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1 MITTEILUNGEN Januar 2012 · 94. Jahrgang Geschäftsstelle Entfelderstrasse 11 5001 Aarau Telefon 062 837 18 18 [email protected] www.aihk.ch · www.ahv-aihk.ch Wirtschaftspolitisches Mitteilungsblatt für die Mitglieder der AIHK Nr. 1 von 12 Herausforderungen für Politik und Wirtschaft von Peter Lüscher, lic. iur., AIHK-Geschäftsleiter, Aarau 2012 sind auf Kantons- und Bundesebene für die Wirtschaft wichtige Themen traktandiert. So hat der Grosse Rat vor Redaktionsschluss dieses Heftes über ein neues Energiegesetz entschieden. 2011 war die Bundespolitik von den Wahlen geprägt. Dieses Jahr ist der Kanton Aargau dran. Am 21. Oktober wählen wir den Grossen Rat und den Regierungsrat. Die Wirtschaft steht vor einem kon- junkturell schwierigen Jahr, die Aargauer Unternehmen sind dafür aber gut ge- rüstet. JAHRESAUSBLICK Die Konjunkturprognosen für das neue Jahr sind eher pessimistisch. Für die Schweiz wird 2012 gerade noch mit einem BIP-Wachstum von 0,5 Prozent gerechnet. Dies als Folge der weltwirtschaftlichen Probleme. Auch die Bevölkerung ist skeptisch. Auf dem Sorgenbarome- ter der Credit Suisse steht das Thema Arbeitslosigkeit zuoberst, die Wirtschaftsentwicklung an dritter Stelle. Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz wird der künftige Frankenkurs zum Euro und zum Dollar sein. Hier ist die Schweizerische National- bank gefordert. Was die aargauischen Unternehmen erwarten, klärt die AIHK zurzeit mit ihrer Wirtschafts- umfrage ab. Deren Resultate werden in der Februar- Ausgabe unserer Mitteilungen veröffentlicht. Administrative Entlastung als (schwieriges) Dauerthema Kämpft die Wirtschaft mit konjunkturellen Proble- men, so sind gute Rahmenbedingungen besonders wichtig. Dazu muss sowohl die Bundes- als auch die kantonale Politik ihren Beitrag leisten. Wohl wird im- mer wieder von administrativer Entlastung gespro- chen. Die Zahlen sprechen leider eine andere Spra- che: In der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts wurden 2011 gut 6’500 Seiten publiziert, in der Aar- gauischen Gesetzessammlung fast 500. Es wird also munter weiter reguliert. Das Beispiel der Mehrwertsteuer zeigt die Schwierig- keiten in diesem Bereich deutlich auf. Nachdem sich der Bundesrat mutig dazu aufgerafft hatte, die Mehrwertsteuer mit der Einführung eines Einheits- satzes wesentlich zu vereinfachen, machte ihm das Parlament einen Strich durch die Rechnung. Die Vor- lage wurde – wohl weil damit (zu) viele Ausnahme- regelungen aufgehoben worden wären – abgelehnt. Ein neuer Vorschlag soll wieder auf einem Zweisatz- modell beruhen. Die AIHK hat sich immer für einen Einheitssatz stark gemacht und bedauert deshalb diesen Beschluss des Parlaments. Die nach langem Hin und Her verabschiedete Revision des Rechnungslegungsrechts bringt Mehrbelastun- gen für die Unternehmen. Nach Meinung des Bun- desrats hätte sogar eine grosse Zahl von Konzernen in Familienbesitz neu Abschlüsse nach international an- erkannten Standards erstellen müssen. Das hätte zu massiven Mehrkosten geführt, ohne dass daraus ein spürbarer Nutzen resultiert hätte. Dank grossem Ein- satz ist es uns zusammen mit verschiedenen Partnern gelungen, (wenigstens) dies zu verhindern.

AIHK Mitteilungen 01 2012

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Page 1: AIHK Mitteilungen 01 2012

1

M I T T E I L U N G E N

Januar 2012 · 94. Jahrgang

Geschäftsstelle

Entfelderstrasse 11

5001 Aarau

Telefon 062 837 18 18

[email protected]

www.aihk.ch · www.ahv-aihk.ch

Wirtschaftspolitisches Mitteilungsblatt

für die Mitglieder der AIHK

Nr. 1 von 12

Herausforderungen für Politik und Wirtschaftvon Peter Lüscher, lic. iur., AIHK-Geschäftsleiter, Aarau

2012 sind auf Kantons- und Bundesebene für die Wirtschaft wichtige Themen

traktandiert. So hat der Grosse Rat vor Redaktionsschluss dieses Heftes über ein

neues Energiegesetz entschieden. 2011 war die Bundespolitik von den Wahlen

geprägt. Dieses Jahr ist der Kanton Aargau dran. Am 21. Oktober wählen wir

den Grossen Rat und den Regierungsrat. Die Wirtschaft steht vor einem kon-

junkturell schwierigen Jahr, die Aargauer Unternehmen sind dafür aber gut ge-

rüstet.

JAHRESAUSBLICK

Die Konjunkturprognosen für das neue Jahr sind eher

pessimistisch. Für die Schweiz wird 2012 gerade noch

mit einem BIP-Wachstum von 0,5 Prozent gerechnet.

Dies als Folge der weltwirtschaftlichen Probleme. Auch

die Bevölkerung ist skeptisch. Auf dem Sorgenbarome-

ter der Credit Suisse steht das Thema Arbeitslosigkeit

zuoberst, die Wirtschaftsentwicklung an dritter Stelle.

Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung in der

Schweiz wird der künftige Frankenkurs zum Euro und

zum Dollar sein. Hier ist die Schweizerische National-

bank gefordert. Was die aargauischen Unternehmen

erwarten, klärt die AIHK zurzeit mit ihrer Wirtschafts-

umfrage ab. Deren Resultate werden in der Februar-

Ausgabe unserer Mitteilungen veröffentlicht.

Administrative Entlastung als (schwieriges) Dauerthema

Kämpft die Wirtschaft mit konjunkturellen Proble-

men, so sind gute Rahmenbedingungen besonders

wichtig. Dazu muss sowohl die Bundes- als auch die

kantonale Politik ihren Beitrag leisten. Wohl wird im-

mer wieder von administrativer Entlastung gespro-

chen. Die Zahlen sprechen leider eine andere Spra-

che: In der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts

wurden 2011 gut 6’500 Seiten publiziert, in der Aar-

gauischen Gesetzessammlung fast 500. Es wird also

munter weiter reguliert.

Das Beispiel der Mehrwertsteuer zeigt die Schwierig-

keiten in diesem Bereich deutlich auf. Nachdem sich

der Bundesrat mutig dazu aufgerafft hatte, die

Mehrwertsteuer mit der Einführung eines Einheits-

satzes wesentlich zu vereinfachen, machte ihm das

Parlament einen Strich durch die Rechnung. Die Vor-

lage wurde – wohl weil damit (zu) viele Ausnahme-

regelungen aufgehoben worden wären – abgelehnt.

Ein neuer Vorschlag soll wieder auf einem Zweisatz-

modell beruhen. Die AIHK hat sich immer für einen

Einheitssatz stark gemacht und bedauert deshalb

diesen Beschluss des Parlaments.

Die nach langem Hin und Her verabschiedete Revision

des Rechnungslegungsrechts bringt Mehrbelastun-

gen für die Unternehmen. Nach Meinung des Bun-

desrats hätte sogar eine grosse Zahl von Konzernen in

Familienbesitz neu Abschlüsse nach international an-

erkannten Standards erstellen müssen. Das hätte zu

massiven Mehrkosten geführt, ohne dass daraus ein

spürbarer Nutzen resultiert hätte. Dank grossem Ein-

satz ist es uns zusammen mit verschiedenen Partnern

gelungen, (wenigstens) dies zu verhindern.

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Es geht also nicht nur darum, bestehende administ-

rative Belastungen abzubauen, sondern immer wie-

der auch darum, neue zu vermeiden. Wir erhoffen

uns vom neu zusammengesetzten Parlament eine

kritische Prüfung aller Vorlagen auch aus diesem

Blickwinkel. Es soll nur dort reguliert werden, wo

und soweit es wirklich notwendig ist.

Die Wirtschaftsverbände fordern seit Jahren administ-

rative Vereinfachungen und kämpfen gegen die un-

mässige Belastung der Unternehmen an – leider erst

mit wenig Erfolg. Dabei ist selbstkritisch anzumerken,

dass uns die Nennung konkreter Entlastungsmöglich-

keiten schwer fällt. Um die Politik überzeugen zu kön-

nen, brauchen wir aber möglichst viele konkrete Bei-

spiele! Der Autor nimmt deshalb Meldungen von

administrativen Belastungen, die abgebaut werden

könnten oder müssten, jederzeit gerne entgegen.

Abstimmungen im Multipack

Im März werden die Stimmberechtigten im Kanton

Aargau über nicht weniger als neun Vorlagen zu be-

fi nden haben, fünf des Bundes und vier kantonale.

Dabei geht es auf Bundesebene um eine Volksinitia-

tive gegen Zweitwohnungen, eine Bausparinitiative,

die kantonalen Monopole für Geldspiele, eine Feri-

eninitiative der Gewerkschaften sowie um ein Refe-

rendum zur Verhinderung der Wiedereinführung der

Buchpreisbindung. Kantonal steht die Verfassungs-

und Schulgesetzrevision zur Stärkung der Volksschu-

le im Zentrum des Interesses. Daneben kommen die

Verfassungsgrundlagen für die Justizreform und für

das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht zur

Abstimmung.

Der AIHK-Vorstand wird seine Parolen am 19. Januar

beschliessen.

Auch an den drei weiteren Abstimmungsterminen

2012 sind wirtschaftsrelevante Vorlagen zu erwar-

ten. So ist die Volksinitiative der AUNS «für die Stär-

kung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsver-

träge vors Volk!)» abstimmungsreif. Die AUNS will

damit das obligatorische Referendum bei Staatsver-

trägen ausdehnen. Das Parlament hat im Dezember

2011 das revidierte CO2-Gesetz verabschiedet. Im

Frühling werden die Initianten darüber entscheiden,

ob deshalb ihre Volksinitiative «Gesundes Klima» zu-

rückgezogen wird oder nicht. Wird sie nicht zurück-

gezogen, könnte diese Volksinitiative auch 2012 zur

Abstimmung kommen. Das Gleiche gilt für die «Ab-

zocker-Initiative» von Thomas Minder und eine wei-

tere Bausparinitiative des Hauseigentümerverban-

des. Zudem läuft zurzeit die Unterschriftensammlung

für ein Referendum gegen die Änderung des Bun-

desgesetzes über die Krankenversicherung (Mana-

ged Care) vom 30. September 2011.

Nachdem im Wahljahr 2011 nicht weniger als 23 neue

Volksinitiativen lanciert wurden, wird der Stoff für

Volksabstimmungen wohl nicht so schnell ausgehen.

Weitere wichtige Vorlagen in der Pipeline

Wir werden uns neben Stellungnahmen zu kantona-

len Themen auch dieses Jahr in Zusammenarbeit mit

economiesuisse, dem Schweizerischen Arbeitgeber-

verband und der Vereinigung der Schweizer Indust-

rie- und Handelskammern an Vernehmlassungsver-

fahren des Bundes beteiligen. Verschiedene für die

Wirtschaft äusserst wichtige Geschäfte sind bereits

angekündigt:

Der Bundesrat will gemäss Jahresplanung seine Ener-

giestrategie 2050 konkretisieren und diese zusam-

men mit den Grundsätzen zu deren Umsetzung in die

Vernehmlassung geben. Im Weiteren sind Anhörun-

gen zur Unternehmenssteuerreform III, zu einer

2. Etappe der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes

und zu einem Bericht über die Zukunft der 2. Säule

(BVG) angekündigt.

Der Bundesrat plant zudem, eine nächste AHV-Revisi-

on in Angriff zu nehmen. Die langfristige Sicherung

unserer Altersvorsorge darf aus unserer Sicht nicht

einfach weiter hinausgeschoben werden. Das Gleiche

gilt für die Revision der Invalidenversicherung. Wir be-

obachten mit grosser Sorge, dass bei der IV-Revision

6b der Sparwille des Parlaments offenbar abnimmt.

Die Wirtschaft hat der Zusatzfi nazierung für die IV sei-

nerzeit nur unter der Bedingung zugestimmt, dass mit

der Revision 6b die fi nanzielle Situation der IV nach-

haltig ins Lot gebracht wird. Dazu gehört auch der

Schuldenabbau. Wir erwarten vom Parlament, dass es

sich an die damaligen Versprechen hält.

Am 1. Januar 2012 ist die IV-Revision 6a in Kraft ge-

treten. Damit sollen innert sechs Jahren rund 17’000

Invalidenrentner wieder bzw. noch stärker in den Ar-

beitsmarkt integriert werden. Das ist eine grosse He-

rausforderung auch für die Unternehmen. Sie erhal-

ten dabei Unterstützung durch Verbände und

IV-Stellen. Mit dem Instrument des Arbeitsversuchs

und den Coaching-Angeboten wird die Aufgabe er-

Page 3: AIHK Mitteilungen 01 2012

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leichtert. Wir informieren unsere Mitglieder im Detail

darüber und stehen für Fragen zur Verfügung.

Als weiteres wichtiges Thema steht die Klärung des

Verhältnisses der Schweiz zu Europa (inkl. Umgang mit

der Personenfreizügigkeit) auf der Traktandenliste.

Steuergesetzrevision und Hightech Aargau für mehr Standortqualität

Der Kanton Aargau hat sein Triple-A-Rating halten

können. Die Unternehmen sind mehrheitlich mit den

Standortbedingungen zufrieden. Trotzdem dürfen

wir uns nicht selbstzufrieden zurücklehnen, sondern

müssen unsere Standortbedingungen dauernd opti-

mieren. Das ist in erster Linie für die ansässigen Un-

ternehmen wichtig, in zweiter Linie dient es auch für

die Förderung des Zuzugs neuer Betriebe.

In der laufenden Steuergesetzrevision, die sich im

parlamentarischen Verfahren befi ndet, geht es in

erster Linie um die Realisierung der versprochenen

Entlastung des Mittelstandes. Welche weiteren Ent-

lastungen auch für juristische Personen möglich

sind, ist im Rahmen der 2. Lesung zu klären. Es darf

nicht vergessen werden, dass die Höhe der Steuer-

belastung ein wesentliches Element der Standort-

qualität ist. Ziel muss im Hinblick auf die zu erwar-

tende Volksabstimmung ein mehrheitsfähiges

Gesamtpaket sein.

Mit seiner Initiative «Hightech Aargau» will der Re-

gierungsrat die Innovationskraft unserer Unterneh-

men stärken. Wir unterstützen die Stossrichtung,

haben aber zu einzelnen Massnahmen im Rahmen

des Vernehmlassungsverfahrens Vorbehalte ange-

bracht. Gespannt erwarten wir die Botschaft des Re-

gierungsrates, die im Frühjahr herauskommen soll.

Die AIHK ist bereit, bei der Umsetzung mitzuarbei-

ten. Die angestrebte «Erhöhung der Verfügbarkeit

von Immobilien und Industrieland für Aargauer Un-

ternehmen und Ansiedlungsprojekte» (Entwick-

lungsschwerpunkt im Aufgaben- und Finanzplan)

unterstützen wir nur, soweit dies mit ordnungspoli-

tisch vertretbaren Mitteln geschieht.

Sorgen wir für einen wirtschafts-freundlichen Grossen Rat

Erstmals fi nden am 21. Oktober 2012 die Parla-

ments- und Regierungswahlen im Kanton Aargau

am gleichen Termin statt. Damit zusammenhängend

werden auch die Amts- und Rechnungsjahre zusam-

mengelegt. Die AIHK begrüsst beide Neuerungen

ausdrücklich. Das Gleiche gilt für die im letzten No-

vember beschlossene Einführung eines Quorums im

Grossratswahlgesetz.

Die nachstehenden Tabellen zeigen Wähleranteile

und Sitzzahlen der Parteien in den letzten Jahrzehn-

ten sowie die Parteistärken in den einzelnen Bezir-

ken bei den letzten Grossratswahlen.

Wichtig aus Sicht der AIHK ist eine gute Vertre-

tung wirtschaftsfreundlicher Personen im Grossen

Rat. Unser Kantonsparlament beeinflusst mit sei-

nen Entscheiden die Rahmenbedingungen für die

unternehmerische Tätigkeit im Aargau wesent-

lich.

Wir rufen deshalb alle Unternehmen dazu auf, ge-

eigneten Personen eine Kandidatur sowie eine allfäl-

lige Tätigkeit im Grossen Rat zu ermöglichen.

Jahr SVP SP CVP FDP Grüne EVP SD EDU BDP GLP FPS LdU Übrige

1953 16,2 33,3 23,2 20,1 – 2,7 – – – – – 4,2 0,4

1957 14,8 33,0 22,8 20,3 – 3,4 – – – – – 5,0 0,7

1961 14,8 30,9 22,2 20,5 – 3,0 – – – – – 4,1 4,4

1965 15,0 30,1 22,1 21,3 – 3,1 – – – – – 3,5 4,9

1969 15,0 26,8 21,8 18,6 – 2,9 – – – – – 7,1 8,0

1973 14,5 22,2 23,9 19,3 – 4,8 6,6 – – – – 5,2 3,5

1977 14,5 24,6 23,2 21,0 – 5,1 6,2 – – – – 5,4 –

1981 16,9 24,1 24,6 22,4 – 5,5 2,3 – – – – 3,8 0,3

1985 15,9 20,5 23,3 23,7 5,2 4,4 3,1 – – – – 3,6 0,2

1989 15,6 17,7 20,7 20,2 6,5 4,8 3,1 0,3 – – 7,6 3,0 0,6

1993 17,1 19,9 17,8 19,6 4,4 4,7 2,6 0,4 – – 9,6 2,9 1,1

1997 21,9 21,7 17,3 19,6 3,5 4,3 3,2 1,3 – – 4,5 1,4 1,3

2001 33,5 18,6 15,0 19,0 4,0 4,9 1,8 1,0 – – 2,0 – 0,3

2005 30,3 19,7 17,5 16,9 6,8 5,7 1,3 1,3 – – 0,3 – 0,3

2009 31,9 15,7 15,0 14,3 8,9 4,5 1,2 1,8 3,1 3,5 – – 0,1

Wähleranteile bei den Grossratswahlen 1953 – 2009

Quelle: Statistik Aargau, Heft 192, «Grossratswahlen 2009, Ergebnisse» Parteistärke in Prozent

Page 4: AIHK Mitteilungen 01 2012

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Bezirk SVP SP CVP FDP Grüne EVP SD EDU BDP GLP FPS LdU Übrige Total

Aarau 5 3 1 3 2 1 – 1 – – – – – 16

Baden 8 4 6 4 3 1 1 – 1 2 – – – 30

Bremgarten 6 2 3 2 1 – – – 1 1 – – – 16

Brugg 3 2 1 2 1 1 – – – 1 – – – 11

Kulm 4 1 – 1 1 1 1 – – – – – – 9

Laufenburg 2 1 2 1 1 – – – – – – – – 7

Lenzburg 4 2 1 1 1 1 – – 1 1 – – – 12

Muri 2 1 2 1 1 – – – – – – – – 7

Rheinfelden 3 2 2 2 1 – – – – – – – – 10

Zofi ngen 5 3 1 2 1 1 – 1 1 – – – – 15

Zurzach 3 1 2 1 – – – – – – – – – 7

Kanton AG 45 22 21 20 13 6 2 2 4 5 – – – 140

2005 46 30 26 24 7 7 – – – – – – – 140

2001 72 36 32 40 7 8 4 – – – 1 – – 200

1997 47 48 37 40 6 8 7 1 – – 4 2 – 200

1993 36 44 35 41 7 8 3 – – – 19 5 2 200

1989 34 37 42 45 11 9 3 – – – 12 6 1 200

1985 32 44 48 52 5 9 3 – – – – 6 1 200

1981 34 51 50 48 – 10 – – – – – 7 – 200

1977 29 51 45 46 – 8 10 – – – – 11 – 200

1973 30 46 54 41 – 8 10 – – – – 9 2 200

Grossrätinnen und Grossräte nach Parteien und Bezirken, 2009

Quelle: Statistik Aargau, Heft 192, «Grossratswahlen 2009, Ergebnisse»

Auf dem Weg zum globalen Klimaabkommenvon Jan Krejci, lic. iur., juristischer Mitarbeiter der AIHK, Aarau

Obwohl das Ergebnis der UNO-Klimakonferenz in Durban kritisiert wird, konnte

einiges erreicht werden. So wurde beschlossen, dass bis 2015 ein neues Klima-

abkommen geschaffen wird, das für alle Staaten gelten soll. Im Gegenzug ver-

pfl ichteten sich zahlreiche Industriestaaten für eine zweite Verpfl ichtungsperi-

ode unter dem Kyoto-Protokoll. Die Verlängerung ist für den Klimaschutz und

für die sich auf diesem Gebiet engagierenden Unternehmen enorm wichtig.

KLIMAPOLITIK

«Ohne einen baldigen Kurswechsel werden wir dort

enden, wo wir derzeit hinsteuern» schreibt die Inter-

nationale Energie-Agentur (IEA) in ihrem neusten

«World Energy Outlook 2011». Konkret würde dies

heissen, dass wir das von der Wissenschaft vorgegebe-

ne Ziel einer für das Klima gerade noch verträglichen

Erderwärmung von maximal 2 Grad Celsius auf keinen

Fall erreichen würden. Der Bericht hält fest, dass es

wenige Anzeichen gebe, dass der dringend notwendi-

ge Kurswechsel bei den weltweiten Energietrends ein-

geleitet wurde. Trotz unsicheren Wirtschaftsaussichten

sei nämlich der weltweite Primärenergieverbrauch im

Jahre 2010 um bemerkenswerte 5 Prozent gestiegen,

was zu einem neuen Höchststand bei der Emission von

CO2 führte. Unterdessen kämpfen die USA und diverse

europäische Staaten mit stetig steigenden Staatsschul-

den oder gar mit drohender Zahlungsunfähigkeit. Dies

lenke den Blick von griffi gen Klimaschutzmassnahmen

ab und beeinträchtige das Einhalten der vereinbarten

Klimaschutzziele.

Wohin der CO2-Ausstoss bereits geführt hat, zeigt eine

neuste Studie der ETH, die in der letzten Ausgabe des

Fachmagazins «Nature Geoscience» veröffentlicht

wurde. Die Autoren, Prof. Reto Knutti und Markus Hu-

ber, kamen wie bereits frühere Studien zum Schluss,

dass der Mensch mit höchster Wahrscheinlichkeit für

den grössten Teil der Klimaerwärmung – nämlich drei

Viertel – verantwortlich ist. Seit 1950 sei die durch-

schnittliche Lufttemperatur der Erdoberfl äche um über

0,5 Grad Celsius angestiegen. Gemäss ihrem Berech-

nungsmodell, das sich auf den Zugewinn der Energie-

menge von Ozeanen und der Atmosphäre bei einer

globalen Erwärmung stützt, wäre die Temperatur allei-

ne aufgrund der Treibhausgase sogar um 0,85 Grad

Celsius gestiegen. Kühlende Effekte, wie etwa Schwe-

Page 5: AIHK Mitteilungen 01 2012

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beteilchen in der Luft, führten aber zu einem geringe-

ren Temperaturanstieg. Kritiker der Studie verwiesen

wiederum auf den zu kurzen Zeitraum der von den

Autoren berücksichtigten Daten (60 Jahre) und die no-

torische Unsicherheit von Klimaprognosen.

Alle sollen CO2 reduzieren

Mit dieser bedrohlichen Ausgangslage vor Augen

machten sich Vertreter aus 194 Ländern auf nach Dur-

ban in Südafrika an die 17. UNO-Klimakonferenz. Al-

leine die Schweiz reiste mit einer 20-köpfi gen Delega-

tion bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der

Verwaltung (UVEK, EDA, EDI und EVD), Wirtschaft,

Wissenschaft, von Entwicklungsorganisationen und

von Umweltverbänden an. Die Position wurde vorgän-

gig vom Bundesrat festgelegt. Hauptanliegen der

Schweiz war und ist es, ein Regime zu schaffen, in

dem sich alle namhaften Verursacher von Klimagasen

rechtlich verbindlich zu einer Verminderung des Treib-

hausgasausstosses verpfl ichten. Insbesondere sollten

sich die USA und wichtige Schwellenländer wie China,

Indien und Brasilien zu einer Reduktion verpfl ichten.

Man wollte bei einem umfassenden Klimaabkommen

ab 2020 einen Schritt weiter kommen und klären, wie

es mit dem Kyoto-Protokoll nach dessen Ende 2012

weitergehen soll. Entscheidend für eine Verlängerung

des Protokolls war für die Schweiz das Engagement

der anderen Industrieländer inklusive USA sowie der

Schwellenländer China, Brasilien und Indien. Ausser-

dem wollte die Schweiz eine aktive Rolle beim im letz-

ten Jahr geschaffenen «Green Climate Fund» spielen

und sich um die Ansiedlung des Fonds in Genf bemü-

hen. Der Fonds soll fi nanzielle Unterstützung bei der

Umsetzung von Klimamassnahmen in Entwicklungs-

ländern bieten.

Im Vorfeld dunkle Wolken

Trotz diesen hehren Zielen standen die Vorzeichen

für ein Gelingen schlecht. Namhafte CO2-Emitenten

hatten vorab kein Interesse, sich an einer Fortfüh-

rung des Kyoto-Protokolls zu beteiligen. So wollten

Japan, Russland und Kanada nichts von einer Verlän-

gerung wissen. Kanada hätte die Verlängerung Milli-

arden gekostet. Weil das nordamerikanische Land

das vereinbarte CO2-Ziel, eine Reduktion um 6 Pro-

zent im Vergleich zu 1990, mit den getroffenen

Massnahmen bis nächstes Jahr niemals erreicht hät-

te, hätte es nämlich CO2-Zertifi kate in Milliardenhö-

he als Kompensation zukaufen müssen. Mittlerweile

ist bekannt, dass Kanada ganz aus dem Kyoto-Proto-

koll ausgestiegen ist.

Die Verhandlungen an der Klimakonferenz entwi-

ckelten sich entsprechend harzig. Es gab kaum Fort-

schritte und Franz Perrez, Chef der Schweizer Ver-

handlungsdelegation, vermeldete aus Durban: «Die

Fronten haben sich seit der letzten Vorbereitungs-

konferenz im Herbst in Panama verhärtet». Da auch

bis zum vorgesehenen Konferenzschluss am 9. De-

zember 2011 kein befriedigendes Resultat erzielt

wurde, gingen die Verhandlungen in eine Zusatzrun-

de und endeten mit einem passablen Ergebnis erst

zwei Tage später, um fünf Uhr in der Frühe.

«Paradigmenwechsel»

Nach dem Verhandlungsmarathon sprach Bruno

Oberle, Direktor des Bundesamtes für Umwelt (BAFU),

von einem Paradigmenwechsel in der Klimapolitik. In

Zukunft sollen alle Länder gemäss ihrem jeweiligen

Ausstoss und ihren Möglichkeiten zur Verminderung

des Treibhausgasausstosses verpfl ichtet werden. Aus

Sicht des BAFU «machten die internationalen Klima-

verhandlungen (damit) einen grossen Schritt vor-

wärts». So sind die grossen Verursacher von Treibhaus-

gasen, China, Brasilien, Indien, Südafrika und die USA

bereit, bis 2015 ein rechtlich verbindliches Klima-

schutz-Abkommen zu vereinbaren. Die konkreten Ver-

handlungen sollen nächstes Jahr beginnen. Dabei soll

festgelegt werden, wer wie viele Emissionen reduzie-

ren muss. Dank dieser Einigung sahen die EU, Neusee-

land, Australien und die Schweiz ihre Bedingungen als

erfüllt an und stimmten einer zweiten Verpfl ichtungs-

periode unter dem Kyoto-Protokoll zu.

Budget-Idee vonProf. Reto Knutti, ETH ZürichDie Idee stützt sich darauf, dass aufgrund der langen Aufenthaltszeit von CO2 in der Atmosphäre jede ausgestossene Tonne, unabhängig von Entstehungsort und -zeit, ungefähr die gleiche Erderwärmung zur Folge hat. Gemäss den Berechnungen der ETH haben wir ein beschränktes «globales Budget» von etwas mehr als 1000 Milliarden Tonnen CO2 zur Verfügung, damit wir eine 2-Grad-Celsius-Erderwärmung nicht überschreiten. Eine grössere Erwärmung hätte verheerende Folgen.. Etwa die Hälfte des Budgets haben wir bereits ver-braucht. In den zukünftigen Klimakonferenzverhandlun-gen könnte es deshalb auch darum gehen, eine «faire» Aufteilung der anderen Hälfte zu fi nden.

Nutzen der Klimakonferenzen?

Kritiker der Klimakonferenzen fragen sich unterdes-

sen, ob ein solch «mageres» Resultat nicht auch

ohne die Flüge der zahlreichen Verhandlungsdelega-

tionen rund um den Globus gelungen wäre. Wieso

müssen all diese Leute nach Südafrika fl iegen und so

Page 6: AIHK Mitteilungen 01 2012

6

sinnlos CO2 ausstossen? Heute gibt es doch Skype?

Auch an einer Vorbereitungskonferenz in Bonn war

dies durchaus ein Thema. Die Idee wurde aber in ei-

ner Abstimmung zu Recht verworfen. Auch wenn es

in der Klimadebatte nur harzig vorangeht, sind die

persönlichen Begegnungen sowie die Gespräche

und Verhandlungen am Rande der Konferenz für das

Vorankommen sehr wichtig. Sie fördern das Vertrau-

en unter den Verhandlungspartnern und ermögli-

chen so Kompromisse, die ansonsten nicht zustande

kämen. Zudem rücken solche Konferenzen das The-

ma und die Probleme in das Bewusstsein der Weltöf-

fentlichkeit und führen so zu einem permanenten

Druck, die Verhandlungen am Leben zu erhalten und

voranzutreiben.

Ausserdem fi nden im Rahmen dieser Konferenzen

«Side Events» statt, wo sich die Länder und die Wirt-

schaft mit ihren Lösungen für das Klimaproblem prä-

sentieren können. Unter der Leitung von economiesu-

isse und der Mitwirkung der AIHK konnte sich so auch

die Schweizer Wirtschaft an der diesjährigen Klima-

konferenz der Weltöffentlichkeit präsentieren. Unter

anderem mit Publikationen und Videokonferenzen

wurden die Schweizer Errungenschaften den interes-

sierten Delegationen und Journalisten aus der ganzen

Welt vorgestellt. Die internationale Staatengemein-

schaft sollte erfahren, wie gut die Leistungen der

Schweiz und die Lösungen sind, die wir zu bieten ha-

ben. Aus solchen Kontakten entstehen im Weiteren

gute Beziehungen, die zu Aufträgen führen können.

Ein Schritt in die richtige Richtung

Durch die Einigung in letzter Sekunde wurden die be-

währten Mechanismen des Klimaschutzes gesichert und

ein Stillstand ab dem Jahr 2012, wenn die erste Ver-

pfl ichtungsperiode des Kyoto-Protokolls ausläuft, ver-

mieden. Alle Unternehmen, die sich der Energieagentur

der Wirtschaft angeschlossen haben, und alle anderen

Firmen, die sich für den Klimaschutz einsetzen, erhalten

so den benötigten rechtlichen Rahmen. Ausserdem

konnte so deren Absatz und Wert gesichert werden.

Die nächste Klimakonferenz fi ndet nächstes Jahr in

Qatar statt. Ziel muss es sein, unbedingt einen weite-

ren Schritt Richtung eines international verbindli-

chen Klimaabkommens zu machen. Gemäss ETH

müssten nämlich die CO2-Emissionen spätestens bis

2015 ihren Höhepunkt erreicht haben und bis 2020

deutlich unter die heutigen Werte sinken, um das

Ziel einer Erderwärmung von maximal 2 Grad Celsius

noch einzuhalten. Ausserdem ist nur mit einem glo-

balen Abkommen gesichert, dass sich Staaten mit

ambitionierter Klimapolitik keine Nachteile gegen-

über Trittbrettfahrern einhandeln, und dass Firmen

ihre Produktion nicht in Staaten verlagern, die nied-

rigere oder gar keine Umweltschutzaufl agen haben.

50 Jahre Sozialcharta – kein Grund zur Ratifi kationvon Philip Schneiter, lic. iur., Rechtsanwalt, juristischer Mitarbeiter der AIHK, Aarau

Das 50. Jubiläum, das die Europäische Sozialcharta vor kurzem gefeiert hat, war

der Arbeitnehmerseite in der Schweiz ein willkommener Anlass, um – wieder

einmal – die Ratifi kation der Sozialcharta zu fordern. Die Ratifi kation würde

aber zahlreiche einschneidende Änderungen des schweizerischen Arbeits- und

Sozialrechts mit sich bringen. Die möglichen Auswirkungen müssen sorgfältig

analysiert werden, bevor über die Ratifi kation weiter nachgedacht wird.

EUROPAPOLITIK

Im Jahr 1949 ist – als erster Schritt zu einem vereinig-

ten Europa – der Europarat gegründet worden. Der

Europarat hat unter anderem die Aufgabe, den «so-

zialen Fortschritt» der Mitgliedsstaaten zu fördern.

Die Schweiz ist seit 1963 Mitglied im Europarat.

Vom 18. November 2009 bis zum 11. Mai 2010 hat-

te die Schweiz – turnusgemäss – die Präsidentschaft

des Ministerkomitees des Europarats inne.

Das Ministerkomitee trifft die Massnahmen, die zur

Erfüllung der Aufgaben des Europarates geeignet

sind. Es beschliesst zum Beispiel Abkommen und

Vereinbarungen. Die Beratende Versammlung arbei-

tet Empfehlungen zu Händen des Ministerkomitees

aus.

Seit der Gründung des Europarats hat das Minister-

komitee zwei grosse Konventionen beschlossen: die

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Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. No-

vember 1950 (EMRK) und die Europäische Sozial-

charta vom 18. Oktober 1961 (ESC).

Die EMRK ist für die Schweiz im Jahr 1974 in Kraft

getreten. Die ESC hat der Bundesrat im Jahr 1976

unterzeichnet, aber nie ratifi ziert. Die Ratifi kation

scheiterte mehrmals an der Genehmigung durch das

Eidgenössische Parlament, letztmals im Jahr 2004.

Am 17. Dezember 2004 hat der Nationalrat eine von

der sozialdemokratischen Fraktion eingereichte par-

lamentarische Initiative zur Genehmigung der ESC,

ohne eine inhaltliche Debatte geführt zu haben, für

erledigt erklärt. Der Nationalrat lehnte es ab, die Frist

zur Behandlung der am 19. Juni 1991 eingereichten

parlamentarischen Initiative zu verlängern. Er trug

damit den Bedenken Rechnung, welche die Kommis-

sion für soziale Sicherheit und Gesundheit des Natio-

nalrats geäussert hatte. Die Kommission hatte starke

Zweifel daran, dass das schweizerische Recht mit der

ESC vereinbar ist. Die Bundesverwaltung war nicht in

der Lage, die Unklarheiten zu beseitigen. Ihre Unter-

lagen erwiesen sich offenbar als «wenig brauchbar».

Neue Anläufe zur Ratifi kation

Das 50-Jahre-Jubiläum, das die ESC vor kurzem ge-

feiert hat, war der Arbeitnehmerseite ein willkom-

mener Anlass, um – wieder einmal – die Ratifi kation

der ESC zu fordern. Von der Arbeitnehmerseite un-

terstützte Politiker haben vom Bundesrat verlangt,

einen Bericht über die Vereinbarkeit der ESC mit

dem schweizerischen Recht vorzulegen. Noch wäh-

rend die Schweiz die Präsidentschaft des Ministerko-

mitees des Europarats innehatte, hatte sich der Bun-

desrat dazu bereit erklärt, einen derartigen Bericht

zu verfassen. Vorgängig hatte «AvenirSocial», der

Verband der Berufstätigen mit einer Ausbildung in

Sozialarbeit, Sozialpädagogik usw., ein Gutachten

erstellen lassen, nach dem die Ratifi kation der ESC

durchaus «möglich» wäre.

72 arbeits- und sozialrechtliche Einzelbestimmungen

Die ESC beschlägt alle zentralen Bereiche des Ar-

beits- und Sozialrechts. In den 90er Jahren des letz-

ten Jahrhunderts ist sie umfassend revidiert worden.

Die revidierte Fassung besteht in ihrem Kern aus

neun Artikeln. Die Kernartikel werden durch umhül-

lende Artikel ergänzt. Die ESC enthält insgesamt 72

arbeits- und sozialrechtliche Einzelbestimmungen.

Ein Staat, der die ESC ratifi zieren möchte, muss min-

destens sechs der neun Kernartikel und insgesamt

63 der insgesamt 72 arbeits- und sozialrechtlichen

Einzelbestimmungen anerkennen.

Die neun Kernartikel der ESC:Art. 1 Recht auf Arbeit

Art. 5 Vereinigungsfreiheit

Art. 6 Kollektive Rechte, v.a. Streikrecht

Art. 7 Schutz der Kinder und Jugendlichen

Art. 12 Recht auf soziale Sicherheit

Art. 13 Recht auf Fürsorge

Art. 16 Schutz der Familie

Art. 19 Schutz der Wanderarbeitnehmer

Art. 20 Verbot der Geschlechtsdiskriminierung

Die ESC richtet sich in erster Linie an den Gesetzge-

ber eines Staats. Der Gesetzgeber hat dafür zu sor-

gen, dass die Gesetze den Vorgaben der ESC ent-

sprechen.

Die Einhaltung der ESC durch die Staaten, welche

die ESC ratifi ziert haben, wird durch einen Ausschuss

unabhängiger Sachverständiger, die von der Bera-

tenden Versammlung des Europarats gewählt wer-

den, geprüft. Staaten, welche die ESC ratifi ziert ha-

ben, haben dem Ausschuss regelmässig über die

Einhaltung der ESC Bericht zu erstatten. Gestützt auf

das Ergebnis der Prüfung durch die unabhängigen

Sachverständigen, kann das Ministerkomitee des Eu-

roparats jedem Staat, der die ESC ratifi ziert hat,

«Empfehlungen» abgeben.

Namentlich auf das in Art. 6 Ziff. 4 ESC gewährte

Streikrecht kann sich aber jeder Arbeitnehmer beru-

fen. In einem Urteil aus dem Jahr 1985 hat das Bun-

desgericht – obwohl die Schweiz die ESC nie ratifi -

ziert hat – unmittelbar auf Art. 6 Ziff. 4 ESC Bezug

genommen, um das Streikrecht zum Bestandteil der

schweizerischen Arbeitsverfassung zu erklären – in

der Bundesverfassung ist das Streikrecht erst seit

dem Jahr 2000 ausdrücklich verankert.

Unter anderem aus den «Empfehlungen» des Minis-

terkomitees des Europarats hat sich im Laufe der

Zeit eine – stark durch politische Motive beeinfl usste

– «Rechtspraxis», wie die insgesamt 72 arbeits- und

sozialrechtlichen Einzelbestimmungen der ESC zu

verstehen sind, herausgebildet. So wird das nach

Art. 1 Ziff. 2 ESC zu gewährleistende Recht des Ar-

beitnehmers, «seinen Lebensunterhalt durch eine

frei übernommene Tätigkeit zu verdienen», in dem

Sinne verstanden, dass Arbeitnehmer bei der

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Bewerbung um eine Tätigkeit vor Diskriminierungen

auf Grund der Rasse, der Herkunft, des Geschlechts,

der Religion, der Weltanschauung, des Alters usw.

zu schützen sind. Ein solcher Schutz ist ohne Erlass

eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes

kaum sicherzustellen.

Eine sorgfältige Analyse ist unaus-weichlich

Vor kurzem konnte der Presse entnommen werden,

dass es der Bundesrat offenbar ausschliesst, dass die

Schweiz die Art. 12, Art. 13 und Art. 19 ESC aner-

kennt. Die Anerkennung dieser Kernartikel würde in

der Tat zahlreiche Gesetzesänderungen bedingen:

Das Recht auf soziale Sicherheit (Art. 12 ESC) wür-

de beispielsweise eine obligatorische Krankentag-

geldversicherung voraussetzen.

Das Recht auf Fürsorge (Art. 13 ESC) wäre unter

anderem unvereinbar mit Art. 63 Abs. 1 Bst. c Aus-

ländergesetz (AuG), wonach die einem Ausländer

erteilte Niederlassungsbewilligung entzogen wer-

den kann, wenn der Ausländer dauerhaft in erheb-

lichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen ist.

Der Schutz der Wanderarbeitnehmer (Art. 19 ESC)

würde es erforderlich machen, dass Staatsangehö-

rigen von Albanien, Armenien, Aserbeidschan, Ge-

orgien, Moldawien und der Ukraine gewisse Frei-

zügigkeitsrechte eingeräumt würden.

Wenn es ausgeschlossen ist, dass die Schweiz die

Art. 12, Art. 13 und Art. 19 ESC anerkennt, dann

würde die Ratifi kation der ESC durch die Schweiz vo-

raussetzen, dass die Schweiz Art. 1, Art. 5, Art. 6,

Art. 7, Art. 16 und Art. 20 ESC anerkennt. Entgegen

anderslautenden Behauptungen, die in der letzten

Zeit zu lesen waren, würde die Anerkennung dieser

Artikel, beispielsweise diejenige von Art. 1 Ziff. 2

und Art. 6 Ziff. 4 ESC, aber nicht bloss «einige klei-

nere Anpassungen» des schweizerischen Rechts ver-

langen, sondern zahlreiche einschneidende Ände-

rungen mit sich bringen:

Die Anerkennung des Rechts des Arbeitnehmers,

durch eine frei übernommene Tätigkeit «seinen

Lebensunterhalt» zu verdienen (Art. 1 Ziff. 2 ESC),

würde – abgesehen vom Erlass eines umfassenden

Antidiskriminierungsgesetzes – den Erlass von

Mindestlohnvorschriften unumgänglich machen.

Nur Mindestlohnvorschriften können nämlich ge-

währleisten, dass der Lohn zur Bestreitung des Le-

bensunterhalts ausreicht. Nach dem liberalen Ver-

ständnis des schweizerischen Arbeitsrechts erhält

der Arbeitnehmer seinen Lohn aber nicht zur Be-

streitung seines Lebensunterhalts, sondern als Ge-

genleistung für seine Arbeitsleistung. Dass der

Lohn zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus-

reicht, ist deshalb nicht ohne weiteres gewährleis-

tet, sondern davon abhängig, wie viel die Arbeits-

leistung des Arbeitnehmers wert ist.

Die Anerkennung des Streikrechts (Art. 6 Ziff. 4

ESC) würde es erforderlich machen, politische

Streiks für zulässig zu erklären: Die Bundesverfas-

sung erlaubt Streiks insofern, als die Streikenden

ein Ziel verfolgen, das in einem Gesamtarbeitsver-

trag (GAV) geregelt werden kann. Streiks, mit de-

nen bloss Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt

werden soll, sind hingegen verboten. Art. 6 Ziff. 4

ESC gewährleistet demgegenüber auch das Recht,

politische Streiks zu führen. Nach Art. 6 Ziff. 4 ESC

setzt das Streikrecht nämlich einzig voraus, dass

ein «Interessenkonfl ikt» vorliegt.

Fundamentale Richtungsänderung allein aus Imagegründen?

Die Aargauische Industrie- und Handelskammer

(AIHK) lehnt die Ratifi kation der ESC – weiterhin –

entschieden ab. Es kann nicht geleugnet werden,

dass sie eine fundamentale Richtungsänderung der

schweizerischen Arbeits- und Sozialpolitik einleiten

würde. Allein deshalb, weil die Ratifi kation der ESC

das «Image» der Schweiz verbessern würde, sollte

namentlich unser liberales Arbeitsrecht, das sich für

die schweizerische Wirtschaft als Erfolgsfaktor er-

wiesen hat, nicht geopfert werden. Die AIHK ver-

langt zumindest, dass der Bundesrat die möglichen

Auswirkungen der Ratifi kation der ESC auf das

schweizerische Recht gründlich untersucht und voll-

ständig zusammenträgt, bevor über die Ratifi kation

weiter nachgedacht wird.

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