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G42089 68 Ausgabe Die Pistolenfamilie Erfahren Sie alles über: Geschichte & Technik Varianten & Schießpraxis P.38 & P1 P.38 & P1 – Die Pistolenfamilie 68 www.visier.de Euro 9,50 Schweiz CHF 14,80 Österreich: 10,40 Niederlande: 11,20 Luxemburg: 11,20 Belgien: 11,20

VISIER-Special 68 Leseprobe

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VISIER-Special 68 Leseprobe

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G42089

68Ausgabe

Die PistolenfamilieErfahren Sie alles über: ■ Geschichte & Technik ■ Varianten & Schießpraxis

Die PistolenfamilieP.38 & P1

P.38 &

P1 –

Die

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www.visier.de

Euro € 9,50Schweiz CHF 14,80Österreich: € 10,40Niederlande: € 11,20Luxemburg: € 11,20Belgien: € 11,20

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INHALT

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Kurzinformationen

� P.38 auf Zelluloid 13� Die HDv von 1940 zum Zerlegen 15� Die HDv von 1940 zum Montieren 19� Defi nitionen 26� Phasenablauf der P.38 27� Buch: Walther – „Eine Erfolgsgeschichte“ 33 � P.38: Walther-Codes 43� Kurze P.38 47� P.38 mit Schalldämpfer 49 � Firmengefl echt 53� Spreewerk: Seriennummern und Fertigungszahlen 56� P.38 und FN 61� Die Firma Mauser 64

� Mauser-P.38 für Frankreich 68� P1-Änderungen 75� P.38: Ruhmann- Stavenhagen 77� P.38: Sonderkaliber 78� P.38 in .22 l. r. 79� P.38 für die BePo 1961-62 85� P.38 in der DDR 87� Technische Daten P4 und P5 89� P.08 versus P.38 99� Der Abnahmestempel des Waffenamtes 103� Taschen: echt und falsch 105� Die Taschen der P.38 107� P.38 und Webley 111� Die WTS 113� Von P1 zu P8 114

Dieser Pistolentyp hat natürlich eine längere

Entwicklungsgeschichte und technische Vorläufer

– welche das sind und von wann sie stammen, das

steht in zwei Artikeln ab Seite 20 und 36 ebenso

wie die Bezeichnung und Kennzeichen der rechts

abgebildeten Kurzwaffe.

Keine P.38, keine P1 ohne die Firma Carl Walther –

mehr zu den wechselvollen Geschicken dieses Unternehmens und den dort gebauten Waffen lesen Sie im Artikel ab der Seite 28.

Die Mitglieder der P.38- und P1-Familie zeigen sich auch mit von der Norm abweichenden Laufl ängen und Kalibern, auch wurden sie von diversen Seiten überarbeitet und variiert. Dazu fi nden Sie durchgängig Informationen in diesem VISIER-Special.

Zum 75. Geburtstag: Die Waffenfamilie P.38/P1 brachte es auf mehrere Hersteller und viele Varianten.Fünf Artikel ab Seite 36 beschreiben das und wer außer Bw-Soldaten (l.) sie noch alles geführt hat.

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INHALT

Und: danke!

Kein Special ohne die Mitwirkung vieler – insbesondere betrifft das Ex-VISIER-Kollege Ulrich Eichstädt, dessen letzter VISIER-Artikel hier erscheint. VISIER-Schlussredakteu-rin Gabriele E. Vierschilling und Re-daktionsassistentin Claudia Mullins prüften die Texte. Michael Schip-pers erledigte das Gros der Fotoar-beiten, unterstützt vom Team der WTS in Koblenz. Die Grafiker Mari-anne Lawen, Gary Zens und Jason Wieger besorgten „die Optik“. Die VISIER-Urgesteine Hartmut Mrosek und Wolfgang Finze befassten sich mit dem Schießen, Finze leistete zudem Vorab-Recherchen zu FN, Mauser und den DDR-P.38. VISIER-Autor Egon Thiel schrieb über die polizeilichen Aspekte, unterstützt von den Autoren Horst Friedrich und Wolfgang Dicke. Stephan Rud-loff widmete sich Webley. Udo Herrmanns technisches Fachwissen machte den „Zerlege“-Artikel erst möglich. Peter Dannecker schrieb den Verschlusskunde-Artikel. Mar-tin Barthelmes, der Sohn des für die P.38 verantwortlichen Walther-Inge-nieurs Fritz Barthelmes, half mit Fo-tos und Infos über seinen Vater. Jan Balcar lieferte einzigartiges Material zum Spreewerk, Michael Heidler den dazugehörigen Text sowie Infos zu den Code-Zeichen. Dennis de Vlieger arbeitete über Taschen und Maga- zine. Helmut Bindls enormes Wissen bildete die Basis des P1-Artikels. Philippe Couvreur und Dr. Jan-Phil-lipp Weisswange organisierten Bild-material. Auch Manfred Kersten, die Carl Walther GmbH, der Verlag Udo Weispfennig und die Hermann Histo-rica halfen mit seltenen Fotos sowie Grafiken weiter, CDS Ehrenreich, Jo-chen Wurster und Jürgen Ruhmann mit Realstücken: Ihnen und allen Nichtgenannten ein herzliches Dankeschön – das ist auch Ihr Heft! AS/MSR

Einführung

Im Club der Großen 6Wieso die P.38 zu den großen Ordonnanz-Modellen des 20. Jahrhunderts zählt.

Zerlegen & Montieren

Im De-Teil 14Wie man eine P.38 fachgerecht demontiert und wieder zusammensetzt.

Verschluss & Technik

Riegel-Taktik 20Wie die Sache mit dem berühmten Schwenkriegel genau funktioniert.

Die Firma Carl Walther

Familien-Saga 28Das Logo mit der Schleife – von Zella-Mehlis in Thüringen bis Ulm in Württemberg.

P.38 bei Walther

Aller Anfang ... 36Die Vorläufer und der Werdegang der Walther-Pistole im II. Weltkrieg.

Spreewerk Grottau

Aus einer alten Zeit 50Wie und unter welchen Umständen die P.38 auch in Böhmen gebaut wurde.

P.38 bei Mauser

Alles, nur nicht freiwillig 58Warum die P.38 auch bei einem von Walthers Hauptkonkurrenten entstand.

Von der P.38 zur P1

Zweiter Lebensabschnitt 66Wie sich die Nachkriegskarriere der P.38 in der Bundeswehr entwickelte.

Polizei

Bereitschaftsdienst 82Nach dem Krieg trugen auch manche Ordnungshüter eine Pistole 38 am Koppel.

Schießen & Handhaben

In der Praxis 90Was man als Schütze über den Umgang mit der P.38 und der P1 wissen sollte.

Taschen, Magazineund Griffschalen

Der Spaß steckt im Detail 100Sammlern bietet diese Pistolenfamilie ein ungeahnt reiches Betätigungsfeld.

Anhang

Zum Schluss 108Adressen von Fachhändlern, Herstellern und Tunern – und noch einiges mehr.

Helmut Bindl (l.) befasst sich seit Jahren mit der P1 – ohne seine Arbeit hätte sich das Kapitel zu der Bw-Pistole nicht schreiben lassen. Jan Balcar (r.) aus Pilsen erforschte grundlegend die Historie des Spreewerks und stellte reichlich Material.

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Fragt man unter historisch halbwegs versierten Kurzwaffenfans nach den großen, sprich bedeutenden Or-

donnanzpistolen des 20. Jahrhunderts, dann fallen fl ugs die Namen verschiede-ner Waffentypen. Allen voran geht das meistens los mit den üblichen Verdäch-tigen, also mit der Colt M 1911 Govern-ment und der Pistole 08. Gefolgt von Waffen wie der FN High Power oder auch der Beretta 92 F, die unter der Bezeich-

nung M9 offi zielle Dienstwaffe der US-Armee ist und als solche längst die Millionenmarke geknackt hat. Der ein oder andere verweist noch auf die tsche-chische CZ 75, die zahlenmäßig auch zu diesem illustren Club gehört − auch wenn die Masse davon wohl eher im Poli-zei- und Zivilmarkt abgesetzt worden sein dürfte. Dasselbe gilt für den Kurzwaffentyp, der mehr als jeder an-dere die Tür ins 21. Jahrhundert aufge-

stoßen hat. Gemeint ist die österreichi-sche Glock-Pistolenfamilie. Hm. Bleibt nur eine Frage. Warum sagt jetzt eigent-lich niemand Walther P.38? Denn seit dem Fertigungsbeginn entstanden da-von zirka 1,2 Millionen Stück – bis zum Kriegsende 1945. Das heißt, dass man zu dieser Zahl noch die Menge hinzu-addieren kann, welche die bundesdeut-sche Abwandlung P1 betraf. Und die Stücke, die andernorts gefertigt res-pektive eingesetzt worden sind. Summa summarum sicher noch mal ein paar hunderttausend Exemplare.

Rein von der Menge her also fraglos ge-nug Stoff, um die P.38 in den Kreis der ganz Großen aufzunehmen – und ihr zum 75. Geburtstag dieses Sonderheft zu widmen. Trotzdem fehlt es dieser Waffe etwas am mythischen Nimbus. Über die Entstehung solcher Legen-den zu diskutieren, ist freilich ein spannendes, wenn auch

Im Club der Großenment und der Pistole 08. Gefolgt von Waffen wie der FN High Power oder auch der Beretta 92 F, die unter der Bezeich-

sein dürfte. Dasselbe gilt für den Kurzwaffentyp, der mehr als jeder an-dere die Tür ins 21. Jahrhundert aufge-

Über die Entstehung solcher Legen-den zu diskutieren, ist freilich ein spannendes, wenn auch

EINFÜHRUNG

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weithin müßiges Unterfangen, das sich selten nur an der reinen Leistung fest-machen lässt. Um mal ein fachfremdes Beispiel zu bemühen: Über Oliver Kahn werden Fußballfans noch in Jahren diskutieren – aber über Eike Immel? Government und Null-Acht haben diesen Nimbus, der sie nicht nur für Sammler dieser Pistolentypen begehrlich macht, sondern ihnen auch zu einer darüber hi-naus gehenden Popularität verhilft. Es wäre nun völlig falsch, der P.38 jegli-chen Bekanntheitsgrad und alle Sam-mel-Zugkraft abzusprechen. Aber einige kleine Experimente im Vorfeld der Re-cherchen zu diesem Heft zeigten: Gut informierte Pistolenfans konnten leicht mehr als nur einen der Unterschiede

Nach wie vor hat die Walther P1 ein offi zielles Dienstfeld: Sie steckt in den Taschen des Weißzeuges, das die Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr bei ihren Einsätzen und Paraden tragen.

Dieser Kradfahrer posiert auf seinem BMW-Motorrad für den Fotografen, am Koppel eine der frühen Taschen, bei denen man die am Deckel angenähte Verschlusslasche durch einen Metallbügel steckte.

Für die Vielfalt der Pistolenfamilie P.38/P1 spricht diese in der WTS fotografi erte Siebener-Reihe, bei der es polierte und brünierte Oberfl ächen ebenso

gibt wie ein phosphatiertes Finish. Auch die Griffschalen zeigen den Variantenreichtum,

der auf die Sammler wartet.

Dieser Kradfahrer posiert auf seinem BMW-Motorrad für den Fotografen, am Koppel eine der frühen Taschen, bei denen man die am Deckel angenähte Verschlusslasche durch einen Metallbügel steckte.

Für die Vielfalt der Pistolenfamilie P.38/P1 spricht diese in der WTS fotografi erte Siebener-Reihe, bei der es polierte und brünierte Oberfl ächen ebenso

gibt wie ein phosphatiertes Finish. Auch die

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listet Manfred Kersten die Länder auf, in denen sie zum Teil bis in die 1990er Jah-re in mehr oder minder großem Umfang als offi zielle Dienstwaffe fungierte: „Angola, Argentinien, Österreich, Bangla-desh, Bolivien, Tschad, Chile, Kolumbien, Tschechoslowakei, DDR, Frankreich, Iran, Irak, Nigeria, Pakistan, Paraguay, Peru, Portugal, Nordkorea, Nordvietnam, Norwegen, Rhodesien, Sowjetunion, Süd-afrika, Türkei, Venezuela und die Bundesrepublik Deutschland – um nur einige zu nennen.“

Doch das eigentliche Plus der Waffe lag in ihrer Konstruktion, mit der sie sich weitgehend vom internationalen Stan-dard unterschied, „denn“, so VISIER-Autor-Wolfgang Finze, „mit der P.38 begann letztlich eine völlig neue Entwick-lungsstufe bei Armeepistolen.“ Blickt man damals auf die aktuell ausgegebe-nen Ordonnanzpistolen, dann zeigte sich folgendes Bild: In den USA führten die GIs mit der von John M. Browning federführend konstruierten 1911er Colt-Pistole eine Single-Action- oder Hahnspanner-Waffe, bei welcher der Lauf beim Repetieren abkippte und her-nach komplett vom Schlitten und der

Nicht alle P.38 kamen in mattem Finish − rechts ein laut Code-Zeichen ac41 im Jahre 1941 bei Walther gebautes Stück, eins der letzten mit Hochglanzfi nish. Links eine 1982 zivil beschossene P1, mit Alugriffstück samt der Stahlstift-Verstärkung. Wie bei allen nach dem Krieg gebauten Varianten gibt es hier eine zweiteilige Laufkonstruktion mit „Seelenrohr“.

Die P.38 schwamm technisch gegen den Strom – international war damals der Trend, Ordonnanzpistolen an das Colt-Browning-Konzept anzulehnen. Hier die polnische Radom VIS wz 1935. Den Konstrukteuren Jan Skrzypinski und Pjotr Wilniewczyc gelang es, die Waffe durch Entspannhebel und andere Verbesserungen zu optimieren.

Von Aimo Johannes Lahti entwickelt, ähnelt die fi nnische Lahti L-35 der P.38 durch ihren freistehenden Lauf (im Bild eine Husqvarna m/40, eine schwedische L-35-Kopie). Mit ihrem separat im Oberteil laufenden Verschluss und dem Schlagbolzenschloss hat sie aber eine völlig andere Funktionsweise als die P.38.

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als „Dustcover“ bekannten Frontpartie des Griffstücks verdeckt war. Ein inneres wie äußeres Design, dem auch noch vie-le Zeitgenossen der P.38 folgten: Für die 1930 in Stalins Reich eingeführte Toka-rew-Pistole gilt das ebenso wie für die 1935 von Dieudonné Saive bei FN auf Ba-sis Browningscher Vorarbeiten entwi-ckelte M 1935 Grande Puissance alias FN 1935 High Power. Auch das zeitgleich in Polen eingeführte Radom-Modell ist eine Abwandlung des Government-Prinzips mit einigen Verbesserungen, wie optimierte Griffwinkel und Ent-spannhebel. Und auch die im spanischen Baskenland ansässigen Hersteller wie Star-Echeverria lieferten Semiautos im Colt-Browning-Look, wenn auch wie die Radom mit mehr oder minder stark veränderter Technik.

Im Vergleich dazu gingen die Konstrukteure im damals noch in Zella-Mehlis ansässigen Walther-Werk einen ganz anderen Weg. Um mal mit der un-verwechselbaren Linienführung anzu-fangen: Die P.38 kennzeichnete sich durch einen freistehenden Lauf, einen eckigen Schlitten mit rundem Buckel und einer über dessen gesamte Breite gehenden Auswerferöffnung. Ebenso charakteristisch waren die nasenartig vorspringenden Hahn- und Griffsporne sowie drei Bedienelemente links.

Auch die 92er Pistolenfamilie von Beretta ist in Sachen Verriegelung mit der P.38 verwandt. Der Schlitten hat auch den vorderen Steg, jetzt freilich bei fast bis zur Mündung verlängerter Form. Auf diesem Prinzip basierte mit der Beretta 90two auch die 2006 vorgestellte Version, deren Ergal-Griffstück nun mit Picatinny-Rail aufwartet.

Die Walther P5 ist ein Abkömmling der P.38, aus dieser entwickelt ab Oktober 1975; ab Mitte 1977 lief die Serienfertigung der P5. Ihr Verriegelungssystem ist eine Modifi kation desjenigen der P.38. Anders als diese hat sie aber einen geschlossenen Schlitten, der bis zur Mündung der Pistole reicht.

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Schlichtweg mit brillantem Blick aufs Praktische ausgeführt erwies sich der Zerlegemodus: Einfach den Schlitten etwas zurückziehen, dann den Hebel vorn links am Griffstück umschwenken, schon kann man das Oberteil abstreifen (wie das komplette Zerlegen geht, schildern Udo Hermann und Andreas Skrobanek ab Seite 14): Im Vergleich zum Demontieren manch älteren Ent-wurfes geht das weitaus einfacher und sicherer. Allein schon, weil beim Zusammenbau das Bändigen der Vor-holfeder entfi el: Statt dessen gibt es hier zwei davon, unverlierbar, links und

rechts in zwei Führungen des Griff-stücks montiert.

Überhaupt ist innen drin alles ganz anders, als es die Soldaten der 1930er Jahre meistens von ihren Kurzwaffen kannten: Nichts da mit Luger-Knie-gelenkverschluss, Laufsteuerung per Kettenglied à la Colt-Browning bezie-hungsweise mittels fester Highpower-Steuerkurve. Statt dessen fand sich bei dem Walther-Entwurf ein beweglicher Schwenkhebel (zu dessen Vorgeschichte Sie im Lauf dieses Heftes noch einiges erfahren). Diese für Militärpistolen neu-

artige Verriegelung kombinierte Wal-ther mit jenem patentierten Abzugs-system, mit dem die Techniker um Fritz Walther ab 1929 für Furore gesorgt hatten (und zu dessen Vorgeschichte Sie ebenfalls noch etwas lesen werden): Dieses Prinzip fand sich im Modell PP so-wie in der davon abgeleiteten verkürz-ten Variante PPK (jeweils lieferbar in den Kalibern 9 mm kurz, 7,65 mm, 6,35 mm und .22 l. r.). Und diese Konstrukti-on übertraf alles Vergleichbare: Der Schütze brauchte den Hahn vor dem Schuss jetzt nicht mehr mit dem Dau-men oder der zweiten Hand aufzuzie-hen. Denn diese Aufgabe übernahm wie bei einem Revolver mit Single-/Double-Action-Abzug der Schießfi nger, der da-mit auch den Schuss auslöste. Sprich: Die Walther-Pistolen boten erstmals die Wahl zwischen Spannabzugs- und Hahn-spanner-Funktion. Denn die P.38 bot (im Gefolge der Walther PP) als eine der ers-ten Waffen einen völlig sicheren Spann-abzugsmechanismus. Steckt bei fertig geladener Waffe eine Patrone im Lauf, dann lässt sich der Schlagbolzen und

Souvenirs, Souvenirs: Bei den GIs war die deutsche Ordonnanz-Kurzwaffe nach dem II. Weltkrieg eins der gesuchtesten Mitbringsel – hier posieren zwei US-Soldaten mit einer MP 40 und einer Pistole P.38.

Die wohl ausgefallensten P.38-Spielarten gab es in der 1960er TV-Serie „Solo für O.N.K.E.L.“ (US-Titel: „The Man from U.N.C.L.E.“): Hauptdarsteller Robert Vaughn erhielt ein Muster mit Schulterstütze, langem Magazin und Zielfernohr. Das wurde dann auch für Fans als Kit auf dem US-Markt angeboten. Ebenfalls aus der Serie stammte die modifi zierte P.38 mit kurzem Lauf – und Feuerdämpfer ...

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damit das ganze Gerät sichern, indem man den Sicherungshebel auf Position S stellt und den Hahn vorlässt. Nun kann man die Walther gefahrlos tragen. Im Fall der Fälle reicht dann ein Druck auf den Abzug, um zu feuern.

Und dieses Beispiel machte Furore – rein technisch wirft die zu Kriegsbeginn ein-geführte Waffe einen bis heute reichen-den Schatten: Der Schwenkriegelver-schluss, das SA-/DA-System und das Schnellzerlegeprinzip fanden sich in abgewandelter Form auch anderswo

wieder. Walther verwendete es bei den als P4 bekannten Modellen ebenso wie bei der P5. Und auch diverse Beretta-Modelle weisen diese unübersehbaren teutonischen Gene auf – somit führen die US-Soldaten mit ihrer Beretta 92 F alias M9 heute eine Ordonnanzpistole, deren konstruktive Wurzeln im Thürin-gischen liegen: Alles nicht schlecht für eine Waffe, die vielen nur als eher farb-loser Nachfolger der legendären Null-Acht galt. Und wie es sich mit alldem im Detail verhält, das lesen Sie auf den Folgeseiten dieses Heftes. MSR

P .38 auf Zelluloid

Wie viele international weit verbreitete Waffenmodelle fand sich auch die P.38 in vielen Filmen wieder, und das bei weitem nicht nur in solchen zum II. Weltkrieg. Kinofans erinnern sich an „Die Wildgänse kommen“, in denen Roger Moore und Richard Burton derartige Waffen führen. Oder an jene Szene aus dem dritten Teil der „Indiana-Jones“-Reihe, in welcher der Titelheld beim Kampf auf einem Panzer mit einem Schuss aus einer P.38 sogar drei feindliche Soldaten durchbohrte. Doch ihr wohl skurrilstes Hollywood-Gast-spiel gab die Walther in dem 1971 gedrehten John-Wayne-Western „Big Jake“: In dem 1909 (!) spielenden Film sah man auch eine angebliche „Bergmann-Pistole M 1911“ (!!), wobei das offensichtliche Problem mit dem Modelljahr so erklärt wurde: „... ein Versuchsmodell, wir sind an der Firma beteiligt.“ Realiter hätte das Bergmann 1896 heißen müs-sen. Jedoch war wohl kein Exemplar dieser Rarität greif-bar. Daher trimmten die Requisiteure einfach eine Walther

P.38 mit entsprechenden Applikationen auf den Look dieser frühen Selbstladewaffe: Im Film geht halt alles. Da diese Attrappe so unverwechselbar-knuffig aussah, hatte sie zwei Jahre später im Gangsterepos „Black Caesar“ mit Fred Wil-liamson in der Hauptrolle prompt ihren nächsten Auftritt. Überhaupt taten Kino und TV das Ihre, um diesen deutschen Pistolentyp in den USA noch bekannter zu machen: In den 1960ern führten die Hauptdarsteller von Serien wie „Mit Tennisschlägern und Kanonen“ gern auch die immer noch als Hightech geltende Waffe mit dem Schwenkriegelver-schluss. Und bei der berühmten „Uncle Special“-Pistole des von Robert Vaughn verkörperten Geheimagenten Napole-on Solo aus der TV-Serie „Solo für O.N.K.E.L.“ handelte es sich wie schon bei „Big Jake“ um eine modifizierte P.38 – hier gekürzt und mit einem Mündungsaufsatz samt lauter Längsschlitzen. Zudem gab es dafür mit von den Requisiteu-ren ersonnenen Dreingaben wie Schulterstütze, Lauf- und Magazinverlängerung, Schalldämpfer sowie Spezialmonta-ge wohl mehr Zubehör als für jede sonstige P.38 ... MSR

Einmalig: Die auf den Look einer Bergmann-Pistole getrimmte P.38, die ihren ersten Einsatz im Western „Big Jake“ sah und ihren zweiten in Gangsterfilm „Black Caesar“, aus dem diese Bilder stammen.

Die TV-Serie „Mit Tennisschlägern und Kanonen“ (Original: „I Spy“) machte ihre Akteure Bill Cosby und Robert Culp welt-berühmt – und sorgte durch Culps Bewaff-nung dafür, dass kurzläufige P.38 verstärkt ins Licht der Öffentlichtkeit rückten.

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ZERLEGEN & MONTIEREN

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Das feldmäßige Zerlegen der Pistole 38 fällt nicht schwer. Schwieriger gestaltet sich schon die komplette

Demontage, obwohl dafür ein bis zwei Schraubenzieher in der richtigen Größe genügen. Exemplaren aus der Kriegsfer-tigung fehlt nicht selten an vielen Stel-len ein gutes Finish. Wenn es also ir-gendwo hakt oder klemmt, bedeutet das nicht, dass der Liebhaber beim Zerlegen gerade etwas falsch macht. In solchen Fällen kommt es nur auf die richtige Mi-schung von Kraft und Fingerspitzenge-fühl an. Das gilt noch viel mehr für das Zusammenbauen. Ein Tipp vom Sammler

Udo Herrmann, der für dieses Heft eine P.38 aus Grottauer Produktion ausein-ander nahm: „Sowohl im Griffstück als auch im Verschluss (dem Schlitten) be� n-den sich auch sehr kleine � ligrane Federn. Deshalb auf keinen Fall eine P.38 in einem Raum mit Teppichboden komplett zerle-gen, weil man dann nicht einmal hört, dass etwas auf den Boden fällt.“ Vor dem Zusammensetzen gönnen die meisten Besitzer ihrer 38er noch eine ordentli-che Portion Waffenöl. In der hier abge-bildeten historischen Broschüre der Pis-tole ermahnte Hersteller Walther seine Kunden allerdings schon vor Jahrzehn-

ten zur Sparsamkeit: „Es ist nicht nötig, die Walther P. 38 stark einzuölen, damit sie funktioniert. Im Gegenteil gefährdet stärkeres Ölen oder Einfetten die Funkti-onssicherheit, (...). Daher nur ganz hauchdünn (...) ölen!“ Konkret: „Die Tei-le dürfen keine sichtbaren Spuren von Öl oder Fett zeigen, sondern sich nur ganz leicht fettig anfühlen. An die Hahnklappe kann bei zurückgelegtem Hahn mit Hilfe einer Vogelfeder oder eines Hölzchens ein kleiner Tropfen Öl gegeben werden, um den Spannabzug gängig zu machen. Eben-so können die Gleitstellen am Griff, Lauf und Verschluß ein wenig Öl erhalten.“ AS

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Waffe sichern und entladen!

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ZERLEGEN & MONTIEREN

Bis hierher und nicht weiterViel Vertrauen in die Fähigkeiten des „Landsers“ hatten die Verfasser der Heeresdienstvorschrift von 1940 offenbar nicht. Das Regelwerk erklärt im Detail, welche Hand an wel-cher Stelle zupacken muss: Nach dem Sichern und Entladen der Pistole sollte der Soldat die P.38 in die rechte Hand neh-men, den Daumen am Fanghebel anlegen, das Verschluss-stück mit der linken Hand zurückziehen, dann den Fang-hebel mit dem rechtem Daumen hochdrücken, bis dieser in die entsprechende Ausfräsung am Verschlussstück eintritt. Anschließend den Laufhaltehebel mit der linken Hand nach vorn drehen, bis er hörbar einrastet. Das Verschlussstück mit der linken Hand kurz zurückziehen, bis der Fanghebel durch Federkraft in seine tiefste Stellung zurücktritt, das Verschlussstück mit Lauf (ohne mit der linken Hand loszu-lassen) nach vorn vom Griffstück abschieben. Die nächsten Schritte: „Verschlussstück mit Lauf in rechte Hand nehmen. Mit rechtem Daumen den Riegelbolzen eindrücken und mit der linken Hand den Lauf aus dem Verschlussstück herausziehen. Lauf, Mündung nach oben, in linke Hand nehmen. Riegel mit rechter Hand aus seinem Lager zwischen den Führungsstücken herausnehmen.“ Jedes weitere Zerlegen war dem Mann im Feld of� ziell verboten und blieb der Instandsetzung vorbe-halten. Selbst vom Magazin sollte der Schütze möglichst die Finger lassen und es nur auseinander nehmen, „wenn es naß oder verschmutzt ist.“ AS

Um den Verschluss (Schlitten) in der offenen Stellung zu arretieren, empfahl Walther früher (anders als die Heeres-dienstvorschrift von 1940) nicht den Fanghebel, sondern das leere Magazin zum „Offenstellen“. Der frühere Polizei-Waffenmechaniker Udo Herrmann spart sich mit diesem Griff den ersten Schritt. Seine rechte Hand hält den Schlitten hinten, die andere kann den Laufhaltehebel sofort nach vorn drehen. Der Sondergriff verstößt gegen die HDV von 1940, deutsche Fallschirmjäger übernahmen ihn aber schon im Zweiten Weltkrieg von der P.08.

Jetzt Schlitten und Lauf gemeinsam nach vorn vom Griffstück herunterschieben, ohne beides dabei loszulassen.

Die Verriegelung zwischen Lauf und Verschluss durch Eindrücken des Riegelbolzens lösen und den Lauf nach vorn aus dem Verschluss ziehen.

Schwenkriegel vom Lauf trennen. Den nicht verstif-teten, sondern per Körnung fi xierten Riegelbolzen sollte man nicht entnehmen, weil dabei Material zurückgedrückt wird. In der Regel ist das auch nicht nötig, denn dieser Bolzen bricht nur sehr selten.

Die Riegelfeder lässt sich nach dem Eindrücken ihrer Zunge leicht mit einem Schrauben-zieher herausziehen. Doch Vorsicht: Sie springt dabei gern durch die Gegend.

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VERSCHLUSS & TECHNIK

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Riegel-Taktik

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VERSCHLUSS & TECHNIK

Gut kombiniert: Selbst unter ein-gefl eischten Sammlern gilt die P.38 nicht unbedingt als Meilen-

stein der Technikgeschichte. Tatsäch-lich nutzten der Konstrukteur Fritz Barthelmes und seine Kollegen längst Bekanntes. Herzstück des Verschluss-systems: ein Schwenkriegel. Doch schon in der Construktion 96 sorgte ein Riegel für eine „starre“, also formschlüssige Verriegelung. Aber im Gegensatz zur berühmten Mauser-Pistole von 1896 und zur P.08 nimmt bei der P.38 hinter dem Patronenlager keine Laufverlänge-rung Verriegelungsteile auf. Ein Schritt in Richtung moderner Selbstladepisto-le. Doch auch das gab es schon, bevor die P.38 auf dem Reißbrett in Zella-Mehlis Konturen annahm — nämlich in einer Selbstladepistole von Bernhard Müller, die der Winterthurer Büchsen-macher im Jahre 1902 vorlegte. Diese Waffe im Kaliber 7,65 Parabellum ver-riegelte ebenfalls formschlüssig mittels Schwenkriegel.

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DIE FIRMA CARL WALTHER

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Überall auf der Welt kennt man die berühmte Walther-Schleife – da-bei ist sie gar keine. Das Marken-

zeichen der Firma Carl Walther, ein-getragen am 8. Oktober 1912 ins Waren-zeichenregister beim Reichspatentamt, war eigentlich ein an einem imaginären Mast oder einer Lanze � atterndes Banner. Nur passte dieses Motiv, schräg hängend nach unten, auf kein Ver-schlussgehäuse. Zunächst wurde beim

Stempeln neuer Waffen etwas getrickst und der Schriftzug gekippt, aber erst 1925 entstand die noch heute ver-wendete waagerechte Form – eben wie eine Schleife.

Als Carl Walther mit gerade einmal 28 Jahren seine Waffenwerkstatt eröff-nete, geschah dies in St. Blasii, einem Ortsteil des thüringischen Zella-Mehlis. Und dieses Städtchen hatte Büchsen-

macher-Tradition, auch die schon 1856 gegründete Gewehrfabrik von Johann Gottlieb (J. G.) Anschütz hatte dort ihre Wurzeln. Beide Firmen sind zumindest im selben Teilbereich der Sportwaffen bis heute tätig und seit den Nachkriegs-jahren in Ulm ansässig. Carl Walther stellte Ende des 19. Jahrhunderts zu-nächst Jagd- und Scheibengewehre her, letztere mit den beliebten Fallblockver-schlüssen nach dem System Martini und

Familien-SagaFamilien-Saga

Die Familie Carl Walther (um 1906, v. l.): Georg, Erich, Mutter Minna, Lothar, Willy, Vater Carl und Sohn Fritz

Familien-Saga

Modell 1 in fast neuwertigem Zustand,

wurde bei Hermann Historica versteigert.

Die legendäre Walther-Schleife war eigentlich ein schräges Banner, und so wurde es als Markenzeichen am 8. Oktober 1912 eingetragen (ohne Träger ...).

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DIE FIRMA CARL WALTHER

später nach der Konstruktion von Carl Wilhelm Aydt aus dem benachbarten Suhl. Das Schützenwesen (1861 wurde der Deutsche Schützenbund gegründet) war ein fester Bestandteil der Gesell-schaft geworden, also gab es auch entsprechende Nachfragen nach präzi-sen Gewehren.

Auch drei der fünf Söhne Walthers, näm-lich Fritz August, Georg Karl und Willy

Alfred, lernten in der väterlichen Werk-statt das Traditionshandwerk. Die bei-den anderen blieben ebenfalls im Haus, Erich als Kaufmann und Carl Lothar als Werkzeugmacher. Schon 1903 wurde die wachsende Firma auf dem Katzbuckel Nr. 2 auf drei Stockwerke ausgebaut, die Maschinen trieb ein Dieselaggregat an.

Nach seiner Gesellenprüfung 1906 war der älteste Sohn Fritz nach Berlin gezo-

gen, damals das deutsche Epizentrum des Waffenbaus. Als Werkzeugmacher mit kärglichem Lohn begann er bei den Deutschen Waffen- und Munitionsfabri-ken. Aber er bewegte sich in einem zumindest Konstrukteure belebenden Umfeld: Zum DWM-Konzern gehörten bereits die Karlsruher Metallpatronen-fabrik Lorenz, die Mauser-Werke in Oberndorf, die österreichische Waffen-fabrik in Steyr, die ungarische Waffenfa-

Die beiden aktuellen geschäftsführenden Walther-Gesellschaf-ter Martin Wonisch (l.) und Eyck Pfl aumer.

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Rund um die Jahreszahlen zur P.38 gibt es einige Verwirrung, was schon beim Namen anfängt: Die Be-

zeichnung P.38 lässt vermuten, dass sie 1938 an die Wehrmacht ging. Aber abge-sehen von diversen zuvor ausgegebenen Versuchsstücken wurde diese Waffenart

of� ziell am 26. April 1940 eingeführt. So, wie es sich geziemt: per Verfügung vom Oberkommando des Heeres (OKH). Die Dienst-Bezeichnung P.38 rührte ent-gegen sonst üblichen Gebrauchs vom Jahresbeginn der Fertigung her. Lässt sich dieses Zahlenverwirrspiel noch

recht leicht au� ösen, wird es andernorts schwieriger – bei der Suche nach dem Beginn der P.38-Story: 1934, 1931, 1929 oder 1902. Jede dieser Jahreszahlen steht für ein Datum, an dem etwas für die P.38 Wichtiges geschah. Um in der Chronologie von hinten anzufangen:

Aller Anfang ...Aller Anfang ...Aller Anfang ...P.38 BEI WALTHER

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1934 und 1931: Die Quellen nennen diese als die Jahre, in denen Reichswehr respektive Wehrmacht of� ziell verlau-ten ließen, sie wünschten Ersatz für die damalige Ordonnanzpistole, die Luger P.08 alias Parabellum-Pistole. Die Anfor-derungsliste speiste sich aus den nega-

tiven Erfahrungen mit der P.08. Die rührten großteils von dem Umstand her, dass der technische Stand aus der Ära des letzten Hohenzollern-Kaisers längst überholt war. In der Kritik standen die zu hohe Teile-zahl der P.08, der infolge der auf-wändigen Fertigung hohe Preis, ihre recht komplizierte Hand-habung und der Mangel an Si-cherheit. Die meisten Unfälle ereigneten sich bei dem Zerle-gegriff, bei dem man den Lauf gegen die Spannung der Schließfeder um ein paar Millimeter nach hinten drückt. Die Fachwelt kennt das als den „Lugergriff“: Die Hand umfasst die Waf-fe von hinten und bewegt so den Verschluss in die

gewünschte Richtung. Je nach Hand-haltung richteten die Soldaten den Lauf dabei zwangsläu� g gegen sich selbst. Haperte es nun mit der vorgeschriebe-nen Sicherheitskontrolle und rutschte die Hand ab, löste die Waffe schon ein-mal aus – häu� ge Folge: Bauchschüsse. Zudem ließ sich die P.08 geladen und gespannt zerlegen und konnte so auch in teilzerlegtem Zustand schießen, was ebenfalls zu Unfällen führte.

Die Wunschliste der Militärs um-fasste folgende Details:- ein Sicherungselement (in Form eines Hebels oder Knopfes), das Zündstift UND Schlagstück sperren sollte,- ein Magazinhalter am Griffstückboden, um das Magazin sicher zu halten,- einen einfachen Aufbau, damit die Soldaten die Waffe binnen Sekunden in wenige große, möglichst unverlierbare Teile zerlegen sowie Störungen rasch beheben konnten,- kurze Herstellungszeiten,- niedrige Fertigungskosten,- keine aufwändigen Fräs-Einzelteile, sondern möglichst einfache Gesenk-schmiede-Teile,- Austauschbarkeit der Teile auch, wenn von verschiedenen Firmen kommend,

womöglich auch solchen ohne Erfahrung im Waffenbau,- Unemp� ndlichkeit für unterschiedlich stark laborierte Munition.Am nun folgenden Rennen beteiligten sich die Firmen Mauser, die Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeugwerke, Sauer & Sohn sowie Walther. Die letztgenannte Firma setzte sich durch, sonst läsen Sie womöglich jetzt in einem VISIER-Special zur Sauer & Sohn P.38. Aber weder be-sorgte Fritz Walther allein die Entwürfe, noch entstand für dieses Modell eine Konstruktion, deren technische Elemen-te alle komplett neu waren. Und das führt bei unserer rückwärtsgewandten Zeitreise nunmehr ins Jahr

1929: Wie im Kapitel zur Firma Walther (Seite 28) ausgeführt, hatte das Werk aus Zella-Mehlis seit 1908 Selbstlade-pistolen gefertigt. Ausgerechnet im Jahr der Weltwirtschaftskrise legte Fir-menchef Fritz Walther mit seiner „Polizei-Pistole“ (Mod. PP) eine Neuerung vor, die � ugs zum Verkaufsschlager avancierte. Ihr P� ff: Spannabzug und außenliegen-der Hahn gestatteten die Wahl zwischen Single- und Double-Action-Modus, also zwischen Hahnspanner- und Spannab-zugs-Betrieb. Zudem besaß die Pistole mit dem kraftschlüssig verriegelten „Masse“-Verschluss und dem griff-stückfesten Lauf einen Sicherungs� ügel und eine Ladestandsanzeige. Mit diesen Elementen bildeten dieses Modell und damit die zwei Jahre später eingeführte, kürzere PPK in ihrem Beritt den fort-schrittlichsten Stand der Technik. Diese Elemente sollten sich auch bei der P.38 wieder� nden, ergänzt um den berühm-ten Schwenkriegel der P.38, den Walther für das G 43 verwendete und der sich bei den Modellen P4 und P5 sowie bei eini-gen Modellen von Beretta und Taurus wieder� nden sollte. Jedoch beginnt die Geschichte von Abzugssystem und Schwenkriegel nicht in Zella-Mehlis. Die Recherche nach deren Anfängen führt weiter in die Vergangenheit, in die Zeit, die man „Frühgeschichte der Selbstlade-pistole“ nennen könnte. Mit Blick auf Fo

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tiven Erfahrungen mit der P.08. Die rührten großteils von dem Umstand her, dass der technische Stand aus der Ära des letzten Hohenzollern-Kaisers längst überholt war. In der Kritik standen die zu hohe Teile-zahl der P.08, der infolge der auf-wändigen Fertigung hohe Preis, ihre recht komplizierte Hand-habung und der Mangel an Si-cherheit. Die meisten Unfälle ereigneten sich bei dem Zerle-

gewünschte Richtung. Je nach Hand-haltung richteten die Soldaten den Lauf Oben eine Lithographie der Zeitschrift

„Signal“, das in sehr heroisierender Weise deutsche Soldaten beim Kampf gegen feindliche Panzerverbände zeigt. Ein Mann mit Panzerfaust, der in der Mitte mit P.38 und der rechts mit Stielhandgranate.

Links: Zwei Walther P.38: Gemäß der Fertigungscode-Stempelungen ac 41 und ac 43 datieren sie von 1941 und 1943. Beide mit dem für Walther üblichen WaA-Stempel „A/359“.

Technik-Steckbrief:Kaliber: 9 mm ParabellumKapazität: 8 + 1 PatronenMaße: 216 x 36 x 138 mmLau� änge: 125 mm, 6 Züge rechtsGewicht: 943 gFinish: brüniert

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P.38 BEI WALTHER

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SPREEWERK GROTTAU

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Einsteiger in das Sammelgebiet tippen nicht selten daneben, wenn sie die Herkunft einer P.38 mit der

cyq-Stemplung nennen sollen. Der Code steht für die Firma Spreewerk. Doch die so gekennzeichneten Stücke ent-standen nicht in Spandau, sondern in Grottau, das heute „Hrádek nad Nisou“ (Hradek an der Neiße) heißt. In der tschechischen Kleinstadt nahe der deutschen Grenze lebten 1921 nur 4473 Bürger, lediglich zweieinhalb Prozent der Einwohner waren Tschechen. Das klingt nach einem schönen, beschauli-chen Nest, in dem die Menschen fried-lich ihrem Tagewerk nachgingen. Aber

so war es nicht. Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit trafen in den 1920er Jahren auch die kleine Indust-riestadt mit voller Wucht. Und auch po-litisch waren es unruhige Zeiten: Deut-sche Parteien von Sozialdemokraten bis zu den Nationalisten und radikalisierte Bürger forderten Selbstbestimmung der Deutschen oder die Angliederung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich. Am 30. September 1938 unterzeichne-ten schließlich England, Frankreich, Italien und Deutschland das Münchener Abkommen, welches das Sudetenland Deutschland übertrug. Schon drei Tage später verließen die tschechoslowaki-

schen Truppen Grottau, und die Wehr-macht rückte in den Ort ein – mit klin-gendem Spiel durch ein Fahnen- und Blumenmeer, vermerkt die Ortschronik.

Von langer Hand: Hätte es ohne die-se politische Vorgeschichte überhaupt eine P.38-Produktion in Grottau gege-ben? Wahrscheinlich schon. Die Pisto-lenfertigung begann zwar erst 1942, also nach der Besetzung des gesamten tschechoslowakischen Gebietes. Schon Jahre zuvor schloss das Spreewerk aller-dings einen Mietvertrag über die leer-stehenden Gebäude der früheren Cos-manos AG. Diese Aktiengesellschaft war

Aus einer alten Zeit alten Zeit

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SPREEWERK GROTTAU

um die Jahrhundertwende die größte europäische Textilfabrik gewesen. Doch 1932 musste das Traditionsunterneh-men schließen. Die Liegenschaften gin-gen dann in den Besitz der Verwaltungs-gesellschaft für Montanindustrie GmbH über, welche wiederum zum Oberkom-mando des deutschen Heeres gehörte.

Anfangs entstanden in der neuen Waf-fenfabrik Läufe, Verschlüsse und Pan-zerkorne für das Maschinengewehr MG 34. Pistolen standen spätestens 1941 auf der Wunschliste der neuen Eigentümer. Den Beweis liefert ein Fabrikplan vom 10. Juni 1941. Er bezeichnet zum ersten Mal die Werkstatt, in der später die Pis-tolen tatsächlich produziert wurden. Das bedeutet: Über die Aufnahme der Waffenproduktion in Grottau war zu diesem Zeitpunkt längst entschieden und die Planungen zum Aufbau der Fer-tigungslinie im vollen Gange.

Unterricht in Zella-Mehlis: Bei den Vorbereitungen für die Pistolenproduk-tion half die Firma Walther. Das Errich-ten der Fertigungslinie, das Einstellen

der Vorrichtungen, die Schulung von Meistern und das Einrichten dauerten über ein Jahr. Auch das Absichern regel-mäßiger Lieferungen von Schmiede-stücken, Werkzeugen und weiterem Ma-terial kostete Zeit. So begann die Pistolenproduktion erst im Juli 1942. Bis zum Ende des Jahres stellte das Grottauer Werk 7050 P.38 fertig. Die ers-ten 50 Exemplare entstanden allerdings bei Carl Walther: Drei Arbeiter (Diedeck, Springer und Slomko) reisten zur Schu-lung nach Zella-Mehlis, um dort die Montage der Pistole zu erlernen.

Schatten der Vergangenheit: Sammler wissen, dass Waffen nicht nur Technikgeschichte erzählen, sondern auch die von Menschen. Die P.38 aus dem Grottauer Betrieb zeugen von einem dunklen Kapitel deutscher Ge-schichte. Das Spreewerk beschäftigte bis zum 30. April 1945 insgesamt etwa 3500 bis 4000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Die Betroffenen ka-men praktisch aus ganz Europa. Unter ihnen waren Albaner, Algerier, Belgier, Franzosen, Holländer, Kroaten, Italie-ner, Polen, Russen, Griechen, Serben

Oben: Zwangsarbeiterinnen vor ihren Baracken im 1942 errichteten Lager. Rechts: eine Spreewerk-P.38.

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P.38 BEI MAUSER

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Walther P.38 heißt sie, aber das be-deutet nicht, dass dieses Werk in Zella-Mehlis auch tatsächlich den

Löwenanteil dieses Waffentyps ange-fertigt hat. Zirka 580 000 Exemplare der P.38 hat die Firma aus Thüringen produ-ziert – insgesamt aber waren es ja rund 1,2 Millionen Stück, die bis zum Ende des Krieges entstanden sind. Damit aber lief es bei der Walther P.38 nicht anders als bei vielen großen zu Kriegszeiten ge-bauten Ordonnanzmodellreihen auch. Ihre Produktion wurde auf Anweisung der

entsprechenden Regierungsstellen auf andere Betriebe ausgedehnt. Hintergrund: Kaum ein ziviler Betrieb hatte die Kapazi-tät, um die im Lauf eines Krieges schlag-artig steigenden Nachschub-Anforderun-gen zu erfüllen. Das galt für Colt in den USA, deren Government-Pistole ja auch fertigungstechnisch ausgelagert wurde. Also auf Remington UMC und North Ame-rican Arms (Kanada) im Ersten und auf Ithaca, Remington Rand, Union Switch & Signal sowie Singer Manufacturing Co. im Zweiten Weltkrieg. Auch in Deutschland

war das keine neue Erfahrung: Die Para-bellum-Pistole entstand anfangs bei der DWM. Nach dem Krieg durfte gemäß des Versailler Vertrages nur die Suhler Firma Simson & Co. Handfeuerwaffen für Reichswehr und Polizei fertigen. Ab 1930 kamen dann die Mauser-Werke ins Spiel, ab 1935 noch Heinrich Krieghoff aus Suhl. Stichwort Mauser: Natürlich war man da über diesen Auftrag nicht begeistert. War doch die P.08 das große Konkur-renzmodell, das der hauseigenen C 96

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P.38 BEI MAUSER

eine größere Karriere beim deutschen Militär vereitelt hatte. Nun, zehn Jahre später folgte der nächste Auftrag dieser Art: Das Waffenamt befahl Mauser, vom Bau der P.08 auf den der P.38 umzustel-len. Denn Walther konnte weder 1939 noch 1940 die vom Militär geforderten Mengen liefern. Mit 10 000 Stück pro Monat lag der Betrieb an seiner Leis-tungs-Obergrenze. Dazu Manfred Kersten im Walther-Buch: „Auch eine permanen-te Produktion unter Kriegsbedingungen schien in Zella-Mehlis kaum realistisch zu

sein, zumal eine auf ein Werk begrenzte Fabrikation – logistisch gesehen – immer durch Maschinenschäden oder Feindein-wirkung ganz versiegen konnte.“ Das Waffenamt plant: Das ließen die für die Beschaffung zuständigen Stellen logischerweise nicht außer Acht. Also hatte man mit deutscher Gründlichkeit von vornherein drei Firmen vorgesehen, welche die P.38 fertigen sollten. Als erstes schlug der Blitz in Oberndorf ein. Jedoch war mit der Order zum Bau der

P.38 ein enormer Aufwand verbunden – es mussten Fertigungsanlagen her. Und das gestaltete sich etwas komplizierter als im Fall der P.08. Da hatte Mauser auf Maschinen und Fertigungsstücke von der DWM-Fabrik aus Berlin-Wittenau zurück-greifen können. Nun aber eine Umstel-lung, bei der alles fehlte, von der Lehre bis zur Maschinerie. Was die Behörde nicht daran hinderte, von der Füh-rungsetage in Württemberg direkt einen Ablaufplan mit Terminen zu verlangen. Konkurrenzgerangel: Als Folge ver-suchte man, dieses Schicksal abzuwen-den oder sich zumindest soviel Zeit wie möglich zu verschaffen, um den Umstieg überhaupt geordnet und fi nanziell wie technisch machbar hinzubekommen. Denn Mauser war mit der Produktion an-

Alles, nur nicht freiwilligVor dem Entwurf des als „Mauser-Tonne“ bekannten Logos liegen drei bei Mauser hergestellte Pistolen, alle 1945 gefertigt, die beiden links mit Bakelit-, diejenige rechts mit Blechgriffschalen.

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VON DER P.38 ZUR P1

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Ein Lied, zwo, drei ...: Die Walther P1 am Koppel, führt ein gut gelaunter Stabsunteroffizier der Fallschirmjägertruppe einen Trupp sparsam getarnter Rekruten – da fehlen jetzt eigentlich nur noch Essig und Öl ...

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VON DER P.38 ZUR P1

Mit dem Ende des großen Welten-brandes im Mai 1945 kam auch ein herber Einschnitt für die

deutsche Waffenindustrie – Vertrei-bung, Demontage und Plünderung be-trafen viele der seit jeher meist familiär geführten Betriebe. Damit einher ging der Stopp der Kurzwaffen-Fertigung und damit auch derjenigen der P.38. Die hatte es binnen fünf Jahren auf eine in der Fachwelt mit ungefähr 1,2 Millionen geschätzte Stückzahl gebracht. Und längst nicht alle waren nach Kriegsende aufgebraucht, defekt, verschollen oder seitens von (zumeist) US-Soldaten als Kriegssouvenir zur Seite gehütet. Es blieben noch genug für weitere polizei-liche und behördliche Verwendung üb-rig. Damit stehen diese Surplus-Waffen am Übergang, der von der P.38 zur P1

und damit zu ihrem wohl wichtigsten di-rekten Abkömmling führen sollte. Bei der Nachkriegskarriere muss man vier Entwicklungslinien beachten: 1) Die weiterverwendeten respektive weitgehend baugleichen P.38-Versio-nen, in vielen Ländern der Welt einge-setzt. Die anderen Linien entstanden nach Umzug der Firma Walther von Thü-ringen nach Württemberg. Dazu zählen 2) die zivilen Modelle, darunter diverse, teils reich verzierte Jubiläumsmodelle sowie die 1963 beziehungsweise 1968 eingeführten P.38-Varianten in .22 l. r. und 7,65 mm Parabellum. Auch die von April ’74 bis Juni ’81 gebauten Kurz-Va-rianten der P.38 gehören dazu, ebenso die 1988 vorgestellte Langrohr-Version. 3) Darunter fällt die offi ziell als Modell

P 1 eingeführte Version der Bundeswehr (Bw). Sie zählte für gut vier Jahrzehnte so zum Kennzeichen der Truppe wie die gelbe Achselschnur zu dem als „Spieß“ bekannten Kompaniefeldwebel und brachte es nach vorsichtigen Schätzun-gen von Fachleuten auf zirka 460 000 bis 470 000 Exemplare. Im Museum der Fir-ma Walther liegt das zuletzt gebaute Stück – Seriennummer 467090. 4) Das betrifft die Abwandlungen auf Basis der P.38. Also die Walther-Modelle P4 und P5 ebenso wie Berettas 92er Rei-he (als M9 Dienstwaffe der US-Armee) sowie deren von der brasilianischen Firma Taurus gefertigte Kopien. All around the world: Wer sich die Nachkriegs-Käufer der P.38 ansieht, kommt sich vor wie in einem Buchsta-

Zweiter Lebensabschnitt

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Standardausführung der Bundeswehr-P1: schwarze Novodur-Griffschalen mit Fischhaut, phosphatiertes und eloxiertes Finish sowie Lauf mit Seelenrohr.

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Bereitschafts-Dienst

POLIZEI

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Nach dem Kriegsende im Mai 1945 sollte alles anders werden – mit der Produktion von Schuss-

waffen war erst einmal Schluss, die Besatzungsmächte entmilitarisierten Deutschland. Bis zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und der DDR sollten noch einige Jahre vergehen. Für die Po-lizeien im Osten wie im Westen galt das natürlich nicht. Schon am 5. Juni 1945 einigten sich die Siegermächte darauf, mit Kurzwaffen versorgte deutsche Polizeieinheiten aufzustellen. Die Ord-nungshüter gingen nur kurze Zeit mit Knüppeln auf Streife und erhielten bald ein buntes Sammelsurium von auslän-dischen Revolvern und Pistolen: Astra- und Star-Pistolen gehörten dabei wie die FN High Power schon zur moderne-ren Ausrüstung. Frankreich mutete in

seiner Besatzungszone der rheinland-pfälzischen Polizei in ihren Anfangsjah-ren zum Beispiel den schon damals fast antiken Armeerevolver M 1873 zu (mehr dazu im Special 29). Modelle aus deut-scher Produktion untersagte die alliier-te Kontrollratsdirektive Nr. 16 von 1945. Allerdings ließ die Direktive auch Aus-nahmen zu, falls nicht genug ausländi-sche Waffen verfügbar waren: Polizisten in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern führten deshalb die P.08. Und schon 1946 nutzte die Polizei in West-Berlin die P.38 – vermutlich svw-45- und svw-46 codierte, aus Beute-teilen in Frankreich zusammengesetzte Exemplare. Die nach Kriegsende bis Mai 1946 in Deutschland für Frankreich pro-duzierten P.38 spielten dagegen für die deutsche Nachkriegspolizei keine Rolle.

Ohne geht es nicht: So war die P.38 in deutschen Polizeiholstern zunächst eher die Ausnahme – sowohl im Westen als auch im Osten (mehr dazu auf S. 87).Adenauers Republik wurde gerade zwei Jahre alt, als die Bundesländer die Hohe Kommission der Alliierten um eine Er-laubnis für die Schusswaffenproduktion baten. Zunächst wurde daraus nichts. Erst 1956 fertigte Walther in Ulm die neue P.38 beziehungsweise P1 mit Alu-miniumgriffstück. Bei den Länderpoli-zeien der Bundesrepublik konnte die leichtere Konstruktion ohnehin nur we-nig punkten. Nicht nur Kriminalbeamte bevorzugten die weniger klobigen Wal-ther-Pistolen PP und PPK. Zudem galt das Kaliber 7,65 zielballistisch noch als ausreichend. Anders sah die Sache bei den Bereitschaftspolizeien und beim

Gut gekleidet stellte sich Polizeianwärter Horst Friedrich im Sommer 1963 in der Hessischen Polizeischule Wiesbaden vor die Kamera. In der Verwahrtasche des späteren VISIER-Autors: eine Nachkriegs-P.38.

Der Schnappschuss aus dem Jahre 1965 zeigt einen Bereitschafts-

polizisten mit Kopfschutz und P1.

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In der PraxisSCHIESSEN & HANDHABEN

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Auch wenn die P.38 sowie ihre Nach-folgerin P1 eine lange Dienstzeit auf dem Schlitten haben und zu

Beginn fast schon als technisches Non-plusultra bei Ordonnanzpistolen galten – auf dem Schießstand und da nament-lich in den Händen der Rekruten sah das anders aus. Vor allem die mit Alu-Unter-bau bewehrte P1 erwarb sich den Ruf, wenig präzise zu sein. Die Soldaten frot-zelten: „Sieben Üb-Schüsse und dann ein gezielter Wurf“ oder „Optimale Kampf-entfernung sind 25 Meter, weiter kann man das Ding nämlich kaum werfen.“ Au-ßerdem standen gerade die P1 mit ihren Leichtmetall-Griffstücken im Ruf, wenig stabil zu sein. Also hieß es für VISIER, einmal festzustellen, woher das miese Renommee rührt und wie es um Qualität und Trefferleistung bei Waffen dieses Typs tatsächlich bestellt ist.

Ungeachtet ihrer Unterbauten unter-scheiden sich P.38 und P1 in der Grund-konfiguration nicht voneinander. Bei beiden handelt es sich um Pistolen mit freistehendem Lauf. Zwar wirkt der sich positiv auf die Repetierfunktion aus, aber er hat negative Folgen für die Ba-lance: Die Colt Government M 1911 und in ihrem Gefolge die Tokarew TT 30, die FN High Power M 1935 oder die Radom M 1935 kamen alle mit mündungslan-gem Verschlussgehäuse. Dessen Vorteil: Es machte die Waffe vorderlastiger, so dass sie im Schuss ruhiger in der Hand lag. Insgesamt gilt: Im Vergleich zu den genannten Waffentypen wirkt die P.38/P1 vorn zu leicht; das Gros ihrer Masse ballt sich hinten und oben. Um es aber gleich klarzumachen: Mag sein, dass sich diese Balance bei dem ein oder anderen aufs Ergebnis auswirkt. Sicher stimmt es auch, dass sie auf heutige Schützen oft ungewohnt erscheint. Aber

das liegt dann auch daran, dass Kurzwaf-fen mit mündungslangem Schlitten viel verbreiteter sind als solche mit freiste-hendem Lauf. Und insgesamt hängt die „Unausgewogenheit“ als solches nicht im Mindesten mit der waffeneigenen Präzision zusammen. Wenn es an der ha-perte, dann lag das nur allzu oft an der

Schießausbildung: Da die Pistole im Vergleich zu den anderen Waffensyste-

men eine weit nachgeordnete Rolle spielte, fiel auch das Training daran ziemlich spartanisch aus – sollte beim Bund ein Wehrdienstleistender damit einmal mehr als ein Päckchen Patronen verfeuert haben, dann war das viel. Al-lerdings ergab eine kleine Umfrage un-ter den „Gedienten“ im VISIER-Umfeld, dass dabei die Anschlaghaltung variier-te: In den 1960ern musste man die Waf-fe noch mit einer Hand packen, so wie

In der PraxisAuf dieser Doppelseite: die P.38 in ein- wie beidhändigem Anschlag von vorn und hinten. Von vorn ist der gestreckte Zeigefinger des Schützen zu sehen, der Finger geht nur zum Schuss auf den Abzug. Und von hinten sieht man den außen an gelegten Daumen der helfenden Hand – nicht quer drüber greifen, dann ratscht der Schlitten über die Hand.

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SCHIESSEN & HANDHABEN

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Wie auch beim Sammelfeld der Pistole 08 kann sich der Fan von P.38 und P1 auf reichlich Varian-

ten und auf einen großen Zubehörbe-reich freuen. Und wie schon bei der mit Kniegelenk-Verschluss bewehrten Vor-gängerin gilt deshalb auch im P.38-Feld: Einfach so loszulegen, das führt nicht zu einer methodischen, gut strukturierten Kollektion. Allein schon die Zahl der an der Produktion beteiligten Hersteller sorgt für Variationen, ob nun beim Fi-nish, bei den Griffschalen, bei den Ma-gazinen oder der Ausstattung. Auf all dem gibt es Abnahmestempel und Ferti-gungskennzeichen, die erst einmal ent-schlüsselt sein wollen. Und beim Zubehör wie etwa den Taschen warten ihrerseits verschiedene Varianten, sei es in Gestalt der Bauweise, sei es beim Material an und für sich. Auch existieren hier verschiedene Farben – und von den in diesem Bereich natürlich ebenfalls

vorhandenen Fertigungskennzeichen war noch gar nicht die Rede.

Der große Unterschied vom Sammelfeld der P.08 zu demjenigen der P.38 besteht darin, dass die P.38 viel weniger kostet. Noch. Da kann man für gut 200 Euro schon einsteigen, erhält dann aber ein unübersehbar benutztes Stück. Für das Doppelte bis Vierfache wechseln dann die Stücke den Besitzer, die sich in dem von den Sammlern begehrten, mög-lichst gut erhaltenen Zustand befi nden. Neben den Codezeichen der Hersteller sorgen vor allem (aber nicht nur) zwei weitere Elemente für Variantenvielfalt: Magazine und Griffschalen – nicht um-sonst haben Dennis de Vlieger, Ron Clarin und Wolf-Dietrich Roth dieser Ma-terie ein ganzes Buch widmen können.

Griffschalen: Das genannte Werk „P.38 Magazine und Griffschalen“ listet

als sicher bekannte Hersteller Carl Wal-ther, Allgemeine Elektricitäts-Gesell-schaft (AEG) und Julius Posselt. Weiter heißt es: „Es wurden aber auch noch von anderen Firmen Griffschalen hergestellt, von denen bis heute nicht oder nicht sicher gesagt werden kann, ob sie die Hersteller waren. Es sind dies die Her-steller von Durofol-Griffschalen und Poly-amid-6-Griffschalen (...) Zahlenmäßig die meisten P.38-Griffschalen wurden von der Firma AEG produziert.“ Da schwellt doch – um es einmal mit US-Star Tony Curtis in „Die Zwei“ zu formulieren – di-rekt eine Frage im Gebeiß: Wie kommt die AEG zur Ehre der Zulieferung für Mili-tärpistolen? Das hängt mit der Vorge-schichte dieser Werkstoffe zusammen: Die Historie der Pressstoffe führt zu den Anfängen der modernen Kunststoffpro-duktion und damit zuerst in die Chemi-sche Industrie und dann direkt in die junge Elektroindustrie. Denn diese Ma-

Der Spaß steckt im Detail

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terialien prangten anfangs weniger als Handhaben an Ordonnanzpistolen, viel-mehr dienten sie bei elektrischem Gerät zur Isolierung. Und so war es denn auch der Verband der Elektroindustrie (VDE), der ab Mitte der 1920er Jahre forderte, dass diese Stoffe amtlich zu überwa-chen und zu kennzeichnen wären. Das brachte das MPBD ins Spiel – das Staat-liche Materialprüfungsamt in Berlin-Dahlem, dessen Marke innen in vielen P.38-Griffschalen prangt.

Dieses Logo besteht aus einer Art Kreis mit großem D und stilisiertem M. Über dem Knick des M steht im MPBD-Emblem das Firmenzeichen des jeweiligen Griff-schalen-Herstellers – natürlich ver-schlüsselt, sonst wär‘s ja einfach: Wal-ther lief unter der Kennung „V7“, AEG unter „38“, Posselt unter „W1“. Und da-mit der Sammler so richtig Spaß hat: Für die Durofol- und Polyamid-6-Versionen

Diese Reihe von P.38 und P1 zeigt die Vielfalt der Griffschalenfarben und Materialien auf – neben rotbraunen, umbrafarbenen und schwarzen Kunststoff-Pressstoff-Griff-schalen mit Rillen liegen auch ein gerilltes Exemplar (3.v.r.) mit graugrünen Blechgriff-schalen sowie zwei mit Fischhaut-Muster (2.v.l. und r.).

Diese Reihe von P.38 und P1 zeigt die Vielfalt der Griffschalenfarben und Materialien auf – neben rotbraunen, umbrafarbenen und schwarzen Kunststoff-Pressstoff-Griff-schalen mit Rillen liegen auch ein gerilltes Exemplar (3.v.r.) mit graugrünen Blechgriff-

Mit der Walther-Schleife gekennzeichnetes Magazin, das die Bezeichnung „P 38 9 mm“ und auf der Schmalseite die Bw-Versorgungsnummer trägt – beides zusammen ist selten.

Ein noch im Entstehen begriffenes Sammelfeld: P1-Taschen. Alle mit Knopf-dorn-Riemen-Verschluss. Vier Nieten im Deckel deuten auf die innen befestigten

Trageschlaufen hin. Rechts neben der Pistole, dem zur Abnahme der

Taschen nötigen Probier-Dummie und oberhalb des Telefonhörers liegen

auch vier Taschen im Baustil der Typ-2-Holster aus dem II. Weltkrieg. Fo

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