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Wirtschaft - Synapticon€¦ · R D O N W E L T E R S / D E R S P I E G E L. Wirtschaft tisch im Großraumbüro. Das Gebäude ist umgeben von Baustellen. In den kommen-den Monaten

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Wirtschaft

Nikolai Ennslen und Andrija Feherhalten nichts von falscher Beschei-denheit. Als die beiden Studenten

beschlossen, ein Unternehmen zu grün-den, war klar: Es sollte groß werden, rich-tig groß. „The sky is the limit“, sagt Enns-len heute, sieben Jahre später.

Da ist noch Luft nach oben. Vor Kurzemzogen sie mit ihrem Unternehmen Synap-ticon und 45 Mitarbeitern in eine neue Fir-menzentrale in Schönaich bei Stuttgart. Ineinem nüchternen Zweckbau entwickelnsie hier intelligente Steuerungssysteme fürRoboter. Ihr Ziel, so sagen es Ennslen undFeher: „Synapticon inside“ soll für die Robotik so selbstverständlich werden wie„Intel inside“ für Computer.

Ist das Größenwahn? Odergenau der Gründergeist, dendas Land dringend braucht?

Schönaich liegt in einer Re-gion, in der einst Robert Boschund Gottlieb Daimler Unter-nehmen gründeten, die nochimmer das Land und seine Be-wohner prägen: Wer in Stuttgartstudiert, strebt meist einen si-cheren Job „beim“ Daimler oderBosch an, wie man hier sagt.Oder bei einem der vielen „Hid-den Champions“, den mittel-ständischen Maschinenbauern,die in ihrer jeweiligen Nischeden Weltmarkt beherrschen.

Neue Weltmarktführer abersucht man hier vergebens. Da-bei würden sie dringend ge-braucht.

„Wir Deutschen waren mal sehr gut imGründen, aber das ist 150 Jahre her“, sagtEnnslen, 33. Das Land sei „softwaremäßigunterentwickelt“, ergänzt sein Partner Fe-her, es sei zur falschen Zeit erfolgreich ge-wesen. Erfolg mache satt.

Die Diagnose deckt sich mit dem Be-fund von Dietmar Harhoff, der den Verlustdes Gründer-Gens allerdings nicht ganz soweit in der Vergangenheit ansiedelt. „DieBereitschaft und die Fähigkeit zum Selbst-ständigsein haben wir irgendwann nachder Grundig-Nixdorf-Generation ver-lernt“, sagt Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wett-bewerb in München.

Das Wirtschaftswunder der Nachkriegs-zeit brachte Unternehmerpersönlichkeiten

wie Max Grundig oder den Computerpio-nier Heinz Nixdorf hervor. Danach kamnicht mehr so viel.

Noch ist die deutsche Wirtschaft stark,aber sie lebt von der Substanz. Ihre Stärkeliegt in der stetigen Verbesserung von Pro-dukten und Technologien, sie baut die bes-ten Autos und die besten Maschinen. Sokonnte sie lange Zeit verbergen, dass ihretwas Grundlegendes fehlt: Innovations-kraft. Die Fähigkeit, ganz Neues zu schaf-fen: neue Technologien, neue Produkteund neue Geschäftsmodelle.

Innovationen kommen selten aus großenKonzernen mit hierarchischen Strukturen,wo jeder sich absichert. Innovationen brau-chen Freiräume – und Mut. Deshalb ge-

deihen sie am besten in jungen Unterneh-men, die wenig zu verlieren, aber alles zugewinnen haben, und in Regionen, die ihnen für ihr Wachstum das geeignete Öko-system bieten – viel Kapital inklusive.

So sind in den USA in den Siebziger-jahren Giganten wie Apple und Microsoftentstanden und um die JahrtausendwendeGoogle, Facebook und Amazon, Konzer-ne, die inzwischen die Liste der größtenund wertvollsten Unternehmen der Weltanführen. Zusammen sind sie unglaubliche2,5 Billionen Euro wert, weit mehr, als allebörsennotierten Unternehmen in Deutsch-land zusammen.

Schaut man auf den Dax, den Aktien-index der 30 wichtigsten deutschen Un-ternehmen, so finden sich dort vor allem

Konzerne, die schon vor dem Zweitenoder gar Ersten Weltkrieg gegründet wor-den sind: Bayer und Siemens, Daimler undAllianz. Der Softwarehersteller SAP istdas einzige deutsche Unternehmen aus derindustriellen Neuzeit, das im globalenWettbewerb eine führende Rolle spielt.

Für die Zukunft der deutschen Wirt-schaft sind das schlechte Aussichten. Da-tengetriebene Internetkonzerne bedrohenihre traditionellen Geschäftsmodelle,gleichzeitig ist sie in den zukunftsträchti-gen Hightech-Branchen kaum vertreten.

„Wir haben in den letzten Jahrzehnteneinfach alle großen Technologietrends ver-schlafen“, sagt der Investor Frank Thelen.„Suchmaschinen, mobiles Internet, Online-

video, soziale Medien – alles istin amerikanischer Hand. Wirmüssen in Deutschland endlichwieder einmal etwas erschaffen,was weltweite Relevanz hat.“

Thelen, Fernsehzuschauernbekannt als Juror der TV-Sen-dung „Die Höhle der Löwen“,einer Art Castingshow fürGründer, ist ein Pionier derdeutschen Start-up-Szene, erhat eine spektakuläre Pleiteund erfolgreiche Gründungenhinter sich. Derzeit setzt er diegrößten Hoffnungen auf einjunges bayerisches Unterneh-men: Lilium Aviation entwi-ckelt ein elektrisches Lufttaxi,das senkrecht starten kann.„Wir haben am Anfang ge-dacht, die haben einen Knall“,

sagt Thelen, 41. „Aber das Gründerteamist unfassbar stark, und mein Technik -experte hat mir gesagt: Es wird fliegen.“

Keiner weiß, ob es Synapticon gelingenwird, den Markt der Robotik zu erobern,oder Lilium Aviation, die Luftfahrt grund-legend zu verändern. Aber wichtig ist, dasssie es versuchen. Und dass es noch vielmehr junge Unternehmer gibt, die Großeswagen: Deutschland braucht eine neueGründerzeit – sonst wird es seine Rolle alswichtige Industrienation verlieren.

In den vergangenen Jahren hat sichschon einiges getan. Rund 6000 Start-upssind entstanden, junge Unternehmen, dieein innovatives Geschäftsmodell verfolgenund schnell wachsen. So schätzt es derDeutsche Start-up-Verband, den es auch

58 DER SPIEGEL 12 / 2017

Unternehmen WeltspitzeDigitalisierung In Berlin sind Start-ups bereits ein Wirtschaftsfaktor, auch im Rest derRepublik tut sich was. Das ist dringend nötig: Um nicht den Anschluss zu verlieren,braucht Deutschland mehr Gründer – und mehr Mut, mehr Geld, mehr Lust am Risiko.

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Synapticon-Initiatoren Ennslen, Feher: „Softwaremäßig unterentwickelt“

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Factory-Chef Schloemer: „Wir sind kein Zoo“

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schon gibt und der seinen Sitz, natürlich,in Berlin hat. Nicht nur wegen der Nähezur Politik: In der Hauptstadt sind die jun-gen Gründer zu einem wichtigen Wirt-schafts- und Imagefaktor geworden; aberauch im Rest der Republik, in Münchenvor allem, hat sich eine interessante Grün-derszene entwickelt. Eine Szene, die festin Männerhand ist: Nur 14 Prozent derNeuunternehmer sind Frauen.

Die Frage wird sein, ob das alles reicht –und was noch getan werden muss, damitsich die deutsche Wirtschaft tat-sächlich von unten erneuert.

Wie kaum ein anderer Ort istdie Factory in Berlin ein Symbolfür die Start-up-Szene derHauptstadt geworden, für dasGeflecht von jungen Internetfir-men und Investoren also, das inden vergangenen Jahren ent-standen ist.

Klar gibt es in der Factoryeine Tischtennisplatte. Selbst-verständlich fehlen auch die offene Kaffeeküche und der„Nap Room“ nicht, der Rück-zugsort für den Mittagsschlafzwischendurch. Die Wände sind aus un-verputztem Backstein, die Stühle stammenvom Designer Charles Eames, und natür-lich sitzen darauf junge Menschen mitKopfhörer und MacBook. Optisch ist dieFactory ein Klischee.

Das Gebäude am ehemaligen Mauer-streifen war früher eine Brauerei. Ab 2011bauten es eine Handvoll Immobilienent-wickler zum Campus für Digitalunterneh-men um. In den oberen Etagen haben sichFirmen wie Soundcloud oder Twitter ein-gemietet. Im Erdgeschoss liegt der Co-

Working-Space, Arbeitsplatz und Treff-punkt für Freiberufler, Gründer und alleanderen Mitglieder.

Immer mehr Unternehmen der Old Eco-nomy suchen Kontakt zu Start-ups. DieFactory bedient diese Nachfrage. Wie ineinem Klub können etablierte Firmen Mit-glied werden. Dafür erhalten sie Zugangzum Campus, zu den Veranstaltungen,dem Netzwerk. Die Deutsche Bank zähltzu den Mitgliedern, ebenso der Automo-bilzulieferer Schaeffler. Anfragen anderer

Art lehne er ab, sagt Factory-Geschäftsführer Udo Schloe-mer: „Manchmal rufen Managerhier an und fragen: Kann ichmal gucken kommen? Das gibt’snicht. Wir sind kein Zoo.“ Esgehe darum, dass die Konzerneden Start-ups auf Augenhöhebegegneten.

„Jeder sucht heute sein Heilin Berlin“, sagt Jan Beckers, 34.Er kam 2008 nach dem BWL-Studium aus Münster nach Ber-lin, mit einem klaren Ziel: „Ichwollte Internetunternehmer wer-den.“ Damals habe die Szene

„aus gefühlt hundert Leuten“ bestanden,die es auch deshalb nach Berlin verschlug,weil sie mitten in der Finanzkrise in Un-ternehmensberatungen oder Investment-banken keinen Job fanden. Das sozialeNetzwerk StudiVZ war der Star dieser jun-gen Szene – und scheiterte wenig später ander Übermacht von Facebook. Es warendie Anfänge des Berliner Ökosystems.

Seitdem hat Beckers rund zwei Dut-zend Start-ups aufgebaut. Er ist das, wasman einen Serienunternehmer nennt. Fin-Leap, Beckers aktuelles Projekt, brütet

mehrere Ideen gleichzeitig aus: eine App,die Versicherungsmakler überflüssig ma-chen will, oder eine digitale Vermögens-verwaltung.

Weil die Geschäftsmodelle so komplexseien, suche FinLeap für die Chefpostenbewusst nach erfahrenen Managern, sagtBeckers. Kürzlich warb er einen ehemali-gen Vorstand der Bertelsmann-Tochter Ar-vato ab. „Du kannst mit einem WHUlerfrisch von der Uni keine Bank bauen“, fin-det Beckers.

Die Absolventen der WHU, einer pri-vaten Wirtschaftshochschule, tummelnsich in großer Zahl in Berlin, was aucham Einfluss Oliver Samwers liegt, der systematisch Nachwuchskräfte von sei -ner ehemaligen Hochschule rekrutiert.Samwers börsennotiertes UnternehmenRocket Internet gilt als Start-up-Fabrik.Es stößt massenweise Neugründungen aus,die aber meist Geschäftsmodelle andererkopieren.

Die Gründerszene hat der Berliner Wirt-schaft, die kaum von industrieller Substanzzehren kann, einen Schub verschafft. NachBerechnungen der Investitionsbank Berlintrug die Digitalwirtschaft 2016 knapp achtProzent zum Bruttoinlandsprodukt derHauptstadt bei – mehr als die Bauwirt-schaft und fast so viel wie die Industrie.Rund 77000 Menschen sind im BerlinerDigitalsektor regulär beschäftigt.

Ein guter Teil davon, rund 5000 Men-schen, arbeiten in einem der BerlinerStandorte des Onlinehändlers Zalando.Vorstand Robert Gentz, 33, sitzt im viertenStock der Firmenzentrale unweit der Gren-ze zwischen Friedrichshain und Kreuz-berg. Mit seinen beiden Kovorständen ar-beitet er noch immer an einem Schreib-

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Zalando-Vorstand Gentz, Hightech-Werkstatt Makerspace in Garching bei München: „Man muss ein Unternehmen lieben, in guten wie in schlechten

erlauben Sweateroder Kapuzenpulli

im Büro

95%

Umfrage indeutschen Start-ups

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tisch im Großraumbüro. Das Gebäude istumgeben von Baustellen. In den kommen-den Monaten soll hier ein Campus für 5000Zalando-Mitarbeiter entstehen.

2008 von Gentz und seinem Studienkol-legen David Schneider gegründet, hat Za-lando einen steilen Aufstieg hingelegt. Ausder einfachen Idee, Schuhe im Internet zuverkaufen, ist ein Unternehmen mit 3,6Milliarden Euro Jahresumsatz und solidenGewinnen geworden.

Seit Mitte 2015 ist Zalando im MDax gelistet, der zweiten Liga derdeutschen Börsenlandschaft,und dort aktuell mehr wert alsdie Luft hansa. Womöglichkönnte Zalando in absehbarerZeit in den Deutschen Aktien-index aufsteigen, es wäre damitder erste Dax-Konzern mitHauptsitz in Berlin – und dererste der Internetära.

Um weiter zu wachsen undgegen globale Konkurrentenwie Amazon zu bestehen, willGentz Zalando vom Online-händler zur Technologieplatt-form umbauen, an die sich ver-schiedene Geschäftsmodelle andocken las-sen. Schon jetzt verkauft das Unterneh-men nicht mehr nur Artikel aus seinen ei-genen Warenlagern, sondern lässt sie vonModemarken selbst oder aus Läden lie-fern. Vor wenigen Wochen übernahm Za-lando eine Sportschuhkette aus München.„Auf dem europäischen Modemarkt wer-den pro Jahr 400 Milliarden Euro umge-setzt“, sagt Gentz, „davon haben wir nochnicht mal ein Prozent.“

Er sei nie daran interessiert gewesen,sagt Gentz, mit dem Verkauf seiner Fir-

menanteile Kasse zu machen und aus demUnternehmen auszusteigen. Diese Einstel-lung kritisiert er bei vielen Jungunterneh-mern, die ihr Glück in Berlin versuchen:„Man hört hier immer noch zu häufig: Ichmöchte vor allem deshalb ein Start-upgründen, um es zu verkaufen. Ein Unter-nehmen ist kein kurzfristiges Projekt. Manmuss es lieben, in guten wie in schlechtenZeiten.“

Nicht nur deshalb betrachtet Yaron Val-ler das Berliner Ökosystem mit Sor ge. Es

sei aus dem Gleichgewicht gera-ten und werde „fast ausschließ-lich von Business-Leuten domi-niert“, sagt der Israeli, der voneinem Büro in der Friedrichstra-ße den mehr als 300 MillionenDollar schweren Wagniskapital-fonds Target Global managt.„Eine gesunde Gründerszenebraucht beides“, sagt Valler,„Businessideen, die durch exzel-lente Umsetzung glänzen, undtechnologische Innovationen.“

Noch immer betreiben vieleStart-ups der Hauptstadt On-lineshops oder Marktplätze,

vergleichsweise einfache Geschäftsmodel-le, die sich andererseits nur mit viel Ka-pital bewähren können.

2017 könnte für viele ein entscheiden-des Jahr werden – und es fing nicht gutan. Im Januar meldete das Onlineauktions -haus Auctionata Insolvenz an. Ende Fe -bruar brach der Aktienkurs von SamwersRocket Internet ein, nachdem sich derschwedische Investor Kinnevik von derHälfte seiner Aktien getrennt hatte. „Eswird schwierig für Berlin“, prognostiziertYaron Valler.

Umso wichtiger ist es, dass sich auch an-derswo in Deutschland eine Start-up-Sze-ne entwickelt. Interessante Ansätze findensich vor allem dort, wo Universitäten,Hightech-Gründer und Industriekonzernekooperieren.

Was für ein Unterschied zur schicken Ber-liner Factory: Die Münchner U6 endet ander Haltestelle „Garching Forschungs -zentrum“, dann führt der Weg an zahlrei-chen Gebäuden der Technischen UniversitätMünchen (TUM) vorbei zu einem moder-nen Gebäude, dem Sitz von Unternehmer-TUM: Das der Hochschule angegliederte In-stitut soll junge Unternehmer von der Grün-dung bis zum Börsengang begleiten.

UnternehmerTUM, mitfinanziert vonder BMW-Großaktionärin Susanne Klat-ten, sieht sich selbst als eine Art Start-up:schnell wachsend und innovativ. In dennächsten Jahren soll sich alles verdrei -fachen: die Zahl der geförderten Start-ups,das investierte Geld, die Belegschaft. Dasehrgeizigste Projekt ist ein Innovations-zentrum mitten in der Stadt, doppelt sogroß wie das heutige in Garching. Ab 2020sollen dort Start-ups gemeinsam mit eta -blierten Unternehmen an Lösungen für dieSmart City, die vernetzte Stadt von mor-gen, arbeiten.

Aktuell kümmern sich 170 Mitarbeiternicht nur um die unternehmerische Qua-lifikation von Studierenden, sie beratenauch traditionelle Unternehmen, die in derStart-up-Szene „Corporates“ genannt wer-den. Eine dritte Geschäftseinheit beteiligtsich mit Wagniskapital an den jungen Un-ternehmen, und schließlich gibt es nochden „Makerspace“.

Für Gründer und solche, die es werdenwollen, ist diese laut Eigenwerbung „größ-te öffentlich zugängliche Hightech-Proto-typenwerkstatt Deutschlands“ ideal: InMünchen arbeiten die meisten, anders alsviele ihrer Berliner Kollegen, an Produk-ten, die Hard- und Software verknüpfen.

UnternehmerTUM hat schon einige be-deutende Start-ups hervorgebracht, Tadoetwa, das intelligente Thermostate baut,die mit dem Smartphone verbunden sind.Oder Konux: Die intelligenten Sensorendes Start-ups überwachen inzwischen dieWeichen der Deutschen Bahn.

Mit seiner Gründungsberatung hat Un-ternehmerTUM auch Celonis geholfen.Der Wirtschaftsinformatiker Bastian No-minacher, 32, hatte seine Mitgründer Ale-xander Rinke, 27, und Martin Klenk, 30,in der Münchner TU kennengelernt. Zu-fällig stießen sie in einem Seminar darauf,dass jeder Unternehmensprozess Spurenin der IT hinterlässt, anhand derer sich derProzessverlauf rekonstruieren und aufSchwachstellen überprüfen lässt. Heute ar-beiten 120 Leute bei Celonis, Mitte ver-gangenen Jahres waren es erst 60, im Jahr2020 sollen es 1000 sein. Dann will Celonis,

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Deutschlands am schnellsten wachsendesStart-up, in den USA an die Börse. DasZiel: ein Einhorn zu werden. Unicorn nen-nen die Amerikaner Start-ups, die eineBewertung von einer Milliarde Dollar ge-schafft haben.

„Gründerkultur kommt nicht von allein,man muss sie pflegen“, sagt Unternehmer-TUM-Geschäftsführer Helmut Schönen-berger und fragt: „Warum gibt es eigentlichnicht zehn UnternehmerTUMs?“

Vielleicht, weil es nicht überall eine Mil-liardärin gibt, die ein solches Projekt för-dert. Vor allem aber, weil nicht an allenUniversitäten der Unternehmergeist derStudenten so gefördert wird wie in Mün-chen – oder in Karlsruhe, wo 1972 die erstedeutsche Informatikfakultät entstand.

Matthias Hornberger, 56, kam 1999,während des New-Economy-Booms, nachKarlsruhe. Der gelernte Banker managteden Börsengang des ortsansässigen E-Mail-Anbieters Web.de. Der Verkauf des Un-ternehmens an United Internet einige Jah-re später machte ihn vermögend. Heuteinvestiert Hornberger selbst in Internetfir-men und fördert die lokale Start-up-Szene.

Natürlich sei Karlsruhe kein „coolerHotspot wie Berlin“, sagt Hornberger, dafür hätten die hiesigen Start-ups „imSchnitt mehr technische Tiefe“. Die Karls-ruher Gründerszene profitiere von derNähe zur mittelständischen Industrie,glaubt Hornberger. In der Stadt seien des-halb besonders viele sogenannte Business-to-Business-Firmen entstanden – Start-ups,deren Geschäftsmodell nicht auf privateKonsumenten, sondern auf Kunden ausder Wirtschaft abzielt.

Noch sei die Zahl solcher „wissensba-sierter Unternehmensgründungen“ jedochzu klein, heißt es im jüngsten von der Bun-desregierung in Auftrag gegebenen Gut-achten der „Expertenkommission For-schung und Innovation“ unter Leitung desMax-Planck-Direktors Harhoff. Es konsta-tiert ein „brach liegendes Gründungs -potenzial, das besser genutzt werden soll-te“. Neben den fachlichen Kompetenzenmüsse an den Universitäten „disziplin-übergreifend ein Gründungsbewusstseingeschaffen werden, damit Selbstständig-keit als eine realistische Option wahrge-nommen wird“.

Welches Potenzial in den Start-upssteckt, für den WirtschaftsstandortDeutschland, möglicherweise aber auchfür das eigene Überleben, haben inzwi-schen auch viele Corporates erkannt. Dieerste Halbzeit der Digitalisierung, so sagenviele, hat die deutsche Wirtschaft verloren,da liegen die US-Konzerne aus dem SiliconValley unaufhaltsam vorn. Nun gelte es,die Chancen der zweiten Halbzeit zu nut-zen. Und dabei, meint der Innovations -experte Harhoff, „können wir auf Start-ups nicht verzichten“.

Gisbert Rühl, 58, hat deshalb sogar eineigenes Start-up gegründet. Er führt den110 Jahre alten Stahlhändler Klöckner &Co. seit 2009. Seither musste er mehr als3000 Leute entlassen, ein Viertel der Be-legschaft. So konnte es nicht weitergehen.Doch der Versuch, das Unternehmen voninnen heraus zu verändern, scheiterte.„Wir haben gemerkt, dass wir als Corpo-rate zu langsam sind“, sagt Rühl. Er gingnach Berlin, mietete für zwei Leute einenTisch im Beta-Haus, einer weiteren Co-Working-Gemeinschaft. Das waren dieAnfänge von klöckner.i. Heute arbeitenhier 40 Leute, die meisten kommen ausder Start-up-Szene, an einer digitalen Han-delsplattform für Stahl.

Rühl wirkt unter seinen jungen BerlinerMitarbeitern wie ein Fremdkörper: strenggescheitelte graue Haare, Anzug, Krawat-te, weißes Einstecktuch. Er mag sich nichtverkleiden wie andere Vorstandsvorsitzen-de, die im legeren Outfit die Berliner Sze-ne erkunden oder sogar öffentlich in Jeansund Turnschuhen auftreten. Und dochweiß kaum ein anderer Manager inDeutschland die Start-up-Kultur so gut fürsein Unternehmen zu nutzen. Rühl gibtsich siegessicher: „Wir sind in der Brancheführend, kein Amerikaner ist weiter.“

Fast alle großen Unternehmen koope-rieren inzwischen mit Start-ups, viele ha-ben sich an Neugründungen beteiligt. Abernicht immer werden sie in Deutschlandfündig. BMW-Vorstand Peter Schwarzen-bauer, 57, reist mehrmals im Jahr vonMünchen ins Silicon Valley und nach Chi-na. In Peking, Shanghai und der südchi-nesischen Metropole Shenzhen gebe es

momentan die spannendsten Jungunter-nehmen, findet er: „Die Geschwindigkeitist beeindruckend. Dort können Sie sichinnerhalb von 24 Stunden einen Prototypbauen lassen.“

Noch erfolgreicher ist die Start-up-Sze-ne in Israel, wie der spektakuläre Kaufvon Mobileye durch Intel einmal mehrzeigt. Der US-Konzern bietet für den is-raelischen Spezialisten für Kamera- undSensortechnologie 15 Milliarden Dollar.Mobileye arbeitet bereits heute mit vielengroßen Autokonzernen zusammen, auchmit BMW. Deren Geschäftsmodell wirdsich durch die Digitalisierung grundlegendverändern. In den Industriestaaten wollenimmer weniger Menschen ein eigenesFahrzeug besitzen, der Verbrennungsmo-tor gilt als Auslaufmodell.

BMW will sich deshalb vom reinen Au-tobauer zum Mobilitätsdienstleister wan-deln. Dabei setzt der Konzern auch aufdie Unterstützung von Start-ups. BMWhat einen Fonds aufgelegt, der innerhalbvon zehn Jahren 500 Millionen Euro injunge Tech-Unternehmen investieren soll.Bislang hat sich der Autohersteller unteranderem an einer App beteiligt, über dieman Parkplätze im Voraus buchen kann.

Es sei nicht so, dass niemand bei BMWauf die Idee gekommen wäre, die Park-platzsuche zu digitalisieren, erzählt Schwar -zenbauer. Technologisch seien Start-upsder Autobranche selten meilenweit voraus.Entscheidend sei deren Denkweise. „DieSzene lebt vom Glauben, dass alles möglichist. Ich bin überzeugt davon, dass diesergrenzenlose Optimismus wahnsinnig vieleEnergien freisetzt“, sagt Schwarzenbauer.Ein Konzern wie BMW, der seit Jahrzehn-ten darauf gepolt ist, fehlerfreie Autos zubauen, könne von dieser Mentalität durch-aus etwas lernen. Zum Beispiel, dass Fehlerbei bahnbrechenden Neuerungen dazuge-hören. „Die Start-ups wirken wie ein Be-schleuniger“, sagt Schwarzenbauer, „siezeigen selbst uns als Innovationsführer, wieman als Großunternehmen wendiger wer-den und Dinge schneller umsetzen kann.“

Inzwischen sehen das auch viele Stu-denten so. Die besten „wollen nicht mehrzu McKinsey. Die wollen gründen“, hatHarhoff beobachtet. „Da tut sich was.“

Celonis-Gründer Nominacher war vorfünfeinhalb Jahren der Einzige seines Jahr-gangs an der Münchner TU, der sich nichtbei einem etablierten Unternehmen be-warb. Heute, sagt er, sei jeder Zweite selbstGründer oder arbeite in einem Start-up.

Es braucht Vorbilder wie Celonis, damiteine Gründermentalität entsteht. Esbraucht ein Umfeld wie Berlin oder Mün-chen, in dem Start-ups gedeihen können.Damit daraus aber große Unternehmenwerden, dafür braucht es vor allem: Geld.

„Das unternehmerische Potenzial inDeutschland ist da und die technologische

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HotspotsWo die deutschen Start-ups sitzen,in Prozent

Schleswig-Holstein1,9

Brandenburg1,5

Thüringen1,2Hessen

5,4

Bayern12,1

Saarland0,5

Sachsen5,1

Nieder-sachsen10,7

Bremen1,7

Hamburg6,4

Berlin17,0

Mecklenburg-Vorpommern

1,0

Rheinland-Pfalz2,7

Sachsen-Anhalt1,2

Nordrhein-Westfalen19,1

Baden-Württemberg

12,4

Quelle: KPMG

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Basis sowieso“, sagt Hendrik Brandis,Gründer und Partner der Venturecapi tal-Gesellschaft Earlybird. „Knapp ist etwasanderes: Geldgeber, die bereit sind, Risiken einzugehen und Start-ups mit großen Wachstumschancen zu finan -zieren.“

Earlybird startete in der „New Econo-my“ der späten Neunzigerjahre. Damalsrissen sich Geldgeber darum, das nächsteEM.TV oder Intershop zu finanzieren. Die-se Unternehmen waren zur Jahrtausend-wende am sogenannten Neuen Markt, derBörse für junge Hightech-Unternehmen,fantastische Milliarden wert. Doch ebensoschnell waren viele dieser Fir-men wieder verschwunden undmit ihnen der Neue Markt sowiedie meisten Risikokapitalfonds.Das Trauma wirkt bis heutenach.

„Gemessen an der Stärke derdeutschen Wirtschaft sollte jedesvierte Google aus Deutschlandkommen. Aber das ist nicht so“,sagt Brandis. „In Amerika stehtgemessen an der Wirtschaftsleis-tung zehnmal so viel Risiko -kapital zur Verfügung wie inDeutschland.“ 1,7 MilliardenEuro flossen 2016 in deutscheStart-ups. In den USA waren es mehr als60 Milliarden Euro.

In der Gründungsphase fällt es den Start-ups noch vergleichsweise leicht, Geldgeberzu finden, es gibt Business Angels, kleineRisikokapitalfonds, Förderbanken und nichtzuletzt den High-Tech Gründerfonds. Seitgut einem Jahrzehnt fördert der Bund überdiesen Fonds gemeinsam mit privaten In-vestoren Firmen, er hat bereits 576 Millio-nen Euro in 468 Start-ups investiert.

Schwieriger wird es in der Wachstums-phase, in der Start-ups viel Kapital brau-

chen, um eine ausreichende Größe zu er-reichen und Marktanteile zu gewinnen.Einzelne Kapitalgeber müssten dort fünfbis zehn Millionen Euro einbringen.

Warum gibt es diese Lücke? In den USAkommen zwei Drittel des Risikokapitalsvon Stiftungen und Pensionsfonds – inDeutschland spielen diese beiden Kapital-quellen kaum eine Rolle, auch weil dasRentensystem staatlich dominiert ist. Hin-zu kommen gesetzliche Einschränkungen,Versicherungen müssen riskante Investi-tionen in ihrer eigenen Bilanz mit viel Ei-genkapital absichern, das macht Venture-capital unattraktiv.

„Die bestehende Lücke kön-nen entweder der Staat oderUnternehmen schließen“, fol-gert Earlybird-Partner Brandis.Bei beiden potenziellen Geld-gebern tut sich etwas. Dieschwarz-rote Koalition will dieStart-up-Förderung der KfW, dieschon beim High-Tech Gründer-fonds maßgeblich beteiligt ist,deutlich ausbauen. Ein neuerFonds für Wachstumsfinanzie-rung ist in Planung, der TechGrowth Fund. Gestritten wirdnoch über eine sinnvolle Ausge-staltung.

Auch der Markt für private Start-up- Investments kommt in Bewegung. Brandisglaubt, dass Konzerne wie Daimler ver-stärkt in unabhängige Venturecapital-Fonds investieren werden, um dabei zusein, wenn das nächste Einhorn in ihremGeschäftsbereich heranwächst.

Gemeinsam mit einigen großen deut-schen Konzernen denkt die VC-Firma ge-rade über einen neuen Fonds nach, der inreifere Technologieunternehmen fließensoll. Der angepeilte dreistellige Millionen-betrag würde in Unternehmen aus den

verschiedensten Branchen fließen, etwaFintech, Industrie 4.0 oder Cybersicher-heit, die schon bewiesen haben, dass ihrGeschäftsmodell funktioniert, und die nunschnell wachsen wollen. So erhielten Kon-zerne als Fondsinvestoren Einblick undKontakt zur Welt der digitalen Start-ups.Die VC-Firma bekäme Kapital, das inDeutschland und Europa für Wachstums-unternehmen besonders knapp sei, erklärtBrandis.

Der nächste Schritt für die Einhörnervon morgen wäre der Gang an die Börse –sonst dürften viele deutsche Start-ups auchweiterhin von amerikanischen Konkurren-ten aufgekauft werden. Hier macht dieDeutsche Börse knapp anderthalb Jahr-zehnte nach dem Ende des Neuen Markteseinen neuen Versuch, das Börsensegment„Scale“ soll junge Firmen an den globalenKapitalmarkt heranführen.

Es geht also voran, nicht nur beim Wag-niskapital. Berlin hat, trotz seiner Schwä-chen, die Chance, die Start-up-MetropoleEuropas zu werden. Überall im Land be-geistern sich die Absolventen von Hoch-schulen wieder fürs Gründen, und vieletrauen sich, groß zu denken.

Was sich noch ändern muss, ist dieAngst vor dem Scheitern. Die Hälfte allerStart-ups überlebt nach einer Schätzungihres Verbands die ersten fünf Jahre nicht.In Deutschland gilt eine Pleite als Makel,die Amerikaner haben daraus geradezu ei-nen Kult gemacht: Wer fällt, wird nichtstigmatisiert. Er steht auf – und fängt nocheinmal von vorn an.

Carlos Borges musste im Januar Insol-venz anmelden. Der gebürtige Brasilianerhatte 2013 in Hamburg Triprebel ge -gründet. Das Start-up entwickelte einendigitalen Reiseassistenten, der für seineKunden das günstigste Angebot suchte.Tauchte vor Reisebeginn irgendwo imNetz ein besseres auf, wurde die alte Bu-chung storniert und durch eine neue er-setzt.

Die Idee kam gut an, zumindest in denMedien und in Fachkreisen. Doch Kundenblieben rar, neue zu gewinnen erwies sichals viel zu teuer. Die Insolvenz war un-ausweichlich.

Gründer Borges gibt sich „relativ ent-spannt“. Gemeinsam mit dem Insolvenz-verwalter versucht er, einen Käufer fürdas Produkt zu finden. „Wir sind nichtgescheitert“, sagt er. „Es gibt neue Mög-lichkeiten, auch für die Mitarbeiter.“ Er habe viel gelernt, über die digitaleTransformation und wie man mit wenigRessourcen auskommt – „Erfahrungen,die unbezahlbar sind“. Die will er nun,als Angestellter, in ein neues Projekt ein-bringen.

Und danach wieder ein Start-up gründen.Martin Hesse, Armin Mahler, Ann-Kathrin Nezik

Mail: [email protected]

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Manager Rühl bei klöckner.i in Berlin: „Kein Amerikaner ist weiter“

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