezielt nach Partnern in anderen europäischen Ländern gesucht“, erzählt GAIN­Koordinator Wolfgang Reimer, der unter anderem in Portugal, England und Finnland Work­shops veranstaltete.

Die Folge dieses grenzüberschreitenden Ansatzes ist ein wei­teres, europaweites Projekt: Seit 2015 arbeiten 17 Partner aus sieben europäischen Ländern im Vorhaben „FAME“ zusammen. Gemeinsam wollen sie flexible und mobile Aufbereitungstech­no logien entwickeln, die eine umweltfreundliche und wettbe­werbsfähige Ausbeutung europäischer Lagerstätten ermögli­chen. Diese Technologien sind zum Beispiel für solche Vorkom­men interessant, deren Erze einen relativ niedrigen Metall anteil haben und deren Wertstoffe schwer freizusetzen sind. Mit dabei sind auch die Nickelhütte Aue aus dem Westerz gebirge und die Freiberger SAXORE Bergbau GmbH.

Als Demonstrationsobjekte wurden europaweit sechs Lager­stätten ausgewählt, eine davon ist SAXOREs Zinn­ und Indium­Lager stätte nahe des westerzgebirgischen Tellerhäuser. Sie zählt weltweit zu den größten ihrer Art, und sie hat noch einen wei­teren Standortvorteil: „In Sachsen gibt es neben den Lagerstätten auch noch Hütten, um die Konzentrate unmittelbar vor Ort weiterzuverarbeiten. Das prädestiniert das Land als Wegbereiter in Euro pa“, sagt Wolfgang Reimer und schärft seine Vision: „Wir wollen hier in der Region vor Ort die Wertschöpfung steigern und auch auf die Bedeutung der Metallurgie nicht nur in der Primär roh stoff gewinnung, sondern auch in der Kreislauf wirt­schaft hinweisen. Und letztendlich wollen wir wieder aktiv Berg­bau betreiben, denn: Die Zukunft beginnt mit dem Berg bau.“

cken Metallverbindungen und setzen die Metalle als Rohstoffe frei. „Aufbereitung durch geobiotechnologische Verfahren“ nennen das Experten wie Dr. Franz Glombitza von der Freiberger G.E.O.S. Ingenieurgesellschaft. Gemeinsam mit Dr. Wolfgang Reimer, Geschäftsführer des Geokompetenzzentrum Freiberg e.V. (GKZ), treibt er das Thema in Sachsen seit Jahren voran. Denn beide sind überzeugt davon, dass die Gewinnung vieler europäischer Rohstoffvorkommen mit neuen, innovativen Methoden zu mehr Versorgungssicherheit beitragen kann.

Mit diesem strategischen Ziel haben Reimer und Glombitza im Jahr 2014 das Innovationsforum „GAIN – Geobiologische Aufbereitungs prozesse für Industrierohstoffe nicht­sulfidischer Erze“ initiiert, gemeinsam mit fünf Unternehmen aus dem sächsischen Erzgebirge. „Mit GAIN haben wir untersucht, ob wir mit mikrobiologischen Verfahren auch nicht­sulfidische Primär rohstoffe geringer Konzentration wie zum Beispiel Wolfram­ und Zinnerze ge win nen können“, erinnert sich Glom­bitza. „Das war in Teilen noch Grundlagenforschung, doch mitt­lerweile gibt es immer mehr hoffnungsvolle Ansätze: Die Biologie schafft bisweilen das, was Chemie und Physik nicht schaffen.“

17 Partner aus sieben Ländern

Seit mehr als 800 Jahren betreiben die Menschen im Erzgebirge Bergbau. Man kennt sich in der Branche. Doch regionale Partner alleine konnten die Aufgabe nicht lösen. Das ist auch der Grund, warum das Innovationsforum GAIN für das

Der Tellerhäuser Magnetitskarn enthält zinn­ und indiumhaltige Minerale, die hohe Anforderungen an die Aufbereitung stellen.

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tet schnell, ohne das aus der Medizin bekannte Kontaktgel und ohne die teuren Verbundbauteile zu beschädigen.

Wer nach den Wurzeln dieser Erfolgsgeschichte sucht, fin­det sie zunächst in der DDR­Vergangenheit. Mitteldeutschland galt bereits damals als Zentrum der medizinischen Sonografie und der zerstörungsfreien Materialprüfung. Nach der Wende dauerte es aber noch 15 Jahre, bis alte und neue Akteure – dar­unter die SONOTEC GmbH – ihre Kräfte bündelten. Gemeinsam ergrün deten sie „Neue Möglichkeiten beim Messen und Prüfen mit Ultraschall“. Unter diesem Namen trafen sich im Dezember 2007 in Halle (Saale) rund 140 Fachleute zu einem vom Bundes­forschungsministerium geförderten Innovationsforum. „Damals haben wir Ideen entwickelt, mit denen wir heute am Markt erfolgreich sind“, erinnert sich Hans­Joachim Münch an die Anfänge von SONOAIR und weiterer Produkte. Im Anschluss an das Forum habe sich SONOTEC mit etwa 20 kleineren Unter­nehmen zusammengetan, „denn wenn Sie auf dem Weltmarkt mitspielen wollen, dann schaffen sie das als mittelständisches Unternehmen nicht alleine“.

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Sie sind hochspezialisierte Wesen und finden sich mit ihrem effektiven Ortungssystem auch auf schwierigstem Terrain zurecht. Wer sich mit ihnen beschäftigt, staunt über ihr ausge­prägtes Sozialverhalten: Sie bilden ungewöhnlich stabile Grup­pen, sind aber gleichzeitig offen für eine Durchmischung der unterschiedlichen Arten. Gemeint ist die Säuge tier gruppe der Fledermäuse. Die Beschreibung passt aber ebenso gut auf die Vertreter der mitteldeutschen Ultraschall­Branche. Beiden Spezies gemeinsam ist, dass sie über eine überragende Kom­petenz auf dem Feld der Ultra schalltechnik verfügen. Doch statt sich im Dunk eln zu orientieren und Beutetiere zu jagen, verfol­gen die Forschungseinrichtungen und Unternehmen in der Region Halle­Merseburg­Leipzig ganz andere Ziele. „Bei den zer störungsfreien Prüfverfahren mit luftgekoppeltem Ultra­schall sind wir mittlerweile Weltspitze!“, sagt Hans­Joachim Münch, Geschäfts führer der SONOTEC GmbH in Halle (Saale). Das Technologieunter nehmen entwickelt und produziert mit 125 Angestellten Speziallösungen in der Ultraschall­Mess tech­nik. Dazu gehört auch SONOAIR, das zum Beispiel Materialfehler in kohlefaserverstärkten Kunststoffen erkennt. SONOAIR arbei­

Auf Prüfbildern wie diesem offenbaren Ultraschallverfahren Materialfehler.

Die Fledermaus­Taktik

Ihre hochspezialisierten Ortungs­systeme und das ausgeprägte Sozialverhalten zeichnen sie aus: Die mitteldeutsche Ultraschall­Branche steht für spannende neue Anwendungen und eine erfolgreiche Netzwerkbildung. Zwei Innovationsforen haben dazu entscheidend beigetragen.

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Im Jahr 2010 fasste das Bündnis einen mutigen Entschluss und gründete eine eigene Forschungs einrichtung. Die heute unabhängige Forschungs zentrum Ultraschall gGmbH (FZU) beschäftigt in Halle (Saale) neun feste Mitarbeiter. Dazu zählen vor allem Ingenieure und Techniker, die sich an Forschungs ­projekten beteiligen oder im Auftrag von Unternehmen for­schen. Längst erreichen das Forschungszentrum Anfragen nicht mehr nur von regionalen Firmen, sondern aus ganz Deutschland. „Wir sind stolz darauf, die gesamte Wertschöpfungskette der Luftultraschallprüfung abzubilden“, sagt FZU­Abteilungsleiter Dr. Christoph Pientschke. „Das beginnt bei den Materialien und geht über die Elektronik bis hin zur Soft ware und den Auswertungsalgorithmen, die wir gemein sam mit Partnern bereitstellen.“

Von der Materialprüfung zur Medizin

„In letzter Zeit interessieren sich die Unternehmen in der Region immer stärker auch für den medizinischen Ultraschall“, weiß Christoph Pientschke. Deshalb hat er mit dem FZU – einst

selbst entstanden aus einem Innovationsforum – im Jahr 2014 das Innovationsforum „QSonoMed“ ins Leben gerufen. Im Gegensatz zu klassischen Ultraschallbildern will die namensge­bende „quantitative Sonographie“ physikalische Eigenschaften von Gewebe und Flüssigkeiten ergründen. Auf der zweitägigen Fachveranstaltung im Mai 2015 kristallisierten sich spannende, medizinische Themen heraus: Die Elastographie erlaubt Aus ­sagen über die Elastizität des Gewebes. Sie ermöglicht Medizi­nern Tastbefunde an schwer zugänglichen Organen – berüh­rungslos und allein auf Basis einer Ultraschall­Untersuchung. Da bisherige Geräte ungenaue Werte liefern, arbeiten Partner von QSonoMed gemeinsam an einem Kalibrierkörper. Gleich­zeitig entwickelt das FZU mit einer Lübecker Klinik ein Trainingssystem, mit dem Mediziner den endoskopischen Einsatz von Ultra schallsonden üben können. „Und schließlich ist aus QSonoMed auch ein Ultra schall­Stammtisch entstan­den“, sagt Pientschke. „Bisher treffen wir uns noch unregelmä­ßig. Aber wir wollen den Austausch aller Akteure in der Region unbedingt am Leben erhalten – das ist unser Ziel.“

Historie und Zukunft: Rund 90 Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Medizin besuchen 2015 das Innovationsforum „QSonoMed“. Den Rahmen setzt das denkmalgeschützte Stadthaus in Halle (Saale).

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Innovationsforen

„Wussten Sie schon ...?“

Innovationsforen Mittelstand

16 Jahre Laufzeit

181 durchgeführte „Innovationsforen“

14,4 Millionen Euro Fördersumme

100 Prozent der bewilligten Inno ­ va tionsforen aus Ostdeutschland

ca. 15.000 mobilisierte Akteure

Darauf kommt es an

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert Innovationsforen Mittelstand dann, wenn …

… sie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) besonders relevant sind.

… sie darauf ausgerichtet sind, Ideen oder Forschungsergebnisse zukünftig wirtschaftlich zu verwerten.

… aus der Projektskizze erkennbar ist, dass das Netzwerk offen für neue Akteure ist.

… die Ergebnisse vor allem hierzulande verwertet werden und so den Standort Deutschland stär­ken.

Projektskizzen werden positiv bewertet, wenn…

… das Thema bedeutend ist – in technischer, wirtschaftlicher und/oder gesellschaftlicher Hinsicht. Hierzu zählen auch die Chancen für kleine und mittlere Unternehmen und die Zusammenarbeit über Fächergrenzen.

… der Ansatz neuartig und kreativ ist.

… die vorgeschlagene Partnerstruktur mit einer neuen Akteurskonstellation, Exzellenz und einer starken Einbindung mittelständischer Unternehmen überzeugt.

… die Akteure ein regionales Kompetenzprofil herausbilden können.

… das Forum eine langfristige Entwicklung neuer Geschäftsmodelle anstrebt.

4 Auswahlrunden

218 eingegangene Skizzen

49 zur Förderung ausgewählte Bewerbungen

49 Prozent kleine und mittlere Unternehmen als Antragsteller bei bewilligten Vorhaben

61 Prozent der bewilligten Innovationsforen Mittelstand aus Westdeutschland

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Man sieht sie nicht. Doch irgendwo hier muss sie verlaufen, die Trennungslinie. Mitten durch das Karl­Bröger­

Tagungszentrum in Nürnberg und durch die Reihen der etwa 90 Menschen, die sich an diesem sonnigen Oktobertag hier zum Innovationsforum Mittelstand „Carbon – Nano goes Macro“ ver sammelt haben. Sie gehören jeweils zu einem von zwei Lagern, die sich mit demselben chemischen Element beschäfti­gen – und doch in ganz verschiedenen Welten leben.

„In der makroskopischen Welt geht es um Kohlefasern, die in Kunststoffe eingearbeitet werden“, erklärt Dr.­Ing. Peter Gram bow. „Die mikroskopische ist die Nano­Welt, die sich mit Kohlenstoffstrukturen im Nanometer­Bereich beschäftigt.“ Diese Nano­Welt ist Grambows eigene Sphäre. Als Manager des Clusters Nanotechnologie in Bayern vernetzt er Wirtschaft, Wissenschaft und Politik und fördert den Technologietransfer sowie die Zusammenarbeit von Nanotechnologie­Akteuren. Doch das reicht ihm und einigen seiner Mitstreiter nicht. „Wir wollen die beiden Welten verbinden“, sagt Projektleiterin Dr. Stefanie Bertsch. „Und das ist gar nicht so einfach.“

Fahrrad und Weltraumlift

Die beiden Kohlenstoff­Parteien fremdelten bisher. Das liegt nicht nur an der unterschiedlichen Dimension der Objekte, son dern auch an bisher ganz unterschiedlichen Anwendungs­gebieten, fachlichen Hintergründen und Kulturen. Schon lange begeistern sich Ingenieure für die leichten und hoch belastba­ren Carbon­Verbundstoffe (CFK). Sie finden sich in Satelliten und Flugzeugen, in Sport­ und Elektroautos, in Windkraftanlagen und Fahrrädern. Doch die Preise sind nach wie vor hoch: Heute kostet ein Kilogramm Stahl in der Produktion rund 3 Euro, Alu­minium etwa 5 Euro – und kohlefaserverstärkter Kunststoff

Kleine Teilchen, große Wirkung?

Kaum ein Flugzeug, eine Windkraftanlage oder ein Rennrad kommt heute ohne kohlefaserverstärkte Kunststoffe aus. Parallel dazu verleihen Forscher und Unternehmen Carbon auf der Nano­Ebene außergewöhnliche Eigenschaften. Ein bayerisches Innovationsforum Mittelstand wagt nun die Ver­einigung von Makro­ und Nano­Welt.

Die Kombination carbonfaser­verstärkter Kunststoffe mit Nanokohlenstoffmaterialien (kleines Bild) bietet neue Möglichkeiten, etwa in der Luftfahrt (großes Bild links) und bei Energiespeichern (Bild S. 33).

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30 bis 75 Euro, referiert Branchenexperte Hendrik van Delden auf dem Innovationsforum in Nürnberg, und prognostiziert: „Über eine Kostensenkung ist zu erwarten, dass es kurz­ bis mittelfristig gelingt, CFK für die Großserienfertigung tauglich zu machen.“

Kohlenstoff­Nanomaterialien zeichnen sich hingegen durch eine große Vielfalt an Typen aus: Sie treten in Diamant­Form auf, als an Lederfußbälle erinnernde Fullerene, als wabenartiges Graphen oder als dünne Röhrchen. Je nach Struktur haben sie ganz unterschiedliche und fast immer außergewöhnliche Eigenschaften: Sie leiten Strom so gut wie Metalle, Wärme so gut wie Diamanten oder sind 100­mal zugfester als Stahl. Schon heute stecken Carbon­Nanomaterialien in verschiedenen Anwen dungen: von Batterien über leitfähige Oberflächen bis zum Flammschutz. Graphen zum Beispiel gilt in der Elektro­nikindustrie als Hoffnungsträger; und das nicht erst, seit seine Entdecker 2010 mit dem Physik­Nobelpreis ausgezeichnet wur­den. Eines Tages könnte der zweidimensionale Kohlenstoff das in der Elektronikindustrie omnipräsente Silicium ersetzen. Für Nanoröhren hingegen begeistert sich unter anderem die Raumfahrt: Als einziges bekanntes Material kommen sie für einen Aufzug infrage, der von der Erdoberfläche bis in den Weltraum reicht. „Das ist zwar in der Theorie möglich, aber noch in ganz weiter Ferne“, bremst Peter Grambow die Euphorie. „Wir konzentrieren uns momentan lieber auf Anwendungen, die wir schneller erreichen können.“

Vom Rohstoff zum Produkt

Um die beiden Branchen in neuen Anwendungen zu vereinen, hat Grambow mit seinem Team das Innovationsforum Mittel­stand „Carbon – Nano goes Macro“ geschmiedet, das sich in

Nürnberg zu einem zweitägigen Kongress trifft. Gefördert vom Bundesforschungsministerium ergründen Projektpartner vor allem aus Bayern und Sachsen gemeinsam neue Hybrid mate­rialien, Themen und Branchen. Wie das prototypisch funktio­nieren kann, zeigt etwa ein Projekt unter Leitung der Enrichment Technology Company und dem Netzwerk NanoCarbon. Gemein sam suchten Partner aus Forschung und Industrie nach den idealen Materialkombinationen für einen Schwungrad­Energiespeicher. Dieser speichert kurzzeitig Energie, indem er ein Rohr aus kohlefaserverstärktem Kunststoff in Rotation ver­setzt. Dabei muss die Anlage viele Zyklen, sogenannte Last­wechsel, aushalten – eine enorme Belastung für das Material. Die Projektpartner experimentierten mit Epoxidharzen, die unter anderem mit Kohlenstoff­Nanoröhren gefüllt wurden.

Derzeit wächst der weltweite Markt carbonverstärkter Kunst stoffe jährlich um etwa 11 Prozent. „Deutsche Branchen­unternehmen erwarten, dass kohlefaserverstärkte Kunststoffe ein Treiber für Wachstum sind, vor allem im Automobilbereich und in der Infrastruktur“, sagt Volker Mathes von der AVK – Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe e. V. Die Kombina­tion von Makro und Nano könnte noch weitere Märkte erschlie­ßen. „Wir bilden mit dem Innovationsforum die Wertschöp­fungs kette komplett ab. Das beginnt beim Rohstoff, geht über Prozess, Entwicklung, Modellbildung und Sicherheit bis hin zum fertigen Produkt“, betont Peter Grambow. „Das ist eine grund legende Voraussetzung für erfolgreiche Entwicklungen in diesem Bereich.“ Und darüber gibt es bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Innovationsforums in Nürnberg keine zwei Meinungen.

„Wir bilden mit dem Innovationsforum die komplette

Wertschöpfungskette ab: vom Rohstoff bis hin zum

fertigen Produkt.“

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Das kann kein Zufall sein! Im Gewandhaus Leipzig treffen sich im September 2017 nicht etwa die künftigen Spitzen­

musiker der Mendelssohn­Orchesterakademie zu ihren Proben – nein, das für seinen Klang weltweit gerühmte Konzerthaus ist für zwei Tage Bühne für Ingenieure, Künstler, Forscher, Ärzte, Therapeuten und viele Neugierige. Vorhang auf für das Inno­vationsforum Mittelstand „3D­Audiowelten“.

Auch wenn die Einkanaltechnik Mono bestenfalls Nostal­gie status genießt, so verharren die uns umgebenden Sound­systeme überwiegend im Stereo­Status. Dolby Surround ver­wöhnt uns in großen Kinos und Konzertsälen. Nicht schlecht, aber nur eine Annäherung an die Ansprüche und Fähigkeiten unserer Ohren an natürliches Hören. Das will 3D­Audiowelten nun ändern. Digitale Technik bietet unseren Ohren zum ersten Mal im Alltag Sprache, Töne, Geräusche und Klänge in drei Dimen sionen. Auf kleinem Raum und überwältigend gut.

330 Jahre bis zur Weltpremiere

Innovationen brauchen Geduld. So auch beim dreidimensiona­len Hörgenuss. Bereits 1678 hatte der Niederländer Christiaan Huygens festgestellt: „Jeder Punkt in der Luft oder im Wasser, der von einer Welle getroffen wird, ist Ausgangspunkt einer kreis­ oder kugelförmigen Elementarwelle. Die Elementarwellen überlagern sich zu einer neuen Wellenfront.“ Damit legte er die Basis für die sogenannte Wellenfeldsynthese, die das Schallfeld von Schallquellen sehr realitätsnah mit Hilfe von Lautsprechern nachzubilden vermag.Die Entwicklung wurde seit den 1990er­Jahren vor allem in Ilmenau vorangetrieben. Das Fraunhofer­Institut für Digitale Medientechnologie IDMT sorgte im Jahr 2008 schließlich gemeinsam mit der Ilmenauer IOSONO GmbH für Furore: In einer Weltpremiere hoben sie die Besucher des legendären Berliner Techno­Clubs „Tresor“ mit Hilfe der Wellenfeldsynthese in nie gehörte musikalische Sphären.

Good Vibrations: 3D auf die Ohren!Töne und Klänge dringen aus drei Dimensionen an unser Ohr. Dieses natürliche Hörerlebnis wird heute mit Mega­Technik in Kinos und Konzert sälen nachge­bildet. Tüftler und Talente aus Sachsen wollen diesen 3D­Sound jetzt für den kleineren Geldbeutel in Showrooms und Arzt praxen bringen.

Sächsisch­nobler Klang

Dr. Friedrich Blutner sieht viele Vorteile der Technologie: „Sie kann ohne großen Aufwand nahezu überall installiert werden“, sagt der Geschäftsführer der Synotec Psychoinformatik GmbH aus dem sächsischen Geyer. „In einem Musikstudio ist es neben der Anpassung mit einer speziellen Software zur Steuerung der Klangobjekte und ­szenen lediglich notwendig, 16 Lautsprecher zu installieren und im 3D­Setup zu konfigurieren.“ Also freie Fahrt auch für neue Anwendungen en miniature– in Showrooms, Krankenhäusern oder auch zuhause? Blutners Zwischenfazit: „Wenn wir möchten, dass vor allem kleine und mittlere Unter­nehmen diese wunderbare 3D­Audiotechnologie nutzen, dann müssen wir mit den Anbietern von Hard­ und Software auch über den Preis reden. Und das tun wir bereits mit Hilfe des her­stellerunabhängigen IAN­Netzwerks.“ Denn dass die neue Klangwelt nicht gleich einen sechsstelligen Investitionsbetrag erfordert, ist Friedrich Blutner besonders wichtig.

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Patienten mit Stereosystemen. Dabei werde die diagnostizierte Tinnitus­Frequenz gezielt mit anderen Tönen überlagert: „Nur wer schon einmal, wie fast 19 Millionen Menschen in Deutsch­land, selbst erlebt hat, dass es Tag und Nacht im Ohr rauscht oder pfeift wie in einem alten Kurzwellenradio, der wird die Sehnsucht nach Stille, Konzentration und Entspannung verste­hen können!“ Der natürliche 3D­Audio­Klang als neues Tech­nik angebot könnte dabei die Therapie in eine neue Qualität führen.

Und als Nächstes? „Wir konnten einen großen deutschen Auto mobilhersteller für unsere 3D­Audiowelten begeistern“, sagt der Unternehmer Hilmar Steinert aus Limbach­Oberfrohna. „Erste Autohäuser werden mit Showrooms ausgestattet, in denen die interessierte Kundschaft ihre Wunschautos nicht nur mit Motoren, Ausstattung und Farbe konfigurieren kann, son­dern ihren neuen Liebling schon akustisch erleben kann.“ Denn das Ohr kauft mit.

Für den dreidimensionalen Klangrausch setzt Blutner auch auf den guten alten Rohstoff Papier: „Mit der SWAP GmbH konnten wir einen Partner gewinnen, der mit weltweit einzigartiger Kompetenz aus Papierrollen extrem stabile und vor allem leich­te Wabenplatten fertigt. Damit ausgestattete Räume haben eine extrem ausgewogene Präsenz von Hall und Schall. So bekommt der Klang eine satte Note, die aber nicht fett und schwammig, sondern sächsisch­nobel klingt“, freut sich Fried rich Blutner.

Tinnitus und Motorsound

Zum Innovationsforum Mittelstand gehört auch einer der welt­weit führenden Neurowissenschaftler. „Gänsehaut ist die beste Therapie“, sagt Professor Stefan Kölsch von der Universität im norwegischen Bergen. Damit spielt er beispielsweise auf die Musiktherapie bei Demenz­ oder Tinnitus­Erkrankten an. Davon will sich etwa die in Graz praktizierende Musiktherapeutin Julia Laggner inspirieren lassen. Bisher arbeite sie bei Tinnitus­

Klangpanorama im Raum: 18 Soundmodule und ein 3D­Setup vermitteln eine musikalische Kulisse wie im Konzertsaal (Bild links).

3D­Audio: In Konzertsälen schon heute ein Genuss. Bald auch bei Therapie und Präsentation (Bild rechts)?

I n n o v a t i o n s f o r e n ( M i t t e l s t a n d ) · T i t e l t h e m a

AUDIOFORMATE

Mono Stereo Surround „Quad“ Immersive

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Der Prototyp

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Die klassischen Produk­tions prozesse Weben, Stricken, Sticken, auch die Textilien selbst, werden für das digitale Zeitalter ganz neu erdacht. Eine Station auf diesem Weg ist das „Textile Prototyping Lab“ in Berlin. Daniel Heltzel baut es auf. Einen Tag lang haben wir ihn begleitet und dabei beob­achtet: Er ist selbst ein Prototyp.

deutschen Textilbranche die Türen zu Zukunftsfeldern wie „Internet der Dinge“, „Intelligente Fabrik“ und „Industrie 4.0“ eröffnen und wird dabei vom Bundes­forschungsministerium unterstützt. Das „Textile Prototyping Lab“ ist Teilprojekt des Zwanzig20­Konsortiums „futureTEX“. In diesem Forschungsverbund arbeiten Textilmaschinenbauer und Textil her­steller, Wissenschaftler und nicht zuletzt auch die Textil­Anwender zusammen, um sich auf dem weltweiten Wachs tums­markt für neuartige, technische Textilien zu positionieren.

„Die digital unterstützten Ferti gungs­ tech niken eröffnen ganz neue Interak­tions möglichkeiten zwischen Mensch und Maschine. Und sie ermöglichen neue Metho den, um textile Pro dukte zu entwerfen und zu fertigen“, sagt Daniel Heltzel. Eine seiner Aufgaben ist es, Ko ­ope rationspartner für das Labor zu find­en, in dem künftig Prototypen für intel­ligente Textilien, textile Elektronik und technische Textilien entwickelt werden.

Neue Entwickler­Generation

Vormittag gegen 10 Uhr. „Unsere Mitar­beiter und auch die Kunden sind oft nachts um drei noch hier“, kommentiert Daniel Heltzel die beinahe menschen­leeren Räume – und bekräftigt durch Kopf nicken: „Die eigene Arbeitszeit selbst bestimmen und gestalten zu kön­nen, schätzen viele selbständige Krea­tive.“ Daniel Heltzel trifft sich an diesem Morgen mit einem Team, dessen Projekt „Feel.Flight“ inhaltlich eines der ersten sein könnte, das vom TPL begleitet wird. Das interdisziplinäre Kollektiv von Designern und Entwicklern hatte erfolg­reich an einem Wettbewerb von Telekom und Lufthansa teilgenommen. Im Fab Lab will es jetzt sein Servicekonzept prak tisch umsetzen, das das Wohlbe­finden der Passagiere auf Langzeitflügen verbessern soll. Unter anderem gehört eine Passagierdecke dazu, die durch Inte­gration von Sensoren zum Bestand teil

Raum für Ideen“ steht groß auf dem Bauschild. Daniel Heltzel vom Fab Lab Berlin hat es täglich

vor Augen. Gerade beobachtet er, wie ein Kran seinen riesigen Arm über das Gelän­de der ehemaligen Bötzow­Brauerei schwenkt – über 80 Jahre Brau e rei ge­schichte in Prenzlauer Berg. Die endete 1945. Es folgten Kurz geschichten als Lager und Markthalle und als Schauplatz Berliner Subkultur. Seit einigen Jahren nimmt die Ottobock­Firmengruppe – Deutschlands größter Hersteller von Orthesen, Prothesen und Rollstühlen – zig Millionen in die Hand, um die denk­malgeschützten Backstein bauten zu einem Zukunftslabor umzugestalten. Auch die Entwicklungs werk statt Fab Lab, die Kurzform steht für Fabri cation Laboratory, wird hier einziehen. Bislang sind deren „Räume für Ideen“ in einem Flachbau untergebracht. Das Fab Lab Berlin gründete sich 2013 als einer der deutschen Knoten in diesem globalen Netzwerk. Es hat großen Zulauf von Studierenden bis zu Start­ups, von klei­nen und mittleren Firmen bis zu Groß­unternehmen wie Ottobock.

Türen ins digitale Zeitalter

„Open Innovation Space“ wird die Ver­knüpfung aus Co­Working­Spaces, Hoch­technologie und Kreativität genannt. Deutschlandweit gehört das Fab Lab Berlin zu den größten dieser Art. Hier arbeiten Ingenieure, Erfinder, Forscher Studenten und Start­ups an innovativen Technologien und Produkten – offen, interdisziplinär und netzwerkorientiert. Daniel Heltzel ist „Managing Director“ des Fab Lab. „Wir stellen die entspre­chende Logistik, Hightech­Werkzeuge und unser Netzwerk zur Verfügung. Die geteilten Ressourcen ermöglichen es unseren Kunden, Prototypen kosten­günstig herzustellen“, sagt Daniel Heltzel. Er leitet das in diesem Jahr neu hinzu­gekommene „Textile Prototyping Lab“, kurz TPL. Dieses offene Labor will der

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„Unser Fab Lab ist für Industrieunter neh men ein Schaufenster, in dem sich die neue Generation der Entwickler präsentiert.“

des Internets der Dinge wird. Sie rea giert auf Bedürfnisse des Menschen, ohne dass dieser selbst aktiv werden muss. So spürt die intelligente Decke etwa, welche Körperregion gewärmt werden muss. Zudem kann sie den Schlafrhythmus des Passagiers steuern und ihm helfen, sich an die neue Zeitzone zu gewöhnen.

„Unser Fab Lab ist für Industrieunter­neh men ein Schaufenster, in dem sich die neue Generation der Entwickler prä­sentiert“, sagt Daniel Heltzel. Er hätte auch den Begriff „Aussichtsturm“ als sinnhafte Symbolik heranziehen kön­nen. In Sichtweite steht ein aus fünf alten Containern errichteter Turm. Im „Container­Think­Tank“ sind die kleinen Denkfabriken übereinandergestapelt. Mit Kaffeetasse und Kuchenteller ausge­

rüstet geht es ein paar Schritte hinüber, Daniel Heltzel hat sich einen der Sitzungs räume reserviert. Irgendwann wird dieser außergewöhnliche Turm der Umgestaltung des Areals weichen. Bis dahin hat man von hier oben einen guten Überblick über den wachsenden „Raum für Ideen“.

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zerfreundlich anbieten können. „Eine der Fragen wird auch sein, wie sich eine Inno vationswerkstatt aufstellt, damit sie sich eines Tages finanziell selbst trägt“, sagt Heltzel, der Ahnung von Betriebswirt­schaftslehre hat. Diese war Bestandteil seines Studiums.

Der gebürtige Bremer studierte in Frei burg empirische Sozialforschung und arbeitete danach für die Uni wissen­schaftlich auf diesem Gebiet. Er lacht. „Na ja, die Haushaltskonsolidierung am Bei­spiel Indiens lässt sich nicht gerade auf deutsche Verhältnisse übertragen. Aber der Aufenthalt in Indien war eine wichti­ge Erfahrung“, meint der 31­Jährige und fügt hinzu, dass ihm der Blick über den Tellerrand sehr wichtig ist. Empirische Sozialforschung heißt: Erfahrungen sam­

Nach dem Teamgespräch im „Container­Think ­ Tank“ geht es hinaus auf die Baustelle im historischen Brauereigebäude. Daniel Heltzel zeigt seinem TPL­Team, wo das „Textile Prototyping Lab“ einziehen wird.

Erfahrungen sammeln

Daniel Heltzel hat ein Team­Briefing angesetzt. Er will sichergehen, dass der Workshop am nächsten Tag gut vorbe­reitet ist. Über 100 Vertreter von Inno­vationswerkstätten kommen aus ganz Deutschland zum Erfahrungs aus tausch – unter anderem darüber, wie die offe­nen Labore digitale Innovationen nut­

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meln und daraus Erkenntnisse ableiten. Aber auch: Erkenntnisse anderer sam­meln und daraus Erfahrung gewinnen. Daniel Heltzel kann seine strategischen Kompetenzen gut einsetzen beim Aufbau des „Textile Prototyping Lab“. Über Ländergrenzen hinweg schaut sich sein TPL­Team um, was andere Textil­labore machen. Seine nächste Reise geht zur Designmesse Dutch Design Week in Eindhoven, auch der Besuch von Textil­laboren in Tilburg und Amsterdam steht auf dem Programm.

Einblicke in textile Welten

Wie bekommt ein empirischer Sozial­forscher den fachlichen Zugang zu texti­len Welten? Daniel Heltzel zückt wie zur Antwort sein Smartphone und checkt, wo der Wagen steht, den er für die Fahrt zur Kunsthochschule Weißensee Berlin gemietet hat. Die KHB ist ein Koopera­tions partner des TPL. Essi­Johanna Glomb wartet dort. Die Spezialistin auf dem Gebiet des Textil­ und Flächen­Designs koordiniert mit ihm gemeinsam den Aufbau des TPL. Daniel Heltzel fährt gern raus nach Weißensee. Immer neue Entdeckungen warten hier auf ihn – zum Beispiel hinter

„Man kann nicht das ganze Leben digitalisieren. Die persönliche Begegnung hilft oft sehr.“

dem Vorhang, der ein riesiges Garn­Regal schützt. Essi­Johanna Glomb holt einige Rollen heraus. Beide besprechen, inwieweit sich die Garne für die soge­nannten TechTex, die technischen Tex­tilien, eignen. Dann will Daniel Heltzel von der Praktikerin wissen, wieweit die Digitali sierung von Webstühlen hilfreich wäre. Denn am Nachmittag trifft er sich mit dem Partner vom Fraunhofer­Insti­tut für Zuverlässigkeit und Mikro inte­gration.

Daniel Heltzel hat eine Mappe mit den grafischen Varianten für das neue TPL­Logo dabei. Alle Partner des Proto­typen­Labors sind in die Entschei dungs­findung einbezogen. Neben dem Fab Lab und der KHB beteiligen sich das Säch si­sche Textil for schungs institut Chemnitz, das Textil for schungsinstitut Thüringen­Vogtland und das Fraunhofer­Institut für Zuver lässigkeit und Mikrointegration in Berlin am TPL. „Mich sprechen beson­ders die Gestaltungsvarianten an, die eine moderne Struktur in sich tragen“, sagt Essi­Johanna Glomb. Schließlich wolle das TPL ja junge Gestalter und Ent­wickler von innovativen Textilien anspre chen, die sonst keine Möglich­keiten haben, professionelle Prototypen­Werkstätten zu nutzen.

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Gründerzeit Stunde null

Wann immer möglich, sei ihm ein Ge spräch lieber als eine Mail, sagt Daniel Heltzel. Man könne nicht das ganze Leben digitalisieren. Die persönliche Be geg nung helfe oft sehr. Wir steigen wieder ins Auto. Rückfahrt nach Berlin­Mitte: Getreu dem Fab­Lab­Gedanken der Ressourcenteilung nutzt Daniel Heltzel Carsharing – auch privat; meistens aber die S­Bahn zwi­schen seinem Wohnort Berlin­Schöne­berg und dem Arbeitsort Prenzlauer Berg. Mit einer Initiativbewerbung hatte er vor zwei Jah ren beim Fab Lab Berlin sein Glück ge sucht – und gefunden. Das dyna­mische Berlin, sagt er, entspreche derzeit mehr seinem eigenen Pulsschlag als das be schauliche Freiburg. Seiner Mentalität komme auch entgegen, dass er hier auf sehr unterschiedlichen Themenfeldern in

überschau­ und abrechenbaren Arbeits ­zyklen agieren kann.Zur späten Mittagszeit ist Leben einge­kehrt im Fab Lab. Es ist zudem einer der Tage, an denen sich hier alles zum Business Lunch trifft. „Das Buffet wird rege genutzt, um mal mit Leuten ins Gespräch zu kommen, denen man an ­sonsten kaum begegnet“, sagt Heltzel. Netzwerken ist ein großes Fab­Lab­Thema – und insbesondere eines für ihn als TPL­Koordinator. Seit der Bewilligung des „Textile Prototyping Lab“­For­schungs projektes im Frühjahr dieses Jahres erlebt und gestaltet er nun selbst eine Grün derzeit – sozusagen von der Stunde null an.

Über Behelfswege an Maurern und Elektrikern vorbei steigt er zum ersten Mal mit seinem TPL­Team in das dritte Stockwerk der einstigen Brauerei, die

nach Plänen des Stararchitekten David Chipperfield in ein „Future Lab“ verwan­delt wird. Auch das „Textile Prototyping Lab“ mietet hier einen „Raum für Ideen“. Er ist dann quasi der Raumausstatter und kann schon genau zeigen, wo Webstuhl und Strickmaschine, Laser und 3D­Drucker stehen, wo Material­bibliothek und Arbeitsplätze eingerich­tet werden – und wo sich die kreativen Ideen ausbreiten können. Noch geht es über federnde Metallroste auf die künfti­ge Dachterrasse, wo Ideen ihren wort­wörtlichen Freiraum haben. Höhenangst hat niemand im TPL­Team.

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Getreu dem Fab­Lab­Konzept der geteilten Ressource mietet Daniel Heltzel für die Fahrt zur Kunsthochschule Weißensee Berlin ein Carsharing­Auto. Dort bespricht er Logo­Entwürfe für das TPL mit Essi­Johanna Glomb. Die Spezialistin auf dem Gebiet des Textil­ und Flächendesigns macht Sozialforscher Daniel Heltzel mit textilen Welten vertraut.

Kreativität plus Technik

Am späten Nachmittag kommt das Fab Lab den Vorstellungen von einer Kreativwerkstatt sehr nahe: babyloni­

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aus dem sich Textil­Designer und ­Indus­trie bedienen können, um die sogenann­ten „technischen Textilien“ herzustellen, die sich über das Internet mit ihrer Umge­ bung vernetzen und kommunizieren.

Daniel Heltzel nutzt gleich die Gele­genheit, auch dem IZM­Partner die Ent­würfe für das TPL­Logo zu zeigen. Die Bewertungskriterien: Es steht auf Brief ­köpfen, Visitenkarten, unter E­Mails, in Präsentationen. Und: Es muss als Bild­marke funktionieren, die sowohl in der traditionellen Textilbranche Anklang fin­ det als auch bei Unternehmen, die das

sches Sprachgewirr in allen Räumen. Malte Krishiwoblozki vom Fraunhofer­Institut für Zuverlässigkeit und Mikro­integration wartet schon in der Textil­werkstatt. Das IZM bringt als Koopera­tions partner des TPL seine Kompetenzen bei der Entwicklung einer Software ein, die die Textilproduktion in das digitale Zeitalter hinüberführt. „Bei allem kreati­ven Freidenken haben Innovationen auch technische Parameter, sonst kommt nichts dabei heraus“, sagt der Mikrosys­temtechniker. Er und seine Kolle gen tüf­teln an einem elektronischen Baukasten,

TPL als Partner gewinnen möchte für die Infrastruktur, für die Anwendung oder als Netzwerker.

Ein junges Reporterteam gesellt sich dazu. Es macht einen großen Beitrag über das Fab Lab. Auch der TPL­Koor­dinator wird nach seinem Zukunfts­wunsch befragt: „Ich wünsche mir, dass sich alle Projekte, die hier das Laufen ler­nen, einen Platz auf dem Markt erobern“, sagt Daniel Heltzel und gibt einen heißen Tipp: „So früh wie möglich mit dem Bau von Prototypen beginnen.“

Am Nachmittag ist Leben in die Textilwerkstatt des Fab Lab Berlin eingekehrt. Daniel Heltzel und Malte Krishiwoblozki vom Fraunhofer­Institut für Zuver­lässigkeit und Mikrointegration unterhalten sich über die Digitalisierung von Webstühlen.

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Was waren wir für tolle Hirsche! Fertig studierte Kon struk­teure mit besten Abschlüssen. Und nicht etwa von irgendei­

ner Uni versität, sondern von der Ingenieurs schmiede der DDR in Karl­Marx­Stadt.“ Holg Elsner bekommt sein Lächeln, das irgend­wie eine Mischung aus Ironie, Mutterwitz und wohlportionierter Weisheit ist, nur fältchenweise aus dem Gesicht. Wie ein Steuer ­mann auf der Brücke, so steht er an seinem Schreibtisch in der sechsten Etage, richtet seinen Blick hinaus – scheinbar in die Fer­ne. Aber der Konstrukteur ist kein Träumer! Sonst stünde er nicht hier: „Schauen Sie sich mal um. Das alles hier war der DDR­Vor ­zeigebetrieb VEB Werkzeug maschi nen kom binat ‚Fritz Heckert‘. “

Innovation war kein Fremdwort

1971 steuerte hier zum ersten Mal ein Zentralcomputer die Fertigungsstraßen des Werkzeugbaus. Die alten Fließbänder waren damit Geschichte. Ein Exportschlager der devisensüchti­

gen DDR war geboren. Bis zu 20 Prozent der Produktion sollte in den Westen verkauft werden. Erich Honecker tauchte vor Ort auf, schüttelte Arbeiterhände und rührte die Werbetrommel. Ein Großforschungszentrum für den automatisierten Werk­zeugbau verschlang Millionen und war ständig auf der Suche nach dem Weltniveau. Manchmal war das „Heckert“­Kollektiv mit seinen über 4.000 Mitarbeitern dicht dran.

Holg Elsner kannte diese Situation nur zu gut. Nach dem Stu­dium hatte er was drauf. Und wollte daraus etwas machen: „Ich landete bei ELITE/Diamant. Wenn das kein Omen war“, schmun­zelt Elsner. Der damalige Volkseigene Betrieb baute Fahrräder und Strickmaschinen. Besonders die Diamant­Fahrräder hatten einen Ruf – Qualität vom Feinsten. Schließlich war die DDR­Rad­ sportlegende Täve Schur auf diesen Rädern Weltmeister und Friedensfahrtsieger geworden. Hier war der Konstrukteur per­manent gefordert. Mit moderner Technik die Produktionspro­zesse immer wieder verbessern. Schließlich wollten rund 500.000

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P MIT 50+Sein Land verschwand vom Planeten. Selbst die Stadt, in der Holg Elsner zum begeisterten Ingenieur wurde, gibt es nicht mehr. Aus Karl­Marx­Stadt wurde wieder Chemnitz. Aus dem Kollektiv­Konstrukteur ein Gründer und Unternehmer. Ein Leben mit Haken und Ösen.

Es sieht aus wie Spitzendeckchen. Doch statt feinster Stofffäden machen hauchdünne Drähte das Vlies zum Sensor.

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DDR­Bürger jedes Jahr ein Rad. So stand es im Plan. Er machte das wohl richtig gut, kletterte die Leiter immer weiter nach oben und war eines Tages selbst Leiter – Abteilungsleiter der Kon struk tion.

Das Ende war (k)ein Anfang

1990. Viele Geschichten dazu sind erzählt. Auch der Konstrukteur hat seine. Scheinbar hatte der Westen schon alles konstruiert. Nun ging es darum, all die schönen Dinge zu verkaufen. Holg Elsner sattelte um auf Verkauf und Vertrieb, unter anderem von modernen Strickmaschinen. Und fand dann doch seinen neuen Anfang, weil er inzwischen ein gutes Näschen hatte für Dinge, deren Zeit gekommen schien: Hausbauboom im Osten. Elsner schmeckte schnell das Wasser, mit dem die Fertighausverkäufer aus dem Westen kochten. Und wurde wieder zum Konstrukteur. Diesmal von den eigenen und fremden vier Wänden. Was für ein Glück! Das aber nur kurze Jahre hielt.

2001: Jedem Boom geht einmal die Luft aus. Genug Häuser fürs Familienglück waren fürs Erste gebaut. Er sah dieser Wahrheit ins Gesicht, wartete nicht auf Engel, die ihm unter die Arme greifen, sondern griff selbst zum Telefon, putzte Klinken und frischte den Kontakt zu Leuten auf, die sich nie ganz aus den Augen verloren hatten. Die zum Beispiel an den Unis in Chemnitz und Dresden arbeiteten.Und Holg Elsner wagte auch den Blick zurück. Er war doch Techniker und Tüftler, hatte Werkzeuge konstruiert und Prototypen gebaut, die zu richtig guten Produkten wurden. Und er hatte das in seiner Stadt, in seiner Region doch nicht alleine gemacht. Wo waren jetzt alle diese Männer und Frauen, die was draufhatten? Der Konstrukteur machte sich auf die Suche und wurde fündig. Im westlichen Sachsen spürten offensichtlich zu Beginn der 2000er­Jahre viele, dass es endlich Zeit zum Durchstarten war. Letzte Chance für diese Generation, für diese Region.

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„ Wir sind doch tolle Hirsche. Wir können doch was! Würden die Amerikaner sagen.“

Blick zurück und Blick voraus: LSE­Gründer Holg Elsner.

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Als technologische Basis nennt er das Tailored Fiber Place ment­Verfahren (TFP). Dabei werden bevorzugt feinste Metall drähte als Sensormaterial verarbeitet. Diese Systeme können je nach Anwendung auf Dehnung, Temperatur, Berührung, Feuchtig­keit oder Füllstand eingestellt werden. Mit TFP werde das texti­le Trägermaterial sehr gut an die Kunststoffmatrix angebunden, unterstreicht Holg Elsner: „CAD­gestützt kommt der Sensor exakt auf die richtige Position des Halbzeugs und die speziellen Anwendungen eignen sich für Kleinserien sowie Einzel an­fertigungen.“ Das seien die klaren Vorteile, verglichen mit den konventionellen Sensoren auf Folienbasis.

Aufgebracht in Tankbehältern, auf den Flügeln von Wind­rädern oder auch in Estrichschichten messen sie exakt Füllstände, mechanische Belastungen oder Feuchtigkeit. Und weil hier noch immer Forschungsbedarf besteht, der erstmal Geld kostet und noch nicht ganz so viel einbringt, zeigt der Geschäftsführer auf sein 2. Arbeitsgerät: „Mit dieser Dreh­ und Fräsmaschine bauen wir Prototypen für Werkzeuge, die von

Sensoren sind eine Wundertüte

Es sind diese Momente, die nicht planbar, aber machbar sind. Genau zu dieser Zeit kämpfte die Textilindustrie in Sachsen für einen Neustart. Mit besseren Maschinen, moderner Technologie und Textilien, die man im Auto oder im Flugzeug brauchte. Natürlich kannte Holg Elsner auch die Spitzenstickerei aus Plauen. Und verliebte sich bei Tagungen und Workshops diver­ser Forschungsvorhaben in eine Idee – in seine Idee: Sensoren einfach auf das Werkstück sticken. Diese kleinen Wunder, die fast alles messen, was messbar ist. Die heute nicht mehr wegzu­denken sind aus Industrie, Auto und Haushalt. Mit dem rasen­den Fortschritt des 21. Jahrhunderts sind sie heute so winzig, dass sie in eine Sticknadel passen würden.Seine Geschäftsidee war geboren, erste Patente wurden ange­meldet und die neue Firma bekam den passenden Namen: Lightweight Structures Engineering GmbH – LSE. Die Firma ist eine Ausgründung der TU Chemnitz, wo Elsner noch immer aktiv forscht. Ohne die er wohl diesen Schritt nicht gewagt hätte. Aus dem Konstrukteur wurde der Geschäftsführer. Elf Mitarbeiter in Chemnitz und Dresden hat sein Unternehmen heute.

Zu einer ersten spektakulären Anwendung wurde die „twallPLUS“. Gemeinsam mit der IMM GmbH aus Mittweida und dem Kompetenzzentrum Strukturleichtbau (SLB) der TU Chemnitz entwickelte das LSE­Team die Aktionsfrontplatte mit den vielen bunten Lichtern, die ihren Weg in die ersten REHA­Einrichtungen bald fand. Möglichst schnell sollen die Patienten auf die aufleuchtenden Lichter reagieren und per Handdruck löschen. Brauchte man bisher vor allem Kraft, geht es dank der gestickten Sensoren unter der Aktionsplatte nun um Schnellig­keit und Sensibilität. Elsner mit seiner LSE gehört inzwischen als Zulieferer der Kunststoffverbundplatte mit den aufgestick­ten Sensoren zum Konsortium.

Zarte Drähte auf Textilien

Holg Elsner öffnet die schwere Stahltür. Dann bleibt er kurz stehen, sein Lächeln blickt in die riesige Halle des ehemaligen „Heckert­Kombinats“. Heute mutet sie an wie ein Großraumbüro für KMU und Start­ups. Stellwände grenzen die Betriebsflächen gegeneinander ab, bieten Sicht­, aber nicht Hörschutz. Für Elsner ist diese Situation ideal – Vorhang auf und Spot an: „Hier stehen meine wichtigsten Arbeitsgeräte. Und beide haben schon nach wenigen Jahren ihr Geld verdient.“ Stolz zeigt er auf seine japa­nische Stickmaschine, die so umgerüstet wurde, dass sie heute anstelle hauchdünner Stofffäden nun noch dünnere 0,05 Millimeter zarte Drähte zum Beispiel auf technische Textilien stickt. Die so entstehenden Muster sehen fast genauso kunstvoll aus wie die weltberühmte Plauener Spitze. Aber mit einer geni­alen Funktion: „Diese aufgestickten Sensoren schmiegen sich fast unsichtbar, aber passgenau beispielsweise in Kunst­ und Faserverbundstoffe ein“, lobt Holg Elsner seine Innovation.

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meinem Team in Dresden entwickelt wurden und die in abseh­barer Zeit wohl bei Porsche und Airbus eingesetzt werden.“

Ein Ritterschlag für Holg Elsner, der sein Unternehmen gern auch mal als „Gemischtwarenladen“ betitelt: „Meine Firma lebt natürlich von einem intensiv genutzten Netzwerk zu wissen­schaftlichen Einrichtungen, vor allem in Chemnitz und Dresden, sowie Hightech­Firmen. Aber auch davon, dass ich ganz bewusst Quereinsteiger in mein Team geholt habe, die ausgetretene Wege langweilig finden und frische Strecken suchen.“

Dieser Plan atmet Zukunft. Weil Elsner sich nicht zufrieden gibt mit dem Status quo. Weil er Neues finden will. Und dabei immer wieder auf Interessantes stößt. Zum Beispiel in Chemnitz‘ Partnerstadt Akron in Ohio – die Hochschulen beider Städte erforschen Kunststoffe als einen Schwerpunkt: „Also knüpfen wir Kontakte hinüber und bauen eine neue Chemnitzer Brücke!“, skizziert Elsner und schiebt hinterher: „Wir sind doch tolle Hirsche. Wir können doch was! Würden die Amerikaner sagen.“ Er selbst könnte es nicht besser ausdrücken.

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Aufgestickte Sensoren messen die Dehnung der Rotorblätter von Wind­rädern (Bild S. 46 oben) und warnen bei Schäden am Seitenaufprallschutz (Bild Seite 46 unten).

Holg Elsner (links) und Henrik Zopf prüfen die Qualität frisch gestickter Sensoren (Bild unten).

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sondern aus epistemischer Notwendigkeit: weil zweckrationale Überlegungen das kooperative Verhalten als die bessere Option ausweisen.

Nehmen wir einmal an, dass Wissenschaft als Konkur renz­system funktioniert. In diesem Falle sollten wir erwarten, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit gleicher oder sehr ähnlicher Zielsetzung gegeneinander arbeiten, möglichst im Geheimen, um ihren potentiellen Vorsprung zu wahren. Die „Prämie“ wäre dabei der Beitrag in Science und Nature und der damit einhergehende Gewinn an Reputation, der nur dem Ersten gebührt. Doch das ist nur selten der Fall. Viel häufiger finden sich Strategien zur geschickten Aushebelung des Wettbewerbs. Offene, direkte Konkurrenz, so der Wissen schafts­forscher David Edge, gibt es in der Wissenschaft vor allem – und möglicherweise ausschließlich – unter sehr spezifischen Bedin­gungen. Dies ist etwa der Fall, wenn sich in einem Bereich nur wenige relevante Forschungsfragen stellen, deren Bearbei tung vergleichsweise kostengünstig erfolgen kann (also etwa keine Großgeräte erfordert). In weiten Teilen der übrigen Wissenschaft findet man im Gegenteil das Bemühen, genau diesen Wettbewerb zu vermeiden. Dies suggerieren auch einschlägige Längsschnitt­Studien zu so unterschiedlichen Feldern wie Photosynthese­Forschung und Astrophysik. Die Akteure setzten auf komple­

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Für Außenstehende erscheint die Tour de France als klarer Wettkampf „Jeder gegen jeden“, und nur einer wird am Schluss gewinnen. Untersucht man aber die Dynamik

genau er, liegen dem Geschehen feste Absprachen und Kon ven­tionen gegenseitiger Unterstützung zugrunde. Zu sehen ist dies etwa beim Windschattenfahren im Pulk, wo eigentlich konkur­rierende Fahrer abwechselnd, in festgelegter Abfolge die Füh­rungs arbeit gegen den Wind leisten. Situationen dieser Art gibt es nicht nur im Radrennsport: Konkurrenz und Kooperation, die meist als Gegensätze gedacht werden, treten häufig in span­nungsvoller Gleichzeitigkeit auf – auch in der Wissenschaft.

Dass Konkurrenz wesentlicher Teil der Wissenschaften ist, erfahren wir jeden Tag. Zuweilen gilt der Wettbewerb gar als eigentlicher Motor des wissenschaftlichen Fortschritts. Die „Prämie“ dieses Wettbewerbs wurde dabei im Laufe der Zeit varia bel definiert: von der Erstentdeckung bis zum Streben um Macht und Einfluss – der aktuelle Wettbewerb, so eine verbrei­tete Einschätzung, dreht sich in erster Linie um Geld. Vergessen wird dabei oft, dass weite Bereiche der Wissenschaft dazu nei­gen, kooperativ zu handeln und kompetitive Situationen zu minimieren (ohne sie ganz vermeiden zu können). Das geschieht nicht etwa deswegen, weil Wissenschaftler und Wissenschaft ­lerinnen dem Rest der Gesellschaft moralisch überlegen sind,

Warum Forscher zusammenarbeiten müssenÜber das Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften. Eine Außenansicht von Kärin Nickelsen

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mentäre Methoden, wodurch direkte Konkurrenz vermieden wurde; und sie pflegten den informellen Austausch sowie die ausführliche Diskussion von Zwischen ergebnissen. Diver gie­rende Befunde konnten darauf hindeuten, dass eine Gruppe richtig lag und die andere falsch; dann bemühte man sich um gegenseitige Laborbesuche, bei denen beide Seiten gemeinsam um die für richtig befundene Variante rangen – und diese wurde dann gemeinsam publiziert.

All dies lässt sich weitgehend utilitaristisch begründen. Durch strikte Geheimhaltung beraubt man sich der Möglichkeit, im Austausch wesentliche Hinweise von anderen zu bekom­men; Konfrontation statt Kollaboration bei unterschiedlichem Resultat kann den Fortgang der Arbeit unnötig verzögern. Beispiele für diese unangenehmen Konsequenzen finden sich

leicht. So war etwa die Arbeitsgruppe des Astrophysikers Martin Ryle in Cambridge bekannt dafür, sich kommunikativ zu isolie­ren. Die Gruppe war dennoch erfolgreich; so wurden Ryle und sein Kollege Antony Hewish 1974 verdienterweise mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Doch verpassten sie durch ihre strik­te Non­Kommunikation mit anderen Gruppen und Laboratorien etliche Entdeckungen entlang des Weges.

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen stehen in Kon­kur renz; doch haben sie nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie zugleich in kollaborative Strukturen eingebunden sind; und wenn sie auch jenseits dieser Strukturen Normen der Koopera­tion einhalten. Wie diese Normen jeweils beschaffen sind, wel­che Bedingungen ihr Einhalten begünstigen (oder gefährden), wie sich die sozialen Interaktionen über die Zeit verändern: dies

Konkurrenz und Kooperation, die meist als Gegensätze

gedacht werden, treten häufig in spannungsvoller

Gleichzeitigkeit auf – auch in der Wissenschaft.

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wird künftig im Rahmen der jüngst bewilligten DFG­Forscher­gruppe „Kooperation und Konkurrenz in der Wissenschaft“ in München untersucht. Die Gruppe prüft an Beispielen aus den 1970er­ bis 1990er­Jahren, wie man situationsgebunden varia­bel dem Konfliktpotential im Zusammenspiel von Kooperation und Konkurrenz begegnete. Neben der wissenschaftsinternen Dynamik spielen dabei auch Selbstverständnis und Rollenbilder wissenschaftlicher und wissenschaftspolitischer Akteure eine Rolle, die zunehmende Verflechtung von Wissenschaft, Politik und Ökonomie sowie die Präge­ oder gar Durchschlagskraft politi scher Konstellationen.

Nicht nur für die Geschichte, sondern auch für die Gegenwart der Wissenschaften sind diese Fragen von höchster Relevanz. Schon die angedeuteten Beispiele zeigen, dass die Entwicklung und Stabilisierung kompetitiver bzw. kooperativer Konfigura­tionen sich auf Inhalte und Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit auswirken. Dass es solche Effekte gibt, steht außer Frage. Wie sie beschaffen sind, welche Faktoren und Anreizsysteme sich als produktiv erweisen – wie sich etwa die Instrumente der verschiedenen Exzellenzinitiativen auswirken werden: dies ist alles andere als klar, und genau hier setzt die Arbeit der Forschergruppe an. Wissenschaftshistorische Ansätze, die auf die Interpretation von Akteurshandeln und Deutungsmustern zielen, verbinden sich dabei mit einem kritisch­aufklärerischen Impetus: Kooperations­ und Konkurrenzverhältnisse in der Wissenschaft sind situativ auszugestalten; und wissenschaft­liche Akteure sollten sich der Konsequenzen ihrer eigenen Ent­schei dungen in diesem Prozess bewusst werden.

Prof. Dr. Kärin Nickelsen ist Professorin für Wissenschafts­geschichte an der Ludwig­Maxi­milians­Universität München. Sie lehrt und forscht v. a. zur Geschichte und Philosophie der modernen Biowissenschaften. Für ihre Arbeiten auf diesem Gebiet wurde sie mit mehreren internatio­nalen Preisen ausgezeichnet.Seit 2017 ist sie Sprecherin einer DFG­Forschergruppe in München zum Thema „Kooperation und Konkurrenz in der Wissenschaft“.

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Am 4. Oktober 2017 erreicht das Kryo­Elek tro nenmikroskop den Zenit seines Ruhmes: Seine Entwickler – Jacques Dubochet, Joachim Frank und Richard Henderson – erhalten den Nobel preis für Chemie. In Halle/Saale arbeiten Proteinforscher bereits seit drei Jahren mit der speziellen Mikroskop­Technik. Am Zen trum für Innovationskompetenz (ZIK) „HALOmem – membrane protein structure & dyna­mics“ steht das Kryo­Elektronen mikros kop sogar in einem eigenen Raum, denn mit den Maßen eines Tisch mikroskops hat es rein gar nichts mehr zu tun: Es ist viereinhalb Meter hoch, drei Meter breit und fünf Meter tief. Doch nicht nur seine schiere Größe sichert dem Apparat seit Beginn der 1990er­Jahre die Aufmerksamkeit der Fachwelt: Damals gelang es erstmals, die dreidimensionale Struktur eines Proteins in atomarer Auflösung darzustellen.„Die Innovation besteht darin, dass Biomoleküle mitten in ihrer Bewegung von einer extrem dünnen Wasserschicht ummantelt und dann bei etwa minus 170 Grad Celsius schock gefroren werden. So bleibt ihre natürliche Struktur erhalten“, erklärt Milton T. Stubbs, der Direktor des ZIK HALOmem. 1975 konnte Richard Henderson mittels Elektro­nen mikros kopie den ersten 3D­Blick auf ein Membranprotein wer fen. Joachim Frank gelang es, aus zweidimensionalen Aufnahmen des Elektro nenmikroskops dreidimensionale Strukturen abzuleiten. In den 1980er­Jahren erfand Jacques Dubochet schließlich eine Techno logie, die das Wasser im Biomolekül so schnell abkühlt, dass es sich in seiner ursprüng lichen Form verfestigt.

Im Blick der Pharmaforschung

Inzwischen untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaft ler auf der ganzen Welt atomare Strukturen mit Hilfe des Kryo­Elektronenmikroskops. So konnten sie unter ande­rem das Zika­Virus analysieren oder auch die Struktur von Proteinen, die Anti biotikaresistenzen auslösen. Am Halle­schen Protein for schungs zentrum betrachten die Forscher Membran proteine in ihrem natür lichen Zustand und treiben so die anwendungsorientierte Grundlagenforschung voran. Milton T. Stubbs und sein Team inter essieren sich etwa für Membranrezeptoren, die die Ver arbeitung von Licht­, Geruchs­ und Geschmacksreizen beeinflussen und eine ent­scheidende Rolle bei Entzündungs prozessen und Zell wachs­tum spielen. „Diese Gruppe an Membranrezeptoren waren bislang für kryo­elektronenmikroskopische Methoden zu klein“, erklärt Stubbs. „Durch neueste Weiterentwicklungen kon nte vor kurzem auch die Struktur eines GPCR­Komplexes aufgeklärt werden.“ Die Pharmaforschung hat diese Entwick­lungen bereits fest im Blick.

Was ist eigentlich ein Kryo-Elektronen mikroskop?

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Raumfüllend und wegweisend: Das Kryo­Elektronenmikroskop am ZIK HALOmem in Halle (Saale).

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„Für einen Lübecker ist ein Leben ohne Marzipan zwar denkbar, aber nicht erstrebenswert. Ich habe fast immer Marzipan im Büro. In unserer Region ist Marzipan quasi Grundnahrungsmittel und ein Geschenk für Gäste, das immer sehr gut ankommt.“„Mehr als 70 Fachvorträge an zwei Tagen –

deshalb ist der Übersichtsplan auch so groß. Auf unserem Inno vations forum Kranken­haus 4.0 diskutierten rund 300 Vertreter von Krankenhäusern, medizinischen und informati­onswissenschaftlichen Fakultäten und der Indus trie, welche Ideen und Konzepte aus dem Bereich Industrie 4.0 in die Pro duktionsorte für Gesundheit – die Krankenhäuser – übertragen werden können.“

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Mein Schreibtisch + ich

Dr. Raimund MildnerDr. Raimund Mildner ist Geschäftsführer

der UniTransferKlinik Lübeck. Der promovierte Diplomvolkswirt und

Diplomsozialwirt kümmert sich vor allem um die regionale Vernetzung von Hoch­

schulen, Kliniken und Unternehmen in gemeinsamen Technologieprojekten.

Im Oktober 2017 organisierte die UniTransferKlinik zusammen mit der

Universität und dem Universitätsklinikum Schleswig­Holstein das Innovationsforum

Mittelstand „Krankenhaus 4.0“.

„Unser Campus in Lübeck ist zwar nicht allzu groß, aber die täglichen Wege zu den Instituten und Kliniken kosten am Ende doch Zeit. Deshalb fahre ich immer mit dem Klapprad direkt bis in die Büros. Das Rad ist sehr praktisch und begleitet mich auch auf vielen Segeltouren.“

„Das sind meine drei Söhne als kleine Jungs und heute. Mein Interesse für informations­ und medizintechnische Themen im Kontext neuer Geschäftsmodelle hat sie anscheinend doch irgendwie beeinflusst: Einer hat bereits am Campus promoviert, der zweite ist in die wissenschaftliche Projekt­arbeit eingestiegen. Mein dritter Sohn lebt in Australien.“

„Ich genieße sehr die Nähe zum Wasser. Manchmal fahre ich nach Feierabend mit dem Motorrad noch raus zu meinem Segelboot in Travemünde und mache eine kleine Tour. Beim Motor­radfahren wie beim Segeln kann ich sehr gut abschalten.“

„Das Gemälde ist ein Geschenk von Norbert Guldner. Er war hier am Uni ver si täts­klinikum Professor für Herz chirur gie und ist nun emeritiert. Wir sind seit 30 Jahren befreun­det und uns verbinden viele gemeinsame Projekte in Lübeck.“

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Unternehmen Region – die BMBF­Innovationsinitiative Neue Länder

Der Ansatz von Unternehmen Region beruht auf einer einfachen Erkenntnis: Innovationen entstehen dort, wo sich Part­ner aus Wirt schaft und Wissenschaft, Bildung, Verwaltung und Politik in Innova tionsbünd nissen zusammenschließen, um die Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit ihrer Regionen zu erhöhen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt regionale Kooperationsbündnisse dabei, ein eigenes zukunftsfähiges technologisches Profil zu entwickeln und konsequent die Stärken und Potenziale ihrer Region zu nutzen und auszubauen. Kernstück jeder regionalen Initiative ist eine klare Inno vations strategie, die von Anfang an auf die Umsetzung der neu entwickelten Produkte, Verfahren und Dienstleistungen im Wettbewerb ausgerichtet ist.Unternehmen Region umfasst die folgenden Programme:• InnoRegio (1999 bis 2006)• Innovative regionale Wachstumskerne mit Modul WK Potenzial• Innovationsforen (2001 bis 2016)*• Zentren für Innovationskompetenz• InnoProfile mit InnoProfile­Transfer• ForMaT (2007 bis 2013)• Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation

Für die Förderung von Unternehmen Region stellt das BMBF in diesem Jahr rund 161 Mio. Euro zur Verfügung. Aufgrund der Erfahrungen und Erfolge mit dem Programm „Innovationsforen“ hat das BMBF im Juli 2016 für ganz Deutschland die Förderinitiative „Innovationsforen Mittelstand“ aufgelegt. Auf Unternehmen Region basieren ebenso die Initiative „Innovation und Strukturwandel“ und das Pilot programm „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“.

Weiterführende Informationen

Weiterführende Informationen zur BMBF­Innovations initia tive Neue Länder im Internet unter www.unternehmen-region.de• Porträts und Profile

der regionalen Initiativen• Aktuelle Nachrichten

rund um „Unternehmen Region“• Publikationen zum

Downloaden und Bestellen

Ansprechpartner

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) | Referat Regionale Innovationsinitiativen; Neue Länder11055 Berlin | Tel.: 030 1857­5273 | Fax: 030 1857­85273 | info@unternehmen­region.deProjektträger Jülich – PtJ | Zimmerstraße 26–27 | 10969 BerlinTel.: 030 20199­482 | Fax: 030 20199­400DLR Projektträger, Deutsches Zentrum für Luft­ und Raumfahrt e.V.Rosa­Luxemburg­Straße 2 | 10178 Berlin | Tel.: 030 67055­481 | Fax: 030 67055­499

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Diese Publikation wird als Fachinformation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung kostenlos herausgegeben. Sie ist nicht zum Verkauf bestimmt und darf nicht zur Wahlwerbung politischer Parteien oder Gruppen eingesetzt werden.

ImpressumHerausgeberBundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)Referat Regionale Innovations initiativen; Neue Länder11055 Berlin

Bestellungenschriftlich anPublikationsversand der BundesregierungPostfach 48 10 0918132 RostockE­Mail: [email protected]: www.bmbf.deoder perTel.: 030 18 272 272 1Fax: 030 18 10 272 272 1

StandDezember 2017

DruckDruck­ und Verlagshaus Zarbock GmbH & Co. KG

Redaktion und GestaltungPRpetuum GmbH, Münchenredaktion@unternehmen­region.de

BildnachweiseTitel, Seiten 3, 22: Photocase/knallgrünS. 2: Presse­ und Informationsamt der Bundesregierung, Steffen KuglerSeiten 2, 11, 12: Andreas StedtlerS. 4: AUDI AGS. 5: GFZ, Agri Con GmbHSeiten 6,7: RESPONSESeiten 8, 9, 10: Peter WinandyS. 13: iStock/zorazhuangS. 18: PTB BraunschweigS. 19: TU IlmenauS. 20: PTB BraunschweigS. 21: fotolia/scusi, iStock/bubaone, iStock/danleapS. 24: iStock/PogoniciS. 25: Designed by Freepik/eigene DarstellungS. 26: plainpicture/Hero ImageS. 27: BTU Cottbus­Senftenberg, Innovationsforum CURPAS, fotolia/fotoliaxrenderS. 28: GKZ FreibergS. 29: FZ­US. 30: Marco WarmuthS. 32: Fotolia.com/frank peters, iStock/DaveAllanS. 33: STORNETICS. 34: Gert MothesS. 35: Gert Mothes, iStock/royyimzy, eigene DarstellungSeiten 49/50: iStock/ClerkenwellS. 50: Markus Scholz für die LeopoldinaSeiten 50/51: Maike Glöckner / MLUSeiten 52/53: privatalle anderen Fotos: BMBF/Unternehmen Region/Thilo Schoch, Berlin

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