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Arbeitsrecht Kurz Kommentiert DB vom 22.05.2015 , Heft 21, Seite 1229 DB0695244 LAG Baden-Württemberg fingiert Arbeitsverhältnis mit Entleiher trotz bestehender Überlassungserlaubnis RA/FAArbR Dr. André Zimmermann, LL.M. Es ist Best Practice, im "Graubereich" zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag vorsorglich eine Überlassungserlaubnis zu beantragen, um die gravierenden Folgen illegaler Überlassung abzuwenden - vor allem die gefürchtete Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG. Selbst wenn ein Scheinwerkvertrag vorlag, kam es wegen der Überlassungserlaubnis nicht zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses. Ende 2014 hat eine Entscheidung der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg für Unruhe gesorgt: Nach ihrer Auffassung soll bei einem Scheinwerkvertrag trotz bestehender (vorsorglicher) Verleiherlaubnis ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zustande kommen (Urteil vom 03.12.2014 - 4 Sa 41/14). I. Der Fall Der Kläger wurde bei der Beklagten, einer Tochtergesellschaft der D AG, seit Mai 2011 durchgehend in derselben Abteilung und auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt. Angestellt war er in diesem Zeitraum nacheinander bei drei verschiedenen Unternehmen, die jew. über eine Überlassungserlaubnis verfügten. Der Einsatz erfolgte aufgrund von Rahmenverträgen - bezeichnet als "Einkaufsabschlüsse" - zwischen der Konzernmutter D AG und den Drittfirmen. In diesen "Einkaufsabschlüssen" wurden die zu erbringenden Leistungen größtenteils als im Werkvertrag zu erbringende Leistungen beschrieben. Die abzunehmende Menge an Leistungen wurde überwiegend mit "nach Bedarf" beschrieben. Nach den gerichtlichen Feststellungen war der Kläger bei der Beklagten eingegliedert und unterlag ihrem Weisungsrecht. Das war nach den Feststellungen von den Parteien so gewollt, auch wenn die Rahmenverträge etwas anderes sagten. Im Mai 2014 wurde der Kläger von der Beklagten "abbestellt". Daraufhin kündigte die Drittfirma das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Der Kläger machte daraufhin die Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten geltend. Das ArbG hatte die Klage abgewiesen, weil die Drittfirmen jew. über eine Überlassungserlaubnis verfügten. Auch eine verdeckte Überlassung im Rahmen eines Scheinwerkvertrags werde von der Erlaubnis erfasst. II. Die Entscheidung Das LAG hat der Klage demgegenüber stattgegeben und festgestellt, dass nach § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht. Es stelle widersprüchliches Verhalten dar, wenn sich Drittfirma und Beklagte auf die Überlassungserlaubnis berufen, obwohl sie ausdrücklich einen Werkvertrag geschlossen und nicht "offen" Arbeitnehmerüberlassung vereinbart haben. Die Unternehmen hätten ihre Vertragsbeziehung selbst als Werkvertrag eingeordnet und das AÜG gerade nicht angewandt. Dann könnten sie sich nun

LAG Baden-Württemberg fingiert Arbeitsverhältnis mit Entleiher trotz bestehender Überlassungserlaubnis

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Arbeitsrecht Kurz Kommentiert DB vom 22.05.2015 , Heft 21, Seite 1229 DB0695244

LAG Baden-Württemberg fingiert Arbeitsverhältnis mit Entleiher trotzbestehender Überlassungserlaubnis

RA/FAArbR Dr. André Zimmermann, LL.M.

Es ist Best Practice, im "Graubereich" zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertragvorsorglich eine Überlassungserlaubnis zu beantragen, um die gravierenden Folgen illegalerÜberlassung abzuwenden - vor allem die gefürchtete Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach§ 10 Abs. 1 AÜG. Selbst wenn ein Scheinwerkvertrag vorlag, kam es wegen derÜberlassungserlaubnis nicht zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses. Ende 2014 hat eineEntscheidung der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg für Unruhe gesorgt: Nach ihrerAuffassung soll bei einem Scheinwerkvertrag trotz bestehender (vorsorglicher)Verleiherlaubnis ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zustandekommen (Urteil vom 03.12.2014 - 4 Sa 41/14).

I. Der Fall

Der Kläger wurde bei der Beklagten, einer Tochtergesellschaft der D AG, seit Mai 2011 durchgehendin derselben Abteilung und auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt. Angestellt war er in diesemZeitraum nacheinander bei drei verschiedenen Unternehmen, die jew. über eineÜberlassungserlaubnis verfügten.

Der Einsatz erfolgte aufgrund von Rahmenverträgen - bezeichnet als "Einkaufsabschlüsse" - zwischender Konzernmutter D AG und den Drittfirmen. In diesen "Einkaufsabschlüssen" wurden die zuerbringenden Leistungen größtenteils als im Werkvertrag zu erbringende Leistungen beschrieben. Dieabzunehmende Menge an Leistungen wurde überwiegend mit "nach Bedarf" beschrieben.

Nach den gerichtlichen Feststellungen war der Kläger bei der Beklagten eingegliedert und unterlagihrem Weisungsrecht. Das war nach den Feststellungen von den Parteien so gewollt, auch wenn dieRahmenverträge etwas anderes sagten.

Im Mai 2014 wurde der Kläger von der Beklagten "abbestellt". Daraufhin kündigte die Drittfirma dasArbeitsverhältnis mit dem Kläger. Der Kläger machte daraufhin die Entstehung einesArbeitsverhältnisses zur Beklagten geltend. Das ArbG hatte die Klage abgewiesen, weil die Drittfirmenjew. über eine Überlassungserlaubnis verfügten. Auch eine verdeckte Überlassung im Rahmen einesScheinwerkvertrags werde von der Erlaubnis erfasst.

II. Die Entscheidung

Das LAG hat der Klage demgegenüber stattgegeben und festgestellt, dass nach § 10 Abs. 1 AÜG einArbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht.

Es stelle widersprüchliches Verhalten dar, wenn sich Drittfirma und Beklagte auf dieÜberlassungserlaubnis berufen, obwohl sie ausdrücklich einen Werkvertrag geschlossen und nicht"offen" Arbeitnehmerüberlassung vereinbart haben. Die Unternehmen hätten ihre Vertragsbeziehungselbst als Werkvertrag eingeordnet und das AÜG gerade nicht angewandt. Dann könnten sie sich nun

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im Nachhinein nicht auf die Erlaubnis berufen. Wenn Auftraggeber und Auftragnehmer positiv wüssten,dass der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Auftraggebers unterliegt und in dessen Betriebeingegliedert ist, sie aber zugleich gegenüber dem Arbeitnehmer verschleiern, dass eineArbeitnehmerüberlassung vorliegt, verhielten sie sich gegenüber dem Arbeitnehmer treuwidrig. Dannsei es beiden wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf dieArbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu berufen (§ 242 BGB).

III. Folgen für die Praxis und Ausblick

Bis zur Entscheidung der 4. Kammer war allgemein anerkannt, dass die Überlassungserlaubnis auchbei Scheinwerkverträgen die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG verhindert (vgl.etwa Werths, BB 2014 S. 697 [699]; Hamann/Rudnik, NZA 2015 S. 449 [450 ff.]; anders Brose, DB2014 S. 1739). Dementsprechend verunsichert ist derzeit die Praxis durch die Entscheidung, auchwenn nur wenige Tage später die 3. Kammer desselben Gerichts anders entschieden und festgestellthat, dass die Grundsätze, die das BAG zur nicht mehr vorübergehenden Überlassung aufgestellt hat(BAG, Urteil vom 10.12.2013 - 9 AZR 51/13, DB 2014 S. 548), auch für Fälle verdeckterArbeitnehmerüberlassung im Rahmen eines Scheinwerkvertrags gelten (LAG Baden-Württemberg,Urteil vom 18.12.2014 - 3 Sa 33/14).

Im Ergebnis nimmt die 4. Kammer eine möglicherweise bald anstehende Gesetzesreform vorweg: Die"verdeckte" Überlassung auf Grundlage von Scheinwerk- und -dienstverträgen mit Erlaubnis soll nachdem Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode der Überlassung ohne Erlaubnis gleichgestelltwerden. In beiden Fällen soll über § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum vermeintlichenWerkbesteller/Dienstberechtigten zustande kommen (vgl. schon Schüren, NZA 2013 S.176 [178];Brors/Schüren, NZA 2014 S. 569 [572]). Nur wenn bei vorhandener Erlaubnis die Überlassungeindeutig als solche kenntlich gemacht und bezeichnet ist, also "offen" überlassen wird, soll dieseRechtsfolge ausbleiben.

Wenn dies Gesetz wird, wird es in Zukunft nicht mehr reichen, dass der vermeintlicheWerkunternehmer/Dienstverpflichtete eine Überlassungserlaubnis vorlegen kann. Vielmehr muss dieArbeitnehmerüberlassung "offen" erfolgt - also in den Verträgen auch so benannt - sein. Andernfallskommt es zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Einsatzunternehmen -und das Einsatzunternehmen haftet als Arbeitgeber für die Beiträge zur Sozialversicherung undLohnsteuer.

Das LAG Baden-Württemberg greift dieser - möglichen - Entwicklung voraus. Das ist bedenklich, weiles ohne klare gesetzliche Grundlage in die Vertrags- und Berufsfreiheit von Einsatzunternehmen undLeiharbeitnehmer eingreift. Ein solcher Eingriff muss im Gesetz aber hinreichenden Ausdruck finden.Auch mit Blick auf die deutlichen Worte, die das BAG zu der Frage gefunden hat, ob bei mehr alsvorübergehender Überlassung mit Erlaubnis § 10 Abs. 1 AÜG direkt oder analog anzuwenden ist(BAG-Urteil vom 10.12.2013, a.a.O.), erscheint der Rückgriff auf widersprüchliches Verhalten und §242 BGB nicht ausreichend, um diesen Eingriff zu legitimieren.

Der 9. Senat wird Gelegenheit bekommen, sich zu äußern: Die zugelassene Revision ist eingelegt (9AZR 51/15). Die Praxis wird bis zur Klärung durch BAG oder Gesetzgeber noch genauer hinschauenmüssen, ob der vereinbarte Werk- oder Dienstvertrag auch so gelebt wird, wie er geschrieben ist.

Redaktionelle Hinweise:

Vgl. zu den divergierenden Entscheidungen der 3. und 4. Kammer des LAG Baden-Württembergden Blogbeitrag von Bissels, DB0689698.Vgl. zu den Vorhaben der Großen Koalition auch den Gastkommentar von Bissels in der AusgabeDB 20/2015 (M5) = DB0695549.

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