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Volker Michels "Spitzbübischer Spötter" und "treuherzige Nachtigall"? Thomas Mann und Hermann Hesse Der Schweizer Literaturkritiker Otto Basler (1902-1984) hat tos eiae charakteristische Anekdete überliefert. Er war mit den beiden Dichtern so gut befreundet, daß sie ihn sogar in seinem Herrn im Aargau besuchten. Als Thomas Mann am 6. Juli 1950 vor seiner Haustür stand, begrüßte ihn Otto Basler mit dem Schiller-Zitat: "Ein werter, treuer Gast, kein bessrer Mann ist über diese Schwelle noch gegangen." Daraufhabe Thomas Mann einen , Augenblick gestutzt, seinen Fuß von der Stufe zurückgezogen und vÄwunHert geantwortet: "Aber sagen Sie, lieber Freund, ist nicht kürzlich Hermann Hesse dagewesen?" "Ja, das schon", antwortete Otto Basler "aber er betrat das Haus von der anderen Seite." "Ach so," erwiderte Thomas Mann und trat daraufhin « »unter ein. Bis es zu dieser Wertschätzung kam, dauerte es wohl zwanzig Jahre. "Spitzbübischer Spötter" hat Hermann Hesse seinen Kollegen genannt, und eine Nachtigall unter all den Kanarienvögeln in den Käfigen deutscher Haus- backenheit war Hesse für Thomas Mann. Was hat die beiden zuerst getrennt, um sie dann schließlich auf eine Weise zu verbinden, die, wie Thomas Mann einmal sagte, "aus Verschiedenheiten so gut ihre Nahrung zog wie aus Ähnlichkeiten"? Unsere Herkunft, werden wir nicht los, so sehr wir uns auch davon zu emanzipieren und abzuheben versuchen. Die Weichenstellungen der Kindheit bleiben erhalten, welches Fortbewegungsmittel man später auch immer benützt. In der deutschen Literatur unseres Jahrhunderts läßt sich das kaum besser studieren, als am Schicksal und Werk von Thomas Mann und Hermann Hesse, ihrer mittlerweile in aller Welt wohl wirkungsvollsten Vertreter. Bis hinein in ihren Lebensstil sind auch sie trotz aller Emanzipation zeitlebens geblieben, was ihre Väter waren: norddeutscher Großbürger und auf öffentliche Selbstdarstellung bedachter Senatorensohn der eine, süddeutscher Asket und Missionszögling der andere. Beide aus dem Nest gefallen und deshalb von den zurückbleibenden Hütern der Herkunft als Nestbeschmutzer bezichtigt. Doch was haben sie aus ihrer Mitgift gemacht! Was seit Generationen nur auf die materielle Bereicherung eines Lübecker Kaufmannsgeschlechtes bedacht war, wurde durch Thomas Mann aus der Sphäre des sippengebundenen Eigennutzes auf eine Weise ins Menschheitliche resozialisiert, daß Millionen von Menschen davon profitieren konnten. Und was bei den Vorfahren Hermann Hesses mit ihrer sogenannten Heidenmission

Volker Michels Thomas Mann und Hermann Hesse · "Spitzbübischer Spötter" hat Hermann Hesse seinen Kollegen genannt, und eine Nachtigall unter all den Kanarienvögeln in den Käfigen

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Volker Michels

"Spitzbübischer Spötter" und "treuherzige Nachtigall"?

Thomas Mann und Hermann Hesse

Der Schweizer Literaturkritiker Otto Basler (1902-1984) hat tos eiae

charakteristische Anekdete überliefert. Er war mit den beiden Dichtern so gut

befreundet, daß sie ihn sogar in seinem Herrn im Aargau besuchten. Als

Thomas Mann am 6. Juli 1950 vor seiner Haustür stand, begrüßte ihn Otto

Basler mit dem Schiller-Zitat: "Ein werter, treuer Gast, kein bessrer Mann ist

über diese Schwelle noch gegangen." Daraufhabe Thomas Mann einen ,

Augenblick gestutzt, seinen Fuß von der Stufe zurückgezogen und vÄwunHert

geantwortet: "Aber sagen Sie, lieber Freund, ist nicht kürzlich Hermann Hesse

dagewesen?" "Ja, das schon", antwortete Otto Basler "aber er betrat das Haus

von der anderen Seite." "Ach so," erwiderte Thomas Mann und trat daraufhin «

»unter ein.

Bis es zu dieser Wertschätzung kam, dauerte es wohl zwanzig Jahre.

"Spitzbübischer Spötter" hat Hermann Hesse seinen Kollegen genannt, und

eine Nachtigall unter all den Kanarienvögeln in den Käfigen deutscher Haus-

backenheit war Hesse für Thomas Mann. Was hat die beiden zuerst getrennt,

um sie dann schließlich auf eine Weise zu verbinden, die, wie Thomas Mann

einmal sagte, "aus Verschiedenheiten so gut ihre Nahrung zog wie aus

Ähnlichkeiten"?

Unsere Herkunft, werden wir nicht los, so sehr wir uns auch davon zu

emanzipieren und abzuheben versuchen. Die Weichenstellungen der Kindheit

bleiben erhalten, welches Fortbewegungsmittel man später auch immer

benützt. In der deutschen Literatur unseres Jahrhunderts läßt sich das kaum

besser studieren, als am Schicksal und Werk von Thomas Mann und Hermann

Hesse, ihrer mittlerweile in aller Welt wohl wirkungsvollsten Vertreter. Bis

hinein in ihren Lebensstil sind auch sie trotz aller Emanzipation zeitlebens

geblieben, was ihre Väter waren: norddeutscher Großbürger und auf

öffentliche Selbstdarstellung bedachter Senatorensohn der eine, süddeutscher

Asket und Missionszögling der andere. Beide aus dem Nest gefallen und

deshalb von den zurückbleibenden Hütern der Herkunft als Nestbeschmutzer

bezichtigt. Doch was haben sie aus ihrer Mitgift gemacht!

Was seit Generationen nur auf die materielle Bereicherung eines Lübecker

Kaufmannsgeschlechtes bedacht war, wurde durch Thomas Mann aus der

Sphäre des sippengebundenen Eigennutzes auf eine Weise ins Menschheitliche

resozialisiert, daß Millionen von Menschen davon profitieren konnten. Und

was bei den Vorfahren Hermann Hesses mit ihrer sogenannten Heidenmission

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auf eine Bekehrung uijd religiöse Unterwerfung Asiens angelegt war, führte

bei ihm zu einer Revision jeder eurozentrischen, konfessionellen und ' ; »

kolonialen Anmaßung. Es bewirkte im Westen eine Popularisierung

buddhistischen, hinduistischen und taoistischen Gedankengutes, dank einer.. fit"! V' •'•-V-ll. v- A Z :- l -t

poetischen Überzeugungskraft' die den Alleingültigkeitswahn der christlichen

Kirchen durch neinschaösfordernde Brückenschläge zu überwinden noch

immer in vollem Gang ist. Daß die vita activa, also der aggressive Wettlauf um

Profit und Karriere in zivilisatorischem Selbstmord münden muß ohne die vita

contemplativa, die Gegensteuerung dessen, was Lebensqualität und

Menschlichkeit ausmachen, ist selten konfessionsübergreifend-glaubwürdiger

vorgelebt und in so einprägsame dichterische Gleichnisse gebracht worden wie

vom entlaufenen Theologensohn Hermann Hesse.

Die Wirkungsgeschichte von Thomas Mann und des um zwei Jahre jüngeren

Hermann Hesse hat also, was iteÄ-feeider weltweite Wertschätzung betrifft,

manches gemeinsam, wenn sich auch ihr Leserpublikum in aufschlußreicher

Weise unterscheidet. Sind es vor allem die Vierzehn- bis Fünfunddreißig-

j ährigen, ganz gleich, ob mit oder ohne Hochschulbildung, die Hermann Hesse

lesen, und dann wieder ältere Menschen, sobald sie das Berufsleben und die

damit verbundenen Anpassungszwänge hinter sich haben, so ist es bei Thomas

Mann eher die akademische Jugend, sind es die Berufstätigen und Karriere-

bewußten aller Altersstufen, die zu seinen Büchern greifen. Das-hal, wie wil

,^AiüagenmdJhres-AnspruehesTiegen. Und doch waren, so unterschiedlich sieh4- ,' !_, ,f.jj kt^djtg.^,

Ausgangskonstellatiönen^^efßlüffend ähn-

lich.

Ein Glückwunschbrief Thomas Manns zu Hermann Hesses 75. Geburtstag

schließt mit den Worten: "Auf Wiedersehen lieber alter Weggenosse durchs

Tal der Tränen, worin uns beiden der Trost der Träume gegeben war, des

Spieles und der Form."

Der Trost der Träume? Wie Thomas Mann war auch Hermann Hesse von

Kindesbeinen an darauf angewiesen, sich herauszuträumen aus einem Alltag,

mit dem er sich nur schwer abfinden konnte. Schon die Erwartungen der Eltern

und der Schule machten beiden zu schaffen. Sie nicht erfüllen zu können, war

das lebensbestimmende Trauma, das Thomas Mann und Hesse verband. Was

sie bereits am Gymnasium scheitern ließ, war das Gegenteil dessen, was man

ihnen dort ins Zeugnis schrieb. Es war nicht ein Mangel an Begabung und

Gutwilligkeit, sondern deren Übermaß, was sie daran hinderte, den

Zukunftsplänen der Familie und den Bildungsvorstellungen der Schule zu ent-

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sprechen und sich mitflormativer Schnellfertigkeit fcÄdafctik gymnasialen

Wissensvermittlung zu fugen. Wer den Drill nicht ertrug, in einem MinimumWVb iTiii rjfii'^'

an Zeit, ein Maximum unterschiedlichsten Wissensstoffes unreilelfeert zu' i /

speichern und automatenhaft abruf bar zu haben, galt als faul oder als renitenter

Träumer. Wen aber das Gelernte beschäftigte und aufwühlte, wie die Odyssee

des Homer den jungen Hans Giebenrath in Hesses Unterm Rad oder Schillers

Don Carlos den Tonio Kroger in Thomas Manns gleichnamiger Erzählung, der

blieb zurück und verpaßte den Anschluß. Denn die Überflutung mit immer

neuen; Informationen behindert das Bedürfnis,-sie zu durchdringen. Und nicht

zuletzt die Abneigung gegen solche Schnellfertigkeit nötigte Thomas Mann

wie Hermann Hesse, das Gymnasium schon mit Sekundareife zu verlassen;

Hesse mit sechzehn, Thomas Mann mit achtzehn Jahren, weil er zwei Klassen

wiederholen mußte. Ein folgenreiches Stigma für beide, denn die Demütigung

des Selbstwertgefühls, die daraus entsprang, brachte sie dazu, alsbald den

Gegenbeweis anzutreten, also den Vorwurf der Träumerei und Trägheit zu

widerlegen und durch ein Lebenswerk zu rechtfertigen, das als Erkenntnis-,

Fleiß- und Bildungsleistung alles übertrifft, was durch gymnasiale und

akademische Wissensvermittlung erreicht werden kann. Wie unauslöschlich

dieses frühe Trauma gewesen sein muß, zeigt sich unter anderem darin, daß

noch der 76jährige Thomas Mann in seinem letzten Werk, Felix Krull, das

bereits 1909 konzipierte Hochstaplermotiv wieder aufgreift und Hesse

gleichfalls im Alter von mehr als siebzig Jahren immer noch träumt, die drei

letzten Schulklassen bis zum Abitur nachholen zu müssen, um - wie er sagt

"vielleicht doch noch etwas Rechtes zu werden".

Die Triebfeder für Thomas Manns erzählerisches Werk war eine Form, wie er

es nannte, "sublimer Rache an der Wirklichkeit". Sie spornte ihn an, sich auf

eigene Faust Kenntnisse aus fast allen akademischen Disziplinen und Wissens-

gebieten anzueignen, um es in seinen Büchern denen zeigen zu können, die

sich angemaßt hatten, ihn in der Schule zweimal sitzen zu lassen. So lesen sich

Romane wie Königliche Hoheit aufweite Strecken wie ein Exkurs in

Volkswirtschaft, Der Zauberberg wie eine Enzyklopädie der Medizin und

geistigen Strömungen der zwanziger Jahre, die Josephs-Romane wie eine

archäologisch-völkerkundliche Kulturgeschichte, wofür denn auch die

Fachwissenschaftler Thomas Mann einen oft geradezu neidischen Respekt

gezollt und ihn mit Ehrendoktorhüten der verschiedensten Disziplinen

eingedeckt haben, natürlich zu dessen größtem Vergnügen und verschmitzter

Genugtuung.

Hesse dagegen hat ein kulturkritisches Werk von etwa dreitausend

Buchbesprechungen hinterlassen, worin er von der Jahrhundertwende bis in die

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50er Jahre hinein die deutsche Publizistik auf eine Weise kommentiert,

begleitet und befruchtet hat, daß sogar der unbestechliche Kurt Tucholsky

nicht umhin kam, in der Zeitschrift "Die Weltbühne" festzustellen: "Hesses

Buchkritiken haben in Deutschland kein Gegenstück. Aus jeder kann man

etwas lernen, sehr viel sogar." Hesse selbst hat dieses riesige bildungspolitische

Panorama, das - wenn es einmal komplett veröffentlicht sein wird -, wohl fünf

Bände mit insgesamt viertausend Seiten füllt, nie in Buchform zusammen-

gefaßt. Diese Schriften erschienen zu seine Lebzeiten verstreut in etwa sechzig

verschiedenen deutschen und ausländischen Blättern und gehören zu den

imponierendsten Überraschungen seines Nachlasses. Auf ganz andere Weise

als Thomas Mann, doch in Wirkung und pädagogischem Eros durchaus

vergleichbar, hat Hesse damit sein Defizit an fahrplanmäßiger Ausbildung

durch eine Leistung wettgemacht, die jeden Akademiker beschämen müßte.

Eine sehnsüchtige Eifersucht auf die Unbeschwertheit und Grazie der

Leichtlebigen und ein Insuffizienzgefühl gegenüber den Normalen und An-

passungsfähigen, denen ihr dickes Fell und ihre Sendungslosigkeit das Leben

so sehr erleichtert, ist eines der in den verschiedendsten Verkleidungen wieder-

kehrenden Hauptmotive der Bücher Thomas Manns. Es ist das Los des kleinen

Hanno Buddenbrook, der in der Musik einen Schutz sucht vor den Gewaltsam-

keiten der Schule und dem karrierebestimmten Erwartungsdruck seines Vaters,

unter dem er zerbricht. Es ist auch das Los des lebenslinkischen Tonio Kroger,

der nie von den um ihrer Unbeschwertheit so sehnsüchtig geliebten Hans

Hansen und Inge Holm als ihresgleichen akzeptiert und wiedergeliebt werden

kann, weil seine schwerblütige Nachdenklichkeit ihrem rechenschaftslosen

Charme nicht gewachsen ist. "Ich bin so dumm, immer die zu lieben, die

clever sind, obwohl ich doch auf Dauer nicht mitkann", bekennt Thomas Mann

1901 seinem Bruder Heinrich. Dasselbe Motiv kehrt dann wieder in Königliche

Hoheit, dem Roman des Dreißigjährigen, der nach dem Erfolg der Budden-

brooks so sehr an Selbstbewußtsein gewonnen hat, daß er von nun an seine

Insuffizienzgefühle nicht mehr als Makel, sondern als repräsentative Auszeich-

nung zu erkennen und zu stilisieren beginnt. So ist sein Prinz Klaus Heinrich <-

aus Königliche Hoheit nicht mehr wie Hanno Buddenbrook und Tonio Kroger

ein in die Kunst geflohener Bürger, sondern Thronfolger. Sein Makel ist ein

körperliches Gebrechen. Ein verkrüppelter Arm nimmt ihm die Unbeschwert-

heit der Normalen, und um diesen Mangel auszugleichen, verlangt er sich

selbst, ganz wie sein Autor, ein Äußerstes an Leistung und gewissenhafter

Pflichterfüllung ab. Außerdem schafft er es durch die Heirat einer millionen-

schweren, doch ansonsten unbeschwerten Industriellentochter, sowohl die

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Degeneration als auch die hoffnungslose Finanzlage des Fürstenhauses

aufzufangen. Die lebensgeschichtlichen Parallelen zwischen dem Helden und

seinem Erfinder sind offensichtlich. Damals hatte Thomas Mann die aus

vermögender Professorenfamilie stammende Abiturientin Katja Pringsheim

geheiratet, deren ungebrochene Lebenstüchtigkeit seinen eigenen MangelCl ' " ( !

daran stabilisierte und deren bildungsbürgerliche Herkunft den gescheiterten

Gymnasiasten nun auch ins akademische Großbürgertum aufsteigen ließ. Wie

sein Prinz Klaus Heinrich hat der Leistungsethiker Thomas Mann dies nach

und nach auf eine Weise gerechtfertigt, daß selbst sein künftiges Liebäugeln

mit der Rolle als Nach- und Thronfolger Richard Wagners, Schillers und

Goethes, ja, schließlich gar sein Selbstbewußtsein als Präzeptor Germaniae

wohl heute nur noch von Analphabeten als anmaßend empfunden werden(^V.-fvlt-fv-"-.» «'•, ' «!.'f

kann. (Wir kennen ja seinen kühnen, doch keineswegs ungerechtfertigten

Ausspruch: "Wo ich bin, ist die deutsche Kultur" aus seiner Exilzeit in den

USA.) /

Das Muster vom weltfremden Simplicissimus, der dank seines Min-

derwertigkeitsgefühls gezwungen ist, sich die Welt genauer anzuschauen^ als

jede der gängigen Weltanschauungen es vermag, setzt sich dann fort in dem

von jeder Schulbildung unbeleckten, doch um so wissensbegierigeren Hoch-

stapler Felix Krull, beim ahnungslosen Hans Castorp auf dem Zauberberg,

beim verträumten, und deshalb allen Träumen gewachsenen Joseph der gleich-

namigen Romane, beim Doktor Faustus, den sein Teufelspakt mit eter t H Z f

Geschlechtskrankheit zum Genie werden läßt, und schließlich bei dem in

Sünde gezeugten und den Inzest fortsetzenden Gregorius, einem

Unglückswurm, den Makel und Sünde zum Erwählten und schließlich zum

Papst aufsteigen lassen.

Welthaltiger und ambitionierter hat niemand eine Schwäche in Stärke,

Minderwertigkeitsgefühle in Mehrwert uifä?i8&»e«©jzu läutern verstanden.

Und dies auf einem Niveau, das nicht nur stimmig, sondern auch tröstlich und

anspornend ist. - Soweit Thomas Mann.

Der aus vergleichsweise ärmlichen, kleinstädtisch-schwäbischen Verhältnissen

stammende Hermann Hesse dagegen kam aus ohne Königliche Hoheiten,

Hochstapler, Pharaonen und Päpste. Er hat dasselbe Problem ohne Anspruch

auf Glanz und Repräsentanz gemeistert und sein unfreiwilliges Außenseitertum

durchaus nicht als stolze Auszeichnung bewirtschaftet, sondern als leidvolle,

doch funkensprühende Reibung an den Spielregeln einer von Profitstreben,

Bigotterie, kolonialem, industriellem und nationalem Größenwahn korrum-

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pierten Gesellschaft, die jedem das Leben zur Hölle macht, der es wagt, ein

Original zu bleiben und sich nicht verbiegen zu lassen von einer Anpassung

ans Übliche.

Die Figuren semer Erzählungen und Romane vom zivilisationsüberdrüssigen

Peter Camenzind, zum Landstreicher Knulp bis hin zum Steppenwolf sind

keine Helden, die sich siegreich hervortun aus der Sphäre ihrer Herkunft,

sondern sie bleiben Gebeutelte, Einzelgänger und Sonderlinge, die sich jeder

auf seine Weise zur Wehr setzen, sobald Konvention und Fremdbestimmung

sie daran hindern, ihre Anlage und Eigenständigkeit zu behaupten. Es sind

Outsider, Abenteurer, Vaganten und Heimatlose, mitunter auch aus irgendeiner

Not heraus straffällig Gewordene und nicht zuletzt solche, die mit alternativen

Existenzformen experimentieren, wie Hesse selbst, der sich dreißigjährig in die

Lebensreformerkolonie auf dem Monte Verita begab, um auszuprobieren, ob

deren übrigens schon damals ökologisch und ganzheitlich orientierte Methoden

eines "Zurück zur Natur" noch trag- und zukunftsfähig seien. Undenkbar, sich

den Verfasser der Königlichen Hoheit vorzustellen in dieser Freikörper-

Komune von Aussteigern, vegetarischen Kohlrabi-Aposteln, Magnetopathen

und Sektierern. Nach knapp einem Monat war Hesse kuriert vom

Anachronismus solcher Experimente, um sich daraufhin erstmals mit

asiatischen Gegenmodellen zum militanten Imponiergehabe des -,-./

WHfeelminisehenJ^lüsGh'--und Pomp-Zeitakers zu befassen und wenige Jahre

später den indischen Subkontinent zu bereisen, auf der Suche nach humaneren

Spielarten des Zusammenlebens. Daß er sie auch im dortigen Alltag nur noch

in Spurenelementen fand, hat nichts zu besagen, lieferten sie ihm doch

Anstöße, die er in Büchern wie Demian, Siddhartha, Die Morgenlandfahrt und

dem Glasperlenspiel mit den humanistischen Traditionen des Abendlandes in

Einklang zu bringen und zu einem Kontrastprogramm auszubauen verstand,

dessen Aktualität die fulminante Wirkungsgeschichte seiner Bücher beweist.Vt x* = l ^ •"" ' * '

Mittlerweile sind sie rund um den Globus in -annähernd hundert Millionen

Exemplaren verbreitet, ein Phänomen, das einzigartig ist in der Geschichte der

deutschen Literatur.

Bei Hesse also kein genüßliches Abbilden und spöttisches Kratzen am

Lack der bestehenden Verhältnisse, sondern ein ruheloses, auf deren Humani-

sierung bedachtes Ungenügen. Getreu seiner Devise: "Damit das Mögliche ent-

steht, muß immer wieder das Unmögliche versucht werden." Bein!

kleinstädtichen Pfarrerssohn also: Sympathie mit dem Schicksal der kleinen

Leute, ganz in der auf Weltverbesserung zielenden Tradition seiner

missionierenden Vorfahren.

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Beim hanseatischen Patritziersohn Thomas Mann dieselbe Verkettung mit der

Herkunft: also wahlverwandtschaftliches Identifizieren mit Repräsentanten,

parodistischer Abstand vom Durchschnittsmenschen. Dichtung als Selbststili-

sierung, aber mit gedeckten Schecks, ohne falsche Anmaßung.

Bei Hesse dagegen Dichtung als Bekenntnis und Selbsttherapie in Seelen-

biographien, welche die individuelle Misere nicht überhöhen, sondern

schonungslos bloßlegen. Bei Hesse Introversion, Extrovertiertheit bei Thomas

Mann, der seine Gestalten mit seitenlangen Beschreibungen ihres Äußeren zu

charakterisieren versteht. Bei Hesse stattdessen ein an Identifikation grenzen-8". i, ' , * < • • • , • - T ; '- -*•• {_/-<«•»

des Einfühlungsvermögen in seine Figuren und der^n-V^erhaltensbedingungen.

Distanzierter Beobachter der eine, Verkörperung jugendlichen Aufbegehrens

und idealistischer Ungenügsamkeit der andere.

Können so unterschiedliche Naturelle zusammenfinden, der auf Sympathie

heißhungrige und deshalb auf Anerkennung durch das Establishment bedachte

Preceptor germani^e und der jede Kumpanei mit den jeweiligen Machthabern

meidende Steppenwolf?

Doch weil in der Kunst in erster Linie das Können zählt, fiel es dem

neidloseren Hermann Hesse nicht schwer, einen Zugang zu gewinnen. Er ist es

denn auch, der das spannende Spiel mit dem Kollegen eröffnet: 1903 in Form

einer Empfehlung von Thomas Manns Novellenband Tristan.

"Man könnte glauben", heißt es 1903 in der ersten öffentlichen Äuße-

rung des damals 26jährigen Hesse über den Kollegen, Thomas Mann habe den

Ehrgeiz eines Tausendkünstlers. "In den Buddenbrooks war er der Athlet, der

kaltblütig und sicher mit der Zentnerlast eines Riesenstoffes arbeitete, im

Tristan zeigt er sich nun als zierlicher Jongleur, als Meister der Bagatelle."O->"Vw»'

Diese neuen Novellen seien zum Lachen ernsthaft und zum Weinen komisch.

"Wer solche Mischungen braut, ist niemals bloß Artist, sondern muß schon tief

aus den Schalen des Ungenügens getrunken haben, ohne die kein Artist zum

Dichter wird." Und dann nochmals 1909: "Thomas Mann ist vielleicht der

einzige unter den Intellektuellen in der schönen Literatur, bei dem ein großes

Darstellungsvermögen dem geübten skeptischen Verstand die Waage hält.

Seme Novellen sind weniger Erzählungen als Charakterstudien, aber sie sind

alle bis in das einzelne Wort hinein eigentümlich, scharf geprägt und überlegt,

eine Feinschmeckerkunst ohne alle Falschheit."

Ob der in München lebende Thomas Mann diese u<ar in der "Neuen Zürcher

Zeitung" veröffentlichten Besprechungen je zu Gesicht bekommen hat, ist

ungewiß. Den Autor des Peter Camenzind jedoch hat er vier Monate später

kennengelernt, in einem Münchner Hotel, wohin ihr gemeinsamer Verleger

Samuel Fischer die beiden neuen Hoffnungsträger seines Verlages eingeladen

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hatte, an einem der ersten Apriltage des Jahres 1904. "Beide waren wir noch

Junggesellen", erinnert sich Hesse. "Im übrigen freilich waren wir einander

nicht sehr ähnlich, man konnte es uns schon an Kleidung und Schuhzeug

ansehen."

Was wteii^erterJBffl^^^^Ttes-Äsop die elegante Stadtmaus Thomas

Mann von der unscheinbaren Feldmaus Hermann Hesse damals gehalten haben

muß, klingt nach in einem Antwortschreiben, welches er im Februar 1907 an

den Herausgeber von S. Fischers Zeitschrift "Die Neue Rundschau" gerichtet

hat auf dessen Besorgnis hin, sein Mitarbeiter Thomas Mann werde abwandern

in Hesses soeben gegründete Münchner Kulturzeitschrift "März": "Seien Sie

unbesorgt", heißt es in dieser ersten bisher auffindbaren Äußerung Thomas*.. '. -,.t - ' c ' - f - f . ' »

Manns über Hesse, "ich finde den >März< philiströs und ruppig. Politisch:

süddeutsch-demokratisch und litterarisch: Hermann Hesse - nun, ich bin kein

Ästhet, aber das ist mir zu treuherzig." Damals schrieb Thomas Mann gerade

seine Königliche Hoheit, dieses virtuose, dieh-noch ganz demokratieferne

Selbstportrait, Welten entfernt von Hesses meinetwegen treuherzigem Peter

Camenzind oder von Unterm Rad mit seinen Ausfällen gegen den Kaiser und

die Präpotenz der preußischen Hohenzollern mit ihren blanken Kanonen, doch

nicht mehr so weit entfernt von der Künstlerproblematik des Musikerromans

Gertrud, an dem Hesse damals etwa gleichzeitig schrieb. Hesse äußerte sich

über die erste Begegnung mit Thomas Mann schon in einem Brief vom

November 1904 an Alexander von Bernus: "In München war ich einmal einen

Abend mit ihm zusammen und fand ihn fein und sympathisch."

1910 erschien in der Zeitschrift "März" Hesses zweite öffentliche Äußerung

über den Kollegen, eine dreiseitige, nicht ganz unkritische Empfehlung von

Königliche Hoheit unter dem Titel "Gute neue Bücher".

Diese wollen wir etwas genauer ansehen, nicht ihrer kritischen Vorbehalte

wegen, sondern weil sie die Unterschiede zwischen Hesses vermeintlicher

Treuherzigkeit und der durchtriebeneren Erzählweise Thomas Manns sehr

schön aufzeigt. Wieder beginnt Hesse seine Besprechung mit einer Referenz an

die Buddenbrooks, die er als ein Werk bezeichnet, das man im Lauf der Jahre

mit eigenem Erleben verwechseln könne. "Die Buddenbrooks waren so

absichtslos, unerfunden, natürlich und überzeugend wie ein Stück Natur, man

verlor ihnen gegenüber den ästhetischen Standpunkt und gab sich hui wie dem

Anblick eines natürlichen Geschehens." Königliche Hoheit dagegen sei "nur

ein Roman, etwas Gewelltes, dem wir mit Interesse, Liebe, Bewunderung, aber

nicht mit solch selbstvergessener Hingenommenheit folgen". Thomas Mann

habe zwar eine Sicherheit des Geschmacks, die auf höchster Bildung beruht,

nicht aber die traumwandlerische Sicherheit des naiven Genies. Dieses denke

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überhaupt nicht an die Leser. Thomas Mann jedoch, der mißtrauische

Intellektuelle, suche sein Publikum auf Distanz zu halten, indem er es

einerseits ironisiere, ihm andererseits aber wieder Erleichterungen und

Eselsbrücken baue. Dazu gehöre die boshafte Manier, jede Figur bei ihrem

Wiederauftreten ihre stereotypen Attribute vorzeigen zu lassen und ein etwas

geschmackloses Spiel mit Namen und Masken zu treiben. "Er bringt einen

Doktor Überbein mit grüner Gesichtshaut und rotem Bart, ein Fräulein

Unschlitt, die Tochter eines Seifensieders, auch einen Herrn Schustermann mit

seinen Zeitungsausschnitten", Figuren, die nichts als Masken seien. Wenn man

dagegen eine von Thomas Manns unglaublich liebevollen Naturbetrachtungen

oder einen seiner leuchtenden Sätze über Kunst gelesen habe, begreife man

nicht, wie derselbe Mensch seine Kunst so mißbrauchen könne. Denn mit

seinen gewiß witzigen, amüsanten und heimlich befriedigenden Antreibereien

des Publikums räume er dem gemeinen Leser eine Art Überlegenheit ein, um

ihm alles Feine, Ernsthafte, Sagenswerte dafür zu unterschlagen, denn das saget*VMl«-w-

er zwar auch, aber so zart und nebenbei, daß j«»sr es nicht mehr merke. "Wir

möchten einmal", so schließt Hesses Besprechung, "ein Buch von Thomas

Mann lesen, in dem er an den Leser gar nicht denkt, in dem er niemand zu

verlocken und niemand zu ironisieren trachtet. Wir werden dieses Buch nie

bekommen. Denn jenes Spiel mit der Maus gehört bei Thomas Mann zum

Wesen." Gleichwohl sei Königliche Hoheit ein Anlaß zur Freude. Denn selbst

das Unscheinbarste, was von diesem feinen Schriftsteller komme, stehe immer

noch hoch über dem Üblichen.

Das "März"-Heft mit dieser Kritik hat Hesse dem ihm inzwischen ja persönlich

bekannten Thomas Mann zugeschickt, verbunden mit einer erneuten Einladung

zur Mitarbeit jener von ihm und Ludwig Thoma herausgegebenen Zeitschrift,

die Thomas Mann nun befolgte.

In seiner Antwort bestreitet Thomas Mann ein bewußtes Liebäugeln mit dem

Publikum und rechtfertigt sowohl seine karikierenden Namen als auch das

stereotype Wiederholen immer derselben äußeren Attribute bei Nebenfiguren

mit seiner Vorliebe für die "demagogische Kunst" Richard Wagners, die ihn,

wie er schreibt, "vielleicht für immer beeinflußt, um nicht zu sagen korrum-

piert ha^er"

Es ist Richard Wagners auf Rausch, Monumentalität und suggestive

Überwältigung bedachter Trend zum Gesamtkunstwerk und die

Kompositionstechnik des Leitmotives •ajte'Selbstzitqt, auf die Thomas Mann

hier verweist und von der er tatsächlich niemals lassen konnte bis in seine

letzten Romane hinein. Denn die Prägung durch diesen Tonkünstler, dem er in

solcher Haßliebe verfallen war, daß er ihn als "pathetischen Theatraliker"

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bezeichnen konnte, war Thomas Manns frühestes Bildungserlebnis, das ihm im

Guten wie im Problematischen künftig noch viel zu schaffen machen sollte.

Wagnersches Nibelungen-Muskelspiel rumort auch im romantisierenden

Patriotismus seiner Stellungnahmen zum Ersten Weltkrieg, die auf eine

Verhöhnung der Gegner Deutschlands, insbesondere, der von seinem Bruder

Heinrich so hochgeschätzten französichen Nachbarn hinausliefen.

Hesses musikalische Vorlieben dagegen galten dem 15. bis 18. Jahr-

hundert, den kristallinen Ordnungen der Harmonielehre Bachs, der Barock-

musik, Mozart bis Chopin und dem auch von Thomas Mann geliebten Franz

Schubert. Über Thomas Manns Verhältnis zur Musik schrieb Hesse 1949 in

einem Brief an Karl Dettinger: "Es ist ein romantisch-sentimentales, und er hat

mit ungeheurem Fleiß ein intellektuelles daraus gemacht." Über Wagner

sollten die beiden bei ihren späteren Zusammenkünften noch viel debattieren.

Und als die Nationalsozialisten im März 1934 in Leipzig Wagner-Festspiele

inszenierten, wobei nun auch Hitler sich intim mit dem Komponisten verglich,

schrieb Hesse dem Kollegen beinah schadenfroh: "Sie wissen ja, daß ich in

dem, was Sie Abschätziges und Kritisches über Wagners Theatralik und

Großmannssucht sagen, sehr mit Ihnen übereinstimme, während Ihre Dennoch-

Liebe zu Wagner mir zwar ehrwürdig und auch rührend, aber doch nur halb

verständlich ist... Ich kann ihn, offen gesagt, nicht ausstehen. Und vermutlich

empfand ich bei dem Blick auf jene Zeitung mit Hitlers Superlativen über

Wagner Ihnen gegenüber etwas wie: >Da haben Sie Ihren Wagner<NDieser

gerissene und gewissenlose Erfolgmacher ist genau der Götze, der ins jetzige

Deutschland paßt!";-. IL-.J. CrL~', i ':' •'•-'•

Doch eine im zarten Alter von neun Jahren begonnene Leidenschaft wie

diejenige Thomas Manns zu Richard Wagner ist unbeirrbar, sogar noch vom

Mißbrauch durch Bruder Hitler, wie Thomas Mann den verhinderten Maler

und darüber größenwahnsinnig gewordenen Politkomplexling 1939 in einem

glänzenden Essay aus guten Gründen nannte^^Manche^ojiüse^eft;ä-

Unglücksgeslalte^^ederTKJmische Kaiser-Nero~ödei unter den

Nationalsozialisten auch Joseph Goebbels, waren ja gescheiterte Künstler,• £ •-- l / "* s ** -" " : f' isSä-&uhe-sämWtstelterische Versuche von den Vorlagen abgelehnt-^wurden.)

Und so hat es fast etwas Rührendes, wenn Thomas Mann den in seiner

Wagner-Skepsis völlig unanfechtbaren Hesse noch 1947 zu einem gemein-

samen Ausflug nach Tribschen ins dortige Wagnermuseum zu bewegen sucht.

In einem Brief Hesses lesen wir darüber: "Es war ganz eigen, mit ihm durch

diese schönen Räume mit Erinnerungsstücken meist schrecklich geschmack-

loser Art zu gehen. Ich, ohne kritische Worte, er, dennoch sich verpflichtet

fühlend, seinen Helden zu entlasten und das trotz allem Große an ihm zu

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würdigen... Dagegen sah ich in einem Nebenraum einige Stücke von

Nietzsche, wegen dem ich als Jüngling öfter von Basel für einen Sonntag nach

Luzern fuhr, die mir den Besuch reichlich lohnten."

Mit Nietzsche war man wieder auf dem Boden der Gemeinsamkeiten. Denn für

den Verfasser des Doktor Faustus wie für den Autor von Zarathustras

Wiederkehr ist Nietzsche ein lebensbestimmender Kompaß gewesen. Thomas

Mann verehrte in Nietzsche den erfahrensten Psychologen der Dekadenz,

Hesse den Anti-Patrioten und Kritiker jedes Kollektivismus, für den nur das

Gewissen die höchste Instanz war. Diese bei aller Liebe doch wieder recht

verschiedene Form ihrer Nietzsche-Aneignung war es denn auch, was die

lange Sendepause ihres eben erst begonnenen Zwiegespräches bis in den

Ersten Weltkrieg hinein erklärt.

Hesse hatte Deutschland 1912 verlassen und war mit seiner Familie

zurück in die Schweiz, ffl3as^erloffiftsland"semef-Frau, nach Bern über-

siedelt, nicht zuletzt aus einem Unbehagen an den realen königlichen Hoheiten

in Berlin, gegen deren prahlerisches Regiment seine Mitarbeit an den Zeit-

schriften "Simplicissimus" und "März" gerichtet war. Den Ausbruch des Ersten

Weltkriegs erlebte Hesse also bereits im Exil, während Thomas Mann ihn von

München aus verfolgte. Das mag zu der ganz unterschiedlichen Weise beige-

tragen haben, womit sie damals auf diese rauschhafte Heimsuchung reagierten.

Zwar war auch Hesse bis 1915 keineswegs frei von solidarischen Sympathien

zu seinen Landsleuten, wie wir inzwischen aus seinen Briefen und Tagebuch-

notizen wissen, aber die nationalistische Selbstzerfleischung Europas empfand

er als barbarisch und rückständig. Einzig die Hoffnung, daß der Krieg endlich

der Monarchie den Garaus machen und Deutschland eine sozialere Gesell-

schaftsordnung bescheren werde, ließ ihn noch eine Zeitlang über die Zweck-

mäßigkeit des Gemetzels schwanken. Seine öffentlichen Stellungnahmen

jedoch, vom Aufruf "O Freunde nicht diese Töne" im Oktober 1914 bis bin zu

Zarathustras Wiederkehr im Januar 1919, waren alle gegen die deutsche

Kriegsführung gerichtet.

| DeFI SScH verstorbene Schweizer Thomas Mann-Forscher Hans Wysling hat

in seinem Hauptwerk, der in jeder Hinsicht gewichtigen Thomas Mann-

Bildbiographie Hesse zu den Propragandisten des Krieges gezählt, in einem

Zug mit Thomas Mann, Hofmannsthal, Hauptmann, Musil, Döblin, Kerr und

vielen anderen. Um dies zu belegen, faksimilierte er neben Thomas Manns

Gedanken im Kriege eine ganzefDoppelseite mit zwölf ähnliehen

publizistischen Hymnen anderer "Autoren auf die große Zeit, doch für Hesse

blieb er den Beleg schuldig. Denn es gibt keinen. Sein Hinweis darauf, daß

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neben Thomas Mann auch andere Intellektuelle damals dem patrlojlschen

Fieber erlegen sind, mag diesen entlasten. Aber pian ver4eckf eine der

entscheidenden Grundlagen seiner künftigerjtBezlehung zu Hesse, wenn man

die Unterschiede in ihrem Verhältnis^ Deutschland verwischt. Solidarität mit

dem "Zauberer" in Ehren^jdotSi unter den Zauberlehrlingen von Peter de

Mendelssohn über-Inge und Walter Jens, Hermann ldrjö|kejbis Marcel Reich-

Ranicki gibt es eine fatale Tendenz, die politischen Differenzen zu frisieren,•-- • . ... , - . " • •• - • - •• - • - -,B^CT-«r_Tj.^fti"W "M. mj^^

w^mit atieh ^"fbürrrasrMsBftH-^Pöf SShungl^Sri.gedient sein*kaS^Es nimmt

Thomas Mann nichts von seiner Größe, wenn man die Quelle der in seinem

Leben verfänglichen, im Werk jedoch ungemein produktiv gewordenen

Konflikte in seinem Bedürfnis nach Repräsentanz erkennt, ob er sie sich nun

erfindet als Personalunion mit der Königlichen Hoheit des monarchistischen

Deutschland, im Ersten Weltkrieg mit dem Soldatenkönig Friedrich dem

Großen, oder ob er sie selber praktiziert, in der Weimarer Republik als

Aushängeschild der Preußischen Akademie, als Sprecher der Emigranten im

Exil oder im Kalten Krieg der Ost-West-Spannung als Überbrücker des

Eisernen Vorhangs mit seinen Vortragsreisen sowohl ins kapitalistische wie ins

kommunistische Deutschland 1947 und 1955 zu den Goethe- und Schiller-

Feiern.

Jeder dieser Rollen war Thomas Mann auf glanzvolle Weise gewachsen, hat er

doch zu ihrer weltanschaulichen Rechtfertigung auf subtilere und gescheitere

Weise argumentiert als alle Politiker. Nicht aus Opportunismus, wie seine

Gegner ihm vorwerfen, sondern durch eine leidvolle politische Entwicklung

aus patriarchalischer Traditionsverbundenheit und aristokratischem Künstler-

bewußtsein ("Demokratie sei die Bestimmung des Niveaus von unten her",

sagte er im Ersten Weltkrieg) bis schließlich zur virtuosen Parteinahme für die

Demokratie und Überwindung der ideologischen Schranken.

Daß diese Entwicklung bei Hermann Hesse ungleich früher einsetzte,

ist nicht verwunderlich. Uneitel, fern von allen schaustellerischen Ambitionen,

weit weg von den Metropolen, von Wettbewerbs- und Profilierungsbedürf-

nissen, öffentlichkeitsscheu und unbestechlich wie er war, sind ihm viele der

Verstrickungen und Umwege Thomas Manns erspart geblieben. Aber auch das

hatte seinen Preis in der geringeren Welthaltigkeit, Durchtriebenheit,

Intellektualität und Komplexität seines Werkes, das wie ein Volkslied anmutet,

verglichen mit der raffiniert symphonischen Umsetzung der übrigens oft

verblüffend ähnlichen Motive und Themen bei Thomas Mann.

Doch zurück in den Ersten Weltkrieg. Als Missionarssohn begründete

Hesse 1915 die Mission seiner Kriegsgefangenenfürsorge, zu einem Zeitpunkt,

als der Kaufmannssohn Thomas Mann noch dafür plädierte, daß Deutschland

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zu seiner Radikalität im Geistigen nun endlich auch die realpolitische hin-

zugewinnen müsse. Das hielt ihn freilich nicht davon ab, den Kollegen Hesse

bei seiner Sozialarbeit zu unterstützen.

Der Krieg nahm seinen Laufund bescherte Hesse damals schon das,

was Thomas Mann erst 2wanzig Jahre später erleben sollte: die politische

Ächtung der deutschen Presse als Vaterlandsverräter. Hesses politische Mahn-

rufe zwangen diesen ab 1917 sogar dazu, sich für seine zeitkritischen Ver-

öffentlichungen einen Decknamen zuzulegen, ein Purgatorium, das er schließ-

lich nur noch mit Hilfe der Psychoanalyse bewältigen konnte. Das Fegefeuer

für Thomas Mann waren die Betrachtungen eines Unpolitischen, eine

o- •-..virtuoses, mit allen Wassern der Dialektik gewaschenes Rechtfertigungs- und

Rückzugsgefecht vom Aristokraten zum Demokraten, das erst 1924 im

Zauberberg seinen Abschluß fand.

Die Selbsttherapie für Hesse war der Demian, 1917 geschrieben und zwei

Jahre später pseudonym erschienen, bezeichnenderweise unter demselben

Decknamen, den er auch für seine politischen Mahnrufe im Ersten Weltkrieg

verwendet hatte: Emil Sinclair.

Thomas Mann war einer der ersten Leser des Buches und notierte am

29.5.1919 in sein Tagebuch: "Las die Erzählung von Sinclair weiter, mit

größter Achtung und auch Unruhe, weil mir das psychoanalytische Element

darin entschieden geistiger und bedeutender verwendet scheint als im Zauber-

berg, aber stellenweise auf merkwürdig ähnliche Art." Weil er den Verfasser

nicht erriet, schrieb er einige Tage später dem gemeinsamen Verleger S.

Fischer: "Sagen Sie mir bitte: wer ist Emil Sinclair? Wie alt ist er, wo lebt er?

Sein Demian hat mir mehr Eindruck gemacht, als irgendetwas Neues seit

langem. Das ist eine schöne, kluge, ernste, bedeutende Arbeit. Ich las sie mit

größter Bewegung und Freude... Auf so bedeutende Art hat noch keiner eine

Erzählung in den Krieg münden lassen."

In den Krieg münden sollte fünf Jahre später auch Thomas Manns Zauberberg,

dessen begonnenes und wegen der Betrachtungen eines Unpolitischen beiseite

gelegtes Manuskript er damals gerade wieder hervorgeholt hatte.

Als Otto Flake dann ein Jahr später, auf einen Wink seiner Frau hin (denn diei (U W-ft^.v-7

Frauen sind^meist die besseren Leser), das Sinclair-Pseudonym lüftete,

vermerkt Thomas Mann in einem Brief an Philipp Witkop: "Sollte Demian,

den ich sehr liebe wirklich von Hesse sein? Daß er dem Freudianismus so

zugänglich war, sollte mich wundern. Und warum dieses Versteckspiel - in

einem Augenblick wo er sein Äußerstes und Bestes gab?" Noch Jahrzehnte

später in seinem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe des Demian vergleicht

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Thomas Mann die Erzählung mit Goethes Leiden des jungen Werther, weil sie

"mit geheimnisvoller Genauigkeit den Nerv der Zeit traf und eine ganze

Jugend, die wähnte, aus ihrer Mitte sei ihr ein Künder ihres tiefsten Lebens

entstanden, zu dankbarem Entzücken hinriß."

Im Januar 1924, zehn Monate vor dem Zauberberg, erschien unter dem

Titel Psychologia Balnearia Hesses Kurgast, der in seiner ironischen Selbst-

persiflage zu Thomas Manns Lieblingsbüchern zählte, weil er ihm vorkam, wie

er sagte, "als wärs ein Stück von mir", obwohl Hesses Humor ja eher auf seine

eigenen Kosten geht als auf Kosten anderer wiec4>ei=¥fe0iHas^äBI. Anfang

Oktober 1926 fuhr Thomas Mann dann selber nach Baden an den Schauplatz

der Geschichte und schrieb dem Kollegen auf einer Postkarte: "Unmöglich,

lieber Herr Hesse, hier nicht Ihrer und Ihres entzückendsten Buches zu

gedenken! Nehmen Sie die erinnerungsvollen dankbaren Grüße dreier in Ihren

Spuren wandelnder Touristen: Thomas Mann, Katja Mann und Ernst Bertram."

In einem verlorengegangenen Brief muß er, wohl auf den Kurgast hin, Hesse

zu sich nach München eingeladen haben, ein Angebot, auf das dieser erstaun-

licherweise 1925 im Verlauf seiner Nürnberger Reise einging. Denn höchst

selten besuchte Hesse von sich aus irgendwelche Schriftstellerkollegen, die ihn

ihrerseits dafür um so hartnäckiger auch in seinen entlegensten Domizilen auf-X, . I _ ^ '•* ; -s. ? ;

zufinden verstanden. AW2S44.1925 berichtet Hesse über die Visite an Emmy

Ball-Hennings: "Gestern abend war ich zum Abendessen und zwar bis spät in

die Nacht hinein bei Thomas Mann, den ich wohl seit sechzehn oder siebzehn

Jahren nicht mehr gesehen hatte, der sich aber nicht im mindesten verändert

hat und mir in seiner gepflegten, wohlgelaunten Art wieder außerordentlich

sympathisch war." Kurz zuvor hatte Hesse das jüngste Buch von Thomas

Mann verteidigt in einer seiner zahlreichen Antworten auf Zuschriften von

Lesern, die ihm auf Kosten von Thomas Mann um den Bart zu gehen suchten:

"Über den Zauberberg kann ich mich nicht so ablehnend äußern wie Sie.

Zuweilen erinnert ja gewiß die Begabtheit und Beredtheit dieses Buches ein

wenig an das Gleichnis vom tönenden Erz. Aber in unserer so furchtbar

dünnen, armen Literatur von heute müssen wir froh sein, diese Qualität zu

besitzen, denn wenn es Thomas Mann vielleicht manchmal an der wahren

Frömmigkeit und Liebe zu mangeln scheint, so hat er doch in hohem Grad die

Liebe, Ehrfurcht und Opferwilligkeit für das eigene Werk und Handwerk. Das

ist heute schon außerordentlich viel."

Nicht verwunderlich in diesem Schreiben des Theologensprößlings ist

der Hinweis auf das biblische Gleichnis vom tönenden Erz, der auf das

Gepränge mit meist angelesenen und dann poetisch verschmolzenen Bil-

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dungswissen zielt, womit Thomas Mann, ganz im Gegensatz zu Hesse geffist,

seine Erzählungen mitunter überfrachtet. Verglichen mit Thomas Mann scheint

jmr_ persönlich Hesse der spontanere Erzähler zu sein, der durch die Wucht

seiner Anliegen auch ohne wissenschaftlich-kulturphilosophischen Überbau

auskommt, um zu überzeugen. Das zeigt auch die ganz unterschiedliche

Arbeitsweise der beiden. Hesse war kein Leistungsethiker, der sich mitv - . •- . -! • '

uhrenhafter Zuverlässigkeit von morgens neun bis mittags eins an den

Schreibtisch setzte, um den Pegasus herbeizuzwingen, sondern vergleichsweise

undiszipliniert. Er schrieb nur dann, wenn es ihn dazu drängte, oder - wie er

sagte - wenn der Zaubervogel ihm sang. Da dies jederzeit, auch mitten in der

Nacht, sein konnte, muß er für seine Angehörigen eine Zumutung gewesen

sein. Denn dann schrieb er eruptiv und reagierte ungehalten auf jede Störung.

Ahnlich ärgerlich war ihm das ständige Ausgespieltwerden auf Kosten von

Thomas Mann. "Ich bin betrübt darüber", schrieb er einem dieser Schmeichler,

"daß auch Sie, ein scheinbar so guter Leser, Hesse nicht schätzen können, ohne

Thomas Mann dafür herabzusetzen. Ich habe dafür gar keinen Sinn, und jede

solche Bemerkung eines Lesers, der mich besonders loben möchte, entwertet

mir alles, was er sagt. Wenn Sie die Gabe haben, Hesse zu verstehen, Thomas

Mann aber nicht, so ist das Ihre Sache. Wenn Ihnen das Organ fehlt, diese

entzückende und höchst einmalige Erscheinung im Raum der deutschen

Sprache erfassen und ihr gerecht werden zu können, so ist das einzig Ihr

eigener Schaden und geht mich nichts an. Aber daß ich, der ich ... ein treuer

Bewunderer von Thomas Mann bin, ständig dazu herhalten soll, gegen ihn

ausgespielt zu werden, ist mir höchst widerlich." Das war 1947. In den

zwanziger Jahren jedoch gab es zwischen den beiden noch erhebliche

politische Unterschiede. Auf jene Zeit zurückblickend schrieb Hesse 1933 an

R. J. Humm: " Thomas Mann ist mir befreundet, doch die wenigen Male, wo er

mit mir auf Soziales zu sprechen kam, stand er, bei aller intellektuellen Billi-

gung des Sozialismus, mit seinem Herzen so viel weiter rechts als ich, war in

seinem gepflegten, feinen Wesen so unangegriffen vom klaffenden Riß der

Welt, daß es mich schauderte."

Dies zeigte sich auch schon in der Weimarer Republik, als Hesse Thomas

Mann zuliebe 1926 schweren Herzens die Wahl in die Preußische Akademie

für Sprache und Dichtung akzeptierte, der einzigen offiziellen Zugehörigkeit,

auf die er sich je einließ und die er vier Jahre später wieder aufkündigte, weil

er nach und nach den Eindruck gewonnen habe (wie es in seinem

Begründungsschreiben hieß): "Beim nächsten Krieg wird diese Akademie

wieder viel zu der Schar jener neunzig oder hundert Prominenten beitragen,

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welche das Volk erneut wie 1914 im Staatsauftrag über alle lebenswichtigen

Fragen belügen werden."

Thomas Mann sah den politischen Kurs damals weniger skeptisch und

versuchte Hesse 1931 zu bewegen, seinen Austritt rückgängig zu machen. "Ich

bin nicht mißtrauisch gegen den jetzigen Staat", antwortete ihm Hesse, "weil er

neu und republikanisch ist, sondern weil er mir beides zu wenig ist"; und er

sehe in dem Versuch, die freien Geister in einer Akademie zu vereinigen, die

Absicht der Regierung, diese oft unbequemen Kritiker leichter im Zaum zu

halten. Hierauf Thomas Mann, ohne auf das Politische einzugehen, stattdessen

das Persönliche betonend: "Ich weiß sehr gut, daß Ihnen das Gesellschaftlich-

Offizielle, das4ffi-fctterarisch=Korf)orativeii immer-liegt, von Grund aus

widersteht. Aber", fügt er hinzu, "wem ginge es anders?" Über diese Frage

mag Hesse geschmunzelt haben, wie wir es tun, die wir von Thomas Manns

diplomatischer Elastizität und Lust an repräsentativer Selbstdarstellung wissen. '

Kein Wunder, daß Hesse hinwiederum auf diesen Punkt Jiicht einging, sondern ,

erneut zur Sache kam: "Also, der letzte Grund meines Unvermögens zur "f r

Einordnung in eine offizielle deutsche Korporation ist mein tiefes Mißtrauen

gegen die deutsche Republik. Dieser halt- und geistlose Staat ist entstanden aus

dem Vakuum, aus der Erschöpfung nach dem Krieg. Die paar guten Geister

der Revolution, welche keine war, sind totgeschlagen unter Billigung von

99 % des Volkes. Die Gerichte sind ungerecht, die Beamten gleichgültig, das

Volk vollkommen infantiL^Die kleine Minderheit gutgewillter Republikaner* i—- !j~ .-*

halte-er- für machtlos. Es werde eine blutige Welle faschistischen Terrors

kommen.

Und als dies genau ein Jahr später eintraf, gab Thomas Mann noch vier

Wochen vor Hitlers Machtergreifung in einem Brief an Hesse folgende

Entwarnung: "Wir sind aber, glaube ich, über den Berg. Der Gipfel des

Wahnsinns scheint überschritten, und wenn wir alt werden, können wir noch

ganz heitere Tage sehen." Acht Wochen später brannte der Reichstag, und

Thomas Mann - dank eines glücklichen Zufalls damals gerade auf

Vortragsreise in Amsterdam, Brüssel und Paris - sollte von nun an vierzehn

Jahre lang keinen deutschen Boden mehr betreten. Im März 1933 depechierte

nun auch er seinen Austritt aus der Preußischen Akademie und notiert am Tag

darauf ins Tagebuch: "Zunehmender Erregungs- und Verzagtheitszustand...

Ratlosigkeit, Muskelzittern, fast Schüttelfrost und Furcht, die vernünftige

Besinnung zu verlieren." Drei Tage später telefoniert seine Frau Katja mit

Hesse, ihr Mann sein noch ganz gebrochen und liege im Bett. Er stehe an erster

Stelle auf der schwarzen Liste derer, die von der neuen Terrorregierung als

Volksfeind angeprangert und als vogelfrei erklärt sind. Am liebsten käme er

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jetzt nach Lugano zu einer Lagebesprechung mit Hesse. Am 26. März traf er

ein und blieb einen Monat. "Es war gut", heißt es im Tagebuch, "daß wir

gleich den ersten Abend mit Hesses verbrachten, in dem schönen eleganten

Hause, das ihnen sein Züricher Freund Bodmer geschenkt hat." Um dieses

Haus hat er den Kollegen sehr beneidet. Noch 1941, in Amerika, schrieb er an

Agnes E. Meyer von der "Washington Post": "Meinem Freunde Hermann

Hesse hat ein reicher Schweizer Mäzen in Montagnola ein schönes Haus

gebaut, worin ich ihn oft besucht habe. Der Gute wollte es nicht einmal zum

Besitz haben... Das Haus bleibt dem Erbauer, und Hesse wohnt nur eben mit

seiner Frau auf Lebzeiten darin. Warum ist in diesem Lande nie eine Stadt,

eine Universität auf den Gedanken gekommen, mir etwas ähnliches

anzutragen, um sagen zu können >we have him, he is ours<?"

Etwa zehnmal in den ersten Wochen seiner Emigration war Thomas

Mann, mitunter sogar mit seiner ganzen Familie, bei Hesse, der freilich auch

von anderen Naziflüchtlingen stark in Anspruch genommen wurde. Einer

davon war Bertolt Brecht, der um dieselbe Zeit nach Montagnola kam, doch

eine Begegnung mit Thomas Mann tunlichst vermied. "Inzwischen waren

Thomas Manns öfter bei uns", berichtet Hesse Ende März 1933 dem

befreundeten Pharmakologen Arthur Stoll, "und ich sehe mit Freude, daß er

die erste schwere Depression langsam überwindet. Wir verbrachten halbe Tage

miteinander. Bei ihm herrscht ja keine materielle Not. Was aus seinem Haus

und seinen Kindern in München werden soll, weiß er nicht, und dieser Tage

läuft sein Paß ab und wird ihm von keinem deutschen Konsulat auch nur

provisorisch erneuert. Er wendet sich an den Völkerbund."

Kurz darauf aus Südfrankreich, der nächsten Station seines Exils,.,-• • :.;\,>-;/

schreibt Thomas Mann: "Ich vermisse die Möglichkeit der Unterredung mit

Ihnen"... EsJSße nichts Wohltuenderes, Heilsameres in jenen verworrenen

Tagen gegeben, als das Gespräch mit Ihnen... "Sie haben mich in der

Vermutung bestärkt, die allmählich in mir dämmert, daß etwas, was als

schwerer Schock und Schrecken begann, mir am Ende noch zum reinen;-.--""!"' J • ' • = = . - -

Gewinn werden kann." ¥nd-Hesse: Er könne Thomas Manns Heimweh

verstehen, wenn er daran denke, wie schwer es ihm selber im Ersten Weltkrieg

gefallen sei und wie lang auch er gebraucht habe, um mit dem sentimentalen

Teil seiner Deutschlandliebe aufzuräumen. Aber ihr Weg müsse nun einmalo,-"' „ ty* rtf"

herausführen "aus der Schemgeborgenheit der nationalen Zugehörigkeit, durch

Vereinsamung und Verfehmung hindurch bis in die saubere und etwas kühle

Luft des Weltbürgertums."

Rückblickend hat sich Thomas Mann oft und gern an diese ersten Besuche in

Montagnola erinnert und Hesse bis 1938, solange er noch in Europa war,

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häufig wiedergesehen, sei es im Tessin, in Baden oder seinem eigenen Heim in

Küsnacht. Schon 1930, kurz nachdem er selbst den Nobelpreis erhalten und

somit für diese Auszeichnung vorschlagsberechtigt wurde, hat er Hesse, der

ihm, wie er sagte, bald "zum Nächsten und Liebsten" unter den zeitgenössi-

schen Schriftstellerkollegen werden sollte, auf dessen Roman Narziß und

Goldmundhin gleichfalls für diese Ehrung vorgeschlagen. Er wiederholte die

Empfehlung 1933 in einem Brief an Fredrik Bööks: "Ich habe schon Jahr und

Tag meine Stimme für Hermann Hesse, den Dichter des Steppenwolfes

abgegeben, indem Sie in wählten, würden Sie die Schweiz, zusammen mit dem

älteren, wahren, reinen, geistigen, ewigen Deutschland ehren. Die Welt würde

das wohl verstehen und auch das Deutschland, das heute schweigt und leidet,

würde Ihnen von Herzen danken." Freilich mußte er den Vorschlag noch oft

erneuern, bis 1946 endlich auch in Stockholm der Groschen fiel.

Daß der öffentlichkeits- und medienscheue Hesse Thomas Mann nicht,

wie zum Beispiel die imposante Allgegenwart Gerhart Hauptmanns, störte bei

seinen internationalen Auftritten als Nachfolger Goethes und Repräsentant des

geistigen Deutschland, mag zu diesem Wohlwollen beigetragen haben. Aber es

gab noch tiefere Gründe für diese Sympathie. Weder Hesse noch Thomas

Mann waren Neutöner. Mit dem "dernier cri" hatten sie beide nichts im Sinn

und waren alles andere als darauf versessen, durch einen neuen sound die

Tradition aus den Angeln heben und mit sich selbst ein neues Zeitalter ein-

läuten zu wollen. Beide, tief verwurzelt in der Tradition, waren sie der fdentf- '•-*< J,v»< ? ! f

täf zwischen Moral und Geist, Ethik und Ästhetik verpflichtet - durch rück-

wärtige Bindungen, bei Hesse in die deutsche Romantik, bei Thomas Mann zu

den Erzählern des Naturalismus. Sie machten das Überlieferte äfctaeil, pf äzis

und kompatibel, besonders Thomas Mann, dem es auf eine exzessive ; - , ' '

Vertiefung und Nutzanwendung historischer Stoffe ankam. Eine

Rekordleistung darin ist sein Josephs-Roman, dessen Stoff im Alten Testament

knapp 30 Seiten einnimmt und von Thomas Mann auf 1350 Seiten

ausgeleuchtet wird. Dabei habe er, äußerte Hesse, "nicht das Geringste dazu

erfunden. Manchmal sieht man, daß wir Dichter doch nicht ganz überflüssig

sind". Thomas Mann wiederum betonte anläßlich des Demian: "Die besten

Diener des Neuen sind doch stets diejenigen, die das Alte kennen und lieben

und es ins Zukünftige hineintragen."

"Maß und Wert" nannte Thomas Mann denn auch eine 1937 von ihm

herausgegebene Zeitschrift, denn Maß war für ihn gleichbedeutend mit Ord-

nung und Licht.

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"Ich bin ein Mann des Gleichgewichtes", schrieb er im Februar 1935 an Karl

Kerenyi, "und lehne mich instinktiv nach links, wenn der Kahn rechts zu

kentern droht, und umgekehrt."

JJajiüVJvie^Gh'diesesiied*M^ «— *^

äußerte, hier nur zwei Beispiele: 1930, anläßlich der Kritiken zu semer soeben

erschienenen Erzählung Narziß und Goldmund, bemerkte dieser: "Jetzt

kommen die gleichen Leute, die dem Steppenwolf eine des Dichters unwürdige

Aktualität vorgeworfen haben und sprechen beim Gpldrnund von einer >Flucht./*'

in die Vergangenheit^ Ich aber habe ich diesemJBuch der Idee von

Deutschland und deutschem Wesen, die ich seit Kindheit in mir trage, einmal

Ausdruck gegeben und ihr meine Liebe ge'standen - gerade weil ich alles, was

heute spezifisch deutsch ist, so sehr hasse."

Auch in Deinem ein Jahr später begonnenen Alterswerk Das Glasperlenspiel,

an dessen Entstehung er den Kollegen passagenweise teilhaben ließ, setzte

Hesse dieses Kontrastprogrämm fo|t. Seine gegen den deutschnationalen

Mythos ^on Blut und Boden gerichtete Tendenz hat Thomas Mann denn auch

sofort bemerkt. Das zeigt sein Tagebucheintrag über das Regenmacher-Kapitel

vom 6.5U934: "Die Novelle ist schön gearbeitet und betreut das Primitive auf

eine humane Art, ohne es zu verherrlichen." Etwas ganz Ahnliches unternahm

damals auch Thomas Mann mit dem Vergangenheitstrip seiner Josephs-

Romane/deren übernationale Tendenz er 1941 in einem Brief an Karl Kerenyi

so charakterisierte: "Man muß dem intellektuellen Faschismus den Mythos

wegnehmen und ihn ins Humane umfunktionieren. Ich tue längst nichts

•anderes mehf." Wie aber reagierten die neuen Machthaber darauf?

Die ersten beiden J„Qsephsr,Romane 'wären trotz Thomas Manns unfreiwilliger "

Exöterang noch im Berliner S. Fischer Verlag erschienen, der ja auch

Hermann Hesses publizistische Heimat war. Noch kurz vor seinenvTod im

Oktober 1934 hatte Samuel Fischer seinen,Schwiegersohn Gottfried Bermannl/i/C'HsXit.' r*-- -f

Fischer und Peter Suhrkamp als leineJ^aehfolger bestimmt. Obwohl als Jude

unerwünscht, versuchte Bermann Fischer solange wiejtnöglich die Stellung in

Berlin zu halten, bis schließlich auch er dem Druck'der politischen

Verhältnisse weichen und mit seiner FamiliejMs nazistisch gewordene

Deutschland verlassen mußte. Es grenzt aaein Wunder, daß er noch 1936

emigrieren konnte und neben einer finanziellen Entschädigung (200 Tsd. RM)

sogar die kompletten Buchbestände'(780 Tsd. Bände) der politisch mißliebigen

Verlagsautoren (zu denen inzwischen auch Thomas Mann zählte) mit nach

Österreich in seinen ersten Exilverlag nehmen konnte. Das hatte er den

geschickten Verhandlungen Peter Suhrkamps mit der

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Reichsschriftturnskammer zu verdanken, die jenen Verlagsteil freilich nur

unter der Bedingung freigab, daß das Werk des gleichfalls in den Exilverlag

drängenden "arischen" Dichters Hermann Hesse im Berliner Stammhaus blieb.

"Was Sie gelten", schrieb Thomas Mann am 7.3.1936 nicht ohne einen Anfiug

von Neid an Hermann Hesse, "zeigt sich ja darin, daß man Ihr bisheriges Werk

durchaus nicht mit hinauslassen will. Es muß im Lande bleiben ... Meins darf

hinaus, und es wird sich dann eben nur fragen, ob es [vom Exil aus] wird

eingeführt werden dürfen." K *,<•!.'• !_> -• $JJ <i'f ' ' -,.'

Hesse war mit dieser britopeMtisehen Nötigung durchaus nicht einverstanden.

Das zeigt sein Versuch vom April 1936, die Verlagsrechte an seinen Büchern

aus dem Berliner Stammhaus herauszjikaufen. Vergebens - denn dies hätte,

wie Peter Suhrkamp ihm am 6.5.1936; schrieb, die Weiterexistenz des Verlags

in "äußerste Gefahr" gebracht. Für Hejsses Bücher folgte von nun an jene

Gratwanderung "zwischen Duldung und Sabotage", die alles andere als

beneidenswert war. Denn bald schon stellte sich heraus, daß keines seiner

zeitkritischen Werke mehr nachgedruckt werden durfte, und die kümmerlichen

Honorare, welche seine noch geduldeten Bücher einbrachten, wurden auf

deutsche, Sperrkonten eingefroren, so daß Hesse, wie schon im Ersten'•• ' '. -?-- :-> '-•• .-* ' '•*'"

Weltkrieg und den Inflationsjahren, auf die rhäzenatische Hilfe seiner'! '; f Vu i, <•

schweizer Freunde angewiesen war, um die Zeit des Nationalsozialismus

finanziell zuXiberleben. Ganz anders Thomas Mann, dessen künftig in Wien,

Stockholm und den USA erscheinende Bücher ihm auch im Exjl einen

Lebensstil erlaubten, der sich kaum vom vorherigen unterschied, uch Hesses

pädagogischer Gegenentwurf zum totalitären Zeitalter, Das Glasperlenspiel,

konnte im damaligen Deutschland nicht erscheinen, so daß er sich genötigt sah,

das Werk erst Ende 1943 mit einem Jahr Verspätung, in der Schweiz zu

veröffentlichen! wo4hm vergleichsweise minimale Marktchancen beschieden

.waren.

Obwohl Thomas Mann bereits große Teile des-Buches kannte, war er dann

doch merkwürdig beunruhigt, als im März 1944 die beiden Bände des

Glasperlenspiels in seinem kalifornischen Exil eintrafen. Er schrieb damals

gerade seit einem Jahr am Doktor Faustus. Seine erste Reaktion im Tagebuch:

"Gewissermaßen erschrocken. Dieselbe Idee der fingierten Biographie. Die

Erinnerung, daß man nicht allein auf der Welt ist, immer unangenehm" ... "das

Meine sehr viel zugespitzter, schärfer und komisch-trauriger. Das Seme

philosphischer, schwärmerischer, religiöser, obgleich auch nicht ohne

Herausgeber-Humor und Namens-Komik." Und am selben Tag in einem Brief

an seine amerikanische Gönnerin Agnes E. Meyer: "Für meine arme Seele war

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es etwas wie ein heilsamer Schock, als gestern aus der Schweiz das große

Spätwerk des alten Hermann Hesse eintraf, an dem er länger als ein

Jahrzehnt... gearbeitet hat. Das Glasperlenspiel, etwas völlig Versponnenes,

Einsames, Tiefsinniges, Keusches und Dollar-Fernes, unübersetzbar, enorm

deutsch. Dabei hat es, schon als fingierte Biographie, aber auch durch die

Rolle, die die Musik darin spielt etc., eine unheimliche, geisterhaft-brüderliche

Verwandtschaft mit meiner gegenwärtigen Schreiberei. Es ist immer eine

eigentümlich verletzende Entdeckung, daß man nicht allein auf der Welt ist.

Goethe fragt einmal unverfroren: >Lebt man denn, wenn andere leben?<"

Und noch im Jahr 1948, drei Monate nachdem der Doktor Faustus

erschienen war, lesen wir in einem Brief Thomas Manns an Otto Basler, der

ihm Hesses Musikalische Betrachtungen geschickt hatte: "Dank für seine

Musikalien, die charmant bis zum Bezaubernden sind. Es ist wohl gut, daß ich

sie nicht zur Zeit des Faustus las; leicht hätten sie mich entmutigen können.

Diese Gefahr bestand übrigens auch beim Glasperlenspiel und wurde nur nicht

akut, weil dieses in der himmlischen Sphäre der Musik spielt, aus der sie durch

Beethoven ins Menschliche fiel, um durch Leverkühn ins Höllische zu fallen.

Wie verwandt stehen diese beiden Hauptleistungen des heutigen Romans in der

Zeit - und wie so gar nicht berühren sie sich auch wieder und sind einander im

Wege! Das ist sehr gut. "..."Es sind ja Bruderwerke bei aller Verschiedenheit,

und die Deutschen sollten wieder einmal froh sein, daß sie zwei solche Kerle

haben, sie wissen aber nie, was sie haben."

Von nun an begann auch Thomas Mann den Kollegen zu verteidigen, wenn

man Hesse herabsetzte, um ihn selbst zu rühmen, so zum Beispiel in einer Ent-

geg^nung vom Dezember 1947 auf abfällige Äußerungen des Historikers und

Kulturphilosophen Erich von Kahler: "Hesse, glaube ich, tun Sie unrecht. Es

ist das doch ein wohltuend außerdeutsches Deutschtum... Narziß und Gold-

mund war ein schönes Buch, auch Demian hatte etwas den Nerv Treffendes,

und aus dem Glasperlenspiel spricht eine verträumte Kühnheit in der Realisie-

rung geistiger Dinge mich an... als Werk gehört es doch zu dem wenigen

Wagemutigen und eigensinnig-groß Konzipierten, was unsere verprügelte,

verhagelte Zeit zu bieten hat."

weil ja auch heute noch, selbst unter Akademikern verbreiteten-Gegen-

einanderausspielen der beiden, in einem Schreiben vpafS.7.47 an Thomas

Mann: Soeben habe er endlich einmal einen prief bekommen "mit einer völlig

gleichmäßigen Verteilung der Liebe für Sie und mich, während ich allzu oft

von biederen Wandervögeln für ihresgleichen genommen und zu hören und zu

lesen bekommen mußte, wie sehr man es an mir schätze, daß ich nicht ein so

kühler und geschniegelter Weltmann sei. Ich bin gewiß, daß Sie ebenso oft

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Htddigungen empfangen haben, die sich durch ehrenvolle Vergleiche mit dem

blauäugigen schwäbischen Idylliker mehr Würze zu geben strebten." -*

Endlich im Oktober 1947, vier Jahre nach Hesses Glasperlenspiel, war

auch der Doktor Faustus erschienen, und in das Exemplar, das der Verfasser

seinem Kollegen schickte, notierte er die Widmung: "Hermann Hesse - dies

Glasperlenspiel mit schwarzen Perlen von seinem Freunde Thomas Mann".

Schwarze Magie also im Pakt des modernen Faustus mit dem Teufel, weiße

Magie im Glasperlenspiel, einer Versuchsanordnung zur künftigen Vermei-

dung solcher Teufeleien. -

Gespannt lauerte Thomas Mann nun auf alles, was seine Kollegen über

diesen seinen neuesten Hochseilakt äußerten. Hesse tat es direkt und mit wohl-

begründetem Beifall in einem ausführlichen Schreiben vom Dezember 1947 an

den Verfasser. Aber Thomas Mann traute diesem ihm gar zu gut duftenden

Braten nicht recht und schrieb an den gemeinsamen Freund Otto Basler:

"Unter uns, es ist mir ziemlich deutlich, daß Hesse nicht sehr angetan ist vom

Faustus. Wenn er direkt davon spricht, läßt er sich nichts merken. Aber vorher,

als von der Fortsetzung des Krull die Rede ist, freut er sich bedeutsam auf den

>Spaziergang in artistischer Höhenluft< und auf das >Spiel mit einer von

aktuellen und makaberen Problemen freien Materie<. Ja, ja, der Faustus ist

aktuell und makaber, eine blutige Angelegenheit, - bei der ich, wie Hesse aus

Höflichkeit behauptet, >kaum jemals die gute Laune, den Spaß am Theater

verloren< habe. >Kaum jemals< ist sehr zart gesagt."

So ganz unrecht hatte Thomas Mann mit seinem Argwohn nicht. Der

Frau des Verlegers Bermann Fischer schrieb Hesse damals zwar, daß er abends

mit hohem Genuß den Leverkühn lese, und an Albrecht Goes, daß der umfang-

reiche neue Roman ihn ergötze, er sei "scheinbar weitschweifig-versponnen im

Einzelnen aber in jedem Satz präzis und klar geschliffen, so daß man

aufpassen muß wie bei polyphoner Musik, um möglichst wenig zu überhören."

Aber nach Beendigung der Lektüre gab es doch auch Vorbehalte. So lesen wir

in Hesses Brief vom 20.1.48 an Otto Basler: "Vermutlich hat Thomas Mann

das >faustisch< Deutsche, wie er es kannte, und wie er es in sich selber trägt,

einmal von seiner diabolischen Seite betrachten wollen und zwar im Bild der

deutschen Musikalität, die ja einerseits eine hohe Begabung, andererseits auch

ein Laster ist, so wie Thomas Mann selber vermutlich seine tiefe Liebe zu

Wagner als problematisch und gefährlich empfindet. Das wäre das Primäre.

Hinzugetan hat er dann noch das andere, das Stück Zeitgeschichte und

Schlüsselroman, den schlechteren aber auch amüsanteren Teil des Werkes, und

hat insofern ins Schwarze getroffen, als München in der Geschichte der reak-

tionären Tendenzen wirklich eine führende Rolle gespielt hat und vermutlich

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auch heute noch spielt." Doch als Süddeutscher und Alemanne relativiert er

auch^wieder was er an Thomas Manns norddeutscher Herablassung als

ungerecht empfindet und bemerkt: "Thomas Mann hat das Süddeutsche stets

beinahe nur parodistisch gesehen, wenn auch oft sehr gut beobachtet, aber

ohne Herzensbeziehung, und als großer Arbeiter und von seinem Werk

Besessener hat er Vieles vereinfachen müssen, was wir komplizierter nehmen".

Und über ihrer beider Verhältnis in diesem Zusammenhang: "Wenn ich für ihn

ein scheinbar etwas ländlicher und harmloser kleiner Bruder bin, so spürt und

kennt er doch das fremde Zentrum, um das ich schwinge, ganz gut." (am

20,7.1950 an Ludwig Renner)

Thomas Mann zögerte lange bis er aus seinem kalifornischen Exil nach Europa

zurückkehrte. Das Gift, das man in den zwölf Jahren des großspurigen

Tausendjährigen Reiches gegen ihn verspritzt hatte, wirkte noch lange nach,

selbst bei den in Deutschland verbliebenen Autorenkollegen, der sogenannten

Inneren Emigration, von denen nur ganz wenige, obenan Ernst Penzoldt,

Albrecht Goes und Alfred Andersen, sich öffentlich zu ihm zu bekennen

wagten.

Um das Terrain zu sondieren, ließ er sich 1947, 1949 und 1950 auf kurze

Vortragsreisen in seine alte Heimat ein, um sich dann 1952 aus guten Gründen

nicht in München niederzulassen, wo er bis zur Bedrohung durch Hitler drei

Jahrzehnte gelebt hatte, sondern dort, wo auch Hesse war, in der Schweiz.

Hier trafen sie sich nun alljährlich wieder, in Montagnola zumeist und

1954 auch für einige Wochen im Engadin, in Nietzsches Sils Maria. Dort

bewohnten sie im selben Hotel den gleichen Flügel, Katja und Thomas Mann

ein Stockwerk höher, Ninon und Hermann Hesse die Zimmer darunter. Man

las sich vor, spaßte und wunderte sich über die Kapriolen deutscher Ver-

gangenheitsbewältigung, sei es nun durch die Besatzungsmächte mit dem Ver-

such des amerikanischen Pressesprechers Hans Habe, Hesse im Nachkriegs-

deutschland mundtot zu machen, oder über den Amoklauf des damaligen

Rektors der Basler Universität Walter Muschg, der Thomas Mann vorwarf, er

habe durch seine nihilistische Schreiberei Deutschland dem Nationalsozialis-

mus in die Arme getrieben.

Als Thomas Mann durch Dritte erfuhr, aufweiche Weise sich Hesse schon

Jahre zuvor, gleich nach der Veröffentlichung dieser Äußerungen in Muschgs

Tragischer Literaturgeschichte (1948) gewehrt hatte, schrieb er an Otto Basler,

dieser Hesse sei doch ein kurioser Mann: "Immer stellt er sich als uralt,

abgenutzt, weit- und meinungsmüde dar, und dann plötzlich schlägt er drein

wie ein junger Kämpe, daß die Funken sprühen. Es ist ein Vergnügen."

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Angriffe auf Thomas Mann schmerzten Hesse nicht weniger als die deutsche

Restauration und Wiederbewaffnung. Sie erregten ihn zuweilen mehr als gegen

ihn selbst gerichtete Attacken. Das lag für ihn alles auf einer Ebene. Wie auch

die Schmähungen Alfred Döblins, der den Erzählstil Thomas Manns als groß-

bürgerliche "Degeneration" und "Bügelfaltenprosa" abgetan und Hesse

schlichtweg als "langweilige Limonade" bezeichnet hatte. Als

Eifersuchtsreaktion auf den Nobelpreis war das vielleicht noch einzuordnen,

nicht aber die Angriffe Manfred Hausmanns und die überheblichen

Absetzmanöver der Kriegsheimkehrergeneration mit ihrer

"Kahlschlagliteratur" und die der "Gruppe 47".

"Das Versagen der deutschen Leser Thomas Mann gegenüber", schrieb

Hesse noch 1951 i-a=@iaem^BrJbfeatt^^te4i^^ffl^Hfl, "ist auffallend. Die

deutsche Jugend kennt als Gegenmittel zu der ihr eingeborenen Sentimentalität

nur noch den Heroismus und Zynismus, nicht aber die Ironie." Thomas Manns

höhere Heiterkeit, seine Methode des ironischen Distanzierens, hielt Hesse für

eine Art Abwehr des Ergriffenwerdens, der Faszination. Dies, meinte er, zeige

sich auch in der Art seines Vorlesens. Thomas Mann sei, berichtet er, nachdem

er ihm im Mai 1950 zwei Kapitel aus dem Erwählten zum besten gegeben

hatte, "unglaublich frisch und unverändert in seiner adretten und leicht

mokanten Art. Ihn sprechen zu hören, ist schon rein sprachlich ein Genuß."

"So wie er liest, spricht er auch, stets genauestens akzentuierend, mit etwas

Mimik, viel Distanz und Ironie und stets mit einer Spaßigkeit und

Spitzbüberei, für die man ihn gern hätte, wenn man es nicht schon aus anderen

Gründen täte."

"Sterben Sie ja nicht vor mir!" schrieb Thomas Mann zu Hesses 75.

Geburtstag, "Erstens wäre es naseweis, denn ich bin der nächste dazu. Und

dann: Sie würden mir furchtbar fehlen in dem Wirrsal, denn Sie sind mir darin

ein guter Gesell, Beistand, Beispiel, Bekräftigung, und sehr allein würd ich

mich ohne Sie fühlen." Und daraufhin Hesse: "Sollten Sie etwa vor mir das

Zeitliche segnen - ein schönes Wort, das genau genommen ja nichts andreres

meint als ein Preisen der Vergänglichkeit - so würde ich mich allerdings kaum

zu einem Preisen oder Segnen aufzuraffen imstande sein, sondern einfach sehr

betrübt werden." Und als Thomas Mann dann tatsächlich vor ihm starb, sprach

Hesse von einem Gefühl der Leere und des Alleingebliebenseins wie zwei

Jahre zuvor beim Verlust seiner letzten Schwester. In tiefer Trauer nehme er

Abschied, schrieb Hesse 1955 in der "Neuen Zürcher Zeitung": "Von diesem

Meister der deutschen Prosa, dem trotz allen Ehrungen und Erfolgen viel Ver-

kannten. Was hinter seiner Ironie und Virtuosität an Herz, an Treue, Verant-

wortlichkeit und Liebesfähigkeit stand, jahrzehntelang unbegriffen vom großen

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deutschen Publikum, das wird sein Werk und Andenken weit über unsere ver-

worrenen Zeiten hinaus lebendig erhalten."

So ist es denn auch gekommen, wie andererseits auch Thomas Manns

Vorhersage eingetroffen ist, daß Hermann Hesse, freilich erst nach seinem

Tod, auf wahrhaft grenzüberschreitende Weise die "Sympathie der

Menschheit" gewonnen hat, mit einem Werk, das, wie Thomas Mann betonte,

"seinesgleichen sucht an Vielschichtigkeit und Beladenheit mit den Problemen

von Ich und Welt".