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(Aus der Deutschen Forschungsanstalt fiir 1)sychiatrie [Kaiser Wilhelm-Institut] und der Psychiatrischen Abteilung des St~dtischen Krankenhauses Miinchen- Schwabing [Chefarzt: Prof. Kurt Schneider].) Zur Pathopsychologie des Korsakow-Syndroms. Von Werner Scheid. (Eingegangen am 13. September 1934.) Die zahh'eichen Versuche, die darauf abzielen, bci der erstmalig von Korsakow und gleichzeitig von Kieler umrissenen Psychose eine Grund- stSrung herauszuarbeiten, aus der sich zwanglos das Gesamtbild erkl~rt, das ein solcher Kranker im Einzelfall bietet, haben, jeder fiir sich, keinen vollen Erfolg gezeitigt. Wohl gibt es F~lle, bei denen die yon Pick in den Vordergrund gestellte organische DenkstSrung das Bild beherrscht, andere Korsakowf~lle, die in der von Griinthal herausgearbeiteten Ein- stellstSrung aufgehen, wieder andere, bei denen die ZeitstSrung (van der Horst) die GrundstSrung schlechthin zu sein scheint, aus der sich alle anderen Ausf~lle ungezwungen ableiten lassen. Aber kein einziger der verschiedenartigen Erkl~rungsversuche wird allen Korsakowfi~llen ge- recht, und oft ist es unmSglich, im Einzelfall eine dominierende Grund- stSrung aufzuzeigen. Die F~lle, die Korsakow zur ,,Polyneuritischen Psyehose" zusammenfaBte, waren nur durch einige grobe Merkmale charakterisicrt: so durch cine t)olyneuritis, cine Amnesie mit Erinnerungs- f~lschungen. Auch heute noch linden sich unter dem Sammelbegriff der Korsalcowschen Psychose die mannigfachsten Bilder vereint, ohne dab man sagen kSnnte, welches ,,der typische Korsakow" ist. Wenn wir im folgenden einen kasuistischen Beitrag zur Psychologie der alkoholischcn Korsakowpsychose bringen, so kann es sich nicht darum handeln, die aus ihm gewonnenen Beobachtungen zu verallgemeinern oder gar zu einer Theorie fiber den Korsakow auszubauen. Wir bringen eben nur einen einzelnen Fall, dem viele ganz andersartige gegenfiber- stehen, die sich mit demselben Reeht als typisehe F~lle ausgeben kSnnten und ffir die unsere Schlu~folgerungen nicht zutr~fen. Andererseits ist der Wert eincs einzelnen gut untersuchten Falles gerade beim Korsakow ein besonders groBer. Von verschiedencn Seitcn ist ja darauf hingewiesen worden, dab die Ergebnisse der experimentell psychologischen Unter- suchung yon Korsakowkranken oft in entschiedenem Gegensatz stehen zu dem Verhalten derselben Kranken unter natiirlicheren Bedingungen, etwa im Milieu der Klinil~. DaB es sich auch hier noch um besondere, nut wenige natfirliche Modulationen bietende Verh~ltnisse handelt, die yon denen des Alltags sich erheblich unterscheiden, braucht nicht beson- ders betont zu werden.

Zur Pathopsychologie des Korsakow-Syndroms

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Page 1: Zur Pathopsychologie des Korsakow-Syndroms

(Aus der Deutschen Forschungsanstalt fiir 1)sychiatrie [Kaiser Wilhelm-Institut] und der Psychiatrischen Abteilung des St~dtischen Krankenhauses Miinchen-

Schwabing [Chefarzt: Prof. Kurt Schneider].)

Zur Pathopsychologie des Korsakow-Syndroms. Von

Werner Scheid.

(Eingegangen am 13. September 1934.)

Die zahh'eichen Versuche, die darauf abzielen, bci der erstmalig von Korsakow und gleichzeitig von Kieler umrissenen Psychose eine Grund- stSrung herauszuarbeiten, aus der sich zwanglos das Gesamtbild erkl~rt, das ein solcher Kranker im Einzelfall bietet, haben, jeder fiir sich, keinen vollen Erfolg gezeitigt. Wohl gibt es F~lle, bei denen die yon Pick in den Vordergrund gestellte organische DenkstSrung das Bild beherrscht, andere Korsakowf~lle, die in der von Griinthal herausgearbei teten Ein- stellstSrung aufgehen, wieder andere, bei denen die ZeitstSrung (van der Horst) die GrundstSrung schlechthin zu sein scheint, aus der sich alle anderen Ausf~lle ungezwungen ableiten lassen. Aber kein einziger der verschiedenartigen Erkl~rungsversuche wird allen Korsakowfi~llen ge- recht, und oft ist es unmSglich, im Einzelfall eine dominierende Grund- stSrung aufzuzeigen. Die F~lle, die Korsakow zur , ,Polyneuritischen Psyehose" zusammenfaBte, waren nur durch einige grobe Merkmale charakterisicrt : so durch cine t)olyneuritis, cine Amnesie mit Erinnerungs- f~lschungen. Auch heute noch linden sich unter dem Sammelbegriff der Korsalcowschen Psychose die mannigfachsten Bilder vereint, ohne dab man sagen kSnnte, welches ,,der typische Korsakow" ist.

Wenn wir im folgenden einen kasuistischen Beitrag zur Psychologie der alkoholischcn Korsakowpsychose bringen, so kann es sich nicht darum handeln, die aus ihm gewonnenen Beobachtungen zu verallgemeinern oder gar zu einer Theorie fiber den Korsakow auszubauen. Wir bringen eben nur einen einzelnen Fall, dem viele ganz andersart ige gegenfiber- stehen, die sich mit demselben Reeht als typisehe F~lle ausgeben kSnnten und ffir die unsere Schlu~folgerungen nicht zutr~fen. Andererseits ist der Wer t eincs einzelnen gut untersuchten Falles gerade beim Korsakow ein besonders groBer. Von verschiedencn Seitcn ist ja darauf hingewiesen worden, dab die Ergebnisse der experimentell psychologischen Unter- suchung yon Korsakowkranken oft in entschiedenem Gegensatz stehen zu dem Verhalten derselben Kranken unter natiirlicheren Bedingungen, e twa im Milieu der Klinil~. DaB es sich auch hier noch um besondere, n u t wenige natfirliche Modulationen bietende Verh~ltnisse handelt , die yon denen des Alltags sich erheblich unterscheiden, braucht nicht beson- ders be tont zu werden.

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U m s o wer tvo l l e r mul3te es sein, einen einst sehr geb i l de t en Kor sa - k o w k r a n k e n auf der Re i se yon Miinchen nach New York b e o b a c h t e n zu kSnnen, ihn in e inem Milieu sich bewegen zu sehen, das i h m in der Ze i t vo r seiner E r k r a n k u n g vSll ig v e r t r a u t gewesen war. W i r w e r d e n a u c h bei der B e o b a c h t u n g des K r a n k e n in einer i hm gem~13en U m w e l t zun~ehs t seine Le i s tungen zu r eg i s t r i e ren haben. Sie werden uns a l le rd ings m e h r sagen als die l~esul ta te e iner U n t e r s u e h u n g un te r L a b o r a t o r i u m s b e d i n - gungen. Es wi rd a l sdann unsere Aufgabe sein, den zu engen R a h m e n e iner leistungsm~13igen B e t r a c h t u n g , einer Be t r ach tung des E n d p r o d u k t e s des psychisehen Geschehens zu i iberwinden, die beim K o r s a k o w , wie bei den meis ten o rgan i sehen Psychosen mi t e inem mass iven Ausfa l l in besonderem Mal3e zur A n w e n d u n g kam. Es wird sich in b e s c h e i d e n e m U m f a n g e rmSgl iehen lassen, aus dem Verha l t en des Ka 'anken u n d aus se inen Aul3erungen l~iickschliisse zu ziehen auf besondere Er lebn i s - u n d besondere Vol lzugsweisen.

George Allan "Smith, aufgenommen am 15.8.33, zur Zeit der Aufnahme 48 Jahre alt, lediger Lehrer aus 1)hiladelphia (USA.).

Vorgeschichte. George Allan Smith wurde am 12.6.85 in einer kleinen Stadt Pennsylvaniens geboren. Der Vater ist Arzt und soil jetzt noch, trotz seiner 78 Jahre, einen groBen 1)atientenkreis zu betreuen haben. Die Mutter ist vor einigen Jahren gestorben. Sie soil eine auffallend stiUe, zur Schwermut und zur Griibelei neigende Frau gewesen sein, die h~ufigen Zuspruchs yon seiten ihres ganz anders gearteten, sehr tatkr~ftigen und betriebsamen Mannes bedurft haben soil. Die ~ltere Sehwester des George Allan ist verheiratet, die jiingere lebt bei ihrem Vater. (~ber sie ist uns nichts ~ h e r e s bekannt. George Allan soll als Junge gesellig und unauff~llig gewesen sein. Er besuchte bis zu seinem 14. Lebensjahre die (iffentliche Schule, dann das College. Auf der Universit~t widmete er sich den modernen Sprachen. 1908 erhielt er wegen seiner hervorragenden Leistungen ein Stipendium fiir einen Ferienkurs in Marburg. Er schlol3 dort mit einem sehr guten Examen ab, bereiste im Ausehlufl an sein Studium in Marburg die groflen deutsehen St~dte, lernte flieBend deutsch sprechen und entdeckte offenbar schon damals seine Liebe zum Alkohol. Nach Amerika zuriiekgekehrt wurde er Lehrer an einer vornehmen Privat- sehule. Mit Ausnahme der Kriegsjahre ]cam er allj~hrlich nach Deutschland, besuchte jedesmal zuerst Marburg, blieb dann einige Wochen in Miinchen, um dann seine l%ise in einer anderen deutschen Grol3stadt abzuschlieflen. -- Als Lehrer war Smith beliebt, er hielt, wie einer seiner Schiiler angab, gute Verbindung mit seinen InternatszSg]ingen. Er fiihrte ein recht eintSniges I)rivatleben: er rauchte gern, sehlief viel, liebte iiber alles die Bequemliehkeit. Ob er in Amerika trank, entzieht sich unserer Kenntnis. Nach dem, was wir erfuhren, ist es hSchst unwahrscheinlieh. Gelegentlich allerdings unternahm er l%eisen nach Kanada, die offensiehtlich dazu dienten, die Grenzen der 1)rohibition zu verlassen. -- W~hrend seines Mfinchener Aufenthaltes vom Jahre 1932 trat er als sehr korrekter, etwas pedantischer Gentleman auf, der wenig sprach, wenig las, keinen Anteil am Leben der anderen nahm, der viel rauchte und sich wenig bewegte. Man sah ihn damals nur einige wenige Male betrunken. -- Im Iolgenden Jahr, im Sommer 1933, reiste Smith wieder nach Europa. Wi~hrend der l~berfahrt war er nach Aussagen yon Mitpassagieren st~ndig betrunken. In Miinchen nahm er in derselben Pension wie im Vorjahr Wohnung, kam dort in vSllig verwahrlostem Zustand an, erz~hlte, er sei erst am Tage zuvor in Miinchen angekommen, was durch seine Palaiere wider- legt wurde. Offenbar hatte er sich 10 Tage lang in Miinchen umhergetrieben,

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ohne dab zu entscheiden ist, ob seine falsche Aussage der sp/~ter deutlich in Er. scheinung tretenden psychischen StSrung ihre Ents tehung verdankt, oder ob sic als bewullte Notliige aufzufassen ist. Der einst korrekte Schulprofessor benahm sich so unmSglich, dab man ihm nach wenigen Tagen wieder kiindigen muflte. E r zog in ein Hotel, machte sich auch dort durch seine ewige Betrunkenheit unbe- l iebt und wurde schlieBlich aus Mitleid noch einmal in der Pension aufgenommen. Dor t erz~hlte er, sein Direktor habe ihm kfirzlich geschrieben mad habe ihn ffir ein J a h r bei voUem Gehalt beurlaubt. Er zeigte auch den Brief vor, der sehr freund- schaftlich und herzlich gehalten war, aus dem aber die Absicht sprach, Smith fiir einige Zeit fernzuhalten. Die Vermutung l iegt nahe, dab seine Lebensffihrung in den Monaten zuvor bereits mit dem Schulbetrieb nicht mehr vereinbar gewesen ist. - - Betrunken war Smith an diesem Tage mi t seinem Gep~ek in die Pension wieder eingezogen, besinnungslos betrunken fand ihn in der gleichen N'acht ein Schutzmann in einer Stral~engosse liegen. Man brachte ihn ins Krankenhaus.

Krankenhausbeobachtung, Aufgenommen a m 15.8 .33. K6rperlieh: Sehr groBer, hagerer, blasser Mann. M~Biger Ern/ihrungszustand. Reaktion der Pupillen auf Licht beiderseits sehr tr~ge und wenig ausgiebig. Pat ient fixiert kaum. (,,Ich bin ziemiieh mfide, denn das ist die dr i t te Priifung. Ein Herr yon den Travellers war heute schon hier und hat reich ziemlich ernst gepriift".) -- Zunge zi t ter t stark. Grober Tremor der vorgestreckten H~nde. Deutllche Ataxie bei Fingernasen- versuch. - - Puls sehr frequent, klein, regelm~13ig. Keine Reflexanomalien. Keine Druekschmerzhaftigkeit der 1Vervenst~mme. ]~eine Sensibilit~tsstSrung. Gang breitspurig, kleinschrittig, leicht torkelnd. -- Bei I)ruck auf die Augen werden keine Gesiehtswahrnehmungen angegeben. Innere Organe o .B . Wa.R. im Blur negativ. Psychisch: Pat ient ist zeitlich und 5rtl ieh mangelhaft orientiert, E r verkennt Personen der Umgebung. Fiix die letzten Ereignisse ist sein Ged~chtnis sehr lfickenhaft. Dutch Fragen, die sich auf sein Hiersein beziehen, in Verlegenheit gebracht , konfabuliert er recht lebhaft. Die St immung ist euphorisch, er ha t keiner- lei Krankheitseinsieht. Voriibergehend ist Pa t ient gereizt, verlangt hinaus, l~13t sich aber leicht beruhigen.

Am Tage nemh der Aufnahme gibt Pa t ien t fiber seine Familie, seine Jugend- ]ahre, seine Studienzeit geordnet Auskunft . Auch nach dem Kriege sei er all- j~hrlich naeh Deutschland gekommen, sei immer 3. K]asse gefahren, da er wenig verdiene. In diesem Jahr sei er am 5.7. in Mfinchen angekommen, habe im Hote l gewohnt. Tagsfiber habe er Besuche bei seinen Freunden gemaeht, abends sei er mi t ihnen in einen Bierkeller gegangen oder ,,in diesen Garten". Sein Vater sei Arz t und habe niehts dagegen, wenn er etwas Bier trinke, l~ach Biergenul~ kSnne er besser schlafen. E r tr inke nur dunkles Bier, hSchstens 2 - -3 MaIL Heute sei j emand in das Hotel gekommen, in dem er wohne und habe ihn sprechen wollen, dadurch sei er ins Krankenhaus gelangt. , ,Heute habe ich einen Brief yon meinem Vater bekommen, dal~ ich hier blelben soll, und ich well3, dal~ mein Direktor cs erlauben wird, dab ich bis Weihnaehten hier bleibe, denn ich habe viele Freunde hier ." E r sei heute schon zu Hause gewesen und sei je tz t wiedergekommen; den Vater habe er auch schon gesprochen. E r sei heute mi t Vater und Mutter zusammen- gesessen und habe sich mit ihnen unterhal ten. Der Vater aber habe ihm keinen R a t gegeben. -- (Was fiir ein Haus hier ?) Das Christliche Hospiz. (In den letzten Tagen hier gewolmtT) Ich bin schon hier gewesen. (Kennen Sie das Zimmer schon 7) Ja . (Wer bin ich ?) Dr. Enselt . (Gibt es nicht. - - Seit wann kennen Sic reich 7) Sehon seit diesem Sommer. (Haben Sie mich schon 5fters gesehen 7) Ich habe Sic schon 5fters gesehen im Park yon Marburg, wo die Kapelle abends spielt. (Welches Datum heute ?) WeiB ich leider nicht. ( Jahr 7) 1933. (Monat 7) August . (Tag?) 21. (18.) (Welehe Tageszeit?) l~aehmittag. (Vormittag.) (Schon zu Mittag gegessen ?) Jawohl, zu Hause. Mein Vater ha t reich geweckt, der ha t noch eine sehr groBe Praxis. (Traumen Sie viel 7) Nein. (Haben Sic Angst 7) l~ein

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das einzige M~I, dail ich in Deutschland Angst ha t t e , war 1914. Ieh war hier, als der Krieg ausbrach . I eh mul3 sagen, dail ich da sehr oft Angst ha t t e , weil ich ke inen Pall ha t te . Darm bekam ieh einen Notpai l und konnte nach Amer ika fahren . (Fiihlen Sis sich k r a n k oder gesund ?) ~ e s u n d , sehr gesund. Ieh habe mich sehr gu t erhol t in diesem Sommer. (Haben Sie n ich t zu viel ge t runken ?) ]%in, m i t den S tuden ten abends 2 - - 3 Halbe, das is t n i ch t zu viel.

W~hrend der e twa ein halbes J a h r umfassenden Beobachtung im K r a n k e n h a u s wurde zun~ehs t eine langsame Besserung bei Smi th verzeichnet , bis schlieillich e in Zus tand er re icht war, wie er bier die le tzten Monate unver~nder t bes tand und wie er auf der Reise n a c h New York genauer s tud ie r t werden konnte . - - Zun/~chst g laubte er, in e inem Hospi ta l in Phi ladelphia zu sein; er habe gestern seinen Va te r besueht, d a n n wieder soll der Vate r vor einigen S tunden hier gewesen sein. Jfxrzte u n d Pfleger s ind gu te ]3ekannte aus seiner He imat s t ad t . Bei dem Versuch, seine zeit- liche und 6rt l iche Desor ient ierung zu korrigieren, i s t er sehr e rs taunt , meint , er miisse wohl dem Arz t glauben. Sinnest~usehungen bestehen offenbar n ich t , es lassen sieh solche aueh n i ch t suggerieren. Die S t immung ist naeh wie vor eupho- riseh, n i eh t /~ngstlieh. - - l~ach einigen Monaten gelingt es gelegentlich, Dinge, die der K r a n k e einige S tunden zuvor gelesen ha t , wieder yon i bm zu erfahren. Vor der Visite o r ien t ie r t er sich gewShnlich an H a n d der Zei tung tiber das D a t u m . E inen Brief, den e r v o r einigen Wochen empfing, weist er als gestern erha l ten vor. Wenn andere P a t i e n t e n ihn auf seine I r r t i imer aufmerksam machen, en tsehuld ig t er sieh mehr fach beim Arz t wegen seines Versehens/ - - Gegen Ende des J a h r e s 1933 wurden keine Personenverkennungen mehr beobachtet . Die Er innerung a n Besuehe pflegt einige S tunden anzuhal ten, jedoch n ieh t bis zum n~ehsten Tag. Meist s t eh t der K r a n k e a n seinem Bert, l ehn t alle Aufforderungen yon Mi tpa t ien ten , sich an Spielen zu beteiligen, sehr hSflieh ab. Nieh t selten legt er sich mi t t en a m Tag ins Be t t . Wi rd er d a n n angewiesen, aufzustehen, so zieht er sieh ruhig an , sehrei t d a n n gelegentl ich pl6tzl ieh los: , ,Hilfe! M f r d e r ! " Nach wenigen Minu ten sind solche n u r sel ten bei ibm zu beobachtenden Affektausbl i iehe abgeklungen und eine k n a p p e S tunde sp~ter s ind sie vergessen. J eden Abend k o m m t der P a t i e n t zur Schwester u n d b i t t e r urn ein Schlafmit tel : er habe in der le tz ten ~ a c h t so schlecht geschlafen. Bei der Morgenvisite k lagt er niemals i iber seinen Schlaf, aueh n i ch t bei en t sp reehenden ]~aehfragen. Objek t iv is t sein Sehlaf bier aus- gezeichnet. - - Anfang J a n u a r 1934 wird Smi th abends im Kolleg vorgestell t . Nach der li~ngeren U n t e r h a l t u n g , in der der Kranke sieh vSllig kor rek t gibt , verl/~ilt er anscheinend ruh ig den HOrsaal. Vor der Tiir beg inn t er zu z i t t e rn und schre i t schlieillich in h6chs te r Er regung den ihn beglei tenden Arzt an : ,,Wie ein Sehul- junge wird m a n ausgefragt , so etwas mull m an sich nun gefallen lassen !" l~ur m i t Miihe k a n n m a n i hn beruhigen. Am Morgen naeh dieser Szene is t Smi th ruh ig wie immer. E r /~uilert s pon t an nichts fiber das Vorkonarnnis des le tz ten Abends . Daraufh in angesproehen e r inne r t er sich offenbar n i ch t der Szene, schneider jede Diskussion m i t konvent ione l len Phrasen ab : , ,Bit te , b i t te , das war ja gar n i ch t s . " Bestrei te t , s ich aufgeregt zu haben. E r vermag weder den R a u m zu besehreiben, in dem er sieh so e r reg t ha t t e , noeh aueh die Zahl der anwesenden Personen zu schi~tzen. Seine Angaben s ind ausweichend, zum Teil konfabul ier t . - - W/~hrend der le tz ten Monate des Krankenhausaufen tha l t e s is t der P a t i e n t in der U n t e r - ha l tung e twas lebhaf ter , m a n b rauch t n ich t alles und jedes aus ibm h e r ~ z u h o l e n . Die r~umliehe Orient ierung is t durehweg gut , die zeitliehe noch sehr mangelhaf t . Bei dem geordne ten Krankenhaus l eben vermag zwar der P a t i e n t un t e r Zuhilfe- nahme der verseh iedens ten Hi l fsmit te l die Tageszeit anzugeben. E r weiil auch , wer ihn besuch t ha t , da s te t s derselbe Herr, ein Bekann te r vom J a h r e 1932 ins Krankenhaus k o m m t . Als dieser Her r ihn im F e b r u a r auf das Sehwinden se iner Nikotinf lecken a n den F ingern aufmerksam machte und/~uBerte, da ran k f n n e m a n sehen, wie lange er sehon im K r ankenhaus sei, mein te Smith , es w/~ren wohl j e t z t

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6 Wochen. -- Niemals ~uBerte er den Wunsch , das K r a n k e n h a u s zu verlassen und in seine He imat zuri ickzukehren.

Der Transport nach New York (Ende F e b r u a r 1934). Smi th n i m m t die Mit- tei lung yon seiner unmi t t e lba r bevors tehenden Heimreise ohne besondere Reakt ion entgegen. Er legt selbstgndig und sehr kor rek t seine Zivi lkleidung an, stel l t dabei immer wieder fest, dab sein Leibesumfang erhebl ich zugenommen haben miisse. I m Auto, auf dem Weg zum Bahnhof , f rag t er seinen Beglei ter wiederholt nach dessen Reiseziel, erz~hl t zwischendurch spon tan yon seiner Studienzei t , seinem ers ten Eint ref fen in ]VItinchen. Der lebhaf te S t raBenverkehr n i m m t schlieBlich des Pa t i en ten Interesse in Anspruch: , ,Donnerwet ter , das Leben, diese Menschen, Donnerwet ter , dab es so etwas g ibt !" Der Anbl ick des Mtinchener t t a u p t b a h n h o f s veranlal~t ihn zu ghnl ichen XuBerungen des Er s t aunens , der Ri ihrung. I m Zug e rkundig t er sich danach , wie lange m an noch auf die A b f a h r t zu war ten habe. E r miisse aus t re ten u n d in Deutschland mfisse dazu ja e rs t der Zug fahren. - - Zu ]~eginn der B a h n f a h r t entwickel t sich folgendes Gespr~ch. Smi th : , ,Daft ich fragen, wohin Sie fahren ?" , ,Nach Amer ika . " ,,So, auch n a c h Amerika. Wohin da, wenn ich fragen d a f t ? " , ,Nach New York ." , ,Haben Sie Verwandte d o r t ? " , ,Xein." , , Ich fahre nach Philadelphia, da b in ich Lehrer . Hein Vater ist Arz t d o r t . " Dieses Frage-Antwortspiel , wie auch die im folgenden skizzierten Oespr~che f inden w~hrend der n~chs ten S tunden immer wieder s t a t t , mehrere dutzend Male. Zwischendurch erzghl t Smith, sich a'uch immer wiederholend, yon frfiheren Erleb- nissen, Geschehnissen, die vor dem Krieg liegen u n d deren Schauplatz durchweg Deutsch land ist. - - D a n n wieder is t er yon der L a n d s c h a f t gefesselt. Auf die Frage, wo wir seien, an twor t e t er: , ,0 , in Bayern, ich kenne diese D6rfer und W~lder wohl, so etwas haben wir in Amer ika n ich t . " D a n n nach e iner Pause : , ,Wissen Sie, ob meine E l t e rn noch leben ?" , , Ja . " , ,Denken Sie, ich t r~ume so viel, und neulich habe ich getr~umt, meine E l t e rn wgren to t . " Z u m Fens t e r h inausschauend: , ,0 , diese Felder, der Wald, t r~ume ich oder is t das Wirk l i chke i t ?" Gespanntes War ren auf die Antwor t , d a n n : , ,Werde ich n i ch t aufwachen u n d d a n n war wieder alles ge t r~umt ?" , ,Sicher n ich t . " , ,Donnerwetter , alles Wirkl ichkei t , n i ch t ge t r~umt ?" Wenige Sekunden sparer : , , Ich habe Sie wohl schon t a u s e n d m a l gefragt, ob meine E l t e rn noch leben. Ich werde Sie nu r noch heu te u n d morgen danaeh fragen, d a n n n ich t mehr . Leben sie n o c h ? " , , Ja . " , ,K6nnen Sie mi r ve rze ihen?" , , J a . " , ,Danke ." -- Spgter erz~hlt Smith , er sei das achte Ha l in Deutschland . I m Jahre 1908 sei er das ers te Ha l dagewesen, d a n n bis zum Kr ieg j~hrlich. E inmal sei er mehrere ~r bei e iner befreundeten Pfarrersfamil ie im Harz gewesen, wann, das wisse er n icht mehr so genau. Es sei wohl lange vor d e m Krieg gewesen. Das sei eine sehr gebildete Famil ie gewesen. ~ a c h diesem A u f e n t h a l t habe er ausnahms- weise in Hamburg S ta t ion gemacht und sei yon da aus n a c h Amerika abgereist , n i ch t yon :Bremen aus. , ,Waren Sie nach dem Krieg auch wieder in Deutschland ?" , ,Xein, nach dem Krieg je tz t e rs t wieder zum ers ten Mal ." , ,Wann s ind Sie je tz t angekommen ?" , ,Das weiB ich n ich t m e h r . " , ,Mit welchem Schiff ?" :Bagatelli- s ierend: , ,0 , das weiB ich n ich t mehr so genau ." A b l e n k e n d erz~hl t er yon seinem vornehmen In t e rna t . E r habe je tz t ein J a h r Ferien. Es sei das sein siebentes Dienst- jahr , das Saba th jah r , das der amerikanische Lehre r zu Studienzwecken frei habe. , ,Warum reise ich da wohl je tz t schon ?" ,,WeiB ich n i c h t . " , , Ich h~t te doch gut noch einige Zeit in Deutsch land bleiben k6nnen . Einige Monate h~t te ich wohl noch Zeit gehab t . " Nach kurzer Pause: , ,Wissen Sie zuf~llig, warum ich schon nach Amer ika reise ?" , ,~ein , vielleicht haben es die E l t e r n gewollt ." ,,So, die El tern . Leben meine E l t e rn noch ?" , , J a . " , ,Da habe ich doch ge t rgumt , die E l t e rn wgren to t . " -- So geht es S tunden h indurch . Nach E i n b r u c h der Dunkelhei t i~uBert 'Smith den Wunsch , ,,ira Speisewagen gu t zu essen". Vom Gang aus wirft er noch einen Blick auf sein Gep~ck, schl~gt besorgt vor, m a n solle doch durch den Zugbeamten die Abtei l t i i r abschlieBen lassen, da so viel gestohlen werde. - - Beim

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Abendessen im Speisewagen b e n i m m t sich Smi th v611ig korrekt. J edem Gespr/~ch, in das ihn sein Begleiter verwickeln will, geht er aus dem Wege. I m Abtei l rollen wieder dieselben Gespr/~che ab wie vor dem Essen. Die Versuche des Begleiters, andere Themen anzuschneiden, bleiben erfolglos. Das dargereichte Schlafmit tel , eine hohe Dosis Phanodorm, n i m m t der Pa t i en t ohne Widerstreben. E r e rkund ig t sich nach dem l~amen der Table t ten . Sein Vate r habe ihm immer Sulfonal gegeben. Sein Vater sei Arzt , er sei Lehrer . - - Bei dem l~ngeren Aufen tha l t in Wt i i zburg k lag t Smi th i iber Durst . Man werde Wasser bekommen k6nnen. ,,l~ein, ich m6ch te gerne Bier t r i n k e n . " Man h6r t den Bahnhofske l lner Bier ausrufen. , ,Das Bier b e k o m m t I h n e n n ich t !" Gereizt: , ,Doch, Bier sehadet mir n i c h t ! " Dami t ver- 1/tBt er das Abtei l u nd 1/~uft un ruh ig im Gang auf und ab. U m ihn abzulenken u n d ihn am Aussteigen zu verh indern , versucht der Begleiter, ihn in ein Gespr/~ch zu verwickeln. Smi th g ib t auf n ich t s Antwor t , en t f e rn t sich immer weiter yon se inem Abteil , in der of fenbaren Absicht , seinen Beglei ter abzuschfit teln. Der Zug f/~hrt wieder. Sobald der P a t i e n t merk t , dab sein Bcgleiter sieh , , en t fe rn t " ha t , s chau t er, s tehenble ibend und schwer a tmend , nach allen Seiten ~ngstlich u m sich. SchlieB- l ich 1/~uft er wieder er regt durch die G~nge, geht in den Schlafwagen, 6ffnet do r t Tiiren. Vorsicht ig n/~hert sein Begleiter sich ihm wieder und bemfiht sich, i hn in sein Abtei l zurfickzubringen. Bei den ers ten beruhigenden Wor ten schon ger/~t Smi th in gr6Bte Er regung ; er beb t , keucht , schrei t seinen Begleiter an, er solle i hn in Ruhe lassen. Sich an das herbe is t r6mende Pub l ikum wendend: , , Ich kenne diesen H e r r n gar n ich t , ich habe ihn noch nie gesehen. E r verfolgt mich seit einigen S tunden . :[ch bin amer ikanischer Bfirger und verlange, dab man reich in Deutsch land unbe- helligt reisen 1/tilt, sonst steige ich an der n/~chsten Sta t ion aus." Es erscheint r a t sam, sieh zurfickzuziehen. Smi th k o m m t m i t Mitreisenden, im Gang eines ande ren Wagens s tehend, in ein ruhigeres Gespr/~eh. E r soll bei ihnen zun/~chst fiber seinen sonderbaren Verfolger gesprochen haben, der ihn so bel/~stige. E r rege sich so auf, u n d das bekomme seinem Herzen nicht , er sei n~mlich herzkrank. D a n n habe er yon seinen a c h t Deutsehlandre isen erz~hlt . Auffallend bei dem Gespr/ich seien n u r seine h/~ufigen Wiederholungen gewesen. Naeh einer Weile geht der K r a n k e fort , offenbar, u m nach seinen Koffern zu sehen. E r schaut in die Gep/~cknetze aller Abteile der zweiten K]asse -- u n d n u r dieser - - , en tdeckt in e inem schlieBlich seine Gep~,ckstficke. l~ach e inem fliichtigen Blick auf seinen Begleiter beg ib t er sich schnellen Schr i t tes wieder zu seiner neuen Reisegesellschaft, die ihn n u n e twa eine S tunde besch~ftigt . D a n n k o m m t er wieder, s ieht in das Gep~cknetz, geh t zuriiek. Dasselbe wiederhol t sich im Verlaufe der folgenden S tunden mehrere Male. SchlieBlieh b le ib t Smi th bei e inem seiner Gange zu den Koffern vor dem Abte i l s tehen, s tud ie r t eine der E i senbahnka r t en . P16tzlich wendet er sich urn, k o m m t has t ig in das Abteil , f rag t seinen Begleiter gepreBt: , ,Daft ich fragen, wohin Sie fahren ?" , , l~ach Amer ika . " , ,Wohin, wenn ich fragen daf t ?" ,,l~ach l~ew York . " , ,Haben Sie Yerwandte d o r t ? " , , J a . " , , Ich fahre auch naeh Amerika. I ch b in Lehrer in Phi lade lph ia . " , ,Waren Sie schon h~ufiger in Deutsch land ?" ,,O, ieh war a ch tma l in Deutschland . Zuerst 1908. I ch habe in Marburg s tud ie r t . " , ,Wo waren Sie j e tz t ?" , , Ich war in Mfinchen. Ich liebe Mfinchen. Ich s tudiere Sprachen, ich b in l~euphflo]oge. J e t z t werde ich Sie n ich t 1/~nger st6ren. Ich will noch e twas auf u n d a b gehen, d a n n will ich auch schlafen." Dami t geht Smi th wieder h inaus . W a h r e n d der n/~chsten S tunden wiederhol t sich diese Un te rha l tung sechsmal, genau i m gleichen Wor t l au t . E r k o m m t leise herein, weiler seinen Begleiter immer , , l i egend" vorf indet . , ,Darf ich fragen, wohin Sie fahren ?", am SchluB dann die En t schu ld igung u n d die Bemerkung , er werde n u n , , auch" bald schlafen. Dann geht er in das andere , weit en t fe rn te Abtei l und erz/~hlt dort , wie die Mitreisenden ber ichte ten, immer wieder dasselbe yon seinen fr i iheren Deutschlandreisen. Kurz vor dcr A n k u n f t in Bremen b le ib t Smi th in seinem Abtei l si tzen. Die Bekannten , seine , ,guten F r e u n d e " , seien ausgestiegen. Ba ld schl/~ft er ein. Behu t sam riistet der Beglei ter zum

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Aussteigen. Sobald der Zug halt, erreicht er es, dab der Kranke ,,zufallig" erwacht. ,,Mr. Smith, ich mug reich je tz t ,con Ihnen verabsehieden. Wit sind in Bremen. Ich fahre nach Amerika." , ,Donnerwetter, da muB ich ja auch aussteigen. Ich will auch nach Amerika. Darf ieh mi t Ihnen gehen ?" Polgsam kommt er nach. So langt man unter Fiihrung eines Beauftragten der Sehiffsgesellsehaft in den bereitgestellten Unterkunftsr/~umen an. Smith lehnt es entsehieden ab, sich zu Ber t zu legen. , ,Ieh will in ein Hotel gehen." Das sei am friihen Morgen nicht m6glieh. 0hne in den durchheizten l~aumen H u t und Mantel abzulegen, setzt Smith sieh auf einen Stuhl neben seinem Bett . Nach kurzer Zeit geht er auf den Flur, lauft dort auf und ab, Stunde um Stunde. Den wiederholten Aufforderungen, sich hinzulegen, schenkt er keine Beaehtung. Er antwor te t kurz, ausweichend, erscheint dabei auBerst gespannt und gereizt. Ein Herr tier Schiffsgesellschaft kommt und will die Personalien aufnehmen. Auf die in englischer Sprache gestellten Fragen antwortet der Kranke willig, etwas schfichtern und angstlich. Es ent- wickelt sich ein Gespr~ieh in englischer Spraehe, das mehr privaten Charakter tragt . Smith wird siehtlich freier, die kurz vorher seinem Begleiter und dem Personal gegeniiber gezeigte Ablehnung sehwindet v611ig. Naehdem der Herr sich ver- abschiedet hat, ist Smith bereit zu frfihstfieken. E r kniipft selbst ein Gesprach fiber germanische Wortst~mme an, sprieht fiber den spanischen Dialekt in Latein- amerika. ,,Ich habe namlich in Marburg studiert und dort ein Examen bei Pro- fessor V. abgelegt." Je tz t sei er Lehrer. Auf die Frage, wo er je tz t herkomme: ,,Aus Mfinchen." ,,Wo wohnten Sie dort zuletzt ?" , , Ich habe immer pr ivat ge- wohnt ." ,,Auch zule tz t?" , ,Ja, immer." , ,Waren Sie nicht im Krankenhaus ?" , ,Ja , im Schwabinger Krankenhaus." ,,Wie hies Ih r Arzt d o r t ? " , ,0 , das wei$ ich nicht mehr." ,,Wo waren Sie da untergebracht ?" , , In einem ziemlich kleinen Haus im Garten." (Stimmt.) ,,Was fehlte Ihnen ?" , , Ieh weill es nicht genau. Ieh glaube, ich war herzkrank." ,,Wie lange kennen Sie reich ?" , ,Ziemlich lange schon." Tatsachlich hat te der Kranke seinen Begleiter vor der Reise noch nieht gesehen. , ,In welcher Wagenklasse fuhren S ie?" ,,Das weiB ich leider nicht ." , ,Haben Sie sich gut auf der l%ise unterhal ten 2" , ,Ja, sehr gut ." , ,Hat ten Sie unterwegs keine Aufregungen?" , ,0, nein." , ,Haben Sie sich nicht fiber reich geargert ?" Lacht anhaltend: ,,Wie kann ich nneh fiber Sie argern, mein Freund, o nein !" ,,Sie haben reich abet beleidigt." Lacht wieder: ,,O, das muB wohl ein I r r tum sein." Dann erkundigt sich der Kranke wiederholt nach der Abfahrtstunde, der l~berfahrtdauer, dem Namen des Schiffes, der Schiffsklasse. E r fragt, ob ,,Geld genug da ist", wet die Schiffskarten bestellt habe, wo seine goldene Uhr und seine Geldb6rse seien. Bis zu diesem Zeitpunkt hat te er dem Verlust seiner goldenen Uhr, an der er sehr gehangen hatte, keine Beaehtung geschenkt. Auch diese Pragen wiederholen sich dauernd. Dann wieder: , ,Leben meine El tern noeh?" , ,Ja." , , Ieh habe getraumt, sie waren beide tot. Ieh tr~tume so viel. Neulieh habe ich getriiumt, ich hatte meine Stelle verloren, der Direktor ware b6se auf mich. I s t der Direktor wirklieh nicht b6se ?" ,,Nein, er ha t Sie doch so grollziigig beurlaubt." ,,Sonderbar, ich meine, der Direktor hat te mir geschrieben. Oder war das getr~umt ?" , ,Er hat geschrieben." ,,Wissen Sie, w a n n e r mir gesehrieben hat ?" , ,Vor einigen Monaten." ,,Ich habe auch getraumt, ich ware ein Verbrecher. Bin ich ein Ver- brecher ?" , ,Nein." ,,Bin ich ein Saufer ?" Auf Verneinung: , ,Bin ich geisteskrank ?" ,,:Nein." , ,Donnerwetter, das habe ieh doeh alles getraumt. Sonderbar, diese TrKume." , ,Haben Sie noeh mehr getr~umt ?" , ,Neulieh trKumte ieh, man h/~tte reich aus dem Hofbr~tuhaus herausgeworfen. Alles ge t r~umt?" ,,Sieher wohl." ,,Darm tr/~umte ieh, ieh ware ein Verbreeher und h~tte im Gef~ngnis gesessen. Ich k6nnte die Eisenstabe greifen (maeht eine entspreehende Bewegung), so deut- lich babe ich es get raumt." - - Dann wieder: , ,Leben meine El tern noch ?" , ,ga." , ,Da habe ich doch getrKumt, sie w/~ren tot. Alles getr~umt ?" Dieselben Gespr~tche wiekeln sich auch zwischen Smith und den anwesenden Beamten ab, zum Teil

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in deutscher, zum Teil in englischer Sprache. Vr bis je tzt Smi th eine gewisse Passivi t~t und konvent ionel le Zul i ickhal tung gewahr t ha t te , du t ch die der be- s tehende Defekt den U n k u n d i g e n verborgen blieb, l~uft er nun herum, f ragt jeden erreichbaren Menschen in gleieher Weise. Auffallend ist, dab er die Gespr~ehs- par tner , die sich besonders m i t ihm besch~ftigten, immer wieder aufsuchte, dab er ausging, sie wieder zu suchen und auch aus einer Gruppe wieder herausfand. So wendet er sich auch yon Zei t zu Zeit an seinen Begleiter, den er deut l ieh als ,,Be- k a n n t e n " anspr ich t , auch wenn er sich ganz f remd gibt . I m m e r wieder k o m m t er an : ,,Wie durum ich bin, wie dumm, solche Tr~ume! J e t z t werde ieh alle diese Dinge ins Meer werfen, wir werden lustig sein und viel t r inken i" - - Vor der Ein- schiffung e rkund ig t sich der K r a n k e framer wieder nach der Schiffsklasse. E r sei framer nur zweiter Klasse gefahren (was fiir die Zeit naeh dem Kriege ob jek t iv n ich t zutriff t) , e inmal sogar ers ter Klasse. Leicht l~Bt sich Smi th d a m i t beruhigen, dab man in einer ganz neu geschaffenen Klasse fahren werde, ob er denn davon noch nichts wisse ? Nach wenigen Minuten spielt sich dieselbe U n t e r h a l t u n g ab. - - Der Herr , der a m Vormi t t ag die Personalien aufgenommen ha t t e , k o m m t noch e inmal und e rwar t e t yon S m i t h als Bekann te r angesproehen zu werden. Sobald or merkt , daB er wieder ein v611ig , ,F remder" ist, s tel l t er sich auf Anra t en des Begleiters dem Kxanken vor, der darauf seinen Namen n e n n t u n d ein Gespr~i~h fi ihrt , das dem yore Morgen ~hnl ich ist. - - An Bord sucht der K r a n k e ohne fremde Hilfe an H a n d seiner Schiffskar te selbst~ndig seine Kabine . E r r i ch te t sich dor t ein, pack t einige Sachen aus, legt seine Reisemiitze bereft.

Die Schi]fsreise. Das Verha l t en des K r a n k e n bekommt mi t dem Bet re ten des Schiffes ein wesent l ich neues Gepr~ge, das w~hrend der ganzen F a h r t zu beob- ach ten war. J ene hef t igen Reakt ionen auf die Gegenwart eines Menschen, der dauernd , ,urn i h n " ist , wurden n ieh t mehr gesehen. Bes t rebungen, sich selbst~ndig zu machen, wurden n i ch t beobachte t , auch n ich t jene euphor isch gef~rbten Zu- st~nde, in denen der P a t i e n t geneigt war, spon tan Menschen aufzusuehen und yon sich Mit tei lung zu machen . Smi th en tbehr te v ie lmehr aller Affektschwankungen, war gleiehmaBig passiv, zeigte seine steif-konventionelle Fassade, die ihn ke inem Menschen de r neugier igen U m w e l t auffallen lieB. Mit n i emandem redete er, wenn er n ich t gerade angesprochen wurde. W~hrend des Tages s a B e r im Rauchsa lon oder in der Halle, sah vor sieh hin, las vielleicht e inmal einen a l ten Brief, den er bei sieh f t ihr te . Mante l u n d Miitze lagen gew6hnlich auf dem Stuhl neben ihm. Zu den se l tenen kurzen Spaziergangen an Deck zog er sich gu t an, n a h m damn nach seinem kle inen R u n d g a n g wieder an e inem Tisch der Steuerbordsei te Platz . An der Baekbordse i te sah m an ihn niemals sitzen. H a t t e er e inmal seinen Mante l n ich t mi tgebracht , d a n n hol te er ihn vor einem Deckspaziergang selbst~ndig aus seiner Kabine . Gleich a m Anfang der F a h r t wandte er sieh, als er seine K a b i n e e inmal n ieh t gefunden ha t t e , an seinen Begleiter, der i bm folgte: , ,Wissen Sie zu- f~llig, wo meine K a b i n e is t ?" Als er in den r icht igen Quergang gewiesen war , g i n g e r auf die le tz te Tiir l inks zu, 6ffnete sie u n d befand sich in seiner Kabine . Mit dem Bemerken , dab eine solche Zahl n ich t zu behal ten sei, t r a t er aus de r Kabine gleich wieder heraus, zog seine Brief tasehe und sehr ieb sich die Kab inen - nummer auf e inen a l ten Briefumschlag. Yon da ab fand er s te t s wieder in seine Kabine zuriiek. E r hol te zun~ehs t den Briefumschlag he rvor u n d begann d a n n an der Steuerbordse i te zu suchen, an der seine Kab ine lag. Es konn te geschehen, dab er sein V o r h a b e n in e inem falsehen Deck begann. D a n n ger ie t er nach e inigem Suchen und U m h e r i r r e n a n die ~ummern ta fe l , aus der zu ersehen war, welche Kab inen (yon - - bis) sieh in dem betreffenden Deck befanden. W a r die seine ni.cht zwischen den angegebenen Grenzen, dann setzte er sein Suchen in dem hSher oder tiefer gelegenen Deck fort , den Briefumschlag s tets in H~aden , bis schlleBlich, oft ers t naeh e iner ha lben Stunde, die r icht ig bezeichnete Tiir e r re ich t war. Es fiel auf, dab er n iemals a n Baekbord suchte, sondern ganz r ieht ig s te t s an der rech ten

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Seite des Schiffes, dab er ferner niemals, yon Deck die Treppe herabkommend, oder v o m Speisesaal heraufkommend, seine K a b i n e in dem heckw~rts l iegenden Teil des Schiffes zu f inden meinte, sondern s te ts ganz r icht ig sich in den Gang wandte , der in der Fah r t r i ch tung des Schiffes lag. Von den beiden Kleiderablagen benutz te er immer, wcnn er i ibe rhaupt dor t ablegte, die an der rechten Tiir gelegene, auch dann , wenn er durch die l inke Tfir den Rauchsalon be t re ten ha t te . Bei seinen Spazierg~ngen an Deck bevorzugte er n ich t die eine oder die andere Seite. Zu den Mahlzeiten muBte Smi th gewShnlich abgeholt werden. Sal3 er be im Ausl~uten der Mahlzeit im Rauchsa lon oder in der Halle, so rf ihr te er sich t ro tz der energischen Glockenzeichen und t ro tz des For ts t rSmens der ~r n ich t yore :Platze. H/~tte m an i hn n i c h t geholt , er h/~tte die Mahlzei ten eines ganzen Tages iiberschlagen. X u r dann , wenn er im Treppenhaus s tand und die te legraphischen !Vfeldungen las oder die Aufforderung zu e inem :Bierabend, dann schlofl er sich beim Ausl~uten der Tischzei t dem St rom der Passa- giere an und ging selbstiindig in den Speisesaal. Es is t n i ch t anzunehmen, daB in solchen F~llen Hunger und Durs t ihn in die N/~he des Speisesaales get r ieben ha t t en . Gelegentlich n~mlich hiel t er sich schon u n m i t t e l b a r nach den Mahlzei ten vor den ausgeh~ngten P laka ten auf, s tud ie r t e die E in l adung zur :Bier-Party, die Liste der gefundenen Gegenst/~nde, das K inoprogramm. Stundenlang sah man ihn lesend do r t s tehen, yon einem Plaka t zum ande ren schre i tend und wieder zuriick. - - Wurde der Kranke yon seinem Begleiter zu einer Mahlzei t abgeholt , so en t spann sich s.tets ein K a m p f der HSftichkeit, wer den anderen vorgehen lasse. Smi th liel3 sich i m m e r iiberreden, die Ff ihrung zu i ibernehmen. EtwaS unsicheren Schri t tes verliel3 er dann den Rauchsalon oder die Halle, /~uflerte vielleicht, Mantel und Mfitze kSnne er ja h/~ngen lassen, und st ieg nach e inem neuen vergeblichen Ver- such, den Begleiter vorangehen zu lassen, die Treppen zum Speisesaal h inab . U n t e n angekommen wandte er sich ganz r icht ig gleich n a c h rechts, schr i t t zwischen W a n d u n d ~ul3erster Tischreihe h indurch , bog d a n n noch einmal nach rechts ein, u m an dem Ecktisch, einer A r t Nische, H a l t zu m a c h e n u n d sich dor t in einen der beiden Sessel zu setzen, immer in denselben, den Rficken zur Wand , mi t freier Sicht fiber einen grol3en Tell des Speiseraumes. Der :Begleiter ha t t e ihm bei der ers ten Mahlzei t diesen Stuhl angewiesen, ihn gebeten, er mSge ihm den anderen Pla tz fiberlassen, den Smi th urspriinglich h a t t e e i n n e h m e n wollen. Ohne zu fragen, ohne sich zu ver i r ren l and Smith auch d a n n seinen Pla tz , wenn der :Begleiter ihn allein zu Tisch gehen liefl. Die Namen waren n i ch t an den P1/~tzen verzeichnet . Die Serviettenhfil len, auf denen die Namen s t anden , h a t t e der Begleiter oft vorher so umdrehen lassen, dal3 dem Kranken yon dieser Seite ke ine t t i lfe kommen konnte . Auch aus seiner Kab ine l and Smith den Weg zum Speisesaal. E r t r a t aus seiner Tiir heraus , ging einen Quergang bis zu dem l~ngs ve r laufenden I-Iauptgang, wandte sich in diesem nach links, heckw~rts bis zur Treppe, die ihn in den Speiseraum ffihrte. Alle Bemiihungen, Smith den Weg zu seinem P la tz beschreiben zu lassen, schei ter ten vollst/~ndig. F a n d der Bcgleiter Smi th schon bei Tisch vor, so geschah es n ich t selten, zumal abends, dal3 der K r a n k e ihn ansprach : , ,Donnerwet ter , habe ich einen groi3en Hunger !" oder , ,kSnnen Sie mi r viel leicht sagen, wie lange wit schon unterwegs s ind ?" Auch dann, wenn der :Begleiter den Kranken in seiner Kab ine aufsuchte, begriiBte Smith ihn gewShnlich zuers t : ,,Mein Freund, Doriner- wetter , wie gut, dab Sie kommen. Soeben wurde ich t raur ig , je tzt kommen Sie, Donnerwet ter , je tz t s ind alle meine t raur igen Gedanken gleich weg !" Auch dann , wenn der Begleiter sich im Speisesaal oder in des K r a n k e n Kab ine , , f remd" stellte, wurde er yon Smi th doch als , ,guter F r e u n d " angesprochen. So, wenn er ohne ein Wor t zu sprechen, m i t einer steifen Verbeugung a m Speisetisch Platz n a h m : ,,Ach, mein Freund , wie k a n n ein al ter Professor so d u m m e Gedanken haben! Ich habe Sie n u n schon t ausendmal gefragt, ob das wirkl ich ein T r a u m war, dal3 ich aus dem Hofbr~uhaus herausgeworfen wurde !" -- N~iemals dagegen wurde beobachtet , dab

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Smi th seinen Beglei ter als B e k a n n t e n nahm, wenn dieser sich zu ihm an den Tisch im Rauchsa lon gesetzt h a t t e oder an Deck sich neben ihn stellte. E r s t wenn er den Pa t i en ten anl/~chelte, wurde Smi th unruhig, s t raff te sich, um d a n n etwas scheu und offenbar zweifelnd durch ein steifes Kopfnicken zu glfiBen. -- A m Speise- t isch wurde Smi th den s t rengs ten geseUschaftlichen Fordc ru rgen gerecht, h6chs tens aB er gelegentlich ein Dutzcnd Br6tchen , aber das n u r dann, wenn der bedienende Steward den gerade geleerten Br6tchente l ler for tgehol t hat te . Sagte man ibm, er habe schon 10 :Br6tchen gegessen, so wurde er sehr verlegen, entschuldigte sich mi t dem Bemerken , er habe vergessen mitzuz~hlen. In der Reihenfolge der Speisen i r r te Smi th sich niemals. Auch als der Begleiter bei s tf i rmischem Wet te r n i ch t s all, also jede An lehnung ffir Smi th fehlte, kam Smi th in der Reihenfolge der Speisen n i ch t durche inander , bestell te n ich t e twa einen Gang zweimal h in te re inander , auch dann n icht , wenn beim neuen Bestellen Teller und Schfisseln bcreits ab- getragen waren. - - Die Tischgespr~che ha t t en ihr eigenes Gepr/~ge. Der K r a n k e s t aun te immer wieder, dab die Touristenklasse so feudal sei, er sei noch n iemals dar in gefahren. Oder: , , Ich h~t te niemals gedacht , dab ein so altes Schiff so g u t e inger ichte t ist. Soviel ich weiB, ist die X im J a h r e 1905 e rbau t . Wissen Sie es zuf/~llig genau ?" Erkl/~rte man ihm, diescs Schiff sei e rs t einige J ah re alt, er denke wohl an die al te X, d a n n folgte nach wenigen Sekunden schon derselbe Ausbruch des E r s t aunens : , ,Donnerwet ter , solch ein altes Schiff, 1905 gebau t und doch so bequem !" Es is t hervorzuheben , dab weder im Speiseraum noch auch in den Aufenthal tsr /~umen oder in den Kab inen der l~ame des Schiffes oder die Bezeich- nung der Klasse zu ersehen war. - - Die Un te rha l t ungcn an Deck oder im Rauch- salon h a t t e n immer dieselbcn Episoden aus Smi ths frfiherem Leben oder auch philologische F r a g e n zum Thema. Auf andcre Dinge tieB er sich im Gespr/ich k a u m bringen. Besonders gerne erkl/~rte Smith seinem Begleiter, dab das in Amer ika gesproehene Engl i sch n i ch t so schlecht sei wie man im al lgemeinen behaup te . Auf die Frage, ob er bei seinem ers ten Eng landaufen tha l t denn n ich t Schwierig- kei ten mi t der Verst/~ndigung gehab t habe, erkl/~rte er einmal: , ,Ein Amer ikane r ve r s t eh t in E n g l a n d zun/ichst sehr wenig. Es g ib t besondere amerikanische Dol- metscher , die zwei J a h r e in Eng land die Sprache lernen mfissen." Nach e iner ha lben Minute l aeh t er pl6tzlich schallend: , ,Verzeihen Sie mir , aber ich habe Sie belogen. Die Sprachen s ind genau gleich." F r a g t man ihn, woher er komme, so an twor t e t er ausweichend: , ,Aus Deutsch land ." ,,Aus welcher S t ad t ?" , , Ich b in immer viel he rumgere i s t . " , ,Wo waren Sie zule tz t ?" ,,Das weiB ich n ich t m e h r so genau ." Als der Schiffsarzt sich mi t dem K r a n k e n bekann t machte , zeigte sich Smi th besonders einsilbig und steif, gab aber auf entsprechende Fragen an, e r komme aus Mfinchen. E r habe dor t p r iva t gewohnt . SchlieBlich ~uBerte er, e r sei auch e inmal im Schwabinger Krankenhaus gewesen, l~I/~here Angabcn fiber die U n t e r b r i n g u n g dor t k a n n er n ich t machen. - - Gegen Abend war der Pa t i en t s t e t s aufgeschlossencr als zu anderen Tageszeiten. l~ach der le tz ten Mahlzeit - - es war inzwischen dunke l geworden -- setzte Smi th sich in den Rauchsalon. K a m der Begleiter, so entwickel te sich eins der fiblichen Gespr~che, in dem der Kranke d a n n regelm/~Big f rag te : , ,Verzeihen Sic, ieh habe Sie n u n heute schon so oft gefragt , werde ich heu te abend ein gewaltiges Sehlafmit te l bekommen ?" , , J a . " , ,Ein ganz gewaltiges ?" , , J a . " ,,Die letzte Nach t habe ich n/~mlich sehr schlecht geschlafen, ieh habe so lange n i c h t einschlafen k6nnen . " Willig n a h m er seine beiden P h a n o - do rmtab le t t en , f rag te nach dem l~amen des Mittels, /~uBerte den Wunsch , noch etwas s i tzen zu bleiben. K a m der Begleiter nach einer ha lben S tunde oder n a c h einer Stunde, u m den K r a n k e n in seine Kab ine abzuholen, immer wunder te S m i t h sieh, dab es , , schon Ze i t " sei. Anfangs glaubte der Begleiter, Wer t darauf legen zu mfissen, den K r a n k e n m6glichst bald aus der Alkohol t r inkenden Umgebung zu ent fernen. D a n n gab er Smi th die Table t ten m i t dem Bemerken, er hole i hn in einer ha lben S tunde ab. E r ging hinaus und k a m dureh die andere Tfir glcieh wieder

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herein, wandte sich an Smith, es sei je tz t Zeit. , ,Donnerwet ter , eine halbe Stunde ! Da f t ich Sie noch e inmal fragen, habe ich auch genug genommen ?" -- Es wurde n ich t beobachtet , dab Smi th zweimal sein Schlafmi t te l ver langte , andererseits gelang es nicht , ihn ohne vorherige Schlafmit te lgabe in die Kab ine zu bringen. Auf dem Wege zur Kab ine muBte m an es verhi i ten, dab Smi th einen Blick auf die im Treppenhaus befindliche U h r waft. Am ers ten A b e n d h a t t e der :Begleiter mit diesem Ums tand n ich t gerechnet. , ,Donnerwet te r ! E r s t neun Whr und ich sell schon schlafen gehen ? Nein, so friih habe ich n iemals schlafen k6nnen . " Damit machte er kehr t und setzte sich wieder in den Salon. N'ach dieser Er fahrung lenkte der Begleiter die Aufmerksamkei t des K r a n k e n an der kr i t i schen Stelle ab. Gelang das n ich t , dann behaup te te er, die U h r sei schon zuriickgestellt . Mit solchen Mitteln wurde s te ts dies letzte Hindernis i iberwunden. S m i t h erkl/irte vor Bet re ten der Kabine , er wolle , ,eben noch einmal aus t re ten" . Das Schild wies i hm die richtige Tiir. D a n n kam er in seine Kabine nach. Regelm/~13ig legte er zuerst seine Miitze in die rechte Ecke des oberen Schrankfaches, auf die Miitze seine ]3rille. Beim Auskleiden fragte er al labendlich seinen :Begleiter: ,,:[ch habe get r~umt , ich w/~re ein Verbrecher. Bin ich ein Verbrecher ?" , ,Nein." , ,Donnerwet ter , ich habe getr /mmt. ich h a t t e h in ter Gitterst/~ben gesessen, ich habe es so deut l ich getr/~umt, dall ich sie schi i t te ln k6nn te . " Es is t zu erw~hnen, dab S m i t h w/~hrend der ers ten Wochen seines Krankenhausaufen tha l t e s auf dem Wachsaa l un t e rgeb rach t war, dessen Fens te r m i t Eisenst~ben verg i t te r t sind. , , Ich habe getr/~umt, ich w/~re geisteskrank. B in ich geisteskrank ?" , ,Nein." , ,Bin ieh ein S~ufer ?" , ,Xein." , ,Donnerwetter . solehe TrKume ! Wie k a n n ein a l ter Professor so durum trKumen ?" , ,Wann t r~umten Sie das ?" , ,Ich weil3 n ich t so genau, ich glaube, ich t r~ume das of t ." D a n n welter: , ,Bin ieh ein Verbrecher ?" Auf Verneinung: , ,Leben meine E l te rn noch ?" , , J a . ' , ,Dabei habe ich getr/~umt, sie w~ren beide tot . - - Noch etwas, ist der Direktor mir auch nicht bSse ?" ,,N'ein." , ,Auch das habe ich n u t getr/~um t ? Und ich bin n ich t aus dem Hofbr/~uhaus herausgeflogen ? ~l'ur g e t r a u m t ?" , ,ga ." , ,Donner- wet ter , Donnerwet te r !" Lag Smi th d a n n im Ber t u n d wand te sich der Begleiter zur Tiir, dann faBte Smi th noch e inmal zusammen. Mit P a t h o s schlug er sich an die Brus t : , ,Kein S/iufer ?" , ,Nein." , ,Kein Verbrecher ?" , ,Nein ." , ,Und n icht ver- r i ickt ?" , ,Nein." ,,Die E l te rn leben beide noch ?" , , J a . " , ,Dann werde ich beruhigt schlafen !" ,,Sie haben noch etwas vergessen." Smi th lachend: , ,Und der Direktor i s t be s t immt n ich t b6se ?" , ,Xein." , ,Dann is t es ja gut . Alles nu r getr/~umt!" D a n n konn te der Begleiter hinausgehen. - - ~ u r a n e inem Abend -- es war der vier te Tag der Seereise -- erhiel t das s tets gleiche Abendgespr/~ch eine kleine Erg/~nzung. Der Kranke war am Sp/~tnachmittag dieses Tages an den Aussehank im Rauehsalon gegangen und ha t te ein Glas Bier ve r lang t . Der Steward ver- weigerte es ihm mi t der Begriindung, der Arz t habe es verboten . Mit e inem ,,so" ging der Pa t i en t wieder an seinen Tisch u n d blieb do r t ruh ig bis zum Abend sitzen. l~'ur dieses eine Mal ver langte Smi th Alkohol, t r o t z d e m u m ihn he rum st/~ndig ge t runken wurde, t ro t zdem er immer den Ausschank mi t den Bierh/~hnen und den vielen Flaschen im Auge ha t te . Beim Auskleiden k a m e n auch an diesem Abend die iiblichen Fragen: , ,Bin ieh geisteskrank, b in ich e in S~ufer, usw. ?" , ,Da habe ieh doch getr/~umt, m a n hKtte reich aus dem Hofbr/~uhaus herausgeworfen. ~r ge t r~umt ?" -- , ,Dann habe ich getr/~umt, der Steward h~ t t e reich aus dem Rauch- salon herausgeworfen." , ,Warum denn ?" , , Ieh h/~tte :Bier ve r lang t und da h/~tte er reich gepackt und hinausgeworfen !" , ,Wann denn ?" , ,Das weiB ich n ich t so genau, aber ich habe es ganz deutl ich getr/~umt." ,,Sie saBen aber eben ganz fried- lich im Rauehsalon ?" Smi th wird verlegen, f i ihr t das Gesprach auf die iiblicben Fragen zuriiek. - - Der Steward erzahlte, Smi th habe n a c h der Szene ihm h/~ufig ~ngstliche Blicke zugeworfen. - - Am n/i~hsten Tag ~ul3erte Smi th n ich ts mehr yon diesem , ,Traum". E r bes t r i t t lebhaf t , jemals e twas ~hn l iches er lebt oder getr/~umt zu haben. N ur aus dem Hofbr/~uhaus, so habe er ge t r~umt , sei er heraus-

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geworfen worden. -- Smi th schlief ausgezeichnet in der vf l l ig abgedunke l t en Kabine . Bei n/~chtlichen Kont ro l l en fand man ihn niemals wach. Gelegentl ich s t and er zu der i iblichen Zei t nach dem Trompetenwecken auf. Hauf ig schlief er langer, bis zum Mittag, e inmal sogar bis abends gegen 6 Uhr . E r kleidete sich s te ts selbst/~ndig an, wechselte abe r niemals yon sich aus die W~sche, zog immer den Kxagen an, der gerade vor i h m lag. Auch rasierte er sich ers t nach wiederhol ten energischen Aufforderungen. - - A m ers ten Morgen suchte Smi th in seiner Kab ine herum, als der Beglei ter e in t r a t . Smi th erkl/~rte, er habe seine Bril le u n d seine Miitze verloren, ob er n i c h t wisse, wo sie seien. Sie fanden sich oben im Schrank. An den n ~ h s t e n Abenden legte Smi th sie wieder an dieselbe Stelle, l a n d sie n u n aber immer morgens ohne Sehwierigkeiten. Nach dem Aufstehen ging S m i t h an Deck oder in den Salon. Von sich aus g i n g e r niemals zum Friihstfick. Es b e d u r f t e s te ts der bes0nderen Aufforderung yon sei ten des Begleiters oder eines e ingeweihten Stewards. An dem Tage, a n dem Smi th besonders lange geschlafen ha t t e , holte der Begleiter seinen K r a n k e n gleich aus der Kabine zur Haup tmah lze i t . Smi th wullte nicht , wie lange er geschlafen ha t te , wuBte n ich t die Tageszeit , wunder te sieh auch n icht , dall das D i n n e r servier t wurde. Unmi t t e l ba r nach dem Essen sagte ihm sein :Begleiter, er mfisse nun bald zu Ber t gehen, der Tag sei so lung und ans t rengend fiir ihn gewesen. , , Jawohl , jawohl, ich werde noch e twas oben si tzen und bald schlafen gehen. I ch b in n~mlich sehr miide." Zur fiblichen f r t ihen S tunde ging Smith auch an diesem A b e n d zu Bet t . - - Smith konnte gewShnlich n i ch t die Tageszeit angeben, wullte n ich t , welche Mahlzeit zu erwar ten war, was er zuvor gegessen ha t te . :Nur nach E i n b r u c h der Dunkelhei t an twor te te er auf en t spreehende Fragen, es sei wohl Abend. J e d e n Tag fragte der Kranke seinen :Begleiter mehrfach , wie lange die F a h r t noch dauere. Mit jeder Antwort , selbst der unmSgl ichsten, gab er sich zufrieden, sofern m a n n ich t fiber die fibliche F a h r t d a u e r eines Passagier- dampfers hinausging. A m ers ten Tage der Seefahrt wullte Smi th n ieh t , wie lange, wieviele Tage er schon auf dem Wasser war. , ,Ich kann es so genau n i c h t angeben . " A m Abend vor der A n k u n f t in New York machte der Begleiter seinem K r a n k e n yon der bevors tehenden L a n d u n g Mitteilung. Smith ~ullerte sein E r s t a u n e n , dab man schon da sei. Als er d a n n kurz vor der Landung geweckt wurde, wiederhol te er immer wieder: , ,Donnerwet te r , Donnerwet ter , schon da, ich dach te es h/~tte noch sehr lange gedauer t . " Ob er f roh sei, dall das Ziel erre icht sei ? , ,0 , ja, jawohl, ieh bin sehr froh, denn ich fahre n ich t gerne. Ich mache diese Reise zum 16. Male." Das Auf tauchen der S t a d t aus dem morgendlichen l~ebel interessier te S m i t h n ich t im geringsten. Seine i m m e r wiederholte Frage war die: , ,Wird reich j e m a n d am Pier abholen ?" Verne in te m a n sie, so war er ruhig, h ie l t man es abe r ffir wahr- scheinlich, d a l l e r abgehol t werde, wandte er e in: , ,Noch niemals b in ich in :New York abgehol t worden. W a r u m soll gerade je tz t jemand da sein ?" Weil er solange yon Hause for t gewesen sei. , , I ch kenne l~ewYork doch ganz genau, ich k a n n doch alleine nach Phi lade lphia f a h r e n . " E r beschrieb dann genau den Weg zum Bahnhof , betente , dall er ihn sehon of t gegangen und gefahren sei, u m anschl ie l lend gleieh wieder zu fragen, ob wohl j e m a n d ihn abhole, l~ach Verlassen des Schiffes war der Kranke n ich t dazu zu bewegen, nach seinen AngehSrigen Ausschau zu hal ten . E r war vfl l ig m i t sich beschaf t ig t . I n dem dichten Menschengewiihl, i n m i t t e n der s t i i rmischen Begrii l lungsszenen, s t and er neben seinem Begleiter a n der Zollab- fert igung und f ragte unaufhSr l ich : , ,Bin ich ein Verbrecher, b in ich ein S~ufer, b in ieh geis teskrank ? Alles n u r ge t r~umt ? Man h a t reich n i c h t aus dem Hof- br/~uhaus herausgeworfen ?" - - Den Abschied yon seinem Reisegef~hr ten erfall te er sicher n ieht . Naeh e inem bedeutungslosen Auf-Wiedersehen folgte er dem Be- auf t rag ten des Hospi ta ls n a c h Philadelphia.

D ie p r / ~ p s y c h o t i s c h e P e r s S n l i c h k e i t u n s e r e s K r a n k e n w e i s t , j e d e n f a l l s

f i i r d e n d e u t s c h e n U n t e r s u c h e r , e in ige a b s o n d e r l i c h e Z i ige au f . E s

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handel t sich um einen recht verschlossenen, t rotz seiner zahlreichen, abwechslungslosen Reisen antr iebsarmen, verschrobenen Junggesellen, dessen formale Begabung in einigem Widersprueh steht zu seiner geringen Expansivi t~t , zu der, jedenfalls nach au6en hin er lebnisarm-monotonen Lebensffihrung, in der seine Jahre dahingingen. Einen gewissen Zug zu sent imentalem Griibeln bezeichnete er selbst als mfitterliches Erbteil . Wann er zu trinken begann, l~Bt sich nicht genau sagen. Jedenfalls war er die Wochen vor dem Ausbruch der Psyehose in einer Weise alkohol- sfichtig, wie man es nur selten beobachten wird. Unter dieser Sueht brachen auch alle Schranken der Konven t ion bei ihm zusammen, die bis dahin sein Tun und Lassen wesentlich bes t immt hatten. Die Psychose selbst entwickelte sieh aus einem Alkoholrausch heraus, in dem der Kranke einige Wochen gelebt hat te . StuporSse Zfige oder Zfige eines Alkoholdelirs, wie sie oft am Anfang der Korsalcowschen Krankhe i t stehen, vermissen wir vollstiimdig. Die zun~ehst reichlichen Konfabu- lat ionen vom Typus der Verlegenheits- und der produkt iven Konfabu- lat ionen schwanden nach und nach ganz, die Ged~chtnis- und Merk- leistungen wurden im Verlauf einiger Monate wieder besser, bis ein Defektzustand erreicht war, der beinahe unver~mdert einige Monate im Krankenhaus beobachtet wurde und der auf dem Transport nach New York einer genaueren Untersuchung zug~nglich war.

Die Frage, inwieweit es sich um einen typischen Fall von Korsalcow- scher Krankhei t handelt, kSnnen wir nach dem eingangs Gesagten fiber- gehen. Jedenfalls liegt einer jener Typen von Korsakowscher Psychose vor, in deren Aufbau eine organische Demenz nicht der bes t immende und charakteristische, das psychische Gesamtbi ld pr~gende Zug ist. Denken, Urteilen, Unterscheiden vollzogen sich ungestSrt, sofern man sie bemil~t an den mehr oder weniger abs t rak ten Leistungen innerhalb der geistigen Sphere, die dem K r a n k e n Jahrzehnte ver t raut gewesen war. So sprach er noch seine 3 oder 4 Sprachen, lie]~ keine Gelegenheit ungenfitzt , fiber die Ableitung yon Wor ts t i immen und andere philo- logische Fragen zu sprechen, wurde dabei Einw~nden gerecht, kurz, erfiillte Anforderungen, die fiber eine einfache Reprodukt ion alter Ged~chtnissch/i, tze erheblich hinausgingen.

Wir beginnen mit einer Beschreibung des Leistungsbildes unseres Kranken , wie es sich uns wiihrend des langen Krankenhausaufenthal tes und unter den beinahe experimentellen Bedingungen der Eisenbahn- und Schiffsreise bot, also unter besonders mannigfalt igen Bedingungen, die es erlauben, die Abh~ngigkeit der Leis tung yon der Situation, die Bedeutung der Umwegsleistungen (Goldstein) und vieles mehr zu stu- dieren. Am offenkundigsten sind bei unserem Kranken zweifellos die StSrungen der Merkleistung, der Geddchtnisleistungen und der Orientierung. Mit dieser Aufz~hlung soll einzig und allein eine knappe Beschreibung gestSrter Leistungen gegeben werden, nicht aber soll gleichzeitig voraus-

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gesetzt sein, dab etwa die Merkf/~higkeit (Wernicke) ein Elementar - vermSgen sei, das einen Tell des Psyehischen ausmache und als solchen auch einer isolierten StSrung f~hig sei. Urn auszudrficken, dab es sieh nur um eine Beschreibung yon Leistungen handelt, also einheitlichen Endprodukten des psychischen Geschehens, nicht aber u m ein diesen zugrunde liegendes einheitliches Geschehen selbst, bevorzugen wit die yon jeder Theorie unbelas te ten Ausdrficke wie Merkleistung, Ged/~chtnis- leistung usw.

Der Gediichtnisaus/aU ers t reckt sich bei unserem Kranken als retro- grade, re t roakt ive Amnesie (Bonhoe//er) weit fiber den Begirm der Psychose zurfick, etwa bis zum Ende des Weltkrieges. Der Erinnerungs- verlust ist in typischer Weise kein totaler, sondern es sind zahlreiche Ged/~chtnisinseln erhalten, die retrograde Amnesie verliert sich unscharf. So konnte unser Kranke r den Namen seines Wohnungsgebers in Mfinehen angeben, den er erst bei seinem vorletzten Aufenthalt kennengelernt hat te . Andererseits behaupte te er, nach dem Kriege nicht mehr in Deutsch- land gewesen zu sein. Jener Her r war ffir ihn ein langjiihriger Bekannter , dem e r v o r dem Kriege erstmalig begegnet sci. Auf der Reise erz/~hlte der Kranke, er fahre je tz t zum 16. Male fiber den Ozean, er komme n/~mlich yon seiner 8. Deutschlandreise. Bei dieser Rechnung ha t te er alle die vorhergehenden Reisen der Nachkriegszeit folgerichtig ausgelassen, so dal3 auch hier kein Widerspruch entstand. Die Ausf/~lle sind offenbar wahllos verteilt , betreffen s tark affektbetonte Ereignisse, wie etwa den Tod der Mutter, ebenso wie die Nichtigkeiten des Alltages. Das erhaltene Material umgekehr t 1/~13t nicht erkennen, warum es dem Vergessen entging.

Eine /~hnliehe Regellosigkeit finden wir bei den Merkleistungen des Kranken. Auch hier f/~llt zun/ichst auf, dab die affektive Wert igkei t eines ]i)reignisses nicht entscheidend ist ffir die sp/~tere Reproduzierbarkei t , was ffir den Gesunden weitgehend, wenn auch nicht absolut grit. Aul3er- ordentlieh affektbesetzte Erlebnisse hinterliel~en bei unserem Kranken zum Teil keine Dauerspur : so die Demonstrat ion im Kolleg, auf dis Smith mit einem schweren Erregungszustand reagierte, so auch der elementare Wutausbruch auf der Eisenbahnfahrt , der als eine K a t a - s trophenreaktion (Goldstein) aufzufassen ist. Beide Erlebnisse waren t rotz der offenbaren subjekt iven Wertigkeit nach einigen Stunden nicht mehr reproduzierbar. DaB der Kranke seine Kab inennummer vergal3, ist nicht erstaunlich. ~qicht aber vergaB er, dab er sie sich auf einem alten Briefumschlag not ier t hat te . Leider war nicht in Er fahrung zu bringen, ob er sich auch auf den frfiheren Reisen dieser Hilfe ha t te bedienen mfissen, oder ob er sie in der Psychose gefunden ha t t e und sie dami t eine jener Umwegsleistungen darstellte, auf die Goldstein bei Hirnverletzten hingewiesen hat . Das Reiseziel vergaB der Kranke niemals, ebensowenig erstaunlicherweise den Namen des Schiffes, auf dem er

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vorher noeh nicht gefahren war. Dagegen gingen die Einzelheiten fiber Baujahr, Klasseneinteilung, auf die er immer wieder zuriickkam, in ganz kurzer Zeit zu Verlust, ebenso wie die Erinnerung an Gespri~che, die sich daher nach wenigen Minuten in gleichem Wort laut wieder abwickeln konnten. Nicht vergal3 der Kranke, vom 1. Tag der Seereise abgesehen, wo er am Abend seine Brille hingelegt hatte. Bei der Verschiedenartig- keit der Inneneinrichtung yon Schiffskabinen ist nicht anzunehmen, dab Erinnerungen lang zurfiekliegender Seereisen ihm allmorgendlieh zu Hilfe kamen und ihn seine Brille in dem bestimmten Fach des be- s t immten Schrankes finden lieBen. Auf der Bahnfahrt erkannte er seine beiden Koffer ohne Schwierigkeiten wieder. Sicher hatten sie ihn noeh nieht auf vielen Reisen begleitet. - - Die Beispiele w~ren beliebig zu ver- mehren.

Die Leistungen des Kranken zeigten auffallende Sehwankungen, die auf eine besondere Bedeutung der Einstellung (Griinthal) und der Situation (Eliasberg und Feuchtwanyer) hinweisen. So gab der Kranke auf der Schiffsreise zwar immer an, er komme aus Deutschland, aus Miinehen, wo er stets am l~ngsten verweile. Er sei in Bremen ab- gefahren. Diese Aussage konnte er machen, wenn er wuBte, daB er aus Europa kam, denn stets hatte er sich in Miinchen am langsten aufgehalten und immer, von einer Ausnahme abgesehen, hatte er in Bremen die Heimreise fiber den Ozean angetreten. Wi~hrend er aber seinem Begleiter gegeniiber, den er nicht als Arzt kannte, von seinem Aufenthalt im Krankenhaus nichts iiuBerte, sondern stets sagte, er habe in Mtinehen privat gewohnt und Spraehstudien getrieben, erzghlte er in einer v611ig anderen Situation, n~mlich dem Sehiffsarzt gegeniiber, der ihm als solcher kenntlich war, yon seinem Krankenhausaufenthalt . Auch der Umstand, dab der Kranke nur unter best immten s Voraussetzungen, nur am Speisetiseh und in der Kabine, seinen Begleiter als Bekannten nahm, weist auf die Bedeutung von Einstellung und Situation ftir die Gedgchtnis- leistungen unseres Kranken hin.

Auch die Betraehtung der Orientierungsleistungen, in denen ja ein mehr oder weniger groBer Anteil an Ged~ehtnis- und Merkleistungen ent- halten ist, zeigt uns betr~ehtliche Ausfi~lle neben erstaunlichen noch m6glichen Leistungen. Die zeitliche Orientierung, soweit es sich um Jahreszahl und Jahreszeit handelte, war auf dem Transport einigermaBen vorhanden. Der Kranke bereehnete gelegentlieh, yon der richtigen Voraussetzung ausgehend, dab er im Beginn des Jahres 1934 stehe, wie lange sein Sabathjahr noch dauere, das er niemals vergaB. Sehr viel schlechter waren seine Leistungen hinsiehtlieh der zeitlichen Orientierung innerhalb des Tages. Er versehlief groBe Teile des Tages, ohne dartiber zu erstaunen, dab seine 1. Mahlzeit naeh dem Verlassen der Kabine das Abendessen war. Er wuBte ferner nieht anzugeben, ob Vor- oder Nach- mi t tag war, ob er soeben gegessen hatte oder ob eine Mahlzeit unmittelbar

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bevorstand. Diese fehlende Orientiertheit innerhalb, des Tages steht offenbar in enger genetiseher Beziehung zu auffallenden Triebst6rungen. Hunger und Durst waren nieht die Triebe, die ihn h/itten zum Essen und Trinken ffihren k6nnen. Zwar/~uBerte er gelegentlich unter dem Essen, er habe gewaltigen Hunger, d. h. der Trieb wurde als soleher noeh er]ebt, aber es fehlte dem Trieb das Treibende, Bestimmende, das also, was ihn eigentlich erst zum Trieb macht. So muBte er zur Mahlzeit abgehott werden, wenn er nicht zuf/~llig vom Strom der Mitpassagiere gefaBt wurde und so zur reehten Zeit zur Mahlzeit gelangte. Aueh bei der Nahrungsaufnahme selbst, die gew6hnlich gewaltige AusmaBe annahm, ist ein Fortfall yon Triebregulationen anzunehmen. Nehmen wir die Sehlafunregelm/~Bigkeiten hinzu, einerseits die gewShnlich betr/~chtlieh erh6hte Schlafdauer, andererseits die hartn/~ekige Sehlaflosigkeit zu .4_nfang der F a h r t , die es mit sich brachte, dab der Kranke trotz hoher Phanodormgabe fiber 40 Stunden waehte, so wird eine Seh~digung innerhalb einer tiefen vitalen Triebsehieht wahrscheinlieh, auf deren Vorkommen beim Korsakow schon Biirger-Prinz und Kaila hingewiesen haben. Solche vitalen Regulationen spielen offenbar ffir die zeitliehe Orientierung eine entscheidende Rolle, indem sie den Tag skandieren, ihm einen bestimmten Rhythmus verleihen. Darfiber hinaus geht ein bestimmter Tell yon dem in ihnen auf, was unter dem Begriff des An- triebes gefaBt wird.

Die Leistungen der 5rtlichen Orientierung waren bei unserem Kranken zum Teil erstaunlieh gute. Es wurden dabei von ihm versehiedenste Hilfen herangezogen und so das Ziel oft erst durch Umwegsleistungen (Goldstein) erreieht : auf der Eisenbahn das auch dem Gesunden gel~ufige Hilfsmittel, die Koffer, sp~ter auf dem Dampfer, der gerade zum Studium der Orientierungsleistungen besonders geeignet war, die aufge- schriebene Kabinennummer. Besonders auff~llig war, dab die Leistungen des Kranken in der l~echts- Linksorientierung absolut sicher waren. Er suchte seine Kabine stets auf der richtigen Seite, verwechselte niemals die spiegelbildlich angeordneten Garderoben des Salons. Seinen Platz im Speisesaal, der ihm zugewiesen war, land er vSllig selbst~ndig, ohne dab eine ttilfe ihm h~tte zu Gebote stehen kSnnen. Auf diese Leistung wird noch in anderem Zusammenhang zurfickzukommen sein.

Es war unser Bestreben, zuns das Leistungsbild des yon uns beob- achteten Falles yon Korsa]cowscher Psyehose zu geben. Im folgenden soll es nun darauf ankommen, im Rahmen einer pMinomenologischen Psycho- logie zu untersuehen, wie das vom Ged~chtnis reproduzierte Material, also das Erinnerte, erlebnism~Big gegeben ist. Es kommt also nicht darauf an, Leistungen auf ein oder mehrere Prinzipien zurfiekzuffihren, Leistungsausf~lle auf irgendeine GrundstSrung zu beziehen und aus ihr zu erkl~ren. Es interessiert uns welter nicht, oder erst in zweiter Linie, was erinnert wird, wieviel erinnert wird, unter welehen Bedingungen

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erinnert wird, sondern es beschs uns die Frage, welche formalen Kriterien das Erlebnis der Erinnerung aufweist.

Ein grol3er Teil des Erinnerten ist unserem Kranken im Vorgang des Erinnerns so gegeben wie dem Gesunden. Gesehehnisse der Studien- zeit, Erlebnisse lang zurfiekliegender Reisen werden erinnert mi t allen formalen Kriterien, wie sie gew6hnlich der reproduzierte Ged~ehtnis- besitz des Gesunden tr~gt. Das im Erinnern aktuelle Erinnerungs- material , dem ein realer, objektiver Hintergrund entspricht , ist gegeben als etwas Vergangenes, Tats~tchliches, d. h., der historischen Realitiit entspricht die subjektive Gewiflheit v o n d e r Realiti~t des Erinnerten. Dieses wird dabei nicht nur erlebt als etwas Vergangenes, Zuriiekliegen- des, sondern als zu einer bes t immten Zeit Gesehehenes, in der es eine Stelle hat , und darfiber hinaus als eingebettet in eine zeitliehe Kon- tinuit~t, in der es ein Vorher und ein Nachher gibt. Die zeitliche Zu- ordnung, die dem Erinnernden bewul3t wird, ist oft gleiehzeitig eine kausale. Das eine Gesehehnis liegt nicht nur vor dem anderen, sondern bes t immt es auch. So, wenn unser Kranker ~ul3ert, er habe einmal grol3e Angst gehabt. Das sei 1914 gewesen, als er ohne Pal3 in Deutschland gereist sei und der Krieg erld~rt worden sei. Dann habe er einen Not- paB bekommen und habe so naeh Amerika zuriickkehren k6nnen. Die Angst ist somit gebunden an einen bes t immten Zei tpunkt , der der Ver- gangenheit, n~mlieh dem Jahre 1914, angeh6rt. Sie hat zeitliehe Be- ziehungen zu einem Vorhergehenden, dem Kriegsausbruch, und einem Folgenden, der Riiekkehr naeh Amerika. Der Kriegsausbrueh ist nieht nur das der Angst Vorausgehende, sondern aueh das die Angst Bedingende.

Mit den gleichen formalen Kri ter ien des Erlebens, wie wir sie oben aufzeigten, kann aber auch das Material im Vorgang des Erinnerns gegeben sein, wenn kein entsprechender historischer Hintergrund ftir das Erinnerte vorhanden ist, d. h. wenn es sich um eine Konfabulat ion handelt . So, wenn Smith am 2. Tage seines Krankenhausaufenthal tes angab, es sei heute jemand in sein Hotel gekommen und habe ihn spreehen wollen : dadurch sei er ins Krankenhaus gelangt. Hier wird das Erinnerte also auch erlebt als gebunden an einen zeitlichen Fixpunkt , an eine Zeit- stelle (van der Horst), ferner gibt es ein Vorher und ein Nachher, und es ist eine kausale Beziehung innerhalb des Ganzen gegeben. Gew6hnlieh ist aber dann, wenn der historisehe Hintergrund fehlt, das Erinnerte also den Charakter der Konfabulat ion besitzt, die subjekt ive Gewil~heit v o n d e r Realit~t des Erinnerten geringer. Zeitliche und kausale Be- ziehungen innerhalb der erinnerten Episode werden zudem als vager erlebt, sie fiigt sich nur lose oder i iberhaupt nicht in einen grol3en Zeit- zusammenhang ein, auch dann, wenn sie erlebt wird als gebunden an einen zeitliehen Fixpunkt .

Eine zweite Form des Erinnerns beim Gesunden ist dadureh v o n d e r erst beschriebenen unterschieden, dab die Zeitstellen fiir das Erinnerte

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fehlen. Das reproduzierte Ged~chtnismaterial ist also zwar mit der sub- jektiven Gewil3heit v o n d e r historischen Realit/~t des Erinnerten gegeben, ferner besitzt das Erinnerte in sich eine zeitliche und kausale Gliederung, aber es wird eine Bindung an einen zeitlichen Fixpunkt vermiBt. Der Erinnernde erlebt das gerade Gegebene als irgendwann, aber wirklich geschehen: es war ,,einmal". Auch diese Form des Erinnerns findet sich bei unserem Kranken. So, wenn Smith erz~hlt, er sei einmal mohrere Monate bei Freunden im Harz gewesen. Es sei schon lange her. Es sei wohl vor dem Krieg gewesen, warm, wisse er nicht mehr. Nachher sei er ausnahmsweise yon Hamburg aus nach Amerika zuriickgefahren. - - Mit den gleichen formalen Kriterien kann eine Konfabulation erinnert werden.

I)rittens kann das erinnerte Material beim Gesunden gegeben sein mit der subjektiven Gewil~heit yon seiner historischen Realit/~t, ohne einen zeitlichen Fixpunkt, aber auch ohne die M6glichkeit, es einigermaBen einzureihen: war es gestern oder vor einigen Jahren ? Schliel31ich kann auch die zeitliche und kausale Gliederung des Erinnerten in' sich sehr dfirftig werden. Dann wird es nicht nut erlebt als gelSst, als frei schwebend in der Vergangenheit, sondern es nimmt sehr h/iufig auch die subjektive~ Gewil3heit yon der Realit/~t des Erinnerten ab. Der Gesunde kennt diese Form des Erinnerns, bei der ihn pl6tzlich Zweifel befallen, ob das Gegebene nicht vielleicht doch nur getr/iumt war. Er ist dann gewShnlich bemiiht, das Erinnerte an einen zeitlichen Fixpunkt zu binden oder wenigstens einigermaBen in einen zeitlichen oder kausalen Zusammenhang einzu- ordnen, um die Zweifel an der Realit/~t des Erinnerten zu besoitigen. Bei Smith spielten diese zuletzt beschriebenen Formen des Erinnerns eine besonders grol3e Rolle. Die wiedergegebene Krankengeschichte enth/ilt eine Fiille yon Beispielen.

Wenn wir nur die Erlebnisseite am Erinnerungsvorgang betrachten, also die Frage unberiicksichtigt lassen, ob dem Erinnerten ein historischer I-Iintergrund eigen ist oder ob es den Konfabulationen zuzurechnen ist, so miissen wir also feststellen, dab die au/gez~hlten Formen der Erinnerns beim Gesunden sich /inden und auch bei unserem Korsakowkranken. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden ist ein quantitativer. Er 1/~13t sich aufzeigen, wenn man das Verh/~ltnis yon gegebenem Erinnerungs- material und der jeweils zugehSrigen Form des Erinnerns ins Auge fal3t. Man wird dann n/~mlich feststellen, daB bei unserem Kranken das Er- innerte in einer jeweils weniger 9egliederten, dirmeren Form des Erlebens gegeben ist, als man nach den Erfahrungen beim Gesunden erwarten sollte. So werden Dinge, die beim Normalen im Erinnern einen eigenen Fixpunkt besitzen wiirden, ohne einen solchen erinnert, ja, lassen oft jede zeitliche oder kausale Einordnung vermissen. Den Mal~stab, den wir anlegen, gewinnen wir einigermaBen aus der affektiven Wertigkeit des Erinnerten, der Kiirze des zeitlichen Abstandes und anderem mehr.

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Wir verzichten auf Aufz/~hlung vieler Beispiele und begnfigen uns mit wenigen ttinweisen.

Smith erinnert die letzte Hinreise nach Europa ohne jeglichen zeitlichen Fix- punkt, abet auch ohne dab das Erinnerte auch nur einigermaBen in einer zeitlichen Kontinuit/it aufgenommen w~re. Dem Gesunden wiirde in einem solchen Fall das Erinnerte in einer sehr viel reicheren Form des Erinnerns gegeben sein. Als weiteres Beispiel fiihren wir das Gespr~ch fiber seine Beurlaubung an. ,,Sonderbar, ich meine, der Direktor h~tte mir geschrieben, nun finde ich den Brief nicht mehr. Hat er mir wirklich geschrieben oder war es nur getr~umt ? -- Wissen Sie, wann er mir geschrieben hat ?" Ein fiir ihn sehr bedeutsames Ereignis wird so losgel6st aus jedem zeitlichen oder kausalen Zusammenhang erinnert, dab Zweifel an der Realit~t des Erinnerten entstehen und dem Erinnernden die M6glichkeit auftaucht, er erinnere vielleicht nut einen Traum. I)urch die Frage nach dem Wann sucht er die Zweifel zu beseitigen.

Die meisten Gesunden kennen diese Form des Er innerns yon sehr gleiehgfiltigen, nebenher aufgenommenen Dingen, werden aber kaum ein Beispiel daffir angeben k6nnen, offenbar deswegen, weil h~ufig das so Erinnerte, wenn es nicht seinen Rea l i t~ t scharak te r sicher wieder- gewinnt, schnell dem Vergessen anheimf~llt . Es liegt nahe, ~hnl iches yon unserem Kranken anzunehmen: dab n~mlich dem Absinken des Ge- gebenen in eine einfachere, i~rmere Form des Er innerns und der dami t verbundenen Abnahme der Reali t~tsgewiBheit sehr bald das Vergessen folgt. Obwohl dieser Hinweis rein hypothet ischer Na tu r ist , also schon auBerhalb unseres ph~nomenologischen Bereiches liegt, erscheint er uns wiehtig im Hinbl ick auf die Annahme van der Horsts, daB n~mlich eine Zeitst6rung die Grundlage der Korsakowschen Krankhe i t bilde. Die Feststel lung, dab unserem Kranken im Vorgang des Er innerns das erinnerte Material in einer ~rmeren, d . h . auch im weiteren Sinne zeit- stellenloseren Form gegeben ist, als dem Gesunden, zusammen mit der leistungsm~Bigen Feststel lung, dab er weniger erinnert , spricht jedenfalls ffir die groBe Bedeutung der van der Horstschen Theorie fiber die Korsa- kowsehe Psychose. Van der Horst geht weiter als wir. ]~r meint das reale Erleben selbst, w~hrend wir uns ja ausschlieBlich mit dem erlebnis- mKBigen Gegebensein des Er inner ten befaBten und mi t dessen Beziehung zu Zeit und Kausalit/~t.

Den bisher beschriebenen Formen des Erinnerns, die sich bei unserem Kranken fanden und die aueh der Gesunde kennt , war die subjekt ive GewiBheit von der Realiti~t des Er inner ten gemeinsam. Bei dem ein- faehst gegliederten Typus konnte, wie gezeigt wurde, die Realit/~ts- gewiBheit sehr gering werden, es konnten also dem Er innernden Zweifel darfiber entstehen, ob das Er inner te wirklich geschehen war. Darfiber hinaus gibt es nun bei unserem Kranken eine Fo rm des Erinnerns, bei der die subjektive GewiBheit yon der Realiti~t des Er inner ten ganz ver- miBt wird. Das in der Er innerung gegebene Mater ial ha t den Charakter der Traumerinnerung, wit sich zwanglos aus Smith 's -~uBerungen selbst ergibt. ,,Ich tr/~ume so viel. Ich habe getr/~umt, meine El te rn wiiren

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beide tot. Leben meine Eltern noch ? - - Neulich habe ich getr/~umt, der Direktor w/~re mir bSse. - - Dann tr/~umte ich, ich w/~re ein Verbreeher und h/~tte im Gef/~ngnis gesessen. Ieh kSnnte die Eisenst/~be greifen, so deutlich habe ich es getr/~umt. - - Neulieh tr~umte ieh auch, man h~tte mieh aus dem Hofbr/~uhaus herausgeworfen. - - Ich habe auch getr/~umt, ich w/~re ein S/~ufer." Mit den Kriterien des Getr/~umten werden erinnert wirkliehe Begebenheiten, so der Zwischenfall im Hofbrs oder die Tatsaehe, dab er ein S~ufer war. Anderes im Erinnern als Traum Ge- gebenes 1/~Bt nur ungef/~hre Beziehungen zu wirklichen Geschehnissen erkennen. So hat te er in der Tat hinter Gitterst/~ben gesessen, aber nieht im Gef/~ngnis als Verbreeher. Und nur die Mutter war tot, und zwar sehon seit vielen Jahren, nicht beide Eltern. Anderes als getr/~umt Erinnertes 1/s keine Beziehungen zu real Gesehehenem erkennen: er konnte nieht wissen, ob sein Direktor ihm grollte und doeh hatte er es ,,getr/~umt". Es ist iibrigens wichtig festzustellen, daB s/~mtliche im Erinnern als getr/~umt erlebnism/~Big gegebenen Inhalte Produkte eines dumpfen Schuldgefiihls sind, was bei dem puritanisehen Weltbild unseres Kranken aueh fiir den Tod der Eltern gilt. AuBerhalb dieser Traumerinnerungen land dieses Sehuldgefiihl keinerlei Ausdruck.

Es ist die Frage aufzuwerfen, ob Smith wirklich getrdiumt hatte, er sei aus dem Hofbr/~uhaus herausgeworfen worden, er habe hinter Gitter- st~ben gesessen. Dann w/~ren aus der Erinnerung gesehwundene Geseheh- nisse Gegenstand von Tr/~umen geworden und die weiteren Aussehmiik- kungen w/~ren wirkliehe Traumprodukte gewesen, von denen der Kranke dann Mitteilung machte. Vieles spricht dafiir, daB er nicht echte Trdiume erinnerte, sondern daB real gesehehene, mehr oder weniger entstellte, zum Teil auch konfabulierte Inhalte lediglich im lZorgang des Erinnerns Traumcharakter angenommen batten. Besonders wertvoll fiir diese Frage- stellung muBte die Mitteilung des Kranken vom 4. Abend der Seereise sein: ,,Da habe ieh getr/~umt, man h/~tte mieh aus dem Hofbr/~uhaus herausgeworfen. Darm habe ich getr/~umt, der Steward h/~tte mieh aus dem Rauehsalon herausgeworfen. Ieh h/~tte Bier verlangt und da h/~tte er mich gepaekt und hinausgeworfen." Von diesem Traum beriehtete er einige Stunden, naehdem er Bier verlangt hatte. Er hatte in der Zwischen- zeit sieher nieht gesehlafen. Wenn man als Bedingung fiir das Zustande- kommen des Traumes die ver/~nderte BewuBtseinslage fordert, wie sic den Schlaf eharakterisiert (Hoche), so mull man folgern, daB Smith den Zwischenfall im Rauehsalon sicher nieht getr/~umt haben konnte, da er nieht geschlafen hatte, sondern dab offenbar nur im Erinnern das stark e~tstellte Geschehnis Traumcharakter angenommen hatte. Es ist die.Annahme naheliegend, dab dasselbe auch fiir die anderen im Erinnern als Tr/~ume erlebnism/~Big gegebenen Inhalte gilt und dab die Entstellung also nicht als Traumprodukt aufzufassen ist, sondern auf einer Stufe steht mit der Entstellung bei Konfabulationen.

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Es ist die Frage aufzuwerfen, ob das, was Smith selbst als Traum- erinnerung erlebt, gleichzusetzen ist den Erinnerungen des Gesunden an Tr/~ume. Smith gibt an, er wisse nicht, wann er die in Frage stehenden Dinge getriiumt habe, er trs sie wohl oft. Auch dem Gesunden ist es, wenn er nicht unmittelbar aus dem Traum erwacht, gew6hnlich unm6g- lich zu sagen, w a n n e r einen bestimmten Traum getr/~umt habe. Ins- besondere ist yon den wenigen Tr/~umen, die liinger erinnert werden - - Tage oder Monate hindurch - - , nicht zu sagen, warm sie getr~umt wurden. Wie die als getr~umt gegebenen Inhalte unseres Kranken stellen sie also Erinnerungen ohne Temporalz'eichen (van der Horst) dar. Wenn Smith angibt, er tr~ume oft, seine Eltern seien tot, er habe hinter Gitterst~ben gesessen, so entspricht diese Aussage dem, was yon Traumerinnerungen des Gesunden bekannt ist: daB n/imlich besonders eindringliche, lange Zeit hindurch erinnerte Tr/iume - - und nur diesen sind die Traum- erinnerungen unseres Kranken vergleichbar - - oft dem Erinnernden als wiederholt und h~ufig getritumt erscheinen, wenn auch nicht geleugnet werden soll, daB Tri~ume mehrfach getr/~umt werden k6nnen. Es ist sicher seltener als gew6hnlich angegeben wird (Hoche). Mit den Er- innerungen an Tr/~ume teilen die als Traumerinnerungen gegebenen Inhalte unseres Kranken ferner die Eigenschaft, dab das Getriiumte nicht als zu einer bestimmten Zeit spielend erinnert wird, daB in der Traumerinnerung die zeitlichen Abstiinde fehlen, daB es im Traum, wie er nachtr/~glich berichtet wird, lediglich eine reine Sukzession gibt. Die ])inge folgen einander ohne Z~suren, sie spielen in einer Zeit ohne Zeit- stellen, ohne Zeitakzente. Smith wuBte nicht anzugeben, warm er im Traum hinter Gittersti~ben gesessen hatte, warm im Traum die Eltern gestorben waren. Als er die Szene im Rauchsalon als getr/iumt erinnerte, war das im Traum Geschehene ihm nicht n/~her oder ferner als der in Wirldichkeit Monate zuriickliegende Zwischenfall im Hofbr/~uhaus. Eine weitere wichtige Eigenschaft teilen die Traumerinnerungen unseres Kranken mit den Erinnerungen des Gesunden an Tr~ume: n/~mlich die Tatsache, daB sie schnell vergessen werden, daft sie /liAchtig sind. Smith berichtete yon dem Traum, der die Szene am Schanktisch zum Inhal t hatte, unmittelbar nach dem wirklichen Geschehen. Am n/~chsten Morgen wui]te er nichts mehr yon dem vermeintlichen Traum zu er- z/ihlen. Die Tatsache, daB doch einige Erlebnisse als getr/~umt immer wieder yon dem Kranken erinnert wurden, spricht nicht gegen die An- nahme, daB seine Traumerinnerungen fliichtig und verg/~nglich sind, wie echte Traumerinnerungen. Auch der Gesunde kann stets eine geringe Zahl yon Tr/~umen wiedergeben: vor allem solche, in denen eine gewisse Ordnung herrscht, Triiume, deren Inhalte ihm affektiv nahestehen, Tri~ume, die deutlich getr/~umt wurden. Allen diesen Kriterien werden aueh die Traumerinnerungen unseres Kranken gerecht. Wir verweisen auf seine Angabe, er habe die Gitterst/~be greifen k6nnen, so deutlich

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habe er getr/~umt, dab er dahinter gesessen habe. Der geringen Zahl der erinnerbaren Tri~ume steht beim Gesunden die groSe Menge der schnell vergessenen Tr~ume gegeniiber. Es ist der SchluB erlaubt, dab genau so wie tier als getraumt erinnerte Zwischenfall am Sehanktisch auch viele andere Erlebnisse unseres Kranken dadureh, daB sie Traumcharakter annahmen, alas gewShnliche Schicksal des Traumes teilten, n/~mlich ver- gessen wurden. Auffallend ist es, dab dem Kranken bei seinen Traum- erinnerungen die MSglichkeit bewuBt wurde, es kSnne sich vielleicht doch um real Geschehenes handeln, das er erinnere. Er hatte also offenbar gewisse Zwei /e l an der Irreali tdt des Erinnerten. Dieser Zweifel ist beim Gesunden selten, diirfte jedoch den meisten Mensehen yon Traum- erinnerungen bekannt sein. Es beriihren sich hier Traumerinnerung und jene einfachsten Erirmerungen an wirklich Geschehenes, von denen wir sagten, dab Zwei /e l an der Realitdt entstehen kSnnen. Sie haben vieles gemeinsam, so das Fehlen der Zeitstelle, ihre Fliiehtigkeit und anderes mehr. Beide Formen des Erinnerns spielen bei unserem Kranken eine hervorragende Rolle.

Wenn wit gezeigt haben, wie bei dem geschilderten Korsakowfall Erinnerungen an real Geschehenes oft den Charakter yon Traumerinne- rungen angenommen haben, so kSnnte man geneigt sein, weiter zu fragen, ob nur alas Erinnerte zum Traumerinnerten abgewandelt ist oder ob viel- leicht gar unser Kranker in Wahrnehmung, Denken, kurz, im gesamten aktuellen Erleben dem Tri~umenden vergleichbar erscheint. Es h/~tte dann ein Zustand ver/~nderten BewuBtseins bestanden. In diesem Zu- sammenhang w/~re auf die Bemerkung unseres Kranken zuriickzukommen, die er zu Beginn der Eisenbahnfahrt machte : ,,O, diese Folder, der Wald, tr/iume ieh oder ist das Wirklichkeit ?" Keinesfalls entstammen diese Worte tier Stimmung, in der dem Gesunden allegorisch ,,alles wie im Traum vorkommt." Seine Spannung war echt, als er fortfuhr: ,,Werde ich nicht aufwachen und dann war wieder alles getr/~umt ?" Die gestellte Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Wir mfissen bemerken, dab Smith auf der Bahnfahrt besonnen wirkte, dab er sicher nieht bewuSt- seingetrfibt war. Ffir einen Versuch, die UngewiBheit fiber die Realit/~t des gerade sich Abspielenden bei ihm zu erkl~iren, seheint uns yon Bedeu- tung, dab in den jeweiligen Augenblick ja Erinnerungen an die unmit te lbar vergangenen Augenblicke eingehen und aueh diese Erinnerungen bei Smith sieher Traumcharakter angenommen hatten, also auch dem aktu- ellen Erleben Zweifel an der Realit/~t mitteilen konnten.

Es kann nicht unsere Absieht sein, eine vollst/~ndige Beschreibung aller Formen des Erinnerns zu geben. In Anlehnung an den wieder- gegebenen Korsakowfall stellten wit in den Vordergrund einer Unter- suehung der Erlebnisweise des Erinnerten die Erinnerung an real Gesehehenes und die Traumerinnerung. Eine weitere Form des Erinnerns, die fiir die Frage der Orientierung bedeutsam ist, soll sehr viel kiirzer

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behandel t werden. Der Gesunde weiB, dab nicht alle seine Erinnerungen ihm in jedem Augenblick verffigbar sind, dab es also bedingt erinnerbare Inhal te gibt. Es wird so den meisten Menschen unmSglich sein, einen Weg in einer fremden Stadt, den sie lange zuvor gegangen sind und der sie vielleicht besonders beeindruckt hat , so zu erinnern, dab sie sich den Weg vorstellen k6nnen und dab sie ihn beschreiben k6nnen. Viele werden sich an Ort und Stelle nicht mehr zurechtfinden k6nnen, auch wenn sie in jedem Augenblick die Bekannthei t des Gesehenen erleben. Andere werden an Ort und Stelle erinnern. Auch wenn die Erinnerung nicht im ganzen wieder auftaucht , so kann sie sich stiickweise einstellen, so wie wenn ein Faden aufgegriffen w~re, an dem der Betreffende sich auch auf kompliziertem Wege entlangtastete. ~hnliches gilt yon Handlungen, in denen nichts von einer Orientierungsleistung steckt. Auch sie k6nnen bew/~ltigt werden, ohne dab sie im ganzen vergegenst/~ndlicht erinnert werden k6nnten. Die Erinnerung an sie stellt sich mi t dem Handlungs- ablauf ein, sie kommt aus ihm hervor. Diese Form der Erinnerungen, die sieh zumal bei Gewohnheitshandlungen findet, sind wahrnehmungs- gebundene, genauer handlungsgebundene Erinnerungen. Unser Kranker erinnerte den nicht sehr einfachen Weg vom Landungsplatz des Schiffes in New York zum Bahnhof, von dem aus er nach Philadelphia abzufahren pflegte. Er konnte im Erinnern diesen Weg sich vorstellen, er konnte ihn beschreiben. Dabei betonte er, d a f er ihn sehr oft gegangen und gefahren sei. Von dem doch wesentlich einfacheren Weg vom Schiffsdeck zu seinem Platz im Speisesaal vermochte er gegenst/~ndlich vergegen- w~rtigend nichts zu erinnern. Trotzdem g i n g e r ihn mehrere Male jeden Tag ohne jede Hilfe und ohne sich zu verirren. Man m u f annehmen, daft das Erinnern aus der Handlung heraus erfolgte, dab es handlungsgebunden war. W~hrend der Gesunde in einem Fall wie dem vorliegenden jede Treppe und jede Wegbiegung h/~tte beschreiben kSnnen, verhielt sich Smith wie ein Mensch, der einen lange yon ihm nicht begangenen Weg zur/icklegt, t rotzdem er ihn vorher nicht erinnern kann. Smith tas te te sich offenbar yon Wegbiegung zu Wegbiegung, wobei die Er innerung fiir das gerade vor ihm Liegende an Ort und Stelle auf tauchte . Ganz ~hn- liches diirfte ffir die zum Tell erstaunlichen Leistungen unseres Kranken gelten, die nicht Orientierungsleistungen sind. Wir verweisen nur an das Wiederfinden seiner Brille und seiner Miitze an jedem Morgen. Hand- lungsgebundene Erinnerungen spielen bei Smith eine besonders groBe Rolle. Vieles, was der Gesunde gegenst/~ndlich vergegenw/~rtigend er- innert, ist bei unserem Kranken nicht vors te l lungsms reproduzierbar. Es ist aber nicht zu Verlust gegangen, sondern s teht ihm als handlungs- gebundene Erinnerung zur Verffigung.

Zusammenfassung. Es bot sich Gelegenheit, einen Kranken mit einer Korsakowpsychose

alkoholischer Atiologie einige Monate im Krankenhaus zu beobachten

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und die B e o b a c h t u n g u n t e r den experimentellen, abe r d a b e i lebensnahen Bedingungen einer Re i se yon Miinchen nach New Y o r k fo r t zuse tzen .

W i r g a b e n z u n ~ c h s t das Leistungsbild unseres K r a n k e n . D a b e i s t e l l t en wir fest , daft e ine Denks tS rung bei d e m sehr geb i lde t en P a t i e n t e n n i c h t vo rhe r r sch t e , d a 6 a m e indrucksvo l l s t en d ie Ausf~l le de r Gedi~chtnis- und Merk l e i s t ungen sowie der Or ien t i e rung waren . E s w u r d e auf d ie B e d e u t u n g de r E in s t e l l ung , de r S i tua t ion , auf das V o r h a n d e n s e i n v o n U m w e g s l e i s t u n g e n u n d auf of fenbar v o r h a n d e n e S tS rungen v i t a l e r Tr iebe h ingewiesen .

I n e inem fo lgenden A b s c h n i t t war unsere F r a g e s t e l l u n g eine rein phdnomenologische. W i r un te r such ten , wie das v o m Ged~ch tn i s r ep rodu- z ier te M a t e r i a l d e m E r i n n e r n d e n erlebnismdflig gegeben ist. D a b e i s t e l l t en wir les t , daft s ich be i unse r em K r a n k e n quantitative und qualitative Unter- schiede gegeniiber dem Gesunden l inden. E i n m a l war i b m das E r i n n e r t e in e iner ze i t loseren u n d ze i t s te l len loseren F o r m er lebnism~Big gegeben als d e m Gesunden . A n d e r e r s e i t s f anden sich q u a l i t a t i v e Abwe ichungen . Es zeigte s ich ns d a b w a h r h a f t e r l eb te u n d auch kon fabu l i e r t e I n h a l t e im Erinnern als getrdumt gegeben sein kSnnen. Diese sog. T r a u m - e r inne rungen unse res K r a n k e n wurden al len fo rma len K r i t e r i e n gerech t , wie sie d ie E r i n n e r u n g des Gesunden an T r ~ u m e bes i t z t . W e s e n t l i c h vor a l lem w a r d ie Fe s t s t e l l ung , daft beide d ie F l i i c h t i g k e i t u n d Verg~ng- l i chke i t te i len , d a b be ide schnel l vergessen werden .

A m SchluB wiesen wir auf handlungsgebundene Erinnerungen hin, d ie bei unse rem K r a n k e n eine besondere B e d e u t u n g besaBen. Sie s ind f i i r da s Ver s t~ndn i s de r Or ien t i e rung wesent l ich .

L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s .

Bo~hoef]er, K.: Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheitstrinker. Jena 1901. -- Bi~rger-Prinz, H. u. M. Kaila: Z. Neur. 124, 553 (1930). -- Eliasberg, W. u. E. Feuchtwanger: Z. Neur. 75, 516 (1922). -- Goldstein, K.: Msehr. Psyehiatr. 68, 217 (1928). - - Schweiz. Arch. Neur. 19, 3 (1926). -- Gri~nthal, E.: Z. Neur. 92, 255 (1924). - - Hoche, A.: Das tr~umende Ich. Jena 1927. - - Horst, L. van der: Mschr. Psychiatr. 83, 65 (1932). - - Kie]er, E.: l~ber einige FMIe yon chronischem Alkoholdelirium. Inaug-Diss. Breslau 1890. -- Korsakow, S.: Arch. f. Psyehiatr. 21, 669 (1890). - - AUg. Z. Psyehiatr. 46, 475 (1890). -- Pick, A.: Z. Neur. 28, 344 (1915). - - Wernicke, C.: GrundriB der Psyehiatrie, 2. Aufl. Leipzig 1906.