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DEUTSCHE KÖNIGSPFALZEN Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung Vierter Band Pfalzen - Reichsgut - Königshöfe Herausgegeben von LUTZ FENSKE V&R GÖTTINGEN " VANDENHOECK & RUPRECHT " 1996 V 14 Ps-

V 14 Ps-1 E. HERZOG, Die ottonische Stadt. Die Anfänge der mittelalterlichen Stadtbaukunst in Deutschland (Frank- furter Forschungen zur Architekturgeschichte 2), 1964, S. 37. Z Vgl

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DEUTSCHE KÖNIGSPFALZEN

Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung

Vierter Band

Pfalzen - Reichsgut - Königshöfe

Herausgegeben von

LUTZ FENSKE

V&R GÖTTINGEN " VANDENHOECK & RUPRECHT " 1996

V 14 Ps-

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QUEDLINBURG KÖNIGSPFALZ - REICHSSTIFT - MARKT

von

ULRICH REULING

Helmut Beumannt in Dankbarkeit gewidmet

Einleitung S. 184 - I. Zur Topographie des Ortes - Archäologische Siedlungsbefunde S. 188 - Sied- lungsentwicklung im Spiegel der Ortsnamenüberlieferung 5.189 - Kloster Hersfeld als �Ortsherr" im 9. Jahrhundert 5.189 - Besitzübergang an die Liudolfinger - Quedlinburg Königspfalz Heinrichs I. 5.191- II. Grablege Heinrichs I. 936 5.193 - Stiftsgründung St. Servatius: Überlieferung und Hergang S. 194 - Quedlinburg als Stätte der ottonischen Memoria S. 200 - Stiftsgründung bei St. \Viperti 961/64 S. 202 - III. Wo befand sich die Quedlinburger Königspfalz? 5.204 - IV. Kontinuität und Wandel der Pfalzfunktion im Spiegel der Herrscheritinerare S. 211 - Quedlinburg als Osterpfalz" 5.212 - Mariä Lichtmeß in Quedlinburg: eine neue Festtagstradition unter Lothar III. und Konrad III. S. 218 - V. Königtum und Stift: Zum Wandel der Schenkungspraxis unter den Ottonen S. 220 - Königliche Schenkungen slawischer Gebiete an die Äbtissinnen Mathilde und Adelheid S. 221 - Zur Überlieferung und Deutung des metropolis -Prädikats für Quedlinburg und des Titels abbatissa metro- politana 5.224 - Haltung des Reichsstifts beim Dynastiewechsel des Jahres 1024 5.231 - VI. Markt- privileg Ottos III. von 994 S. 233 - Die Entwicklung der Marktgemeinde im Lichte der königlichen Privilegien Konrads II., Heinrichs III. und Lothars III. S. 236 - Zur Topographie der frühen Markt- siedlung S. 242 - VII. Rückzug des Königtums aus Quedlinburg seit frühstaufischer Zeit S. 245.

Als �Lieblingspfalz" und Grablege König Heinrichs I., als bevorzugte

»Osterpfalz" der Ot- tonen und als Sitz eines der vornehmsten königlichen Damenstifte im Reich nimmt Qued- linburg vor allem in der Geschichte des liudolfingischen Königshauses einen besonderen Rang ein. An ehrenvollen Bezeichnungen für diesen Ort, der mit der Thronbesteigung Hein- richs I. unversehens in den Brennpunkt der königlichen Regierungstätigkeit und Herr- schaftsrepräsentation rückte, haben bereits die Zeitgenossen nicht gespart. Von einem locus sublimis et famosus, einer sedes regalis im

�Reich der Sachsen" spricht schon bald nach

dem Tod Heinrichs I. bewundernd der anonyme Verfasser der �Miracula s. \Vigberhti".

Und der Hersfelder Anonymus wußte, wovon er sprach. Hatte Quedlinburg doch wenige Jahrzehnte zuvor noch unter der Botmäßigkeit seines Klosters gestanden, als Pfarrort wie viele andere, bevor es zu Beginn des 10. Jahrhunderts in den Besitz der Liudolfinger ge- kommen und binnen kurzem zu großer Berühmtheit gelangt war.

Zu der Quedlinburger Königspfalz war 936 das Reichsstift getreten, eine Gründung der Königinwitwe Mathilde und ihres Sohnes Otto I. Dem Stift war als vornehmste Aufgabe das Totengedenken am Grabe Heinrichs I. zugedacht. Als zentrale Stätte der ottonischen Memoria übernahm Quedlinburg Funktionen eines �Dynastieheiligtums". 948 wurde das Reichsstift dem unmittelbaren Schutz des Papsttums unterstellt. Weitere Stifts- bzw. Klo-

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 185

stergründungen am Ort folgten. Als Otto III. im Jahre 994 dem Reichsstift ein Marktpri- vileg verlieh und damit den Grundstein für die spätere Stadt legte, bezeichnete er Qued- linburg in auffallender Weise als metropolis - ein Titel, der gewöhnlich nur dem Sitz eines Erzbischofs zukam.

An der Tradition, den höchsten kirchlichen Feiertag, das Osterfest, in Quedlinburg zu verbringen, sofern es der Reiseweg des Hofes erlaubte, haben in gewissem Umfang, wenn auch in mitunter recht großen zeitlichen Intervallen, die Salierkönige und ihr Nachfolger auf dem Thron, König Lothar III., festgehalten. Auch das Reichsstift stand weiterhin unter der Obhut des Königtums. So sind die Salier den Liudolfingern darin gefolgt, die Leitung des Stifts ausschließlich königlichen Prinzessinnen anzuvertrauen. Den Saliern und König Lothar III. verdankt das Stift schließlich auch die fortgesetzten Privilegierungen der Markt- siedlung und werdenden Stadt. Erst seit der frühen Stauferzeit lockerten sich die Bezie- hungen des Königtums zu Pfalz, Stift und Stadt.

Die etwa drei Jahrhunderte umspannende Präsenz des Königtums hat den Ort bis in die Gegenwart geprägt. �In Quedlinburg", so hat der Kunsthistoriker Erich Herzog formuliert,

�steht uns noch heute, wenn auch stark erweitert und im Einzelbauwerk völlig verändert, ein ottonisches Stadtbild vor Augen'. Mag man über den von Herzog geprägten Begriff

�ottonisches Stadtbild" als solchen streiten, da er im wesentlichen auf das vor- bzw. früh- städtische Siedlungsbild Quedlinburgs abhebt, so treffen die Herzogs Aussage zugrunde liegenden historisch-topographischen Beobachtungen zweifellos zu; denn in der Tat treten noch aus dem modernen Stadtbild jene Siedlungskerne relativ deutlich hervor, die sich unmittelbar mit dem Wirken der ottonischen Könige und den von ihnen geschaffenen Institutionen am Ort verknüpfen:

1. der vom Bode-Mühlgraben umflossene Komplex des ehemaligen Königshofes und Stiftskonvents von St. Wiperti;

2. die über den hoch aufragenden Schloßberg verteilten Bauten des ehemaligen Reichs- stifts mit der Servatiuskirche sowie die den Schloßberg kranzförmig umschließende einstige stiftische Hintersassensiedlung des sog. Westendorfes;

3. der nordwestlich benachbarte Münzenberg als Standort des 986 gegründeten Marien- klosters; und schließlich

4. die noch heute von Resten ihrer spätmittelalterlichen Ummauerung eingefaßte Altstadt im Bodetal, in deren Bereich der ottonenzeitliche Markt zu suchen ist.

In dieser Konstellation der historischen Siedlungskerne, wie sie aus älteren Stadtplänen2 noch sehr viel klarer als aus dem modernen Stadtbild hervortritt, hat sich über Jahrhunderte hinweg ein Zustand erhalten, der als solcher schon das Ergebnis von recht komplexen, im Verlaufe des 10. Jahrhunderts erfolgten siedlungsgeschichtlichen Entwicklungen darstellt, die vielerlei Fragen aufwerfen. Wann und unter welchen Umständen sind die Liudolfinger

1 E. HERZOG, Die ottonische Stadt. Die Anfänge der mittelalterlichen Stadtbaukunst in Deutschland (Frank- furter Forschungen zur Architekturgeschichte 2), 1964, S. 37.

Z Vgl. die beigegebene Karte (Abb. 1 unten nach S. 244), welcher der Plan der Stadt Qucdlinburg aus dem Jahre 1901 von AD. MEYER in einer Umzeichnung des Deutschen Städteatlasses (vgl. Anm. 12) zugrundeliegt. Die freundliche Bereitstellung dieser Grundkarte wird dem Institut für vergleichende Städtegeschichte, Münster (Westf. ) verdankt. Nachweis älterer Stadtpläne bei A. BRINKMANNN, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Stadt Qucdlinburg, 2 Ile. (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen 33), 1922/23; hier T. 1, S. 10 f. Vgl. ferner den ältesten Parzcllenplan von Qucdlinburg (vor 1878), verkleinert abgedruckt in: Erläuterungsheft 2, Atlas des Saale- und mittleren Elbcgcbietes (wie Anm. 13) Abb. 75, S. 152, der allerdings nicht den Siedlungskomplex von St. Wiperti erfaßt.

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nach Quedlinburg gelangt, und auf welchen Grundlagen beruhte ihre Herrschaft? Welche Ansatzpunkte bot der Ort für die Errichtung einer Königspfalz, und was läßt sich über die Struktur dieses frühen Pfalzenkomplexes ermitteln? Unter welchen Umständen haben sich die Stifts- und Klostergründungen am Ort vollzogen, welche Funktionen waren ihnen zuge- dacht, und wie wirkten sich diese auf die örtliche Siedlungsstruktur aus? Wie gestaltete sich insbesondere das Verhältnis der Pfalz zu diesen kirchlichen Konventen? Unter welchen Voraussetzungen erfolgte schließlich gegen Ende des 10. Jahrhunderts die Marktgründung

am Ort, und wie fügte sich dieses neue Siedlungselement in das vorhandene Ensemble von Pfalz und Stiftskonventen ein? Wo ist insbesondere der erste Markt zu suchen, über dessen Lage sich die zeitgenössische Überlieferung gänzlich ausschweigt?

Diese und manche anderen Fragen der Frühgeschichte Quedlinburgs beschäftigen die Forschung seit langem. Wichtige Impulse dazu gingen von den schon früh einsetzenden Bemühungen einer Edition der im örtlichen Stifts- und Stadtarchiv verwahrten reichhaltigen Urkundenüberlieferung aus. Auf dieser Grundlage und einer weiteren stadtgeschichtlichen Quellenpublikation3 ist auch die im Jubiläumsjahr 1922 erschienene zweibändige Quedlin- burgische Geschichte von Hermann Lorenz und Selmar Kleemann erwachsen', die der erste und bisher einzige Versuch einer neueren zusammenfassenden Darstellung nicht nur der städtischen, sondern auch der vorstädtischen Geschichte Quedlinburgs geblieben ist. Sehr viel nachhaltiger als dieses Werk haben indes die Anfang der vierziger Jahre erschienenen Beiträge Carl Erdmanns zur Geschichte Heinrichs I. - die immer auch eine Geschichte Quedlinburgs sind - den Gang der Forschung bestimmt'. Angeregt durch die ersten Ergeb- nisse der 1938 begonnenen bauarchäologischen Untersuchungen in der Stiftskirche St. Ser- vatius und die sie begleitenden Grabungen auf dem Schloßberg, hatte Erdmann zentrale Fragen der örtlichen Sakral- und Pfalztopographie aufgegriffen und neuen Lösungen zu- geführt. Auf Erdmanns Erkenntnissen und den erst mit großer Verspätung veröffentlichten Ergebnissen der in den Jahren 1938-42 durchgeführten baugeschichtlichen und archäolo- gischen Untersuchungen auf dem Quedlinburger Schloßberg6 hat im wesentlichen auch die neuere Pfalzenforschung aufgebaut'.

' Vgl. schon F. E. KETTNER, Antiquitates Qvedlinburgenses oder Kcyscrliche Diplomata, Päpstliche Bullen, Ab- teyliche und andere Urkunden von den Kcyscrlichen Frcycn Weltlichen Stiffte Qucdlinburg..., Goslar 1712 sowie A. U. ERATH, Codex diplomaticus Quedlinburgensis, Frankfurt 1764; UB der Stadt Quedlinburg, 2. Abt., bearb. von K. JANICKE (GQProvSachs 2), 1873/1882; Quellen zur städtischen Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschafts- geschichte von Qucdlinburg, 1. Teil, bearb. von H. LORENZ (GQProvSachs 44), 1916.

° Quedlinburgische Geschichte zur Tausendjahrfeier der Stadt Quedlinburg, Bd. 1: H. LORENZ, Werdegang von Stift und Stadt Quedlinburg; Bd. 2: S. KLEEMANN, Kulturgeschichtliche Bilder aus Quedlinburgs Vergangenheit, 1922.

5 C. ERDMANN, Beiträge zur Geschichte Heinrichs I. (I-III), in: SachsAnh 16 (1940); DERS., Das Grab Hein- richs I., in: DA 4 (1941); DERS., Beiträge zur Geschichte Heinrichs I. (IV-VI), in: SachsAnh 17 (1941/43); sämtlich wiederabgedruckt in: DERS., Ottonische Studien, hg. und eingeleitet von H. BEUntANN, 1968 (danach im folgenden zitiert). - Bereits zuvor erschienen waren: Elisabeth SCHEIBE, Studien zur Verfassungsgeschichte des Stifts und der Stadt Qucdlinburg, Diss. phil. Leipzig 1938; H. E. WEIRAUCH, Die Gütcrpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter, in: SachsAnh 13 (1937), 5.117-181; DERS., Der Grundbesitz des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter, in: SachsAnh 14 (1938), 5.203-295.

6 K. SCHIRWITZ, Die Grabungen auf dem Schloßberg zu Quedlinburg, in: JschrMittcldtVorgeschichte 44 (1960), S. 9-50; H. WÄSCHER, Der Burgberg zu Quedlinburg. Geschichte seiner Bauten bis zum ausgehenden 12. Jahr- hundert nach den Ergebnissen der Grabungen von 1938 bis 1942,1959; DERS., Feudalburgen in den Bezirken Halle und Magdeburg, 1962, S. 122-126.

' A. LAUERT, Zur Struktur und Topographie der Königspfalzen, in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung 2 (VeröffMPIG 11/2), 1965, S. 6ff.; G. STREICH, Burg und Kirche

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Wenn nun in jüngster Zeit einige der Grundprobleme der Frühgeschichte Quedlinburgs von der Forschung wieder aufgegriffen worden sind, so hat dies verschiedene Gründe. Nicht nur, daß in der Zwischenzeit erhebliche Zweifel an den von Erdmann entwickelten Thesen der Siedlungsabfolge und Siedlungstopographie im Bereich von Pfalz und Stift auf- gekommen sind'; auch die bauarchäologischen Nachuntersuchungen in der Servatiuskirche sowie neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Wipertikirche haben zu einer beträchtlichen Revision des Forschungsstandes geführt, zugleich aber viele neue Fragen aufgeworfen9. Sowohl von historischer wie von kunsthistorischer Seite ist ferner die Rolle Quedlinburgs als Stätte ottonischer Herrschaftsrepräsentation und Gedenktradition neu beleuchtet wor- den10. Im Rahmen jüngerer Forschungen über die Vor- und Frühformen des Städtewesens im ottonischen und salierzeitlichen Sachsen sind schließlich auch Marktgründung und Stadt- werdung Quedlinburgs erneut in den Blickpunkt des Interesses gerückt". Was indes noch aussteht, ist der Versuch, die verschiedenen Einzelaspekte zu einem Gesamtbild der örtlichen Frühgeschichte zusammenzuführen.

Wenn im folgenden dieser Versuch einer Zusammenschau unternommen wird, so kann es sich dabei nur um die Aufgabe handeln, die Hauptzüge der Entwicklung Quedlinburgs herauszuarbeiten und lediglich einige der damit verknüpften Probleme eingehender zu erör- tern. Als zeitlicher Rahmen für eine solche Betrachtung bietet sich jene etwa drei Jahrhun- derte umfassende Zeitspanne der örtlichen Siedlungs- und Verfassungsentwicklung an, die unter der Ägide des Königtums stand, bevor mit dessen Rückzug die territorialen Kräfte des Raumes und nicht zuletzt das aufstrebende Bürgertum am Ort neben dem Reichsstift als Hauptakteure der spätmittelalterlichen Geschichte Quedlinburgs hervortreten. Indem die vom Königtum geschaffenen Institutionen am Ort - Pfalz, Stift und Markt - gleicher-

während des deutschen Mittelalters. Untersuchungen zur Sakraltopographic von Pfalzen, Burgen und Herrensitzen, 211e. (VortrrForsch Sonderbd. 29), 1984, hier T. 1, S. 147-153.

1 Vgl. schon STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) 5.151 f. und vor allem J. FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift

Qucdlinburg. Zum Problem ihrer Zuordnung unter den Ottonen (NachrrAkadGött, Phil. -hist. Kl. Jg. 1992, Nr. 2). - Bereits 1973 hatte sich D. CLAUDE in einem Vortrag

�Zur Frühgeschichte von Pfalz und Stift Quedlinburg" auf der Jahrestagung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland kritisch mit den Thesen C. Erdmanns auseinandergesetzt (Kurzfassung im masch. vervielfältigten Protokoll des Arbeitskreises vom 7. /8.6.1973); das vollständige Manuskript des unveröffentlicht gebliebenen Vortrags stellte mir Prof. Dr. D. Claude (Marburg) dankenswerter Weise zur Verfügung.

G. LEOPOLD, Die Stiftskirche der Königin Mathilde in Quedlinburg. Ein Vorbericht zum Gründungsbau des Damenstifts, in: FrühlviAStud 25 (1991), S. 145-170; DERS., Die erste Damenstiftskirche auf dem Quedlinburger Burgberg, in: Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 1 (1993), Heft 2, S. 7-20. Vgl. auch E. SCHUBERT, Stätten säch- sischer Kaiser, 1990, S. 41-78; G. LEOPOLD, J. FLEMMING, Die Stiftskirche und die Wipertikirche in Quedlinburg (Das christliche Denkmal 37/37a), 1988, S. 42ff. und zuletzt G. LEOPOLD, Die Kirche St. Wiperti in Qucdlinburg. Pfarrkirche-Pfalzkapelle-Stiftskirche, 1995.

10 G. ALTHOFF, Gandersheim und Qucdlinburg. Ottonische Frauenklöster als Herrschafts- und Überlieferungs- zentren, in: FrühMAStud 25 (1991), S. 123-144; vgl. schon DENS., Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlicfcrung. Studien zum Totengedenken der Billungcr und Ottonen (MünstMASchrr 47), 1984, insbes. S. 179 ff.; SCHUBERT, Stätten (wie Anm. 9); D. KöTZSCHE (Hg. ), Der Qucdlinburgcr Schatz wieder vereint, 1993.

tt W. SCHLESINGER, Vorstufen des Städtewesens im ottonischen Sachsen, in: Die Stadt in der europäischen Geschichte. Festschrift Edith Ennen, hg. von W. BESCH, K. FEHN u. a., 1972; Wicderabdr. in: H. PATZE, F. SCHWIND (Hg. ), Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger 1965-1979 (VortrrForsch 34), 1987, S. 403-430; B. SCHWI- NEKÖPER, Königtum und Städte bis zum Ende des Investiturstreits. Die Politik der Ottonen und Salier gegenüber den werdenden Städten im östlichen Sachsen und in Nordthüringen (VortrrForsch Sonderbd. 11), 1977, insbes. S. 92ff.; K. MILITZER, P. PRZYBILLA, Stadtentstehung, Bürgertum und Rat. Halberstadt und Qucdlinburg bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (VeröffMPIG 67), 1980, S. 112ff.

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maßen in den Blickpunkt der Betrachtung rücken, lassen sich einerseits die Grundlinien ihrer individuellen Entwicklung verfolgen, können andererseits aber auch die Wechselwir- kungen jener auf ganz unterschiedliche Funktionen ausgerichteten Einrichtungen untersucht werden. Unter diesem Blickwinkel wird es schließlich auch möglich sein, die besondere Rolle Quedlinburgs in der Geschichte des mittelalterlichen Königtums im Reich schärfer

12zu beleuchten.

I.

Vorauszuschicken sind einige wenige Bemerkungen zur Topographie des Ortes und zu den bislang bekannt gewordenen siedlungsarchäologischen Funden. Quedlinburg, heute eine Stadt von ca. 27000 Einwohnern, liegt im Bereich des nördlichen Harzvorlandes, das als naturräumliche Grundeinheit morphologisch durch zahlreiche von Nordwesten nach Süd- osten verlaufende Sättel und Mulden gegliedert ist. Das bewegte Relief Quedlinburgs und seines näheren Umlandes ist einerseits geprägt durch die meist schroff geböschten Sand- steinhügelketten des sog. Quedlinburger Sattels, andererseits durch das diesen querende, von Südwesten nach Nordosten ziehende, 3 km breite Tal der Bode13. Zwischen der höch- sten Erhebung, der westlich der Stadt gelegenen Altenburg (200 m), und der Talaue der Bode besteht ein Höhenunterschied von etwa 80 Metern. Die Hauptansatzpunkte der vor- und frühgeschichtlichen Besiedlung im späteren Stadtbereich lagen am Ostrand des Bodetals auf dem weit in die Aue vorspringenden Oval des sog. Schloßberges (148,2m) und den beiderseitigen Niederterrassenvorsprüngen bei der Kirche St. Wiperti und im östlichen Alt- stadtbereich14. Die Talaue des zum Mühlgraben ausgebauten westlichen Bodearms war hin- gegen ursprünglich Moor- und Sumpfgebiet und ist wohl erst im Zuge der mittelalterlichen Stadterweiterung Anfang des 13. Jahrhunderts trockengelegt worden15. Rezente Flur- und Straßennamen wie Damm, Word und Pölle kennzeichnen die ursprünglichen Verhältnisse 16 Große Teile der Feldflur Quedlinburgs werden von fruchtbaren Schwarzerdeböden einge- nommen, die von jeher einen intensiven und ertragreichen Feldbau erlaubten17.

Reiche vorgeschichtliche Bodenfunde deuten auf die frühe und wiederholte Besiedlung sowohl der Altenburg wie auch des Schloßberges und der diesen flankierenden Niederter- rassen18. Während die sog. Altenburg nur steinzeitliche und wenige eisenzeitliche Siedlungs-

11 Der vorliegende Beitrag ist im Rahmen von Vorarbeiten für das Blatt Qucdlinburg des Deutschen Städteat- lasses entstanden, das in der zum Druck anstehenden Lieferung 6 dieses Atlaswerkes erscheinen wird. Vgl. dort insbesondere die vom Verf. entworfene Wachstumsphasen-Karte mit dazugehörigem Text.

17 Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands 2,1962, S. 769ff. Eingehende Beschreibung der topographischen Situation am Ort in: Erläuterungsheft 2 des Atlasses des Saale- und mittleren Elbcgebietcs, hg. von O. SCHLÜTER, O. AUGUST, 2. Aufl. 1959/61, Karte 35: Quedlinburg, Mühlhausen, Nordhausen, 5.151. Vgl. ferner Geolog. Karte von Preußen und benachbarten deutschen Ländern (1: 25.000), hg. von der Prcuß. Geol. Landesanstalt, Bl. Nr. 2381 (4232) Qucdlinburg, 1909/1921; dazu die Erläuterungen (1927).

16 Atlas des Saale- und mittleren Elbcgebietcs (wie Anm. 13) Erläuterungen (0. AUGUST) S. 151. 15 H. SCHAUER, Qucdlinburg. Das städtebauliche Denkmal und seine Fachwerkbauten, 1990, S. 17f. 16 BRINKMANN, Bau- und Kunstdenkmäler (wie Anm. 2) T. 1, S. 15; SCHAUER, Quedlinburg (wie Anm. 14)

S. 17 f. 17 Handbuch der naturräumlichen Gliederung (wie Anm. 13) 5.773. Erläuterungen zur Geolog. Karte BI. 2381

(wie Anm. 13) S. 102ff. Vgl. auch Bodengütekarte der DDR 1: 500.000 (Bodenkunde und Bodenkultur 2, hg. vom Inst. für Bodenkartierung, Min. für Land- und Forstwirtsch. der DDR), 1953 (mit Erläuterungen).

1e E. SCHMIDT-THIELBEER, Qucdlinburg, in: B. SCHWINEKÖPER (Hg. ), Provinz Sachsen-Anhalt (Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 11), 2. Aufl. 1984, S. 374; P. GRIMM, Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 189

spuren, aber keine Befestigung aufweist19, nehmen die Archäologen an, daß der Schloßberg, dessen Besiedlung ebenfalls bis in die Altsteinzeit zurückreicht, als germanische Fluchtburg

gedient hat20. Die früher vertretene Ansicht, auch im Frühmittelalter sei dieser Platz kon-

tinuierlich besiedelt und befestigt gewesen, wird von der archäologischen Forschung heute

nicht mehr geteilt21. Selbst für eine karolingerzeitliche Belegung haben die Befunde der in den Jahren 1938-42 durchgeführten Grabungen auf dem Burgplateau nur schwache Indi-

zien erbracht''=. Für die Siedlungsabfolge des Frühmittelalters vermag indes die Ortsnamenüberlieferung

gewisse Anhaltspunkte zu liefern, insbesondere zum Verhältnis von Burg- und Talsiedlung. Der 922 erstmals bezeugte Name Quedlinburg (Quitilingaburg23) ist als sekundäre Na-

menbildung anzusehen. Diese ist von dem ursprünglichen Ortsnamen Quitilinga (Siedlung der

, Quidilinge`, d. h. der Leute eines gewissen , Quidilo`) abgeleitet24; mit anderen Worten:

Die namengebende Siedlung - der patronymische Name deutet auf einen altsächsischen Adelshof - ist älter als die Befestigung25. Deren Name Quedlinburg diente freilich schon im 10. Jahrhundert nicht nur zur Bezeichnung der Burg, sondern auch der Siedlung ins- gesamt°4, während der ursprüngliche Ortsname Quitilinga - Quedlingen` damals schon weitgehend außer Gebrauch war und 961 nur noch am Kernbereich der Siedlung, dem zu Füßen des Burgbergs gelegenen, als cortis bezeichneten Königshof um St. Wiperti haftete27.

Auf diesen Bereich bezieht sich auch die älteste Nachricht zur Geschichte des Ortes. Wir

verdanken sie einem bald nach 936 im Kloster Hersfeld verfaßten Bericht über eine Er- scheinung des hl. Wigbert, die einem Priester namens Geltmar einst in Quedlinburg wider- fahren ist28. Den erläuternden und durchaus glaubwürdigen Hinweisen des Berichterstatters

der Bezirke Halle und Magdeburg (Handbuch vor- und frühgeschichtl. Wall- und Wehranlagen 1; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 6), 1958, S. 271 ff. (Katalog) (mit ält. Lit. ); F. STOLBERG, Befestigungsanlagen im und am Harz von der Frühgeschichte bis zur Neuzeit. Ein Handbuch, 1968,5.293 ff. (mit ält. Lit. ).

19 GRtnut, Burgwälle (wie Anm 18) 5.271; STOLBERG (wie Anm. 18) 5.298. 23 GRIMM, Burgwälle (wie Anm. 18) S. 128f., 272; STOLBERG (wie Anm. 18) S. 297. G. MILDENBERGER, Ger-

manische Burgen (Veröffentlichungen der Altertumskommission im Provinzialinstitut für westfälische Landes-

und Volksforschung 6), 1978, S. 83. 21 GRIAtht, Burgwälle (wie Anm. 18) S. 53,128 f., 272; SCHMMIDT-THIELBEER (wie Anm. 18) S. 374; H. BRACH-

MANN, G. LEOPOLD, Quedlinburg, in: Archäologie in der DDR. Denkmale und Funde 2, hg. von J. HERRMANN, 1989, S. 703 ff.; H. BRACHMANN, Der frühmittelalterliche Befestigungsbau in Mitteleuropa (SchrrUrFrühG 45), 1993,5.169. - Für die ältere Ansicht maßgebend: WÄSCHER, Burgberg (wie Anm. 6) S. 25ff.; DERS., Feudalburgen (wie Anm. 6) S. 123; SCHIRwrrz, Grabungen (wie Anm. 6) S. 38 ff.

22 GRIMM, Burgwälle (wie Anm. 18) S. 53. 22 MGH DH I 3; vgl. unten Anm. 26. 21 E. EICHLER, H. WALTHER, Städtenamenbuch der DDR, 1986, S. 222 f.

25 GRIMM, Burgwälle (wie Anm. 17) S. 28,134,161, leitet aus diesem Prinzip der Namengebung keine zeitliche Siedlungsabfolge, sondern nur ein funktionelles, auf den Sicdlungszusämmcnhang bezogenes Verhältnis ab.

26 MGH DH 13: in villa quae dicitur Quitilingaburg; zur Deutung von villa siehe unten S. 206f. Weitere frühe Namensformen für Quedlinburg bei EICHLER/WALTER (wie Anm. 24).

2' MGH DO I. 228:... cortent scilicet Quitilinga turn ecclesia in honore sancti Iacobi apostoli consecrata (d. i. die Wipertikirche) in eodem loco

... - Der Ortsname Quedlingen` hat sich in der lokalen Überlieferung späterhin lediglich in adjektivischer Form erhalten. So in den Anfang des 11. Jahrhunderts entstandenen Qucdlinburgcr Annalen (MGH SS 3, S. 18-90), die sich sogar vorwiegend dieses Sprachgebrauchs bedienen; vgl. beispielsweise Ann. ad a. 936 (S. 54): coenobium in monte Quedelingensi; ad a. 985 (S. 67): in monte occidentali Quedelingensi;

ad a. 995 (S. 72): in Quedelingensi civitate; ad a. 1019 (5.84): comitante ... Adelheida Quedelingensi abbatissa.

28 Miracula s. Wigberhti, Relatio Gcltmari de miraculis apud se factis, cd. C. ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 84f. - Erdmanns Ansatz der Abfassungszeit der Miracula

�um 935" ist nach jüngsten Erkenntnissen von

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über die äußeren Umstände dieser Vision ist zu entnehmen, daß Hersfeld zum Zeitpunkt des Wunders in Quedlinburg über eine mit Reliquien des Klosterpatrons Wigbert ausge- stattete Eigenkirche am Ort verfügter. Daß es sich dabei um eine Pfarrkirche handelte, läßt sich aus der Bezeichnung Geltmars als Priester und dem zusätzlichen Hinweis erschlie- ßen, daß dieser jetzt (also nach 936) einer anderen Kirche vorstehe30. Erworben hatte Hersfeld seinen Besitz in Quedlinburg ex traditione fideliurn31, also durch eine Reihe von Privatschenkungen, über deren Zahl und Zeitstellung wir aber nichts erfahren. Auch Her- kunft und Namen der Schenker bleiben ungenannt32.

Es ist anzunehmen, daß dieser mit einer Pfarrkirche ausgestattete hersfeldische Besitz in Quedlinburg als Grundherrschaft organisiert war, wobei der Wortlaut des Berichts die Vermutung nahelegt, daß diese Villikation wenn nicht den ganzen Ort, so doch einen er- heblichen Teil der Siedlung umfaßt hat33. Offen bleibt die Frage, ob die genannte Kirche bereits bestanden hat, als Hersfeld in Quedlinburg Besitz erhielt, oder erst später dort eingerichtet und mit Reliquien des hl. Wigbert ausgestattet worden ist34. Da wir über den

E. Freisc zu präzisieren. Danach sind die Miracula s. Wigberhti erst nach dem Hcrrschaftsantritt Ottos I., also bald nach 936 verfaßt worden. Vgl. E. FREISE, Abbas promotus - Fratres conscripti. Abteberufung und Toten- buchführung in Reichs- und Bischofsklöstern des 10. bis 12. Jahrhunderts, Habil. -Schrift (masch. ) Münster 1986, S. 52 Anm. 401; vgl. auch M. GOCKEL, Art. Ohrdruf, in: Die deutschen Königspfalzen 2: Thüringen, 4. Lfg. (1991), S. 392 f.

29 Relatio Geitmari (wie Anm. 28) S. 84: Videtur autem oportumrm huic open inserenduttn, quid cglestis miraculi divina pietas per meritum sancti patris nostri etiam in aliis locis dignata sit operan. Est locus Quidiligonburch nominatus, nunc in Saxonum regno propter regalis sedis honorem sublimis et famoses, quondam autem istius congregationis utilitati subditus, videlicet quia sancti \Vigberhti extitit proprius, atque ideo etiam adhuc ex eins reliquiis habetur a multis honorandus. Erat in eo loco presbiter geidatn, qui adhuc superest, sed alias ecclesig regimini presidens, ex cuitts relatione comperta habeo ea qug narro.

3° Pfarrechte der Wipertikirche sind späterhin ausdrücklich überliefert. 1179 bestätigte Papst Alexander III. den Prämonstratensern von St. Wiperti parrochiam foris mutrein forensem cum omni jure quod in ea habetis. UB Stadt Quedlinburg 1 (wie Anm. 3) Nr. 17 (= JL 13 479). Die Tatsache, daß dem Wipertiklostcr darüber hinaus der Zehnte totius civitatis, also der damaligen Stadt Qucdlinburg, zustand, macht deutlich, daß die Pfarrechte von St. Wiperti ursprünglich den ganzen Ort umfaßt hatten. Im Zuge der Marktgründung und Stadterhebung Quedlinburgs und der damit verbundenen Neueinteilung der Pfarrsprengel waren diese Rechte mit Ausnahme des Zehnten auf das Gebiet außerhalb der Stadtmauern beschränkt worden. Vgl. auch unten S. 240. Abwegig ist in diesem Zusammenhang die Deutung von ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 87 mit Anm. 12, der die Ein- schränkung foris mttrttm damit erklärt, daß mit der Gründung des Kanonissenstifts auf dem Schloßberg 936 dort ein eigener Pfarrbezirk innerhalb der Burgmauern eingerichtet worden sei. Die Bezeichnung mutrus forensis bzw. der einige Zeilen später gebrauchte Ausdruck mitres civitatis weist eindeutig auf die Mauer der 1179 bereits bestehenden Stadt. Vgl. MILtTZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) 5.133 und unten S. 242.

31 Relatio Geltmari (wie Anm. 28) S. 85: ...

Tum ille (seil. Geltmar): �Dicor

Wibertus, cuiuts iste locus ex traditione fidelium est proprius, cui et a Deo sum provisor ordinattts". Der mitgeteilte Tatbestand des Besitzer- werbs aus privater Hand ist so eindeutig, daß sich Mutmaßungen verbieten, Qucdlinburg sei als fränkischer Königshof an Hersfeld gelangt; anders noch zuletzt M. ERBE, Studien zur Entwicklung des Niederkirchenwesens in Ostsachsen vom B. bis zum 12. Jh. (VeröffMPIG 26), 1969, S. 30. Vgl. demgegenüber schon ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. 5) S. 86 Anm. 8:

� ... zur Annahme fränkischen Reichsguts (sehe ich) keinen Grund". 32 In Anlehnung an W. GROSSE, Die Gründung und Glanzzeit des Stiftes Qucdlinburg unter den Liudolfingern,

in: ZHarzV 48 (1915), S. 3, hat ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 86 Anm. 8 die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß Quedlinburg alter billungischcr Besitz gewesen sei. Diese auch späterhin wiederholt geäußerte Ver- mutung stützt sich im wesentlichen auf die für das benachbarte +(Groß-, Klein-)Orden überlieferte Gütertradition des Schenkerpaares Billunc und Bennicho an das Kloster Fulda, die wohl in die 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts zu setzen ist; E. F. J. DRONKE, Traditiones et antiquitates Fuldenscs, 1844; Ndr. 1966, cap. 41 Nr. 52.

33 Vgl. oben Anm. 29 bzw. 31. 34 Im allgemeinen ist die Forschung von einer hersfeldischen Gründung der Kirche ausgegangen, wobei ERD-

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Umfang des frühen hersfeldischen Besitzes im nördlichen Harzvorland ansonsten keine Kenntnis haben, läßt sich auch nicht abschätzen, welchen Stellenwert die Quedlinburger Villikation innerhalb des Gesamtkomplexes des hersfeldischen Klostergutes hatte3s

Als der Wunderbericht des Priesters Geltmar niedergeschrieben wurde, hatte sich bereits

ein neuerlicher Besitzwechsel am Ort vollzogen. Das ehemals hersfeldische Quedlinburg, so hören wir, sei inzwischen ein bedeutender Ort

�im Reiche der Sachsen" geworden, und zwar wegen seines Ehrenvorzugs eines königlichen Sitzes36. In der Tat hatte sich in der Zwischenzeit Bemerkenswertes in Quedlinburg ereignet. An die Stelle Hersfelds waren die

sächsischen Liudolfinger als �Ortsherren" getreten. Von Ostern 922 datiert der erste nach- weisbare Aufenthalt König Heinrichs I. in Quedlinburg; drei weitere sind für die Jahre 923,929 und 934 bezeugt37. In allen Fällen hat der König Urkunden ausgestellt, also Regierungstätigkeiten ausgeübt und Hof gehalten. Nur dadurch sind uns diese Aufenthalte

auf Monat und Tag genau bezeugt. In drei der vier Fälle war der König, wie die Zeitangaben zeigen, zur Feier des Osterfestes nach Quedlinburg gekommen38. Kein Zweifel, Quedlinburg hatte unter Heinrich die Funktion eines relativ häufig besuchten Königshofes erhalten. Man darf sogar noch weitergehen und von einer Königspfalz sprechen, denn die hohen Feste haben die Könige zu damaliger Zeit vorzugsweise in Pfalzen gefeiert39.

Wann und auf welche Weise hatte sich dieser Wandel vollzogen? Direkte Nachrichten darüber fehlen. Wir wissen allerdings, daß der Vater Heinrichs I., Herzog Otto der Er-

MANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 88 annahm, daß diese ursprünglich auf dem Burgberg errichtet und erst im Zuge der späteren Stiftsgründung 936 an ihren heutigen Platz verlegt worden sei. Dagegen haben zu Recht D. CLAUDE in dem Anm. 8 zitierten Vortrag sowie jüngst J. FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 12 kritisch Stellung bezogen; vgl. dazu ausführlich unten S. 204f. - ERBE, Studien (wie Anm. 31) S. 30 stellt die Gründung der Wipertikirche in einen direkten Zusammenhang mit den missionspolitischen Aktivitäten Hersfelds in den

nördlichen Harzvorlanden, wofür es jedoch keinerlei sichere Anhaltspunkte gibt. Zur grundsätzlichen Problematik der Thesen M. Erbes vgl. K. NASS, Fulda und Brunshausen. Zur Problematik der Missionsklöster in Sachsen, in: NdSächsJbLdG 59 (1987), S. 1-62, bes. S. 3-13. Unstrittig ist, daß das Wigbert-Patrozinium der Kirche erst aus hersfcldischer Zeit stammt. Anstelle dieses Patroziniums begegnet in dem oben Anm. 27 zit. Diplom Ottos I. von 961 das des Apostels Jacobus. Später ist zumeist das Doppclpatrozinium St. Jakobi - St. Wiperti überliefert; vgl. die Nachweise bei J. BAUERMANN, Die Anfänge der Prämonstratenscr-Klöster Scheda und St. Wiperti-Qucdlinburg, in: SachsAnh 7 (1931); verbesserter Wiederabdr. in: DERS., Von der Elbe bis zum Rhein (Neue Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung 11), 1968, S. 344f. mit Anm. 266; ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 86 Anm. 10.

35 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings die Schenkung einer gewissen Retun, die zwischen 835

und 863 Kloster Hersfeld umfangreichen Besitz in Burgdorf (nordöstl. Eisleben) zuwandte; vgl. UB der Reichsabtci Hersfeld, 1. Bd., bearb. von H. WEIRICH (VeröffHistKommHessWaldeck 29,1), 1936, Nr. 35. Für den Fall, daß die in der Schenkung ausgewiesenen Hufen in Burgdorf nicht ausreichten, sollte sich das Kloster ersatzweise an dem Besitz der Schenkerin in dem Quedlinburg unmittelbar benachbarten +(Groß-, Klein-)Orden und in +En- zingen bedienen; da mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, daß die Wahl der ersatzweise zu nut- zenden Hufen auf hersfeldische Anregung zurückgeht und wohl mit Blick auf den schon vorhandenen Klosterbesitz in dieser Gegend getroffen worden ist, ergäbe sich auch für die Qucdlinburger Villikation ein Terminus ante von 835/863. Ob Hersfeld die ersatzweise angewiesenen Hufen der Retun in +(Groß-, Klcin-)Orden und +Enzingcn tatsächlich in Anspruch genommen hat, ist nicht bekannt.

3e Relatio Gcltmari (wie Anm. 28) S. 84. Vgl. das Zitat oben Anm. 29. 37 MGH DH I3 (wie Anm. 23); ferner DH 15 (923 April 7), DH I 20 (929 Sept. -), DH I 28 (931 April 14). 38 922,923,931; vgl. Anm. 37. 39 H. W. KLEVCITZ, Die Festkrönungen der deutschen Könige, in: ZSRG Kan. 28 (1939), S. 75ff.; ERDMANN,

Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 92; C. BRÜHL, Fodrum, Gistum, Servitium regis (KölncrHistAbhh 14), 1968,5.125 ff.; TH. ZoTZ, Vorbemerkungen zum �Repertorium

der deutschen Königspfalzen", in: BIIDtLdG 118 (1982), S. 184ff., hier insbes. 5.188 f.

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lauchte, in den Jahren 901 bis 912 Laienabt des Klosters Hersfeld gewesen ist40 und diese Stellung an anderen Orten dazu benutzt hat, sich herfeldische Besitzrechte anzueignen41. In seiner Amtszeit dürfte auch die Quedlinburger Klostervillikation an die Liudolfinger gelangt sein. Terminus ante quem für den Besitzwechsel wäre demnach das Jahr 912. Viel früher wird man diesen Zeitpunkt ohnehin nicht ansetzen dürfen, weil der Geistliche Gelt- mar, der in hersfeldischer Zeit als Pfarrer in Quedlinburg gewirkt hatte, 936 noch lebte42.

Ob der Schloßberg von Quedlinburg in hersfeldischer Zeit befestigt war, wie vielfach angenommen wird43, ist nach den archäologischen Befunden nicht zu entscheiden44. Nach Ausweis der Ortsnamenüberlieferung hat 922, als die ursprüngliche Siedlungsbezeichnung

, Quedlingen` bereits durch den jüngeren Namen Quedlinburg verdrängt worden war, eine solche namengebende Befestigung jedoch sicher bestanden45. Es spricht demnach alles dafür, daß die Burg den Liudolfingern schon vor der Königserhebung Heinrichs I. im Jahre 919 als einer ihrer Herrschaftsmittelpunkte im ostsächsischen Raum gedient hat46. Folgt man der Nachricht Thietmars von Merseburg, der einen Teil seiner Erziehung in Quedlinburg genossen hatte47 und über die dortigen Verhältnisse sicher gut informiert war, so ist es Heinrich I. selbst gewesen, der die Burg erbaut hat -a fundamento construxit, wie Thietmar ausdrücklich sagt, allerdings ohne den Zeitpunkt und die näheren Umstände für diese Maßnahme zu nennen48. Die Forschung hat diese Nachricht im allgemeinen als einen Reflex auf die sog. Burgenbauordnung Heinrichs I. zur Abwehr der Ungarngefahr verstanden und Thietmars Zeugnis im Sinne eines um 926 anzusetzenden beträchtlichen Aus- und Umbaues der schon vorhandenen Befestigung auf dem Quedlinburger Schloßberg interpretiert49.

40 PH. HAFNER, Die Reichsabtei Hersfeld bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, 2. Aufl. 1936, S. 19. Vgl. auch UB Hersfeld (wie Anm. 35) Nr. 37,39,40.

41 ERDMANN, Beiträge (wie Anm. 5) S. 86 im Anschluß an A. EGGERS, Der königliche Grundbesitz im 10. und beginnenden 11. Jahrhundert (QStudVcrfGDtReich 3,2), 1909, S. 66,72, und GROSSE, Gründung (wie Anm. 32), S. 8; A. GAUERT, Struktur und Topographie (wie Anm. 7) S. 6; Eggers und Grosse neigen zu der Ansicht, Otto der Erlauchte habe Quedlinburg durch Tausch oder Kauf erworben, doch ist wohl eher an unrechtmäßige An- eignung zu denken; vgl. K. LÜBECK, Die sächsischen Könige und das Kloster Hersfeld, in: SachsAnh 17 (1941/42/43), S. 63 f. mit Hinweis auf vergleichbar unrechtmäßige Erwerbungen Ottos aus hersfcldischem Besitz im Friesenfeld und Hochseegau (vgl. UB Hersfeld, wie Anm. 35, Nr. 37 <N> ). Vgl. ferner E. HLAWITSCHKA, Untersuchungen zu den Thronwechseln der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts und zur Adelsgeschichte Süd- deutschlands (VortrrForsch Sonderbd. 35), 1987, S. 28.

42 Vgl. oben Anm. 29. Erdmanns Ansatz �um

900" (DERS., Beiträge 4, wie Anm. 5, S. 86) dürfte zu früh liegen. 43 SCHEIBE, Studien (wie Anm. S) S. 5; ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 89; WÄSCHER, Burgberg (wie

Anm. 6) S. 9 u. ö.; GAUERT, Struktur und Topographie (wie Anm. 7) S. 7.

44 Vgl. oben Anm. 18 und unten Anm. 51 (P. GRIMAt). 45 SCHLESINGER, Burgen und Burgbezirke (wie Anm. SO) S. 166.

46 Eine umfangreiche Bautätigkeit in den Jahren 919-922, in denen Heinrich I. vordringlich um die Durchset- zung seiner Königsherrschaft außerhalb Sachsens bemüht war, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Vgl. zu den Anfängen des Königtums Heinrichs I. zusammenfassend G. ALTHOFF, H. KELLER, Heinrich I. und Otto der Große (Persönlichkeit und Geschichte 122/23), 1985, S. 66ff.; H. BEUMANN, Die Ottonen (Urban-Taschenbücher 384), 3. Aufl. 1994, S. 32ff.

47 H. LU'FELT, Thietmar von Merseburg. Reichsbischof und Chronist (MitteldtForsch 72), 1973, S. 64. Thietmar, Chronik (wie Anm. 48), Einleitung S. XVI. Danach verblieb Thietmar in Quedlinburg bis zu seinem 12. Lebensjahr (987).

48 Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung, cd. R. HOLTZMANN (MGH SSrerGerm NS. 9), 1935, I, 18, S. 24:

... (Heinrich I. ) Miminlevo n: oritur, et in Quidilingaburch, quan: ipse a fundamento construxit, sepultus, a cunctis optimatibus merito defletur

... 49 Vgl. LORENZ, Werdegang (wie Anm. 4) S. 40; ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 167; vgl. auch DENS.,

Die Burgenordnung Heinrichs I., in: DA 6 (1943); Wiederabdr. in: DERS., Ottonische Studien (wie Anm. 5) S. 131-

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Doch ist diese Deutung keineswegs zwingend. Denn will man die Worte a fundamento

construxit nicht unnötig relativierenS0, so muß auch die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden, daß Heinrich I. die Quedlinburg schon in seiner Zeit als Herzog �von Grund auf errichtet hat" oder doch zumindest damit begonnen hatten'. Nach der Übernahme der Königsherrschaft jedenfalls hat Heinrich die bestehende Burg mit dem Iiudolfingischen Hausgut am Ort ganz in den Dienst des Reiches gestellt, und zwar in bevorzugter Weise.

II.

Heinrich I. und auch seine Gemahlin Mathilde müssen starke persönliche Bindungen zu Quedlinburg entwickelt haben, aus welchen Gründen, wissen wir nicht52. Als der König in den Jahren 927 und 929 für den Fall seines Todes Mathilde mit Witwengut aus seinem Erbe ausstattete, stand Quedlinburg an erster Stelle (daneben werden die ebenfalls recht bedeutenden Königshöfe bzw. Pfalzen in Pöhlde, Nordhausen und Grone genannt; ferner Duderstadt)53. In Quedlinburg ist Heinrich I. - sicher auf eigenen Wunsch - dann auch 936 begraben worden54, und hier hat sich Mathilde - soweit bekannt - in ihrer mehr als

173, hier insbcs. S. 62f.; SCHEIBE, Studien (wie Anm. S) S. S; SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 95, und zuletzt FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 13 f.

90 Vgl. ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 90 f., der Thietmars Angaben über Burgenbau als allgemein nicht zuverlässig bezeichnet. SCHEIBE, Studien (wie Anm. S) S. 5 erklärt Thietmars Zeugnis in der Weise, daß der von Heinrich

�zwischen 927 und 934" veranlaßte Umbau so tiefgreifend gewesen sei, �daß cs Thictmar von Morseburg

erscheinen konnte, als habe der König sie a fundamento` errichtet". Anders W. SCHLESINGER, Burgen und Burg- bezirke. Beobachtungen im mitteldeutschen Osten, in: Von Land und Kultur. Festschrift für Rudolf KÖTZSCHKE, hg. von W. EIIMIERICH, 1937, Wicderabdr. in: W. SCHLESINGER, Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfas-

sungsgeschichte des Mittelalters, S. 166 (mit Nachtrag S. 475). Vgl. auch unten 5.207.

s' Betont vorsichtig hat sich von archäologischer Seite P. Grimm zu diesem Problem in seinen späteren Arbeiten

geäußert, indem er die Frage der Zeitstellung gänzlich offen ließ ; vgl. zuletzt P. GRIMM, Zu ottonischen Märkten im westlichen Mittclclbe- und Saalegebiet, in: Vor- und Frühformen der europäischen Stadt im Mittelalter, Teil 1, hg. von H. JANKUHN, W. SCHLESINGER, H. STEUER (AbhhAkdWissGött, Phil. -hist. Kl. Nr. 83), 1973, S. 334:

�Heinrich I. baut die Stelle einer Fluchtburg auf einem Felsen mit allseitigem Steilhang zu einer festen Burg aus". 52 Als traditionsstiftend für die wiederholten Osteraufenthalte in Qucdlinburg sieht G. ALTHOFF, Gandcrsheim

und Qucdlinburg (wie Anm. 10) 5.129 den Hoftag des Jahres 922 an, auf dem sich Heinrich I. den Sachsen nach dreijähriger Abwesenheit erstmals als König zeigte; zudem rechnet Althoff damit, daß auf diesem Osterhoftag Heinrichs I. gleichnamiger Sohn geboren wurde.

" MGH DH I 20: ... cum consensu et astipulatione filii nostri Ottonis et episcoporum procerumque et comitum peticione dulcissimae coniugi nostrae Mahthildae potestativa mann tradimus et donamus quicquid propriae he-

reditatis in praesenti videre habeinur in locis infra nominatis - haec eizim sunt: Quitilingaburg, Palidi, Nordhase, Gronaa, Tutersteti - cum civitatibus et omnibus ad praedicta loco pertinentibus in ins propritmt concessimus,

... - Die Wittumsvergabe des Jahres 927 ist lediglich in einem kurzen Regest aus dem 17. Jahrhundert überliefert (abgedruckt ebd. S. 56). Damals fehlte unter den 929 genannten Orten noch Grone, dafür enthielt das Wittum Zinsabgaben in Wofflcben und Gudcrsleben (beide nordwestl. Nordhausen gelegen), die aber 929 wohl als Zu- behör von Nordhausen stillschweigend mit erfaßt wurden. Vgl. M. GOCKEL, Art. Nordhausen, in: Königspfalzen 2 (wie Anm. 28) 4. Lfg. (1991), 5.376 f. Die Erneuerung des \Vttums für Mathilde auf dem Qucdlinburger Hoftag Heinrichs I. am 16.9.929 erfolgte im Rahmen der sog. Hausordnung des Königs. Vgl. K. SCHMID, Neue Quellen

zum Verständnis des Adels im 10. Jahrhundert, in: ZGORh 108 (1960); Wicdcrabdr. in: E. HLAWITSCHKA (Hg. ), Königswahl und Thronfolge in ottonisch-frühdeutscher Zeit (Wege der Forschung 178), 1971, S. 389-416. K. SCHMID, Die Thronfolge Ottos des Großen, in: ZSRG Gerni. 81 (1964); Wiederabdr.: HLAWITSCHKA, Königswahl und Thronfolge, 5.417-508.

5' Reg. Imp. Heinrich I. 55b; G. WAITZ, Jahrbücher des deutschen Reichs unter König Heinrich I., 3. Aufl., 1885, Ndr. 1963, S. 174; ERDMANN, Grab Heinrichs I. (wie Anm. S) S. 31 ff.

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dreißig Jahre langen Witwenzeit vorzugsweise aufgehalten". 968 ist sie neben ihrem Gemahl bestattet worden56. Mit ihrer Person verknüpft sich auch die für die weitere Geschichte des Ortes einschneidende Maßnahme der Gründung eines Damenstifts auf dem Burgberg, die Otto I. in einer seiner ersten Regierungshandlungen nach der Rückkehr von der Aachener Krönung im September 936 rechtsförmlich bestätigt hat57.

Klostergründungen dieses Ranges bedurften selbstverständlich sorgfältiger Vorbereitung

und Planung, was die personelle Besetzung sowie die räumliche, materielle und rechtliche Ausstattung des in Aussicht genommenen Konvents betraf, bedurften aber auch der Ab-

stimmung mit den davon unmittelbar Betroffenen, was mitunter zu Interessenkollisionen

und Konflikten führen konnte. Es gibt starke Indizien für die Annahme, daß auch die Planung und Durchführung der Quedlinburger Klostergründung auf dem Burgberg von erheblichen Schwierigkeiten solcher Art begleitet warenS8.

Folgt man der Darstellung der um 973/74 im königlichen Stift Nordhausen oder mög- licherweise sogar in Quedlinburg entstandenen älteren Mathildenvita, dem zeitnächsten Bericht unter den historiographischen Zeugnissen über diese Vorgänge59, so war der Plan einer Klostergründung in Quedlinburg noch zu Lebzeiten Heinrichs I. gefaßt worden6o Gedacht war an die Verlegung des Nonnenklosters in Wendhausen (dem heutigen Thale)61

56 Vgl. unten S. 198 f. 56 Thietmar, Chronik (wie Anm. 48) II 18, S. 60f.; Vita Math. ant. (wie Anm. 59) c. 14, S. 139. Vgl dazu R.

KöPKE, E. DÜMMLER, Kaiser Otto der Große (Jahrbücher der deutschen Geschichte), 1876; Ndr. 1962, S. 440 f.; ERDMANN, Grab Heinrichs I. (wie Anm. 5); DERS., Beiträgt 4 (wie Anm. 5) 5.101 f.; K. VOIGTLÄNDER, Die Stifts- kirche St. Scrvatii zu Quedlinburg. Geschichte ihrer Restaurierung und Ausstattung, 1989,5.101 ff.; E. LEHMANN, Die

�Confessio" in der Servatiuskirche zu Quedlinburg, in: Skulptur des Mittelalters. Funktion und Gestalt, hg.

von F. MöBlus, E. SCHUBERT, 1987, S. 9 ff.

57 MGH DO I 1. Vgl. unten Anm. 198. Zu den Vorgängen selbst KÖPKE/DÜMMILER, Otto der Große (wie Anm. 56) S. 42 ff.; GROSSE, Gründung (wie Anm. 32) S. 16 ff.; ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 88 f.; SCHEIBE, Studien (wie Anm. S) S. Sff.; STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) 5.150; FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 16f.

18 Wichtige Anregungen zum Folgenden verdankt Verf. dem oben Anm. 8 zit. Vortrag von D. Claude. 59 Vita Mathildis reginae antiquior c. 4, in: Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde, hg. von B. SCHÜTTE

(MGH SSrerGerm 66), 1994, S. 120-122. Vgl. auch Vita Mathildis reginae posterior c. 7, ebd. S. 158. Zu Abfas- sungszeit, Entstehungsort, Verfasserfrage und Quellenwert der beiden Mathildenviten vgl. jetzt die Einleitung zur Neuedition, ebd. S. 9 ff. Dazu die eingehenden Erörterungen DESS., Untersuchungen zu den Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde (MGH Studien und Texte 9), 1994, insbes. S. 1 ff., 76ff.

60 Vita Math. ant. c. 4, S. 120 f.: ...

Hec studiose peragentes, ipsis quoque cenobia constrnentibtts divino animum indulgebant monittt. Qui dum principibus militum sue mentis affectum confabulando intimarent, illi statin: regi suggesserunt dicentes sanctimoniales in Winedhusen intra sepem cenobii clausas Quidilingaburg posse trattsferri; narr in eodem monasterio principum filie transigunt vitam, quas ibi inanere 7ntdtornn: pro penuria displicuit parentibus. His ergo sermonibus ita dispositis rex solito more venandi Botfelden adiit ibique gravi pestis occttpattts est vexatione. Sed cum morbo gravescente solutionem corporis imminere sentiret, inde viam ad Erpesford direxit, quo cunctos illius ditioni sttbditos adesse praecipiens de regni statu consilium habere cepit. Venerat et abbatissa iussu reges, quae praedicto preerat cenobio, quarr rex einsque compar prioris non inmentores desiderii praedictas dei famulas in Quidilingaburg transvehi postttlabant. Hanc eorum illa peticionem gratanter accipiens et plttribtts principum id suadentibus, tit rex ordinaverat, perfici debere annuit. - Gegenüber dem Bericht der älteren Mat- hildenvita besitzt der der jüngeren Lebensbeschreibung (vgl. oben Anm. 59) keinen eigenständigen Quellenwert; allerdings wird hier c. 7,5.121 im Unterschied zur Vorlage der Name der Wendhäuser Äbtissin Dietmot aus- drücklich genannt.

61 B. SCHWINEKÖPER, Art. Thale, in: Handb. der historischen Stätten (wie Anm. 18) S. 462f. Wendhausen war als Stiftung des Harzgaugrafen Hessi und seiner Tochter Gisela (vor 840) einer der ältesten Konvente in Ostsachsen. W. GROSSE, Das Kloster Wendhausen, sein Stiftergeschlecht und seine Klausnerin, in: SachsAnh 16 (1940), 5.45- 76; H. BEUMANN, Pusinna, Liudtrud und Mauritius, in: Ostwestfälisch-weserländische Forschungen zur geschicht-

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nach Quedlinburg. Dieser Vorschlag sei von den Großen gemacht worden, mit denen sich das Herrscherpaar in dieser Frage beraten hatte. Sie hätten auf Klagen der Eltern der in Wendhausen aufwachsenden adligen Töchter wegen angeblich unstandesgemäßer Unter- bringung hingewiesen, ein sicherlich nur vorgeschobener Beweggrund, der die eigentlichen Motive der Großen nicht erkennen läßt. Nach dem Bericht der Vita kann allerdings kein Zweifel sein, daß das Herrscherpaar den ihm willkommenen Vorschlag der Verlegung der Wendhäuser Nonnen nach Quedlinburg ernsthaft verfolgt hat, auch nachdem der König im Herbst des Jahres 935 während eines Jagdaufenthaltes in Bodfeld schwer erkrankt warb Da es zur Verlegung des Konvents vor allem des Einverständnisses der Wendhäuser Äbtissin Dietmot bedurfte, war diese zum Erfurter Hoftag des Königs im Frühsommer 93663 geladen worden. Offensichtlich konnte dort auch die Zustimmung der Äbtissin zur Verlegung ihres Klosters nach Quedlinburg erreicht werden, ohne daß damals jedoch schon rechtlich verbindliche Regelungen über die Modalitäten getroffen worden sein können. Denn nach dem baldigen Tod Heinrichs I., so berichtet die Mathildenvita, habe sich die Äbtissin geweigert, die Absprache einzuhalten64. Die Vermutung liegt nahe, daß der Grund für den plötzlichen Sinneswandel der Äbtissin mit der veränderten Situation zusammenhing. Hatte Dietmot bis dahin wohl davon ausgehen können, auch nach der Verlegung ihres Konvents auf den Quedlinburger Schloßberg ihre Leitungsfunktion wie in Wendhausen weiter ausüben zu können, so war nach dem Tod des Königs nun zu erwarten, daß sich Mathilde künftig vorzugsweise auf ihrem Witwengut in Quedlinburg aufhalten und selbst die Leitung des Konvents übernehmen würde.

Nach dem Bericht der Vita muß man den Eindruck gewinnen, als habe sich die Köni- ginwitwe schließlich doch mit ihrem Vorhaben gegen die Wendhäuser Äbtissin durchsetzen können, unter Beistand ihres Sohnes Otto und anderer Großer, wie ausdrücklich hinzuge- fügt ist6S. Aber diese Darstellung verschleiert die Problematik der Stiftsgründung völlig. Tatsächlich ist es zur Verlegung des Wendhäuser Konvents gar nicht gekommen, allenfalls können einige Wendhäuser Nonnen nach Quedlinburg übergesiedelt sein. Denn Kloster Wendhausen blieb in der Folgezeit bestehen, verlor allerdings seine Selbständigkeit und wurde dem neugegründeten Stift in Quedlinburg inkorporiert".

liehen Landeskunde, hg. von H. STOOS, 1970; Wiederabdr. in: H. BEUMANN, Wissenschaft vom Mittelalter, 1972, S. 109-133.

61 Reg. Imp. Heinrich I. Sla. 63 M. GOCKEL, Art. Erfurt, in: Königspfalzen 2 (wie Anm. 28), 2. Lfg. (1984), S. 115 f. (936 vor Juli 29). Nach

SCHMID, Thronfolge (wie Anm. 53) S. 432 Anm. 55 hat die Reichsversammlung �eher"

im Mai des Jahres statt- gefunden.

61 Vita Math. ant. (wie Anm. 59) c. 4, S. 121: Tunc (d. h. nach dem Begräbnis Heinrichs I. ) regina immobilis suum velle cupiens inpleri puellarum catervan: illuc transferri admonuit, quod abbatissa prinumn firmiter negando prohibuit.

6s Ebd. S. 121 f.: Sed quid plura? Regina, frlio auxiliante scilicet Ottone rege aliisque principibus, voti compos effecta eandem dehinc cellam magna mentis intentione cuncta, quibus opus erat, ministrando coinponebat.

66 Vgl. MGH DO 11: M4onasterium itaque Vuinethahusun mmulpatun:... cum omnibus quae sanctimoniales ibidenz antea in suum habuerunt servitium praedictae congregationi in Quidilingoburg in proprietatem condo- namus. - Den Tatbestand bestätigt auch der päpstliche Schutzbrief für das Servatiusstift von 999; Reg. Imp. (Papstrcgestcn) Silvester II. 874; vgl. unten Anm. 91. ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 95; GROSSE, Wend- hausen (wie Anm. 61) S. 58f. sowie BEUnIANN, Pusinna, Liudtrud und Mauritius (wie Anm. 61) S. 110 rechnen nicht mit einer Verlegung des Klosters, halten aber wohl die Übersiedlung einzelner Kanonissen nach Quedlinburg für möglich. FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 17 geht in Anknüpfung an den Bericht der Vita Math.

ant. dagegen von einer tatsächlich erfolgten Verlegung aus. SCHÜTTE, Lebensbeschreibung (wie Anm. 58) S. 122

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Aber nicht allein vom Widerstand der Wendhäuser Äbtissin gegen die Verlegung ihres Klosters scheint die Quedlinburger Stiftsgründung überschattet gewesen zu sein, sondern offenbar auch von Differenzen zwischen Mathilde und ihrem Sohne Otto. Es ist von der Forschung längst bemerkt worden, daß im Diplom Ottos I. vom 13. September 936, mit dem die Stiftsgründung von Quedlinburg rechtsförmlich bestätigt wurde, das Wirken Mat- hildes für diese Klostergründung mit keinem Wort erwähnt wird 67. Als Erklärung für diesen merkwürdigen Tatbestand bot sich das bekanntermaßen gespannte Verhältnis zwischen Otto und seiner Mutter seit deren Eintreten für die Thronkandidatur des jüngeren Bruders Hein- rich an68. Es gibt allerdings noch eine andere Erklärung, die sich unmittelbar aus der Grün- dungsgeschichte des Quedlinburger Konvents ableiten läßt und deren Problematik neu be- leuchtet. Denn wie aus DO I1 zu erschließen ist, hatte der König aus unbekanntem Anlaß Klerikern, die auf dem Burgberg �Gott

dienten", eine Schenkung gemacht, zu deren Rück- nahme und Übertragung an das Kanonissenstift er sich jetzt genötigt sah69. Über den Zeit- punkt und den Zweck der Schenkung Ottos I. an die Kleriker erhalten wir ebensowenig Auskunft wie über die Gründe für deren Rücknahme. Sie müssen jedoch zwingend gewesen sein. Die Vermutung liegt nahe, daß Ottos frühere Maßnahme der Gründung und Ausstat- tung des Kanonissenstifts am Ort im Wege stand. Offen bleibt jedoch die Frage nach Zahl, Herkunft und spezifischer Aufgabe der erwähnten Geistlichen auf dem Burgberg, von deren Existenz wir in diesem Zusammenhang erstmals Kenntnis erhalten.

Carl Erdmann hat die Auffassung vertreten, bei diesen Geistlichen habe es sich um An- gehörige eines schon seit hersfeldischer Zeit bestehenden Männerkonvents bei St. Wiperti gehandelt. Dabei ging er von der Annahme aus, daß St. Wiperti seinen Standort ursprünglich auf dem Burgberg hatte und erst im Zuge der Gründung des Kanonissenstifts, also 936, an seinen heutigen Platz im Tal verlegt worden sei70. Aber weder für eine solche Verlegung der Kirche noch für die Existenz einer frühen, bereits im 9. Jahrhundert erfolgten Stifts- gründung in Quedlinburg gibt es sichere Anhaltspunkte7'. Andererseits ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß die in DO I1 genannten Kleriker nicht erst 936, sondern schon zuvor mit geistlichen Aufgaben am Ort betraut waren'. Berücksichtigt man, daß Heinrich I. mit seinem Hof das Osterfest offenbar vorwiegend in Quedlinburg beging und es zur Durchführung einer würdigen Feier dieses höchsten kirchlichen Feiertages eines angemessenen geistlichen Apparates bedurfte, so ist es durchaus denkbar, daß Heinrich schon frühzeitig Kleriker für die dauerhafte geistliche Versorgung seiner �Lieblingspfalz"

Anm. 92 meint, der Widerstand der Äbtissin Dietmot sei dadurch hervorgerufen worden, daß man innerhalb der königlichen Familie nach dem Tod Heinrichs I. den ursprünglichen Plan aufgegeben hatte, so daß Dietmot

�mit den weniger vornehmen Damen" in Wendhausen zurückbleiben mußte. Dieser Deutung dürfte jedoch eine Ver- wechslung von Ursache und Folge zugrundeliegen. Erst aufgrund der Weigerung der Äbtissin mußte der Grün- dungsplan umgestellt werden.

67 Rcg. Imp. Otto I. 57 und zuletzt BEUMANN, Ottonen (wie Anm. 46) S. 56. 68 BEUMANN a. a. O. sowie zuletzt eingehend auch J. LAUDAGE, Hausrecht und Thronfolge. Überlegungen zur

Königserhebung Ottos des Großen und zu den Aufständen Thankmars, Heinrichs und Liudolfs, in: HJb 112 (1992), S. 23-71, bes. 5. SS f. sowie SCHÜTTE, Untersuchungen (wie Anm. 59) 5.98 ff.

69 MGH DO I 1: Et ut idem conventus illic certum famulatum obtineat, urbem in Quidilingoburg supra montem constructam cum curtilibus et cunctis aedificiis inibi constrw. tis et quicquid clericis in eodem loco domino servientibus prius concessum habuimus et nonam partem ex omni conlaboratu eiusdem curtis, similiter et in locis subnotatis...

70 ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 88 f. u. ö. 71 Vgl. unten 5.206 f. Dazu schon die Bedenken bei STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) 5.151 f.

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eingesetzt hatte72. Entsprechend den Vorschriften des Kirchenrechts wäre an sich davon auszugehen, daß diese Geistlichen zu einem Stiftskonvent zusammengeschlossen waren. Doch ist es fraglich, ob im frühen 10. Jahrhundert, eineinhalb Jahrhunderte vor Abfassung des Decretum Gratiani, in einem kirchlich noch rückständigen Gebiet wie Ostsachsen alle kirchlichen Rechtssatzungen tatsächlich so rigoros befolgt worden sind73.

Ungeachtet dessen bleibt die Frage zu klären, aus welchem Anlaß und zu welchem Zweck Otto I. jener Gruppe von Klerikern 936 eine Schenkung zugewandt hat. Sollte jenen Geist- lichen von Otto die Aufgabe der Totensorge für seinen Vater zugedacht gewesen sein und die Schenkung ihrer materiellen Ausstattung gedient haben? Diese Maßnahme müßte erfolgt sein, bevor Mathilde ihr Vorhaben der Stiftung eines Frauenkonventes in Quedlinburg in die Tat umgesetzt hatte, da sie dieser dann offensichtlich im Wege gestanden hat. Hält man sich an das Zeugnis Thietmars von Merseburg, so hat die Königinwitwe die Stifts- gründung am 30. Tag nach dem Tode Heinrichs I., also am 31. Juli 936, vorgenommen 74, bemerkenswerterweise in Abwesenheit ihres Sohnes, der wenige Tage später in Aachen den Königsthron bestieg7S. Ottos Schenkung an die Kleriker auf dem Burgberg wäre dann vor der Stiftsgründung der Mathilde, im Verlaufe der Begräbnisfeierlichkeiten für Heinrich I. in Quedlinburg, oder kurze Zeit später erfolgt76.

Für eine solche Maßnahme gab es plausible Gründe. Denn zum einen hatte sich mit dem Ableben Heinrichs I. plötzlich die Notwendigkeit des Totengedenkens an seinem Grabe ergeben, und zum anderen war zu jener Zeit noch nicht absehbar, welchen Ausgang die Bemühungen Mathildes um die Verlegung des Wendhäuser Konvents nach Quedlinburg nehmen würden, gegen die sich Äbtissin Dietmot so hartnäckig stemmte. Offensichtlich hatte Otto I. die Situation aber falsch eingeschätzt. Denn seine Mutter ließ sich keineswegs von ihrem Vorhaben der Gründung eines Kanonissenstifts auf dem Burgberg abbringen, wie ihr rasches und wohl auch eigenmächtiges Handeln unmittelbar vor der Thronbestei- gung Ottos in Aachen erweist. Wenn nicht alles täuscht, so haben sich also Mutter und Sohn in dieser kurzen Zeit der Thronvakanz in der Frage der Stiftsgründung und des künftigen Totengedenkens am Grabe Heinrichs I. von durchaus unterschiedlichen Vorstel- lungen, ja konkurrierenden Absichten leiten lassen, wobei jeder von beiden offensichtlich bestrebt gewesen ist, möglichst rasch vollendete Tatsachen zu schaffen.

72 J. FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle der deutschen Könige 2: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche (SchrriN1GH 16/2), 1966, S. 8 f. mit Anm. 25; DERS., Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 16 f.; vgl. auch ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. 5) S. 89. - Sichere Aussagen über das Alter des vermuteten Kanonikcrkonvcnts auf dem Burgberg sind dem Diplom - dies sei ausdrücklich betont - nicht zu entnehmen. So ist auch die von D. Claude vertretene Ansicht keineswegs von der Hand zu weisen, daß die clerici erst 936 eingesetzt worden sind. D. CLAUDE, Die Pfalz Dahlum, in: Festschrift für Helmut Bcumann zum 65. Gcb., hg. von K. U. JÄSCHKE, R. WENSKUS, 1977, S. 198 mit Anm. 112. Die Schenkung Ottos I. kann nach Lage der Dinge erst kurz zuvor erfolgt sein. Welche Liegenschaften oder Nutzungsrechte diese Schenkung umfaßt hatte, ist aufgrund der summarischen Angabe der Urkunde nicht zu sagen; vgl. oben Anm. 69; ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 88.

73 So D. Claude in dem oben Anm. 8 zit. Vortrag. 74 Thietmar, Chronik (wie Anm. 48) I, 21 S. 26ff.: Congregationem quoque sanctimonialium in die tricesima

in supra memorata erbe statnit et buic, quantum ad victus et sui vestitns necessaria snppetebat, ex sua proprietate, laudantibta hoc suimet fliis, concessit et scriptis confrmavit. - Vgl. ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. 5) S. 88. FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 16, meint, das Vorhandensein der Kanoniker sei für die Wahl Quedlinburgs als Grablege nicht ohne Bedeutung gewesen: ,,... denn durch sie war zugleich das ständige Gebet am Grabe des Königs garantiert".

7S Reg. Imp. Otto I. 55g, h. 76 So schon ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. 5) S. 88 f.

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Juristisch war Mathilde zweifellos in der günstigeren Position, da Quedlinburg Teil ihres Wittums war, über das Otto nicht ohne ihr Einverständnis verfügen konnte. Andererseits konnte aber auch Mathilde nach den Rechtsvorstellungen der Zeit nicht ohne Zustimmung des Königs Witwengut, das ihr lediglich zur Nutznießung überantwortet war, veräußern". Wie dieser Konflikt im einzelnen ausgetragen worden ist, bleibt offen. Im Ergebnis jeden- falls hat sich Otto I. die Konzeption Mathildes zu eigen gemacht, ihre Stiftung bestätigt

und die bis dahin noch ausstehende materielle und rechtliche Fundierung des Konvents vollzogen. Ob Mathilde diesem Rechtsakt auf dem Quedlinburger Hoftag des Königs im September 936 persönlich beigewohnt hat, wissen wir nicht. Der Wortlaut des Diploms und die geschilderten Umstände sprechen eher dagegen.

Von einer beträchtlichen Entfremdung zwischen Mutter und Sohn in den ersten Regie- rungsjahren Ottos I. wissen Genaueres nur die beiden Mathildenviten zu berichten, wobei diese Differenzen darauf zurückgeführt werden, daß Otto auf Anstiftung ungenannter Großer seiner Mutter die Mittel zur Ausstattung von Kirchen und Klöstern verweigert habe. Darüber hinaus sei Mathilde sogar dazu gedrängt worden, den Teil des Reichsguts zu verlassen, der ihr als Heiratsgut zugewiesen war; gemeint sein dürfte damit neben der Morgengabe Wallhausen auch das ihr 927/29 überlassene Wittum. Daraufhin habe sich die Königinwitwe auf ihr väterliches Erbgut in Enger zurückgezogen. Erst durch Vermitt- lung von Ottos Gemahlin, Königin Edgitha, sei es 941 in Grone zur Versöhnung zwischen Mutter und Sohn gekommen78.

Nimmt man den vieldiskutierten Bericht79 wörtlich, so wäre Mathilde jahrelang Qued- linburg ferngeblieben, was durchaus unwahrscheinlich ist. Denn der Konvent stand nach allem, was wir wissen, von Anfang an unter der persönlichen Leitung der Königinwitwe, ohne daß sie förmlich in den Kanonissenstand eingetreten wäre. Sie hat dort neben der Leitungsfunktion als �Laienäbtissin" ihre Hauptaufgabe in der Memoria am Grabe Hein- richs I. gefunden, wovon noch die Rede sein wird. Für ihre Präsenz in Quedlinburg spricht auch das urkundliche Zeugnis einer Ende 937 in Quedlinburg erfolgten Schenkung Ottos I. für das dortige Kanonissenstift, die der König - wie ausdrücklich vermerkt - auf Fürsprache seiner Mutter vollzogen hat80. Vor dem Hintergrund des Tauziehens um die Quedlinburger

77 M. STIMMING, Das deutsche Königsgut im 11. und 12. Jahrhundert, Teil 1 (HistStudd 149), 1921, S. 42f.; K. und M. UHLIRZ, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Otto II. und Otto III., Bd. 2: M. UHLIRZ, Otto III. 983-1002,1954, S. 446.

78 Vita Math. ant. (wie Anm. 59) c. Sf. S. 122ff.; Vita Math. post. c. 11-13 S. 167ff. 79 Aus der umfangreichen Lit. seien genannt: M. LINTZEL, Königin Mathilde, in: Westfälische Lebensbilder 5

(1937), S. 161-175; L. BORNSCHEUER, Miseriae Regum. Untersuchungen zum Krisen- und Todesgedanken in den herrschaftstheologischen Vorstellungen der ottonisch-salischen Zeit (ArbbFrühMAForsch 4), 1968, S. 96 f.; P. CoR- BET, Les saints ottonicns. Saintete dynastique, saintete royale et saintetc feminine autour dc l'an Mil (Francia Beih. 15), 1986, S. 149 ff.; W. GLOCKER, Die Verwandten der Ottoncn und ihre Bedeutung in der Politik (DissMAG 5), 1989, S. 10ff.; G. ALTHOFF, Causa scribendi und Darstellungsabsicht: Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde und andere Beispiele, in: Litterae medii Aevi. Festschrift für Johanne Autenrieth zu ihrem 65. Geb., hg. von M. BORGOLTE, H. SPILLING, 1988,5.117-133 sowie jetzt in eingehender Auseinandersetzung mit der strittigen Problematik SCHÜTTE, Untersuchungen (wie Anm. 59) S. 62ff.

8D Es handelt sich um die Schenkung des Kleiderzehnten von Kirchberg und Dornburg sowie zugehöriger Ortschaften und mehrerer leibeigener Familien an das Servatiusstift; MGH DO I 18: ...

Noverint omnes fideles nostri praesentes scilicet et futuri, qualiter nos rogatu venerandae ac dilectae domnae matrisque nostrae Maht- hildae in Qvitilingobvrg ad sanctam Mariam et ad sanctum Servativm et ad nutrimen sanctin: onialium inibi deo famulantium pro remedio animae nostrae debitorumque nostrorum in proprium damuu

... - Zur Sache M. GOCKEL, Art. Dornburg, in: Königspfalzen 2 (wie Anm. 28) 2. Lfg. (1984), S. 98.

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Stiftsgründung im Vorjahr deutet die neuerliche königliche Schenkung am Ort vielmehr auf ein zwischenzeitlich erreichtes Einvernehmen zwischen Mutter und Sohn in dieser An- gelegenheit. Da von einer Äbtissin bzw. Leiterin des Konvents auf dem Schloßberg sonst nichts verlautet und Mathilde auch späterhin den Konvent selbst geführt hat (bis 966), wird man gerade für die schwierigen Aufbaujahre kaum mit einer längeren Abwesenheit der Königinwitwe von Quedlinburg rechnen dürfen.

Diese Zweifel am Wahrheitsgehalt des Berichts der beiden Mathildenviten werden auch durch das Ergebnis der von Bernd Schütte jüngst vorgelegten quellenkritischen Erörterun- gen zu diesem Komplex gestützt. Danach dürfte der motivgeschichtlich stark an hagiogra- phischen Vorbildern wie den Radegunden-Viten bzw. der Vita Sigiramni orientierte Bericht über das angebliche Zerwürfnis zwischen Mathilde und Otto I. weniger als Reflex eines konkreten Anlasses aus den Anfangsjahren seiner Regierung zu deuten sein. Vielmehr spie- gelt sich darin ganz allgemein �die angespannte Familiensituation der Liudolfinger von der sogenannten Hausordnung des Jahres 929 bis zum letzten Aufstand gegen Otto I. im Jahre 955" wider81.

Kehren wir noch einmal zur Stiftsgründung des Jahres 936 und der aus diesem Anlaß erfolgten Privilegierung durch König Otto I. zurück. Ausgestattet wurde der Konvent mit der bestehenden Burganlage samt aller zugehörigen Gebäude, vor allem natürlich mit der im Burgbereich gelegenen Kirche82. Reicher Besitz und Einkünfte aus Königsgut an zahl- reichen Orten des Harzgebietes und darüber hinaus kamen hinzu83. Ausgenommen von der Schenkung, und das ist besonders zu betonen, blieb in Quedlinburg selbst die zum Wittum Mathildes gehörige curtis - gemeint ist in diesem Zusammenhang offensichtlich der kö- nigliche Wirtschaftshof im Tal bei St. Wiperti -, von deren Erträgen lediglich ein zweiter Fiskalzehnt, die Non, der neuen Stiftsgründung zukommen sollte84. Offen bleibt die Frage nach dem Schicksal der Kleriker, nachdem der König die ursprünglich ihnen zugewandte Schenkung anläßlich der Ausstattung des Kanonissenstifts wieder zurückgenommen hatte. Der Annahme, daß die Kleriker als eigener Konvent bei der bestehenden Pfarrkirche St. Wiperti im Tal angesiedelt worden sind85, steht die Tatsache entgegen, daß eine solche Stiftsgründung bei St. Wiperti erst 961/64 vorgenommen wurde, worauf zurückzukommen sein wird. Es ist vielmehr zu vermuten, daß die Kleriker eine neue Aufgabe an ihrem angestammten Platz erhalten haben. Denn da die Kanonissen in jedem Fall einer priester- lichen Versorgung bedurften, wäre es durchaus möglich, daß die genannten Geistlichen 936 in diese neue Funktion eingerückt sind86. Ausdrücklich belegt sind Stiftsgeistliche auf dem Burgberg allerdings erst später, erstmals 106987.

Rechtlich wurde das Quedlinburger Damenstift unmittelbar dem König unterstellt. Wie eingehend offensichtlich die Frage der künftigen Rechtsstellung des Stifts erörtert worden ist, läßt sich an der bekannten und in dieser Form einzigartigen Vogteibestimmung des Diploms ablesen. Otto unterwarf das Stift der Gewalt und dem Schutz des Königtums, behielt aber die Vogtei dem Mächtigsten seiner Sippe für den Fall vor, daß eines Tages

81 SCHOTTE, Untersuchungen (wie Anm. 59) S. 69. 82 Vgl. oben Anm. 69. 8' MGH DO I 1; dazu im einzelnen WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. 5) S. 118ff. 83 MGH DO I 1:

... et nonan: partent ex omni conlaboratu eiusdem curtis (seil. Quedlinburg). 85 ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 96f.; FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 17. 86 K. H. SCHÄFER, Die Kanonissenstifter im deutschen Mittelalter (KirchenrechtlAbhh 43/44), 1907, S. 95ff. 87 BAUERMANN, Anfänge (wie Anm. 34) S. 345 Anm. 267.

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kein Angehöriger seines Geschlechts mehr den Königsthron innehabe". Auf die zahlreichen und überaus strittigen Fragen, die sich mit der Deutung dieses Passus insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des deutschen Thronrechts verknüpfen, ist hier nicht weiter einzugehen89. In unserem Zusammenhang ist vielmehr an dieser Stelle schon darauf hinzu-

weisen, daß der angesprochene Eventualfall des Dynastiewechsels im Jahre 1024 zwar ein- getreten ist, die Quedlinburger Königsvogtei davon jedoch unberührt geblieben ist90.

Mit der Stiftsgründung des Jahres 936, die später - erstmals 947 - auch unter den besonderen Schutz des Papstes gestellt wurde91, trat Quedlinburg als Reichsabtei so be- rühmten königlichen Damenstiften wie Gandersheim, Essen und Herford zur Seite. Neben anderen traditionellen Aufgaben adeliger Konvente92 erfüllte das Quedlinburger Stift in der Folgezeit seine vornehmste Pflicht im Gebetsgedenken für die königliche Familie93. Mit dieser Funktion trat das Stift in Konkurrenz zum alten liudolfingischen Hauskloster Gan- dersheim, das rangmäßig bald hinter die Neugründung zurücktrat94. Ob dem Konvent diese zentrale Aufgabe der Memoria für die Königsfamilie schon in den ursprünglichen Planungen Heinrichs I. und Mathildes zugedacht war, läßt sich nur vermuten95. Das Diplom Ottos I. von 936 läßt indes keinen Zweifel an dieser Absicht zu96. Und in der Tat haben sich die Kanonissen auf dem Burgberg der

�ottonischen" Memoria auch von Anfang an in vollem Umfang angenommen. Einen sicheren Anhaltspunkt dafür bietet das von Gerd Althoff

88 MGH DO 11: Et si aliquis generationis nostrae in Francia ac Saxonia regalem potestativa mann possideat sedem, in illius potestate sint ac defensione praenuncupatum monasterium et sanctimoniales inibi in dei servitio congragatg; si autem alter e populo eligatur rex, ipse in eis sstarn regalem teneat potestatem sicut in ceteris catervis in obsequium sanctae trinitatis simili modo congregatis, nostrae namque cognationis qui potentissirnus sit, advocates habeatur et loci praedicti et eiusdem catervae.

89 K. HÖRGER, Die reichsrechtliche Stellung der Fürstäbtissinncn, in: AUF 9 (1926), S. 195ff., bes. S. 200,204, 207; SCHMID, Thronfolge (wie Anm. 53) 5.466 ff.; H. JAKOBS, Zum Thronfolgerecht der Ottonen, in: HLAWITSCH- KA, Königswahl und Thronfolge (wie Anm. 53) 5.516 ff. Kritisch zu Schmid: W. SCHLESINGER, Erbfolge und Wahl bei der Königserhebung Heinrichs II. 1002, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag, Bd. 3 (VeröffMPIG 36,3), 1972; Wiederabdr. in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 11) S. 238ff. sowie H. HOFFMANN, Zur Geschichte Ottos des Großen, in: DA 28 (1972); Wiederabdr. in: H. ZIMMERMANN (Hg. ), Otto der Große (Wege der Forschung 450), 1976, S. 9-45. Vgl. ferner HLAWITSCHKA, Untersuchungen (wie Anm. 41) S. 17ff.; BEUMANN, Ottonen (wie Anm. 67) S. 56; J. LAUDAGE, Hausrecht und Thronfolge (wie Anm. 68) S. 23-71.

90 Vgl. dazu unten S. 232f. 91 Reg. Imp. (Papstrcgcsten) Agapit II. 206 (Depcrditum). Vgl. auch die späteren Privilegien Johannes' XIII.

von 967 und Silvesters II. von 999; Papsturkunden 896-1046, bearb. von H. ZIMMERMANN, 1984/85, Bd. 1 Nr. 178, Bd. 2 Nr. 371.

92 Dazu allgemein jetzt M. PARISSE, Die Frauenstifte und Frauenklöster in Sachsen vom 10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, in: Die Salier und das Reich, Bd. 2: Die Reichskirche in der Salierzeit, hg. von ST. WEINFURTER, 1991,5.465-501, hier insbes. S. 474ff.; vgl. auch K. LEYSER, Herrschaft und Konflikt. König und Adel im otto- nischen Sachsen (VeröffMPIG 76), 1984, S. 105 ff.; ALTHOFF, Gandersheim und Quedlinburg (wie Anm. 10) 5.123- 144 (mit weiterer Lit. ).

" Grundlegend dazu ALTHOFF, Adels-und Königsfamilien (wie Anm. 10) 5.133 ff.; DERS., Gandersheim und Quedlinburg (wie Anm. 10) S. 123 ff.; vgl. ferner BORNSCHEUER, Miseriae regum (wie Anm. 79) S. 60 ff.

9d Dazu im einzelnen ALTHOFF, Gandersheim und Quedlinburg (wie Anm. 10) S. 130ff. 95 STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) T. 2, S. 429. 96 MGH DO 11: Noverint omnes fideles nostri tam praesentes quarr etiam et fttturi, qualiter nos ob amorern

dei omniumque sanctorum et pro remedio animae nostrae atque parentum successorumque nostrorum congrega- tionem sanctimonialium in Quidilingoburg statuere curavimus,... -Vgl. dazuALTHOFF, Adels- und Königsfamilien (wie Anm. 10) S. 173 f.: �Schon

die Gründungsurkunde stellte also die Weichen für die Pflege des Familiengeden- kens, wie es die späteren Historiographen in Erstaunen und Bewunderung versetzte". Vgl. auch die ebd. ange- führten weiteren Zeugnisse MGH DO I 61 und 228. Ergänzend zu nennen wäre das oben Anm. 80 zit. DO 118 von 937 Dez. 20.

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 201

erschlossene, 936 angelegte Quedlinburger Nekrolog, das späterhin als sog. Ergänzungs- schicht Eingang in die Memorialüberlieferung des Merseburger Hochstifts gefunden hat (1017/18)97. In weitgehender Vollständigkeit verzeichnet dieses Nekrolog die Todesfälle der ottonischen Familie und ihres Verwandtenkreises seit dem Tod Heinrichs 1.91. Unab- hängig davon tritt der hohe Stellenwert der ottonischen Memoria in Quedlinburg auch in der historiographischen Überlieferung des späteren 10. und des beginnenden 11. Jahrhun- derts entgegen. Dabei findet besonders die vorbildliche Pflege des Totengedenkens für Hein- rich I. durch die Königinwitwe Mathilde Erwähnung99. Gerühmt werden in diesem Zusam- menhang ihre Vorkehrungen zum feierlichen Begängnis der liturgischen Gedächtnistage, der Octav, des Tricesimus und des Dies anniversarius100. Die mit dem Totengedenken ver- bundene Speisung der Armen soll in Quedlinburg am Todestag des ersten Königs der ot- tonischen Dynastie stets ungewöhnliche Ausmaße angenommen haben101

Die herausragende Stellung des Quedlinburger Konvents als zentraler Stätte der ottoni- schen Memoria hat ihren Ausdruck nicht zuletzt auch in einer regen Bautätigkeit gefunden. Die Burg- bzw. Pfalzkapelle mit dem Grab Heinrichs I. hat schon seine Gattin Mathilde umbauen und beträchtlich erweitern lassen102. Spätestens seit 937 verfügte die Stiftskirche über Reliquien des hl. Servatius103. Unter verschiedenen anderen Altarpatrozinien hat sich das Servatiuspatrozinium dann an Stelle des zunächst dominierenden Marien- bzw. Petrus- patroziniums auf Dauer als Hauptpatrozinium der Kirche durchgesetzt104. Der Kult des Maastrichter Heiligen symbolisierte in besonderer Weise die Verbindung mit Lothringen105, jenem Reichsteil, dessen Gewinnung eine der bedeutendsten politischen Leistungen Hein- richs I. darstellte.

Der von Mathilde bald nach 936 begonnene Kirchenneubau, in dessen Krypta mit vor- gebauter �Confessio" die Stifterin selbst neben ihrem Gemahl 968 beigesetzt worden ist106,

97 ALTHOFF, Adels- und Königsfamilien (wie Anm. 10) S. 142 ff., 179 ff. 98 Zum Aufbau des Nekrologs im einzelnen ALTHOFF, Adels- und Königsfamilien (wie Anm. 10) S. 156ff. 93 Liutprand, Antapodosis IV, 15, in: Die Werke Liudprands von Cremona, cd. J. BECKER (MGH SSrcrGerm

41) S. 112f.; Thietmar, Chronik (wie Anm. 48) I, 21 S. 26f.; Vita Math. post. (wie Anm. 59) c. 8 S. 1S8, c. 17f. 5.179 ff. Dazu im einzelnen ALTHOFF, Adels- und Königsfamilien (wie Anm. 10) S. 166 ff.

10' Vita Math. post. (wie Anm. 59) c. 17 (Schluß) S. 181. 111 Ebd. C. 18 5.181 f. 102 LEOPOLD, Stiftskirche (wie Anm. 9) 5.149 ff.; DERS., Damenstiftskirche (wie Anm. 9) S. 7-20. Vgl. auch

SCHUBERT, Stätten (wie Anm. 9) S. 42ff. - Die bislang nur in Vorberichten publizierten Ergebnisse der Nachun- tersuchungen von G. Leopold zur älteren Baugeschichte der Servatiuskirche treten jetzt an die Stelle der in wich- tigen Punkten unzulänglichen und überholten Arbeiten von H. Wäscher und K. Schirwitz (wie Anm. 6). Zur Baugeschichte insgesamt VOIGTLÄNDER, Stiftskirchc (wie Anm. 56).

103 MGH DO I 18 (wie Anm. 80); vgl. auch DO I 172 (9S4 Mai 25): ... ad altare Quidilingeburg in honore sanctae Mariae constructum ac sancti Seruatii con lessons Christi....

101 Vgl. die Übersicht bei ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 99f.; vgl. auch VOIGTLÄNDER, Stiftskirche (wie Anm. 56) S. 183.

los H. BEUMANN, Die Bedeutung Lotharingiens für die ottonischc Missionspolitik im Osten, in: RhcinVjbll 33 (1969); Wicderabdr. in: DERS., Wissenschaft vom Mittelalter (wie Anm. 61) S. 377-409, bes. S. 380ff.; DERS., Ottonen (wie Anm. 46) S. 56. Nach Beumann geht die Übernahme des Scrvatiuspatroziniums auf Heinrich I., nicht erst auf Mathilde oder Otto I. zurück. Bemerkenswert für die weitere Rezeptionsgeschichte ist, daß auch der um 950 von Mathilde gestiftete Konvent in Pöhldc das Scrvatiuspatrozinium erhielt; vgl. MGH DO II 259 (981). Allgemein zum Scrvatiuskult M. ZENDER, Räume und Schichten mittelalterlicher Heiligenverehrung in ihrer Be- deutung für die Volkskunde, 1959, S. 68,83; J. DEETERS, Servatiusstift und Stadt Maastricht (RhcinArch 73), 1970, S. 36.

106 Vita Math. ant. (wie Anm. 59) c. 14 S. 139: ... Machtildis regina ... lnigravitque ad dominum II Idus

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202 ULRICH REULING

mußte schon wenige Jahre später einem noch größeren, 997 geweihten107, aber erst 1021 vollendeten'" vollständigen Neubau der Stiftskirche weichen, der dann seinerseits, nach einer verheerenden Brandkatastrophe (1070)109, durch den heutigen, 1129 geweihten"� hochromanischen Kirchenbau ersetzt worden ist.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß dem Stift bei seiner Gründung in Quedlinburg die Burg mit allen zugehörigen Gebäuden und darüber hinaus lediglich die Non von den Erträgen des Königshofes am Ort übertragen worden war"'. Im übrigen befanden sich der Königshof und das mit ihm verbundene Fiskalgut weiterhin im Besitz der Königinwitwe Mathilde als Teil ihres Wittums. Erst auf ihre Bitte hin übertrug Otto I. dann 961 diesen Komplex mit der zugehörigen Wipertikirche dem Servatiusstift mit der Auflage, daß ihn die zukünftige Äbtissin zur Ausstattung eines Männerkonvents von mindestens 12 Geistli- chen bei St. Wiperti vorsehe, dem ebenso wie den Kanonissen auf dem Burgberg die Me- moria für die ottonische Familie zugedacht war112. Daß mit dieser Stiftung tatsächlich eine Neugründung und nicht etwa, wie immer angenommen worden ist113, die zusätzliche Aus- stattung eines bereits bestehenden Konvents bei St. Wiperti beabsichtigt war, legen auch die wenigen historiographischen Zeugnisse über die Klostergründungen Mathildes nahe114

Marcii in Quidilingaburg civitate; ibique in basilica sancti Servacii episcopi et confessoris honorifice tradita sepulture iuxta sepulcrum domini sui Heinrici requiescit. Vita Math. post. (wie Anm. 59) c. 28 S. 201 f.; Thietmar, Chronik (wie Anm. 48) 11,18 S. 60.

107 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 997, S. 47. 108 Ebd. ad a. 1021, S. 86 f. 109 Ann. Hersfeld., MGH SS 5,5.177. 1D Annalista Saxo ad a. 1129, MGH SS 6, S. 766. 111 Vgl. oben 5.199 mit Anm. 84. 112 MGH DO 1228: ... quasdam res suae propriaetatis, quas usque huc dotali possidebat iure (scil. Mathilde),

cortem scilicet Quitilinga cum ecclesia in honore sancti Jacobi apostoli consecrata in eodem loco (d. i. St. Wiperti)

... cum villis sic nuncttpatis ... (es folgen 11 Orte) ...

Statuimus etiam zit abbatissa quae monasterium in monte situm regere videbitur, in ecciesia inferius in corte constitttta Saud minus quarr dttodecim clericos pro nostrartttn remedio animarum debitorumque toto victu et vestitu praevideat aevo. - Zehn Tage später erhielt das Servatiusstift eine nahezu gleichlautende Ausfertigung des Diploms aus der Hand Ottos II.; vgl. MGH DO II 1.

113 ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. 5) S. 88,96; FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 17. - Erdmann und Fleckenstein gehen davon aus, daß es sich um den 936 angeblich vom Schloßberg ins Tal verlegten Kanoni- kerkonvent gehandelt hat.

114 Vita Math. ant. (wie Anm. 59) c. 8 5.127: Nam eins (scil. Mathilde) animus deo magis ac ntagis intenttts et de virtute proficiens in virttttem, monasteria augendo Palithi clericortntt institttit catervam. Postea Quidilin- gaburg in valle, ea disponente, alia succrevit fratrum congregatio et in monte cenobitttn sanctimonialiutn, sed et alittd in propingtto loco Gerenrod. - Angesprochen sind damit die Konvente von Pöhlde, St. Wiperti und St. Servatii in Qucdlinburg sowie Gernrode. Danach wäre St. Wiperti postea, d. h. nach der Gründung des Klosters Pöhlde errichtet worden. Der Aussagewert dieser Nachricht wird jedoch durch die folgende Erwähnung der Stiftsgründung auf dem Quedlinburger Schloßberg insoweit relativiert, als diese in jedem Falle früher erfolgt ist. Da der Verfasser der Vita über den Zeitpunkt der von ihm selbst (c. 4) ausführlich geschilderten Stiftsgründung von St. Servatii Bescheid wußte, kann die nochmalige Erwähnung in diesem Zusammenhang und an dieser Stelle eigentlich nur die Funktion einer Klarstellung für den Leser haben: in valle ...

fratrum congregatio - in monte cenobium sanctimonalium. Vgl. A. BüsING, Mathilde, Gemahlin Heinrichs I., Diss. Halle 1910, S. 70. Dagegen ist die Mathilde ebenfalls zugeschriebene Gründung des Stifts Gernrode, die bekanntlich auf Markgraf Gero zurück- geht, eine Fiktion. Da die ältere Mathildenvita nur über die Pöhlder Annalen überliefert ist, will SCHÜTTE, Le- bensbeschreibungen (wie Anm. 59) S. 127 Anm. 130, nicht ausschließen, daß dieser Irrtum auf den Pöhlder Anna- listen zurückgeht. - Außer in der älteren Mathildenvita hat die Stiftsgründung von St. Wipcrti über die verlorenen Partien der Quedlinburger Annalen Eingang in die Jahresberichte zu 968 beim Ann. Saxo (wie Anm. 110) 5.621 und in die Magdeburger Annalen (MGH SS 16, S. 148) gefunden. Die summarische Aufzählung der Mathilde

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Die Existenz dieses neuen Stifts am Ort ist 964 belegt, also schon zwei Jahre vor der Einsetzung der jüngeren Mathilde als Äbtissin des Servatiusstifts und damit früher, als ursprünglich beabsichtigt war. Auf Fürbitte Mathildes verlieh Otto II. 964 den Kanonikern in suburbio castelli Quidelingoburg das Recht der freien Abts- bzw. Propstwahl und be- stätigte die inzwischen durch die Königinwitwe selbst erfolgte Güterausstattung des Stifts'15 Gänzlich unbeachtet geblieben ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß dem Män- nerkonvent mit diesem Diplom die Rechtsstellung eines Reichsstifts eingeräumt worden ist116 Erst zu einem späteren, nicht näher bekannten Zeitpunkt kann der Konvent dem Servatiusstift unterstellt worden sein. Als ein solches Eigenstift der Kanonissen auf dem Schloßberg begegnet der Männerkonvent von St. Wiperti erst geraume Zeit später im Schutzprivileg Papst Silvesters II. für das Servatiusstift von 999117, er müßte demnach also zu einem früheren Zeitpunkt seine Selbständigkeit verloren haben.

Der Zeitpunkt und die Umstände der 961/64 erfolgten neuerlichen Stiftsgründung in Quedlinburg legen die Annahme nahe, daß die hochbetagte Königinwitwe Mathilde recht- zeitig über die künftige Nutzung ihres Wittums verfügen wollte, da dieses sonst nach ihrem Tode an das Reich zurückgefallen und möglicherweise anderen Zwecken zugeführt worden wäre. In gleicher Weise hatte Mathilde schon zuvor Teile ihres Wittums auf anderen Kö- nigshöfen des Harzraumes zur Gründung und Ausstattung von Klöstern verwandt; um 950 war ein Teil ihres Besitzes in der Pfalz Pöhlde zur Gründung der dortigen Benediktinerabtei

zugeschriebenen Klostergründungen erfolgt hier allerdings ohne erkennbare zeitliche Ordnung (St. Scrvatii und St. Wipcrti in Quedlinburg, St. Marien in Nordhausen, St. Dionisii in Enger, St. Scrvatii in Pöhlde).

115 MGH DO 1110: ... qualiter nos more regio de statte sattcte ecclesiae corroborando tractantes ob interventum domne Mahthildis reginae nostrae videlicet avie canonicis in suburbio castelli Quidelingoburg manentibtts rega- litatis nostrae privilegium donare decrevimtts, zit liberam inter se abbatem seit prirniceriurn eligendi habeant potestatern sicut in ceteris abbatiis regiae dominationi subiectis. Predia vero quo prenominata venerabilis regina Mahthildis nostra videlicet avia pro salute anime suae vel parentum nostrorttm ad usttsrts canonicorum ibi deo deservientiunt eidetn loco concessit, concedimus et ne ab aliquo ttllam inde molestiam incttrrant, voltttnus et Trntiter iubenuts.

116 Vgl. etwa Reg. Imp. Otto II. S85, wo durch Auslassung der entscheidenden Worte (sieht in ceteris abbatiis regle dominationi subiectis) dieser Tatbestand völlig unterschlagen wird. BAUERMANN, Anfänge (wie Anm. 34), S. 344 erwähnt nur das Recht der freien Abtswahl.

117 ZIMMERMANN, Papsturkunden (wie Anm. 91), Bd. 2, Nr. 371. Vgl. dazu allerdings die Vorbemerkung des Bearb. S. 721, derzufolge der in die Sanctio der (nur kopial überlieferten) Urkunde eingeschobene Passus über die Unterstellung dieses wie auch dreier weiterer Konvente (St. Marien in Quedlinburg, Wendhausen und Walbeck) den

�Eindruck einer Interpolation" erweckt; doch sei die Tatsache der Unterstellung für damals genügend belegt; diese Feststellung gilt allerdings nicht für das Wipertistift. Im Schutzprivileg Johannes XIII. für das Scrvatiusstift von 967 (wie Anm. 91) fehlt noch jeder Hinweis auf unterstellte Klöster. In Ermangelung sonstiger Zeugnisse über die Tätigkeit und Rechtsstellung des Konvents von St. Wiperti im 10. Jahrhundert lassen sich keine weiter- führenden Feststellungen treffen. Besondere Bedeutung scheint der Konvent nicht entwickelt zu haben. Vor 1146 wurden die Kanoniker durch Prämonstratenser ersetzt; dazu BAUERMANN, Anfänge (wie Anm. 34) S. 342ff. - Aufschlußreich im Unterschied zu der 964 erfolgten Privilegierung des Wipertistifts ist die 992 für das Kloster Walbock getroffene Regelung (MGH DO 111 81 = Reg. Imp. Otto III. 1047). Otto III. gestattet, daß der zum Wittum seiner Großmutter Adelheid gehörende Hof Walbcck in den Besitz des Scrvatiusstifts übergehen solle; diesem'verleiht er Immunität und das Wahlrecht der Äbtissin, doch bleibt das Kloster dem Servatiusstift unterstellt (... in predicto loco Vualbisci norrtinato rnonasteritmt monacharum regulam sancti Benedicti observantinut faciat in honore sancti Andree apostoli, quo subiectionem presenti abbatisse Quitiliniburgensi et futuris qug ei succedattt abbatissis perpetualiter prebeant et inter se eligant abbatissas secttndunt regulam sancti Benedicti cum consilio Quitiliniburgensis abbatisse). Allgemein zum Königshof Walbeck D. CLAUDE, Der Königshof Walbeck, in: JbGMit- tclOstDtld 27 (1978), S. 1-27.

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St. Servatius verwendet worden"', und 961/62, also gleichzeitig mit der Gründung des Wipertistifts in Quedlinburg, hatte Mathilde ihr Wittum Nordhausen für die Ausstattung des dort ebenfalls neu gegründeten Nonnenklosters St. Marien verwandt19 Folgt man der Darstellung der wenig später entstandenen älteren Mathildenvita, so hat die Königinwitwe gerade zu dieser ihrer letzten Klostergründung eine besonders enge Beziehung gehabt und sich auch zeitweise dort aufgehalten120. Gleichwohl stand Mathilde noch fünf weitere Jahre an der Spitze des Konvents von St. Servatius in Quedlinburg, bevor sie die Leitung an ihre im Stift aufgewachsene gleichnamige Enkelin, die Tochter Ottos I. und seiner zweiten Ge- mahlin Adelheid, weitergab. Unmittelbar vor dem Aufbruch des Kaisers zu seinem dritten Italienzug im Jahre 966 wurde die jüngere Mathilde in ungewöhnlich festlichem und re- präsentativem Rahmen als erste Äbtissin des Servatiusstifts eingeführt121.

III.

Welche Auswirkungen hatten die beiden Stiftsgründungen in Quedlinburg auf die bisherigen Pfalzfunktionen des Ortes? Wurde er weiterhin vom königlichen Hof aufgesucht, nachdem 936 zunächst der Burgberg und seit 961 auch der Königshof bei St. Wiperti durch die beiden Stifte belegt waren? Angesichts der langen Reihe von Königsaufenthalten in otto- nischer Zeit122 kann an einem Fortbestehen der Pfalzfunktionen Quedlinburgs nach 936 kein Zweifel bestehen. Aber wo hat der König während der Zeit seines Aufenthaltes am Ort gewohnt und regiert, Hoftage abgehalten und das Osterfest gefeiert? Wo befand sich das Palatium, der herrschaftliche Mittelpunkt der Quedlinburger Pfalz, und in welcher räumlichen Beziehung stand die Pfalz zu den Stiftsanlagen?

Die Frage nach dem Verhältnis von Pfalz und Stift Quedlinburg gehört seit langem zu den ungelösten Problemen der Frühgeschichte des Ortes. Carl Erdmann, dessen 1943 vor- gelegte Untersuchung über

�Burg und Kirche zu Quedlinburg" den Gang der Forschung in dieser Frage maßgeblich bestimmt hat121, war der Meinung, die Pfalz Heinrichs I. habe sich ursprünglich im Tal bei der heutigen Wipertikirche befunden. Im Zuge der Umsetzung seiner Burgenbauordnung im Lande habe der König

�um 926" auch den Quedlinburger Schloßberg neu befestigt und die Pfalz dorthin verlegt. Nach der Gründung des Servatius- stifts im Jahre 936, also etwa zehn Jahre später, sei die Pfalz wieder ins Tal zurückverlegt worden, um Raum für das Kanonissenstift zu schaffen. Aus diesem Grund sei auch die Wipertikirche, als' deren ursprünglichen Standort Erdmann den Burgberg annahm, im Tal, an ihrem heutigen Standort, neu errichtet worden124.

118 Pöhlde, in: U. FAUST (Bearb. ), Die Benediktinerklöster in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen (Germania Bcnedictina 6), 1979, S. 404f.; K. HEINEMEYER, Pöhldc, in: LcxMA 7,1. Lfg. (1994), S. 239.

119 GOCKEL, Art. Nordhausen (wie Anm. 53) S. 355f. 110 Vgl. Vita Math. ant. (wie Anm. 59) c. 11 f. 5.132 ff. Dazu ALTHOFF, Causa scribcndi (wie Anm. 79) 5.123 ff. 121 Reg. Imp. Otto I. 427a. Zur Bedeutung des Vorgangs zuletzt ALTHOFF, Gandcrsheim und Quedlinburg (wie

Anm. 10)S. 131; M. KREMER, Die Äbtissinnen des Stifts Quedlinburg, Diss. Leipzig 1924, S. 11; E. FREISE, Mathilde, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16,1990, S. 376 ff.

122 Vgl. unten S. 211 ff. 123 ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 83ff.

121 Ebd. S. 94f. Vgl. auch GAUERT, Struktur und Topographie (wie Anm. 7) S. 6ff.; BEUMANN, Ottonen (wie Anm. 46) S. 55 f. und mit Einschränkung auch SCHUBERT, Stätten (wie Anm. 9) S. 41 sowie zuletzt K. H. BLASCHKE, Quedlinburg, in: LexMA 7, Lfg. 2 (1994) Sp. 359 f.

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Erdmanns Auffassungen sind in der Forschung nicht unwidersprochen geblieben. Bezwei- felt wurde insbesondere die von ihm vertretene Identifizierung des ältesten Kirchenbaues auf dem Burgberg mit der hersfeldischen Wipertikirche. Auch gegen die Annahme ihrer Verlegung ins Tal anläßlich der Stiftsgründung des Jahres 936 wurden Einwände geltend gemacht125. Schon Erdmann selbst war aufgefallen, daß unter den zahlreichen und im gan- zen gut bezeugten Patrozinien der Burg- bzw. Stiftskirche das für die Wipertikirche im 10. Jahrhundert überlieferte Doppelpatrozinium St. Jacobi/St. Wiperti fehlt126, was an sich nicht zu erwarten wäre, wenn die Wipertikirche ursprünglich auf dem Schloßberg gestanden hätte. So konnte Erdmann auch keinen plausiblen Grund dafür angeben, weshalb die 936 vom Burgberg verdrängten Kleriker das Patrozinium ihrer Kirche gleichsam mit ins Tal nahmen, obwohl doch das Gebäude und damit der Altar, der ideell als Grab des Schutz- heiligen galt, auf der Burg verblieben war.

Auch aus baugeschichtlicher Sicht ergeben sich inzwischen Bedenken, die älteste Vorgän- geranlage der heutigen 'Wipertikirche im Tal erst in die Zeit nach 936 zu datieren127. Als Teil dieses ältesten Kirchenbaues hatte lange Zeit die Krypta der bestehenden Wipertikirche gegolten. Nach neueren Erkenntnissen ist sie jedoch weitaus jünger und wurde erst im frühen 11. Jahrhundert in den sog. Bau 2 der Wipertikirche nachträglich eingefügt 12ß. Die älteste Wipertikirche war ein Hallenbau, dessen Entstehungszeit bisher nicht genau ermittelt werden konnte. Da Bau 2 in die 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts datiert wird, muß der erste Steinbau von St. Wiperti aus älterer Zeit stammen. Man wird schwerlich annehmen können, daß er erst 936 begonnen worden ist129.

Auch in der Frage nach dem ursprünglichen Standort der Pfalz und dem Zeitpunkt ihrer späteren - zweimaligen - Verlegung sind die Auffassungen Erdmanns nicht unwiderspro- chen geblieben. So hat Dietrich Claude die Ansicht vertreten, daß die Königspfalz, das Palatium, von Anfang an ihren Standort im Tal bei St. Wiperti hatte und auch späterhin nicht verlegt worden sei. Als Pfalzkapelle hingegen habe immer die Kirche auf dem Burgberg gedient130. Demgegenüber geht Gerhard Streich davon aus, daß das Palatium der Königs-

125 So schon CLAUDE (wie Anm. 8); STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) S. 151 f. und besonders FLECKEN- STEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 14ff.

126 ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 99f.

127 Zur Frage der ältesten Burgpatrozinien jetzt - in kritischer Auseinandersetzung mit Erdmann - FLECKEN- STEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 15 mit Anm. 30.

126 Vorromanische Kirchenbauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Ottonen, bearb. von F. OSWALD, L SCHAEFER, H. R. SENNHAUSER (VeröffZlnstKunstG 3), 1966, S. 266f. Nachtragsband, bearb. von W. JACOBSEN, L SCHAEFER, H. R. SENNHAUSER, 1991,5.333 f.; LEOPOLD/FLEMMING (wie Anm. 9) S. 42ff.; SCHUBERT, Stätten (wie Anm. 9) S. 72ff.; LEoroLD, St. Wiperti (wie Anm. 9) S. 6f.

129 SCHUBERT, Stätten (wie Anm. 9) S. 72; LEOPOLD/FLEMMING, Stiftskirche und Wipertikirche (wie Anm. 9) S. 43, die Bau 2 als �etwa 950 vollendet" bezeichnen. Schubert vermutet in Bau 1 der Wipertikirche die Kapelle einer herzoglichen oder königlichen Pfalz vom Typ der Pfalzkapelle auf dem Pfingstberg von Tilleda, während er Bau 2 ebenso wie Leopold und Flemming mit der (angeblichen) Verlegung des Kanonikerstifts vom Burgberg ins Tal in Verbindung bringt, also als Stiftskirche ansieht. Auf Grund der historischen Überlieferung läßt sich für Bau 1 von St. Wiperti mit Sicherheit nur die Funktion einer Pfarrkirche erschließen, wobei offen bleiben muß, ob dieser Kirchenbau schon in

nhersfeldischcr" Zeit bestanden hat. Sollte Bau 2, eine dreischiffige kreuzförmige Basilika, vor 961/64 (Gründung des Kanonikerstifts St. Wiperti) entstanden sein, so hätte sie zunächst noch nicht als Konventskirche, sondern neben ihrer fortbestehenden Funktion als Pfarrkirche vor allem als Pfalzkapelle gedient, was die gegenüber dem ersten Bau beträchtliche Vergrößerung erklären ließe. Mit der Nutzung der Wipcrtikirchc als Pfalzkapelle ist m. E. seit Gründung des Servatiusstifts auf dem Schloßberg 936 zu rechnen; vgl. unten S. 209.

133 CLAUDE (wie Anm. 8).

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206 ULRICH REULING

pfalz ursprünglich auf dem Burgberg gestanden habe. �Auch nach der Gründung des Ka-

nonissenstifts 936 dürfte es noch weiter bestanden haben und den Herrschern gelegentlich als Wohnung gedient haben, hauptsächlich jedoch als Residenz der weiblichen Angehörigen des Königshauses". Zusätzlich sei dann bei St. Wiperti ein neues Palatium errichtet worden, wobei diese Kirche nur den

�Bedürfnissen der Hofkapelle und des Alltags der Pfalzbewoh-

ner" gedient hätte. �Als sakrales Zentrum und eigentliche Pfalzkirche stand auch nach ihrer

Umwandlung zur Frauenstiftskirche die Grabeskirche Heinrichs I. für den herrscherlichen Gottesdienst an den hohen Kirchenfesten zur Verfügung

... "131. Zuletzt hat Josef Flecken-

stein die Auffassung vertreten, daß die Pfalz Heinrichs I. zwar 922 noch im Tal lag und die Wipertikirche hier zunächst als königliches Oratorium genutzt worden sei. Einige Jahre später, �höchstwahrscheinlich um 929", sei das Palatium dann in die neubefestigte Burg verlegt worden. Erst Otto III. habe den Königssitz wieder an seinen alten Platz im Tal bei St. Wiperti zurückgeführt, wo der Kaiser anläßlich seines Osteraufenthaltes im Jahre 1000 nach dem zuverlässigen Zeugnis der Quedlinburger Annalen Regierungshandlungen vorge- nommen hat132

Angesichts des komplizierten Sachverhalts und der kontroversen Forschungslage erscheint es sinnvoll, zunächst zu unterscheiden zwischen dem Königshof bzw. der Pfalz als Wirt- schaftskomplex und den zur Hofhaltung notwendigen repräsentativen Gebäuden wie Pa- latium und Kirche. Soweit die schriftliche Überlieferung Einblick in die örtlichen Verhält- nisse zu geben vermag, wird man im Hinblick auf die Lage des Wirtschaftshofes wie auch der Wipertikirche von einer örtlichen Kontinuität seit �hersfeldischer" Zeit ausgehen kön- nen. Es handelt sich dabei um jenen Komplex, der - wie bereits wiederholt betont wurde - bei der Ausstattung des Servatiusstifts 936 ausgespart geblieben war und damit weiterhin zum Wittum Mathildes gehört hatte; nur ein Teil der Einkünfte des Königshofes, die Non, war 936 dem Reichsstift mitübereignet worden133. An diesem alten Kernbereich der Siedlung bei St. Wiperti, der 961/64 dem neugegründeten Männerkonvent zugewiesen wurde, haf- tete damals noch der ursprüngliche Ortsname Quedlingen` (cortis Quitilinga), wie in der Schenkungsurkunde Ottos I. von 961 ausdrücklich bezeugt ist134

Befanden sich in diesem Bereich bei St. Wiperti auch die ursprünglichen Pfalzbauten? Das einzige Zeugnis, das eine solche Vermutung nahelegen könnte, ist die schon erwähnte Actum-Zeile in DH 13 aus dem Jahre 922135. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, daß villa bekanntlich ein vieldeutiger, auf die verschiedensten Formen von Siedlungen angewendeter Terminus ist136. In den Actum-Zeilen der Diplome Heinrichs I. ist dieser Terminus völlig singulär, so daß die Möglichkeit ausscheidet, anhand von Parallelfällen sein Bedeutungsfeld entsprechend den Kanzleigewohnheiten näher einzugrenzen. Üblicherweise lauten in den Diplomen Heinrichs I. jene den Ort der jeweiligen königlichen Rechtshandlung bezeich- nenden Angaben actum in loco N. N. oder beschränken sich überhaupt nur auf die reine Ortsnamenangabe137. Sicherheit, was in der fraglichen Actum-Zeile mit villa gemeint ist,

131 STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) 5.152. 132 FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 12ff. 133 Siehe oben 5.199. 134 MGH DO I 228; vgl. oben Anm. 27. las Vgl. oben Anm. 26. 136 Vgl. J. F. NIERMEYER, Mediae latinitatis lexicon minus, 1976, s. v. villa, 5.1101 ff. 137 Vgl. die Beispiele für Qucdlinburg MGH DH I 5,6,7,20 (jeweils locus Q. ), 28 (reine Ortsnamenangabe).

Dazu allgemein G. STREICH, Palatium als Ordnungsbegriff und Ehrentitel für die Urkundungsorte der deutschen

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 207

wird daher schwerlich zu erzielen sein. Mir scheint, daß der Terminus im vorliegenden Fall

nicht die Pfalz bzw. die Talsiedlung von Quedlinburg, sondern den Siedlungskomplex ins-

gesamt, Burg und Tal, meint'38. Wenn andererseits aber zu diesem Zeitpunkt - also 922 - eine liudolfingische Burg in Quedlinburg bestanden hat, woran aufgrund des Ortsnamens

nicht zu zweifeln ist, dann wird man auf ihr neben einer Burgkapelle auch ein Palatium

erwarten können139. Daß eine Trennung zwischen der Pfalz im Tal und der Pfalzkapelle

auf der Burg bestanden hat, wie Claude annimmt, erscheint angesichts einer räumlichen Distanz von 400 Metern Luftlinie als eine wenig praktikable Konstellation, auch wenn man berücksichtigt, daß im Unterschied zu den heutigen Verhältnissen früher der Zugang zur Burg im Süden lag140 und damit dem Komplex bei St. Wiperti unmittelbar zugewandt war. Ausgehend von der Annahme des Standortes der Pfalz im Tal hätte es dann in der Tat

näher gelegen, St. Wiperti als Pfalzkapelle zu nutzen, wie Fleckenstein dies für die Frühzeit Heinrichs I. angenommen hat141. Aber warum sollte der König erst im Zuge der Umsetzung

seiner sog. Burgenbauordnung Palatium und Oratorium auf dem Quedlinburger Burgberg

errichtet haben, über den die Liudolfinger bereits im frühen 10. Jahrhundert verfügen konnten und der 922 schon befestigt war? Die wenigen Zeugnisse der schriftlichen Über- lieferung stehen einer solchen Annahme nicht entgegen, auch nicht die bekannte Nachricht Widukinds von Corvey über die Burgenbauordnung Heinrichs I., die ganz allgemein gehal- ten ist und für den Einzelfall Quedlinburg wenig Aussagekraft besitzt142. Wir sind daher

nicht genötigt anzunehmen, daß Heinrich I. an seinem unzweifelhaft bevorzugten Herr-

schaftssitz erst im Zuge der Schutzmaßnahmen gegen die Ungarn jene Pfalzgebäude auf dem Berg errichten ließ, von deren Existenz spätestens im Jahre 936 auszugehen ist.

Die Frage nach dem ursprünglichen Standort der Quedlinburger Königspfalz konnte auch von seiten der Archäologie bislang nicht befriedigend gelöst werden. Während Grabungen im Bereich des bei St. Wiperti zu vermutenden Königshofes noch ausstehen, vermitteln die

archäologischen Befunde der Grabungen auf dem Burgberg kein klares Bild. Der von Karl Schirwitz und Hermann Wäscher erschlossene frühmittelalterliche

�Holzhallenbau" west- lich der ältesten Burgkirche, der als Palatium gedeutet wurde143, ist nach neueren Erkennt-

nissen von Gerhard Leopold nicht nachweisbar; denn aus der Verteilung der in diesem Bereich ergrabenen Pfostenlöcher, auf die sich allein jene Annahme gründete, ist der Grund-

riß eines Holzhallenbaues, dessen Ausmaße Wäscher auf 9x 40 m schätzte, nicht zu re- konstruieren'''''. Nach Leopold sind vielmehr die westlich des ältesten Kirchenbaues, der

sog. Pfalzkapelle Heinrichs I., nachgewiesenen Steinfundamente als Reste eines an die Kirche

Könige und Kaiser im Hochmittelalter, in: Die Pfalz. Probleme einer Begriffsgeschichte vom Kaiserpalast auf dem Palatin bis zum heutigen Regierungsbezirk, hg. von F. STAAB, 1990, S. 103-127, hier S. 104.

138 So auch SCHLESINGER, Burgen und Burgbezirke (wie Anm. 50) S. 166 mit Anm. 63. 139 STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) S. 152.

1" VOIGTLÄNDER, Stiftskirche (wie Anm. 56) S. 17,26. 141 FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 12. 141 Vgl. dazu zuletzt K. U. JÄsCHKE, Burgenbau und Landesverteidigung um 900 (VortrrForsch Sondcrbd. 16),

1975, S. 18ff.; J. FLECKENSTEIN, Zum Problcm'dcr agrarii milites bei Widukind von Corvcy, in: Beiträge zur niedersächsischen Landesgeschichte. Zum 65. Geburtstag von Hans Patze; Wiederabdr. in: J. FLECKENSTEIN, Ord-

nungen und formende Kräfte des Mittelalters. Ausgewählte Beiträge, 1989, S. 315-332; G. ALTHOFF, Amicitia et pacta. Bündnis, Einung, Politik und Gebetsgedenken im beginnenden 10. Jahrhundert (MGH Schriften 37), 1992, S. 70 f f.

143 SCHIR' TrZ, Grabungen (wie Anm. 6) S. 39; WÄSCHER, Burgberg (wie Anm. 6) S. 2Sff. 144 LEOPOLD, Stiftskirche (wie Anm. 9) S. 149.

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208 ULRICH REULING

unmittelbar anschließenden rechteckigen Gebäudes von etwa 30 x 12 m anzusehen. Dieser geräumige Bau, der durch ein Steinfundament von der östlich anschließenden Pfalzkapelle Heinrichs I. getrennt ist, hat nach der Deutung Leopolds wohl profanen Zwecken gedient145. Gerhard Streich und Thomas Zotz sehen in diesem Westbau das Palatium Heinrichs 1.146. Wahrscheinlich führte von diesem Westbau ein direkter Zugang auf die zu vermutende Westempore der Pfalzkapelle147. Der gesamte Komplex ist mit dem von Königin Mathilde veranlaßten Bau der ersten Stiftskirche nach 936 abgetragen worden148. Hinweise auf Pfalz- bauten an anderer Stelle des Burgplateaus gibt es bislang nicht149

Unabhängig davon, ob sich das Palatium Heinrichs I. von Anfang an auf dem Burgberg befunden hat oder erst im Zuge des vermuteten Ausbaues der Befestigungen zwischen 926/29 an dieser Stelle errichtet worden ist, stellt sich die Frage nach Zeitpunkt und Umständen der späteren Verlegung des Königssitzes1so ins Tal. Sicher ist, daß die Pfalz im Jahre 1000, als Kaiser Otto III. nach der Rückkehr von seinem berühmten Gnesenzug das Osterfest in Quedlinburg feierte, unterhalb der Burg gelegen hat. Nach dem Bericht der

gut informierten Quedlinburger Annalen hatte sich der Kaiser in der vorösterlichen Woche

zunächst im Stift auf dem Burgberg aufgehalten, um hier den liturgischen Feiern der Kar-

woche beizuwohnen, die anscheinend in ungewöhnlich festlichem Rahmen begangen wor- den sind. Vom Burgberg sei der Kaiser dann in den frühen Morgenstunden des Ostertages

auf seinen Königshof (ad curtem suam) zurückgekehrt, wo ihm von den dort wartenden Großen und dem Volk ein möglicherweise ebenfalls festlich inszenierter Empfang15' bereitet

wurde und wo er anschließend für eine Woche seinen Regierungsgeschäften nachgegangen sei152. Der zeremonielle Ablauf des Osteraufenthaltes Ottos III. gliederte sich demzufolge in zwei deutlich voneinander zu unterscheidende Phasen: in einen geistlich-liturgischen Teil, der sich von Gründonnerstag bis zur Osternacht erstreckte und den der Kaiser im Kano- nissenstift auf dem Burgberg verbrachte, und in einen weltlich geprägten, der gewöhnlichen Hofhaltung dienenden Teil auf dem Königshof im Ta1153

141 Ebd. 146 STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) S. 152,317f.; TH. ZoTZ in diesem Band S. 263f. 141 Vgl. LEOPOLD, Stiftskirche (wie Anm. 9) S. 149 mit Fig. 2 (S. 148). 1411 Ebd. S. 149ff. 149 Vgl. VOIGTLÄNDER, Stiftskirche (wie Anm. 56) S. 17f. und neuerdings R SCHMITr, Bauarchäologische Un-

tersuchungen auf Burgen. Forschungen des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt, in: Burgen und Schlösser 32,1991, Sonderheft

�Neue Bundesländer", S. 57 f. 110 STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) 5.152. Streichs Einschätzung, daß dies

�mit Sicherheit" so gewesen sei, läßt sich angesichts des archäologischen Kenntnisstandes und der Quellenlage in dieser Eindeutigkeit indes nicht aufrecht erhalten.

111 FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 20 geht von einer feierlichen Prozession des Kaisers vom Burgberg ins Tal aus; ähnlich schon ERDMANN, Beiträge 4 (Anm. 5) S. 98. Die darüber hinaus von Erdmann und Fleckenstein angenommene Festkrönung Ottos III. anläßlich dieser Osterfeier findet in dem Bericht der Quedlin- burger Annalen (vgl. Anm. 152) keine Stütze.

152 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 1000, S. 77: ...

In patriam revertitur, ac Quedelingnensi civitate sanctum pascha celebraturus, in ipso monte, ttbi sanctimoniales feminae ritzt canonico regulariter Christo deserviunt, per amorem dilectae suae sororis Adelheidae abbatissae coenam Domini, parasceuen quoque et sabbatuni sanctlmt, nec non dominicam noctem resurrectionis ...

debitae venerationis obsequiis festive peregit. Unde in ipsis horis

matutinalibus ad curtem suam totius senatus ac plebis expectationi satisfacturus redit, illamque septimanam regalibus impendens officiis, regendo, indulgendo, largiendo ac remunerando transegiti ...

151 Ebd. Vgl. auch ERDMANN, Beiträge 4 (wie Anm. S) S. 98 sowie KLEwrrZ, Festkrönungen (wie Anm. 39) S. 48-96; hier insbes. S. 84f., 93.

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 209

Wenngleich der Annalist, vermutlich ein Stiftsgeistlicher aus Quedlinburg154, die Lage des Königshofes im Tal nicht näher beschreibt, kommt als Standort wohl nur jener Bereich bei der Wipertikirche in Frage, an dem schon 961 die Bezeichnung cortis Quitilinga haftete

und an dem spätestens seit 964 der Männerkonvent von St. Wiperti beheimatet war. Welche Gebäude dieser Komplex neben Kirche und zu vermutendem Wirtschaftshof weiterhin um- faß hat, bleibt ungewiß. Neben Wohnungen für die dort seit 961/64 ansässigen Kanoniker

sind Gebäude für die Zwecke der Hofhaltung des Königs vorauszusetzen, insbesondere ein Palatium, wie sich aus dem Hinweis des Annalisten auf die Regierungstätigkeit des Kaisers ergibt'ss

Auch wenn sich Otto III. zunächst in Ausübung seiner geistlichen Herrscherpflichten im Stift auf dem Burgberg aufhielt, kann nach dem vorliegenden Bericht schwerlich von einer organisatorischen Einheit von Reichsstift und Pfalz die Rede sein. Aus der Sicht des An-

nalisten hatte den Kaiser ein ganz persönliches Motiv dazu veranlaßt, das Osterfest nicht in der Pfalz, sondern auf dem Burgberg zu feiern: die Liebe zu seiner Schwester Adelheid, die seit 999 in der Nachfolge ihrer Tante, der jüngeren Mathilde, dem Reichsstift als Äbtissin vorstand136. Auch wenn die Zuneigung des Kaisers zu seiner Schwester sicherlich nicht das einzige Motiv für seinen Aufenthalt im Stift gewesen ist, so ist doch deutlich, daß es der Annalist offensichtlich für nötig hielt, dem Leser eine Begründung für diesen Vorgang zu geben. Man wird infolgedessen auch davon ausgehen können, daß normaler- weise nicht die Stiftskirche St. Servatius, sondern die Wipertikirche beim Königshof, die

zugleich Stiftskirche des dort beheimateten Kanonikerkonventes war, als Pfalzkapelle ge- dient hat.

Ob bereits die Gründung des Kanonissenstifts auf dem Burgberg im Jahre 936 der Anlaß für die Verlegung der Pfalz in das Tal gewesen ist, wie Carl Erdmann vermutet hat, oder ob erst Otto III. diesen Zustand herbeigeführt hat, wie Josef Fleckenstein meint, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Für Erdmanns These spricht der Wortlaut der Gründungs-

urkunde des Servatiusstifts, demzufolge die Kanonissen 936 die Burg mit allen zugehörigen Gebäuden erhielten157 sowie die praktische Erwägung, daß das Burgplateau kaum Platz für die räumlichen Bedürfnisse sowohl einer Pfalz als auch eines Stiftes bot158. Hinzu kommt die allgemeine Beobachtung, daß im Unterschied zu Männerkonventen bei der Einrichtung von Kanonissenstiften an Pfalzorten auf eine deutlichere Trennung von Pfalz und Stift Wert gelegt wurde'59

Fleckenstein sieht die von ihm vertretene Spätdatierung des Umzugs durch den Bericht des Quedlinburger Annalisten bestätigt. Es könne kein Zufall sein, daß wir von dieser

111 R. HoLTZAtANN, Die Quedlinburgcr Annalen, in: SachsAnh 1 (1925); Wicdcrabdr. in: DERS., Aufsätze zur deutschen Geschichte im vIittclclbcraum, 1962, S. 193-254, hier insbes. S. 229 ff.

155 Siehe oben Anm. 152. '56 KREMMER,. lbtissinncn (wie Anm. 121) S. 16f.; UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) S. 297ff. 157 MGH DO I 1; vgl. oben Anm. 69. 1SB Dabei ist zu berücksichtigen, daß das heutige Burgplateau mit seinen Ausmaßen von annähernd 100 x 50m

nicht den ursprünglichen Zustand darstellt, sondern das Ergebnis allseitiger Aufschüttungen ist. Vgl. dazu zusam- menfassend VOIOTLÄNDER, Stiftskirche (wie Anm. 56) S. 17 aufgrund der Feststellungen von WÄSCHER, Burgberg (wie Anm. 26). Danach hat sich die Bebauung des Schloßberges lange Zeit auf dessen westliche Hälfte konzentriert,

während sich in der östlichen Hälfte nur wenige mittelalterliche Bebauungsspuren nachweisen ließen; vgl. dazu Abb. 15 bei WÄSCHER a. a. O.

159 STREICH, Burg und Stift (wie Anm. 7) S. 316 mit Anm. 925 unter Hinweis auf Nordhausen, Zürich, Erstem und Neuburg/Donau. Zu Nordhausen jetzt auch GOCKEL, Königspfalzen 2 (wie Anm. 28) 3. Lfg. (1986), S. 355 f.

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210 ULRICH REULING

�neuen Lösung" zum erstenmal in auffallender Ausführlichkeit

�unter dem jungen, hoch-

begabten, auf vielen Gebieten auf neue Formen bedachten Otto III. erfahren, und zwar in dem entscheidungsreichen Jahr 1000, in dem der junge Kaiser in Rom wie in Gnesen und Aachen neue Wege beschritt"160. Zutreffend ist die Feststellung Fleckensteins, daß in den Quedlinburger Annalen kein Königsaufenthalt in seinem zeremoniellen Ablauf vergleichs- weise so ausführlich beschrieben ist wie der Ottos III. im Jahre 1000161. Insofern ist auch der Schluß berechtigt, daß die Besonderheit des Ereignisses den Annalisten zu seinem de- taillierten Bericht veranlaßt hat. Aber worin bestand das Besondere im zeremoniellen Ab- lauf? Offensichtlich doch darin, daß der Kaiser den geistlich-religiösen Aufgaben seines Herrscheramtes nicht im Pfalzkomplex, sondern im Reichsstift nachkam. Wie Fleckenstein in anderem Zusammenhang gezeigt hat, lassen die Herrschergewohnheiten Ottos III. seit Antritt seiner selbständigen Regierung (994) die Tendenz erkennen, die feierliche Demon- stration seines Herrschertums weitgehend in Bischofskirchen zu verlegen. Als Hauptgrund dafür führt Fleckenstein an, daß Otto III. mit seinem ausgeprägten Sinn für Repräsentation an diesen Orten Glanz und Würde seines Kaisertums in festlicherem Rahmen als in den Pfalzkapellen zur Darstellung bringen konnte162. Insofern bot auch die Quedlinburger Stifts- kirche, die nach Größe und Ausstattung einer Bischofskirche nicht nachstand und darüber hinaus als Stätte der ottonischen Memoria einen besonderen Rang einnahm, ungleich bes- sere Möglichkeiten für die Herrschaftsrepräsentation am Ort als die vergleichsweise be- scheidene Wipertikirche.

Bieten diese Zusammenhänge eine plausible Erklärung für die ungewöhnlich festliche Inszenierung des Osteraufenthaltes Ottos III. in Quedlinburg, so bleibt doch die Frage gänzlich offen, ob der Kaiser im Zuge solcher veränderten Herrschergewohnheiten eigens Maßnahmen zur Verlegung der Quedlinburger Pfalz getroffen hat. Dagegen spricht vor allem das auffallende Zurücktreten Quedlinburgs im Itinerar des Königs seit Antritt seiner selbständigen Regierung; denn seit diesem Zeitpunkt hat Otto III. - soweit bekannt - nur insgesamt zweimal, 995 und bei besagtem Osterfest im Jahre 1000, am Ort verweilt163. Auch Otto II. ist in den zehn Jahren seiner Regierung nur zweimal in Quedlinburg nach- weisbar164. Es hat somit nicht den Anschein, als hätten diese beiden Herrscher den Ort besonders bevorzugt oder einschneidende Maßnahmen wie die einer Verlegung der Pfalz vom Burgberg ins Tal veranlaßt. Eher wird man dies ihrem Vorgänger Otto I. zutrauen können, der sich ungleich häufiger in Quedlinburg aufgehalten hat165. Insofern kann die Annahme Erdmanns, daß die Verlegung der Pfalz vom Burgberg ins Tal im Zuge der Stifts- gründung des Jahres 936 erfolgt ist, gegenüber der Auffassung Fleckensteins, der diese Verlegung erst Otto III. zuschreiben möchte, die größere Wahrscheinlichkeit für sich be- anspruchen. In welchem Zeitraum sich diese Verlegung der Pfalz vollzogen hat, bleibt angesichts des Fehlens jeglicher Quellenzeugnisse ungewiß. Kaum zu klären ist damit aber auch die von Gerhard Streich aufgeworfene Frage, ob der königliche Hof möglicherweise für eine Übergangszeit sowohl die alten Pfalzgebäude in der Burg wie auch die Neuanlagen

160 FLECKENSTEIN, Pfalz und Stift (wie Anm. 8) S. 19f. 161 Ebd. S. 20. 162 FLECKENSTEIN, Hofkapelle 2 (wie Anm. 72) S. 140ff. 163 Dazu im einzelnen unten S. 213.

164 Vgl. unten 5.212 f. 165 Vgl. unten S. 212; Bedenken gegenüber dem zeitlichen Ansatz der Pfalzverlegung um 1000 äußert jetzt auch

Tx. ZOTZ (in diesem Band 5.263 f. ), der den Vorgang eher in die Zeit der RegentschaftTheophanus setzen möchte.

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 211

auf dem Königshof bei St. Wiperti benutzt hat166 Wie das Beispiel des Osteraufenthaltes Ottos III. im Jahre 1000 zeigt, stand die Stiftskirche St. Servatius - wie angesichts ihrer besonderen Funktion als Stätte der ottonischen Memoria nicht anders zu erwarten ist - auch nach der Verlegung des Pfalzkomplexes in das Tal weiterhin dem Gottesdienst des Königs zur Verfügung. Wieweit darüber hinaus bei festlichen Anlässen auch die Großen

und damit der Hof an den Gottesdiensten in der Servatiuskirche beteiligt waren, läßt sich mangels entsprechender Nachrichten nicht eindeutig sagen. Zwar wird man aus Gründen der inneren Wahrscheinlichkeit annehmen, daß im allgemeinen gerade die Festgottesdienste

an diesem repräsentativen Ort vom König und den Großen des Reiches gemeinsam gefeiert worden sind. Nach dem Bericht der Quedlinburger Annalen scheint es allerdings beim Osterfest des Jahres 1000 nicht so gewesen zu sein, da sonst schwer verständlich wäre, wieso Otto III. nach Abschluß der Ostervigil von den Großen auf dem Königshof bei St. Wiperti erwartet wurde167. Von den Gepflogenheiten bei besonderen festlichen Anlässen

einmal abgesehen, dürfte normalerweise für den König und seinen Hof die Wipertikirche, die seit spätestens 964 mit einem Pfalzstift verbunden war, die Funktion der Pfalzkapelle erfüllt haben.

IV.

Anknüpfend an diese Überlegungen zur Topographie von Reichsstift und Pfalz ist die bereits

oben angesprochene Frage nach Kontinuität und Wandel der Pfalzfunktionen Quedlinburgs auf der Grundlage der Herrscheritinerare näher zu untersuchent68. Hält man sich an das zahlenmäßige Gerüst der überlieferten Königsaufenthalte am Ort, so ergibt sich für die Ottonenzeit folgendes Bild: Otto I. ist in den 36 Jahren seiner Königsherrschaft mindestens 17 mal in Quedlinburg nachweisbar169, Otto II., wie schon gesagt, in den zehn Jahren seiner alleinigen Regierung zweimal''', während Otto III. in der Zeit der Minderjährigkeit viermal,

166 STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) 5.152.

167 Vgl. oben Anm. 152.

16s Grundlegend zum Itinerar Ottos I. und allgemein zur Methode der modernen Itinerarforschung: E. MÜL- LER-MERTENS, Die Reichsstruktur im Spiegel der Herrschaftspraxis Ottos des Großen (ForschMAGesch 25), 1980; DERS., Reich und Hauptorte der Salier: Probleme und Fragen, in: Die Salier und das Reich 1: Salier, Adel und Reichsverfassung, hg. von ST. WEINFURTER, 1991, S. 139-158; E. MÜLLER-MERTENS, W. HUSCHNER, Reichsin-

tegration im Spiegel der Herrschaftspraxis Kaiser Konrads H. (ForschMAG 35), 1992. Ferner H. J. RIECKENBERG, Königsstraßc und Königsgut in liudolfingischcr und frühsalischcr Zeit (919-1056), in: AUF (1941), S. 32-154; Seperatdr. 1965 (danach zitiert); BRÜHL, Fodrum (wie Anm. 39) 5.116 ff.; H. KELLER, Reichsstruktur und Herr- schaftsauffassung in ottonisch-frühsalischcr Zeit, in: FrühMAStud 16 (1982), S. 74-128; TH. ZOTZ, Königspfalz

und Herrschaftspraxis im 10. und frühen 11. Jahrhundert, in: BIIDtLdG 120 (1984), S. 19-46; G. BEYREUTHER, Die Osterfeier als Akt königlicher Repräsentanz und Herrschaftsausübung unter Heinrich H. (1002-1024), in: Feste und Feiern im Mittelalter, hg. von D. ALTENBURG, J. JARNUT, H. H. STEINHOFF, 1991,5.245-253; W. HusCHNER, Kirchenfest und Herrschaftspraxis, in: ZfG 41 (1993), S. 24-55; S. 117-134.

169 Vgl. die Übersicht bei MÜLLER-MERTENS, Reichsstruktur (wie Anm. 168) S. 267ff. Unsicher ist der Oster-

aufenthalt des Jahres 952, den HusCHNER, Kirchenfest (wie Anm. 168) S. 31 nach dem Vorgang von KLEWITZ,

Festkrönungen (wie Anm. 39) S. 90f. nicht Magdeburg, sondern Quedlinburg zuordnet; vgl. Reg. Imp. Otto I. 221a. Vgl. auch SCHLESINGER, Magdeburgcr Königspfalz (wie Anm. 173) S. 331. Es wäre dann der 18. Aufenthalt des Königs in Quedlinburg.

170 974 April 1-19; 978 März 31; Reg. Imp. Otto H. 654/55,763a. Zur Frage des Quedlinburger Osterauf-

enthaltes des Jahres 978 Vgl. SCHLESINGER, Magdeburgcr Königspfalz (wie Anm. 173) S. 333 mit Anm. 141 f. und zuletzt HusCHNER, Kirchenfest (wie Anm. 168) 5.118 mit Anni. 7.

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212 ULRICH REULING

nach Antritt seiner selbständigen Regierung nur noch zweimal in Quedlinburg weilte171. Heinrich II. ist in den 22 Jahren seiner Königsherrschaft insgesamt nur dreimal am Ort bezeugt172. Wenn man diese absoluten Zahlen überlieferter Königsaufenthalte mit denen anderer bedeutender Pfalzen im Reich vergleicht, so ist ohne weiteres ersichtlich, daß Qued- linburg seine während der Regierung Heinrichs I. errungene relative Spitzenstellung unter den meistbesuchten Pfalzen und Königshöfen bereits unter Otto I. verloren hat, und zwar an dessen

�Lieblingspfalz" Magdeburg mit 22 überlieferten Aufenthalten 173. Gleichwohl

rangiert Quedlinburg im Itinerar Ottos I. mit mindestens 17 Besuchen noch deutlich vor Frankfurt und Ingelheim mit 12 bzw. 10 überlieferten Aufenthalten174.

Unberührt von dieser Entwicklung blieb indes die herausragende Stellung Quedlinburgs als Osterpfalz. An keinem anderen Ort hat Otto I. diesen höchsten Festtag derart häufig verbracht. Mindestens fünf, wahrscheinlich sogar acht Osteraufenthalten in Quedlinburg stehen drei in Aachen, zwei in Ingelheim und ein Aufenthalt in Dortmund gegenüberl75 Dabei läßt sich - nachweisbar erstmals 948 - ein auch späterhin wiederholt geübter Brauch beobachten, daß der Herrscher den vorangehenden Palmsonntag in Magdeburg feierte176. Da die überlieferten Osteraufenthalte des Königs im Reich erst im Jahre 940 einsetzen, läßt sich nicht sagen, ob Otto bereits zuvor aus diesem Anlaß in Quedlinburg geweilt oder aus nicht näher bekannten Gründen den Ort zunächst gemieden hat177. Der erste Aufenthalt des Königs nach der Gründung des Servatiusstifts im September 936 datiert vom 2. Juli 937, dem Todestag seines Vaters178.

Auffallend ist das Zurücktreten Quedlinburgs im Itinerar Ottos II. und Ottos III. in der Zeit ihrer jeweiligen Alleinherrschaft. Noch beim Regierungsantritt Ottos II. war diese Entwicklung keineswegs abzusehen. So verbrachte der König im April 974 aus Anlaß des Osterfestes fast drei Wochen in Quedlinburg, wo er dem Reichsstift eine - bezeichnender- weise erst am Servatiustag (13. Mai) ausgefertigte - großzügige Schenkung verbriefte179.

171 984 (Juli); 986 April 4; 989 März 31-April 5; 991 April 5- 995 Okt. 13; 1000 April 13. Reg. Imp. Otto III. 956 u/2,980b, 1011/12,1028d, 1150,1357.

172 1003 April 2; 1017 Febr. 26-27; 1021 Sept. 24. Reg. Imp. Heinrich II. 1538,1897b, 1989c. 173 W. SCHLESINGER, Zur Geschichte der Magdeburger Königspfalz, in: BIIDtLdG 104 (1968); Wiederabdr. in:

Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 11) 5.315-345. Im Unterschied zu MÜLLER-MERTENS, Reichsstruktur (wie Anm. 168) S. 265 zählt Schlesinger nur 21 Königsaufenthalte Ottos I. in Magdeburg, da er (S. 331) den Osterauf- enthalt Ottos I. 952 nicht Magdeburg, sondern Quedlinburg zuschreibt; vgl. oben Anm. 169.

174 Das Bild verschiebt sich jedoch, wenn man nicht die Frequenz, sondern die Dauer der Königsaufenthalte in Rechnung stellt, und zwar auf der Grundlage der insgesamt überlieferten oder mit großer Sicherheit zu er- schließenden Besuchstage. Vgl. MÜLLER-MERTENS, Reichsstruktur (wie Anm. 168) S. 269. Danach hätte der kö- nigliche Hof in der Regierungszeit Ottos I. am längsten in Frankfurt geweilt, das mit insgesamt 226 Besuchstagen die Spitze des Herrschcritinerars einnimmt und dabei Magdeburg (105) um mehr als das Doppelte sowie Qucd- linburg (69) um mehr als das Dreifache an Besuchstagen übertrifft. Nach dieser Rechnung rangiert Aachen mit 87 überlieferten Besuchstagen (bei 8 Aufenthalten) noch vor Qucdlinburg.

175 Vgl. MÜLLER-MERTENS, Reichsstruktur (wie Anm. 168) 5.267 f. (Tabelle 2). Für Qucdlinburg gesichert sind Osteraufenthalte für die Jahre 940,941,948,959 und 973 (Reg. Imp. Otto I. 79a, 94a/b, 162a, 265a, 562a). Als wahrscheinlich anzusehen sind Osteraufenthalte in den Jahren 950 (Reg. Imp. Otto I. 187; Ostern 7. April, am Ort bezeugt ist der König April 15 u. 20), 952 (vgl. oben Anm. 169) und 966 (Reg. Imp. Otto I. 427a; die Weihe Mathildes wird am Ostertag vollzogen worden sein; vgl. HusCHNER, Kirchenfest ( wie Anm. 168) 5.51.

176 Reg. Imp. Otto I. 160. Vgl. auch den zu erschließenden Palmsonntag-Aufenthalt 952 (oben Anm. 169). Zur Sache ZOTZ, Königspfalz und Herrschaftspraxis (wie Anm. 168) S. 39.

177 Vgl. dazu die Übersicht bei MÜLLER-MERTENS, Reichsstruktur (wie Anm. 168) S. 267 (Tabelle 2). 178 MGH DO I 12; Reg. Imp. Otto I. 68. 179 Reg. Imp. Otto II. 650-54, bei HUSCHNER, Kirchenfest (wie Anm. 168) 5.132 nicht unter den Festtagsauf-

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 213

Danach jedoch sollten ganze vier Jahre vergehen, bevor der König den Ort ein weiteres und letztes Mal, zum Osterfest des Jahres 978, aufgesucht hat180. Diese Zurückhaltung Ottos II. gegenüber Besuchen in Quedlinburg ist nicht ohne weiteres negativ zu bewerten. Bedenkt man, daß das Quedlinburger Fiskalgut inzwischen auch anderweitig genutzt wurde und häufige Aufenthalte des Hofes eine beträchtliche Belastung für die Betroffenen dar-

stellten, so könnte die Zurückhaltung des Herrschers auch als Schonung des Stifts verstan- den werden. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß sich Otto II. im Unterschied zu seinem Vater auch mit Zuwendungen an das Servatiusstift, das damals unter der Leitung seiner Schwester Mathilde stand, deutlich zurückgehalten hat. Denn abgesehen von der bereits

erwähnten Schenkung an das Stift anläßlich des Servatiustages des Jahres 974, die sich auch mit traditionellen Gepflogenheiten königlicher Zuwendungen an bedeutende Reichs- kirchen beim Regierungsantritt des Herrschers erklären ließe, ist für Quedlinburg keine

weitere Schenkung dieses Herrschers bezeugt181. Von einer besonderen Förderung des Stifts

unter der Regierung Ottos II. kann demnach schwerlich die Rede sein. Im Gegensatz dazu hat der Kaiser das alte liudolfingische Hauskloster Gandersheim, in dem seine Tochter Sophia aufwuchs und späterhin als Äbtissin wirkte, wiederholt und reichlich beschenkt182.

Unter Otto II. gewinnt auffälligerweise Allstedt im südöstlichen Vorland des Harzes den Rang der meistbesuchten Pfalz vor Magdeburg und Memleben. Von 973 bis 979 hat Otto II. jährlich, mitunter sogar mehrfach im Jahr, in Allstedt geweilt183. Die Gründe für diese

auffällige Bevorzugung Allstedts bedürfen noch der Klärung. Auch Otto III. hat in der Zeit seiner Minderjährigkeit, d. h. unter der Regentschaft

Theophanus und Adelheids, Allstedt immerhin sechsmal aufgesucht, in den Jahren seiner selbständigen Regierung dagegen den Ort ganz gemieden184. In Quedlinburg weilte der Herrscher in der Zeit seiner Minderjährigkeit bis 994 viermal, danach jedoch nur noch zweimal, 995 und an dem bereits eingehend erörterten Osteraufenthalt des Jahres 1000185 Dieser Wandel in den Itinerargewohnheiten Ottos III. wird nicht nur im Falle von Qued- linburg und Allstedt erkennbar, sondern betrifft auch andere bedeutende, während der Regentschaft seiner Mutter häufiger besuchte Pfalzen, wie beispielsweise Frankfurt, Mer-

seburg und Pöhlde. Statt dessen hat Otto III. seit 994 vor allem Aachen und im übrigen die kirchlichen Metropolen des Reiches (Magdeburg, Köln, Mainz) deutlich bevorzugt und

enthalten Ottos II. berücksichtigt. Die Schenkung für das Scrvatiusstift MGH DO 11 78; es handelt sich um die benachbarte curtis Ditfurt, ferner um Brockenstedt, Schmon und Duderstadt; Duderstadt hatte 927/29 zum Wittum der älteren Mathilde gehört. Zu Recht nimmt HusCHNER S. 120 an, daß das nachgetragene Tagesdatum des schon während des Osteraufenthaltes in Qucdlinburg vorbereiteten Diploms sicher nicht zufällig gerade auf den Servatiustag angesetzt worden ist. - Wenige Tage vor dieser Ausfertigung hatte Otto II. seiner Schwester, der Qucdlinburgcr Stiftsäbtissin Mathilde, seinen Hof Barby an der Elbe mit Zubehör in +Zizowi und Walter- Nienburg (beide nahe Barby gelegen) vermacht; MGH DO II 77. Vgl. WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. S) S. 123.

113 Reg. Imp. Otto II. 763a. Da der König am 25. März in Magdeburg urkundete, ist anzunehmen, daß Otto II. bewußt der von seinem Vater eingeführten Tradition gefolgt ist, den Palmsonntag in Magdeburg, das Osterfest

aber in Qucdlinburg zu verbringen; vgl. oben Anm. 170. 181 Vgl. WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. S) S. 123. 182 Dazu im einzelnen ALTHOFF, Gandcrsheim und Qucdlinburg (wie Anm. 10) S. 126 f. 111 M. GocimL, Art. Allstcdt, in: Königspfalzen 2 (wie Anm. 28) 1. Lfg. (1984), S. 1 ff., bcs. S. 11 f. 184 Ebd. S. 14. 185 Vgl. oben Anm. 171.

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damit eine Herrschaftspraxis eingeleitet, die bereits wesentliche Elemente der bekannten Reichskirchenpolitik seines Nachfolgers Heinrich II. enthielt186

Während also Otto II. und Otto III. als selbständig regierende Herrscher nur selten in Quedlinburg geweilt haben, wurde der Ort in den acht Jahren der Regentschaft Kaiserin Theophanus viermal aufgesucht, davon dreimal zur Feier des Osterfestes (986,989,991)187. Hinzu kommt, daß Heinrich der Zänker schon zuvor, Ostern 984, Quedlinburg zum Schau- platz einer von ihm selbst inszenierten Gegenkönigswahl gemacht hatte, nachdem er zu- nächst seine Anhängerschaft nach Magdeburg aufgeboten hatte188. Mit diesem demonstra- tiven Rückgriff auf traditionelle Herrschergewohnheiten gleich zum Auftakt seines Gegenkönigtums wollte der Zänker offenbar von dem Makel der Usurpation ablenken, der seinem Vorgehen von Anfang an anhaftete189. Nach dem baldigen Abfall seiner zunächst recht zahlreichen Anhängerschaft im Reich lieferte Heinrich im Juli desselben Jahres in dem thüringischen Königshof Rohr den vierjährigen Otto III., der sich in seinem Gewahrsam befand, an die aus Italien heimgekehrten Kaiserinnen Adelheid und Theophanu aus und entband seine Wähler von den ihm geleisteten Treueiden190. In der Begleitung Adelheids und Theophanus befand sich auch Mathilde von Quedlinburg, die zwischenzeitlich mit ihrer Mutter und Schwägerin in Italien geweilt hatte191. Bezeichnenderweise zog die königliche Familie unmittelbar nach dem Tag von Rohr, der die endgültige Entscheidung im Thron- streit des Jahres 984 gebracht hatte, zunächst nach Quedlinburg. Die gut informierten Quedlinburger Annalen berichten von einem triumphalen Empfang am Ort192. Auf dem Hintergrund der vorangegangenen Ereignisse hätte der Auftakt der nun beginnenden Re- gentschaft für Otto III. also nicht glänzender und symbolträchtiger inszeniert werden kön- nen als mit dieser demonstrativen Einkehr in die traditionsreiche Stätte des ottonischen Königtums.

Es kann kein Zweifel sein, daß Theophanu und an ihrer Seite Mathilde, über deren Rolle als Mitregentin wir leider nur ganz unzureichend informiert sind193, in der Folgezeit die traditionelle Rolle Quedlinburgs als Osterpfalz im Herrscheritinerar wieder verstärkt zur Geltung gebracht haben. Nur selten gestattet die Überlieferung, sich ein anschauliches Bild vom Ablauf dieser Osteraufenthalte zu machen. So berichtet Thietmar von Merseburg vom Osterfest des Jahres 986, daß im Rahmen der Festlichkeiten die Herzöge von Bayern, Schwaben, Kärnten und Sachsen als Inhaber der vier traditionellen Erzämter den Ehren- dienst für den König verrichtet haben, wobei der Auftritt des Bayernherzogs Heinrich des Zänkers als Mundschenk zwei Jahre nach seinem erfolglosen Versuch, die Königswürde zu

116 Dazu grundlegend FLECKENSTEIN, Hofkapelle 2 (wie Anm. 72) S. 140 ff. Vgl. auch BRÜHL, Fodrum (wie Anm. 39) 5.120.

161 Vgl. oben Anm. 171. 111 Reg. Imp. Otto III. 956 s/i, t/I. 119 ZoTZ, Königspfalz und Herrschaftspraxis (wie Anm. 168) S. 40; zusammenfassend zu den Vorgängen zuletzt

GLOCKER, Verwandten (wie Anm. 79) S. 179 ff. 190 M. GOCKEL, Art. Rohr, in: Königspfalzen 2 (wie Anm. 28) 4. Lfg. (1991), S. 433f. 191 UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) S. 23. GLOCKER, Verwandten (wie Anm. 79) S. 204. 192 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 984, S. 66: Accepto itaque pignore unico, praedictae imperiales dominae

Saxoniam adierunt: ac primo saepe iam dictam Quedelingenis montiudi vertice eminentem usque civitatem una pervenientes, dttlcisona laudum melodia, cleri scilicet ac populi Christoque inibi farnulantium virginun: occurs:: gemino, gaudiorum affectu et pro optato spiritalis matris adventu et pro triumphali regis eventu pie gratulantiun:, officiosissime susceptae, quod reliquum erat viae suanrno cum honore transiere.

193 CLOCKER, Verwandten (wie Anm. 79) 5.201 ff.; FREISE, Mathilde (wie Anm. 121) 5.377.

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 215

usurpieren, der Veranstaltung eine besondere Note verlieh194 Die deutliche Parallele, die diese Nachricht von den Ehrendiensten der Herzöge in dem (auch Thietmar bekannten) Bericht Widukinds von Corvey über das Aachener Krönungsmahl des Jahres 936 besitzt, ist als Indiz dafür gewertet worden, daß dem Ostermahl in Quedlinburg eine Festkrönung Ottos III. vorangegangen war191Neben den offenbar zahlreich erschienenen Großen des Reiches hatten sich zum Osterfest des Jahres 986 auch die Herzöge Boleslaw von Böhmen und Mieszko von Polen eingefunden, um ihrer Tributpflicht zu genügen. Beide Slawenfür- sten seien mit reichen Geschenken in die Heimat zurückgekehrt196. Das Quedlinburger Osterfest des Jahres 989 stand im Zeichen der bevorstehenden Romfahrt Theophanus. Aus diesem Anlaß war auch eine Abordnung italienischer Großer in Quedlinburg erschienen197 Wahrscheinlich befand sich Otto III. in den ersten Monaten der Abwesenheit der Mutter in der Obhut seiner Tante Mathilde in Quedlinburg198. In einem besonders glänzenden Rahmen scheint schließlich auch das Osterfest des Jahres 991 verlaufen zu sein. Wiederum hatten sich neben den Großen des Reiches Fürsten und Abordnungen aus dem Ausland eingefunden, darunter ein weiteres Mal der Polenherzog Mieszko und Markgraf Hugo von Tuszien cum ceteris Europae primis, wie die Quedlinburger Annalen vollmundig hinzufü- gen199. Kurze Zeit später ist Theophanu verstorben. Die nun an ihrer Stelle mit der Re- gentschaft betraute, hochbetagte Kaiserin Adelheid hat in den verbleibenden drei Jahren, die noch bis zum Antritt der selbständigen Regierung Ottos III. vergingen, Quedlinburg offenbar nicht mehr aufgesucht200. Von den beiden späteren Aufenthalten des Kaisers am Ort, von denen nur der des Jahres 1000 im Zeichen der Feier des Osterfestes stand, war bereits die Rede201.

Heinrich II. hat unter den sächsischen Pfalzen eindeutig Merseburg (26 Aufenthalte) bevorzugt, wo sich offenbar ein älterer Stützpunkt der bayerischen Linie der Liudolfinger befand, der Heinrich bekanntlich entstammte202. Von den nur mehr drei überlieferten Auf- enthalten des Königs in Quedlinburg während seiner zweiundzwanzigjährigen Regierungs- zeit (1003,1017,1021) fällt nur einer auf die Ostertage, und zwar der erste203. Daß Heinrich mit diesem Festtagsaufenthalt zum Auftakt seiner Regierung an den Brauch seiner Vor-

194 Thictmar, Chronik (wie Anm. 48) IV 9, S. 140 f.: Celebrata est proxima paschalis sollemnitas in Qitidelin- geburg a rege, ubi quattuor ministrabant dttces, Heinrichs ad mensam, Conrad ad cameram, Hecil ad cellaritmt, Bernhardus equis prefuit. - Es handelte sich um die Herzöge Heinrich von Bayern, Konrad von Schwaben, Heinrich von Kärnten und Bernhard von Sachsen. Dazu zuletzt BEUMANN, Ottonen (wie Anm. 46) S. 131: �Im übrigen wurde die Königserhebung Heinrichs des Zänkers beim Osterfest von 984 an ihrem Schauplatz symbol- trächtig ausgelöscht".

191 KLEWrrZ, Festkrönungen (wie Anm. 39) S. 80 ff.; UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III (wie Anm. 77) S. 69 f. und zuletzt BEUMANN, Ottonen (wie Anm. 46) 5.131.

196 CHR. LÜBKE, Regesten zur Geschichte der Slawen an Elbe und Oder (vom Jahr 900 an) (Gießener Abhand- lungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 134), Teil III: Regesten 983-1013,1986, Nr. 273.

197 Reg. Imp. Otto III. 1011/12; UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) S. 112. 198 UHRLIRZ a. a. O. S. 123; GLOCKER, Verwandten (wie Anm. 79) S. 204. 199 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 991, S. 68. Vgl dazu UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) S. 136f.;

LÜBKE, Regesten (wie Anm. 196) Nr. 259. 203 Vgl. Reg. Imp. Otto III. 1038b-1117a. 231 Siehe oben S. 208. 232 LEYSER, Herrschaft und Konflikt (wie Anm. 92) S. 36 f. W. SCHLESINGER, Morseburg (Versuch eines Modells

künftiger Pfalzenbcarbeitung), in: Deutsche Königspfalzen 1 (VcröffMPIG 11/1), 1963, S. 158-206, hier insbes. S. 175ff.; BEYREUTHER, Osterfeier (wie Anm. 168) S. 249ff.

231 Reg. Imp. Heinrich II. 1537b.

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216 ULRICH REULING

gänger anknüpfte, wird von den Quedlinburger Annalen und Thietmar von Merseburg

ausdrücklich betont, wobei offen bleibt, ob sich nach Ansicht der Autoren dieser Brauch

nur auf das erste Osterfest des Königs nach Antritt der Regierung bezog oder ob eine Mehrzahl von Osterfesten in Quedlinburg begangen werden sollte. Die zweite Möglichkeit scheint mir angesichts der Herrschaftspraxis der Ottonen die größere Wahrscheinlichkeit

zu besitzen. Unmittelbar vor dem Quedlinburger Osteraufenthalt des Jahres 1003 hatte Heinrich II. - ebenfalls traditionsgemäß, wenn auch in dieser Weise nicht ausdrücklich betont - den Palmsonntag in Magdeburg verbracht204. In den folgenden Jahren hat der König dann mit Aachen (1005) und Ingelheim (1006) auch den beiden anderen traditio- nellen Osterpfalzen seine Aufwartung gemacht205. Danach jedoch erfolgte ein radikaler Bruch mit den bisherigen Gepflogenheiten206. Neben Merseburg, dem bevorzugten Aufent- haltsort des Herrschers auch für die Osterfeiern, treten eine ganze Reihe weiterer solcher Festtagsorte entgegen, zumeist Bischofssitze, die bis dahin über keine Osterfesttradition verfügt hatten und auch außerhalb der ottonischen Zentralräume Ostsachsen/Nordthü- ringen, Rheinfranken und Niederlothringen lagen. Gerald Beyreuther spricht in diesem Zusammenhang von einer �Tendenz zur Regionalisierung im Rahmen der königlichen Fei- erpraxis" als Teilerscheinung eines generellen Wandels in der Herrschaftspraxis des Kö- nigs207.

Nach dem Osterfest des Jahres 1003 hat Heinrich II. Quedlinburg nur noch zweimal aufgesucht, 1017 anläßlich der Weihe der wiederhergestellten Klosterkirche St. Marien auf dem Münzenberg und 1021 bei der feierlichen Abschlußweihe der Servatiuskirche auf dem Schloßberg, des Vorgängerbaues der heutigen Kirche208. Beide Herrscheraufenthalte galten also primär dem Reichsstift und sind als solche ausgesprochen situationsbedingt zu bewer- ten.

Auch die ersten Salier haben den Ort nur noch selten aufgesucht. Sowohl Konrad II. als auch Heinrich III., unter dem Goslar die Spitzenstellung unter den Pfalzen des Reiches einnahm, sind in Quedlinburg jeweils lediglich zweimal nachweisbar, wobei keiner dieser Königsaufenthalte in Zusammenhang mit der Feier eines hohen Kirchenfestes stand209. Für

201 Ann. Qucd. (wie Anm. 27) ad a. 1003, S. 78: Quadragesimali autem tempore Parthenopolim venit, diem palmarum ibidem acturus. Inde quam celerrime Quidelingnensem Metropolim, more avorum atavorutnque prio- rum regum, pergens, cum optimatibtts suis et poptdi conflstentia paschalia festa peregit. Vgl. auch Thictmar, Chronik (wie Anm. 48) V, 315.257: Finita namque quadragesimali abstinencia, sicut exorsus sum, festem paschale Quidilingaburg antecessorum sttorttm more honorabiliter rex celebravit.

201 Reg. Imp. Heinrich II. 1591e, 1612. tob BEYREUTHER, Osterfeier (wie Anm. 168) 5.250. 207 Ebd. S. 250 f. 208 Reg. Imp. Heinrich II. 1897b und 1990. Die Maricnkirchc war 1015 durch Blitzschlag schwer beschädigt

worden. Die Neuweihe am 27.2.1017 wurde in Anwesenheit des Kaisers durch Bischof Arnulf von Halberstadt unter Assistenz Erzbischof Geros von Magdeburg vorgenommen. Der Kaiser schenkte aus diesem Anlaß dem Kloster 1 Pfund Gold für den Altar. Vgl. auch BRINKMANN, Bau- und Kunstdenkmäler (wie Anm. 2) T. 1,5.171. Die Schlußweihe des schon bald nach 968 durch die jüngere Mathilde in Angriff genommenen Neubaus der Servatiuskirche erfolgte am 24.9.1021 durch Bischof Arnulf von Halberstadt. Einen ungewöhnlich ausführlichen Bericht über die bei diesem Anlaß vorgenommenen zahlreichen Altarweihen bieten die Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 1021, S. 86f. Vgl. dazu auch VOIGTLÄNDER, Stiftskirche (wie Anm. 56) S. 91ff. Ausführlich zu den beiden Kirchweihen K. J. BENZ, Untersuchungen zur politischen Bedeutung der Kirchweihe unter Teilnahme der deutschen Herrscher im hohen Mittelalter (RegensburgHistForsch 4), 1975, S. 145 ff., 176 ff.

209 Konrad II.: 1025 (Ende Januar), 1032 Dez. 17; Reg. Imp. Konrad II. 17d, 190. - Heinrich III.: 1045 Sept. 22 (MGH DH III 146), 1050 Jan. 13 (DH III 247). Grundlegend zum Itinerar Konrads II. jetzt MtLLER-MER- TENS/HUSCHNER, Reichsintegration (wie Anm. 168).

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 217

den Besuch Heinrichs III. 1045 gab es zudem einen besonderen Anlaß, der wiederum das Reichsstift betraf. Denn erst kurz zuvor hatte der König seine kaum neunjährige Tochter Beatrix als Stiftsäbtissin in Quedlinburg eingesetzt. Die noch ausstehende Weihe hat Beatrix allerdings nicht in Quedlinburg, sondern auffallenderweise erst im folgenden Jahr auf einem Hoftag Heinrichs III. in Merseburg erhalten 210.

Etwas stärker als unter den beiden ersten Saliern wurde der Ort unter Heinrich IV. frequentiert. Dabei sind für Heinrich selbst insgesamt fünf Aufenthalte bezeugt, wobei jeweils zwei in relativ kurzen Abständen aufeinander folgten und in eine verhältnismäßig frühe Phase seiner Regierung fielen (1064/65 sowie 1069/70). Bemerkenswert sind die beiden Festtagsaufenthalte der Jahre 1069 (Ostern) und 1070 (Himmelfahrt)211. Daß mit Heinrich IV. zum ersten Mal nach über sechzig Jahren ein König wieder das Osterfest in Quedlinburg feierte, mag für sich genommen nicht viel bedeuten. Indes fällt auf, daß sowohl die Gegenkönige Rudolf von Rheinfelden (1079) und Hermann von Salm (1085) als auch der gegen seinen Vater rebellierende Heinrich V. (1105) Quedlinburg zur Feier des Oster- festes aufgesucht haben212. Dieses auffällige Hervortreten der alten Pfalzfunktionen Qued- linburgs als des

�rechten" Ortes für eine Osterfeier des Königs macht deutlich, welche Stärke diese Tradition noch besaß, ungeachtet der zwischenzeitlich geübten Herrschafts- praxis der Könige: Von einem Osteraufenthalt in Quedlinburg konnte man sich in politisch kritischen Situationen offenbar eine herrschaftslegitimierende Wirkung auf das Königtum erhoffen. Und dies um so mehr, wenn ein solcher Festaufenthalt - wie 1085 - zugleich den Rahmen für eine Kirchensynode abgab213. Besonders demonstrativ haben Heinrich V. und seine Anhänger den Osteraufenthalt des Jahres 1105 zu inszenieren gewußt. Dabei scheint die Initiative von seinen sächsischen Anhängern ausgegangen zu sein, die den jungen König aufforderten, nach Sachsen zu kommen214. Nachdem Heinrich bereits Mitte März bayerische Adlige seines Vertrauens zu vorbereitenden Verhandlungen über einen Kriegszug gegen seinen Vater nach Quedlinburg vorausgeschickt hatte, begab er sich selbst Palmsonn- tag zunächst nach Erfurt215, wo ihm die von Heinrich IV. abgefallenen sächsischen und thüringischen Großen gleichsam zum �Regierungsantritt"

huldigten zl6. Von dort begab sich

210 KREMIER, Äbtissinnen (wie Anm. 121) S. 20f. Bereits 1045 April 26 stand Beatrix dem Stift als Äbtissin vor (vgl. MGH DH III 133). Die Weihe in Mcrscburg überliefern die Annales Altahenses maiorcs ad a. 1046, cd. E. VON OEFELE (MG SSrerGGcrm 4), 2. Aufl. 1891, S. 41.

211 1064 Nov. 18,1065 (Ende Januar); Reg. Imp. Heinrich N. 352,355-57.1069 April 12,1070 Mai 13; G. MEYER VON KNONAU, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., 7 Bde., 1890/1909, hier Bd. 1,5.611, Bd. 2, S. 8.

212 Rudolf von Rhcinfclden: MGH DRud 1 (1079 März 25); vgl. MEYER VON KNONAU (wie Anm. 211) Bd. 3, 5.205 f. - Hermann von Salm: MEYER VON KNONAU Bd. 4, S. 14 ff. - Heinrich V.: MEYER VON KNONAU, Bd. S, S. 221; L FENSKE, Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Sachsen (VeröffMPIG 47), 1977, 5.158 f.

213 Die Quedlinburger Synode tagte unter Leitung des päpstlichen Legaten Odo von Ostia, des späteren Papstes Urban II. A. BECKER, Papst Urban II. (1088-1099) 1 (SchrrMGH 19/1), 1964, S. 71 f. Vgl. auch H. BEUMANN, Die Auctoritas des Papstes und der Apostelfürsten in Urkunden der Bischöfe von Halberstadt. Vom Wandel des bischöflichen Amtsverständnis in der späten Salicrzeit, in: Die Salier und das Reich 2: Die Reichskirche in der Salierzeit, hg. Von ST. WEINFURTER, 1991, S. 336 f.; DERS., Zu den Pontificalinsignien und zum Amtsverständnis der Bischöfe von Halberstadt im hohen Mittelalter, in: SachsAnh 18 (1993), S. 39 ff.

211 FENSKE, Adelsopposition (wie Anm. 212) S. 159 mit Anm. 324. 211 Ebd. S. 1S9. 216 G. SCHEIBELREITER, Der Regierungsantritt des römisch-deutschen Königs (1056-1138), in: MIOG 81 (1973),

S. 27.

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der König nach Gernrode, wo er sich am Gründonnerstag aufhielt, um schließlich Karfreitag in Quedlinburg einzutreffen, nudis pedibus, wie die sogenannten Paderborner Annalen

ausdrücklich hinzufügen217. Während Heinrich V. nach der Absetzung des Vaters nur noch einmal, zu Mariä Lichtmeß

1107, in Quedlinburg weilte218, hat Lothar III. als letzter Herrscher diese Pfalz wieder stärker in das königliche Itinerar eingebunden. Allerdings setzen seine Aufenthalte am Ort erst Pfingsten 1129 ein, als der Kaiser der Schlußweihe der nach der Brandkatastrophe des Jahres 1070 neu errichteten Servatiuskirche beiwohnte219. Im folgenden Jahr hat Lothar wiederum Pfingsten in Quedlinburg verbracht. Bemerkenswert sind ferner die beiden Fest- tagsaufenthalte des Jahres 1135 zu Mariä Lichtmeß und Ostern. Es kann danach kein Zweifel sein, daß der Sachse Lothar wieder sehr viel stärker als seine Vorgänger an die Festtagstradition der Pfalz angeknüpft hat, wobei die wiederholte Feier des Pfingstfestes ein Novum war und ohne Nachahmung blieb. Der Osteraufenthalt des Kaisers 1135 war zugleich der letzte, den ein Herrscher in Quedlinburg verbrachte. Um so bemerkenswerter ist es, daß Lothar mit der Feier von Mariä Lichtmeß in Quedlinburg eine neue, auch von seinem Nachfolger Konrad III. weitergeführte Tradition begründet hat. Welche Stärke sie bereits beim Tode Lothars III. besaß, wird deutlich am Verhalten der Königinwitwe Ri- chenza, die im Zuge des mehrmonatigen politischen Tauziehens um die Thronkandidaturen ihres Schwiegersohns Heinrichs des Stolzen und des Staufers Konrad einen Fürstentag zu Mariä Lichtmeß nach Quedlinburg einberief, dessen Zustandekommen dann allerdings der stauferfreundliche Markgraf Albrecht der Bär mit Waffengewalt zu verhindern vermoch- te220. Heinrich V. hatte 1107 wohl zum ersten Mal dieses Marienfest in Quedlinburg be- gangen, aus dem gleichen Anlaß weilte Konrad III. später zweimal am Ort, 1139 und 1143221. Dieser Befund verdient vor allem deshalb Beachtung, weil Mariä Lichtmeß als Festtag und Termin von Hoftagen neben den sogenannten hohen Kirchenfesten in der Herrschaftspraxis der Salier und Staufer offenbar eine zunehmend wichtige Rolle gespielt hat, ohne daß sich damit zunächst eine bestimmte Ortstradition verknüpft hätte222. Mit Friedrich Barbarossa allerdings, der ebenso wie Konrad III. nur insgesamt dreimal am Ort nachweisbar ist223, bricht die Festtagstradition in Quedlinburg dann gänzlich ab.

217 Annales Patherbrunnenscs ad a. 1105, cd. P. SCHEFFER-BOICHORSr, 1870, S. 108 L; MEYER VON KNONAU

(wie Anm. 211) Bd. 5,5.221. 211 H. J. STÜLLEIN, Das Itincrar Heinrichs V. in Deutschland, Phil. Diss. München 1971, S. 30. 219 Reg. Imp. Lothar III. 193. Die weiteren Aufenthalte: 1130 Mai 18 (Pfingsten); 1134 April 25,1135 Fcbr.

2, April 7; 1136; Reg. Imp. Lothar III. 236,394,423,436,485. - Zum Itincrar Lothars III. allgemein E. WADLE, Reichsgut und Königsherrschaft unter Lothar III. (1125-1137) (SchrrVcrfassungsG 12), 1969, S. 152ff.

220 Ann. Patherbrunnenses (wie Anm. 217) ad a. 1138, S. 165f.: Imperatrix Richeza indixit conventum princi- pum in festo pari ficationis sanctae Mariae Quidilingaburg. Qui conventus inmpeditus est ab Athelberto marchione et suis commanipularibus, tollentibus omne servitium imperatricis, quod ibi habere debuit, et introitum in urbem ei prohibentibus et plurima dampna tam rapinis, quam incendiis ei inferentibuu. - Dazu im einzelnen W. BERN- HARDI, Konrad III. (Jahrbücher der deutschen Geschichte), 1. Theil: 1138-1145,1883, S. 11 ff.; U. SCHMIDT, Königswahl und Thronfolge im 12. Jahrhundert (Beihefte zu J. F. Böhmer, Rcgesta Impcrii 7), 1987, S. 69 ff., hier insbes. S. 78 f.

221 Vgl. oben Anm. 218 sowie unten Anm. 223. 222 H. M. SCHALLER, Der heilige Tag als Termin mittelalterlicher Staatsakte, in: DA 30 (1974), S. 1-24, hier

S. 8 f. 221 Konrad III.: 1138 Juli 26 (MGH DKo III 13; dazu die Vorbemerkung a. a. O. ); 1139 Fcbr. 2 (Ann. Saxo,

MGH SS 6, S. 776); 1143 Fcbr. 2 (Annales Palidenses ad a. 1143, MGH SS 16, S. 81); BERNHARDT, Konrad III. (wie Anm. 220), S. 57,77,313. - Friedrich I.: 1154 April 11 (MGH DF I 73), 1174 März 3,1181 -; F. OPLL,

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 219

Aufs Ganze gesehen ist nicht zu verkennen, daß die wechselnde Vorliebe der Könige für bestimmte Pfalzen auch im Falle Quedlinburgs ein besonders auffallendes Moment der Diskontinuität seiner Entwicklung darstellt. So rückte Quedlinburg schon unter Otto II. und Otto III. und nicht erst mit dem Regierungsantritt Heinrichs II. in das große Feld jener Pfalzen und Königshöfe ein, die von den Herrschern nur selten aufgesucht wurden. Auf- gehalten wurde diese Entwicklung für eine kurze Zeit während der Phase der Regentschaft der Kaiserin Theophanu und der ihr eng verbundenen Stiftsäbtissin Mathilde und noch einmal in der Frühzeit und während der Krisenzeiten des Königtums unter Heinrich IV.

Gleichwohl hat Quedlinburg im Itinerar der Könige den besonderen Charakter einer Osterpfalz bewahrt. Hierin liegt zweifellos das auffallendste Moment der Kontinuität in den Pfalzfunktionen des Ortes. Die Tradition, das höchste kirchliche Fest in Quedlinburg zu feiern, sofern der Reiseweg des Hofes dies ermöglichte, geht schon auf Heinrich I. zurück. Von vier nachweisbaren Osteraufenthalten seiner Regierung hat er drei in Qued- linburg verbracht. Wie es zu dieser Tradition gekommen ist, wissen wir nicht. Gerd Althoff hat kürzlich darauf hingewiesen, daß sich mit Heinrichs I. erstem Osteraufenthalt in Qued- linburg zugleich der feierliche Regierungsantritt in seiner sächsischen Heimat verknüpft hat, die er erst im dritten Jahr seiner Königsherrschaft wiedersah - man muß hinzufügen: wenn das sehr lückenhaft bekannte Itinerar Heinrichs I. nicht trügtM4. Welche starken Wurzeln diese Festtagstradition bereits in der frühen Ottonenzeit hatte, wird daran deutlich, daß Otto I. mit ihr auch dann nicht brach, als schon bald nach seinem Regierungsantritt Magdeburg als bevorzugte Pfalz des Herrschers Quedlinburg verdrängte, ohne jedoch des- sen Rolle als Osterpfalz zu beeinträchtigen. Vielmehr entwickelte sich nun mit Bezug auf die beiden benachbarten sächsischen Pfalzen jene neue Festortkonstellation, wonach der König Palmsonntag in Magdeburg, Ostern aber in Quedlinburg verbrachte. An diesen Brauch haben auch die Nachfolger Ottos I. wiederholt angeknüpft. Es ist bezeichnend, daß sich nicht zuletzt auch Gegenkönige dieser Tradition bedient haben, das Osterfest in Qued- linburg zu verbringen, selbst dann noch, als diese Herrschaftspraxis seit dem Osteraufent- halt Heinrichs II. 1003 schon längst außer Übung gekommen war. Die demonstrative Rück- kehr zu diesem alten Brauch durch Rudolf von Rheinfelden, Hermann von Salm und nicht zuletzt durch Heinrich V. sollte offenbar die eigenen Ansprüche auf die Königsherrschaft in sinnfälliger Weise legitimieren. Das setzt voraus, daß Quedlinburg ungeachtet von wech- selnden Herrschergewohnheiten noch immer als �rechter" Ort für eine königliche Osterfeier galt. Eine eigene, wenn auch nur sporadisch und kurzzeitig geübte Festtagspraxis bildete sich - soweit ersichtlich - seit der Regierung Heinrichs V. heraus, indem Quedlinburg wiederholt von den Herrschern zu Mariä Lichtmeß aufgesucht wurde. Mit Konrad III. enden die Festtagsaufenhalte am Ort. Bezeichnend für diesen Traditionsverlust ist das Ver- halten Friedrich Barbarossas im Jahre 1154, als er unmittelbar vor seinem Aufenthalt in Quedlinburg das Osterfest noch in Magdeburg feiertez'1.

Das Itinerar Kaiser Friedrich Barbarossas (1152-1190) (Beihefte zu J. F. BÖHMER, Regesta Imperii 1), 1978, S. 168, 208,220.

221 ALTHOFF, Gandcrshcim und Quedlinburg (wie Anm. 10) 5.129; vgl. oben Anm. 52. 22S OiLL, Itinerar (wie Anm. 223) 5.168.

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220 ULRICH REULING

V.

Während Quedlinburg als Pfalzort im Itinerar der Herrscher schon gegen Ende des 10. Jahrhunderts stark zurückgetreten war, hatte seine Bedeutung als Sitz eines der vornehm- sten königlichen Stifte im Reich keine Einbußen erfahren. Im Gegenteil, dank der nach- haltigen Förderung durch das ottonische Königshaus und insbesondere durch das Wirken der Äbtissin Mathilde stand das Servatiusstift im ausgehenden 10. Jahrhundert in voller Blüte226. Materiell war der Konvent von Anfang an gut gestellt. Seine reiche Gründungs-

ausstattung hatte Otto I. durch weitere Schenkungen, die sich über seine gesamte Regie- rungszeit verteilten, noch beträchtlich vermehrt227. Weniger freigiebig hatte sich dagegen Otto II. gezeigt. Ausdrücklich überliefert ist nur die zu Beginn seiner selbständigen Regie- rung erfolgte Schenkung der Orte Ditfurth, Brockstedt, Schmon und Duderstadt an das Stift, worauf bereits hingewiesen wurde128. Darüber hinaus hat der Kaiser allerdings seiner Schwester, der Äbtissin Mathilde, weitere Zuwendungen gemacht. 974 überwies er ihr seinen Hof Barby (unweit der Einmündung der Saale in die Elbe) mit Zubehör in den nahe gelegenen Orten +Zizowi und Walternienburg? 29. Späterhin hat er Mathilde gar ein Viertel seines Vermögens vererbt230. Diese Erbschaft wurde von der Äbtissin 986 zur Ausstattung einer neuerlichen Klostergründung am Ort verwandt, der Stiftung des Benediktinerinnen- konvents St. Marien auf dem Münzenberg nordwestlich des Quedlinburger Schloßberges. Dieser Konvent, der später vor allem Angehörige des niederen Adels aufnahm, wurde dem Servatiusstift als Eigenkloster unmittelbar unterstellt 231.

Schon ein Jahr zuvor, noch unter der Regentschaft der Kaiserin Theophanu, hatte Otto III. auf Intervention seiner Großmutter, der Kaiserin Adelheid, Mathilde die Königs- höfe Wallhausen, Berga, Walbeck sowie das Slawenland Siuseli übertragen, ein Landstrich an der Mulde nordöstlich Halle um Landsberg, Brehna und Delitzsch. Hinzu kam der Königshof Trebur im Rhein-Maingebiet722. In beiden Fällen handelte es sich um Besitzkom-

226 GROSSE, Gründung und Glanzzeit (wie Anm. 32) S. 21ff.; LORENZ, Werdegang (wie Anm. 4) S. 56ff., hier insb. S. 61; SCHEIBE, Studien (wie Anm. S) S. 21 f.; WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. S) 5.123 ff.

227 MGH DO I 18 (937); 61 (944); 75 (954); 172 (954); 184 (956); 185 (956); 186 (956); 228 (961). Dabei handelt es sich im Falle von DO I 75 und 228 allerdings um Teile des Wittums der älteren Mathilde, die der König auf ihren Wunsch dem Stift übertragen hat; im Falle von DO I 184 und 185 waren die Zuwendungen an das Stift für den Unterhalt seiner Tochter Mathilde gedacht. Vgl. im einzelnen WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. 5) S. 121 ff. Knappe Würdigung der Schenkungen auch bei ALTHOFF, Gandersheim und Qucdlinburg (wie Anm. 10) S. 126 f.

228 Vgl. oben S. 212 mit Anm. 179. 229 MGH DO 11 77. 230 Thictmar, Chronik (wie Anm. 48) 111 25, S. 128f.:... namque inperator... graviter infirmatus, zit extrema

persensit adesse, omnem suimet pecttniam partes divisit in quatuor, unam aecclesiis, II°" pauperibus, III°'" dilectae suimet sorori Mahtildae, quae abbaciam in Quidilingeburg devota Christo famula obtinttit, quartam suis tristibtts donavit ministris ac militibus. Vgl. Reg. Imp. Otto 11.919e; K. UHLIRZ, Jahrbücher des deutschen Reiches unter Otto II. und Otto III., Bd. 1: Otto II. 973-983,1902, S. 206.

231 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 986, S. 67: Eodem anno monasterium in monte occidentali Quedelingensi in honore sanctae Dei genitricis Mariae, ob monimentum unici et dilecti germani fratris sui, sub religione regulae sancti Benedicti a Mechtilde, imperiali gemma et filia, studiosissime constructum est. - Die Unterstellung des Klosters unter St. Scrvatii ergibt sich aus dem Schutzprivileg Papst Silvesters H. von 999 (vgl. oben Anm. 91 bzw. 117). Knapper Umriß der Klosterentwicklung: BRINKAIANN, Bau-und Kunstdenkmäler (wie Anm. 2), Teil 2, 5.117 ff.

232 MGH DO 111 7; Reg. Imp. Otto III. 963; DO 111 8; Reg. Imp. Otto III. 965.

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plexe aus dem Heiratsgut Adelheids, die nun ihrer Tochter Mathilde zu lebenslanger Nut- zung übertragen wurden733. Die Frage der Rechtsform dieser Zuwendung hatte zuvor aber offensichtlich zu Meinungsverschiedenheiten am Hofe geführt. Während Adelheid ihr Hei- ratsgut als Eigentum betrachtete, über das sie frei verfügen zu können glaubte, wurde diese Rechtsauffassung seitens der königlichen Kanzlei nicht geteilt und der im Auftrag Adelheids bereits angefertigte Entwurf von DO III 7 zurückgewiesen zugunsten einer veränderten Fassung, welche die königlichen Rechte an diesen Besitzkomplexen betonte734. Bis auf den Königshof Walbeck mit seinem reichen Zubehör, der 992 dem Servatiusstift mit der aus- drücklichen Auflage der Gründung eines Benediktiner-Nonnenklosters in Walbeck ge- schenkt wurde735, sind die übrigen Besitzkomplexe nach dem Tod der Äbtissin Mathilde 999 offensichtlich wieder in die Verfügungsgewalt des Reiches zurückgefallen 236.

Die hier getroffene Unterscheidung von Stiftsbesitz und persönlichen, Mathilde auf Le- benszeit gewährten Nutzungsrechten, ist auch für die Beurteilung der späteren königlichen Zuwendungen wichtig. Während das Servatiusstift selbst von Otto III. nur eine, 995 ge- währte Güterschenkung erhielt, bei der es sich um Besitz an fünf Orten des Harzgaues handelte37, wurden die Äbtissinnen Mathilde und Adelheid noch mehrfach bedacht. Das betraf zunächst die slawischen Orte Potsdam und Geltow im Havelland, die Mathilde 993 übertragen wurden738, sowie zwei an die Person der Äbtissin Adelheid gerichtete Schen- kungen im Jahre 999. Dabei handelt es sich zum einen um die neuerliche Überlassung des Hofes Barby, dessen Nutzungsrechte bereits ihre Vorgängerin Mathilde innegehabt hatte, zum anderen um die Übertragung einer ganzen Landschaft, der provintia Gera, die ihr Otto III. aus Königsgut zuwandte239.

Die Forschung hat diese herrscherlichen Zuwendungen im allgemeinen als Schenkungen an das Servatiusstift betrachtet und mit Blick auf die im Kolonisationsgebiet gelegenen Orte und Regionen Siuseli, Potsdam/Geltow und Gera auf die dem Stift vom König damit zugewiesenen großräumigen siedlungs- und missionspolitischen Aufgaben hingewiesen 240. Doch hat bereits Walter Schlesinger beobachtet, daß sich Quedlinburger Kirchengründun- gen in diesen Gebieten nicht nachweisen lassen und darüber hinaus - von dem Sonderfall Gera abgesehen - auch keinerlei spätere Besitzrechte des Stifts überliefert sind. Daher rech- nete Schlesinger damit, daß das Königtum diese Schenkungen bald wieder rückgängig ge-

133 Dazu im einzelnen UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77), Exkurs IV: Die Schenkungsurkunde Ottos III. für die Äbtissin Mathilde von Quedlinburg vom 5. Febr. 985, S. 444ff. Weiterführend M. GOCKEL, Die Bedeutung Treburs als Pfalzort, in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung, Bd. 3 (VcröffMPIG 11/3), 1979,5.105 ff.

231 GocKEL, Trebur (wie Anm. 233), S. 106f.; vgl. schon UHLIRZ (wie Anm. 233). 235 MGH DO III 81 (wie oben Anm. 117). 236 Deutlich wird dies am Beispiel Trcburs; vgl. GOCKEL, Trebur (wie Anm. 233) S. 95 f. Bald nach dem Tode

der jüngeren Mathilde hat Otto III. die erste sich bietende Gelegenheit genutzt, um von der Treburer Pfalz wieder unmittelbar Besitz zu ergreifen. Dazu hat der Kaiser im Anschluß an den Zug nach Gnesen im Jahre 1000 von Qucdlinburg aus - das Ziel Aachen bereits vor Augen - gleichwohl den Umweg über Trebur gewählt (vgl. Reg. Imp. Otto III. 1358/59). Nach seinem denkwürdigen Besuch am Grabe Karls des Großen in Aachen hat Otto III. wenige Wochen später dann nochmals für einige Tage in Trebur geweilt (Reg. Imp. Otto III. 1372-1376).

2" MGH DO 111 177; Reg. Imp. Otto III. 1151. 218 MGH DO III 131; Reg. Imp. Otto III. 1099. 239 MGH DO 111 321 f.; Reg. Imp. Otto III. 1318 f. 242 Vgl. WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. S) S. 124f.; UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) 5.169;

W. SCHLESINGER, Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter, Bd. 1 (MittcldtForsch 27/1), 1962, S. 149 f.

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macht habe241. Wenn man aber berücksichtigt, daß diese Besitzrechte den ausnahmslos dem ottonischen Haus entstammenden Äbtissinnen persönlich übertragen worden waren und wahrscheinlich ebenso wie die früheren Zuwendungen nur zum Zweck lebenslanger Nut- zung, so muß es nicht überraschen, wenn weder Hinweise auf eine planmäßig betriebene Missionspolitik des Servatiusstifts in den betreffenden Gebieten noch spätere Besitzrechte festzustellen sind242. Allein für Gera sind solche Rechte Ende des 12. Jahrhunderts nach- weisbar243. In diesem Fall ist wohl ebenso wie beim Königshof Walbeck 992 mit einer Übertragung und Schenkung des Königsgutes an das Reichsstift zu rechnen. Zu einer Klo- stergründung ist es im Unterschied zu Walbeck in Gera allerdings nicht gekommen.

Insgesamt gesehen ist nicht zu verkennen, daß sich bereits unter der Regierung Ottos II. die königliche Schenkungspraxis gegenüber dem Reichsstift deutlich gewandelt hatte. Wäh- rend Otto I. mit Zuwendungen an das Servatiusstift nicht gespart hatte, blieben solche Schenkungen unter seinen Nachfolgern auf Einzelfälle beschränkt. Selbst die Zeit der Vor- mundschaftsregierung für Otto III. bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Stattdessen wurden die Stiftsäbtissinnen als Angehörige der königlichen Familie auffallend reich mit Schenkungen bedacht. Allerdings handelte es sich dabei um Zuwendungen, die unter dem Vorbehalt lebenslanger Nutzung standen und infolgedessen von den Prinzessinnen auch nicht nach freiem Ermessen veräußert werden konnten244. Nur in wenigen Fällen sind diese Güter oder Teilkomplexe davon späterhin als Besitz des Servatiusstifts oder anderer kirch- licher Stiftungen bezeugt oder zu erschließen. Die den Stiftsäbtissinnen zugewandten Nut- zungsrechte aus Königsgut dürften in erster Linie dem persönlichen Bedarf der Prinzessin- nen, ihrer Hofhaltung und den damit verbundenen Repräsentationspflichten gedient haben, nicht zuletzt aber auch von den Äbtissinnen in großem Umfang für mildtätige Zwecke verwandt worden sein. Wieweit darüber hinaus die aus jenen Nutzungsrechten fließenden Einkünfte von den Äbtissinnen auch für Zwecke des Stifts verwandt wurden, diesem also indirekt zugute kamen, wissen wir nicht.

Unklar ist, in welcher Weise Mathilde und Adelheid über die ihnen anvertrauten slawi- schen Orte in den Kolonisationsgebieten verfügt haben, die weit von Quedlinburg entfernt lagen und in denen bis dahin weder sie noch das Stift begütert waren. Zeitlich reihen sich diese Besitzübertragungen in eine ganze Anzahl von königlichen Schenkungen slawischer Landstriche an kirchliche Institutionen im ostsächsischen Raum ein, wobei es sich in jenen Fällen aber um tatsächliche Veräußerungen von Königsgut handelte, das nun in das Eigen- tum von Bistümern und Klöstern überging2iS. Walter Schlesinger hat darauf verwiesen, daß diese Schenkungen der Ottonen den Empfängern

�zunächst mehr Verpflichtungen als Nut- zen brachten, hinsichtlich der politischen Sicherung, des wirtschaftlichen Ausbaus und vor allem der Mission"246. Mochten kirchliche Institutionen wie das Erzstift Magdeburg, das Hochstift Merseburg oder die Klöster Memleben und Nienburg immerhin über die orga-

241 Ebd. 5.150. 241 Vgl. WEIRAUCH, Grundbesitz (wie Anm. 5) S. 226 (Geltow, Potsdam), S. 267 (Siuseli). 241 WEIRAUCH, Grundbesitz (wie Anm. S) S. 226f. (Gera). SCHLESINGER, Kirchengeschichte 1 (wie Anm. 240)

5.150,180. - Vor 1194 ist ferner der Hof Barby mit Zubehör aus der Hand der Abtissinncn an das Reichsstift gelangt, ohne daß die näheren Umstände des Wechsels bekannt wären; vgl. WEIRAUCH, Grundbesitz (wie Anm. S) S. 207; G. HEINRICH, Die Grafen von Arnstein (MitteldtForsch 21), 1961, S. 306ff.

244 UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77), S. 420. 241 Dazu zusammenfassend SCHLESINGER, Kirchengeschichte 1 (wie Anm. 240) S. 147ff. 246 Ebd. 5.149.

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nisatorischen Möglichkeiten dazu verfügt haben241, so bleibt im Falle der den Quedlinburger Äbtissinnen zugewandten großen slawischen Landstriche die Frage der Nutzbarmachung dieser Rechte gänzlich offen241. Dies um so mehr, als beispielsweise die Mathilde 993 über-

tragenen Orte Potsdam und Geltow im Havelland, einem ausgesprochenen politischen Kri-

senherd, lagen249.983 waren die deutschen Besatzungen der Burgen Brandenburg und Ha-

velberg von den aufständischen Slawen überrannt und die Bischofssitze zerstört worden 251. Nach der kurzfristigen Rückeroberung der Brandenburg durch Otto III. 991 hatte sich der 983 zu den Lutizen übergelaufene sächsische Ritter Kizo hier festgesetzt251. Der Versuch Ottos III., die Brandenburg mit Hilfe der Herzöge von Bayern und Böhmen militärisch zu entsetzen, scheiterte und zwang den König 992 zum Friedensschluß mit den Lutizen252. Erst

als es im folgenden Jahr gelungen war, Kizo als Kommandanten der Brandenburg zum Frontwechsel zu veranlassen 253, eröffneten sich dem König neue Perspektiven für die Wie- dereinbeziehung des Havellandes in den deutschen Herrschaftsbereich.

Auf diesem politischen Hintergrund bedeutete die kurze Zeit später erfolgte Übertragung der Orte Potsdam und Geltow an Äbtissin Mathilde indes kaum mehr als einen Wechsel

auf die Zukunft. Denn diese am Ostrand des Hevellergaues gelegenen Orte waren weit entfernt von den Gebieten gesicherter deutscher Herrschaft 214. Immerhin konnte durch eine solche Schenkung" der königliche Rechtsanspruch auf diese Gebiete sinnfällig dokumen- tiert werden, und dies um so mehr, als es sich bei Mathilde um eine Autoritätsperson aus dem engeren Kreis der königlichen Familie handelte, die während der damals noch andau- ernden Vormundschaftsregierung für Otto III. offenbar wiederholt mit politischen Sonder-

aufgaben betraut worden warns. Einige Jahre später, 997, hat Otto III. Mathilde sogar die Stellvertretung in Sachsen bzw. im Reich während der Zeit seiner Abwesenheit in Italien übertragen256. Man wird infolgedessen nicht ausschließen können, daß Mathilde im Zu- sammenhang mit der 993 erfolgten Übertragung der Orte Potsdam und Geltow auch eine Art politischer Mission für dieses Krisengebiet anvertraut werden sollte. Leider enthält das

247 Insgesamt schätzt Schlesinger die Erfolge der Klosterpolitik Ottos II. und Ottos III. allerdings gering ein; vgl. ebd. 5.149.

248 Vgl. WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. 5) S. 125. 249 Dazu allgemein W. BRüsI: E, Untersuchungen zur Geschichte des Lutizenbundes (MitteldtForsch 3), 1955;

H. LUDAT, An Elbe und Oder um das Jahr 1000. Skizzen zur Politik des Ottonenreiches und der slawischen Mächte in Mitteleuropa, 1971; W. H. FRITZE, Der slawische Aufstand von 983 - eine Schicksalswende in der Geschichte Mitteleuropas, in: Festschrift der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjährigen Bestehen 1884-1984, hg. von E. HENNING, W. VOGEL, 1984, S. 9-55.

253 LOBICS, Rcgcsten (wie Anm. 196) Nr. 221. 233 Ebd. Nr. 261,266. 232 Ebd. Nr. 272. 233 Ebd. Nr. 280. 254 Ebd. Nr. 281. 233 Vgl. oben S. 214. 236 Vgl. dazu die Grabinschrift der Mathilde, cd. E. E. STENGEL, Die Grabschrift der ersten Äbtissin von Qued-

linburg, in: DA 3 (1939), S. 361-370; ferner Thictmar, Chronik (wie Annt. 48) IV c. 41,5.178; Annales Hildes- heimenses ad a. 997, cd. G. WArrz (MGH SSrerGerm), 1878, S. 27 sowie Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 999, S. 75. - Zur Sache und insbesondere zur Frage des Amtsbereichs (Sachsen oder das Reich) C. ERDMANN, Forschun-

gen zur politischen Ideenwelt des Frühmittelalters, hg. von F. BAETHGEN, 1951, S. 97 ff.; STENGEL a. a. 0. S. 366 f.; UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) S. 249 f.; W. GIESE, Der Stamm der Sachsen in ottonischer und salischcr Zeit, 1979, S. 130 f.; ALTHOFF, Gandersheim und Qucdlinburg (wie Anm. 10) S. 133; FREISE, Mathilde (wie Anm. 121) 5.377; K. GöRICH, Otto III. Romanus, Saxonicus et Italicus (HistForsch 18), 1993, S. 55.

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auf Intervention Kaiserin Adelheids Anfang Juli 993 in Merseburg ausgestellte Diplom Ottos III. keinerlei Hinweise auf Umstände und Motive jener Schenkung2S7.

Befriedet blieb das Havelland auch nach dem Frontwechsel des Ritters Kizo und der Übertragung von Potsdam und Geltow nicht. Vielmehr hatte der Übertritt des Sachsen in das königliche Lager neuerliche Angriffe der Lutizen auf die Brandenburg zur Folge258. Bezeichnender Weise war es schließlich ein Besuch Kizos in Quedlinburg 994 oder 995, der von Angehörigen seiner zurückgelassenen Besatzung in Brandenburg dazu benutzt wurde, von ihrem Kommandanten abzufallenJS9. Bei dem Versuch, die Brandenburg zurückzuge- winnen, kam Kizo bald darauf ums Leben 26o

Wie immer man die Frage nach den Motiven und dem Zweck der 993 erfolgten Über- tragung der Orte Potsdam und Geltow an Mathilde beurteilen mag, um eine Schenkung an das Servatiusstift, wie die Forschung angenommen hat`61, handelte es sich dabei nicht. Insofern erscheint auch die Annahme verfehlt, dem Stift seien während der letzten zwei Jahrzehnte des 10. Jahrhunderts neue Aufgaben in den östlichen Grenzmarken des Reiches zugefallen, wofür es auch sonst keinerlei Anhaltspunkte gibt. Geht man davon aus, daß der Übertragung der Orte Potsdam und Geltow an Mathilde vor allem aktuelle politische Motive zugrundelagen, dann beleuchtet diese Maßnahme weniger ihre Rolle als Stiftsäb- tissin als ihre Teilhabe an der damals noch andauernden Regentschaft, nicht zuletzt aber auch das besondere Vertrauensverhältnis des jungen Königs zu seiner Tante262.

Wenn das Quedlinburger Servatiusstift im ausgehenden 10. Jahrhundert in voller Blüte stand, so verdankte es diesen Aufschwung wohl in erster Linie der Persönlichkeit und dem Wirken der jüngeren Mathilde, die 966 im Alter von 11 Jahren an die Spitze des Konvents getreten war und die Leitung bis zu ihrem Tode 999 ausgeübt hat263. In diese Zeit fallen der schon erwähnte Neubau der Servatiuskirche auf dem Schloßberg26a wie auch die Klo- stergründungen auf dem Münzenberg (986)265 und in Walbeck (992/96)266. In Mathildes Amtszeit dürfte auch die Unterstellung des 961/964 als Reichsstift gegründeten Kanoni- kerkonvents bei St. Wiperti in Quedlinburg gehören267. Dem Servatiusstift unterstanden somit insgesamt vier Eigenklöster bzw. Eigenstifte, und zwar St. Marien und St. Wiperti in Quedlinburg, St. Marien in Wendhausen sowie St. Andreas in Walbeck268. Besonders folgenreich für Quedlinburg aber erwies sich das Marktprivileg vom Jahre 994, worauf noch zurückzukommen sein wird269.

Mit dem Ansehen und der Bedeutung, die das Servatiusstift unter Äbtissin Mathilde erlangte, steht nun offenbar auch das plötzliche Aufkommen der Bezeichnung Quedlinburgs als metropolis in Zusammenhang, worauf in der Forschung schon wiederholt hingewiesen

257 Vgl. MGH DO III 131 (wie Anm. 238). 251 LUB1E, Regesten (wie Anm. 196) Nr. 283 ff. 259 Ebd. Nr. 291 mit Diskussion der Frage des Zeitpunkts. Den Aufenthalt Kizos in Quedlinburg überliefert

Thictmar, Chronik (wie Anm. 48) IV, 22,5.158. Unklar ist, ob der Besuch Kizos anläßlich eines Aufenthaltes des Königs in Qucdlinburg erfolgte oder allein der Stiftsäbtissin galt. Im zweiten Fall wäre ein solcher Besuch ein starkes Indiz für ein politisches Mandat Mathildes im umkämpften Gebiet.

261 LüBICE, Regestcn (wie Anm. 194) Nr. 291. 261 UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) 5.169; WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. 5) 5.125. 262 Vgl. UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) S. 297. 263 KREMER, Äbtissinnen (wie Anm. 121) S. 12ff.

264 Siehe oben S. 202.265 Siehe oben S. 220. 266 Siehe oben S. 221.267 Siehe oben S. 203. 268 Siehe oben 5.203 Anm. 117.269 Siehe unten 5.233 ff.

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worden ist2-'0. Der früheste Beleg findet sich in der Marktgründungsurkunde für Quedlin- burg von 994271. Walter Schlesinger hat in diesem Zusammenhang zu Recht von einer merkwürdigen Bezeichnung gesprochen, ohne ihr jedoch weiter nachgegangen zu sein272. Merkwürdig erscheint dieses Quedlinburg zugemessene Attribut schon deshalb, weil me- tropolis als gebräuchlicher Terminus technicus den Kathedralsitz eines Erzbischofs bezeich- nete und in dieser kirchenrechtlich längst definierten Bedeutung schwerlich für den Sitz eines Reichsstifts oder einer Pfalz Anwendung finden konnte273. Allerdings hat das mittel- alterliche Latein auch die antike Grundbedeutung des Wortes als (politischer) Hauptort bewahrt, wobei in diesen nicht sehr häufigen Fällen in der Regel präzisierende Angaben über den gentilen oder territorialen Charakter der den betreffenden Ort zugeschriebenen Mittelpunktfunktion hinzutreten274. Aber gerade ein solcher erläuternder Zusatz fehlt in dem besagten Diplom Ottos III., was die Deutung des Passus zusätzlich erschwert.

Auf der Suche nach weiteren Belegen für die Bezeichnung Quedlinburgs als metropolis wird man zunächst in den zeitgenössischen, 1007 oder 1008 begonnenen Quedlinburger Annalen275 fündig. So berichtet der Annalist zu 997, daß in diesem Jahr die instauratio sanctae Metropolitanensis ecclesiae Quedelingnensi castello durchgeführt worden sei276; angesprochen ist in diesem Zusammenhang die Weihe des von Mathilde bald nach 968 in Angriff genommenen Kirchenneubaues von St. Servatii2n_ Darüber hinaus wird in den An- nalen die Mathilde 966 übertragene Äbtissinnenwürde als Metropolita haereditaria quali- fiziert278. Während in diesen Fällen der adjektivischen Verwendung des Wortes der unmit- telbare Bezug zur Kirche und zur Leiterin des Reichstifts offensichtlich ist, tritt in zeitlich späteren Fällen der Wortverwendung auch der Bezug zum Pfalzort hervor. So in den Be- richten des Annalisten über den Osteraufenthalt Heinrichs II. in Quedlinburg 1003279 sowie

270 STENGEL, Grabschrift (wie Anm. 256) S. 36S; SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 15) S. 95; SCHAUER, Quedlinburg (wie Anm. 15) S. 15.

271 MGH DO III 155: Omnizun ffdelitan nostrontm tan: presentium qam futurorttm pateat devotioni pie, qualiter nos dilecte aviae nostre ob interventunz Adalbeidis imperatricis augustae kareque amitae nostrae Mahtildis monitionenz in metropoli Quidliggaburlhc anitnae nostrae pro remedio honoris atque tentporalis memoria hanc prefatam civitatem et sublrmandi causa, eo quod patris nostri nobiles hunt locum preciptte venerantes amabant et quoniam sic fidelibtts nostris conzplacuit, Heinrico videlicet duce et consanguineo nostro sttoque aequivoco filio et conduce necnson Vitilligiso ardhipresule Magontino ac Hillibaldo Vuormaciense episcopo consiliantibus, mercattmz engere decrevinnts...

272 SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) 5.405. 273 Vgl. J. F. NIEnMEYER, Lexicon (wie Anm. 136), s. v. metropolis, S. 676. Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, s. v.

Metropolit, S. 584. 274 F. BLATT, Novum glossarium mediae latinitatis, 1959 ff., s. v. metropolis, S. 456. - In den althochdeutschen

Glossen begegnen als Übersetzungsgleichungen für metropolis neben erzibiscoftuomlih burg, houbitbttrg, muoter- burg, houbitstat; G. KÖBLER, Lateinisch-germanistisches Lexikon (Arbeiten zur Rechts- und Sprachwissenschaft), 1975, s. v. metropolis; J. C. WELLS, Althochdeutsches Glossenwörterbuch, 1990, s. v. houbitburg, muoterburg, houbitstat.

275 Zur Abfassungszeit und Verfasserschaft grundlegend HOLTZMANN, Qucdlinburgcr Annalen (wie Anm. 154) S. 229 ff.

276 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 997, S. 74. 277 Vgl. oben S. 202. 2711 Ebd. ad a. 999, S. 75: undecimo ortus sui (scil. Mathilde) anno Metropolitae sibi haereditariae, licet tantis

impar oneribus, imperatorum tanzen consulto patrmn nec non communi electione, antistitum benedictione perpetua regendo praeftcitur.

279 Vgl. oben Anm. 203.

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226 ULRICH REULING

den ersten Königsaufenthalt seines Nachfolgers Konrads H. am Ort Ende Januar 1025280. In beiden Jahresberichten wird Quedlinburg als Quidelingnensis bzw. Quedelinnensis me- tropolis bezeichnet, zu 1020 spricht der Autor schließlich von der Metropolis nostra281. Neben Quedlinburg wird ein einziges Mal auch Halberstadt metropolis genannt282, anson- sten begegnet der Ausdruck in dem Annalenwerk nicht, nicht einmal für die kirchliche Metropole Magdeburg oder andere Erzbischofssitze im Reich. Neben den insgesamt sechs auf Quedlinburg bzw. das Stift zu beziehenden metropolis-Belegen in den Quedlinburger Annalen findet sich in der sonstigen historiographischen Überlieferung nur die vereinzelte Verwendung der Bezeichnung Metropolitanensis abbatissa für die jüngere Mathilde in den Magdeburger Annalen283.

Das bemerkenswerteste Zeugnis für diese ungewöhnliche Titulatur bietet freilich die Inschrift auf dem bleigedeckten Sarg der Mathilde in der Königsgruft der Servatiuskirche, wo sich die Königstochter als abbatissa metropolitana bezeichnet findet. Es handelt sich dabei um eben jene, 1939 von Edmund E. Stengel veröffentlichte bedeutende Sarginschrift, auf der Mathilde im Hinblick auf ihre schon erwähnte Regentschaft in Sachsen bzw. im Reich auch der Titel matricia (patricia ?) beigemessen wird284. Stengel und Carl Erdmann haben diesen hinsichtlich des Anfangsbuchstabens nicht mehr eindeutig zu entziffernden Titel als künstliche Femininbildung für den Patrizius-Titel gedeutet, der von Otto III. in Anknüpfung an spätrömisch-byzantinische Titulaturen verwendet worden sei285. Dabei hat Erdmann wahrscheinlich machen können, daß die Sarginschrift nicht schon beim Begräbnis Mathildes im Jahre 999, sondern erst ein Jahr später auf Veranlassung Ottos III. nach seiner Rückkehr von dem berühmten Zug nach Gnesen während des schon erörterten Osteraufenthaltes des Jahres 1000 in Quedlinburg angebracht worden ist286. Trifft diese Annahme zu, so wäre auch für die Bezeichnung Mathildes als abbatissa metropolitana in ihrer Sarginschrift die Authentizität eines vom Kaiser selbst ihr beigemessenen Titels si- chergestellt, authentisch wie der Erstbeleg für die metropolis Quedlinburgensis im Markt- privileg Ottos III. von 994.

Doch wie ist diese ungewöhnliche Qualifizierung Quedlinburgs, der Servatiuskirche und der Äbtissinnen des Reichsstifts konkret zu verstehen? Geht man zunächst vom Erstbeleg der metropolis Quedlinburgensis im Marktgründungsprivileg Ottos III. von 994 aus, so ließe sich der hier gewählten Qualifizierung des Ortes eine vergleichbare an die Seite stellen, die ebenfalls der königlichen Kanzlei entstammt und das benachbarte Halberstadt betraf. Als Otto III. 992 dem dortigen Bischof die angestammten Rechte, darunter das 989 ge- währte Marktprivileg, erneuerte, bezeichnete er den Ort als locus principalis287. Im allge-

282 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 1025, S. 90. 281 Ebd. ad a. 1020, S. 85. 282 Ebd. ad a. 1024, S. 89. 283 Annalcs Magdeburgcnscs ad a. 981, in: MGH SS 16, S. 155. Als Informationsquelle des um 1170 schrei-

benden Annalisten kommen die auch sonst vielbenutzten Quedlinburger Annalen in Frage, doch könnte der Autor oder ein Mittelsmann auch von der Grabinschrift auf dem Sarg der Mathilde Kenntnis gehabt haben; vgl. dazu die folgende Anm.

284 STENGEL, Grabschrift (wie Anm. 256) S. 362f. 281 Ebd. S. 368; ERDMANN, Forschungen (wie Anm. 256) S. 97. 286 Ebd. S. 97f.; UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) S. 298 mit Anm. 56. 28' MGH DO III 104:

... et quem (seil. mercatum) nos per nostrum praeceptum in principali loco Haluersta- densi perpetualiter habendem decrevimus

...

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 227

meinen begegnet dieser Ausdruck in der Bedeutung von , Hauptort`288; als synonyme Be-

zeichnungen sind caput und metropolis belegt289. Entsprechend dem Kontext der Urkunde dürfte dieses Halberstadt zugemessene Prädikat eines Hauptortes sowohl die Mittelpunkt- funktionen des Ortes als Bischofssitz wie auch als Markt einschließen290. Geht man von der naheliegenden Annahme einer synonymen Verwendung der Ausdrücke locus principalis und metropolis in den beiden Marktprivilegien aus, so wäre auch im Falle Quedlinburgs zu prüfen, inwieweit der Kontext der Urkunde selbst Hinweise enthält, welche die beson- dere Qualifizierung als Hauptort verständlich machen können. Solche ausdrücklichen Hin- weise sucht man im Marktprivileg jedoch vergeblich. Offenbar bedurfte es einer solchen näheren Begründung des metropolis-Prädikats nicht, nicht einmal im Hinblick auf das im- merhin mögliche Mißverständnis, metropolis im Sinne einer kirchlichen Metropole aufzu- fassen"', was die Kanzlei im Falle Halberstadts vielleicht durch die Wahl des neutralen Ausdrucks locus principalis zu vermeiden gesucht hatte. Fraglos aber verfügte Quedlinburg

als Pfalzort und Sitz eines Reichsstifts, dem die besondere Aufgabe der ottonischen Me-

moria zugewiesen war, über bedeutende Mittelpunktfunktionen, die eine Bezeichnung als

, Hauptort` rechtfertigten, ohne daß es dazu einer besonderen Begründung bedurfte. Was der König bzw. die königliche Kanzlei in anderer Weise zwei Jahre zuvor der Bischofsstadt Halberstadt zuerkannt hatte, konnte auch Quedlinburg für sich beanspruchen. In dem

natürlichen Konkurrenzverhältnis beider Nachbarorte, das sich mit der nunmehrigen Marktgründung in Quedlinburg auch auf wirtschaftlichem Gebiet äußern mußte, liegt mög- licherweise sogar der Schlüssel einer Erklärung für die Aufnahme des metropolis-Prädikats in das Marktgründungsprivileg des Jahres 994. Eine derartige Anregung könnte nicht zu- letzt auch von der Stiftsäbtissin Mathilde, der Empfängerin des Diploms, gekommen sein.

Daß die im metropolis-Prädikat zum Ausdruck gebrachte Vorrangstellung Quedlinburgs zugleich mit einer allgemeinen und traditionellen Wertschätzung des Ortes korrespondierte,

ergibt sich auch aus einer Bemerkung, die als Begründung der herrscherlichen Privilegierung Aufnahme in die Interventionsformel der Quedlinburger Markturkunde gefunden hat. Aus- drücklich betont wird hier seitens des Königs, daß die mit der Marktgründung bezweckte

�Erhöhung" des Ortes auch der Verehrung Rechnung trage, welche die Großen seines Vaters

vorzugsweise diesem Ort entgegengebracht hättenz92. Angespielt wird hier offenbar auf die besondere Wertschätzung, die Quedlinburg als Ort königlicher Hoftage bei den Großen des Reiches genoß, wobei allerdings der Bezug auf die Regierungszeit Ottos II. einigermaßen merkwürdig erscheint. Dies um so mehr, als gerade dieser Herrscher ganz im Gegensatz

zu seinem Vater die Großen nur ganz selten zu Hoftagen nach Quedlinburg aufgeboten hatte, worauf bereits hingewiesen wurde293. Wie dem auch sei, als Reflex auf eine tradi- tionelle Wertschätzung Quedlinburgs durch die Großen des Reiches verdient dieses Zeugnis durchaus Beachtung.

281 DUCANGE, Glossarium mediac et infimac latinitatis, Bd. 6, s. v. principalis, 5.503. Mittcllatcinischcs Wör- terbuch, Bd. 2, Lfg. 2,1969, s. v. caput, Sp. 261.

219 Mittcllatcinischcs Wörterbuch (wie Anm. 288). 29' Vgl. MGH DO 111104. 291 Ein solches Iviißverständnis konnte um so leichter aufkommen, als nur wenige Zeilen später als vorbildlich

für Quedlinburg namentlich die Märkte von Köln, Mainz und Magdeburg, also dreier Metropolen im engeren Sinn, genannt sind. Dazu unten 5.235.

292 Vgl. oben Anm. 271. 292 Vgl. oben S. 212f.

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228 ULRICH REULING

Sieht man sich nach früheren Zeugnissen ehrenvoller Prädikate für Quedlinburg um, so ist natürlich an erster Stelle jene schon eingangs zitierte Bezeichnung Quedlinburgs als locus

sublimis et famosus anzusprechen, die der Verfasser der Miracula s. Wigberhti bald nach 936 gebraucht und mit der Funktion des Ortes als sedes regia begründet hatte294. Ganz ähnlich drückt sich etwa vierzig Jahre später Widukind von Corvey aus, wenn er in seinem Bericht über den letzten Osteraufenthalt Ottos I. in Quedlinburg (973) vom locus celeber Quidilingaburg spricht, an dem sich aus gegebenem Anlaß die msdtitudo diversarum gen- tium versammelt hätte295. In diesem Zusammenhang verdient auch eine Bemerkung Beach- tung, die sich im Bericht der Quedlinburger Annalen über die Stiftsgründung des Jahres 936 findet und auf die erst jüngst Gerd Althoff aufmerksam gemacht hat. Danach sei es seinerzeit die Absicht der älteren Mathilde gewesen, mit der Errichtung ihres Konvents auf dem Burgberg ein regnum gentibus zu schaffen296. Regnum kann hier nicht räumlich, im Sinne von Reich` verstanden werden, sondern ist vielmehr funktional aufzufassen. Belegt sind außer Herrschaft` als Nebenbedeutungen des Wortes Krone` und Versammlung der Großen des Reiches`297, wobei im vorliegenden Fall der Stiftsgründung nur die metaphorisch zu verstehende Bedeutung Krone` in Frage kommt.

Die in den vorgeführten Zeugnissen in jeweils unterschiedlicher Weise beleuchtete Vor- rangstellung Quedlinburgs als Königssitz (Pfalz), als Versammlungsort der Großen bzw. der Stämme des Reiches und nicht zuletzt als Sitz eines Reichsstifts erfaßt alle jene Eigen- schaften, die auch die Wahl des im Marktprivileg von 994 verwendeten Prädikats metropolis begründen dürften. Das würde bedeuten, daß die Bezeichnung metropolis nur als eine begriffliche Variante zu anderen gebräuchlichen Prädikaten dieses wie auch anderer , Haupt- orte` aufzufassen wäre. Doch darf im Falle Quedlinburgs nicht verkannt werden, daß sich gerade dieser Begriff in der örtlichen Überlieferung geraume Zeit wie ein Eigenname be- wahrt hat und in dieser Weise in den verschiedensten Wortverbindungen begegnet. So kann es kein Zufall sein, wenn wenige Jahre nach dem Auftreten der Bezeichnung Quedlinburgs als metropolis im Marktprivileg auch Mathilde auf ihrer Sarginschrift in der Königsgruft der Servatiuskirche als abbatissa metropolitana bezeichnet wird. Dieser Zusammenhang bedarf um so stärkerer Beachtung, als in beiden Fällen die Authentizität eines vom König selbst verliehenen Prädikats hinreichend gesichert erscheint298. Angesichts der Tatsache, daß der Terminus abbatissa metropolitana der kirchlichen Rechtssprache gänzlich fremd ist, dürfte es sich bei diesem Mathilde zugelegten Titel um eine künstliche Begriffsbildung handeln, abgeleitet aus dem Terminus metropolis im Sinne von Hauptort, wie ihn die königliche Kanzlei auch im Marktprivileg für Quedlinburg verwendet hat. Es liegt nahe, diesen Rekurs auf die antike Grundbedeutung des Wortes metropolis als Mutter- bzw. Hauptstadt der auch sonst bezeugten Vorliebe des königlichen Hofes für Gräzismen zu- zuschreiben, die sich unter Otto III. besonders augenfällig im Rückgriff auf das griechisch- römische Titelwesen äußerte299. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die Benennung

294 Vgl. oben S. 190 mit Anm. 29. 295 Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei, cd. H. E. LOHMANN, P. HIRSCH (MGH SSrerGerm), S. Aufl.

1935, III, 75, S. 152. 296 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 936 (937) S. 54: Hoc (seil. coenobium) regnum gentibus esse voluit, hoc

totis viribus fovet. Vgl. dazu ALTHOrr, Gandersheim und Quedlinburg (wie Anm. 10) S. 134 f. mit Anm. 37. 29' NIERMEYER, Lexicon (wie Anm. 136) s. v. regnum, 5.902. 298 Vgl. oben S. 226. 299 Dazu allgemein W. BERSCHIN, Griechisch-lateinisches Mittelalter. Von Hieronymus zu Nikolaus von Kues,

1980, S. 222ff.; BEUMANN, Ottonen (wie Anm. 46) S. 145. - STENGEL, Grabschrift (wie Anm. 256) S. 365 Anm. 9,

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 229

Mathildes als inatricia (patricia) in ihrer Sarginschrift, wo ihr auch der Titel abbatissa metropolitana beigelegt wird300. Das Motiv für die Verwendung solcher auf künstlichen Wortbildungen beruhender Titel dürfte in beiden Fällen das Bestreben des Kaisers gewesen sein, der von ihm hochverehrten Mathilde301 Ehrenprädikate beizumessen, die ihre Ausnah- mestellung als Quedlinburger Äbtissin wie auch als zeitweilige Stellvertreterin des Kaisers in Sachsen bzw. im Reich sinnfällig zum Ausdruck bringen konnten.

Wenn wenige Jahre später auch der Verfasser der Quedlinburger Annalen mehrfach das metropolis-Prädikat verwendet, so überrascht das nicht, da ihm als örtlich gut informiertem Zeitgenossen die Kenntnis dieser Zusammenhänge durchaus zuzutrauen ist, auch wenn er selbst in seinen Annalen weder über die Marktgründung noch über die Anbringung der Sarginschrift für Mathilde berichtet302. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der Autor auch Halberstadt ein einziges Mal metropolis nennt, vergleichbar jener Bezeich- nung des Nachbarortes als locus principalis in dem schon erwähnten Diplom Ottos III. für die Halberstädter Kirche von 992303. Sollte diese Analogie nicht auf Zufall beruhen, so würde man diese doppelte, allein auf Quedlinburg und Halberstadt beschränkte Verwen- dung des metropolis-Prädikats als Reflex jener Konkurrenzsituation bewerten können, von der bereits oben die Rede war304. Auffallend ist, daß der Annalist das metropolis -Attribut für Quedlinburg vorzugsweise dann verwendet, wenn es sich um ortsgeschichtlich bedeu- tende Ereignisse handelt, wie im Falle der Kirchweihe von St. Servatius 997, dem Wechsel in der Leitung der Reichsabtei 999 oder den beiden ersten Königsaufenthalten Heinrichs II. und Konrads II. in Quedlinburg 1003 bzw. 1025305. Nicht zu verkennen ist schließlich auch die Neigung des Annalisten, das metropolis-Prädikat in Begriffen wie Metropolitanensis ecclesia für St. Servatius oder Metropolita haereditaria für die

�ererbte" Abtswürde Mat- hildes abzuwandeln. Dabei dürfte es sich kaum um gängige Wendungen, sondern um eigene Wort- bzw. Begriffsbildungen handeln, zumal der Autor auch sonst Neigung zu manie- rierter Ausdrucksweise zeigt"'

Die Frage stellt sich, ob neben verständlichem Lokalstolz noch andere Motive den An- nalisten zu der wiederholten und betonten Charakterisierung Quedlinburgs und besonders des Stifts als �Metropole" veranlaßt haben. Bekanntlich zeichnet sich das Quedlinburger Annalenwerk ebenso durch eine uneingeschränkte Bewunderung für die drei Ottonen wie durch eine mehr oder minder stark zum Ausdruck gebrachte Herrscherkritik an Heinrich II. aus, die erst mit den Jahresberichten von 1016 an einer freundlichen Gesinnung gegenüber dem Kaiser Platz macht307. Robert Holtzmann hat dafür zahlreiche Zeugnisse angeführt,

möchte in dem Rekurs auf die antike Grundbedeutung des Wortes metropolis eine Anspielung auf den Witwensitz der Königinmutter Mathilde sehen. Doch die antike Grundbedeutung

'Mutterstadt` zielt auf die Stadt als Mutter anderer Städte, nicht auf die Mutter einer Stadt. Otto III. hat in seinem Privileg für die römische Kirche diese als matrem omnium ecclesiarnnt gepriesen; vgl. MGH DO 111389.

3DD Vgl. oben Anm. 284. 3D1 UHLIRZ, Jahrbücher Ottos III. (wie Anm. 77) S. 86,293,297f. 32 Aufgrund stilistischer Anklänge in der ausführlichen Würdigung des Wirkens Mathildes in den Quedlin-

burger Annalen hält es STENGEL, Grabschrift (wie Anm. 256) S. 364f. mit Anm. 1, für möglich, daß der Annalist die Inschrift gekannt hat, wenn er nicht sogar mit ihrem Verfasser identisch ist. Es fällt in diesem Zusammenhang allerdings auf, daß der Autor den Begriff abbatissa metropolitana in seinen Annalen nicht verwendet.

3D3 Vgl. oben S. 226 mit Anm. 287. 333 Vgl. oben 5.227.

335 Vgl. oben 5.226 f. 3Y6 HOLTZMANN, Quedlinburger Annalen (wie Anm. 154) 5.231 ff. 3,11 Ebd. 5.239 ff.

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230 ULRICH REULING

die den Annalisten vor allem als Kritiker der Ost- und Kirchenpolitik Heinrichs II. auswei- sen308. Gerd Althoff hat in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, daß die Herrscherkritik des Annalisten mit der auffallenden �Mißachtung" Quedlinburgs durch Heinrich II. korrespondiert, der den Ort nach dem Osteraufenthalt zu Beginn seiner Re- gierung für lange Jahre gänzlich gemieden hat309. Auffälligerweise ist die Stiftsäbtissin Adel- heid in dieser Zeit kaum noch bei Hofe nachzuweisen. Auch blieben königliche Schenkungen gänzlich aus310. Es ist keine Frage, daß ein solcher Verlust an Königsnähe das Selbstver- ständnis des Quedlinburger Konvents auf das stärkste treffen mußte. Spricht somit einiges dafür, daß die Herrscherkritik des Annalisten an der Politik Heinrichs II. sein vorrangiges Motiv in der Verärgerung über die deutliche Zurückhaltung des neuen Königs gegenüber Pfalz und Reichsstift hatte, so wird man darin auch einen einsichtigen Beweggrund für die Betonung der traditionellen Vorrangstellung Quedlinburgs in der auffallend häufigen und vielfältigen Verwendung des metropolis-Prädikats durch den Verfasser des Annalenwerks erblicken können.

Bezeichnenderweise ändert sich die kritische Bewertung Heinrichs II. durch den Verfasser der Quedlinburger Annalen zu einer Zeit, als der Kaiser dem Servatiusstift nach langen Jahren der Abwesenheit im Jahre 1017 wieder seine Aufwartung machte311 Vorausgegangen war diesem Besuch eine beachtliche Aufwertung der Stellung Adelheids, der 1014 zusätzlich zu der Funktion als Stiftsäbtissin in Quedlinburg auch die vakante Leitung der beiden königlichen Frauenkonvente in Gernrode und Vreden übertragen worden war312. Anlaß zu einem Aufenthalt in Quedlinburg bot Heinrich II. 1017 die Weihe der neuerrichteten, zuvor vom Blitzschlag zerstörten Kirche des Marienklosters auf dem Münzenberg, wobei er 1 Pfund Gold für den Altar der Kirche stiftete313. Vier Jahre später wohnte der Kaiser auch der Schlußweihe der nach jahrzehntelanger Bauzeit 1021 fertiggestellten Servatiuskirche bei314. Aus diesem Anlaß erhielt der Konvent vom Kaiser schließlich die erste und einzige Güterschenkung dieses Herrschers315.

Mochten Ereignisse wie diese die allgemeine Stimmung im Quedlinburger Konvent ge- genüber Heinrich II. günstig beeinflußt haben, in eine vergleichbare Königsnähe wie zuletzt unter Otto III. gelangte das Stift unter seinem Nachfolger bei weitem nicht. Deutlich wird dieser Verlust der einstigen Vorrangstellung insbesondere durch die Stiftung einer weiteren ottonischen Memoria in Merseburg, der von Heinrich II. am meisten frequentierten säch- sischen Pfalz316. Hier schuf der Herrscher einen neuen Schwerpunkt des Gedenkens an seine

308 Ebd. S. 240ff. '09 ALTHOFF, Gandcrshcim und Quedlinburg (wie Anm. 10) 5.135 f. 110 Ebd. 5.135; vgl. auch WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. S) 5.127. 11 Reg. Imp. Heinrich II. 1897b (wie Anm. 208). 312 Ann. Qued. (wie Anm. 27) ad a. 1014, S. 82; Thictmar, Chronik (wie Anm. 47) VII, 3,5.400 f.; Reg. Imp.

Heinrich II. 1850a, 1851a. Hierzu H. K. SCHULZE, Das Stift Gernrode (MitteldtForsch 38), 1965, S. 7 f.; K. HENGST (Hg. ), Westfälisches Klosterbuch (VcröffHistKommWestf 44, QuForschKirchenReligionsG 2), T. 2,1994,5.400 ff., hier bes. S. 401 f.

313 Reg. Imp. Heinrich II. 1897b (wie oben Anm. 208). 314 Reg. Imp. Heinrich II. 1990 (wie oben Anm. 208). 315 MGH DH 11 448; dazu WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. S) S. 127f.; DERS., Grundbesitz (wie Anm. S)

S. 224f., 254. Die Schenkung betraf zum einen Plezwiz (auf halber Strecke zwischen Magdeburg und Calbe gelegen), das ein sonst nicht bekannter Edler Egino aus seinem persönlichen Erbe zuvor dem König übereignet hatte, sowie 10 Hufen zu Erxlevcn (wüst bei Hohen-Erxlebcn an der Bode), die offenbar aus Königsgut stammten. Vgl. auch EGGERS, Grundbesitz (wie Anm. 41) S. 38.

316 Hierzu im einzelnen ALTHOFE, Adels- und Königsfamilien (wie Anm. 10) 5.193 ff. Die Übernahme des

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 231

Vorfahren, dessen Pflege der dortigen Domkirche übertragen wurde. Betroffen waren von dieser Maßnahme nicht nur Quedlinburg, sondern auch das alte liudolfingische Hauskloster in Gandersheim, das zur damaligen Zeit unter der Leitung von Adelheids Schwester Sophia

stand31v Um so mehr mußten die beiden Prinzessinnen beim Dynastiewechsels des Jahres 1024

bestrebt sein, einem weiteren Verlust an Königsnähe rechtzeitig entgegenzuwirken. Die

politische Situation dieses Thronwechsels war bekanntlich durch das Fernbleiben der säch- sischen Großen vom Wahltag in Kamba sowie die anfängliche Opposition der Lothringer gegenüber dem neuen König Konrad II. gekennzeichnet318. Erst im Zuge seines Umritts vermochte der Salier die Anerkennung als König in Lothringen und Sachsen zu erreichen319 In diesem Zusammenhang verdient die Nachricht der Quedlinburger Annalen Beachtung, daß Konrad II. und seine Gemahlin auf dem Weg von Lothringen nach Sachsen als erste Station auf sächsischem Stammesgebiet Vreden aufsuchten, wo sie von den kaiserlichen Schwestern Sophia und Adelheid, die dem Herrscherpaar dorthin entgegengeeilt waren, herzlich empfangen worden seien, uti ius consanguineum exegerat320. Die Forschung hat diese in den November des Jahres 1024 zu setzende Nachricht321 vor allem im Hinblick auf die erst einige Wochen später, in Dortmund und insbesondere auf dem weihnachtlichen Hoftag in Minden erfolgte Anerkennung Konrads II. durch die Sachsen gewürdigt und jener Begegnung mit den Äbtissinnen Sophia und Adelheid in Vreden den Charakter einer politischen Vorentscheidung für die Willensbildung der sächsischen Großen zugemessen322 So hat schon Harry Bresslau vermutet, �daß eben ihre (scil. Sophias und Adelheids) Aner- kennung der zu Kamba vollzogenen Wahl in manchen Kreisen dazu beigetragen hat, dem König die Wege in Sachsen zu ebnen"323. Und in der Tat dürfte der von den beiden letzten weiblichen Repräsentantinnen der im Mannesstamm ausgestorbenen ottonischen Familie inszenierte und in dieser Form sicher verabredete Empfang des Herrscherpaares seine Wir- kung auf möglicherweise noch abseits stehende Große im Lande nicht verfehlt haben. An- dererseits mußte es aber auch im Interesse der beiden Äbtissinnen liegen, denen nicht we- niger als fünf Konvente unterstanden324, sich des Wohlwollens des neuen Königs rechtzeitig

Quedlinburger Nekrologs in die Merseburger Gedenktradition führte selbstverständlich nicht zur Aufgabe der

ottonischen Memoria in Quedlinburg, schränkte jedoch deren bisherige Exklusivität deutlich ein. Die von Hein- rich II. dem Servatiusstift 1021 zugewandte Schenkung (DH II 448) bestimmte der Kaiser pro remedio anime tertii Ottonis imperatoris augusti dilectissimi senioris nostri nec non pro salute nostra et dilectissimae coniugis nostrae Chunigundae imperatricis augustae.

317 ALTHOFF, Gandersheim und Quedlinburg (wie Anm. 10) S. 13S ff. 78 Zum Hergang des Thronwechsels R. SCHMIDT, Königsumritt und Huldigung in ottonisch-salischcr Zeit

(VortrrForsch 6), 1961, S. 150 ff.; U. REULING, Die Kur in Deutschland und Frankreich. Untersuchungen zur Entwicklung des rechtsförmlichen Wahlaktes bei der Königserhebung des 11. und 12. Jahrhunderts (VeröffMPIG 64), 1979, S. 14ff.

319 REULING, a. a. O. S. 34 f. 330 Ann. Qucd. (wie Anm. 26) ad a. 1024, S. 90:... postea occidentalia peragrantes loca, Frethennam praeclaram

subintrat; ubi imperiales filiae ac sorores, Sophia videlicet Adelheida, laetae occurrunt, laetioresque, uti ius

consanguineum exegerat, ambos suscipiunt. Vgl. zu Vrcdcn Westfälisches Klosterbuch 2 (wie Anm. 312) S. 401 f. 321 Vgl. Reg. Imp. Konrad II. 8a. 322 H. BRESSLAU, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Konrad II. (Jahrbücher der Deutschen Geschichte),

Bd. 1,1879, S. 40 und zuletzt ALTHOFF, Gandershcim und Qucdlinburg (wie Anm. 10) S. 134. Zu den Vorgängen in Dortmund und Minden Reg. Imp. Konrad II. 8b, c. Dazu SCHMIDT, Königsumritt (wie Anm. 318) S. 160 ff.;

REULING, Kur (wie Anm. 318) S. 34.

323 BRESSLAU, Konrad II. (wie Anm. 322) S. 40. 324 Während Adelheid die Konvente von Qucdlinburg, Gcrnrodc und Vrcdcn leitete, hatte Sophia, die seit 1002

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232 ULRICH REULING

zu versichern, was ihnen durch den demonstrativen Empfang in Vreden offensichtlich auch gelang; denn schon bald nach dem Mindener Hoftag Weihnachten 1024 hielt sich der königliche Hof nach Zwischenstationen in Paderborn, Corvey, Hildesheim und Goslar an den Orten der beiden

�Stammkonvente" der Äbtissinnen Sophia und Adelheid, in Ganders-

heim und Quedlinburg, auf325. Bemerkenswert ist, daß der Quedlinburger Annalist den Empfang des Herrscherpaares

in Vreden nicht unter einem politischen, sondern einem rechtlichen Aspekt bewertet, wobei allerdings unklar ist, was unter dem angesprochenen ins consanguineum zu verstehen ist. Sollte damit ein Brauch, wie er unter Verwandten üblich war, gemeint sein, so würde man eher Begriffe wie mos oder consuetudo erwarten. Möglicherweise wollte der Annalist an dieser Stelle nur zum Ausdruck bringen, daß der neue König auf Grund der Verwandtschaft

mit dem liudolfingischen Königshaus einen legitimen Anspruch auf diesen Empfang durch die Prinzessinnen hatte326. Mit dieser starken Betonung der Verwandtschaft Konrads II. mit der ottonischen Dynastie korrespondiert der einige Zeilen zuvor geäußerte Hinweis des Autors auf die inclyta regum prosapia, der Konrad II. entstammte327. Als Urenkel von Otto I. Tochter Liudgard war Konrad II. in der Tat ein Seitenverwandter der Liudolfinger, wenn auch keineswegs ein besonders nahestehender. Welche Rolle dieser Verwandtschaft bei der Wahl des Saliers in Kamba zugekommen war, ist in der Forschung umstritten und hier nicht weiter zu erörtern328. Deutlich wird allerdings an der ausgesprochen legitimistisch gefärbten Nachricht des Annalisten über den Empfang des Herrscherpaares in Vreden, daß in Kreisen des Quedlinburger Konvents, vielleicht sogar bei den Äbtissinnen selbst, das Selbstverständnis und das angestrebte gute Verhältnis gegenüber dem neuen König theo- retisch vor allem auf dessen Verwandtschaft mit der bisherigen Königsdynastie gegründet waren.

In diesem Zusammenhang ist auch das Problem der Königsvogtei des Quedlinburger Servatiusstifts kurz zu erörtern, von dem bereits in Verbindung mit den Vorgängen der Stiftsgründung im Jahre 936 die Rede war 329. Bei einer eventuellen Abkehr der Königs- wähler von der herrschenden Dynastie hatte Otto I. seinerzeit zwar die fortdauernde Un-

Gandershcim vorstand, 1011/12 auch das Reichsstift Essen übertragen bekommen; vgl. Das Bistum Hildesheim 1: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim, bearb. von H. GÖTTING (Germania Sacra N. F. 7), 1973, S. 91 f.

325 Vgl. Reg. Imp. Konrad II. 8f-17d, hier insbes. 17b, d. Diese Königsaufenthalte in Gandersheim und Qucd- linburg dürften bereits in Vreden abgesprochen worden sein. Ob die Prinzessinnen den königlichen Hof auf dem Weg von Vreden nach Gandershcim bzw. Qucdlinburg begleitet haben, ist nicht bekannt.

326 G. KÖBLER, Das Recht des frühen Mittelalters. Untersuchungen zu Herkunft und Inhalt frühmittelalterlicher Rechtsbegriffe im deutschen Sprachgebiet (ForschDtRG 7), 1971, S. 76 Anm. 485 stellt das ins consanguinitatis zu den zahlreichen übertragenen Verwendungen des Wortes itis, ohne allerdings eine Deutung für diese spezielle Wortzusammensetzung zu bieten; ins consanguineum fehlt in der Aufstellung Köblers. In der Königswahlforschung ist der Begriff des ius consanguinitatis häufig als Terminus technicus für das sog. Geblütsrecht in Anspruch genommen worden. Dazu SCHLESINGER, Erbfolge und Wahl (wie Anm. 89) S. 249f. Kritisch zu Schlesinger vor allem HLAwITSCHKA, Untersuchungen (wie Anm. 41) insbes. S. 84ff.

327 Ann. Qucd. (wie Anm. 27) ad a. 1024, S. 89. 328 Vgl. dazu Reg. Imp. Konrad II. m; REULING, Kur (wie Anm. 318) S. 23f., dort auch die ältere Forschungs-

diskussion. Vgl. ferner H. KELLER, Schwäbische Herzöge als Thronbewerber: Herzog Hermann II. (1002), Rudolf von Rhcinfelden (1077), Friedrich von Staufon (1125). Zur Entwicklung von Reichsidee und Fürstenverantwor- tung, Wahlverständnis und Wahlverfahren im 11. und 12. Jahrhundert, in: ZGORh 131 (1983), S. 14S; HLA- WITSCHKA, Untersuchungen (wie Anm. 41) S. 79 ff.

329 Vgl. oben 5.199 f.

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 233

terstellung des Konvents unter die Gewalt des Königtums festgelegt, jedoch sollte die Stifts-

vogtei auch dann bei dem Mächtigsten der liudolfingischen Sippe verbleiben330. Folgt man der vielerörterten Interpretation jenes Passus durch Karl Schmid331, so war diese Vogteibe-

stimmung in erster Linie für den Fall getroffen worden, daß die agnatische Linie des liu- dolfingischen Königshauses aussterben würde. Otto I. hätte also gerade jene Möglichkeit

vorausbedacht, die im Jahre 1024 tatsächlich eintrat. Doch wie sollte unter dieser Voraus-

setzung in einer solchen Situation verfahren werden, wenn der neue König zugleich Sei- tenverwandter der bisherigen Dynastie war? War dieser nicht naturgemäß der Mächtigste der verbliebenen Sippe? Welchen Sinn sollte eine derartige Vogteibestimmung haben, die den Tatbestand einer engen Versippung der führenden Adelsfamilien gänzlich außer acht ließ? Gerade aufgrund des konkreten Beispiels des Thronwechsels des Jahres 1024 drängt

sich der Eindruck auf, als sei die Vogteibestimmung von DO I1 aus dem Jahre 936 weniger im Hinblick auf den Extremfall des Aussterbens der eigenen Dynastie im Mannesstamm getroffen worden als vielmehr darauf, daß sich die Königswähler bei einem anstehenden Thronwechsel von der ottonischen Dynastie abwenden würden332. Um so weniger verwun- dert es auch, daß die Königsvogtei des Servatiusstifts vom Thronwechsel des Jahres 1024 gänzlich unberührt geblieben ist. Dies entsprach offensichtlich auch dem Interesse der Stifts- äbtissin Adelheid, wie der von ihr und ihrer Schwester inszenierte demonstrative Empfang des neuen Königs in Vreden nachdrücklich zeigt.

VI.

Wenden wir uns nach diesem Ausblick auf das Verhältnis von Königtum und Stift an der Schwelle zur Salierzeit in einem letzten Schritt jenen Vorgängen der Marktgründung und Stadtwerdung Quedlinburgs zu, mit denen seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert das dritte

markante und eigenverfaßte Siedlungselement am Ort in Erscheinung tritt. Welche Rolle Handel und Gewerbe bis dahin in Quedlinburg gespielt hatten, läßt sich mangels entspre- chender Nachrichten schwer einschätzen. Natürlich bedurfte eine Reichsabtei vom Rang des Servatiusstifts von Anfang an nicht nur der ständigen Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, sondern auch mit Luxusgütern. Es ist ferner schwer vorstellbar, daß die Aufenthalte des königlichen Hofes am Ort, zumal wenn sie längere Zeit in Anspruch nah- men und in besonders festlichem Rahmen stattfanden, nicht stets auch eine größere Zähl von Händlern und Kaufleuten angezogen haben. Gleichwohl lassen sich bis zum ausgehen- den 10. Jahrhundert weder ein dauerhafter Marktverkehr noch eine Kaufmannssiedlung am Ort nachweisen333.

Das Marktprivileg, welches Otto III. der Äbtissin des Servatiusstifts nur wenige Wochen nach Antritt seiner selbständigen Regierung im November 994 gewährt hat, spricht ein- deutig von der Errichtung eines Marktes (mercatum erigere ), nicht von der Privilegierung

33° MGH DO I1 (wie oben Anm. 88). 331 SCHAIID, Thronfolge (wie Anm. 53) S. 470ff. Kritisch dazu vor allem SCHLESINGER, Erbfolge und Wahl

(wie Anm. 89) 5.238 ff.; merkwürdigerweise hat Schmid bei seinen eingehenden Erörterungen der Vogteibestim-

mung den praktischen Fall der Anwendung beim Thronwechsel des Jahres 1024 gänzlich außer acht gelassen. 332 SCHLESINGER, Erbfolge und Wahl (wie Anm. 89) S. 238ff. 333 SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 95ff.; MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie

Anm. 11) 5.114 f.

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234 ULRICH REULING

einer schon bestehenden Marktsiedlung334. Diese Marktgründung erfolgte auf Fürbitte der Kaiserinwitwe Adelheid und, was eigens vermerkt wird, auf Ermahnung der Äbtissin Mat- hilde335Will man diesen Hinweis nicht rein formelhaft auffassen, so stand die Marktgrün- dung offenbar seit einiger Zeit als Versprechen im Raum, das der König nun - fünf Jahre

nach der Privilegierung der benachbarten Bischofsstadt Halberstadt336 - für die metropolis Quedlinburg einlöste337

Königliche Marktgründungen waren im ostsächsischen Raum erst eine verhältnismäßig junge Erscheinung. Sieht man einmal von dem Sonderfall Magdeburg ab, so haben den

erhaltenen Privilegien zufolge erst die Ottonen in diesem Raum Märkte in größerer Zahl

gegründet und zum Teil mehrfach privilegiert. Beispiele dieser ottonenzeitlichen Markt-

gründungen bieten Gandersheim, Halberstadt und Seligenstadt/Osterwieck338. Hinzu kom-

men die im Marktprivileg für Quedlinburg genannten Orte Eisleben, Wallhausen, Harzge-

rode und Rottleberode, für die keine Privilegien überliefert sind, deren Märkte aber zu jener Zeit bereits bestanden haben 339 So trat Quedlinburg 994 in einen schon verhältnis- mäßig großen Kreis ostsächsischer Marktorte ein, was den König anläßlich der Neugrün- dung zu einem in dieser Form ganz ungewöhnlichen Verbot weiterer Marktgründungen innerhalb eines großräumig abgegrenzten Bezirks bewogen hat. Er reichte von der Saale im Osten bis zur Oker im Westen und von der Unstrut-Helme-Linie im Süden bis zur Bode und dem Großen Bruch im Norden. Nur die in diesem Raum schon vorhandenen Märkte (Eisleben, Wallhausen, Rottleberode, Harzgerode, Halberstadt, Seligenstadt/Osterwieck) sollten unbehindert bestehen bleiben340Offensichtlich hatte dieses Verbot den Zweck, die Neugründung Quedlinburg vor künftiger unliebsamer Konkurrenz zu schützen341. Bemer- kenswert ist, daß die Bode als Nordgrenze des umschriebenen Bezirks gleichzeitig die Süd- grenze jenes Raumes bildete, in dem 965 Magdeburg von Otto I. das ausschließliche Zoll- recht erhalten hatte342. Auch mit dieser Maßnahme sollte offenbar die Gründung neuer Märkte im weiter nördlich gelegenen Gebiet verhindert werden. Beabsichtigt war also im ostsächsischen Raum die Schaffung zentraler Marktorte für bestimmte Räume kraft kö- niglichen Marktregals343

336 Vgl. oben Anm. 271. MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) 5.115. 311 Vgl. oben Anm. 271. 336 MGH DO III 55; dazu im einzelnen SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 403ff.; SCHWINEKÖPER,

Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 33ff.; MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) S. 36ff. 337 Die Quedlinburger Marktgründung ist viel erörtert worden; an älteren Arbeiten sei nur verwiesen auf S.

RIETSCHEL, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis zueinander, 1897, hier insbes. S. 73 ff.; ferner SCHEI-

BE, Studien (wie Anm. S) S. 24ff.; HERZOG, Ottonische Stadt (wie Anm. 1) S. 37ff. und neuerdings SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) passim; SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 92ff.; MILITZER/PRZY-

BILLA, Stadtentstchung (wie Anm. 11) S. 112ff. Vgl. zuletzt auch SCHAUER, Quedlinburg (wie Anm. 15) S. 14f.

und BLASCHKE, Quedlinburg (wie Anm. 124) Sp. 359.

338 Dazu grundlegend SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 403ff., zusammenfassend S. 426ff.; SCHWINE- KÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. llff. Vgl. auch die Übersicht bei HARDT-FRIEDERICHS, Markt, Münze und Zoll (wie Anm. 352) S. 21 ff.

339 MGH DO III 155. Sao Ebd. 341 SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 98; MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie

Anm. 11) S. 125. 342 MGH DO 1299. Dazu SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 405. 343 SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) 5.405.

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 235

Dabei ist zu berücksichtigen, daß Quedlinburg im Unterschied etwa zu Magdeburg und dem benachbarten Halberstadt über keine günstige Verkehrslage verfügte. Während der Hauptzug der großen West-Ost-Straße, die das Niederrheingebiet im Zuge des Hellweges mit Ostsachsen verband, über Halberstadt direkt nach Magdeburg führte344, querte ein anderer wichtiger Fernhandelsweg, die von Bremen über Braunschweig und Halberstadt nach Halle und Merseburg führende Nord-Süd-Straße, nicht bei Quedlinburg, sondern bei dem nahe gelegenen Ditfurt das Bodeta1345Zwar lassen die Königsitinerare eine direkte Anbindung Quedlinburgs an die von Werla bzw. Goslar und Halberstadt nach Halle bzw. Merseburg führende Harzrandstraße und an die als �Königssteig" überlieferte Harzquer- straße erschließen, die von Nordhausen und den königlichen Jagdhöfen im Selketal über Stecklenberg bzw. Gernrode Quedlinburg erreichte346. Doch hatten diese Verbindungen si- cherlich eine größere Bedeutung für die Reisewege des königlichen Hofes als für den Fern- handel347.

Wie das Quedlinburger Marktprivileg von 994 summarisch ausführt, wurden der Stifts- äbtissin als Marktherrin neben Münze und Zoll alle sonstigen, unter dem Begriff des mer- catorium ius zusammengefaßten Herrschafts- und Nutzungsrechte am Markt nach dem Vorbild von Köln, Mainz, Magdeburg und ähnlicher Orte eingeräumt348. Die ausdrückliche Nennung Magdeburgs als Vorbild für diese Neugründung findet sich auch in dem ent- sprechenden Marktgründungsprivileg für Halberstadt (989)349 Auffallender Weise aber werden im Quedlinburger Privileg vor Magdeburg noch die Märkte von Köln und Mainz angeführt. Walter Schlesinger hat deren Nennung als Indiz dafür gewertet, daß das Kö- nigtum in ottonischer Zeit,

�von den sächsischen Verhältnissen und speziell von Magdeburg

ausgehend,... eine bewußte Marktpolitik betrieben (hat), die sich nicht nur in der speziellen Verleihung von Marktprivilegien äußerte, sondern auch ...

die alten rheinischen Metropolen Köln und Mainz als Orte nostrae dicionis in ihr System einzubeziehen suchte". Es sei dabei gleichgültig, �ob

die dortigen Erzbischöfe von den Vorgängern Ottos III. wirklich Markt- rechtsprivilegien empfangen haben oder ob dies nur fingiert wurde"310Dagegen hat Berent Schwineköper eingewandt, daß der im Marktprivileg für Quedlinburg verwendete Ausdruck

344 Zusammenfassend zur Verkehrslage Qucdlinburgs SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 95 f. mit Karte S. 13. Vgl. auch RIECKENBERG, Königsstraße (wie Anm. 168) S. 11 ff.; dazu die Tabellen im Anhang S. 110ff.; F. TIMME, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, in: Braunschweigische Heimat 36 (1950), S. 107-136, insbes. S. 112ff.; zum �Königssteig" auch K. MEYER, R. RACKWITZ, Der Helmegau, 3. Teil, 6: Alte Heerstraßen, in: MittVErdkundeHalle 1890, S. 17 f.

345 SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 95 f. 346 Ebd. S. 95; GOCKEL, Art. Nordhausen (wie Anm. 158) 5.321. 347 RIECKENBERG, Königsstraße (wie Anm. 168) S. 19. Von Qucdlinburg aus haben die Könige in der Regel den

Weg zu den Jagdhöfen Siptenfeld und Bodfeld genommen. 348 MGH DO 111155:

... mercatum erigere decrevimus et destinatum regalis potentie magnanimitate pleniter eduximus, ea videlicet ratione zit eadem iam prefata amita nostra sibique successure eodem regimine abbatissa ad usum deo sanctoque Seruatio ibidem servientium famularum in in maiori aeclesia monetis theloneis omnique in mercatorio iure quod antecessorum nostrorum, regum scilicet et imperatorum, industria Coloniae, Magontie, Magadaburch similibusque nostrae dicionis in locis antea videbatur esse concessum, ... - Zum Begriff des mer- catorium ins SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 411; SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 97,149; K. KROESCHELL, Bemerkungen zum �Kaufmannsrecht" in den ottonisch-salischen Markturkunden, in: K. DOWEL, H. JANKUHN, H. SIEMs, D. TIMIPE, (Hgg. ), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Teil III: Der Handel des frühen Mittelalters (AbhhAkad. Göt- tingen, phil. -hist KI., 3. Folge Nr. 150), S. 418 ff., insbes. S. 423.

349 Siehe oben Anm. 336. 350 SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 414.

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236 ULRICH REULING

dicio neben der Bedeutung einer unmittelbaren königlichen Besitzverfügungs- und Rechts- gewalt in Herrscherurkunden und gerade auch in Immunitätsprivilegien als Synonym für

regnum und imperium im allgemeinen Sinn begegnet351. Das würde bedeuten, daß im vor- liegenden Fall des Quedlinburger Privilegs eine Inanspruchnahme von Köln und Mainz als vom König privilegierter Marktorte möglicherweise gar nicht beabsichtigt war, auf diese Vorbilder vielmehr deshalb hingewiesen worden ist, weil sie zu den bedeutendsten Markt- orten im Reich gehörten. In dieser Vorbildfunktion erscheinen sie wiederholt in Marktpri- vilegien Ottos 111.352

Deutlich ist, daß der Marktherrin von Quedlinburg 994 neben Münze und (Markt-)Zoll auch die Banngewalt über den künftigen Markt übertragen wurde. Die eigens verbriefte Exemtion des Marktes von der ordentlichen Gerichtsbarkeit eines Herzogs oder Grafen und deren Übertragung auf einen (stiftischen) advocatus353 zielte offensichtlich schon auf die Schaffung einer räumlich abgegrenzten �Marktimmunität"354, wie sie auch aus entspre- chenden Privilegien für Magdeburg (965), Merseburg (981), Halberstadt und Bremen (989) zu erschließen ist355

Daß die Äbtissin von Quedlinburg von ihren neuen Rechten sogleich Gebrauch gemacht hat, belegen die schon vor dem Jahre 1000 einsetzenden Münzprägungen am Ort356. Doch lassen die wenigen geborgenen Fundmünzen der ältesten Prägeperiode keine Aussagen über die anfängliche Bedeutung des Marktes zu. Sie muß indes schon in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts nicht unerheblich gewesen sein. Denn bereits in der Zeit Konrads II. und Heinrichs III. bildeten die Quedlinburger Kaufleute einen rechtsfähigen Verband, der kö- nigliche Privilegien erhielt357. Dazu zählten der den Kaufleuten wohl schon von Konrad II. gewährte Königsschutz und die Handelsfreiheit auf allen Märkten des Reiches, die ihnen gewährte lex ac iusticia der Kaufleute von Goslar und Magdeburg358 sowie die Zollfreiheit

351 SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 145ff. 352 Vgl. dazu die tabellarische Aufstellung von H. BORCHERS, Beiträge zur rheinischen Wirtschaftsgeschichte,

in: HessJbLdG 4 (1954) S. 72 mit Anm. 19. Zu vergleichen sind insbes. die Marktprivilegien für Altdorf 999 (MGH DO 111 325), Helmarshausen 1000 (MGH DO 111 375), Wasserbillich 1000 (MGH DO 111 364). - Allgemein W. METZ, Marktrechtfamilic und Kaufmannsfriede in ottonisch-salischer Zeit, in: B1lDtLdG 108 (1972), S. 28-55; Friderun HARDT-FRIEDERICHS, Markt, Münze und Zoll im ostfränkischen Reich bis zum Ende der Ottonen, in: B1lDtLdG 116 (1980), S. 1-31.

353 MGH DO III 155: ...

huncque mercatum sic Clare illis perdonavimus zit nullus dux vel comes auf alia aliqua iudiciaria persona modica sine grandis, nisi quem ipse consantaneo voto sibimet advocatum elegerint, de hoc se intromittere presumath, ...

354 SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 409,429. 355 Ebd. 356 V. JAMMER, Die Anfänge der Münzprägung im Herzogtum Sachsen (10. und 11. Jahrhundert) (Numisma-

tische Studien 3/4), 1952, S. 68 f. 357 Das Marktprivileg Konrads II. ist verschollen, aber auf der Grundlage von DH III 93 von 1042 zu erschließen

(vgl. die Vorbemerkung ebd. ). Eine auf den Namen Konrads II. hergestellte Fälschung (MGH DKo II 290) wurde, wie jüngst W. Petke zeigen konnte, 1134 im Vorfeld der neuerlichen Privilegierung der Quedlinburger Kaufleute hergestellt (MGH DLo III 61; vgl. Reg. Imp. Lothar III. 394). Auch DH 111 93 liegt nur in der Abschrift einer interpolierten Fassung vor, die gleichfalls 1134 entstand und als Vorlage für DLo III 61 benutzt worden ist; interpoliert ist allerdings nur der Passus über die Ausübung der Lebensmittelpolizei durch die Marktbewohner; vgl. unten Anm. 374.

358 MGH DH 11193: ... negociatores de Quellingburg eodem modo, quo beate memorie genitor poster Conradus videlicet imperator augustus receptos habuit, sub nostram recipimus tuicionem; concedentes eis, tit per omnes nostri regni mercatus ubique suum libere exerceant negotium et tali deinceps lege ac iusticia vivant, quali merca- tores de Goslaria et de Magdeburga antecessorum nostrorum imperiali ac regali tradicione usi sent et utantur, ...

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Qucdlinburg: Königspfalz - Rcichsstift - Markt 237

an allen Plätzen nördlich der Alpen außer in Köln, Tiel und Bardowick319 Ohne ein den Gesetzen entsprechendes Urteil sollte kein Herzog, Graf oder anderer Richter den Kauf- leuten etwas wegnehmen oder sie belästigen. Als Buße wurde die außerordentlich hohe Summe von 100 Pfund Gold festgesetzt, die je zur Hälfte an die königliche Kammer und die Kaufleute gezahlt werden sollte36o Offensichtlich bildeten die Quedlinburger Kaufleute schon einen dauerhaften und rechtsfähigen Verband, der in der Lage war, Bußgelder ent- gegenzunehmen und zu verwalten.

Zu den von Konrad II. gewährten und von Heinrich III. 1042 bestätigten königlichen Privilegien, die vor allem dem Schutz und der Förderung der Kaufleute auf auswärtigen Märkten, also dem Fernhandel dienten, traten weitere Rechte und Vergünstigungen, die seitens des Halberstädter Bischofs als des zuständigen Diözesans und der Stiftsäbtissin als Marktherrin für die sich ausbildende Marktgemeinde am Ort gewährt worden waren. Zu- sammen mit den schon genannten königlichen Privilegien Konrads II. und Heinrichs III. erscheinen einige der offensichtlich als besonders wichtig angesehenen, bis dahin aber wohl lediglich mündlich vereinbarten Regelungen in dem erneuerten Marktprivileg König Lo- thars III. von 1134361. Erst durch diese Urkunde erhalten wir für die Zeit des frühen 12. Jahrhunderts gewisse Einblicke in den Stand der Verfassungsentwicklung der Quedlinburger Marktgemeinde362.

So wurde 1134 den wechselweise als negotiatores und mercatores bezeichneten Markt- bewohnern von Quedlinburg das gewohnheitsgemäß bereits in Anspruch genommene Recht verbrieft, sich dem bischöflichen bzw. archidiakonalen Send nur am Ort zu stellen, ausge- nommen bei Ladung vor den bischöflichen Stuhl wegen Ungehorsams363. Eine ähnliche kirchenrechtliche Sonderstellung hatten schon vor 1059 die Halberstädter Kaufleute von ihrem Marktherrn und Bischof erlangt364, und man wird in der Vermutung wohl nicht fehlgehen, daß hier wie in Quedlinburg die Kaufleute im 11. Jahrhundert bereits eine eigene Pfarrgemeinde bildeten36s

Gemäß alter Gewohnheit (antiqua consuetudo) durften die Marktbewohner die Wiesen jenseits, d. h. östlich der Bode nutzen, die im Eigentum des Stifts standen. Dafür hatten

369 Überliefert ist dieser die Zollfreiheit betreffende Passus lediglich im Marktprivileg Lothars III. von 1134 (MGH DLo 111 61); W. Petke nimmt an, daß als Vorlage ein Deperditum Konrads II. gedient hat; vgl. Reg. Imp. Lothar III. 394.

360 MGH DH 111 93: Precipientes veto firmiter mandamus, tit nullus episcopus, nullus dux comes vicecomes schuldassio seu Ulla nostri regni persona vel magna vel parva predictos negociatores audeat despoliare vel inquie- tare absque legali iudicio, sed ipsi hanc tradicionern nostra regali concessione teneant in perpetuo firmam. Si quis auten: temerarius hoc nostrum preceptum in aliquo infringere temptaverit, sciat se conpositurum centum libras auri, medietatem camere nostre et medietatem predictis mercatoribus. - Dazu SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) 5.420 f. mit Anm. 84.

361 MGH DLo 111 61. 362 SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 421f.; SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11)

5.100 ff.; MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) S. 124 ff., insbes. 5.127 ff. 363 MGH DLo 111 61: Quia veto usque ad tempora nostra synodali censure et examini non nisi in fato loco,

id est Quitelineburc, prefati mercatores se representare consueverunt, volumus, ut in ecclesiasticis negotiis epis- copum et archidiaconum ibidem tantum audiant et synodali censure subiaceant, exceptis tarnen his qui propter aliquam inobedientiam ad episcopalem sedem vocantur. - Zur Sache N. HILLING, Beiträge zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung des Bistums Halberstadt im Mittelalter 1: Die Halberstädtcr Archidiakonate, 1902, S. 102 f.

364 Urkundenbuch der Stadt Halberstadt, 1. Thcil, bearb. von G. SCHMIDT (GeschQuProvSachs 7), 1878, Nr. 2; dazu SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) 5.415.

365 SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 415.

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238 ULRICH REULING

sie jährlich ein Pfund Geld zu entrichten, das an den Bittagen um Himmelfahrt fällig war. Davon sollten für die Tafel der Stiftsäbtissin Fische gekauft werden366. Dem herrschaftlichen

villicus, vermutlich dem stiftischen Fronhofsverwalter367, war von jeder Herdstelle ein obo- lus zu entrichten, wofür dieser die für den Viehtrieb über die Bode erforderliche Brücke instandzuhalten hatte368. Auch diese Bestimmung stand ersichtlich im Zusammenhang mit der Weidenutzung, der offenbar einige Bedeutung für die Marktsiedlung zukam369. Wäh-

rend in dem einen Fall die Marktbewohner als �Nutzungsgemeinschaft" entgegentreten, die eine gemeinsam zu erbringende und demgemäß von ihnen selbst umzulegende Gesamt-

summe an Nutzungsgebühr für den Ankauf von Fischen zu verwenden hatten, wurde im

anderen Fall eine ebenfalls zweckgebundene, wenn auch sehr geringe herrschaftliche Abgabe durch den villicus von jeder einzelnen Herdstelle direkt eingezogen. Die Gründe für dieses

unterschiedliche Verfahren sind nicht ersichtlich370. Ebenso wie die Äbtissin Grundherrin der von den Marktbewohnern genutzten Wiesen

war, verfügte sie auch über das Marktgelände und hatte demgemäß die Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Marktbetrieb zu schaffen. Von den Marktständen erhob sie ein Standgeld (tributum ). Davon waren nur Kaufleute, die mit wollenen und leinenen Tuchen handelten, sowie die Kürschner befreit371. Diese Regelung, die wohl die Förderung bestimmter Händler- und Kaufleutegruppen bezweckte372, war zu ungenanntem Zeitpunkt

concedente abbatissa ergangen und wurde nun kraft königlichen Privilegs festgeschrieben. Wieweit die hier privilegierten oder andere Gruppen von Kaufleuten und Gewerbetreiben- den bereits untereinander genossenschaftlich organisiert waren, bleibt offen. Doch konnten Bestimmungen wie diese der Verbandsbildung durchaus förderlich sein; die hier erstmals genannten Gewandschneider haben späterhin die wichtigste und einflußreichste Quedlin- burger Innung gebildet373.

Von besonderer Bedeutung war schließlich die letzte Bestimmung des Lothardiploms, derzufolge den Marktbewohnern (cives) die Wahrnehmung der Lebensmittelpolizei über- tragen war. Die Buße, die bei Verstößen gegen die Marktordnung fällig war, sollte zu drei

366 MGH DLo III 61: Statuirnus quoque non minus antiquam eis consttetudinem, resignantes ut pascuis ex altera parte Bode, idest orientali, deinceps libere ea tttantttr conditione, quatenus in emendis piscibtts ad mensam abbatisse unurn talentum singulis annis in rogationibus persolvant,... - Dazu SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) 5.100, der meint, diese Zahlung habe eine alte Naturalabgabe ersetzt. Da die mercatores nicht mit Fischern gleichzusetzen seien, dürfte es sich vermutlich um gesalzene Seefische, ein damals vielfach vorkommendes Handelsobjekt, gehandelt haben. Vgl. auch MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) S. 219.

367 MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) 5.122.

368 MGH DLo III 61: ... villico vero ipsius de unogttogtte lare obolurn reddant (seil. mercatores), ea tarnen conditione zit pro transminandis pecoribtts pontem ipsis preparet et, cum opus ftterit, reparet.

369 MILITZER a. a. 0.5.129 sieht darin ein Indiz für den stark agrarisch geprägten Charakter der Marktsiedlung, weist allerdings zu Recht auch darauf hin, daß auch Kaufleute Weiden für ihre Zugtiere benötigten.

370 Vielleicht lagen diesen Festlegungen zwei zu unterschiedlicher Zeit abgeschlossene Rechtsgeschäfte zugrunde. Das Umlageprinzip eröffnete der Gemeinschaft der Marktbewohner zumindest theoretisch die Möglichkeit, die Nutzungsgebühr entsprechend dem Viehbestand des Einzelnen festzusetzen, während das Brückengeld einheitlich von jeder Hofstätte, ähnlich dem üblichen grundherrlichen Rekognitionszins, zu entrichten war.

371 MGH DLo 111 61: Concedente quoque abbatissa decernimtts, zit mercatores lanei et linei panni et pellifices de forensibus stationibtts tributum non reddant.

372 MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) 5.137.

373 Ebd. 5.141 ff.

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 239

Vierteln den cives und zu einem Viertel dem index zufallen374. Seit wann diese Regelung bestand, geht aus dem Lothardiplom nicht hervor. Zwar findet sie sich bereits im Markt- privileg Heinrichs III. für Quedlinburg aus dem Jahre 1042375, doch waren schon in der älteren Forschung wiederholt Zweifel an der Echtheit dieses Passus in jener Herrscherur- kunde geäußert worden376, und zwar zu Recht, wie die jüngst durch Wolfgang Petke in überzeugender und höchst aufschlußreicher Weise geklärte Entstehungsgeschichte des Lo- thardiploms zeigt377. Danach haben die Bestimmungen über die Lebensmittelpolizei erst nach Vorlage einer eigens zu diesem Zweck interpolierten Fassung des Marktprivilegs Hein- richs III. von 1042 Eingang in das Lothardiplom gefunden, �offenbar gegen die Interessen der Marktherrin", wie Petke annimmt378. Gleichwohl dürfte die Handhabung der Lebens- mittelpolizei durch die Quedlinburger Marktbewohner bereits der Praxis entsprochen ha- ben, wie auch im benachbarten Halberstadt. Dort hatte der bischöfliche Stadtherr im Jahre 1105 den Marktbewohnern ein entsprechendes Privileg über die Marktaufsicht und Markt- gerichtsbarkeit erteilt, nachdem die incolae

..., cives videlicet forenses zuvor um schriftliche Bestätigung ihrer bis dahin nur mündlich gewährten iura et statuta civilia gebeten hatten 379 Wie die Urkunde Bischof Friedrichs von Halberstadt von 1105 im einzelnen ausführt, soll- ten die Marktbewohner die Aufsicht über den Verkauf von Fleisch und über Maß und Gewicht wahrnehmen. Streitigkeiten über Kauf und Verkauf sollten von den Bürgern selbst entschieden werden, entweder durch die Gesamtheit oder durch Einzelpersonen, die damit beauftragt werden konnten310

Ob die Übernahme der Marktaufsicht und Marktgerichtsbarkeit durch die Bewohner der Marktimmunität in Halberstadt früher als in Quedlinburg erfolgt ist, muß letztlich offen- bleiben, auch wenn die Umstände, die zur schriftlichen Privilegierung der Quedlinburger cives im Lothardiplom von 1134 geführt haben, hier eher auf eine jüngere Entwicklung als in Halberstadt hindeuten. In beiden Fällen markiert dieser Vorgang eine entscheidende Etappe für die genossenschaftliche Ausbildung der Marktgemeinde und werdenden Stadt381 Die cives ordneten den Marktverkehr verbindlich für alle, setzten die Strafen fest und zogen die Bußen ein. Ein wesentlicher, für den reibungslosen Ablauf des täglichen Markt- verkehrs ausschlaggebender Bereich der Niedergerichtsbarkeit war damit der Gesamtheit der Marktbewohner allein überantwortet. Diese Vollversammlung der cives, die in Hal- berstadt 1105 als barmal bezeichnet wird382, war in der Lage, für ihren Zuständigkeitsbe-

1" MGH DLo III 61: Cives etiam de omnibus qug ad cibaria pertinent, inter se iudicent et que pro his a delinquentibus pro negligentia componuntur, tres partes civibus, quarta pars cedat in usum iudicis.

175 MGH DH 111 93 (wie Anm. 357). 376 Vgl. dazu im einzelnen die Vorbemerkung zu DH III 93. 377 Reg. Imp. Lothar III. 394. 378 Ebd.

179 UB Stadt Halberstadt (wie Anm. 364) Nr. S. 381 Ebd. Dazu SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 416; MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie

Anm. 11) S. 40f. H. K. SCHULZE, Kaufmannsgilde und Stadtentstchung im mitteldeutschen Raum, in: Gilden und Zünfte. Kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter, hg. von B. SCHWI- NEKÖPER (VortrrForsch 29), 1985,5.396.

781 SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) 5.421 f., 429f.; MILITZER/PRZYBILI. A, Stadtentstehung (wie Anm. 11) 5.129 f.

382 UB Stadt Halberstadt Nr. 5 (wie Anm. 379); in Quedlinburg ist das burding erst 1425 bezeugt (UB Stadt Quedlinburg 1, wie Anm. 3, Nr. 407); dazu MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) S. 40ff. bzw. S. 130 f.

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240 ULRICH REULING

reich Recht zu setzen383 und eigene Organe für die Durchführung der Marktaufsicht zu bestimmen384. Bei dem im Lothardiplom von 1134 genannten index dürfte es sich um den Vorsitzenden des örtlichen Niedergerichts handeln, der aber wohl nicht mehr im Rahmen der Marktgerichtsbarkeit tätig wurde. Das ihm zu entrichtende Viertel der Bußen dürfte

sich vielmehr als Ersatz für die Einkünfte erklären, die ihm durch den Verlust eines Teils

seines ursprünglichen Zuständigkeitsbereichs entgingen38s. So wenig sich anhand der für Quedlinburg überlieferten Marktprivilegien der zeitliche

Verlauf der im Jahre 1134 bereits weit fortgeschrittenen Gemeindebildung im einzelnen nachvollziehen läßt, so treten doch im Lichte der wiederholten königlichen Privilegierungen die wesentlichen Elemente dieser Entwicklung und die dahinter stehenden Kräfte verhält- nismäßig deutlich hervor. Es sind insgesamt vier Instanzen, die im Verlauf jenes langge-

streckten Prozesses der Gemeindebildung in Quedlinburg zusammenwirkten: das Königtum, die vom König privilegierte Marktherrin, der Diözesanbischof und nicht zuletzt der Verband der Marktbewohner, der vom König wie von der Marktherrin und dem Halberstädter Bischof privilegiert wird. Ging der Wunsch zur Marktgründung wohl vornehmlich von der Stiftsäbtissin selbst aus386, so bedurfte es des Königs, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Kraft seines Marktregals privilegierte Otto III. die künftige Marktherrin nicht nur mit Markt, Münze und Zoll, sondern schuf zugleich einen umgrenzten Bezirk der Marktim-

munität, der aus dem Landrecht eximiert wurde und die Marktbewohner zu einer Ge-

richtsgemeinde unter dem Vorsitz des herrschaftlichen Vogtes (advocates) zusammen- schloß387. Mit der von Otto III. gewährten Marktimmunität verbanden sich nach weiteren Privilegierungen Konrads II. und Heinrichs III. der Königsschutz für die Kaufleute auf ihren Handelsreisen und die weitgehende Befreiung vom Zoll, schließlich auch die rechtliche Gleichstellung mit den bedeutendsten Marktorten der näheren Umgebung, Goslar und Magdeburg, deren lex ac iesticia auch für die Quedlinburger Kaufleute maßgeblich sein sollten388. Als Empfänger dieser königlichen Privilegien tritt die Quedlinburger Kaufmann- schaft bereits als dauerhafter und rechtsfähiger Verband entgegen, der sogar an den Bußen für die Verstöße gegen den Königsschutz beteiligt wird.

Dem Zusammenschluß als Gerichtsgemeinde entsprach die kirchenrechtliche Sonderstel- lung der Kaufleute hinsichtlich der Sendgerichtsbarkeit; die Existenz einer eigenen Pfarr- gemeinde, die aus dem alten Kirchspiel von St. Wiperti herausgelöst wurde, ist in diesem Zusammenhang zu vermuten.

Gegenüber der Stiftsäbtissin treten die Marktbewohner Quedlinburgs als Nutzungsge- meinschaft der jenseits der Bode gelegenen Weiden auf. Als Grundherrin verfügte die Stifts- äbtissin auch über das Gelände der Marktsiedlung, erhob Abgaben von den Marktständen, traf aber auch teilweise Sonderregelungen, um bestimmte Gewerbezweige wirtschaftlich zu fördern. Auffallend ist, daß es an schriftlichen Privilegien der Marktherrin gänzlich fehlt, was offenbar weniger dem Zufall der Überlieferung zuzuschreiben ist als der Tatsache, daß

383 MILITZER/PRZYBILLA, Stadtcntstchung (wie Anm. 11) S. 41f. bzw. S. 130f. 384 Als solche sind in Halberstadt - allerdings erst seit 1285 - burmester bezeugt; vgl. MILITZER/PRZYBILLA,

Stadtcntstchung (wie Anm. 11) S. 42. Für Qucdlinburg fehlen entsprechende Zeugnisse. 785 MILITZER/PRZYBILLA (wie Anm. 11) S. 130. Anders SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 402f. mit

Anm. 84, der meint, daß der (von der Marktherrin beauftragte) iudex den Vorsitz im Gericht auch in Fällen der Marktgerichtsbarkeit ausübte; ebenso SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) 5.101 f.

386 Vgl. oben S. 234. 387 Vgl. SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 429. 388 Zur späteren Rolle Goslars als Stadtrcchtsort MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) S. 127.

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 241

diese wohl überwiegend in mündlicher Form gewährt worden sind, wie dies zumindest in

einzelnen Fällen aus dem Lothardiplom des Jahres 1134 zu erschließen ist389. Das trifft wohl auch für die Übertragung der Marktpolizei und Marktgerichtsbarkeit zu. Um für dieses außerordentlich wichtige Privileg eine schriftliche Bestätigung durch den König zu erlangen, schreckten die Marktbewohner offensichtlich nicht davor zurück, an der Stifts- äbtissin vorbei der königlichen Kanzlei eine zu diesem Zweck entsprechend interpolierte Fassung des Schutzprivilegs Heinrichs III. aus dem Jahre 1042 vorzulegen.

Aufs Ganze gesehen ist nicht zu verkennen, daß der Markt und insbesondere die recht- liche Ausbildung der Marktgemeinde von Quedlinburg ihre wohl stärksten Impulse durch die wiederholten Privilegierungen seitens des Königtums empfangen haben. Hält man sich an die erhaltenen königlichen Diplome, so sind es vor allem drei zeitliche Schwerpunkte, an denen eine unmittelbare Förderung zunächst der Marktherrin, dann aber vor allem der Marktbewohner durch das Königtum erfolgt ist: zu Beginn der selbständigen Regierung Ottos III., dann in der frühen Salierzeit und schließlich in der Spätzeit des Königtums Lothars III. Auf die besonderen Umstände der Marktgründung des Jahres 994 und ihre Motive ist bereits ausführlich eingegangen worden39o Weniger deutlich treten die Gründe hervor, welche gerade die beiden ersten Salier zur Privilegierung der Quedlinburger Kauf- leute veranlaßt haben, zumal im Falle Konrads II. nicht einmal der Zeitpunkt dieser Maß- nahme feststeht391. Weder-Konrad II. noch Heinrich III. sind ansonsten als besondere För- derer von Pfalz und Stift Quedlinburg hervorgetreten392. Nur im Zusammenhang des 1045 erfolgten Wechsels in der Leitung des Servatiusstifts tritt das königliche Interesse an der Zukunft der Reichsabtei einmal unmittelbar hervor. Damals hat Heinrich III. unverzüglich dafür gesorgt, daß seine Tochter Beatrix zur Nachfolgerin Adelheids, der letzten ottoni- schen Prinzessin, die am Orte gewirkt hatte, als neue Stiftsäbtissin eingesetzt wurde. Aus diesem Anlaß hat Heinrich III. dem Servatiusstift auch Besitz aus Reichsgut in Ermsleben und Sinsleben (südwestl. Aschersleben) geschenkt393 Es sollte die letzte dem Stift aus den Händen eines Königs zugewandte Schenkung bleiben394. Doch die Einsetzung Beatrix' er- folgte erst drei Jahre nach dem erneuerten Marktprivileg Heinrichs III. für die Quedlin- burger Kaufleute, dessen Verleihung demgemäß unter anderen Voraussetzungen zu betrach- ten ist. Hält man sich an die Interventionsformel des Diploms, so ist der Eindruck zu gewinnen, als habe der König die Privilegierung auf besonderen Wunsch der Äbtissin Adel- heid vorgenommen, die offenbar aus diesem Anlaß den königlichen Hof in Tilleda aufge- sucht hatte und vom Herrscher voller Ehrfurcht als seine �geistliche Mutter" bezeichnet

wird. Darüber hinaus tritt neben der �leiblichen" Königinmutter, der Kaiserin Gisela, auch

der Markgraf Ekbert I. von Meißen als Intervenient auf, was nach Auffassung Berent Schwineköpers

�auf ein stärkeres Interesse des südöstlich gelegenen Markengebiets an dem Quedlinburger Markt hindeutet"39s Wir wissen nicht, ob bereits in der verlorenen Vorur-

789 Dazu SCHLESINGER, Vorstufen (wie Anm. 11) S. 421f.

393 Siehe oben 5.233 ff.

391 Vgl. oben S. 236 mit Anm. 357. 392 Siehe oben S. 216f. 393 MGH DH III 135. Dazu WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. S) S. 128; DERS., Grundbesitz (wie Anm. S)

S. 224 (Ermslebcn), 266f. (Sinslebcn). 394 Vgl. WEIRAUCH, Güterpolitik (wie Anm. 393). 191 MGH DH 11193: ... qualiter nos ob interventum dilectissime genitricis nostre Gisile imperatricis auguste

ac inatris nostre spiritalis venerabilis abbatisse Adelheidis sane ob eins magnum gratissimum in nos sepe collatum meritum nec non ob humilem EkJ, ardi marchionis nostri rogatum ... - Vgl. dazu E. STEINDORFF, Jahrbücher des

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242 ULRICH REULING

kunde Konrads II. für die Quedlinburger Kaufleute die lex ac iustitia der Goslarer Kauf-

mannschaft (neben der Magdeburgs) als Rechtsvorbild herangezogen worden ist. Sollte diese Festlegung auf das Goslarer Kaufmannsrecht erst 1042 erfolgt sein, so wäre dies

angesichts der bekannten Wertschätzung Heinrichs III. für Goslar als Indiz dafür zu werten, daß im Falle Quedlinburgs nicht zuletzt auch der König selbst an einer nachhaltigen För- derung des Marktes interessiert gewesen ist.

Anders als im Falle der Privilegien Konrads II. und Heinrichs III. läßt sich für den Zeit-

punkt des Marktprivilegs Lothars III. ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Wieder- belebung der Pfalzfunktionen und insbesondere der Festtagstradition in Quedlinburg durch diesen Herrscher herstellen. Hatte Lothar in den Jahren 1129 und 1130 jeweils das Pfingst- fest in Quedlinburg verbracht, so suchte er 1135 den Ort gleich zweimal aus Anlaß kirch- licher Festtage auf, zu Mariä Lichtmeß und zu Ostern. Dieses zeitliche Zusammentreffen

wiederholter Königsaufenthalte am Ort mit der kurz zuvor erfolgten Bestätigung älterer Privilegien zugunsten der bestehenden Marktgemeinde wird schwerlich auf Zufall beruhen. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, daß Lothar gerade in der Spätphase seiner Regierung Quedlinburg als einen Stützpunkt königlicher Herrschaft besonders fördern wollte, unge- achtet der Spitzenstellung, welche die nahegelegene Pfalz Goslar im Itinerar des Königs eingenommen hat396

Die Entwicklung Quedlinburgs von einer Marktgemeinde zur voll ausgebildeten Stadt hat sich - soweit bekannt - ohne weitere unmittelbare Einwirkung des Königtums, aber auch ohne erkennbare Konflikte mit dem Stift vollzogen. Als Eckdaten dieses Stadtwer- dungsprozesses, der in der zeitgenössischen Überlieferung nur einen äußerst schwachen Niederschlag gefunden hat, wird man die Jahre 1134 (Marktprivileg Lothars III. ) und 1179 (Ersterwähnung der Altstadtmauer)397 ansetzen können. Innerhalb dieses Zeitraumes dürfte jener Vorgang der städtischen Gemeindebildung im wesentlichen seinen Abschluß gefunden haben 398.

Zu erörtern bleibt abschließend die in der Forschung seit langem strittige Frage des ursprünglichen Standortes der 994 eingerichteten Marktsiedlung. Gegen die Annahme, die- ser Markt habe von Anfang an an seiner heutigen Stelle gelegen, hat schon die ältere Forschung teilweise Zweifel gehegt und als ursprünglichen Standort den Bereich zwischen Hoher Straße und Blasiistraße (früher: Kleine Hohe Straße) vermutet, bevor er - spätestens um 1100 - seinen endgültigen Platz an der heutigen Stelle erhalten habe399. Darüber hinaus ist in der neueren Forschung sogar mit einer zweimaligen Verlegung des Marktes gerechnet

deutschen Reichs unter Heinrich III., Bd. 1,1874; Ndr. 1963, S. 158 f.; SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11), S. 99.

396 E. WADLE, Reichsgut und Königsherrschaft (wie Anm. 219) 5.153; STREICH, Burg und Kirche (wie Anm. 7) Bd. 2,5.543 f.

397 UB Stadt Quedlinburg 1 (wie Anm. 3) Nr. 17 (= JL 13 479) (vgl. oben Anm. 30); Papst Alexander III. bestätigte dem Kloster St. Wiperti seine Rechte und Besitzungen in Quedlinburg, darunter parrochiam foris murutn forensem cum omni jure quod in ea habetis (für murus forensis steht einige Zeilen später gleichbedeutend murus civitatis). - Dazu MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) 5.133 f. (mit eingehender Diskussion der älteren Forschung).

391 Vgl. dazu ausführlich MILITZER/PRZYBILLA S. 124ff.

399 BRINKMANN, Bau- und Kunstdenkmäler (wie Anm. 2) T. 1, S. 13f.; SCHEIBE, Studien (wie Anm. S) S. 25; danach auch Käte HorFMANN, Überblick über die siedlungsgeographische Entwicklung Qucdlinburgs, in: Wiss- ZUnivHalle-Wittenberg, Math. -naturwiss. Reihe 4,1954/55, S. 687; HERZOG, Ottonische Stadt (wie Anm. 1) S. 42 f.

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Quedlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 243

worden, wobei angenommen wird, sein ursprünglicher Standort habe sich am sog. Finken- herd im Westendorf befunden, von wo er zunächst nach St. Blasii und schließlich an seine jetzige Stelle verlegt worden sei400. Demgegenüber haben sich Oskar August und zuletzt Klaus Militzer mit Nachdruck dafür ausgesprochen, daß die Kaufleute- bzw. Marktsiedlung von Anfang an am heutigen Marktplatz gelegen hat401.

Die These des ursprünglichen Standortes des Quedlinburger Marktes am Finkenherd im Westendorf stützt sich vor allem auf die beiden Siedlungsbezeichnungen suburbium und vicus, die in den schon erwähnten päpstlichen Schutzprivilegien für das Servatiusstift von 964 und 999402 begegnen und als Indiz dafür angesehen worden sind, daß in dem ange- sprochenen Siedlungskomplex schon vor 994 Kaufleute ansässig waren403. Infolgedessen sei auch in diesem Bereich mit anfänglichem Marktverkehr zu rechnen. Demgegenüber hat Militzer sicher zu Recht auf das weite und vielfach unspezifische Bedeutungsfeld der Aus- drücke suburbium und vicus hingewiesen. Beide Termini lassen für sich genommen den Rückschluß auf eine Siedlung von Kaufleuten und auf Marktverkehr nicht zu404 Dies um so weniger, als im Kontext der Papsturkunden suburbium und vicus als Orts- bzw. Lage- angaben für das Wipertistift dienen, also auf jenen Siedlungskomplex von Stift und Kö- nigshof zu beziehen sind, der im Diplom Ottos I. von 961 als cortis Quitilinga bezeichnet wird405. Daß zu dieser ältesten nachweisbaren Talsiedlung von Quedlinburg im 10. Jahr- hundert das Westendorf mit dem Finkenherd zählte, ist eine weitergehende Annahme, die in der schriftlichen Überlieferung keine Stütze findet. Das Westendorf ist unter dem Namen occidentalis villa erstmals 1184/1203 bezeugt406 und stand als Siedlung der stiftischen Hintersassen, später auch der Ministerialität von St. Servatii in keinem erkennbaren sied- lungsmäßigen Zusammenhang mit dem Hofkomplex bei St. Wiperti407. Wie aus den spä- teren Verhältnissen zu erschließen ist, hat das Westendorf als Immunitätsbereich des Ser- vatiusstifts eine rechtliche Sonderstellung eingenommen, auch gegenüber der Stadtgemeinde von Quedlinburg. Das Westendorf unterstand einer eigenen Vogtei, die im 15. Jahrhundert auch die Halsgerichtsbarkeit einschloß, und bildete eine eigene politische Gemeinde mit einem besonderen Versammlungshaus (Gildschaft)408. Diese ausgeprägte Sonderstellung wä- re kaum zu erklären, wenn sich in diesem Siedlungskomplex die ursprüngliche Marktsied- lung mit eigener Immunität befunden hätte409.

Für die Annahme einer frühen Marktsiedlung bei St. Blasii sind verschiedene Gesichts- punkte vorgebracht worden. Zum einen das vermutete höhere Alter der Blasiikirche ge- genüber der späteren Marktkirche St. Benedikti, zum anderen Eigenarten der Siedlungs-

d00 P. GRIbiu, Archäologische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Bezirken Halle und Mag- deburg, in: JschrMitteldtVorgeschichte 41/42 (1958), S. 539; DERS., Zu ottonischen Märkten (wie Anm. S1) S. 334f.; SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 98f. und zuletzt BLASCHKE, Qucdlinburg (wie Anm. 124) Sp. 359.

401 AUGUST, Erläuterungsheft 2 (wie Anm. 13) 5.154; MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) S. 114ff.; H. K. SCHULZE, Qucdlinburg, in: Handb. der historischen Stätten, Sachsen-Anhalt (wie Anm. 18) 5.378.

a02 Siehe oben Anm. 91. 433 SCHWINEKÖPER, Königtum und Städte (wie Anm. 11) S. 96. 104 MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11) S. 113f. 435 Siehe oben S. 206.

406 ERATH, Cod. dipl. (wie Anm. 3) Nr. 291, S. 272; Vgl. WEIRAUCH, Grundbesitz (wie Anm. S) S. 2S7 bzw. 214 Anm. 109.

437 MILITZER/PRZYBILLA, Stadtentstehung (wie Anm. 11 ) 5.113 f. mit Anm. 9. 438 Die Nachweise im einzelnen bei MILITZER/PRZYBILLA (wie Anm. 11) 5.115. 409 Ebd. S. 115.

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244 ULRICH REULING

struktur und -topographie in diesem Bereich der späteren Altstadt410. Dabei wurde die Vermutung, daß das Blasiiviertel Standort des ersten bzw. zweiten Marktes gewesen sei, mit der weiteren Annahme verknüpft, daß sich hier bereits eine dörfliche Vorgängersiedlung (, Quedlingen`) befunden hätte. In diesem Zusammenhang hat Adolf Brinkmann auf die im Blasiiviertel gelegenen größeren Hofanlagen hingewiesen und auf die schlichte und klein-

proportionierte Architektur des Vorgängerbaues der Blasiikirche, die der einer Dorfkirche

vergleichbar sei411. Da ohnehin mit bescheidenen Anfängen des Quedlinburger Marktver- kehrs zu rechnen sei, habe sich erst im Laufe des 11. Jahrhunderts die Notwendigkeit einer großzügigen Neuanlage an der heutigen Stelle ergeben412. Als Standort des älteren Marktes bei St. Blasii gilt nach Auffassung der Verfechter dieser Theorie das von der Hohen Straße

und der Blasiistraße eingeschlossene Areal, das ursprünglich frei gelegen hätte und erst nach der späteren Verlegung des Marktes bebaut worden sei. Als Indiz hierfür hat Brink-

mann den vergleichsweise kleinteiligen und wenig regelhaften Zuschnitt der hier gelegenen Grundstücke angesehen, was sich als Folge einer solchen nachträglichen Bebauung deuten ließe413

Angesichts des stark hypothetischen Charakters der auf diesen Beobachtungen gegrün- deten Annahmen und des gänzlichen Fehlens von frühen archäologischen Siedlungsbefun- den im Bereich des Blasiiviertels käme um so mehr dem Nachweis eines höheren Alters der Blasiikirche gegenüber der Marktkirche St. Benedikti für die Klärung des Quedlinburger Marktproblems einige Bedeutung zu. Beide Kirchen sind in den Schriftquellen erst spät bezeugt, St. Blasii 1231, die Benediktikirche als ecclesia forensis 1233414Nach den Baube- funden sind die Kirchen weitaus älter, wobei allerdings die Zeitansätze der Kunsthistoriker beträchtlich voneinander abweichen. Während Brinkmann die unter der heutigen Sakristei der Benediktikirche liegende Krypta als ältesten erhaltenen Baukörper noch dem 10. Jahr- hundert zuwies415, datierte sie Elisabeth Speer in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts zeitgleich mit der dreischiffigen romanischen Basilika, dem Vorgängerbau der heutigen

spätgotischen Hallenkirche416. Auch im Fall der Blasiikirche gehen die Ansichten der Bau- forscher auseinander. Während Brinkmann die ältesten erhaltenen Teile im Glockengeschoß des Westturms der Zeit um 1000 zuwies und in dieser Ansicht auch von Speer unterstützt wird417, gehören sie nach Winfried Korf

�vielleicht noch in das 11. Jahrhundert"478. Ange- sichts dieser teilweise beträchtlichen Diskrepanz in den Zeitansätzen und der noch offenen Frage möglicher Vorgängerbauten beider Kirchen bietet der derzeitige Stand der bauge- schichtlichen Erkenntnisse schwerlich weiterführende Gesichtspunkte zur Lösung des Marktproblems.

1111 BRINKMANN, Bau- und Kunstdenkmäler (wie Anm. 2) T. 1, S. 13. 411 Ebd. T. 2, S. 12.

411 Ebd. T. 1, S. 13 f. 413 Ebd. T. 1, S. 13. 414 UB Stadt Quedlinburg 1 (wie Anm. 3) Nr. 24 f. (Regest); Druck: ERATH, Codex diplomaticus (wie Anm. 3)

S. 153 bzw. 156 f. 411 BRINKMANN, Bau- und Kunstdenkmäler (wie Anm. 2) T. 2, S. 33. So neuerdings auch W. KoRr, Die Pfarr-

kirchen in Quedlinburg (Das christliche Denkmal 127/28), 1986, S. 25 f. 416 E. SPEER, Quedlinburg und seine Kirchen, 3. Aufl. 1972, S. 66. 417 BRINKMANN, Bau- und Kunstdenkmäler (wie Anm. 412) T. 2, S. 12; SPEER (wie Anm. 416) S. 65. 418 G. DEHIO, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Der Bezirk Halle, bearb. von der Abteilung Forschung

des Instituts für Denkmalpflege, 1976, S. 372. Neuerdings tritt Korf für eine Datierung in das erste Viertel des 11. Jahrhunderts ein; vgl. DERS., Die Pfarrkirchen in Quedlinburg (wie Anm. 415) S. 8.

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 245

Die Bedenken, die gegen die Annahme einer bis in die Gründungszeit zurückreichenden Siedlungskontinuität des Quedlinburger Marktes vorgebracht worden sind, erweisen sich somit insgesamt als wenig stichhaltig. Davon unabhängig stellt sich die Frage nach der

räumlichen Entwicklung dieser Marktsiedlung. Oskar August hat aufgrund des ältesten Quedlinburger Parzellenplanes aus der Zeit vor 1878 die Beobachtung gemacht, daß die an den beiden Längsseiten des großen keilförmig ausgebildeten Straßenmarktes errichteten Häuser nicht in einer Fluchtlinie liegen; die Häuser rückten vielmehr - von Süden nach Norden fortschreitend - im allgemeinen in die Baublöcke zurück. August hat diese Anord- nung als Zeichen dafür gewertet, daß die Marktanlage nicht nach Planschema entstand, sondern nach und nach in der bezeichneten Richtung bebaut worden sei419. Im Anschluß an die ältere Forschung rechnet auch August damit, daß die in die spätere Altstadtummauerung einbezogenen Viertel um St. Blasii im Süden und St. Ägidien im Norden nicht zum Bereich der ursprünglichen Marktimmunität gehörten, sondern als ältere dörfliche Siedlungskom- plexe erst im Laufe des 11. Jahrhunderts im Zuge der Erweiterung der Marktsiedlung in dieser aufgegangen seien420. Dabei muß freilich ausdrücklich betont werden, daß die Existenz solcher dörflichen Vorgängersiedlungen weder im Gebiet des späteren Blasii- noch im Ägi- dienviertel bislang nachgewiesen sind, so daß auch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß es sich hierbei um jüngere, im größeren Umfang erst nach der Marktgründung entstandene Vorort- bzw. Ausbausiedlungen handelt. Die in der örtlichen Tradition bewahrten Namen

, Quedlingen` für das spätere Blasii-Viertel und Nördlingen` für das spätere Ägidienviertel

sind in den mittelalterlichen Schriftquellen nicht belegt421; der 961 ein einziges Mal bezeugte 22

, der Name Name Quedlingen haftete damals an dem Königshof komplex bei St. Wiperti4 Nördlingen scheint eine erheblich jüngere Analogiebildung zu Westendorf zu sein, wobei letzterer Name - wie schon gesagt - 1184/1203 erstmals überliefert ist123.

VII.

Betrachtet man die Entwicklung Quedlinburgs im 12. Jahrhundert, so ist neben der Stadt-

werdung um die Jahrhundertmitte der allmähliche Rückzug des Königtums aus dieser ein- stigen sedes regalis und metropolis sicher die bemerkenswerteste Erscheinung. Er hat sich auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Weise vollzogen. Relativ unauffällig im Bereich der Pfalz. Wie bereits ausgeführt wurde, hatte Quedlinburg seine Bedeutung als vielbesuchte Königspfalz schon unter Otto II., endgültig dann seit dem Antritt der selb- ständigen Regierung Ottos III. eingebüßt. Auch die traditionelle Rolle als �Osterpfalz" war davon nicht unberührt geblieben, wenngleich diese noch lange Zeit nachwirkte und sich unter Heinrich V. und besonders unter Lothar III. mit einer neuen Festtagstradition ver- bunden hatte, die der Feier Mariä Lichtmeß galt. Nach dem letzten für Quedlinburg be-

119 AucusT (wie Anm. 401) S. 153ff. 423 Ebd. S. 153 mit Druck des Parzellenplanes 5.152; vgl. dazu Karte 36 I (Quedlinburg) im Atlas des Saale-

und mittleren Elbegebictes (wie Anm. 13). Danach auch SCHULZE, Qucdlinburg (wie Anm. 401) S. 378; Mu-IT-

ZER/PRZYBILIA, Stadtentstehung (wieAnm. 11) S. 116 und zuletzt BLASCHKE, Qucdlinburg (wie Anm. 124) Sp. 359. 421 LoRE1Z, Werdegang (wie Anm. 4) S. 64 Anm. - Die Sage von dem alten Dorf Nördlingen im Bereich von

St. Agidien ist erstmals bei dem Quedlinburger Pfarrer und Chronisten J. Winingstedt (t1569) überliefert; vgl. J. H. FRITSCH, Geschichte des vormaligen Reichsstifts und der Stadt Qucdlinburg, 1. T., 1828, S. 32.

422 Vgl. oben S. 189 mit Anm. 27. 423 Vgl. oben Anm. 406.

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246 ULRICH REULItiG

zeugten Osteraufenthalt Lothars III. 1135 hat sein Nachfolger Konrad III. noch zwei seiner insgesamt drei Königsaufenthalte am Ort der Feier dieses Marienfestes gewidmet. Mit Kon-

rad III. enden die Festtagsaufenthalte der Könige in Quedlinburg. Bezeichnend für diesen Traditionsverlust ist, daß Friedrich Barbarossa nur wenige Tage vor einem seiner verein- zelten Aufenthalte in Quedlinburg im Jahre 1154 das Osterfest nicht hier, sondern in Mag- deburg gefeiert hat.

Abgesehen von den letzten Festtagsaufenthalten Konrads III. hat die Quedlinburger Pfalz

nur noch einige wenige Male den königlichen Hof beherbergt. Hervorzuheben wäre in diesem Zusammenhang besonders der Hoftag Friedrich Barbarossas im Herbst 1181, der

offenbar als Ort für das beabsichtigte Fürstengericht über Heinrich den Löwen ausersehen war. Doch kam diese abschließende Verurteilung und Unterwerfung des Löwen dann doch

nicht hier, sondern erst auf dem großen Erfurter Hoftag im November 1181 zustande424. Danach sollte es mehr als zweieinhalb Jahrzehnte dauern, bis Quedlinburg im Verlauf des deutschen Thronstreits ein letztes Mal in den Blickpunkt königlicher Regierungstätigkeit

rückte4u. Im September 1207 weilte Philipp von Schwaben im Rahmen eines als sollempnis curia bezeichneten Hoftages zwischen Aufenthalten in Nordhausen und Erfurt mehrere Wochen in Quedlinburg. In diese Zeit fallen auch die vergeblichen Bemühungen päpstlicher Legaten und Philipps von Schwaben, in direkten Verhandlungen mit dem welfischen Ge- genspieler Otto IV., der sich auf der Harlingsburg nordöstlich Goslars aufhielt, diesen zum Verzicht auf das Königtum zu bewegen426. In den späteren Auseinandersetzungen Ottos IV. mit Friedrich II. hat dann der Welfe Quedlinburg zu einem der Stützpunkte seiner schwin- denden Macht ausgebaut. Zu diesem Zweck hatte Otto IV. im Jahre 1213 durch seinen Ministerialen Caesarius von Halberstadt Quedlinburg besetzen lassen, die Kanonissen ver- trieben und den Schloßberg so stark befestigt, daß er einer Belagerung durch den Staufer standhalten konnte427. Königsaufenthalte in Quedlinburg sind indes weder für Otto IV. noch späterhin für Friedrich II. bezeugt. Mit diesem negativen Befund über die Fortdauer der örtlichen Pfalzfunktion korrespondiert der bekannte Rechtssatz Eickes von Repgow über die fünf Pfalzen

�im Lande Sachsen", dar de koning echte hove hebben scal. Genannt werden Gronc, Werla bzw. Goslar, Wallhausen, Allstedt und lý�Merseburg; =s, nicht aber Qued- linburg, das seine einstige bedeutende Rolle unter den Königspfalzen des Harzgebietes längst eingebüßt hatte.

Hinsichtlich des Reichsstifts war die Präsenz des Königtums durch die von den Herr- schern weiterhin wahrgenommene Schutzvogtei über die gesamte Salierzeit hinweg gewahrt geblieben. Auch das Amt der Stiftsäbtissin wurde durchweg mit Angehörigen der königli- chen Familie besetzt. Ottos II. Tochter Adelheid hatte als Äbtissin bis 1045 gewirkt und in dieser Funktion seit 1014 zugleich die Stifte Gernrode und Vreden, seit dem Tod ihrer Schwester Sophia auch Gandersheim geleite019. Nachfolgerin Adelheids war Heinrichs III.

424 OPPL, Itinerar (wie Anm. 223) S. 79,220. Zur Sache K. JoRwAx, Heinrich der Löwe (Beck'sche Sonderaus- gaben), 1978,5.208 f.

426 Reg. Imp. Philipp von Schwaben 159a ff.; E WiNlatstA.. ', Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig (Jahrbücher der Deutschen Geschichte), Bd. 1,1873, S. 425f.

426 WINKELMANN, Philipp von Schwaben und Otto IV. (wie Anm. 425), S. 424f. und zuletzt B. U. HOCKER, Kaiser Otto IV. (MGH Schriften 34), 1990, S. 89.

427 Reg. Imp. Otto IV. 507k; HUCKER, Kaiser Otto IV (wie Anm. 426) S. 495. als Sachsenspiegel, Landrecht III, 62 §1 (MGH Fonts iuris Germanici NS. 1/1) S. 264. Dazu zuletzt Tit. ZoTZ

in diesem Band 5.283 ff. 429 Vgl. oben S. 231 mit Anm. 322 sowie GÖTTING, Gandcrshcim (wie Anm. 324) S. 94.

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Qucdlinburg: Königspfalz - Reichsstift - Markt 247

Tochter Beatrix, der 1062 ihre Halbschwester Adelheid (1061-1095) folgte. Beide Äbtis- sinnen haben wiederum Quedlinburg und Gandersheim in Personalunion versehen430. Die unmittelbare Bindung des Quedlinburger Reichsstifts an das Königshaus löste sich dann unter Lothar III. Agnes I., eine Nichte Heinrichs IV., die 1126 starb, war die letzte Äbtissin aus königlichem Geblüt, die in Quedlinburg (und Gandersheim) regiert hat431

Hatte Lothar III. offenbar in traditioneller Weise an der königlichen Schutzvogtei des Stifts festgehalten, so begegnet unter seinem Nachfolger Konrad III. bereits der erste adlige Hochvogt, der sächsische Pfalzgraf Friedrich von Sommerschenburg432

. Als das Pfalzgra-

fenhaus schon in der nächsten Generation mit Friedrichs Sohn Adalbert ausstarb (1179), verstand es die Stiftsäbtissin Adelheid II., die Schwester des letzten Sommerschenburgers, die Vogtei dem Zugriff Heinrichs des Löwen zu entziehen, indem sie einen welfischen Gegenspieler, Graf Otto von Falkenstein, damit belehnte433. Unter falkensteinischer Vog- teiherrschaft geriet das Stift dann in die langjährigen Wirren des Thronstreits, von denen schon die Rede war, aber auch in heftige Auseinandersetzungen mit seinem Vogt, Graf Hoyer von Falkenstein, die erst 1221 und 1225 vertraglich verglichen wurden434. Später gelangte die Stiftsvogtei an die Grafen von Blankenburg, 1273 dann an die stammverwand- ten Grafen von Regenstein435.

Und schließlich die Stadt: Auch hier bildete das Marktprivileg Lothars III. von 1134 einen Wendepunkt im Verhältnis von Königtum und werdender Stadt; denn es ist das letzte königliche Privileg geblieben. Fortan stand die Bürgerschaft in einem zeitweise recht span- nungsreichen Verhältnis zur Stadtherrin und ihren Vögten436. Neben der wohl schon bald nach Mitte des 12. Jahrhunderts ummauerten Altstadt entstand gegen Ende des Jahrhun- derts die sehr regelmäßig gestaltete Neustadt mit der Pfarrkirche St. Nikolai437. Die Stifts- vögte, die Grafen von Regenstein, hatten 1288 dicht bei Quedlinburg die Guntekenburg zur Sicherung ihrer Herrrschaft über die Stadt errichtet43s Anfang des 14. Jahrhunderts kam es zu schweren Auseinandersetzungen der Vögte mit der selbstbewußten Bürgerschaft, die zur Zerstörung der Guntekenburg führten439. Quedlinburg suchte Anschluß an die Bi- schöfe von Halberstadt, 1383 an den niedersächsischen Städtebund, 1426 an die Hanse44°. Schon 1396 hatte der Rat von Quedlinburg die stiftische Vogtei über die Stadt durch Kauf selbst in die Hand bekommen. Gegen die immer stärkeren Autonomiebestrebungen der Stadt wandte sich aber bald darauf die Stiftsäbtissin Hedwig, eine Tochter Kurfürst Fried- richs von Sachsen. Mit Hilfe ihrer Brüder gelang ihr 1477 die Rückeroberung der Stadt, die fortan der stiftischen Landesherrschaft unterworfen blieb441.

430 KREMER, Äbtissinnen (wie Anm. 121) S. 20ff.; GÖTTING, Gandersheim (wie Anm. 324) S. 94f. 15I KREAMER, Äbtissinnen (wie Anm. 121) S. 25. Dazwischen lag der Abbatiat Eilikas, über deren Herkunft und

Wirksamkeit die Quellen schweigen; vgl. KREMIER S. 24. 432 W. GROSSE, Ursprung und Bedeutung der Qucdlinburger Vogtei, in: ZschrHaaVer 46 (1913), S. 137ff.;

DERS., Zur Verfassungsgeschichte Qucdlinburgs, in: ebd. 49 (1916), S. 102f.; LORENZ, Werdegang (wie Anm. 4) S. 102 f.

tss LORENZ, Werdegang (wie Anm. 4) 5.104.

15' GROSSE, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 432) S. 15ff.; LORENZ, Werdegang (wie Anm. 4) S. 104ff. 435 L FENSKE, Zur Geschichte der Grafen von Regenstein vom 12. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, in:

HarzZ 45,1993, T. 1, S. 19. 116 LORENZ, Werdegang (wie Anm. 4) S. 126ff.; SCHEIBE, Studien (wie Anm. S) passim. 437 SCHEIBE, Studien (wie Anm. 5) S. 47ff.; MILITZER/PRZYBILLA (wie Anm. 11) S. 124ff. 458 FENSKE, Grafen von Regenstein (wie Anm. 435) S. 20.

419 Ebd. S. 26 f. "' LORENZ, Werdegang (wie Anm. 4) S. 162ff., 174ff. 411 Ebd. S. 193 ff.; SCHEIBE, Studien (wie Anm. 5) S. 101 ff.

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Abb. 1: Qucdlinburg. Nach Grundkarte Qucdlinburg (1901), Deutscher Stidtatlas, Lieferung 6 (GSV Städteatlas Vorlag, Alzcnbckcn 1996). Entwurf U. Rculing.