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© Mentus GmbH, 2015 1 Mentoring beim Militär Im vergangenen Jahr hatte ich das Privileg, eines der fundiertesten und effektivsten Mentoring- Programme kennenzulernen, denen ich je begegnet bin. Das Programm stammt allerdings aus einem Sektor, wo man normalerweise nicht sofort damit rechnen würde. Es war ein militärisches Pro- gramm, genauer gesagt das der Royal New Zealand Air Force. Personen aller Ränge erhielten ein vertrauchliches, klienten-zentriertes Mentoring durch gut ausgebildete und hochmotivierte Mento- ren. Eine Schlüsselerkenntnis für mich war, dass Mentoring sehr gut zum unterstützenden Geist moder- ner Armeen und Militärorganisationen passt. Man könnte leicht vermuten, dass die Befehl-und- Gehorsam-Struktur im Militär gegen eine ehrliche, empathische Auseinandersetzung mit Karriere und persönliche Entwicklung sprechen würde aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Wenn die Kommandostruktur um eine tiefe und ehrliche Sorge um das Wohlergehen der Soldaten ergänzt wird, stellt Mentoring eine praktikable Methode dar, mit der die Soldaten ihr Selbstverständnis und ihren Weg zu verantwortlicheren Aufgaben (oder einfach nur den Weg, effektiver in den bestehen- den Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu werden) weiterentwickeln können. In einer idealen, modernen Militärorganisation sind die Soldaten kein Kanonenfutter, sondern wert- geschätzte und respektierte Individuen, von denen ein angemessenes Engagement erwartet wird. Mentoring hilft, diese Haltung durch Beziehungen gemeinsamen Lernens zu verstärken, unabhängig von Rang und dem jeweiligen Funktionsprofil. Dies so sehr, dass viele Militärs, mit denen wir in den vergangenen Monaten (1) gesprochen haben, das Mentoring als ein essentielles Element einer effi- zienten Armee der Zukunft ansehen. Die Vorteile eines gut ausgeführten Mentoring Mentoren können die Soldaten in unterschiedlicher Form unterstützen. Da sie außerhalb der Kom- mandokette stehen, können sie relativ objektive Perspektiven auf die verschiedenen Themen der Mentees anbieten und einen sicheren Raum, diese zu diskutieren. Zu den Schlüsselfunktionen und – rollen, die Mentoren bieten, gehören: - Karriereentwicklung: Das Militär bietet eine Reihe unterschiedlicher Entwicklungsmöglichkeiten und es kann ein großer Vorteil sein, jemanden zu haben, mit dem diese hinsichtlich der jeweili- gen Vor- und Nachteile diskutiert werden können. Der Mentor kann auf Möglichkeiten hinwei- sen, die der Mentee nicht sieht oder für sich nicht erkannt hat. Der Mentor kann sein Netzwerk nutzen, um passende Kontakte herzustellen, über die weitergehende Informationen zu bekom- men sind. - Initiative fördern: Wesentliche Elemente eigener Initiative sind Selbstvertrauen und Vertrauen in die Kollegen/Kameraden – zwei Qualitäten, die im Einsatz ebenfalls wichtig sind. Die Mentoring- beziehung bietet einen Raum, in dem der Mentee ungewohnte Ideen für sich erschließen kann, um diese dann bei passender Gelegenheit in eigenes Verhalten, eigene Initiative, umzusetzen.

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Mentoring beim Militär

Im vergangenen Jahr hatte ich das Privileg, eines der fundiertesten und effektivsten Mentoring-

Programme kennenzulernen, denen ich je begegnet bin. Das Programm stammt allerdings aus einem

Sektor, wo man normalerweise nicht sofort damit rechnen würde. Es war ein militärisches Pro-

gramm, genauer gesagt das der Royal New Zealand Air Force. Personen aller Ränge erhielten ein

vertrauchliches, klienten-zentriertes Mentoring durch gut ausgebildete und hochmotivierte Mento-

ren.

Eine Schlüsselerkenntnis für mich war, dass Mentoring sehr gut zum unterstützenden Geist moder-

ner Armeen und Militärorganisationen passt. Man könnte leicht vermuten, dass die Befehl-und-

Gehorsam-Struktur im Militär gegen eine ehrliche, empathische Auseinandersetzung mit Karriere

und persönliche Entwicklung sprechen würde aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Wenn die

Kommandostruktur um eine tiefe und ehrliche Sorge um das Wohlergehen der Soldaten ergänzt

wird, stellt Mentoring eine praktikable Methode dar, mit der die Soldaten ihr Selbstverständnis und

ihren Weg zu verantwortlicheren Aufgaben (oder einfach nur den Weg, effektiver in den bestehen-

den Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu werden) weiterentwickeln können.

In einer idealen, modernen Militärorganisation sind die Soldaten kein Kanonenfutter, sondern wert-

geschätzte und respektierte Individuen, von denen ein angemessenes Engagement erwartet wird.

Mentoring hilft, diese Haltung durch Beziehungen gemeinsamen Lernens zu verstärken, unabhängig

von Rang und dem jeweiligen Funktionsprofil. Dies so sehr, dass viele Militärs, mit denen wir in den

vergangenen Monaten (1) gesprochen haben, das Mentoring als ein essentielles Element einer effi-

zienten Armee der Zukunft ansehen.

Die Vorteile eines gut ausgeführten Mentoring

Mentoren können die Soldaten in unterschiedlicher Form unterstützen. Da sie außerhalb der Kom-

mandokette stehen, können sie relativ objektive Perspektiven auf die verschiedenen Themen der

Mentees anbieten und einen sicheren Raum, diese zu diskutieren. Zu den Schlüsselfunktionen und –

rollen, die Mentoren bieten, gehören:

- Karriereentwicklung: Das Militär bietet eine Reihe unterschiedlicher Entwicklungsmöglichkeiten

und es kann ein großer Vorteil sein, jemanden zu haben, mit dem diese hinsichtlich der jeweili-

gen Vor- und Nachteile diskutiert werden können. Der Mentor kann auf Möglichkeiten hinwei-

sen, die der Mentee nicht sieht oder für sich nicht erkannt hat. Der Mentor kann sein Netzwerk

nutzen, um passende Kontakte herzustellen, über die weitergehende Informationen zu bekom-

men sind.

- Initiative fördern: Wesentliche Elemente eigener Initiative sind Selbstvertrauen und Vertrauen in

die Kollegen/Kameraden – zwei Qualitäten, die im Einsatz ebenfalls wichtig sind. Die Mentoring-

beziehung bietet einen Raum, in dem der Mentee ungewohnte Ideen für sich erschließen kann,

um diese dann bei passender Gelegenheit in eigenes Verhalten, eigene Initiative, umzusetzen.

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Mentoring ist im Kern eine kreative Unterhaltung, in der ein Mentee lernt, die eigene Intuition

und eigene Ideen zu entwickeln.

- Verständnis für den Kontext und Systeme: Wie in allen Bereichen von Arbeit und Gesellschaft,

sind auch Militärorganisationen zunehmend komplex. Mentoring hilft, die Fähigkeit zu systemati-

schem und komplexen Denken weiterzuentwickeln und steigert die Aufmerksamkeit dafür, wie

Leistung von den vielfältigen Elementen abhängt. Dies kann insbesondere in Friedenseinsätzen

wichtig sein, in denen die Rolle des Militärs durch soziale und politische Systeme bestimmt und

dominiert wird. Die Zusammenarbeit mit einem Mentor hilft dem Mentee, die Komplexität zu er-

kennen und angemessene Reaktionen darauf zu entwickeln, selbst dann, wenn wenig eigener

Handlungsspielraum besteht.

- Gewissen: Mentoren helfen ihren Mentees, die moralischen Dimensionen ihrer Aufgabe zu über-

denken, wenn z.B. Konflikte zwischen persönlichen Werten und denen der Mission bestehen.

- Übergänge: Die Karriereveränderungen beim Militär sind ähnlich, häufig sogar komplexer, als die

in der Wirtschaft. Veränderungen beinhalten Einsatztrainings, Selbstführung unter Stress, andere

führen (erstes Kommando), führen von Führungskräften usw.

- Vorbildfunktion: Gute Mentoren sind typischerweise Vorbilder hinsichtlich Haltung und Verhal-

ten, in Übereinstimmung mit den Werten der Streitkräfte. Die Beobachtung des Mentors hilft

dem Mentee, die eigenen Fähigkeiten, etwa Zuhören, Reflektion, Kommunikation etc. zu erwei-

tern. Der Mentor kann ebenfalls als Vorbild für selbst-gesteuertes Lernen und persönliche Integ-

rität dienen.

- Leben nach dem Militärdienst: Eine zunehmend wichtige Rolle der Mentoren ist, den Mentees

bei ihrer Vorbereitung auf das Zivilleben zu helfen. Dies kann die schwierigste Veränderung von

allen sein, vor allem für diejenigen, die verletzt oder traumatisiert aus Einsätzen zurückkehren.

Mentoren helfen, Pläne für die eigene Zukunft zu entwickeln, die eigenen Stärken und Fähigkei-

ten zu reflektieren und für zivile Arbeitgeber attraktive Bewerbungen zu gestalten.

Für die militärische Organisation kann Mentoring zu folgenden Effekten führen:

- Höhere Retention: Obwohl es für den militärischen Bereich keine entsprechenden Studien gibt,

lassen die Erfahrungen im Zivilbereich erwarten, dass Mentees weniger anfällig sind, den Dienst

zu quittieren.

- Eigenverantwortliches Handeln: In klassischen Militärstrukturen ist es üblich, Entscheidungen im

System zu treffen, statt dies persönlich zu tun. Mentoring verschiebt die Verantwortung für die

eigene Entwicklung zum Individuum, dahin wo sie hingehört.

- Verbesserte Urteilsfähigkeit: Mentoring fordert die Art, die Welt zu sehen heraus und entwickelt

die Fähigkeit zu kritischem Denken.

- Nachfolgeplanung: Die üblichen Formen der Talentidentifikation funktionieren nicht gut, wie

Daniel Kahnemann´s Studien von Assessment Center Ansätzen bei der israelischen Armee gezeigt

haben. Mentoring befähigt die Entscheider, potenzielle Talente zu finden und ermutigt Talente,

die ggf. übersehen würden, sich selbst zu positionieren. Dies ist gerade hinsichtlich des Faktors

Diversität in der Armee ein Vorteil.

- Teamzusammenhalt: Im Mentoring werden immer wieder die Zusammenarbeit im Team und

deren Verbesserung zur Sprache kommen. Der Mentor kann dem Mentee helfen, den eigenen

Anteil an der Beziehung zu erkennen und in Gesprächssimulationen schwierige Gespräche oder

auch Taktiken zur positiven Beeinflussung anderer üben. So hat Mentoring einen indirekten aber

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positiven Effekt auf die Zusammenarbeit im Team des Mentee. Der Einfluss dieser vertraulichen

Gesprächsübungen auf die Teamleistung kann enorm sein.

Entwicklung einer Mentoringfähigkeit

Formale Mentoringprogramme sind im militärischen Umfeld eher selten aber einige Erfahrungen

können auch hier genutzt werden:

- Trennung der Kommandolinie von der Mentoringbeziehung: Es mag offensichtlich erscheinen

aber ein Mentoring innerhalb einer Kommandolinie wird fast immer scheitern, da es Rollenkon-

flikte geben wird. Gleichzeitig ist es ein großer Vorteil, wenn Offiziere und Unteroffiziere Mento-

ren werden und im Mentoring eigene Fähigkeiten entwickeln, die sie in ihren Kommandos nutzen

können. Die Möglichkeit, diese Fertigkeiten mit Mentees außerhalb des eigenen Kommandos zu

üben, reduziert das Risiko, das im eigenen Team größer ist. So können neue Ansätze einfacher

ausprobiert werden.

- Klärung, wann und wie Mentoring einen Mehrwert liefert: Dazu sind zwei Kategorien zu beach-

ten. Die eine ist organisational – wie kann Mentoring die Ziele der Organisation unterstützen,

kurzfristig und in langer Sicht? Die andere ist rational – was sind die Vorteile, wenn Personen in

einem geschützten Umfeld Dinge miteinander diskutieren, die sie woanders nicht klären könn-

ten? Eine genauere Betrachtung kann dazu führen, dass ein Programm an den realen Bedürfnis-

sen ausgerichtet wird.

- Qualifizierung und Unterstützung von Mentoren und Mentees: Ein immer wiederkehrender

Grund dafür, dass Mentoring nicht funktioniert ist das fehlende Verständnis von Mentoren der

Mentees dafür, was von ihnen erwartet wird und/oder das Fehlen notwendiger Fähigkeiten.

Mentoren und Mentees sollten vorab qualifiziert werden und in Abständen mit weiterer Unter-

stützung hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Instrumente unterstützt werden.

- Einrichtung eines Programm-Koordinators: Es ist wichtig, jemanden zu haben, der die Verantwor-

tung für das Programm übernimmt und aktiv an der Auswahl, dem Matching, Training und der

Administration eines effektiven Programms beteiligt ist.

- Qualitätsmessung: Während zu viel Bürokratie die informelle Natur eines Mentoring stört, ist es

wichtig, Informationen über die Wirkung von Trainings, die Fortschritte in den Tandems und die

Zielerreichung des Programms zu bekommen. Weiterhin könnte es ein Ziel sein, einen Qualitäts-

vergleich mit den „International Standards for Mentoring Programmes in Employment

(www.ismpe.org)“ zu bekommen.

- Andere Faktoren, auf die es zu achten gilt:

o Vertraulichkeit: In Unternehmen ist es üblich und gute Praxis, dass die Tandems bekannt sind

(um Bevorteilung zu verhindern), im militärischen Umfeld kann es ratsamer sein, dass nur der

Programmmanager die Tandems kennt. Der direkte Vorgesetzte braucht nur zu wissen, dass

sich ein Unterstellter in einem Mentoring befindet, da Zeit benötigt wird, die für die reguläre

Aufgabe nicht zur Verfügung steht. Auf jeden Fall muss der Inhalt der Mentoring-Gespräche

absolut vertraulich gehandhabt werden, innerhalb der offensichtlichen Grenzen von Sicher-

heit und Legalität.

o Zeit für das Mentoring: Es muss eine klare und gesicherte Richtlinie sein dass Zeit für das

Mentoring zur Verfügung steht, solange operative Dringlichkeit nicht dagegen spricht.

o Wenn der Mentor Vorgesetzter wird: Die Mentoringbeziehung sollte sofort beendet wird,

wenn der Mentor zum Vorgesetzten des Mentee wird. Falls dies nicht geschieht, besteht das

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Risiko von Favoritentum. Das normale Vorgehen ist, den Programmmanager zu kontaktieren

und zu klären, ob ein anderer Mentor verfügbar ist.

o Nachhaltigkeit: Programme und die einzelnen Beziehungen können über die Zeit an Dynamik

verlieren. Innerhalb des Tandems empfiehlt es sich, zunehmend komplexere und schwierige-

re Fragen zu diskutieren oder zu entscheiden, dass die Mentoringziele erreicht sind und die

Beziehung aufgelöst wird. Für Programme ist die kontinuierliche Weiterentwicklung der

Mentoren und die stete Überprüfung der Wirksamkeit für die Ziele der Organisation oder

Mission hält das Momentum aufrecht.

Militärhistoriker verweisen auf viele Beispiele von Mentoren im Militär, seit der Beziehung von Ale-

xander dem Großen und Aristoteles. Ob auch Mitglieder der unteren Ränge Mentoren hatten ist

unbekannt. Moderne Armeen entwickeln sich zunehmend in Organisationen, in denen die Einstellung

Fähigkeiten aller eine immer größere Rolle spielen. Mentoring wird eine zunehmend wichtige Rolle

spielen, von der Strategie bis hin zum Alltagsgeschäft. Die Herausforderung besteht nun darin, Men-

toring aus einem wenig bekannten Konzept in ein integrales Element moderner Militär-Infrastruktur

zu verwandeln. Die RNZAF hat gezeigt, dass es geht.

(1 The global network of mentoring specialists, Coaching and Mentoring International)

Das englische Original dieses Beitrages wurde von David Clutterbuck 2015 veröffentlicht. Der Autor

David Clutterbuck ist einer der profiliertesten und bekanntesten Managementdenker und Autor mit

mehr als 60 publizierten Büchern. Er gehört zu den internationalen Pionieren in der Entwicklung pro-

fessionellen Mentoring und Mitbegründer des European Mentoring & Coaching Council.

Die Mentus GmbH ist Kooperationspartner von David Clutterbuck für den deutschen Sprachraum und

arbeitet aktiv an der internationalen Weiterentwicklung des Mentoring in der Wirtschaft mit.

Kontakt:

Dr. Frank Edelkraut

Mail: [email protected]

Web: www.mentus.de

Tel.: 0171 / 6806893

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