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Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Fakultät Wirtschaft und Soziales Department Pflege & Management Bachelorstudiengang Pflegeentwicklung & Management Verhaltensorientierte Beratung bei Patienten mit Non-Compliance im Krankenhaus - Eine systematische Übersichtsarbeit Bachelor-Thesis Tag der Abgabe: 30.08.2012 Vorgelegt von: Danilo Taubeneck Betreuender Prüfer: Prof. Dr. Stratmeyer Zweite Prüfende: Prof. Dr. Petersen-Ewert

Verhaltensorientierte Beratung bei Patienten mit Non …edoc.sub.uni-hamburg.de/haw/volltexte/2013/1951/pdf/WS... · 2013-01-23 · 1 Inhaltsverzeichnis 1 ... die direkte und indirekte

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Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

Fakultät Wirtschaft und Soziales

Department Pflege & Management

Bachelorstudiengang Pflegeentwicklung & Management

Verhaltensorientierte Beratung bei

Patienten mit Non-Compliance im

Krankenhaus - Eine systematische

Übersichtsarbeit Bachelor-Thesis

Tag der Abgabe: 30.08.2012 Vorgelegt von: Danilo Taubeneck

Betreuender Prüfer: Prof. Dr. Stratmeyer Zweite Prüfende: Prof. Dr. Petersen-Ewert

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ....................................................................................................................... 2

2 Fragestellung .................................................................................................................. 3

3 Theoretischer Hintergrund ............................................................................................. 4

3.1 Verhaltensorientierte Beratung ............................................................................... 4

3.2 Non-Compliance ..................................................................................................... 9

4 Methodik ...................................................................................................................... 12

5 Ergebnisse .................................................................................................................... 13

5.1 Studie 1: Golin et al. (2006) .................................................................................. 14

5.2 Studie 2: Dilorio et al. (2008) ............................................................................... 20

5.3 Studie 3: Brodie, Inoue (2005) ............................................................................. 25

5.4 Studie 4: Knight et al. (2006) ................................................................................ 30

6 Diskussion .................................................................................................................... 35

Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 41

Anhang ......................................................................................................................... 43

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1 Einleitung

Die Pflegediagnose Non-Compliance bzw. „fehlende Kooperationsbereitschaft” (Doen-

ges, Morrhouse 1995, S. 509) wird definiert als die bewusste Entscheidung einer Person,

sich nicht an eine therapeutische Empfehlung zu halten (vgl. Doenges, Morrhouse 1995, S.

509). Krankenhauseinweisungen in den USA, welche mit dem Medikamentenregime in

Verbindung stehen, werden in 33 bis 69% der Fälle auf Non-Compliance zurückgeführt

(vgl. Osterberg, Blaschke 2005, S. 488). Gesundheitliche Folgen von Non-Compliance bei

der ärztlich verordneten Medikamenteneinnahme können eine substanzielle Verschlechte-

rung des Gesundheitszustandes und der Tod des Patienten sein (vgl. Osterberg, Blaschke

2005, S. 488). Bei chronischen Erkrankungen kann diese Pflegediagnose zu medizinischen

und psychosozialen Komplikationen, eine Reduzierung der Lebensqualität (vgl. WHO

2003, S. 11) als auch zu längeren und häufigere Krankenhausaufenthalte führen (vgl. Lub-

kin 2002, S. 35).

Die WHO gibt an, dass in den Industrieländern mangelnde Therapietreue bei ca. 50% aller

Langzeittherapien von chronischen Erkrankungen vorkommt (vgl. WHO 2003, S. 7).

Ebenfalls wird ein weltweites Voranschreiten chronische Erkrankungen beobachtet (siehe

Kapitel 3.2 Non-Compliance): In den Industrieländern betrug ihr Anteil im Jahr 2001 an

allen Erkrankungen 46%, dieser soll bei gleichzeitiger Zunahme der chronischen Erkran-

kungen in absoluten Zahlen bis zum Jahr 2020 auf 56% ansteigen (vgl. WHO 2003, S. 8).

Daher ist mit einer erhöhten Inzidenz von Non-Compliance bei Patienten in Langzeitthera-

pien zu rechnen, wie auch mit einer entsprechenden Zunahme gesundheitlich nachteiliger

Folgen für diese Personen.

Eine Methode, um die Compliance von Patienten zu verbessern, könnte die verhaltensori-

entierte Beratung sein. Inwieweit diese Beratungsform wirksam ist im Vergleich zu übli-

chen Interventionen, die Compliance von erwachsenen, chronisch kranken Patienten im

Krankenhaus zu fördern, soll Gegenstand dieser Übersichtsarbeit sein. Um die hieraus

resultierende und in Kapitel 2 näher dargelegte Fragestellung zu beantworten, wurde zum

Auffinden geeigneter Studien eine systematische Recherche durchgeführt und relevante

Studien ausgewählt. Insgesamt konnten 4 relevante Studien ermittelt werden, eine systema-

tische Übersichtsarbeit und 3 randomisierte Kontrollstudien. In allen 4 Studien wurde die

Intervention motivierende Gesprächsführung auf ihre Wirksamkeit überprüft bzw. diesbe-

züglich Studien ausgewertet. Motivierende Gesprächsführung ist eine Form von verhal-

tensorientierter Beratung (siehe Kapitel 3.1 verhaltensorientierte Beratung). Studien mit

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weiteren Formen der genannten Beratungsart als Untersuchungsgegenstand konnten in der

Recherche nicht gefunden werden.

Weitere Inhalte dieser Arbeit sind eine Ausführung des theoretische Hintergrundes bzgl.

der Begriffe verhaltensorientierte Beratung und Non-Compliance, ferner die Beschreibung

des methodischen Vorgehens, die Vorstellung der Studienergebnisse sowie eine abschlie-

ßende Diskussion der Ergebnisse. Im Folgenden soll zunächst die zentrale Fragestellung

dargestellt werden.

2 Fragestellung

Das Ziel dieser systematischen Übersichtsarbeit ist, folgende Fragestellung zu beantwor-

ten:

In wie weit ist im klinischen Setting verortete verhaltensorientierte Beratung wirksam,

die Compliance von erwachsenen, chronisch kranken Patienten zu verbessern im

Vergleich zu Standardmethoden?

Für die genannten Begriffe verhaltensorientierte Beratung, Compliance und chronische

Erkrankungen gelten in dieser Arbeit folgende Definitionen:

- Verhaltensorientierte Beratung: Die verhaltensorientierte Beratung ist eine speziel-

le Form von Beratung, welche spezifischen Zielen folgt: Die Unterstützung bei der

Lösung der Probleme des Klienten sowie die Initiierung von Veränderungsprozes-

sen (vgl. Waschburger 2009, S. 29). Die Definition der verhaltensorientierten

Beratung erschließt sich daher aus der Definition der allgemeinen Beratung: Diese

ist eine vielgestaltige, sich ständig verändernde und durch viele interne und externe

Einflussfaktoren bestimmte professionelle Hilfeform, welche in variantenreichen

Formen Unterstützung liefert bei der Bewältigung von Entscheidungsanforderun-

gen, Problemen, Krisen als auch bei der Gestaltung individueller und sozialer

Lebensstile sowie Lebensgeschichten (vgl. Nestmann et al 2004, S. 599). Es exis-

tiert jedoch keine allgemeingültige Definition von Beratung, da sehr unterschiedli-

che Beratungsansätze existieren und der Schwerpunkt einzelner Definitionen auf

den jeweiligen Ansätzen liegen kann (vgl. Waschburger 2009, S. 19ff). Daher soll

verhaltensorientierte Beratung hier in Anlehnung an die eben genannte Definition

und die dargestellten Ziele definiert werden: Als eine sich ständig verändernde und

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durch viele interne und externe Einflussfaktoren bestimmte professionelle Hilfe-

form, welche dem Klienten Unterstützung liefert bei der Bewältigung von Proble-

men und Krisen sowie bei der Initiierung von Veränderungsprozessen.

- Compliance: Die hier verwendete Definition entspricht jener der WHO; demnach

ist Compliance „das Ausmaß, in dem das Verhalten eines Patienten bei der Medi-

kamenteneinnahme, der Befolgung einer Diät und/oder der Durchführung von

Lebensstiländerungen mit den Empfehlungen von Vertretern aus Gesundheits- und

Heilberufen übereinstimmen” (vgl. WHO 2003, S. 3).

- Chronische Erkrankungen: Lubkin zählte im Jahr 1998 neun verschiedene Defini-

tionen für chronische Erkrankungen auf (vgl. Lubkin 2002, S. 24f). Die hier

verwendete Definition ist die von Lubkin vorgeschlagene: „Unter chronischer

Krankheit versteht man das irreversible Vorhandensein bzw. die Akkumulation

oder dauerhafte Latenz von Krankheitszuständen oder Schädigungen, wobei im

Hinblick auf unterstützende Pflege, Förderung der Selbstversorgungskompetenz,

Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit und Prävention weiterer Behinderung das

gesamte Umfeld des Patienten gefordert ist” (Lubkin 2002, S. 26).

3 Theoretischer Hintergrund

Zwei zentrale Begriffe werden in dieser Arbeit verwendet: verhaltensorientierte Beratung

und Non-Compliance. Beiden Begriffe sollen daher im Folgenden näher erläutert werden.

3.1 Verhaltensorientierte Beratung

Professionelle Beratung kann bei verschiedensten Problemfeldern zum Einsatz kommen

(z.B. bei Sucht- oder Beziehungsproblemen, bei Scheidungen oder Entwicklungsauffällig-

keiten) (vgl. Waschburger 2009, S. 5), entsprechend existieren eine Reihe unterschiedlichs-

ter Beratungsansätze, wovon eine Art die verhaltensorientierte Beratung ist. Andere

Beratungsansätze sind z.B. die informationsvermittlungsorientierte und die problemlö-

sungsorientierte Beratung (vgl. Waschburger 2009, S. 29).

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Grundlagen der verhaltensorientierten Beratung

Die verhaltensorientierte bzw. behaviorale Beratung begründet sich ursprünglich auf den

Ergebnissen der Lernpsychologie. Zwei Lernprinzipien, werden, im Sinne des Behavioris-

mus, als entscheidend für eine Verhaltensänderung beim Menschen angesehen: Die klassi-

sche Konditionierung nach Iwan Pawlow (†1936) und die instrumentelle bzw. operante

Konditionierung, wie sie unteranderem von Burrhus E. Skinner (†1990) beschrieben wurde

(vgl. Borg-Laufs 2004, S. 629) (vgl. Reinecker 1999, S. 93).

In der klassischen Konditionierung wird ein neutraler Reiz (z.B. das Erklingen einer

Glocke) gemeinsam mit einem weiteren Reiz, welcher eine Empfindung oder Verhalten

auslöst (z.B. die Präsentation und Futterfreigabe für einen Hund), gesetzt. Durch diese

Kombination zwei Reize erhält der neutrale Reiz ebenfalls eine Auslösefunktion für die

jeweilige Reaktion (z.B. der Speichelfluss des Hundes).

Im Gegensatz zur klassischen Konditionierung, bei welcher die gewünschte Reaktion fast

zwangsweise ausgelöst wird, tritt instrumentell konditioniertes Verhalten weniger regelhaft

auf. Bei der instrumentellen Konditionierung wird das Verhalten durch ihm nachfolgende

Konsequenzen bestimmt. Die Konsequenzen können demnach z.B. als Verhaltensverstär-

ker auftreten, wenn sie als positiv erlebt werden. Je positiver die Verhaltenskonsequenzen

erlebt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten erneut gezeigt

wird (vgl. Borg-Laufs 2004, 629-631). Andererseits können die Konsequenzen auch erlebt

werden, als:

- negative Verstärker, wenn durch das Verhalten eine negativer Zustand ausgeschal-

tet wird (z.B. die Schmerz lindernde Wirkung als Ergebnis der Medikamentenein-

nahme);

- direkte Bestrafung, wenn eine negativ negative Konsequenz durch das Verhalten

eintritt oder

- als indirekte Bestrafung, wenn durch das Verhalten eine positiver Zustand ausge-

schaltet wird.

Die positive und negative Verstärkung begünstigen damit eine Verhaltenswiederholung,

die direkte und indirekte Bestrafung verringern hingegen die Wahrscheinlichkeit für eine

Wiederholung (vgl. Reinecker 1999, S. 93f).

Die Kombination von der den zwei Lernprinzipien beruhenden Modellen ist das Zwei-

Faktoren-Modell. Dieses Modell geht von der Annahme aus, dass ein bestimmtes Verhal-

ten, wie z.B. die Nicht-Einnahme von Medikamenten, ursächlich durch klassische Kondi-

tionierung bedingt ist (z.B. weil die Medikamenteneinnahme zu Übelkeit geführt hat) und

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die Aufrechterhaltung des Verhaltens durch instrumentelle Konditionierung bestimmt wird

(z.B. das Wegwerfen der Medikamente, um die Übelkeit zu vermeiden) (vgl. Reinecker

1999, S. 95). Das Zwei-Faktoren-Modell erklärt u.a., weshalb Menschen an bestimmten,

für sie schädlichen Verhaltensweisen festhalten, obwohl der eigentliche Auslöser (Übel-

keit) längst nicht mehr vorliegt: Das Verhalten, welches der Vermeidung dient (Medika-

mente Wegwerfen), wird permanent durch das Ausbleiben der negativen Konsequenz

(Übelkeit) verstärkt (vgl. Reinecker 1999, S. 96).

Die behavioralen Grundkonzepte und Modelle wurde in den siebziger und achtziger Jahren

des 20. Jahrhunderts durch die Integration kognitiver Theorien sowie kognitiv orientierter

Interventionsformen erheblich erweitert (vgl. Borg-Laufs 2004, 633). Die Kognitiven

Theorien besagen, dass zwischen dem Entstehen von Reizen und der menschlichen Reakti-

on Begriffsbildungs- und Koordinierungsprozesse ablaufen, welche mit den behavioristi-

schen Modellen nicht zu erklären sind (vgl. Brem-Gräser 1993, S. 205). In den hieraus

resultierten neuen Methoden zur Verhaltensänderung steht im Gegensatz zu behavioralen

Methoden daher nicht die direkte Beeinflussung des gezeigten Verhalten im Vordergrund,

sondern die Arbeit an den kognitiven Vorgängen beim Klienten. Durch spezielle Techni-

ken wird versucht, kognitive Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Problemlösungsprozesse

zu verändern (vgl. Borg-Laufs 2004, 633).

Verhaltensänderung als Prozess

Verhaltensänderung kann als ein Prozess gesehen werden, in welcher der Klient mehrere

Phasen durchläuft, bis er im Ergebnis ein bestimmtes problematisches Verhalten abgelegt

hat und ein neues Verhalten zeigt. Das Transtheoretische Modell (im Folgenden TTM) von

Prochaska und DiClemente (1983) beschreibt einen solchen Veränderungsprozess in 6

Stufen, wobei sich dieser sowohl zu einer Motivationsänderung als auch zu einer daraus

folgenden Verhaltensänderung führt:

1. Sorglosigkeit/Absichtslosigkeit; es gibt keine Intention, dass problematische

Verhalten in den nächsten 6 Monaten zu ändern,

2. Bewusstwerden/Absichtsbildung; es wird erwogen das problematische Verhalten

innerhalb der nächsten 6 Monate zu ändern, zudem werden positive und negative

Handlungserwartungen reflektiert,

3. Vorbereitung einer Handlung; erste Schritte zur Veränderung werden eingeleitet

und das Zielverhalten soll in 30 Tagen erreicht werden,

4. Handlung; das Zielverhalten wird seit weniger als 6 Monaten gezeigt,

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5. Aufrechterhaltung; das Zielverhalten wird seit länger als 6 Monaten gezeigt und

6. Beendigung; es liegt keine Rückfallgefahr zum Problemverhalten mehr vor (z.B.

bei Suchterkrankungen) (vgl. Waschburger 2009, S. 85).

Wirkfaktoren der Verhaltensänderung

Die Wirkprinzipien, welche in der Beratung zu einer Verhaltensänderung führen, werden

im TTM zwei unterschiedlichen Strategien zugeordnet: Kognitiv-affektiven und verhal-

tensorientierten/behavioristischen Strategien, entsprechend der geschilderten Grundlagen

der verhaltensorientierten Beratung. Kognitiv-affektive Strategien richten sich auf die Stei-

gerung des Problembewusstseins, das emotionale Erleben, die Neubewertung der persönli-

chen Umwelt, die Selbstneubewertung als auch das Wahrnehmen förderlicher Umweltbe-

dingungen des Klienten. Verhaltensorientierte Strategien sollen zu einer Selbstverpflich-

tung, Kontrolle der Umwelt, Gegenkonditionierung, zur Nutzung hilfreicher Beziehungen

und zu einer Selbst-Verstärkung des Klienten führen (vgl. Waschburger 2009, S. 88).

Beratung als Prozess

Der Beratungsprozess im allgemeinen kann in mehreren Phasen beschrieben werden, z.B.

in den folgenden vier:

1. Problemdefinition; durch diagnostische Methoden sollen Problemlagen geklärt und

Entscheidungen über erforderliche Hilfen getroffen werden,

2. Zieldefinition; der Klient soll mit Unterstützung des Beraters ein Beratungsziel

entwickeln,

3. Intervention; notwendige Maßnahmen zur Problemlösung werden geplant und

eingeleitet (z.B. Vermittlung notwendiger Kompetenzen) sowie

4. Evaluation; die eingesetzten Maßnahmen sowie der Erfolg der Beratung werden

von Berater und Klient kritisch reflektiert (vgl. Waschburger 2009, S. 88).

Im Gegensatz hierzu ist der Prozess der verhaltensorientierten Beratung etwas komplexer.

So haben Kanfer et al. (1996) das Selbstmanagementmodell vorgelegt, welches sich in 7

Phasen gliedert. Die verhaltensorientierte Beratung beginnt demnach in Phase 1 mit der

Schaffung günstiger Ausgangsbedingungen für den Beratungsprozess, was durch ein ge-

naues Problemscreening und vertrauensvolle Berater-Patienten-Beziehung erreicht werden

soll. Hierauf basieren die nachfolgenden Phasen:

- der Aufbau von Änderungsmotivationen und die vorläufige Auswahl von Ände-

rungsbereichen (Phase 2),

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- die Verhaltensanalyse (Phase 3),

- die Zielvereinbarung (Phase 4),

- die Planung, Auswahl und Durchführung geeigneter Methoden (Phase 5),

- die Evaluation der Fortschritte (Phase 6) und

- die Erfolgsoptimierung sowie der Abschluss (Phase 7) (vgl. Borg-Laufs 2004, S.

634ff).

Die Besonderheit dieses Modells ist, dass die Methoden zur Verhaltensänderung erst in

Phase 5 eingesetzt werden und dass der Vorbereitung des Beratungsprozesses (z.B. Moti-

vation und Berater-Klienten-Beziehung) ein großes Gewicht eingeräumt wird (vgl. Reine-

cker 1999, S. 112). Die Unterteilung von Beratung in Phasen besagt außerdem, dass zu

verschiedenen Zeitpunkten des Beratungsprozesses unterschiedliche Schwerpunkte gelegt

werden, und zu jeder Phase einzelne Ziele zugeordnet werden können (z.B. die Klärung

der Änderungsmotivation des Klienten in Phase 2 des Selbstmanagementmodells) (vgl.

Borg-Laufs 2004, S. 636).

Motivierende Gesprächsführung

Eine spezielle Variante der verhaltensorientierten Beratung ist die motivierende

Gesprächsführung. Sie wird definiert als eine klientenzentrierte, non-direktive Methode zur

Verbesserung der intrinsischen Motivation für eine Veränderung, durch die Erforschung

und Auflösung von Ambivalenzen (vgl. Miller, Rollnick 2009, S. 47). Die Methode basiert

auf den 3 Grundhaltungen des Beraters:

1. Partnerschaftlichkeit zwischen Berater und Klient, welche die Änderungsbereit-

schaft fördern soll,

2. Evokation, d.h. im Beratungsprozess werden auf die im Klienten vorhandene Moti-

vation und seine Ressourcen aufgebaut und

3. Autonomie des Klienten, welche seine Verantwortung für den Veränderungspro-

zess begründet und den Respekt vor seiner Selbstbestimmung einschließt (vgl. Mil-

ler, Rollnick 2009, S. 47f).

Die kommunikativen Methoden der motivierenden Gesprächsführung sind im Wesentli-

chen das Stellen offener Fragen, aktives Zuhören, Bestätigung, Zusammenfassung und

Change-Talk (vgl. Miller, Rollnick 2009, S. 98-116), und werden eingesetzt, um Motivati-

on zur Veränderung aufzubauen (vgl. Miller, Rollnick 2009, S. 80) sowie eine Selbstver-

pflichtung zur Veränderung zu verstärken (vgl. Miller, Rollnick 2009, S. 174).

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Das Modell legt damit seine Schwerpunkte auf die Aktivierung der gegebenen Ressourcen

sowie der Motivation des Klienten und auf eine non-direktive Berater-Klienten-Beziehung,

gleichwohl der Berater Experte bleibt. Im Beratungsergebnis wird zunächst ein Entschluss

des Klienten zur Verhaltensänderung angestrebt. Die tatsächliche Umsetzung der zuvor

gemeinsam entwickelten Maßnahmen und der Änderung im gezeigten Verhalten können

dann vom Klienten allein oder mit weiterer Unterstützung des Beraters vorgenommen

werden (vgl. Miller, Rollnick 2009, S. 190).

Verhaltensorientierte Beratung und Psychotherapie

Eine Unterscheidung von verhaltensorientierter Beratung und Psychotherapie ist nicht sehr

einfach, aber sinnvoll, da in dieser Übersichtsarbeit nicht die Effekte von Psychotherapie

besprochen werden sollen. Die genannte Beratungsform lässt sich von Psychotherapie

kaum abgrenzen, da beide auf den gleichen Grundlagen aufbauen (primär Lernpsychologie

und kognitive Psychologie) und die gleichen Methoden verwenden (operante und kognitive

Methoden), auch die jeweiligen Ziele und Formen der Beziehungsgestaltung bieten keine

ausreichenden Differenzierungsmöglichkeiten (vgl. Borg-Laufs 2004, S. 636ff). Unter-

schiede finden sich jedoch in den rechtlichen Rahmenbedingungen (Psychotherapeutenge-

setz/ PsychThG), die eine klare Trennung von Psychotherapie und Beratung vornehmen

sowie Regelungen für die Ausübung von Psychotherapie festlegen (vgl. Waschburger

2009, S. 21). Die durch den rechtlichen Rahmen vorgegebenen Settings von Beratung und

Psychotherapie sind im allgemeinen nicht vergleichbar und machen eine Differenzierung

notwendig.

Im Folgenden soll der Begriff Non-Compliance beschrieben werden.

3.2 Non-Compliance

Non-Compliance bezeichnet ein Verhalten von Patienten, das den medizinischen und

gesundheitlichen Ratschlägen und Anordnungen in unterschiedlichem Ausmaß wider-

spricht (vgl. Winkler 2000, S. 247). Der Gegenpart von Non-Compliance ist Compliance.

Der Begriff Compliance bedeutet wörtlich Einwilligung oder Einverständnis (vgl. Winkler

2000, S. 246) und wird auch als Synonym für Therapietreue verwendet (vgl. Simons, Roth,

Jaehde 2007, S. 16). Für Compliance/Non-Compliance werden auch die Begriffe Adheren-

ce/Non-Adherence verwendet, welche mit Therapiebefolgung/fehlende Therapiebefolgung

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und Therapiemotivation/fehlende Therapiemotivation übersetzt werden können (vgl.

Winkler 2000, S. 246).

Ausprägungen von Compliance und Non-Compliance

Da die Therapietreue des Patienten unterschiedlich ausgeprägt sein kann, wird Complian-

ce/Non-Compliance in Grade eingeteilt:

- Compliance liegt vor, wenn der Patient sich zu 80% oder mehr an die ihm empfoh-

lene Therapie hält,

- partielle Compliance bezeichnet eine Therapietreue des Patienten von 20-79% und

- Non-Compliance liegt bei einer Therapietreue von unter 20% vor (vgl. Heuer, Heu-

er 1999, S. 11).

Zudem werden die primäre und sekundäre Non-Compliance unterschieden. Primär non-

compliant ist ein Patient, der ein erhaltenes Arzneimittelrezept nicht beim Apotheker

einlöst und sekundär non-compliant, wenn er das Rezept einlöst, die Einnahme der

Medikamente aber zu weniger als 20% befolgt (vgl. Heuer, Heuer 1999, S. 11).

Prävalenz mangelnder Therapietreue

Laut WHO wird in den Industrieländern Compliance bei ca. 50% der Langzeittherapie von

chronischen Erkrankungen erreicht, dem entsprechend tritt Non-Compliance oder partielle

Compliance bei ca. 50% dieser Langzeittherapien auf. In Schwellen- und Entwicklungs-

ländern, wie China, Gambia oder den Seychellen, wurden bei an Hypertonie leidenden

Patienten Compliance bei der Medikamenteneinnahme in 43%, 27% bzw. 26% der Fälle

festgestellt (vgl. WHO 2003, S. 7). Krankenhauseinweisungen in den USA, welche mit

Medikamenteneinnahme in Verbindung stehen, werden in 33 bis 69% der Fälle auf

Non-Compliance zurückgeführt (vgl. Osterberg, Blaschke 2005, S. 488).

Folgen

Als gesundheitliche Folgen mangelnder Therapietreue bei der Medikamenteneinnahme

werden eine substanzielle Verschlechterung des Gesundheitszustandes und Tod angegeben

(vgl. Osterberg, Blaschke 2005, S. 488). Die Folgen der Non-Compliance bei chronischen

Erkrankungen können medizinische und psychosoziale Krankheitskomplikationen, eine

Reduzierung der Lebensqualität (vgl. WHO 2003, S. 11) als auch längere und häufigere

Krankenhausaufenthalte der Patienten sein (vgl. Lubkin 2002, S. 35) sowie ein erhöhter

Verbrauch von Ressourcen der Gesundheitsfürsorge (vgl. WHO 2003, S. 11).

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Ursachen

Die Ursachen für mangelnde Therapiemotivation können in 4 Bereiche unterteilt werden,

diese sind:

1. Die Merkmale der Therapie (z.B. hohe Anzahl verordneter Medikamente),

2. die Krankheitssymptome (z.B. subjektiv geringe Symptomwahrnehmung),

3. die Qualität der therapeutischen Beziehung (z.B. unverständliche Informationsver-

mittlung durch den Therapeuten/Pflegenden) und

4. die Persönlichkeitsmerkmale des Patienten (z.B. geringe Erfolgserwartung an die

Behandlung) (vgl. Winkler 2000, S.251-255). Persönlichkeitsmerkmale, wie

Geschlecht, Alter, sozio-ökonomischer Status und Religion scheinen jedoch nicht

signifikant zu sein (vgl. Winkler 2000, S. 255).

Messung

Zur Messung von Compliance/Non-Compliance werden direkte und indirekte Methoden

verwendet. Direkte Methoden sind: Urin- oder Blutproben zur Überprüfung der Medika-

menteneinnahme. Indirekte Methoden sind: Selbstauskunft, das Ausfüllen von Formblät-

tern, Tablettenzählen als auch Interviews zwischen Arzt/Pflegenden und Patient (vgl. Lub-

kin 2002, S. 361). Nach Simons, Roth und Jaehde sind weitere, indirekte Messungsmetho-

den die Verwendung von Patiententagebüchern, Medikationsprofilen und elektronischen

Beobachtungssystemen (Simons, Roth, Jaehde 2007, S. 16).

Kritik an der Pflegediagnose Non-Compliance

Die Pflegediagnose Non-Compliance ist umstritten, da sie ein Beziehungsgefälle zwischen

Therapeut/Pflegendem und Patient implizieren kann, in welcher der Patient den Anord-

nungen des Therapeuten/Pflegenden passiv zu folgen hat und jede Abweichung des Patien-

ten als Fehlverhalten verstanden wird (vgl. Winkler 2000, S. 248). Auch ist es schwer von

Non-Compliance zu sprechen, wenn z.B. ein Patient seine Therapie an persönliche

Lebensumstände oder Bedürfnisse anpasst, damit also vom Therapieplan abweicht, und

dennoch zu dem geplanten Therapieziel gelangt. Gleichwohl ist die Beziehung von Thera-

peuten/Pflegendem und Patienten so bestimmt, dass ihre Interaktion fast immer zu Verhal-

tensempfehlungen oder Hinweisen für den Patienten führen. Dementsprechend ist der

Erfolg einer Therapie oder pflegerischen Intervention nicht zuletzt von der Therapiemoti-

vation bzw. Therapietreue des Patienten abhängig (vgl. Winkler 2000, S. 249).

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Im Weiteren soll das methodische Vorgehen dieser Arbeit beschrieben werden.

4 Methodik

Um relevante Studien für diese Übersichtsarbeit zu finden, wurde eine systematische

Recherche in der elektronischen Datenbank Medline durchgeführt. Die Entscheidung für

diese Datenbank wurde getroffen, da eine Vielzahl von medizinischen Artikeln und

Studien auf Pubmed hinterlegt sind. Die Stichwörter der Recherche waren: compliance,

noncompliance, adherence, nonadherence, consultation, consulting, counselling, counsel-

ing, motivational interviewing, behavioral Intervention, hospital und clinic. Als Schlag-

wörter bzw. Medical Subject Headings (MeSH) wurden verwendet: Study Characteristics,

Counseling, Patient Compliance, Medication Adherence, Behavior Therapy, Adaptation

Psychological sowie Chronic Disease. Zudem wurde mit Kombinationen aus diesen Stich-

und Schlagwörtern gesucht, unter der Verwendung der logischen Operatoren AND und

OR. Limits wurden für das Alter der Studien gesetzte (maximal 10 Jahre). Weitere

Beschränkungen wurden nicht verwendet. Die Anzahl der Recherchetreffer betrug max.

6935 und min. 4 gefundene Abstracts.

Einschlusskriterien

Für die Studienauswahl wurden folgende Einschlusskriterien festgelegt:

- Die Intervention ist eine Form verhaltensorientierter Beratung,

- den Teilnehmern wurde eine gemeinsame chronischer Erkrankung diagnostiziert -

bei systematischen Übersichtsarbeiten können es verschiedene chronische Erkran-

kungen der eingeschlossenen Studien sein -

- die Teilnehmer sind erwachsen,

- die Intervention wurde in einer Klinik oder unter klinischen Bedingungen durchge-

führt,

- die Studien wurden nicht vor mehr als 10 Jahre erstveröffentlicht,

- das Studiendesign ist eine systematische Übersichtsarbeit mit oder ohne Meta-

Analyse, eine randomisierte Kontrollstudie oder eine nicht-randomisierte Kontroll-

studie und

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- als primärer Endpunkt wird (u.a.) die Compliance der Teilnehmer erfasst bzgl. der

zugrunde gelegten medizinischen Therapie oder eine solche Compliance unmittel-

bar mit einbezogen.

Ausschlusskriterium

Wenn die untersuchte Intervention der Studie keine Form von Verhaltens- oder Psychothe-

rapie ist, führt dies zum Ausschluss der Studie

Identifizierte Studien

Insgesamt wurden 43 relevante Abstracts gefunden. Nach deren inhaltlichen Überprüfung

auf Grundlage der genannten Ein- und Ausschlusskriterien konnten 4 Studien für eine

genaue Analyse, Ergebnisdarstellung und Bewertung ausgewählt werden. Drei dieser

Studien sind randomisierte Kontrollstudien (im Folgenden RCT) und die vierte eine syste-

matische Übersichtsarbeit.

Die Form von verhaltensorientierter Beratung, welche in diesen Studien untersucht wurde,

ist die motivierende Gesprächsführung (engl. motivational interviewing (siehe Kapitel 3.2

verhaltensorientierte Beratung)). Studien mit einer anderen Form dieses Beratungsansatzes

konnten während der Recherche nicht gefunden werden.

5 Ergebnisse

Die vier ausgewählten Studien untersuchten die Wirksamkeit von motivierender

Gesprächsführung bei chronisch kranken Patienten, entweder direkt bezogen auf deren

Compliance (Studie 1 und 2) oder bzgl. sonstiger Outcomes, welche die Compliance der

Probanden unmittelbar mit einschloss (Studie 3 und 4). Die eingeschlossenen chronischen

Erkrankungen der Teilnehmer waren: HIV und Herzinsuffizienz in den 3 RCTs sowie

Diabetes mellitus Typ 1 und 2, Asthma, Hyperlipidämie als auch Hypertonie und koronare

Herzkrankheit in der systematischen Übersichtsarbeit. Die Studien werden im Folgenden

einzeln vorgestellt.

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5.1 Studie 1: Golin et al. (2006)

„A 2-arm, randomized, controlled Trial of a motivational interviewing-based Inter-

vention to improve adherence to antiretroviral Therapy (ART) among Patients failing

or initiating ART”

Die von Golin et al. im Jahr 2006 veröffentlichte RCT verfolgte das Ziel, zu ermitteln, ob

motivational interviewing (im Folgenden MI) die Compliance von Patienten mit HIV

(n=155) bei der antiretroviralen Therapie (im Folgenden ART) verbessern kann im

Vergleich zu einer reinen Wissensvermittlung (vgl. Golin et al. 2006, S. 42). Die Interven-

tion wurde in einer u.a. auf Infektionskrankheiten spezialisierten Klinik in North Carolina

getestet, über einen Zeitraum von 12 Wochen (unterteilt in drei 4-Wochen-Blöcke) (vgl.

Golin et al. 2006, S. 42f).

Begriffsdefinition und Qualität der MI-Beratung

Die Studie liefert knappe Angaben zu MI und der MI-Ausbildung der Berater. Ohne

Vorkenntnisse wird aus diesen Informationen jedoch kaum klar, worum es sich bei MI

konkret handelt. Eine detaillierte Definition zur Intervention fehlt. Die Angaben bezüglich

der MI-Ausbildung verweisen auf die externe Kompetenz der Ausbilder und lassen vermu-

ten, dass die Berater hinreichend qualifiziert waren (vgl. Golin et al. 2006, S. 43), detail-

lierte Angaben über Ablauf und Inhalte der Ausbildung fehlen jedoch.

Die MI wurden von drei Gesundheitserziehern mit Master-Abschluss und einer

3-monatigen MI-Ausbildung (insgesamt 3 Ausbildungstage) durchgeführt. Alle MI-

Sitzungen wurden auf Tonband aufgenommen und von einem Mitglied des Motivational

Interviewing Network of Trainers kontrolliert. Die Ergebnisse dieser Bewertung wurden

alle 14 Tage auf Schulungen von den Trainern und Beratern reflektiert. Außerdem haben

die Berater im Anschluss an jede Sitzung Protokolle angelegt (validiert mit 86% der

Tonbänder und zu 20% von einem unabhängigen Gutachter überprüft). Nach Angaben der

Studie erreichten die meisten Sitzungen die notwendigen Qualitätsstandards (vgl. Golin et

al. 2006, S. 43), genaue Angaben darüber, wie viele Sitzungen in welchem Ausmaß diese

erreichten oder nicht, fehlen allerdings.

Stichprobe

Insgesamt wurden 155 Teilnehmer aufgenommen, wovon 15 Patienten von ihren Ärzten

für die antiretrovirale Therapie als nicht geeignet befunden und daraufhin von der Studie

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ausgeschlossen wurden. Vierundsiebzig Teilnehmer wurden in die Interventionsgruppe

aufgenommen und 66 in die Kontrollgruppe und erhielten jeweils die ART. Die Teilneh-

mer, welche die Studie abschlossen, waren überwiegend männlich (72% in der Experimen-

tell- und 65% in der Kontrollgruppe) und hatten einen Altersdurchschnitt von 68 Jahren in

der Interventions- und 66 Jahren in der Kontrollgruppe (vgl. Golin et al. 2006, S. 46).

Die Einschlusskriterien für die Probanden waren:

1. Diagnostizierte HIV-Infektion,

2. klinische Behandlung innerhalb der Jahre 2001 bis 2003 in der Infection Diseases

Clinic in North Carolina,

3. älter als 18 Jahre,

4. Einwilligung zur Studienteilnahme,

5. die ART wurde neu begonnen oder a) eine starke Erhöhung der Viruslast in den

letzten 6 Monaten wurde nachgewiesen oder b) die Viruslast war höher als 200

Viruskopien/ml oder c) ein ausbleibender Viruslast-Abfall 60 Tage nach Beginn

der ART wurde festgestellt oder d) aus den medizinischen Dokumenten ging

hervor, dass der Patient langsam den Entschluss fasste mit der ART zu beginnen

(vgl. Golin et al. 2006, S. 43).

Insgesamt haben 117 Probanden die Studie beendet (59 in der Interventions- und 58 in der

Kontrollgruppe) (vgl. Golin et al. 2006, S. 46). Damit konnten allerdings nur von 75,5%

der Teilnehmer Outcome-Daten ausgewertet werden, was die Teststärke der Studie ein-

schränkt und ihre Validität schmälert. Hinzu kommt, dass keine Angaben darüber getroffen

wurden, wie hoch die Stichprobengröße hätte sein müssen, um eine repräsentative Test-

stärke zu erreichen. Die Berechnungsgrundlagen der Stichprobengröße bleiben unklar.

Gründe für das Aussteigen der Teilnehmer wurden von den Autoren genannt, z.B. Krank-

heit (n=2), Tod (n=1) und Kontaktverlust (N=8). Eine Intention-to-treat-Analyse wurde

durchgeführt (vgl. Golin et al. 2006, S. 46). Kritisch anzumerken ist, dass die Autoren eine

Stichprobengröße von n=140 angeben, aber einräumen müssen, dass ursprünglich 155

Teilnehmer auf zwei Gruppen randomisiert verteilt wurden, von denen danach, auf Grund

ärztlicher Entscheidungen, 15 ausgeschlossen werden mussten (vgl. Golin et al. 2006, S.

46). Die Aussteigerquote erhöht sich damit entsprechend und reduziert die Teststärke in

einem größeren Ausmaß, als aus den Informationen der Autoren unmittelbar hervor geht.

Außerdem sind hier deutlich mehr Teilnehmer aus der Kontrollgruppe gefallen (n=12), als

aus der Interventionsgruppe (n=3) (vgl. Golin et al. 2006, S. 46), dies könnte die

Vergleichbarkeit der Gruppen im Follow-up beeinträchtigt haben. Es wäre vermutlich

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sinnvoller gewesen, den tatsächlichen Beginn der ART für alle Teilnehmer abzuwarten,

und anschließend die Randomisierung durchzuführen.

Randomisierung und Verblindung

Angaben bezüglich des Radomisierungsverfahrens fehlen gänzlich und die Informationen

bezüglich der Verblindung sind nicht vollständig.

In dieser Art von Studie ist eine vollständige Verblindung (der Probanden, Behandler und

Untersucher) sicherlich nicht herzustellen, da zumindest die Berater immer wissen

werden, welche der Probanden in der experimentellen Gruppe sind und welche nicht.

Allerdings ist eine Verblindung der Teilnehmer und Auswerter durchaus möglich sowie

eine räumliche Trennung der Teilnehmer, die einen Austausch von Informationen und

persönlichen Wahrnehmungen zwischen den Gruppen verhindern könnte.

Das medizinische Personal in der Klinik wurde nicht darüber informiert, welche Patienten

zu welcher Gruppe gehören und eine Verblindung hat bei den Untersuchern stattgefunden,

welche die Baseline- und Abschlussdaten auswerteten. Das Bias in dieser Studie aufgetre-

ten sind, kann letztlich aber nicht ausgeschlossen werden (vgl. Golin et al. 2006, S. 42f).

Intervention

Insgesamt haben die Teilnehmer der Interventionsgruppe 2 face-to-face MI-Sitzungen im

Laufe der 12 Wochen erhalten (in Woche 4 und 8) (vgl. Golin et al. 2006, S. 42). Die

Mitglieder der Kontrollgruppe haben Informationskurse besucht, in denen Wissen über

HIV vermittelt wurde und die in der Länge mit den MI-Sitzungen vergleichbar waren (vgl.

Golin et al. 2006, S. 42) .

Endpunkte

Der primären Endpunkt war der durchschnittliche Compliance-Grad der Medikamenten-

einnahme in Prozent nach der 12. Woche. Sekundäre Endpunkte waren:

- Die Veränderung der durchschnittlichen Compliance vom ersten 4-Wochen-Block

zum letzten 4-Wochen-Block,

- der Prozentsatz der Patienten, die im letzten 4-Wochen-Block eine durchschnittli-

che Compliance von über 95% aufwiesen,

- die Veränderungen der HIV-Viruslast zwischen Baseline und dem Ende der

Follow-up-Phase und

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- die Veränderungen der durchschnittlichen, wöchentlichen Compliance von Beginn

bis Ende der Datenerhebung (vgl. Golin et al. 2006, S. 43).

Zudem wurde eine Reihe von psychosozialen und sozioökonomischen Variablen gemes-

sen, u.a. soziale Unterstützung, Selbstwirksamkeit, Verständnis der ART, Zufriedenheit

mit der medizinischen Therapie, Vertrauen in die medizinischen Therapeuten sowie

Coping, Schulabschluss und Arbeitsstatus. Hinzukamen abhängige Variablen der Verhal-

tensänderung, u.a. Anzahl der gesetzten Ziele in der Beratung; Anzahl der gesetzten

Strategien; Anzahl der Strategien, die geholfen haben als auch der Prozentsatz der Proban-

den, die fühlten, dass ihnen nichts geholfen hat (vgl. Golin et al. 2006, S. 44-49).

Messinstrumente

Zur Messung der Medikamenten-Compliance wurde das Electronic Drug Event Monito-

ring System verwendet (im Folgenden eDEMS). Dieses System zählt jedes Öffnen der

Verschlusskappe der Medikamentenflasche und den entsprechenden Zeitpunkt (vgl. Golin

et al. 2006, S. 43). Zudem wurden, um weitere Informationen über die Compliance zu

erhalten, Umfragen durchgeführt und die Medikamente der Teilnehmer von wissenschaft-

lichen Mitarbeitern gezählt (vgl. Golin et al. 2006, S. 43ff).

Zur Messung der abhängigen psychosozialen Variablen wurden unterschiedliche Skalen

verwendet, die namentlich nicht genannt werden, aber nach Angaben der Autoren validiert

sind bzw. von den Autoren in früheren Studien entwickelt und überprüft wurden (vgl.

Golin et al. 2006, S. 45). Eindeutige Informationen fehlen auch hier, die Namen der Skalen

lassen sich lediglich über die Studienbelege aus anderen Publikationen heraussuchen. Eine

Blutuntersuchung mit dem COBAS AMPLICOR HIV-1 MONITOR (Version 1.0 und 1.5)

wurde ferner durchgeführt, um die Viruslast zu bestimmen (vgl. Golin et al. 2006, S. 45).

Da das eDEMS durchaus fehleranfällig ist (Probanden können die Kappen öffnen ohne

eine Tablette zu entnehmen oder Tabletten werden entnommen, aber nicht eingenommen

usw.) wurden die Teilnehmer über die Verwendung des Systems instruiert und konnten

Tablettendispenser verwenden, wenn sie dies wollten (vgl. Golin et al. 2006, S. 45). Unge-

nauigkeiten des Systems wurden durch Einzelfallbesprechung im Konsens von 4 Forschern

und auf Grundlage aller verfügbarer Informationen geklärt (vgl. Golin et al. 2006, S. 45).

Nichts desto trotz bleiben bei der Compliance-Messung durch elektronische Medikamen-

tenflaschen-Verschlusszähler immer Risiken für fehlerhafte und/oder fehlende Daten

bestehen. Die Verwendung von Fragebögen/Umfragen zur Einschätzung der Compliance

ist zudem ebenfalls kein absolut sicheres Verfahren, da Teilnehmer natürlich gewünschte

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Antworten geben oder, wegen mangelnder Motivation, wichtige Angaben auslassen

können. Ob die Verwendung beider Methoden die jeweiligen Mängel der anderen ausge-

glichen hat ist unklar.

Datenerhebung und -analyse

Die Messung mit eDEMS wurde fortlaufend durchgeführt. In den Wochen 4, 8 und 12 sind

jeweils für alle Teilnehmer Follow-up-Umfragen durchgeführt, die Tabletten in den

Flaschen gezählt sowie die eDEMS-Daten herunter geladen worden (vgl. Golin et al. 2006,

S. 42-45). Laboruntersuchungen wurden zu Beginn und Ende der Studie durchgeführt (vgl.

Golin et al. 2006, S. 45). Die statistische Analyse der Daten erfolgte mit SPSS 8.2 (vgl.

Golin et al. 2006, S. 46).

Studienergebnisse

Zu Beginn betrug die durchschnittliche Compliance bei den Patienten, welche die ART

neu begonnen hatten, 75,3% und bei den Patienten, welche vor Studienbeginn bereits in

der Therapie waren, 73,6%. Insgesamt waren in beiden Gruppen weniger Teilnehmer,

welche die Therapie neu begonnen hatten, als Teilnehmer, welche bereits in laufender

Therapie waren (97% in der Interventions- und 88% in der Kontrollgruppe) (vgl. Golin et

al. 2006, S. 47f).

Von der 4. bis zur 12. Woche hatte sich die durchschnittliche Compliance in der Interven-

tionsgruppe um 4,5% verbessert, während sie in der Kontrollgruppe um 3,83% abnahm

(p=0,10). Eine Compliance über 95% zeigten nach 12. Wochen 29% der Teilnehmer in der

Interventions- und 17% in der Kontrollgruppe (p=0,13). In der Intention-to-treat-Analyse

betrug die durchschnittliche Compliance nach Abschluss in der Interventionsgruppe 76%

(SD=27%) und 71% (SD=27%) in der Kontrollgruppe (p=0,62) (vgl. Golin et al. 2006, S.

48). Sämtliche Unterschiede der Compliance-Werte zwischen den Gruppen sind statistisch

nicht signifikant.

Die Veränderungen der Viruslast zeigten ebenfalls keine statistisch signifikanten Unter-

schiede zwischen den Gruppen. 52% in der Interventions- und 44% in der Kontrollgruppe

erreichten eine nicht nachweisbare Viruslast (vgl. Golin et al. 2006, S. 48).

In den Ergebnissen der psychosozialen und psychoökonomischen Werte gab es gleichfalls

keine statistisch signifikanten Unterschiede (vgl. Golin et al. 2006, S. 48).

Bei 7 von 9 Variablen der Verhaltensänderung wurde hingegen statistisch signifikante

Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt (z.B. Anzahl der gesetzten Ziele

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(p=0.0149) und Anzahl der entwickelten Strategien (p=0,0085)) (vgl. Golin et al. 2006, S.

48f).

Konfidenzintervalle wurden mit Ausnahme der Ergebnisse bezüglich der Viruslast-

Veränderungen nicht angegeben, daher lassen sich die mehrheitlich statistisch signifikan-

ten Ergebnisse bei den Variablen der Verhaltensänderung auf eine vergleichbare Bevölke-

rungsgruppe nicht übertragen (vgl. Golin et al. 2006, S. 46ff).

Kritisch anzumerken ist weiter, dass nur von 81 Teilnehmern verwertbare eDEMS-Daten

ausgewertet werden konnten (vgl. Golin et al. 2006, S. 46). Da dieses Instrument eine von

drei Methoden war, um die Medikamenten-Compliance zu messen (vgl. Golin et al. 2006,

S. 45), erscheint die Validität der Ergebnisse weiterhin fraglich.

Diskussion der Autoren

Golin et al. kommen zu dem Ergebnis, dass für die Wirksamkeit der MI im Vergleich zu

der Kontrollintervention keine Belege, allenfalls nur Indizien vorliegen. Sie geben an, dass

die meisten Teilnehmer vor der Studie mindestens eine ART abgebrochen haben, was

generell Interventionen zur Compliance-Steigerung zusätzlich erschweren kann. Dieser

Umstand lag allerdings bei beiden Gruppen vor und relativiert die überwiegend statistisch

nicht-signifikanten Ergebnisse daher nicht (vgl. Golin et al. 2006, S. 48f).

Als Limitierung ihrer Studie geben sie an, dass die Studiendauer zu kurz angelegt sein

könnte. Eine weitere Schwäche sehen sie in der geringen Teilnehmerzahl und verweisen

darauf, dass 33% der in Frage kommenden Patienten eine Teilnahme abgelehnt haben.

Außerdem geben sie an, dass die eingesetzten Messinstrumente, insbesondere der eDEMS

zu Fehlern führen kann - dieses Risiko habe allerdings für beide Gruppen bestanden. Das

Bias-Risiko schätzen die Autoren sehr gering ein (vgl. Golin et al. 2006, S. 49f).

Für neue Studien empfehlen sie einen längeren Zeitraum als 12 Wochen, eine höhere

Intensität der MI-Intervention und eine größere Studienpopulation (vgl. Golin et al. 2006,

S. 50).

Kritik zur Studie

Die Studie weist insgesamt einige methodische Schwächen auf: es fehlt eine detaillierte

Definition von MI. Die Stichprobengröße war zu gering und ihre Berechnungsgrundlage

fraglich. Angaben zum Radomisierungsverfahren fehlen und ob eine Verblindung der

Teilnehme erfolgte ist unklar. Die Aussteigerquote von 26,5% war relativ hoch, zudem

können Bias nicht ausgeschlossen werden. Der Umfang von allein 2 MI-Sitzungen in 12

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Wochen ist aus Sicht einer zielorientierten Beratung schwer nachvollziehbar ferner bleibt

die durchschnittliche Dauer der Sitzungen unklar. Genaue Angaben über die Inhalte der

MI-Beratungen sowie über jene der Standardbehandlung in der Kontrollgruppe fehlen. Die

Genauigkeit von eDEMS ist fraglich, allerdings wurden verschiedene Messinstrumente

eingesetzt, um diesen Mangel auszugleichen. Nur von 81 der Teilnehmer konnten außer-

dem eDEMS-Daten ausgewertet werden. Die Studiendauer war wohl zu kurz angelegt und

die Autoren scheinen die Limitierungen ihrer Studie nicht vollständig angegeben zu haben.

Die Validität der Studie ist fraglich. Positiv zu werten ist, dass die Gruppen in der Baseline

offenbar gut vergleichbar waren.

5.2 Studie 2: Dilorio et al. (2008)

„Using motivational interviewing to promote adherence to antiretroviral medica-

tions: A randomized controlled study”

Dilorio et al. legten im Jahr 2008 eine RCT vor in welcher untersucht wurde, ob MI die

Compliance bei Medikamenteneinnahme von einkommensschwachen, HIV infizierten

Erwachsenen (n=247) verbessern kann. Alle Teilnehmer erhielten eine Behandlung mit

einer ART. Die Intervention wurde in einer AIDS-Klinik in Atlanta, Georgia, im Vergleich

zu der dort üblichen Versorgung getestet. Die erste Rekrutierung begann im Jahr 2001, und

2005 wurde die Studie abgeschlossen. Der Interventionszeitraum betrug 3 Monate und die

Beobachtungsphase endete 12 Monate nach der Baseline (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 273f).

Begriffsdefinition und Qualität der MI-Beratung

Die MI wird von den Autoren umrissen, wobei auf ihre Ziele und den Beratungsstil nur in

knappen Worten eingegangen wird (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 273f). Eine detaillierte

Definition fehlt allerdings, daher sind Vorkenntnisse notwendig, um die Grundlagen und

Merkmale dieser Intervention zu verstehen.

Elf Pflegekräfte erhielten eine MI-Schulung mit einem Workload von 24 Stunden, in wel-

cher Theorien und Methoden vermittelt sowie Beratungs-Trainings durchgeführt wurden.

Als Ausbilder fungierten zwei der Studien-Autoren, ausgebildete Psychologen, welche

selbst in MI geschult waren. Die Trainings wurden auf Tonband aufgenommen und von

einem Psychologen und einem Doktoranden auf ihre Qualität hin überprüft. Feedback-

Gespräche zwischen den Ausbildern und den Pflegeberatern wurden durchgeführt und

zusätzliche individuelle Schulungen für die Pflegeberater bei Bedarf angeboten (vgl. Dilo-

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rio et al. 2008, S. 275). Der Ablauf der Ausbildung ist ausführlich beschrieben, die Quali-

fikation der Ausbilder kann allerdings nicht eingeschätzt werden.

Stichprobe

Zu Beginn wurden 247 Teilnehmer rekrutiert, von denen 125 Personen die Interventions-

und 122 in die Kontrollgruppe aufgenommen wurden. Die Teilnehmer hatten erstmalig die

ART erhalten oder ihre Medikamente wurden in der laufenden Therapie geändert. In

beiden Fällen erhielten sie die an dieser Klinik üblichen Schulungen, zur Förderung der

Compliance bei ärztlich verordneter ART (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 274). Das Durch-

schnittsalter aller Probanden, welche die Studie abschlossen, betrug 41 Jahre, 65% waren

männlich, 88% hatten eine Einkommen von monatlich <1.200 $ und 83% der Teilnehmer

waren arbeitslos (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 277).

Folgende Einschlusskriterien zur Studienteilnahme mussten erfüllt sein:

1. Eine diagnostizierte HIV-Infektion,

2. dass die Patienten von kompetenten Pflegekräften der üblichen Compliance-

Schulung zu gewiesen wurden,

3. dass die Patienten eine ART erstmalig aufgenommen oder ihre Medikamente bei

laufender Therapie verändert wurden,

4. ein Alter von mindestens 18 Jahren,

5. der englischen Sprache mächtig zu sein und

6. bereit zu sein, mit einem Studienmitarbeiter zu sprechen (vgl. Dilorio et al. 2008, S.

274).

Insgesamt haben 213 Probanden die Studie abgeschlossen (107 Personen in der Experi-

mentell- und 106 in der Kontrollgruppe) (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 275). Damit konnten

von 87% der Teilnehmer Daten ausgewertet werden, was die Teststärke der Studie nicht

sehr beeinträchtigte. Als Ausstiegsgründe nennen die Autoren Zeitdruck und Verlust des

Interesses. Die meisten Aussteiger waren jedoch im Studienverlauf verstorben (70%) (vgl.

Dilorio et al. 2008, S. 277). Die Berechnungsgrundlagen der Stichprobengröße werden

allerdings nicht erläutert, was die Repräsentativität der Studie fraglich erscheinen lässt.

Randomisierung und Verblindung

Die Teilnehmer wurden mit computergenerierten Codes zufällig den Gruppen zugeteilt

(vgl. Dilorio et al. 2008, S. 274). Statistisch signifikante Unterschiede gab es an der Base-

line zwischen den Gruppen nicht (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 277). Ob die Teilnehmer und

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die Untersucher der Studiendaten verblindet wurden bleibt unklar. Bias können daher nicht

ausgeschlossen werden.

Intervention

Während des dreimonatigen Interventionszeitraumes haben die Mitglieder der Interventi-

onsgruppe 5 MI-Sitzungen erhalten mit einem durchschnittlichen Beratungszeitraum von

20 bis 90 Minuten. Den Beratungen wurden folgende Ziele zugrunde gelegt: 1. den

Probanden das Verständnis über die Bedeutung des Medikamenten-Einnahmeverhaltens zu

vermitteln ,und 2. die Medikamenten-Compliance der Teilnehmer auf einem hohen Level

aufrechtzuerhalten (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 274f). Kritisch anzumerken ist jedoch, dass

die Teilnehmer dadurch vermutlich in einer eigenständigen, freien Entwicklung von Bera-

tungszielen eingeschränkt wurden. Ein Abweichen vom ursprünglichen MI-Konzept hat

hier offenbar stattgefunden (siehe Kapitel 2.1).

Die Berater nutzten ein semi-strukturiertes Beratungsskript, um, nach Angaben der Auto-

ren, die Standardisierung und Vergleichbarkeit der Sitzungen zu erhöhen (vgl. Dilorio et

al. 2008, S. 274). 80% aller Beratungen wurde im direkten Einzelgespräch durchgeführt,

die restlichen 20% durch telefonischen Kontakt. Als Grund für die telefonische Beratung

wird angegeben, dass einige Teilnehmer nicht in der Lage waren, die Klinik aufzusuchen

(vgl. Dilorio et al. 2008, S. 275). Ob die telefonische Beratung zwangsläufig zu den

gleichen Ergebnissen führt, wie Face-to-Face-Sitzungen ist unklar. Eine gleichbleibende

Qualität der Intervention ist hierdurch jedoch in Zweifel zu ziehen. Alle Sitzungen wurden

auf Tonband aufgenommen, um ihre Qualität zu überprüfen (vgl. Dilorio et al. 2008, S.

275). Angaben bezüglich dieser Überprüfungsergebnisse bleiben die Autoren schuldig,

Reporting-Bias liegen somit vor.

Die Mitglieder der Kontrollgruppe haben als Vergleichsintervention die an der Klinik übli-

che Patientenschulung zur Förderung der Medikamenten-Compliance bei ART erhalten

(vgl. Dilorio et al. 2008, S. 276). Detaillierte Angaben über die Inhalte dieser Standard-

schulung geben Dilorio et al. nicht.

Endpunkte

Die primären Endpunkte waren die durchschnittlichen Compliance-Quoten der Gruppen

bei Medikamenteneinnahme in Prozent (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 276). Die Compliance-

Werte wurde für zwei Faktoren bestimmt: 1. für die tägliche Anzahl der eingenommen

Medikamentendosen im Verhältnis zu der ärztlich verordneten Anzahl und 2. für die tägli-

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chen Zeitpunkten der Medikamenteneinnahmen im Verhältnis zu den ärztlich verordneten

Einnahmezeitpunkten (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 276). Sekundären Endpunkte waren

Veränderungen: der HIV-Viruslast, der Immunzellen mit CD4-Rezeptoren - diese werden

von HIV-Viren befallen - sowie des Drogenkonsums als auch des Depressions-Scores der

Teilnehmer im Vergleich zwischen Baseline und dem Ende der Follow-up-Phase (vgl. Di-

lorio et al. 2008, S. 276ff). Verhaltensbezogene oder sonstige abhängige Variablen wurden

nicht erhoben.

Messinstrumente

Die Forscher haben das Medication Event Monitoring System (im Folgenden MEMS)

eingesetzt, um die Compliance bei Medikamenteneinnahme zu messen. MEMS misst

elektronisch jedes Öffnen der Medikamentenflasche (Anzahl und Zeitpunkte) (vgl. Dilorio

et al. 2008, S. 276). Es funktioniert nach dem gleichen Prinzip, wie das eDEMS in der

zuvor vorgestellten Studie von Golin et al. und weist die gleichen Mängel auf: Jedes

Öffnen wird grundsätzlich als Medikamenteneinnahme gewertet, obgleich Letzteres nicht

zutreffen muss, auch könnten die Patienten mehrere Medikamentendosen auf einmal

entnehmen, diese deponieren und zu den korrekten Zeitpunkten in der korrekten Anzahl

einnehmen - das System könnte dies ebenfalls nicht erfassen.

Des Weiteren wurden Fragenbögen eingesetzt (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 274), um zusätz-

liche Informationen über die Compliance als auch Daten bezüglich des Drogenkonsums zu

gewinnen (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 276ff). Zur Bestimmung der Viruslast und der

Immunzellen mit CD4-Rezeptoren haben Dilorio et al. Blutuntersuchungen durchführen

lassen. Die validierte CES-D-Skala wurde zur Bestimmung des Depressions-Scores

verwendet (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 276f).

Datenerhebung und -analyse

Der MEMS wurde bei den Teilnehmern bis zu drei Wochen vor Bestimmung der Baseline

und anschließend weitere 12 Monate bis zum Abschluss des Follow-up eingesetzt. Der

Datenupload erfolgte monatlich in der Studienklinik. Umfragen mit den Fragebögen

wurden in beiden Gruppen drei mal nach der Baseline durchgeführt (vgl. Dilorio et al.

2008, S. 274). Die genauen Zeitpunkte der Blutuntersuchungen werden von Dilorio et al.

nicht genannt. Die Analyse der Daten erfolgte mit SPSS 15.0 (vgl. Dilorio et al. 2008, S.

276).

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Studienergebnisse

Die durchschnittliche Compliance bei Einnahme der verordneten Anzahl von Medikamen-

tendosen nahm in beiden Gruppen im Verlauf der 12 Monate ab, von anfangs 79% auf

64% in der Interventions- und von 80% auf 55% in der Kontrollgruppe. Statistisch signifi-

kante Unterschiede gab es hier zwischen den Gruppen nicht (p=0,9). Ebenfalls hat die

durchschnittliche Compliance bei Medikamenteneinnahme zum angeordneten Zeitpunkt

im selben Zeitraum abgenommen, zunächst von 58% auf 41% in der Interventions- und

von 57% auf 24% in der Kontrollgruppe. Statistisch signifikante war damit die bessere

Compliance bei Medikamenteneinnahme zum angeordneten Zeitpunkt zu Gunsten der mit

MI beratenen Probanden (p=0,004). Die Berechnung der Werte erfolgte nach dem Intenti-

on-to-treat-Prinzip (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 279f).

Die Werte der Viruslast wurden in zwei Bereiche unterteilt: für eine nachweisbare und für

eine nicht nachweisbare Viruslast. Die durchschnittlich nachweisbare Viruslast hat in der

Interventionsgruppe etwas nachgelassen, von 3,29 log auf 3,05 log, und in der Kontroll-

gruppe leicht zugenommen, von 3,35log auf 3,39log, jeweils in 12 Monaten. Die

durchschnittliche Viruslast unterhalb der Nachweisbarkeitsgrenze (<0,40log) hat in beiden

Gruppen innerhalb der 12 Monate zugenommen, von 27% auf 58% in der Interventions-

und von 20% auf 47% in der Kontrollgruppe. Statistisch signifikante Unterschiede

zwischen den Gruppen gab es bei diesen Werten nicht (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 279f).

Die durchschnittliche Anzahl der Immunzellen mit CD4-Rezeptoren hat in der Interventi-

onsgruppe leicht zu- und in der Kontroll-Gruppe leicht abgenommen. Einen statistisch

signifikanten Unterschied gab es hier ebenso nicht (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 279f).

Konfidenzintervalle wurden für alle Outcome-Daten angegeben und sprechen für eine

Übertragbarkeit der Ergebnisse auf eine entsprechende Grundgesamtheit (vgl. Dilorio et al.

2008, S. 280).

Diskussion der Autoren

Dilorio et al. kommen zu dem Schluss, dass MI die Compliance positiv beeinflussen kann.

Nach ihren Angaben haben auch andere Studien gezeigt, dass die Compliance der jeweili-

gen Probanden mit der Zeit nachlässt (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 279).

Als Limitierung ihre Studie geben sie an, dass die Ergebnisse der Stichprobe (aus einkom-

mensschwachen HIV-Patienten) schlecht auf alle an HIV erkrankten Personen mit ART

übertragen werden können, ferner die Anwendung von MEMS einigen Teilnehmern

schwer gefallen ist, Teilnehmer, von denen eine mangelnde Compliance bekannt war, von

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25

der Studie nicht ausgeschlossen wurden und dass sich die Art und Dosierung der Medika-

mente im Studienverlauf bei einigen Teilnehmern änderte, was Einfluss auf deren Comp-

liance gehabt haben könnte (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 281f).

Kritik zur Studie

Die Methode der Randomisierung wurde angegeben, Informationen zur Verblindung der

Teilnehmer und Untersucher fehlen jedoch. Entsprechende Bias können nicht ausgeschlos-

sen werden. Die Definition von MI hätte detaillierter ausfallen können. Dass die MI-

Ausbildung von Studienautoren durchgeführt wurde, ist vermutlich keine Musterlösung,

allerdings sind hieraus keine direkten Schwächen abzuleiten. Die Untersucher wurden al-

lerdings offenbar nicht verblindet. Die Gruppen scheinen gut vergleichbar zu sein. Der

Umfang von 5 MI-Sitzungen in 3 Monaten erscheint angemessen gewählt und spricht für

eine adäquate Nachkontrolle. Die Validität der Compliance-Messung mit MEMS ist

fraglich, allerdings wurden Umfragen durchgeführt, welche diesen Mangel vermutlich

ausgeglichen haben. Psychosoziale und Verhaltensbezogene Outcomes (abgesehen von

Compliance) wurden nicht gemessen, was im Sinne eines Beratungskonzeptes, welches

zunächst auf die Förderung der intrinsischen Klienten-Motivation abzielt, kritisch zu sehen

ist. Detaillierte Angaben über die Inhalte der Kontrollinterventionen fehlen. Ebenso ist die

Berechnungsgrundlagen der Stichprobengröße nicht angegeben. Eine hinreichende Test-

stärke der Studie ist daher zweifelhaft. Konfidenzintervalle wurden zu den Outcome-Daten

angegeben und liegen eng beieinander (vgl. Dilorio et al. 2008, S. 280). Insgesamt weist

die Studie einige, aber keine gravierenden Mängel auf.

5.3 Studie 3: Brodie, Inoue (2005)

„Motivational interviewing to promote physical activity for people with chronic heart

failure”

Brodie und Inoue wollten mit ihrer im Jahr 2005 veröffentlichten RCT überprüfen, ob MI

die körperliche Aktivität bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (n=92) verbessern

kann. Die Studie war dreiarmig angelegt: Die MI als alleinige Intervention wurde im

Vergleich zu einer alleinigen Standardschulung sowie im Vergleich zu dieser Schulung

inklusive MI getestet. Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich über 5 Monate (vgl. Bro-

die, Inoue 2005, S. 518).

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26

Begriffsdefinitionen und Qualität der MI-Beratung

Die Autoren gehen auf die Vorteile von körperlicher Aktivität für an chronischer Herzin-

suffizienz erkrankte Patienten ein und benennen hierfür u.a. die Verbesserungen der

Lebensqualität (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 518f). Das MI-Beratungskonzept wird in der

Studie verständlich umrissen (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 519), eine detaillierte Definition

fehlt jedoch.

Die MI-Sitzungen wurden von den Forschern durchgeführt (vgl. Brodie, Inoue 2005, S.

519f). Die Qualifikation der Berater wurde nicht angegeben. Inwieweit Brodie und Inoue

die Qualität der Beratung sicher stellen konnten ist daher unklar.

Stichprobe

Zweiundneunzig Probanden wurden randomisiert in drei Gruppen verteilt. In Gruppe eins

(n=30) bestand die Intervention aus der MI und der Standardversorgung, in Gruppe zwei

(n=32) allein aus der Standardversorgung und in Gruppe drei (n=30) nur aus der MI (vgl.

Brodie, Inoue 2005, S. 519ff).

Die Einschlusskriterien zur Studienteilnahme waren:

1. eine diagnostizierte chronische Herzinsuffizienz,

2. ein Alter von mindestens 65 Jahren,

3. Gehfähigkeit mit oder ohne Mobilitätshilfe und

4. die Fähigkeit eine schriftliche Einverständniserklärung geben zu können.

Als Ausschlusskriterien wurden festgelegt:

1. eine diagnostizierte, normale systolische Herzfunktion,

2. das Wohnen in einem Pflegeheim oder der geplante Einzug in eine solches,

3. wohnhaft außerhalb des Einzugsgebietes des örtlichen Krankenhauses (vermutlich

in England),

4. ein Myokardinfarkt oder eine instabile Angina Pectoris in den letzten 3 Monaten,

5. eine operationspflichtige Herzklappenerkrankung,

6. eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung,

7. Krankenhausaufnahme zur Sterbebegleitung oder eine Lebenserwartung von unter

5 Monaten,

8. ein Wert von ≤6 auf dem Mini-Mental-Status Fragebogen oder

9. die Unfähigkeit, einen schriftliche Einverständniserklärung zu geben (vgl. Brodie,

Inoue 2005, S. 520).

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27

Insgesamt sind 32 Teilnehmer nach dem Studienstart aus der Studie ausgeschieden, 21

waren verstorben, 11 Probanden wurden ausgeschlossen, da sie jede Interventionsteilnah-

me verweigerten (n=7) oder in ein Pflegeheim zogen (n=4). Die Aussteigerquote betrug

damit 34,8%, was die Teststärke der Studie herabsetzt. Eine Intention-to-treat-Analyse

wurde offenbar nicht durchgeführt. Die 60 Probanden, welche die Studie beendeten, hatten

ein Durchschnittsalter von 79 Jahren (Range 68-94 Jahre). Die Unterschiede in der

Geschlechtsverteilung in den Gruppen soll nach Brodie und Inoue statistisch nicht signifi-

kant gewesen sein, allerdings waren doppelt so viele Männer in Gruppe 2, wie in Gruppe 1

(vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 521f). Der entsprechende P-Wert wurde nicht angegeben.

Randomisierung und Verblindung

Die Randomisierung wurde durch eine zufällige Verteilung von Umschlägen an die Teil-

nehmern durchgeführt (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 521). Ob diese Methode eine Einfluss-

nahme der Forscher ausschließen konnte bleibt unklar. Eine Selektionsbias kann daher

nicht ausgeschlossen werden. Inwieweit eine Verblindung der Teilnehmer stattgefunden

hat, wird von den Autoren nicht angegeben. Eine Verblindung der Untersucher wurde

durch eine unabhängige Datenauswertung erreicht (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 523).

Intervention

Die Mitglieder der Gruppen 1 und 3 haben 8 MI-Sitzungen mit einer durchschnittlichen

Dauer von einer Stunde erhalten. Zu Beginn des Beratungsprozesses wurden in Face-to-

Face-Sitzungen mit den Probanden, deren geleisteten körperlichen Aktivitäten innerhalb

eines Wochenzeitraumes untersucht sowie der zeitliche Umfang, welchen sie im Sitzen

verbrachten. Ferner wurden mit ihnen u.a. Verhaltensänderungsstrategien besprochen und

geübt (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 519f). In Gruppe 2 bestand die Standardintervention

aus einer am Krankenhaus üblichen Schulung in der den Mitgliedern Informationen und

Empfehlungen bzgl. körperlicher Aktivitäten vermittelt wurden. Die Schulung wurde von

kardiologischen Fachpflegekräften durchgeführt (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 518).

Endpunkte

Der primäre Endpunkt war die tägliche, körperliche Aktivität der Teilnehmer, gemessen

als täglicher Energieumsatz (kcal/kg/Tag). Der sekundäre Endpunkte war die Veränderung

der körperlichen Belastbarkeit der Probanden zwischen Baseline und Abschluss der Fol-

low-up (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 520).

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28

Messinstrumente

Die Messung des täglichen Energieumsatzes erfolgte mittels eines Fragebogens über die

körperliche Aktivität in der Freizeit, in welchem mehrere Übungen angegeben werden

konnten: Sitzen, Gehen und Treppensteigen. Ebenfalls zur Messung des tägl. Energieum-

satzes wurde ein von den Probanden auszufüllendes Tagebuch über die körperliche Aktivi-

tät innerhalb von 3 Tagen verwendet. Die körperliche Belastbarkeit wurde mit einem 6-

Minuten-Gehtest gemessen (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 520). Angaben über die Validität

dieser Instrumente fehlen.

Datenerhebung und -analyse

Genaue Zeitpunkte der Datenerhebung nennen Brodie und Inoue nicht, es scheint jedoch

logisch, dass Daten vor bzw. an der Baseline und zum Ende des 5-monatigen Untersu-

chungszeitraumes erhoben wurden (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 522f). Die Analyse der

Daten erfolgte mit SPSS 10.0 (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 521).

Studienergebnisse

In den aufgezeichneten, körperlichen Aktivitäten Sitzen, Gehen und Treppensteigen gab es

keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Brodie, Inoue

2005, S. 522). P-Werte zu diesen Ergebnisse nennen die Autoren nicht. Der durchschnittli-

che tägliche Energieumsatz betrug an der Baseline bei den Teilnehmern, welche die Studie

beendeten, 8,2 kcal/kg/Tag. Die Mitglieder der Gruppe 1 (Schulung + MI) und 3 (MI) stei-

gerten diesen Wert nach 5 Monaten um 2,3 kcal/kg/Tag in Gruppe 1 und um 2,4

kcal/kg/Tag in Gruppe 3. Der Energieumsatz in Gruppe 2 (Schulung) fiel im gleichen Zeit-

raum um -0,1 kcal/kg/Tag. Die Veränderungen dieser Werte zwischen den Gruppen waren

statistisch nicht signifikant (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 522). Die P-Werte wurden nicht

genannt.

Die durchschnittliche Gehstrecke aller, die Studie abschließenden Probanden, betrug im 6-

Minuten-Gehtest in der Baseline 115 m. Alle Gruppen steigerten ihre durchschnittliche

Gehstrecke (p=<0,0001): Gruppe 1 auf 109,3 m, Gruppe 2 auf 181 m und Gruppe 3 auf

119,3 m (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 522f). Es ist allerdings anzumerken, dass die mittlere

Gehstrecke in Gruppe 2 in der Baseline aus unbekannten Gründen bereits deutlich länger

war (157 m), als in den beiden anderen (Gruppe 1: 89,5 m; und Gruppe 3: 97,2 m). Den-

noch haben die Mitglieder in Gruppe 2 ihre durchschnittliche Gehstrecke am stärksten ver-

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29

bessert (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 522). Diese Resultate sollen im Gruppenvergleich sta-

tistisch nicht signifikant gewesen sein (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 524f), die Autoren nen-

nen hier jedoch ebenfalls keinen P-Wert. Die Konfidenzintervalle zu den Outcome-Daten

fehlen ebenso.

Diskussion der Autoren

Limitierungen ihrer Studie sehen die Autoren in der Beteiligung der Forscher an der Inter-

vention und schließen hierbei Bias nicht aus. Außerdem wurden Ergebnisse des Energie-

umsatzes und der körperlichen Aktivität der Teilnehmer aus Informationen der Fragebögen

abgeleitet. Dieses Messinstrument sei aber von der Korrektheit der Teilnehmerangaben

abhängig und damit nicht absolut zuverlässig, wie z.B. die direkte Beobachtung körperli-

cher Aktivitäten. Die Autoren räumen ein, dass Daten bzgl. psychosozialer und soziöko-

nomischer Variablen nicht umfassend erhoben wurden, mit Ausnahme des Sprachver-

ständnisses und des sozialen Netzwerkes der Probanden (vgl. Brodie, Inoue 2005, S. 523).

Brodie und Inoue kommen zu dem Schluss, dass weitere Forschung notwendig ist, um die

Wirkung von MI zu erforschen, und empfehlen hierfür eine größere Stichprobe (vgl. Bro-

die, Inoue 2005, S. 525).

Kritik zur Studie

Die Studie hat einige methodische Mängel: Eine Verblindung der Teilnehmer hat womög-

lich nicht stattgefunden. Die Gruppen waren an der Baseline zwar gut vergleichbar, den-

noch konnten die Mitglieder der Gruppe 2 aus ungeklärten Gründen im Mittel deutlich

weiter gehen als die restlichen Probanden. Bias können nicht ausgeschlossen werden. Die

Stichprobengröße war gering und offenbar nicht auf Grundlage einer Powerkalkulation

berechnet worden. Des Weiteren haben nur 65,2% aller Teilnehmer die Studie abgeschlos-

sen, was die Teststärke weiter einschränkt. Eine Intention-to-treat-Analyse wurde offenbar

nicht durchgeführt (Angaben fehlen). In welcher Frequenz die MI-Beratungen durchge-

führt wurden, bleibt ebenso unklar. Außerdem fehlt eine detaillierte Definition der MI-

Beratung. Angaben bzgl. des Ablaufes und der genauen Inhalte der Standardschulung wur-

den gleichfalls ausgelassen. Bezüglich des Endes der Interventions- und der Länge der

Follow-Up-Phase geben die Autoren gleichsam keine Informationen. Die Qualifikation der

Forscher, welche die MI-Beratung durchführten, ist nicht bekannt und die Qualität der Be-

ratungen damit fraglich. Abhängige Variablen bzgl. der Lebensqualität oder anderer für die

Teilnehmer relevante Outcomes (z.B. positive Beratungseffekte) wurden nicht erhoben.

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30

Die Validität der Messinstrumente ist zudem fraglich und die Konfidenzintervalle zu den

Outcome-Daten sind nicht angegeben. Außerdem fehlen die P-Werte bei den Ergebnissen

im Gruppenvergleich. Die Validität der Studie ist insgesamt in Zweifel zu ziehen.

5.4 Studie 4: Knight et al. (2006)

„A systematic review of motivational interviewing in physical health care settings”

Knight et al. haben mit dieser im Jahr 2006 veröffentlichen systematischen Übersichtsar-

beit untersucht: in welchem Umfang MI in unterschiedlichen Gesundheitssettings verwen-

det wird, wie wirksam MI ist und zu welchen Effekten es führt, wenn MI bei Patienten mit

physischen Gesundheitsproblemen eingesetzt wird. Ferner waren die Autoren bestrebt ei-

nen Überblick über die Qualität der diesbezüglichen, damaligen Forschung zu geben und

weiteren Forschungsbedarf zu identifizieren (vgl. Knight et al. 2006, S. 319). Insgesamt

haben Knight et al. 8 relevante Studien (darunter 4 RCTs) identifiziert, beschrieben und

beurteilt (vgl. Knight et al. 2006, S. 323). Die Recherche wurde im August 2002 durchge-

führt und im September 2003 sowie im April 2004 aktualisiert (vgl. Knight et al. 2006, S.

321).

Methodik

Die Recherche wurde in den elektronischen Datenbanken Amed, Cinahl, Embase, Medline,

Psych Info, ISI Web of Science und SIGLE durchgeführt und umfasste einen Publikations-

zeitraum vom Jahr 1966 bis 2004 (vgl. Knight et al. 2006, S. 319ff).

Suchbegriffe waren: motivational interviewing, stages of change, transtheoretical model,

behavior change und client centred couselling. Umfangreiche Suchbegrifflisten wurden für

chronische Erkrankungen zusammengestellt als auch mit Medical Subject Headings

(MeSH) für chronic illness in die Recherche einbezogen (vgl. Knight et al. 2006, S. 321).

Ebenfalls wurde die Webseiten der Cochrane Libary, des National Research Registers

sowie drei weitere wissenschaftliche Internetseiten nach Studien mit dem Suchwort moti-

vational interviewing durchsucht. Zudem wurden Experten und Personen, welche zu

diesem Thema in aktuellen Forschungsprojekten arbeiteten, nach unveröffentlichtem Mate-

rial und weiteren Informationen gebeten. Graue Literatur wurde mit Hilfe der Datenbank

Sigle durchsucht. Ferner erstreckte sich die Recherche über 7 wissenschaftliche Fachzeit-

schriften (u.a. American Journal of Preventative Medicine) (vgl. Knight et al. 2006, S.

321). Die Einschlusskriterien waren:

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31

- Im Bereich Zielgruppe, dass die Studienpatienten ein Risiko aufwiesen, eine

gemeinsame körperliche Krankheit zu entwickeln und

- im Bereich Intervention, dass MI in der Studie als Methode der Verhaltensänderung

verwendet wurden (vgl. Knight et al. 2006, S. 321).

In Bezug auf das Studiendesign lagen keine Kriterien vor, da nur eine geringe Anzahl von

RCTs gefunden und daher auch Nicht-RCTs einbezogen wurden. Gleichfalls gab es für

gemessene Outcomes keine spezifischen Kriterien. Knight et al. begründen dies damit,

dass alle Studien mit wirksamen Ergebnissen identifiziert werden sollten (vgl. Knight et al.

2006, S. 321).

Studienabruf und -analyse

Einundfünfzig relevante Abstracts wurden gefunden. Insgesamt konnten 43 Abstracts

ausgeschlossen werden, da sie die Einschlusskriterien nicht erfüllten und z.B. Fragen der

Berufsausbildung thematisierten oder MI und/oder körperliche Erkrankungen nicht einbe-

zogen. Insgesamt konnten 8 Studien für eine beschreibende Analyse ausgewählt werden

(vgl. Knight et al. 2006, S. 321f).

Um Verzerrungen zu vermeiden, erfolgte das Auswahlverfahren durch zwei Forscher,

welche Unstimmigkeiten in Diskussionen klärten (vgl. Knight et al. 2006, S. 322).

Auf eine Metaanalyse haben Knight et al. verzichtet, aufgrund der Heterogenität der Studi-

en in den gemessenen Endpunkten bzgl. des Interventionszeitraumes, im definierten Prob-

lemverhalten der Probanden, in den Studien-Settings sowie hinsichtlich der Qualifikation

und Erfahrung der MI-Berater (vgl. Knight et al. 2006, S. 322).

Identifizierte Studien

Unter den ausgewählten Studien waren vier RCTs, drei Pilotstudien und eine nicht-

randomisierte Kontrollstudie (vgl. Knight et al. 2006, S. 323) (siehe Tabelle 1). Die einge-

schlossenen Erkrankungen bzw. Therapien dieser Studien waren: Diabetes mellitus Typ 1

und 2, Asthma, Hyperlipidämie als auch Hypertonie, koronare Bypass-Chirurgie und kar-

diologische Rehabilitation. Mit allen 8 Studien sollte herausgefunden werden, ob MI zu

besseren Behandlungsergebnissen führt, als die jeweilige Standardversorgung in den

Bereichen: Compliance, Gesundheitsverhalten und Ergebnisverbesserungen der verschie-

denen medizinischen Therapien (vgl. Knight et al. 2006, S. 323).

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32

Nr. Autoren und

Population

Studiendesign Stichprobengröße

(n), Follow-up-

Periode (FU) und

Durchschnittsalter

Intervention

1 Channon et al. (2003), Kinder mit Diabetes Typ 1

Pilotstudie n=22; FU 6 Mona-te; Ø 15,8 Lebens-jahre

Interventionsgruppe: individuelle MI-Beratung (Ø 4,7 Sitzungen); keine Kontrollgruppe

2 Clark und Hampson (2001), übergewichtige Erwachsene mit Diabetes Typ 1

RCT (nur mit Base-

line-Daten)

n=100; FU 1 Jahr; Ø 59,4 Lebensjahre

Interventionsgruppe: Kurz-MI-Beratung plus drei 10-minütige Telefongespräche in der Follow-Up; Kontrollgruppe: Standardbehand-lung

3 Smith et al. (1997), überge-wichtige Frauen mit Diabetes Typ 2

randomisierte Pilotstudie

n=16; FU 4 Mona-te; Ø 62,4 Lebensjahre

Interventionsgruppe: 3 MI-Sitzungen plus 16-wöchige verhaltensbeinflussende Ge-wichtskontrolle; Kontrollgruppe: nur besagte Gewichtskontrolle

4 Schmaling et al (2001), Patien-ten mit Asthma

Randomisierte, kontrollierte Pilotstudie

n=25; FU 2 Wo-chen; Ø 39,32 Le-bensjahre

Interventionsgruppe: einmalige Kurz-Schulung und eine MI-Sitzung; Kontrollgruppe: einmalige Kurz-Schulung

5 Mhurchu et al. (1998) Patienten mit Hyperlipi-dämie

RCT (Teststärke nur

61%)

n=97; FU 6 Mona-te; Durchschnittsal-ter unbekannt

Interventionsgruppe: 3 MI-Beratungen; Kontrollgruppe: Standardtipps für Cholesterin arme Ernährung

6 Woollard et al. (1995), Patien-ten mit Hyper-tonie

Nicht-randomisierte Kontrollstudie

n=146; FU 18 Wo-chen; Ø 58 Lebens-jahre

Interventionsgruppe 1: vier 15-minütige Telefonberatungen; Experimentellgruppe 2: vier 45-minütige MI-Beratungen; Kontrollgruppe: Standardbe-handlung

7 McHugh et al. (2001), Patien-ten, die eine arterielle By-pass-OP erwar-ten

RCT N=98; FU 15 Mo-nate; Ø 62 Lebens-jahre

Interventionsgruppe: MI-Beratung plus monatliche Gesundheitsschulung; Kontrollgruppe: Standardbehand-lung

8 Scales (1998) Patienten mit Koronarer Herzkrankheit, die eine Rehabi-litation erwarten

RCT n=61; FU 12 Wo-chen; Ø 59,6 Le-bensjahre

Interventionsgruppe: 1 bis 4 MI-Beratungen plus übli-ches Rehabilitationsprogramm; Kontrollgruppe: übliches Rehabi-litationsprogramm mit Gruppen-diskussion plus optionale Inter-vention zur Lebensstiländerung

Tabelle 1: Übersicht der von Knight et al. bewerteten Studien (vgl. Knight et al. 2006, S. 324ff)

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33

Qualitätsbewertung

Die Qualitätsbewertung der Studien basierte auf den Informationen, welche die Studien

lieferten. Als Richtlinie zur Beurteilung der Qualität nutzten Knight et al. das CONSORT

Statement von Moher, Schulz und Altma (2001), welches Empfehlungen zur Qualitätsver-

besserungen der Reports randomisierter Studien gibt (vgl. Knight et al. 2006, S. 322).

Studienergebnis

Die Mehrheit der Studien kommet zu dem Ergebnis, dass MI zu positiven Effekten führt

bei der Mehrzahl der untersuchten psychologischen und physiologischen Variablen sowie

bei verhaltensbezogenen Variablen bei der Änderung von Lebensstilen (vgl. Knight et al.

2006, S. 323) (siehe Tabelle 2).

Variablen N (Variablen) MI ist effektiv MI ist nicht

Effektiv

Angaben

fehlen

Psychologisch-kognitiv (z.B. Be-reitschaft zur Ver-haltensänderung)

15 6 3 6

Psychologisch-emotional (z.B. Le-bensqualität)

7 3 1 3

Lebensstilwandel 24 11 2 11 Physiologische (z.B. Gewicht)

11 10 0 1

Insgesamt 57 30 6 21

Tabelle 2: Übersicht der gemessenen Effektivität von MI in den von Knight et al. untersuchten Studien

(vgl. Knight et al. 2006, S. 327)

Die Ergebnisse zweier der RCTs sind wenig aussagekräftig bzw. nicht vorhanden, da

entweder keine Outcome-Daten vorlagen (Studie 2) oder die Teststärke aufgrund einer zu

geringen Stichprobengröße (80% der Vorgabe) erheblich abfiel (Studie 5). Die beiden

anderen RCTs (Studie 7 & 8) kommen zu dem Resultat, dass MI eine effektive Methode

ist, Patienten dabei zu helfen, gesündere Lebensstile umzusetzen im Vergleich zu den üb-

lichen Methoden (vgl. Knight et al. 2006, S. 323). Im Gegensatz dazu haben eine oder

mehrere der Studien gezeigt, dass MI nicht wirksam ist, das Wissen der Patienten zu erhö-

hen oder ihnen dabei zu helfen Familienprozesse zu verstehen, ihre Medikamenten-

Compliance zu erhöhen, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren, oder ihr Gefühl von Wohlbe-

finden zu steigern (vgl. Knight et al. 2006, S. 323). Zudem wurden bei ca. 37% aller

gemessenen Variablen der Studien keine Ergebnisse genannt, was nach Ansicht von

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Knight et al. das Vorliegen negativer Resultate bedeuten kann (vgl. Knight et al. 2006, S.

323).

Kritik der Autoren

Knight et al. kommen zu folgender Kritik an den Studien:

- Berichterstattung: alle drei abgeschlossenen RCTs (Studie 5, 7 & 8) berichten

Einschluss- und Ausschlusskriterien. Von den restlichen Studien berichteten alle

von Einschluss-, aber nur drei von Ausschlusskriterien (Studie 1, 3 & 4). Drei der

RCTs haben die Randomisierungsmethode beschrieben (Studie 2, 5 & 8).

- Teststärke und Stichprobenumfang: Nur eine RCT berechnete ihre Stichprobengrö-

ße nach einer festgelegtenTeststärke (Studie 5). Diese Studie lag mit 20% jedoch

unter ihrer geforderten Stichprobengröße, was die Teststärke auf 61% herabsetzte.

- Vorgehensweise und Intervention: Das Interventionsverfahren wurde in allen

Studien hinreichend beschrieben, genaue Informationen über den Inhalt der

MI-Sitzungen wurden aber nur in zwei RCTs (Studie 2 & 8) sowie in zwei der

nicht-randomisierten Studien gegeben (Studie 1 & 4). In einer der RCTs und zwei

der anderen Studien war unklar beschrieben, ob MI als vollwertige Beratung oder

Kurz-Intervention eingesetzt wurde (Studie 4, 6 & 7). Die durchschnittliche Dauer

der MI-Beratungen wurde lediglich in zwei der RCTs und in einer der anderen

Studien angegeben (Studie 4, 5 & 6). Dreiviertel der RCTs und anderen Studien

enthalten detaillierte Angaben der Hauptkomponenten, wie auch der Prinzipien von

MI (Studie 1, 2, 3, 4, 5 & 8).

- MI-Ausbildung: Zwei nicht-randomisierte Studien beschreiben die Länge und Art

der MI-Ausbildung (Studie 1 &/ 4). Nur eine der Studien eine RCT benutzte ein

Assessment zur Einschätzung der Beratungsfähigkeiten der Berater nach Ausbil-

dung, um die MI-Qualität während des Interventionszeitraumes zu kontrollieren

(Studie 5).

- Messung: Die Studien maßen im Durchschnitt 7,5 verschiedene Outcomes (Spann-

weite 4 bis 11), mit großen Unterschieden zwischen psychologischen, physiologi-

schen oder Lebensstil bezogenen Outcomes. Nur 6 Studien (davon 3 RCTs)

beschrieben den Einsatz von spezifischen, validierten Messinstrumenten (Studie 1,

2, 4, 6, 7, & 8) (vgl. Knight et al. 2006, S. 323-328).

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Diskussion der Autoren

Knight et al. vertreten die Ansicht, dass die niedrige Qualität und mangelhafte Validität der

Studien eine eindeutige Schlussfolgerung über die Wirksamkeit von MI bei Patienten mit

chronischen und physischen Erkrankungen nicht zulässt (vgl. Knight et al. 2006, S. 329).

Die Hauptmängel der ausgewählten Studien seine: eine zu kleine Fallzahl, mangelnde

Teststärke, die Verwendung von grundverschiedenen Outcomes, welche zu einem

unreflektierten Einsatz von validierten Fragebögen führt, und eine oft schlechte Definition

von MI-Beratungen sowie der MI-Ausbildung (vgl. Knight et al. 2006, S. 329).

Für zukünftige Forschung empfehlen die Autoren qualitativ hochwertige Studiendesigns,

in denen größere Stichproben rekrutiert, die erforderliche Teststärke berechnet, validierte,

standardisierte und verallgemeinerbare Messinstrumente eingesetzt als auch detaillierte

Beschreibungen der MI-Intervention und -Ausbildung sowie der Inhalte der Sitzungen

vorgenommen werden (vgl. Knight et al. 2006, S. 329f).

Die Limitierung ihrer systematischen Übersichtsarbeit sehen die Autoren in dem

Ausschluss von nicht-englisch-sprachigen Studien, was zu Bias geführt haben könnte. Dass

viele negative Studien nicht veröffentlicht wurden, mag zu der geringen Anzahl identifi-

zierter Studien geführt haben, vermuten Knight et al. (vgl. Knight et al. 2006, S. 330).

Kritik dieser Studie

Die Übersichtsarbeit von Knight et al. hat mehrere Studien untersucht, deren unterschiedli-

che Designs und Gestaltung einen statistischen Vergleich der Ergebnisse nicht ermöglich-

ten. Zudem wurden nur engschlich-sprachige Studien beachtet, was die Autoren auch

selbst einräumen. Abgesehen von diesen Punkten weist die Übersichtsarbeit von Knight et

al. keine erkennbaren methodischen Mängel auf.

6 Diskussion

In den Ergebnisse der drei RCTs fällt zunächst auf, dass sich mit einer Ausnahme bei

Dilorio et al. (siehe unten) keine statistisch signifikanten Effekte der MI im Vergleich zu

der jeweiligen Kontrollintervention gezeigt haben. Zwei der RCTs haben eine leichte

Verbesserung der primären Endpunkte bei MI-Intervention festgestellt: Golin et al. (Kapi-

tel 5.1) konnten eine Compliance-Steigerung in der Interventions- und ein Compliance-

Abfall in der Kontrollgruppe nachweisen, und Brodie und Inoue (Kapitel 5.3) eine Verbes-

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serung des Energieumsatzes in beiden Studiengruppen. Bei Dilorio et al. (Kapitel 5.2)

zeigte sich hingegen ein Abfall der Compliance sowohl in der Interventions-, als auch in

der Kontrollgruppe, welcher jedoch in der Interventionsgruppe weniger ausgeprägt war.

Damit haben alle drei RCTs positive Effekte von MI in Bezug auf die Compliance gemes-

sen.

Statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Studiengruppen zeigten sich in zwei der

RCTs: bei Golin et al. (Kapitel 5.1) führte MI u.a. dazu, dass die Probanden öfter eigene

Verhaltensziele und -Strategien entwickelten, als dies die Standardbehandlung vermochte;

und Dilorio et al. (Kapitel 5.2) stellten fest, dass die mit MI beratenen Teilnehmer eine

statistisch signifikant höhere Compliance bei der Medikamenteneinnahme zum verordne-

ten Zeitpunkt hatten als die Mitglieder der Kontrollgruppe.

Die systematische Übersichtsarbeit von Knight et al. zeigte in den untersuchten Studien

ebenfalls positive Effekte von MI bei der Mehrzahl der gemessenen psychologischen und

physiologischen Variablen. Keine Wirksamkeit von MI bescheinigten eine oder mehrere

dieser Studien bei Wissenssteigerung, dem erhöhten Verstehen von Familienprozessen, der

Compliance-Steigerung bei medikamentöser Therapie, der Reduzierung des Alkoholkon-

sums und der Verbesserung des Wohlbefindens der jeweiligen Probanden.

Die Ergebnisse besagter Studien sind, nach Ansicht von Knight et al., jedoch nicht geeig-

net konkrete Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit von MI bei chronisch und physisch

erkrankten Patienten zu treffen, da die Studien insgesamt erhebliche qualitative Mängel

sowie eine geringe Validität aufwiesen. Die Zusammenfassung der Ergebnisse ist in Tabel-

le 3 dargestellt:

Nr. Autoren, Stu-

diendesign

(Intervention

jeweils MI)

Stichprobengröße

(n);

Population

Endpunkte Outcomes

1 Golin et al. (2006), RCT

n=117 (2 Gruppen); erwachsene HIV-Patienten mit ART

Primär: durchschnittlicher Compliance-Grad, Virus-lastveränderung; Sekundär: psychosoziale, psychoökonomische und auf Verhaltensänderung bezogene Variablen

keine statistisch signi-fikanten Unterschiede zwischen den Gruppe, mit Ausnahme bei den Variablen der Verhal-tensänderung

2 Dilorio et al. (2008), RCT

n=213 (2 Gruppen); einkommens-schwache, erwach-sene HIV-Patienten mit ART

Primär: durchschnittlicher Compliance-Grad bei An-zahl der tägl. eingenomme-nen Medikamentendosen und Zeitpunkten der

statistisch signifikant bessere Compliance bei Medikamenten-einnahme zum verordneten Zeitpunkt

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Einnahme; Sekundär: Veränderungen bei HIV-Viruslast, CD4-Immunzellen, Drogenkon-sum und Depressions-Score

nach MI-Beratung, sonst keine statistisch signifikanten Unter-schiede zwischen den Gruppen

3 Brodie, Inoue (2004), RCT

n=60 (3 Gruppen); erwachsene Patien-ten mit chronischer Herzinsuffizienz

Primär: täglicher Energie-umsatz bei körperlicher Aktivität; Sekundär: Veränderungen der körperlichen Belastbar-keit auf einer Gehstrecke

keine statistisch signi-fikanten Unterschiede zwischen den Gruppen

4 Knight et al. (2006), sys-temtische Übersichtsar-beit

siehe Tabelle 1 57 gemessene, abhängige Variablen der eingeschlos-senen Studien

mangelnde Qualität und Validität der ein-geschlossenen Studien lassen keine Rück-schlüsse auf Wirk-samkeit der MI zu

Tabelle 3: Zusammenfassung der Studienergebnisse

Qualitätsbewertung

Die Qualität der vorgestellten Studien ergibt sich auf Grundlage der in Kapitel 5 zusam-

mengefassten Informationen und festgestellten Stärken und Schwächen dieser Arbeiten.

Als Instrument der Qualitätseinschätzung werden hier die Levels of Evidence 2001 und die

Empfehlungsgrade aus dem Oxford Centre for Evidence-based Medicine für Interventions-

studien aus dem Jahre 2009 verwendet (vgl. Oxford Centre for Evidence-based Medicine

2009, Levels of Evidence 2001). Die Qualitätsbewertung ist in Tabelle 4 dargestellt:

Nr. Autoren, Studiendesgin Evidenzlevel Empfehlungsgrad

1 Golin et al. (2006), RCT 2b C 2 Dilorio et al. (2008), RCT 1b B 3 Brodie, Inoue (2004), RCT 2b C 4 Knight et al. (2006), systematische Über-

sichtarbeit 1a B

Tabelle 4: Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der untersuchten Studien

Die systematische Übersichtsarbeit von Knight et al. (Kapitel 5.4) beinhaltet soweit homo-

gene Studien, welche einen Ergebnisvergleich zulassen, wenn auch keine statistische Ana-

lyse, und die RCT von Dilorio et al. (Kapitel 5.2) liefert überwiegend methodisch fehler-

freie Ergebnisse mit engen Konfidenzintervallen. Beide Studien, in denen insgesamt wenig

Mängel festgestellt wurden (siehe Kapitel 5 Ergebnisse), erfüllen somit die für ihre Studi-

endesigns notwendigen Qualitätsanforderungen und erreichen damit die jeweils höchst

möglichen Evidenzlevel. Ihre Empfehlungsgrade wurden jeweils mit B bewertet, da die

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von ihnen eingeschlossenen Zielgruppen mit verschiedenen chronischen und/oder physika-

lischen Erkrankungen sowie weiteren Merkmalen, eine Übertragung der Studienergebnisse

auf alle erwachsenen Patienten mit chronischen Erkrankungen nur mit Unsicherheit

zulässt.

In den beiden RCTs von Golin et al. (Kapitel 5.1) und Brodie und Inoue (Kapitel 5.3) sind

erhebliche qualitative Mängel und eine geringe Validität der Ergebnisse festzustellen

(siehe Kapitel 5 Ergebnisse), daher wurden ihre Evidenzlevel jeweils mit 2b eingestuft.

Der Empfehlungsgrad dieser Studien liegt in beiden Fällen bei C, entsprechend ihres

Evidenzlevels und da ihre Ergebnisse aufgrund der spezifischen Zielgruppe nicht auf alle

erwachsenen Patienten mit chronischen Erkrankungen ohne Extrapolationen übertragen

werden können. Damit können Empfehlungen aus diesen beiden Studien praktisch nicht

gegeben werden.

Schlussfolgerung

Die MI kann vermutlich die Compliance von erwachsenen, chronisch kranken Patienten im

Krankenhaus beeinflussen. Ein statistisch signifikanter Unterschied in der Compliance-

Steigerung im Vergleich zu herkömmlichen Methoden ist jedoch wenig wahrscheinlich.

Konkrete Aussagen über die Wirksamkeit von MI bzgl. der Compliance bei Erwachsenen

mit spezifischen chronischen Erkrankungen und Therapien lassen sich außer bei einkom-

mensschwachen, an HIV erkrankten, erwachsenen Patienten mit ART (siehe Kapitel 5.2)

nicht treffen. Bei der besagten Patientengruppe zeigte MI im Interventionsvergleich eine

statistisch signifikante Wirkung auf die Compliance-Förderung bei der Medikamentenein-

nahme zu einem angeordneten Zeitpunkt. Aussagen über die Wirkung von anderen Formen

verhaltensorientierter Beratung auf die Compliance bei erwachsenen, chronisch-kranken

Patienten können nicht getroffen werden. Inwieweit MI oder eine andere Form verhaltens-

orientierter Beratung die Compliance bei der genannten Population steigern kann im Ver-

gleich zu einer fehlenden Intervention ist ebenso unklar.

Limitierung

Für diese systematische Übersichtsarbeit bestehen einige Limitierungen:

- die Recherche erfolgte nur in einer elektronischen Datenbank und schloss

ausschließlich englisch- und deutschsprachige Studien ein, daher könnten relevante

Forschungsergebnisse unbeachtet geblieben sein;

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- Bias können nicht ausgeschlossen werden, da die Studienauswahl und -bewertung

nur von einer Person durchgeführt wurde; und

- die in den ausgewählten Studien verwendete Intervention bezieht nur eine spezifi-

sche Form verhaltensorientierter Beratung ein, daher kann die gestellte Forschungs-

frage (siehe Kapitel 2 Fragestellung) nicht hinreichend beantwortet werden.

Forschungsbedarf

Wie wirksam verhaltensorientierte Beratung bei der Verbesserung der Compliance von

erwachsenen, chronisch erkrankten Patienten im Krankenhaus oder in Bezug auf Patienten

mit einer konkreten chronischen Erkrankung ist, bleibt weiterhin unklar und sollte Gegen-

stand zukünftiger Forschung sein. Studien, welche sich diesem Vorhaben annehmen,

sollten über ein qualitativ hochwertiges Design sowie eine hinreichend hohe Stichproben-

größe verfügen, ausreichend Teststärke vorweisen können, die Beratungsform genau

definieren, valide Messinstrumente einsetzen und eine hohe Qualität der Beratung

nachweisen können.

In Hinblick auf Compliance als primäre, abhängige Variable ist anzumerken, dass

Beratung hier als Instrument zur Förderung der Therapietreue zusätzliche Effekte erzielt,

welche als sekundäre, abhängige Variablen in Frage kommen, wie z.B. mit den Klienten

entwickelte Beratungsziele und Verhaltensstrategien. Motivationen, Ziele, Problemlö-

sungsstrategien usw. sind Outcomes, die vermutlich für jeden verhaltensorientierten

Beratungsprozess relevant sind (siehe Kapitel 3.1 verhaltensorientierte Beratung) und die

wahrscheinlich für Patienten, welche ihr Verhalten langsam und langfristig ändern, wichti-

ge Meilensteine zu einer erfolgreichen Verhaltensänderung darstellen können. Daher soll-

ten sie ebenfalls als Beratungsergebnisse in Form von sekundären Endpunkten gemessen

werden.

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Literaturverzeichnis

Anhang:

A.1 Tabellenverzeichnis

A.2 Abkürzungsverzeichnis

A.3 Eidesstattliche Erklärung

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Anhang

A.1 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Übersicht der von Knight et al. bewerteten Studien S. 32

Tabelle 2 Übersicht der gemessenen Effektivität von MI in den von Knight et

al. untersuchten Studien S. 33

Tabelle 3 Zusammenfassung der Studienergebnisse S. 36

Tabelle 4 Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der untersuchten Studien S. 37

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A.2 Abkürzungsverzeichnis

Ø Durchschnitt

ART antiretrovirale Therapie

eDEMS Electronic Drug Event Monitoring System

log logarithmierte Zahl der Viruslast (Menge an Viren, die in einem bestimmten

Volumen des Blutes vorkommt (normalerweise ein Milliliter))

max maximal

MEMS Medication Event Monitoring System

MI motivational Interviewing

min minimal

n Stichprobengröße

SD Standardabweichung

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A.3 Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere hiermit, dass ich vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe selbständig verfasst und

nur die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Wörtlich oder dem Sinn nach aus anderen

Werken entnommene Stellen sind unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht.

Hamburg, den 30.08.2012

Danilo Taubeneck