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Informationstechnik Die Stadt, die mitdenkt Energie Müll macht mobil Mikroelektronik Stapelbare Mikroelektronik Aus Pulver gebaut Das Fraunhofer-Magazin 4 /10 weiter.vorn

10-1483 FHG U2 03 · Natürlich gehen mit Prothese Ein Steuerungssystem setzt Gedanken in Bewegungen der Prothese um. Roboter Roboter mit Fingerspitzengefühl Der Workerbot kann sich

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InformationstechnikDie Stadt, die mitdenkt

EnergieMüll macht mobil

MikroelektronikStapelbare Mikroelektronik

Aus Pulver gebaut

Das Fraunhofer-Magazin 4 /10

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Die aktuellen Wirtschaftsdaten sind gut wie schon lange nicht mehr: Im zweiten Quartal 2010 stieg das Bruttoinlands-produkt im Vergleich zum ersten Vierteljahr um 2,2 Prozent. Die Unternehmen freuen sich über steigende Auftragsein-gänge. Es werden wieder mehr Güter exportiert, die Binnen-nachfrage nimmt zu. Viele Firmen schauen zuversichtlich in die Zukunft und gehen von steigenden Mitarbeiterzahlen aus. Keine Frage, jetzt zahlt sich das besonnene Handeln von Wirtschaft und Politik während der Finanzkrise aus. Die Unternehmen haben versucht, ihre hochqualifi zierten Mitar-beiter zu halten, anders als in der Rezession 2001/2002. Der massive Einsatz des Instruments Kurzarbeit und die von der Bundesregierung aufgelegten Konjunkturprogramme I und II haben die Unternehmen dabei gezielt unterstützt.

Doch um die eingehenden Aufträge abzuarbeiten und neue Produkte und Services zu entwickeln, brauchen die Unter-nehmen noch mehr gut ausgebildete Fachkräfte. Schon jetzt haben sieben von zehn Firmen Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen, warnt der Deutsche Industrie- und Han-delskammertag (DIHK). Laut einer Umfrage unter rund 1600 Unternehmen erwartet knapp die Hälfte der Befragten für die kommenden fünf Jahre einen Mangel an hochqualifi zierten Fachkräften. Die Folgen für die deutsche Wirtschaft wären enorm. Sogar im schwierigen Krisenjahr 2009 entgingen der Volkswirtschaft etwa drei Milliarden Euro an Wertschöpfung, weil Stellen nicht besetzt werden konnten.

Es fehlt insbesondere an Absolventen in den Fächern Mathe-matik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – kurz MINT. Im Jahr 2008 verließen knapp 86 000 Studenten mit einem MINT-Erstabschluss die deutschen Universitäten und Hochschulen. Dies entspricht etwa einem Drittel aller Absolventen. Doch um den Bedarf zu befriedigen, müssten mindestens 40 Prozent aller Hochschulabgänger einen MINT-Abschluss machen. Den größten Bedarf gibt es in den Inge-nieurwissenschaften: Schon heute fehlen – wie eine Unter-suchung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigt – knapp 36 000 Ingenieure.

weiter.vorn 4.10 EDITORIAL – 03

Die Situation wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen, denn auf 1000 erwerbstätige Ingenieure kamen 2007 nur 35 Absolventen. Zum Vergleich: In Spanien standen 1000 Ingenieure 90 Absolventen gegenüber, in Italien 147, in Polen und in Tschechien jeweils mehr als 200. Ausgerechnet dem Land der Techniker und Ingenieure geht der Nachwuchs aus. Im kommenden Jahrzehnt könnten 200 000 Ingenieure fehlen. Die Zahlen sind alarmierend, denn der Wirtschafts-standort Deutschland ist wie kein anderes europäisches Land abhängig von gut ausgebildeten Ingenieuren.

Politik, Wirtschaft und Wissenschaft versuchen seit Jahren, mehr junge Menschen für ein MINT-Studium zu begeistern. So bietet Fraunhofer zum Beispiel interessierten Schülerinnen und Schülern mit der Talent-School einen Einblick in die Ar-beit von Naturwissenschaftlern. Diese Anstrengungen zeigen erste Früchte: Der MINT-Absolventenanteil hat sich seit dem Jahr 2004 um mehr als zwei Prozentpunkte erhöht. Doch diese Steigerung reicht bei weitem nicht, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. Es gilt, auch bislang vernachlässigte Arbeitnehmergruppen – wie zum Beispiel Migranten – stärker für neue Aufgabe zu qualifi zieren. Auch das Potenzial der Frauen wird bislang noch unzureichend genutzt.

Wir brauchen engagierte und gut ausgebildete Fachkräfte, um die Grundlagen für ein künftiges Wachstum zu legen. Neuartige Schlüsseltechnologien wie die »Generative Ferti-gung«, die wir in der Titelgeschichte vorstellen, stimulieren Innovationen in vielen Bereichen. Umsetzen können die Unternehmen diese Potenziale aber nur, wenn sie Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter gewinnen, die diese neuesten Technologien beherrschen.

Aufschwung braucht Nachwuchs

Prof. Dr. Hans-Jörg Bullinger. © Bernhard Huber

04 - INHALTSVERZEICHNIS weiter.vorn 4.10

08TitelthemaAus Pulver gebautSchicht für Schicht werden Produkte aus Pulver hergestellt.

183D — mit ohneAuch ohne Brille kann man schon bald 3D-Filme im Fernsehen angucken.

28Mit Laserlicht in die grüne ZukunftAmerikanische Autoher-steller arbeiten an neuen, umweltfreundlichen Autos.

26Das Stromnetzspart Energie

Die Energie kommt auch über lange Seekabel zum

Verbraucher.

54Nachhaltige NahrungAus der Sonnenblume lässt sich nicht nur Öl gewinnen.

38Roboter mit

FingerspitzengefühlForscher arbeiten an einer

neuen Generation von Robotern für die Montage.

weiter.vorn 4.10 INHALTSVERZEICHNIS - 05

Inhalt

06 Spektrum

17 Kompakt

34 International

35 Gründerwelt

44 Fraunhofer Visuell

52 Firmenportrait

57 Panorama

58 Personalien

58 Impressum

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TitelthemaAus Pulver gebautDirekt aus den Konstruktionsdaten lassen sich Produkte schnell und kostengünstig herstellen.

InformationstechnologieEsperanto für medizinische DatenForscher arbeiten am sicheren Austausch von medizinischen Informationen.

Spielend musizierenDie Software Songs2See macht das Erlernen von Instrumenten einfacher.

3D — mit ohneFernsehen in der dritten Dimension auch ohne Brille.

Die Stadt, die mitdenktModerne Informationstechnologien für die Stadt der Zukunft.

Telekonferenz im WohnzimmerNeue Technologien bringen auch weitentfernte Freunde »virtuell« ins Haus.

EnergieElektroautos auf dem PrüfstandStromer im Härtetest.

Das Stromnetz spart EnergieEffi ziente und moderne Elektronik hilft Strom sparen.

Mit Laserlicht in die grüne ZukunftUmweltfreundliche Fertigungstechniken für Elektroautos.

Atomare KirschtortenForscher entwickeln Technologien, um aus Abwärme Strom zu gewinnen.

Müll macht mobilAus Abfällen gewonnenes Methan treibt Autos an.

MedizinNatürlich gehen mit ProtheseEin Steuerungssystem setzt Gedanken in Bewegungen der Prothese um.

RoboterRoboter mit FingerspitzengefühlDer Workerbot kann sich mit Mimik ausdrücken.

Robbie, bitte übernehmen SieMobile Serviceroboter unterstützen Pfl egekräfte im Altenheim.

Unter WasserAbtauchen mit Robotern: Sie können Hafenanlagen und Schiffsrümpfe inspizieren.

MikroelektronikStapelbare MikroelektronikMit 3D-Systemintegration lassen sich mehrere Ebenen in einem System aufbauen.

Mehr als MooreInterview mit Professor Dr. Herbert Reichl.

GesundheitNachhaltige NahrungDank neuer Verfahren lassen sich mehr Bestandteile von Pfl anzen für die Ernährung nutzen.

06 - SPEKTRUM weiter.vorn 4.10

Die Sepsis – Blutvergiftung – ist in Deutschland die dritthäufi gste Todes-ursache. Meist werden dem Patienten bei Verdacht auf eine bakterielle Infektion Breitbandantibiotika gegeben, bevor die Erreger exakt bestimmt werden können. Gegenwärtig dauert es zwei bis drei Tage, bis dem Arzt das Ergebnis der Blutuntersuchung vorliegt. Gemeinsam entwickeln For-scher der Fraunhofer-Institute für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM, für Angewandte Informationstechnik FIT, für Photonische Mikro-systeme IPMS und für Lasertechnik ILT eine Technologie, die die Bakterien schnell erkennt.

Das neue Verfahren markiert die Erreger im Blut farblich und trennt sie ab. Dann werden die Bakterien in einer Kultur vermehrt und ihre Resistenz auf Antibiotika getestet. Mit Hilfe der neuen Technologie weiß der Mediziner schon nach neun Stunden, welches Antibiotikum wirksam ist.

Ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energien können Haushalte und Unternehmen 2050 versorgt werden. Das ist technisch machbar: Wie es funktioniert, stellen Forscher vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtech-nik IWES in einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamts (www.umweltbundesamt.de) vor. Die unterschiedlichen Energiequellen wie Wind, Sonne, Biomasse und Speicher er-gänzen sich und können gut miteinander kombiniert werden, so dass jederzeit eine sichere und stabile Stromversorgung gewährleistet ist. In dem Szenario »Regionenverbund« berechneten die For-scher, wie dazu in Zukunft deutschlandweit Strom ausge-tauscht werden müsste. Nur eine geringe Menge kommt hierbei aus den Nachbarstaaten. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, die erneuerbaren Energien, die Netze und Speichersysteme hierzulande deutlich auszubauen. Außerdem gilt es, Energie einzusparen – beispielsweise durch Gebäude-dämmung. Auch die Stromnachfrage für Elektroautos, Wär-mepumpen und Klimatisierung lässt sich durch ein intelligen-tes Lastmanagement optimieren und zielgerichtet steuern.

Komplett versorgt

Es ist technisch machbar, in Zukunft Deutschland komplett mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen. © MEV

Das Smartphone warnt vor Überlastungen beim Sport. © dpa

Erreger schnell erkannt

Handy kennt die Herzfrequenz Jogger und Radfahrer können oft die eigene Laufgeschwindigkeit und Belastung schwer einschätzen. Eine Möglichkeit, das Training zu über-wachen, bietet ein Pulsmesser. Das Gerät zeigt die Herzfrequenz an und schützt den Sportler damit vor Überlastungen. Es besteht aus einem Brust-gurt, dem Sender, und einer Pulsuhr, dem Empfänger.

Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssyste-me FOKUS in Berlin arbeiten an einem neuen Systemmodul für Standard-Brustgurte, damit die Herzfrequenz auch mit dem Handy empfangen werden kann. Der BlueHeart-Adapter überträgt die Signale direkt auf das Smartphone. Er ist klein, kompakt, sehr leicht und wird am Brustgurt befestigt. Auch Ausdauersportler, die in Gruppen trainieren, können die Daten der einzelnen Teilnehmer abgleichen und auswerten.

weiter.vorn 4.10 SPEKTRUM - 07

Sogar in sehr feine Kleiderstoffe können Elektro-nik und Mikrosysteme integriert werden – nicht nur Displays und Leuchtdioden, sondern auch Sensoren und Steuerungselektronik. Möglich wird das durch dehnbare Schaltungsträger, die die Forscher vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin sowie der TU Berlin im europäischen Forschungsprojekt »Place-IT« bearbeiten. Basis-material ist eine dehnbare Folie aus Thermoplas-tischem Polyurethan (TPU). TPU ist reiß- sowie abriebsfest und wird in der Textilindustrie bereits vielseitig eingesetzt. Damit die Leiterbahnen ge-dehnt werden können, sind sie in Form kleiner Mäander auf dem Substrat aufgebracht.

Viele Produkte sind möglich: Die schlauen Gewebe helfen überall dort, wo Körperdaten gemessen und überwacht werden müssen. So könnte ein Trikot die Atmung von Kleinkindern überwachen, um den plötzlichen Kindstod zu verhindern. Ein »intelligenter« Wundverband kann Sekrete detektieren oder mittels Druckmes-sung dafür sorgen, dass der Verband nicht zu eng sitzt. Die Forscher entwickeln auch Pfl aster, die durch Elektrostimulation den Wundheilungs-prozess beschleunigen.

Risse riechenKünftig kann man Beschädigungen an Fahrradhelmen riechen. Denn nur einwandfreie Helme halten im Notfall, was sie versprechen. Daher empfi ehlt es sich, den Kopfschutz nach einiger Zeit auszutauschen. Ein neues Verfahren der Fraunhofer-Institute für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen und für Werkstoff-mechanik IWM in Freiburg sorgt dafür, dass Duftöle ausströmen, wenn die Kunststoffe beschädigt oder stark verformt werden. Verantwortlich für den Geruch sind Duftöle, die in Mikrokapseln verschlossen sind. Die Forscher arbeiten die Kapseln als Zusatzstoff in eine Polypropylenmasse ein, die sie dann im Spritzgussverfahren zum endgültigen Bauteil formen können. Zuvor haben sie über Probandentests die ideale Werkstoffkom-bination ermittelt und mit Hilfe von numerischen Simulationen die erforderliche Anzahl der Duftkapseln für eine spezifi sche Anwendung errechnet.

Das Verfahren eignet sich nicht nur für alle schwer auf Defekte zu testenden Teile wie Fahrrad-, Motorrad- oder Bauhelme. Es lässt sich auch zum Überprüfen von Druck-schläuchen wie Waschmaschinenzuleitungen einsetzen, die verdeckt verbaut sind. Geruchssensoren könnten auch Kunststoffrohre für die Wasser- und Gasversorgung auf kritische Defekte hin überwachen, da sie ausströmende Duftstoffe über weite Entfer-nungen hinweg registrieren.

Empfi ndsame RoboterhautRoboter erobern neue Einsatzfelder – etwa in der Produktion, im Haushalt oder im Pfl ege-bereich. Für die notwendige Sicherheit bei der Zusammenarbeit mit Menschen sorgt ein taktiles Sensorsystem, das sich als künstliche Haut direkt auf dem Roboter anbringen lässt und ihn komplett umhüllt. Diese Haut des Robo-ters besteht aus leitfähigem Schaumstoff und Textilien. Implementierte Sensorzellen, deren Form und Größe je nach Einsatzfall variieren können, detektieren jede Berührung zuverlässig. Ein Sensorcontroller verarbeitet die Messwerte und leitet sie an den Roboter, wahlweise auch

an einen Rechner, eine Maschine oder eine Produktionsanlage weiter. Wird sie in Fußböden integriert, erkennt sie jede Person, die sie betritt.

Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbe-trieb und -automatisierung IFF in Magdeburg haben das Sensorverfahren 2008 für den mobilen Assistenzroboter LISA entworfen und zum Patent angemeldet. Aufgabe von LISA war es, in Biotechnik-Laboren Brutschränke und Messgeräte mit Probenschälchen zu bestücken und das Laborpersonal von solchen Tätigkeiten zu entlasten.

Der beschädigte Helm setzt Duftstoffe frei. © Fraunhofer IWM

Schlaues Gewebe

Die Leiterbahnen bestehen wie bei einer gewöhnlichen Leiterplatte aus Kupfer. Es wird auf die Polyurethanfolie laminiert, vereinfacht gesagt: unter Druck aufgebügelt. © Fraunhofer IZM

08 - TITELTHEMA weiter.vorn 4.10

Der kleine Greifer wird direkt via Datenmodell und Rechner aus Pulver gefertigt. © Volker Steger

Aus Pulver gebaut

weiter.vorn 4.10 TITELTHEMA - 09

Individuell angepasste Hörgeräte, maßgeschneiderte Zahnkronen oder Kno-

chenimplantate, Bauteile für Autos und Flugzeuge — das sind einige der

ersten generativ gefertigten Produkte. Sie werden direkt aus den Kon-

struktionsdaten Schicht für Schicht aus Pulver hergestellt — schnell und

kostengünstig. Doch noch ist »Additive Manufacturing« ein Nischenmarkt.

Forscher arbeiten an neuen Materialien und verbesserten Prozessen, um

die generative Fertigung für weitere Anwendungen interessant zu machen.

Text: Birgit Niesing

In der Vitrine ist eine ungewöhnliche Mischung von Gegen-ständen zu sehen: eine Beinprothese, ein metallener Turbola-der, kleine Greifer für Roboter aus Plastik, ein Hüftimplantat aus Titan, ein keramischer Quader, aufgebaut aus einer fi ligranen Gitterstruktur. »So unterschiedlich die Objekte auch sind, eines haben sie gemeinsam«, verrät Dipl.-Ing. Andrzej Grzesiak, »sie wurden alle mit generativen Fertigungsverfah-ren Schicht für Schicht aus Pulver aufgebaut.«

Wie das funktioniert, erklärt der Sprecher der Fraunhofer-Allianz Generative Fertigung (s. Kasten S. 11) am Beispiel des Selektiven Laserschmelzens (Selectiv Laser Melting, SLM). »Zunächst wird eine dünne Schicht Pulver aufgetragen. Gemäß den computergenerierten Konstruktionsdaten des geplanten Werkstücks wird das Pulver dann an den vorgege-benen Stellen mit einem starken Laserstrahl zum Schmelzen gebracht«, erläutert Grzesiak das Prinzip. Danach senkt sich die Fertigungsplattform ab, eine neue Lage Pulver wird auf-getragen, wieder selektiv geschmolzen und mit der darunter-liegenden Schicht verbunden. So entsteht innerhalb einiger Stunden – Schicht für Schicht – das Werkstück.

»Das Ganze funktioniert im Grunde ähnlich wie ein Drucker, aber in drei Dimensionen«, fasst der Forscher zusammen. Die Bauteile können je nach Ausgangsstoff und Anwendung auch mit Stereolithographie, selektivem Lasersintern oder 3D-Druckern gefertigt werden. Es können zum Teil sogar fl üssige Werkstoffe verarbeitet werden. Die generativen Verfahren haben Forscher vor mehr als 20 Jahren entwickelt, um schnell erste Prototypen (Rapid Prototyping) zu fertigen. Heute nut-zen Firmen die Technologie auch um individuelle Einzelstücke oder Kleinserien herzustellen (s. Kasten S. 12).

Fertigung der unbegrenzten Formen

Bei der generativen Fertigung werden weder spezielle Werk-zeuge noch Formen gebraucht. Das spart Zeit und senkt die Herstellungskosten. Zudem fällt kaum Abfall an – das über-schüssige Pulver kann einfach wiederverwendet werden. »Der größte Vorteil ist jedoch, dass die generativen Fertigungsver-fahren eine nahezu unbegrenzte gestalterische und konstruk-tive Freiheit bieten. Sie ermöglichen die Herstellung beliebig komplexer Geometrien und innerer Strukturen. Damit lassen

10 - TITELTHEMA weiter.vorn 4.10

sich Bauteile fertigen, die mit konventionellen Verfahren nicht herzustellen sind«, betont Grzesiak. Sogar komplizierteste Formen mit spiralförmigen Hohlkanälen und Hinterschnitten können in Metall, Kunststoff oder Keramik künftig in einem Stück gefertigt werden.

In Zeiten immer kürzer werdender Produktlebenszyklen und zunehmend individualisierter Waren können generative Verfahren Unternehmen helfen, laufend neue innovative Produkte schneller zu entwickeln. Dennoch ist Additive Ma-nufacturing noch ein Nischenmarkt. Der weltweite Jahres-umsatz betrug 2008 etwa 1,2 Milliarden US-Dollar. Doch für dieses Jahr gehen die Experten der Beratungsfi rma Wohlers Associates von einem deutlichen Anstieg aus: Laut dem »Additive Manufacturing State of the Industry Annual World-wide Progress Report« wird das Segment um 13,8 Prozent wachsen. Einen Schub erwarten die Experten von dem ersten bürotauglichen Designjet-3D-Drucker, den Hewlett Packard vor wenigen Monaten auf den Markt gebracht hat. Der Drucker erzeugt robuste Kunststoffmodelle aus den von den 3D-Konstruktionsprogrammen gelieferten Datensätzen. So können Anwender in kürzester Zeit hochpräzise Prototypen direkt in ihrem Büro erstellen. Über Google SketchUp lassen sich zum Beispiel dreidimensionale Modelle von beliebigen Objekten erstellen. Das macht Rapid-Technologien auch für kleine Firmen interessant. Außerdem erleichtern erste Stan-dardisierungen – wie die VDI-Richtlinie 3404 und die Defi ni-tion von »Additive Manufacturing« – den Einsatz generativer Verfahren in der industriellen Fertigung.

Doch bis Rapid Manufacturing stärker in der Industrie einge-setzt werden kann, bedarf es noch einiger Forschungs- und Entwicklungsarbeit. »Derzeit sind im Vergleich zur konven-tionellen umformenden oder spangebenden Produktion für generative Fertigungsverfahren nur wenige qualifi zierte Werkstoffe verfügbar. Fraunhofer-Forscher arbeiten daran weitere Materialien zu entwickeln«, beschreibt Grzesiak einige Arbeitsschwerpunkt der Allianz Generative Fertigung. »Zudem müssen die Prozesse stabil und zuverlässig laufen, nur dann lassen sich Produkte in Serie herstellen.«Komplexe Geometrien in Leichtbau

In einigen Bereichen sind Rapid-Technologien schon nicht mehr wegzudenken – etwa in der Dentaltechnik. Individuelle Produkte wie Zahnersatz oder Gebisse lassen sich mit gene-rativen Verfahren schneller und preisgünstiger fertigen. Eine Laser-Sinter-Anlage stellt täglich mehr als 500 Zahnkronen her, mit traditioneller Gusstechnik schafft ein Zahntechniker gerade zehn. Rapid-Technologien ermöglichen zudem die Fertigung passgenauer Hörgeräte auf Knopfdruck. Dazu wird einfach mit einem 3D-Scanner der äußere Gehörgang ver-messen und als Datenmodell in einen Rechner eingegeben. Am Computer lässt sich das virtuelle Gehäuse nach mecha-nischen und akustischen Tests optimieren. Danach wird es

mittels Lasersintern oder Stereolithographie gefertigt. Heute werden weltweit bereits mehr als 40 Prozent aller Hörgeräte-schalen generativ hergestellt. Mit der Technik lassen sich aber auch Konsumgüter in kleinen Stückzahlen herstellen. Es gibt schon erste lasergesinterte Möbel, Lampen und Accessoires auf dem Markt.

Zu den Unternehmen, die generative Fertigungstechnologie erfolgreich einsetzen, gehört die Festo AG in Esslingen bei Stuttgart. Die Firma hat zum Beispiel einen bionischen Greifer nach dem Vorbild der Fischfl osse entwickelt. Drückt man mit dem Finger leicht gegen die Schwanzfl osse einer Forelle, so knickt diese nicht in Druckrichtung weg, sondern bewegt sich zum Finger hin. Möglich macht das der Flossenstrahlef-fekt. Der »FinGripper« besteht aus drei Fingern in Form der Fin-Ray-Struktur – ähnlich der Schwanzfl osse. Trotz seiner komplexen fi ligranen Struktur lässt er sich kostengünstig mit Selective Laser Sintering herstellen. Der besondere Vorteil: Das Bauteil ist um 90 Prozent leichter als ein herkömmlicher Greifer aus Metall.

Biologisches Vorbild eines weiteren Handling-Assistenten, den Ingenieure von Festo gemeinsam mit Forschern des Fraun-hofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart entwickelt haben, war der Elefantenrüssel. Er ist fl exibel, überträgt hohe Kräfte und ist ein äußerst präzises Greifwerkzeug. »Mit dem Rapid Manufacturing lassen sich sehr schnell komplexe Geometerien in Leichtbauweise reali-sieren. Es erlaubt die Herstellung individueller, beweglicher

Von der Natur abgeschaut – für die Natur aufgebaut: Mit dem FinGripper von Festo gelingt es, natürlich gewachsene Früchte, Knol-len oder druckempfi ndliche Lebensmittel schnell und sicher zu handhaben. © Festo

weiter.vorn 4.10 TITELTHEMA - 11

Systembauteile aus Polyamid«, sagt der Experte für generative Fertigung Andrzej Grzesiak. Das neuartige Handlingsystem überzeugte die Jury für den deutschen Zukunftspreis. Sie nominierte das Projekt für den Preis des Bundespräsidenten, der Anfang Dezember verliehen wird.

Aber auch die Luft- und Raumfahrtindustrie, Automobilher-steller und Zulieferer nutzen generative Fertigung. Boeing setzt zum Beispiel im 787 Dreamliner für eine Reihe von nicht-kritischen Bauteilen Laser-Sinter-Komponenten ein. Additive Techniken ermöglichen es Unternehmen zudem, Ersatzteile für Flugzeuge zu produzieren. Forscher des Fraun-hofer-Instituts für Lasertechnik ILT in Aachen haben in dem EU-Projekt FANTASIA gezeigt, dass sich sogar kompliziert geformte Komponenten von Flugzeugtriebwerken kosten-günstig mit selektivem Laserschmelzen (SLM) fertigen lassen. Mit SLM und weiteren lasergestützten generativen Verfahren verkürzen sich die Durchlaufzeiten für die Instandsetzung um 40 Prozent und mehr. Bis zu 50 Prozent des notwendigen Materials und mindestens 40 Prozent der Reparaturkosten können zukünftig eingespart werden.

»Mit generativen Verfahren gelingt es nicht nur, beschädigte Triebwerksteile perfekt zu reparieren, sondern auch komplet-te Komponenten zu fertigen, die man mit konventionellen Methoden wie Fräsen oder Gießen prinzipiell nicht herstellen kann«, sagt Dr. Konrad Wissenbach vom ILT. »Damit werden auch Geometrien und Designs möglich, von denen man bisher nicht zu träumen wagte.« Noch ist das SLM-Verfahren

allerdings nicht für jeden Turbinenwerkstoff geeignet. Bisher arbeiten die Forscher mit Inconel 718, einer Nickelbasis-Superlegierung sowie mit Titanlegierungen.

Bauteile aus Metall

Fraunhofer-Forscher beschäftigen sich damit, weitere Mate-rialien für das Additive Manufacturing zu erschließen. Dass sich auch Aluminium als Werkstoff für generative Verfahren eignet, haben Wissenschaftler des ILT am Beispiel eines Ventils aus AlSi10Mg gezeigt. In Kooperation mit einem In-dustriepartner konnten die Ingenieure nachweisen, dass sich der Herstellungsprozess für sechs serienidentische Funktions-prototypen von 120 Arbeitstagen bei Druckguss auf sieben Arbeitstage mit dem SLM Verfahren reduzieren lässt. Die generativ gefertigten Ventile verfügen dabei mindestens über die gleichen mechanischen Eigenschaften wie konventionell gefertigte Bauteile. Bei einzelnen Eigenschaften übertreffen sie diese sogar. Primäres Ziel bei der Qualifi zierung eines Werkstoffs für das SLM ist eine Bauteildichte von etwa 100 Prozent ohne Risse oder Bindefehler. Aluminium-Legierungen werden unter anderem in der Automobilindustrie, im Maschi-nenbau oder in der Flugzeugindustrie genutzt.

Bisher werden beim selektiven Laserschmelzen vor allem handelsübliche Pulverwerkstoffe wie Edelstahl, Werkzeug-stahl, Titan-, Aluminium-, Kobalt- und Nickel-Legierungen eingesetzt. Die Verarbeitung von Kupfer- und Kupferlegierun-gen ist schwer, da der Werkstoff Wärme gut leitet. Forscher

Schnell und kostengünstig Modelle, Prototypen, Werkzeu-ge und Produkte erzeugen – das ermöglicht die »Genera-tive Fertigung«. In der Fraunhofer-Allianz Generative Ferti-gung haben sich zehn Institute zusammengeschlossen, um Anwendungen des »Rapid Prototyping«, »Rapid Tooling« und »Rapid Manufacturing« weiterzuentwickeln. Mit dem Einsatz der schichtbildenden Verfahren lassen sich Pro-duktentwicklungszeiten verkürzen, schlanke Prozessketten realisieren und wichtige Ressourcen effi zienter nutzen.

Schwerpunkte der Allianz sind Engineering, Werkstoffe, Technologien und Qualität. Aktuelle Forschungsergebnisse stellt die Allianz auf der Messe Euromold (1. bis 4. Dezem-ber 2010 in Frankfurt/Main) in Halle 11, D66/67 aus.

Beteiligt sind die Fraunhofer-Institute für:

– Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM

– Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF– Keramische Technologien und Systeme IKTS– Lasertechnik ILT – Produktionstechnik und Automatisierung IPA– Produktionstechnologie IPT– Werkstoffmechanik IWM– Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU– Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM– Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT

www.generativ.fraunhofer.de

Fraunhofer-Allianz Generative Fertigung

cschrai
Unterstreichen

12 - TITELTHEMA weiter.vorn 4.10

des ILT haben ein Lasersystem mit 1000 Watt Leistung in eine bestehende SLM-Anlage integriert, so ist es erstmals möglich, Bauteile aus verschiedenen Kupferlegierungen mit einer Dich-te von 99,9 Prozent generativ zu fertigen. Außerdem arbeiten die Forscher daran auch keramische Werkstoffe einzuset-zen. Eine aktuelle Weiterentwicklung des Verfahrens am ILT ermöglicht jetzt die Herstellung von Objekten aus hochfester Zirkonoxid (ZrO2)-/-Aluminiumoxid (Al2O3)-Keramik.

Dank Rapid Manufacturing lassen sich sogar in metallische Komponenten Funkchips integrieren. Das Verfahren haben Forscher vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen entwickelt. In nur einem Arbeitsprozess werden die »intelligenten« Metallbauteile mit RFID-Chips ausgestattet. Dabei wird das dreidimensionale CAD-Modell aus dem Computer direkt von einer Maschine Schicht für Schicht als Prototyp aufgebaut. Diesen Prozess können die Fraunhofer-Wissenschaftler so steuern, dass der eingebaute RFID-Chip völlig vom Material umschlossen ist.

Forscher des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz fertigen mit generati-ven Verfahren Umformwerkzeuge. Wie sich die Technologie einsetzen lässt, zeigen sie am Beispiel eines Schmiedege-senks. Von der dreidimensionalen CAD-Werkzeugkonstruk-tion über die Prozesssimulation, dem Laserschmelzen der Gesenkeinsätze bis hin zum Schmieden ist die generative Prozesskette genutzt worden, um unter produktionsähnlichen

Bedingungen Vorteile und Besonderheiten gegenüber der konventionellen Werkzeugfertigung zu erforschen.

Die generative Fertigung erobert sich ständig neue Anwen-dungsgebiete. In der Medizintechnik bereitet das Selective Laser Melting den Weg für eine neue Generation medizini-scher Implantate. Der große Vorteil: Die Implantate lassen sich individuell anpassen und mit poröser Struktur fertigen. Forschern des ILT ist es gelungen, gemeinsam mit ihren Kolle-gen vom Lehrstuhl für Lasertechnik LLT an der RWTH Aachen SLM für die Titan-Aluminium-Vanadium-Legierung TiAl6V4 zu qualifi zieren und in dem Projekt »Elastobone« maßge-schneiderte Implantate zu fertigen. Als Vorlage dienen CAD-Modelle, etwa aus den Daten einer Computer-Tomographie. Mit dem neuen Verfahren haben die Forscher ein künstliches Hüftgelenk herstellt. 2008 wurde dieses Individualimplantat erstmals eingesetzt.

Ersatzknochen aus der Laserschmelze

Die Forscher des ILT arbeiten bereits an der nächsten Gene-ration künstlicher Knochen – an resorbierbaren Implantaten. Die abbaubaren künstlichen Knochen regen die Regeneration des Körpers an. Die Besonderheit: In Abständen von wenigen hundert Mikrometern durchziehen feine Kanäle das Implan-tat. Die Porenkanäle schaffen eine Gitterstruktur, in die der angrenzende Knochen hineinwachsen kann. Dieser Aufbau wird durch das selektive Laserschmelzen möglich. »Das Grundgerüst der Ersatzknochen besteht aus dem Kunst-

Rapid Prototyping — Additive Manufacturing

Die schnelle Herstellung von Musterbauteilen aus digitalen Konstruktionsdaten, das »Rapid Prototyping«, wurde Ende der 1980er Jahre in den USA entwickelt. Die Anwen-dungsgebiete haben sich seither ständig erweitert. Mit den Verfahren lassen sich auch schnell Werkzeuge (Rapid Tooling) und gar Produkte fertigen (Rapid Manufacturing). Heute spricht man vom »Additive Manufacturing« (AM) oder auch der »Generativen Fertigung«.

Verbesserte Materialien und Prozesse erlauben die direkte Herstellung von Produkten als Einzelstück oder in Kleinserien. In innovationsstarken Industriezweigen wie der Luft- und Raumfahrt, der Automobil- und Automobil-zulieferindustrie, der Medizintechnik sowie in der Elektro- und Elektronikbranche gehören die Verfahren heute zum Alltag. Die Generative Fertigung senkt die Produktent-wicklungszeit und spart Kosten.

Mittels »Selective Laser Melting (SLM)« können metallische Bauteile mit beliebig komplexen Geo-metrien realisiert werden. © Fraunhofer ILT

weiter.vorn 4.10 TITELTHEMA - 13

stoff Polylactid, kurz PLA. Darin eingelagerte Körnchen aus Tricalciumphosphat (TCP) sorgen für Festigkeit und regen den natürlichen Knochenheilungsprozess an«, sagt Simon Höges, Projektleiter am ILT. Das Material lässt sich allerdings nur dort einsetzen, wo es nicht zu stark belastet wird: So sollen die »Resobone«-Implantate vor allem fehlende Gesichts-, Kiefer- und Schädelknochen ersetzen. Sie können derzeit bis zu 25 Quadratzentimeter große Lücken schließen.

Als Vorlage für die passgenaue Fertigung der Implantate dienen Computer-Tomographien des Patienten. Die Arbeits-abläufe von den CT-Aufnahmen über die Konstruktion des Implantats bis hin zu seiner Fertigung sind so aufeinander abgestimmt, dass sich Ersatz für ein defektes Jochbein in we-nigen Stunden und ein fünf Zentimeter großes Schädelstück über Nacht herstellen lassen. Die resorbierbaren Implantate entstanden im Projekt »Resobone« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Mit generativen Technologien lassen sich auch Prothesen fertigen. Ingenieure des Fraunhofer IPA haben gemeinsam mit der Firma Gottinger GmbH eine neuartige Beinprothese entwickelt. An Stelle der aufwändigen Anprobe am Pati-enten werden die erforderlichen Daten und individuellen Maße direkt am Computer generiert und anschließend in die Konstruktion integriert. Besonderes Augenmerk wurde auf das Design gelegt: »Wir wollen den Amputierten neue Möglichkeiten bieten, trotz ihrer Beeinträchtigung den Alltag zu meistern, indem sich die Prothese nicht nur funktional,

sondern auch gestalterisch an den Lebensstil des Betroffenen anpasst«, erläutert Grzesiak. Erste Patienten testen bereits die Beinprothese. Der neuartige Gliedersatz ist derzeit auch in der Ausstellung »Working Prototypes« im DHuB-Museum in Barcelona zu sehen.

Großes Potenzial sieht der Sprecher der Fraunhofer-Allianz Generative Fertigung in weiteren Branchen in der Mikrosys-temtechnik und Biomedizin. Ein Beispiel: Peptid-Arrays – ein Werkzeug, um neue medizinische Wirkstoffe, Impfstoffe, Diagnose- oder Therapieverfahren zu entwickeln – lassen sich mit generativen Verfahren kostengünstig herstellen. Ein Team aus Wissenschaftlern des Deutschen Krebsfor-schungszentrums (DKFZ) in Heidelberg und des IPA hat dazu eine Art Drucker für Biochips entwickelt. Gedruckt wird auf Glas. Die 20 unterschiedlichen Aminosäuren, aus denen Eiweiße aufgebaut sind, werden aus 20 Tonern gedruckt. Schicht für Schicht werden die Aminsäuren aufgetragen und zu Peptiden verkettet. Dank der generativen Fertigung lassen sich die Kosten um mindestens den Faktor 100 senken. Die fertigen Arrays können zu einem Preis von wenigen Cent pro Peptid angeboten werden. Fraunhofer-Forscher planen aber schon weiter. Sie wollen künftig sogar Venen, Haut oder gar ganze Organe drucken. »Aber das ist noch Zukunftsmusik«, betont Grzesiak.

www.fraunhofer.de/audio: online ab 23. September 2010

Schicht für Schicht aufge-baut: Teilnachbildung eines menschlichen Kieferkno-chens (Bild links). RFID-Chips sind in Metallteilen vollständig eingebaut (Bild rechts).© Fraunhofer IFAM

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14 - INFORMATIONSTECHNOLOGIE weiter.vorn 4.10

Spanien: ein kleines, idyllisches Dorf weit abseits der großen Touristenmeilen. Am Morgen ver-spürt der Feriengast einen dumpfen Schmerz im Bauch. Nur ein harmloses Grimmen, verursacht durch das ungewohnte Essen? Oder ist es etwas Ernstes, eine Infektion oder gar ein Geschwür? Der Reisende ist besorgt und möchte lieber einen Arzt konsultieren. Nur: Seine Spanisch-kenntnisse reichen gerade mal, um sich in der Tapas-Bar etwas Essbares und ein kühles Bier zu bestellen. Zwar scheint der Doktor, den er aufsucht, freundlich und kompetent, aber er spricht nicht Deutsch. Bleibt die Zeichensprache – eine höchst unvollkommene Art der Anamne-se. Doch dann tippt der Arzt ein paar Befehle in seinen PC. Kurze Zeit später tauchen auf dem Bildschirm die wichtigsten medizinischen Daten des Touristen auf: Vorerkrankungen, Allergien, Unverträglichkeiten, regelmäßig einzunehmende Medikamente. Rasch kann sich der Doktor ein Bild über seinen deutschen Patienten machen. Das erleichtert die Diagnose: Nein, Señor, wahrscheinlich ist es nichts Ernstes. Ein paar Magentropfen, dann dürfte es Ihnen bald wie-der besser gehen.

Noch ist dieses Szenario eine Vision. Denn heute stochert ein Arzt nicht selten im Nebel, wenn er einen ausländischen Patienten vor sich hat, wo-möglich sogar als Notfall. Im Extremfall könnte es passieren, dass der Doktor, weil er es nicht besser weiß, ein Medikament verabreicht, auf das der Patient allergisch reagiert.

Auch außerhalb der Urlaubssaison reisen immer mehr Menschen berufl ich oder privat zwi-schen verschiedenen Ländern. Ein Beispiel: Ein Ingenieur, der in Aachen lebt und in Maastricht arbeitet, muss sich sicher sein können, bei einem medizinischen Notfall sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden optimal versorgt zu werden. Erst im Juni dieses Jahres haben sich die EU-Gesundheitsminister auf vereinfachte Regelungen für Arztbesuche im EU-Ausland verständigt und wollen, dass Patienten künftig

ambulante Behandlungen im Ausland ohne vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse beanspruchen können. Hierbei würde derunkomplizierte Zugriff auf die wichtigsten me-dizinischen Daten auch ausländischer Patienten würde die Behandlungen im Ausland erheblich vereinfachen. Um dies in die Praxis zu umzu-setzen, braucht es aber bestimmte technische Voraussetzungen. Genau hierum kümmert sich ein EU-Projekt namens »epSOS« (Smart Open Services for European Patients), an dem auch das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST beteiligt ist. »Die Herausfor-derung liegt darin, die Patientendaten aus einem Land zuverlässig und sicher in anderen Staaten nutzbar zu machen«, sagt Jörg Caumanns, Leiter der Abteilung Sichere Business-IT-Infrastrukturen am ISST in Berlin.

Wichtige Patienteninformationen werden übertragen

»Es geht nicht darum, komplette Patientenak-ten via Internet von einem Staat zum anderen zu schicken und deren gesamten Inhalt zu übersetzen, etwa vom Deutschen ins Spani-sche«, erläutert Caumanns die Aufgabenstel-lung. Stattdessen sollen lediglich bestimmte Basisdaten übertragen werden, in denen die wichtigsten Patienteninformationen in Form von Zahlencodes zusammengefasst sind. »Es steht also nicht in Worten, dass der Patient mal eine Blinddarm-OP hatte«, erklärt Caumanns. »Die Informationen sind vielmehr in einen Zahlen-code gefasst.« Dieser nur in Deutschland gültige Code muss dann in jene Zahlenfolge übersetzt werden, die in Spanien für die Blinddarmope-ration steht.

Zwar verwenden heute praktisch alle EU-Länder solche Zahlencodes in ihren Gesundheitssyste-men. Allerdings gelten in jedem Staat andere Codes, zudem unterscheiden sich die Datensät-ze in ihrer Struktur. Im epSOS-Projekt musste daher eine Methode entwickelt werden, mit

Forscher arbeiten am sicheren Austausch von medizinischen Informationen in Europa.

Text: Frank Grotelüschen

Esperanto für medizinische Daten

© dpa

weiter.vorn 4.10 INFORMATIONSTECHNOLOGIE - 15

der sich die Datensätze harmonisieren und die verschiedenen Codes übersetzen lassen. Dazu haben die Experten ein europäisches Code-Sche-ma entworfen, quasi ein »Daten-Esperanto«. Die Idee: Jedes Land stellt seine Patienteninfos im Esperanto-Format zur Verfügung. Mediziner aus anderen EU-Staaten können diese Dateien dann bei Bedarf abrufen. Eine Software übersetzt das Esperanto automatisch ins landestypische Format. Konkret soll dabei jedes EU-Land einen »National Contact Point« einrichten. Diese fungieren als Brücken, über die die Gesund-heitsdaten exklusiv fl ießen werden – und zwar verschlüsselt. Das soll der Datenschutz garan-tieren. Um zu verhindern, dass Unbefugte an die sensiblen Patienteninformationen gelangen, wird sich ein Mediziner, der die Daten einsehen will, durch einen elektronischen Arztausweis authentifi zieren müssen. Gleichzeitig muss auch der Patient ausdrücklich sein Einverständnis zum paneuropäischen Datentransfer erklären. Zur Sicherheit trägt ebenfalls bei, dass die Informa-tionen in den bereits existierenden nationalen

IT-Systemen verbleiben, statt zentral in einer Datenbank gespeichert zu werden. »Damit wird ausgeschlossen, dass sich jemand Patientenda-ten in großem Maßstab besorgen kann«, sagt Jörg Caumanns.

Pilotprojekte starten im kommenden Jahr

Die technischen Spezifi kationen darüber, wie die Sicherheitsregularien aussehen und die Daten-sätze übertragen werden, sind mittlerweile fertig. Nun arbeiten die Fraunhofer-Wissenschaftler gemeinsam mit ihren Projektkollegen daran, das Ganze als »Open-Source«-Software zu program-mieren. Auf deren Basis kann dann jedes interes-sierte EU-Land seine eigene, spezifi sche Lösung weiterentwickeln. Anfang 2011 sollen die ersten Pilotprojekte starten. Zunächst wird der sichere länderübergreifende Austausch von Patientenin-formationen mit Testdaten erprobt. Momentan nehmen zwölf Länder der Europäischen Union an dem Projekt »epSOS« teil.

»Bereits jetzt ist geplant, das System auf weitere EU-Länder auszudehnen«, berichtet Caumanns. Wann aber das neue System fl ächendeckend in Europa zum Einsatz kommen könnte, wird die Politik entscheiden müssen. In Deutschland soll das System übrigens mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte verknüpft werden, die derzeit in der Bundesrepublik getestet wird.

Die epSOS-Experten arbeiten derzeit noch an einer weiteren Anwendung – dem »elektroni-schen Rezept«. Damit können sich Patienten, die auf bestimmte Medikamente angewiesen sind, die Arzneien auch im Urlaub oder auf Dienstreisen besorgen, ohne dafür im Ausland extra einen Arzt aufzusuchen. Sie lassen sich stattdessen in Deutschland das Rezept ausstel-len, um es später in einer Apotheke im europäi-schen Ausland elektronisch einzulösen.

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16 - INFORMATIONSTECHNOLOGIE weiter.vorn 4.10

Im digitalen Zeitalter lernen Kinder die Welt der Töne und Rhythmen oft nicht mehr über ein In-strument kennen, sondern mit dem Computer – auf Wii oder XBox laufen Programme wie Sing-star, Guitar Hero oder Rock Band. Anstatt eines echten Instruments halten die Kinder einen Game Controller in Händen, der auch schon mal wie eine Gitarre aussieht, aber Knöpfe statt Sai-ten hat, die der Spieler treffen muss. »Unser Ziel ist es, Menschen, die ein Instrument erlernen wollen, noch mehr Freude und Abwechslung zu bieten, mit Elementen, die sie vielleicht schon von Computerspielen kennen. Das motiviert und schult sowohl das musikalische Wissen als auch die motorischen Fähigkeiten«, sagt Christian Dittmar vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT in Ilmenau.

Der Clou bei Songs2See: Lieblingslieder sind mit wenigen Mausklicks in Übungsstücke verwandelt und lassen sich im Nu als indivi-duelle Übungsmappe zusammenstellen. Wie das funktioniert, erklärt Christian Dittmar: »Als erstes wählt der Übende den Song aus seiner CD oder MP3-Sammlung aus und spielt ihn in die Software ein. Das ist rechtlich kein Problem, da er das Lied ja gekauft hat und es nur für private Zwecke verwendet. In diesem Fall hört er die Musik jedoch nicht einfach an, sondern

nutzt sie, um zu musizieren.« Auf Klick können Spielerin oder Spieler auswählen, mit welchem Instrument sie musizieren – das Angebot des ak-tuellen Prototypen umfasst Blockfl öte, Glocken-spiel und Melodika. Später werden auch Klavier, Gitarre, Trompete, Saxophon oder Schlagzeug unterstützt. Beim nächsten Klick stellt die Software die Audiodatei in drei unterschiedli-chen Arten dar. Zum einen als Notenblatt, zum zweiten zeigt sie dem Spieler oder der Spielerin, welche Griffe oder Anschläge am Instrument in welcher Reihenfolge gemacht werden müssen. Schließlich gibt es noch eine intuitive Darstel-lung – ähnlich wie bei den Musikspielen für den Computer, die mit Hilfe von Balken die Dauer und die Höhe der jeweiligen Töne anzeigt.

Jetzt ist alles so weit, dass der Lernende zum Instrument greifen und mit dem Lied üben kann. Dabei nimmt ein Mikrophon – bei den meisten Computern ist das integriert – das Gespielte auf. Die Software zeigt dem Spieler, an welcher Stelle der Partitur er gerade ist. Zudem bewer-tet Songs2See, ob die Töne getroffen oder der Rhythmus gehalten werden. Damit es mit dem Üben nicht zu schwierig wird, lassen sich Tonlage und Tempo nach Wunsch verändern und somit individuell abgestimmte Übungen bezüglich Schwierigkeitsgrad, Tonart oder Musikstil

zusammenstellen. »Was wir machen, nennt sich automatische Musiktranskription«, so Dittmar. »Damit das im Hintergrund abläuft, mussten wir der Software beibringen, sicher die Töne unterschiedlichster Instrumente zu erkennen und sich nicht durch die Begleitmusik durcheinander bringen zu lassen.«

Lernsoftware auch für den Musikunterricht in Schulen

Interessant ist die Software für Anbieter von Lernsoftware für Musik, aber auch für Musikver-lage, die ihr Notenmaterial dadurch interaktiv aufbereiten können. Auch für den Musikunter-richt an Schulen wäre die Software geeignet, was Partner in Norwegen bereits testen.

Das Projekt wird vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie durch den Europäischen Fonds für Regionale Entwick-lung gefördert. Auf diese Weise unterstützen der Freistaat Thüringen und die Europäische Union die internationale Kooperation zwischen dem IDMT, den Thüringer Unternehmen KIDS Interactive GmbH sowie Sweets for Brains GmbH und den europäischen Partnern Univer-sität Stord/Haugesund, Grieg Music Education und Technische Universität Tampere.

Spielend musizierenBlockfl öte, Gitarre, Klavier oder Geige — viele Kinder und Jugend-liche lernen diese klassischen Instrumente. Note für Note vom Blatt lesen und dann den rich-tigen Griff, die richtige Taste oder Saite anschlagen: Damit das gelingt, ist viel Übung gefor-dert. Mit der Software Songs2See wird das Lernen einfacher und unterhaltsamer.

Text: Beate Koch Mit der Software Songs2See wird das Lernen von Musik-instrumenten einfacher und unterhaltsamer. © Fraunhofer

weiter.vorn 4.10 KOMPAKT - 17

Aufnahme von einer Infrarotkamera, die mit einem temperaturabhängigen Detek-tor ausgestattet ist. © Fraunhofer IMS

Leuchten schützt vor PlagiatenAnsprechpartner: Dr. rer. nat. Andreas Hollän-der, [email protected]

Von Produktpiraterie sind nicht nur Konsumgüter wie Uhren oder Markenkleidung betroffen. Auch die produzierende Industrie hat mit gefälschten oder qualitativ minderwertigen Materialien zu kämpfen. Spezielle Sicherheitsmerkmale wie Wasserzeichen, Barcodes, RFID-Tags und Holo-gramme schützen vor Fälschung, Diebstahl und Manipulation. Ein Forscherteam aus vier Fraun-hofer-Instituten hat nun ein neuartiges Verfahren entwickelt, das besonders fälschungssicher ist: Sie setzen dem gesamten Material verschiedene fl uoreszierende Farbstoffe zu. Auf diese Weise entsteht eine individuelle Kennzeichnung.

Dank der geringen Dosierung ist es praktisch un-möglich, Art und Menge der Farbstoffzusätze zu entschlüsseln: Bereits Farbstoffkonzentrationen von wenigen ppb (parts per billion) genügen, um das Material zu markieren. Ein weiterer Vorteil: Der Plagiatschutz kann nicht entfernt werden, denn der Farbstoff ist im gesamten Material des Bauteils verteilt.

Das Verfahren ist auch für die Qualitätssiche-rung effektiv, etwa bei Beschichtungen: Mit Hilfe verschiedener Farbstoffe lassen sich während des Produktionsprozesses sowohl die chemische Zusammensetzung und der Trocknungsgrad als auch die Dicke der Schicht automatisch kon-trollieren. Erste Praxistests hat die neue Technik bereits bestanden.

Infrarotkameras sehen mehr als das bloße Auge und können beispielsweise den Straßenver-kehr sicherer machen. Sie erkennen Objekte, die ungefähr Körpertemperatur haben, denn diese leuchten im fernen infraroten Wellen-längenbereich von zehn Mikrometern von sich aus. Detektoren in der Kamera nehmen diese Wärmestrahlung auf und orten so die Wärme-quelle. Jedoch muss der Sensor in der Kamera ständig gekühlt werden, was aufwändig und kostspielig ist. Forschern aus dem Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS in Duisburg ist es gelungen, einen bildgebenden Sensor für den fernen Infrarot-bereich herzustellen, der bei Raumtemperatur funktioniert.

Herzstück des IRFPA-Sensors (Infrared Focal Plane Array) ist ein Mikrobolometer – ein tempe-raturabhängiger Detektor, der langwelliges In-frarotlicht absorbiert. Um ein zweidimensionales Bild zu erzeugen, sind mehrere Mikrobolometer auf einem Array zusammengefasst. Nimmt nun der Mikrobolometer Licht von einer Wärmequel-le auf, führt das zu einem Temperaturanstieg in seinem Inneren und ändert seinen elektrischen Widerstand. Ein Auslesechip wandelt diesen Wi-derstandswert dann direkt in ein digitales Signal um. Da Kühlung nicht mehr nötig ist, eröffnen sich noch weitere Anwendungsfelder – zum Bei-spiel für den Brandschutz. Hier könnten mobile Infrarotkameras versteckte Glutnester aufzuspü-ren oder Personen im Rauch erkennen.

Mehr erkennenAnsprechpartner: Dirk Weiler, [email protected]

Tumore schneller aufspüren Ansprechpartner: Dr.-Ing Michael Scholles, [email protected]

Um Krebs zuverlässig zu diagnostizieren, führen Ärzte meist eine Biopsie inklusive Gewebeuntersuchung durch. Ein mikroskopisches System zur Bilderfassung, montiert in ein Endoskop, soll sich künftig für die In-vivo-Krebsdiagnose einsetzen lassen. Tumore könnten so einfacher entdeckt und behandelt werden.

Ermöglichen soll dies ein neu entwickelter Mikroskopkopf, der einen Durchmesser von nur acht Millimetern hat. Er kann Gewebezellen mit einer Größe von nur 10 bis 20 Mikrometern optisch aufl ösen und darstellen. Die Vision der Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS in Dresden: Der MEMS-basierte Mikroskopkopf, kurz für Micro Electro Mechanical Systems, soll Biopsien aus medizinischer Sicht überfl üssig machen.

Die Forscher haben die Optik mit einem Mikroscanner-Spiegel kombiniert. Künftig soll der Mikroskopkopf in größeren Stückzahlen automatisiert herstellbar sein und sich dann in Endoskope einbauen lassen. Auch in der technischen Endoskopie könnte das Verfah-ren eingesetzt werden – etwa zum Darstellen von Hohlräumen in Gebäuden oder um sich einen Einblick über das Innenleben von Motoren und Turbinen zu verschaffen.

Die Sendefaser leitet das Laserlicht an den Mikroscanner-Spiegel weiter. Beide werden in die Endoskopspitze montiert. © Fraunhofer IPMS

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3D-Filme sind im Kino der Renner und auch im heimischen Wohnzimmer auf dem Vormarsch. Aber ob im Lichtspielhaus oder zuhause – der Betrachter benötigt eine Shutter- oder Polarisationsbrille, um den dreidimensionalen Effekt – in der Fachsprache stereoskopisch – sehen zu können. Anders bei den Entwicklungen des Fraunhofer-Instituts für Nachrichten-technik, Heinrich-Hertz-Institut HHI aus Berlin. Dort beschäf-tigen sich Entwickler seit einigen Jahren damit, eine Vision wahr werden zu lassen: 3D ohne Brille. Gelungen ist ihnen das mit einem Display, das sie »Free2C_digital« nennen.

»3D-Darstellung folgt immer demselben Prinzip«, erklärt René de la Barré vom HHI. »Es werden zwei Bilder sichtbar gemacht, eines für das linke und eines für das rechte Auge. Eine geschickt gewählte Barriere sorgt dafür, dass nur die passenden Bildinhalte zum jeweiligen Auge gelangen. Damit das funktioniert, müsste der Betrachter seinen Kopf beim Zu-schauen absolut ruhig halten. Das macht niemandem Spaß. Deswegen haben wir das 3D-Display mit einer zusätzlichen

Technologie gekoppelt, mit einem ›elektronischen Head-Tra-cking‹. Eine Kamera sieht den Kopf und erkennt die genaue Position der Augen. Diese Information wird zur Aktualisierung des Bildinhalts verwendet. Jede Bewegung des Kopfs sowie der Augen wird erfasst und das Display nachgesteuert. Der Zuschauer sieht immer das ideale 3D-Bild, ohne sich eine zusätzliche Brille aufsetzen zu müssen. »Ein Verfahren wie das unsere, das ohne Brille auskommt, wird auch als autostereo-skopisch bezeichnet«, erklärt de la Barré.

Auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin zeigen er und sein Team eine weitere Neuheit: Ein multimodales Display, bei dem der Zuschauer zwischen verschiedenen Darstellungsformen umschalten kann. Es gibt den Multiview-Mode, bei dem mehrere Ansichten einer Szene gleichzeitig abgestrahlt werden. So ist es möglich, dass mehrere Perso-nen in 3D sehen können. Automatisch oder auf Knopfdruck kann man auf Single-UserModi wechseln, die jeweils nur zwei Bildansichten benötigen und einen intensiveren Tiefen-

3D –– mit ohneFilme in 3D sind angesagt. Nach dem Kino soll die räumliche Dar-stellung nun auch das Wohnzimmer erobern. Fraunhofer-Forscher zeigen, wie 3D-Fernsehen ohne Brille möglich ist.

Text: Beate Koch

weiter.vorn 4.10 INFORMATIONSTECHNOLOGIE - 19

eindruck vermitteln. »Unsere Displaytechnologie ist so konzi-piert, dass sich das gerade aufkommende 3D-Fernsehen ohne Brille betrachten lässt«, erklärt de la Barré. »Das löst auch ein gegenwärtiges Problem. Denn auf Multiview-Displays ist die 3D-Fernsehwiedergabe derzeit nicht möglich.«

Augenverfolgung sorgt für optimale 3D-Sicht bei Mehransichten-Displays

Der Grund: In den 3D-Fernsehsignalen fehlen die dafür notwendigen zusätzlichen Tiefeninformationen. Sie werden im heutigen 3D-Fernsehaufnahme-Verfahren noch nicht erfasst. Das Fehlen dieser Informationen umgeht die Lösung aus dem HHI. Sie nutzt nur die zwei ausgestrahlten Ansichten – je ein Links- und Rechtsbild – und passt sich dynamisch der Augenposition eines oder mehrerer Betrachter an. »Wir ha-ben ein Verfahren gefunden, das es uns künftig ermöglichen wird, diese zwei Ansichten auch für zwei bis drei Betrachter umzusetzen – anstatt mit einer, arbeiten wir dabei mit meh-

reren Kameras, die in das Display integriert sind. Mit ihnen tracken wir die Augen, um so die Bilder für die verschiedenen Zuschauer optimal auszurichten«, erläutert de la Barré.

Die Herausforderung bei dieser autostereoskopischen Lösung ist, Mehransichten-Displays mit der Augenverfolgung zu koppeln und die Bildinhalte jeweils individuell in Echtzeit und ohne Verzerrungen wiederzugeben. Ein vom HHI patentiertes Verfahren verschiebt die Bildinhalte elektronisch auf dem Display passend zu den X-Y-Z-Positionen der Augen. Das geschieht nahezu ohne Zeitverzögerung. So wird es möglich, die 3D-Darstellung kontinuierlich an die Betrachterposition in alle Richtungen anzupassen. Zusätzlich kann zwischen der Ausgabe von zwei oder mehreren Ansichten (Views) hin- und hergeschaltet werden, um auf die aktuelle Anzahl der Betrachter zu reagieren.

Besucher der IFA konnten einen ersten Prototypen des multi-modalen Displays selbst in Augenschein nehmen.

Bei Multiview-Mode werden mehrere Ansichten einer Szene gleichzeitig ab-gestrahlt. So ist es möglich, dass mehrere Personen 3D sehen können.© Ansgar Pudenz/alphadog

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Die Stadt, die mitdenktModerne Informationstechnologien sollen Verkehr, Umweltschutz und Verwaltung verbessern und Kosten senken. Viele Menschen zieht es zurück in die Städ-te. Gemeinsam mit Politik und Wirtschaft arbeiten Fraunhofer-Forscher an der Stadt der Zukunft.

Text: Stefanie Heyduck

An den Städten der Zukunft forschen Wissenschaftler vieler Fraunhofer-Institute, damit Bürgerinnen und Bürger sicher, gesund, mobil, energieeffi zient und unbürokratisch leben können.

Die Modellstadt für Energieeffi zienz entsteht in der Nähe von Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate und umweltfreundlichsten Stadt der Welt. Masdar City wird ausschließlich mit regene-rativen Energien versorgt. Beteiligt sind Forscher aus aller Welt – unter anderem die der Fraunhofer-Institute für Solare Energiesysteme ISE, für Bauphysik IBP und für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.

Smart-City-Projekte von Fraunhofer

weiter.vorn 4.10 INFORMATIONSTECHNOLOGIE - 21

Stau, Verkehrslärm, Feinstaub – als Stadtmensch hat man sich längst daran gewöhnt. Genauso wie an die langen Wartezei-ten auf Ämtern und das Gedränge in der Innenstadt. Doch die Situation wird sich bereits in wenigen Jahren zuspitzen. Schon heute lebt weltweit mehr als die Hälfte aller Menschen in der Stadt. Die Vereinten Nationen prognostizieren für das Jahr 2050, dass 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden.

Durch die dichte Besiedelung des Stadtkerns verschwinden die Plattenbausiedlungen am Stadtrand, sie verfallen, reißen Lücken ins Stadtbild. Um die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern und auch die Wirtschaftlichkeit für Gewerbe und Handel zu steigern, wird ein Umbau dieser Viertel nötig.

Weitere Herausforderung: Immer mehr Menschen steigen wieder ins Auto. Auch, weil der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel mit dem Anstieg der Bevölkerung nicht Schritt hält. Sollen die Umweltzonen funktionieren, die Autos mit zuviel CO2-Ausstoß aus den Wohngebieten fernhalten wol-len, müssen neue Verkehrsleitsysteme und Antriebssysteme entwickelt werden.

Wie bleiben wir aber mobil? Wie lassen sich die Städte um-weltfreundlich mit Energie versorgen? Wie kann der Verkehr gelenkt werden? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Wis-senschaftler und Städteplaner. Sie arbeiten an Informations- und Kommunikationstechnologien, die aus Megastädten intelligente Metropolen machen sollen.

Wie eine Stadt smart wird

Prof. Dr. Ina Schieferdecker vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS in Berlin beantworte-te auf einer Smart-Cities-Konferenz die Frage, was eine Stadt denn smart oder sogar intelligent mache: »Eine Kommune wird dann eine Smart City, wenn sie neue Anwendungen überdurchschnittlich nutzt und die allgemeine Vernetzung dabei steigt.« Der Informations- und Kommunikationstechno-logie spricht sie dabei eine Schlüsselrolle zu. Grundvorausset-zung ist ein leistungsfähiges Breitbandnetz.

»Das Ziel ist«, so Schieferdecker, »neue Technologien zu ent-wickeln und intelligent zu verknüpfen, so dass sich Informati-onsfl üsse, Verkehrsfragen, Energieeffi zienz oder Verwaltungs-angelegenheiten steuern lassen.« Erst, wenn sich die Stadt mit Hilfe der neuen Infrastruktur steuern lässt sowie Wissen über die Situation aufnehmen und anhand von Trendanaly-sen Parameter identifi zieren kann, wird sie smart.

Es geht also um Netze, Sensorik, Mobilkommunikation und die Kommunikation von Maschine-zu-Maschine. Experten sprechen davon, eine sichere städtische Datenquelle aufzu-bauen – eine City-Cloud-Infrastruktur, die elektronische Ser-vices zum Bürger bringt und für die Wirtschaft zur Verfügung stellt. »Die Städte werden sich zu Dienstleistern entwickeln«, ist sich Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städ-te- und Gemeindebundes, sicher.

Das Aufrüsten von einer Stadt zu einem intelligenten Bal-lungsraum ist eine Investition, die dringend nötig ist. Städte müssen nicht nur für ihre Bewohner, sondern auch für ihre Unternehmen attraktiv bleiben.

Die intelligente Hauptstadt

Berlin ist eine junge und multikulturelle Metropole, die unter großem fi nanziellen Druck steht. Um weiterhin als Stadt für Bürgerinnen, Bürger und Wirtschaft attraktiv zu bleiben, sind Investitionen und Innovationen nötig, für die das Geld fehlt. »Wenn wir städtische Ressourcen und Infrastrukturen künftig effi zienter nutzen wollen, müssen wir sie mehr und mehr automatisieren und optimieren«, erklärt Schieferdecker. Gemeinsam mit Partnern aus Industrie, Politik und Wissen-schaft sollen neue Märkte erschlossen und Geschäftsmodelle umgesetzt werden.

Als Hauptstadt und Ballungszentrum von Politik, Wirtschaft und urbanem Leben stellt Berlin ein geeignetes Umfeld zur Forschung und Entwicklung dar. Die Zukunftsthemen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Klimaschutz, Energieeffi zienz, Lebensqualität, Mobilität und Sicherheit. Der erste Schritt zum intelligenten Berlin ist der Ausbau des Informationsangebots. Ein Beispiel: Die zahlreichen Touris-ten könnten sich von mobilen, elektronischen Reiseführern durch die Stadt lotsen lassen oder an Knotenpunkten bei frei zugänglichen digitalen Infoboxen orientieren.

»Auch unkomplizierte Verwaltungsprozesse auf IT-Basis steigern die Effi zienz, wenn sie sich an den Bedürfnissen der Bürger orientieren«, ergänzt Schieferdecker. Das kön-nen elektronische, webbasierte Terminsysteme sein oder Dienstleistungen, die von Verwaltung, Politik, Bürgern und Wirtschaft gemeinsam gestaltet und genutzt werden. Das steigert auch die Transparenz und die Akzeptanz sol-cher Services.

Menschen und Maschinen sollten an jedem Ort sicher auf Daten zugreifen können – breitbandig, mobil und energieeffi -zient. Das vernetzte Berlin von morgen ist bisher noch Vision, aber bald wird sich die Stadt intelligent steuern lassen, um Bürger zu unterstützen, Touristenströme zu lenken, Behör-dengänge zu vereinfachen, den Verkehr zu regeln und die Umwelt zu schonen.

Nur ein leistungsfähiges Breitbandnetz macht eine Stadt zu einer Smart City. © H. & D. Zielske / LOOK-foto

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Telekonferenz im WohnzimmerGemeinsam Scotland Yard spielen, Fotos austauschen oder sich einfach zu einem Plausch treffen, obwohl man hunderte Kilometer entfernt ist — neue Audio- und Videotechnologien sollen es möglich machen.

Text: Birgit Niesing

Über TV- und HiFi Anlage kommen sogar kilometerweit entfernten Freunden virtuell an den Wohnzimmertisch. © Victor S. Brigola

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»Mama und Papa, was meint ihr, wo wird Mister X gleich auftauchen? Ich glaub‘, dass er in der Nähe des Bahnhofs King’s Cross ist«, sagt Lea. Auf dem in den Couchtisch eingelassenen Display ist der Stadtplan von London zu sehen. »Wir sollten versuchen, ihn dort einzukreisen, damit er uns nicht entwischen kann. Ich fahr‘ gleich mit dem Taxi zum Bahnhof«, weiht sie ihre Mitspieler in ihre Strategie ein. »Da liegst Du leider ganz falsch, Schwesterlein. Aber wo ich bin, erfahrt ihr erst beim nächsten Spielzug«, grinst ihr Bruder Daniel sie aus dem großen Fernseher an. Obwohl er schon seit einem halben Jahr in Paris studiert, hat er noch keine der wöchentlichen »Scotland Yard«-Spielrunden seiner Familie in Wiesbaden verpasst – er ist immer via Internet zugeschaltet. So bleibt er in Kontakt mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester. Auf dem Flachbildschirm in seiner Studentenbude sieht er die Familie auf der heimischen Couch und hat fast das Gefühl mit ihr an einem Tisch zu sitzen.

So oder ähnlich könnten schon bald gemeinsame Spiele-abende aussehen. Dank Internet und neuer Video- und Audiotechnologien sowie hochwertiger Komprimierungs-verfahren spielen auch Familienmitglieder zusammen, die hunderte Kilometer voneinander entfernt leben. In dem von der EU geförderten Projekt »Together Anywhere, To-gether Anytime TA2« arbeiten Wissenschaftler daran, die Kommunikation von Gruppen via Internet einfacher und besser zu machen. An dem Projekt sind 13 Partner aus sieben Ländern beteiligt.

www.ta2-project.eu

»Wir sind heute sehr mobil. Zum Studieren oder zum Arbei-ten ziehen Familienmitglieder oder Freunde aus der Clique in andere Städte oder andere Länder«, erläutert Nikolaus Färber vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Er-langen, das in dem Projekt mitarbeitet. Zwar kann man über E-Mails, Internet, Mobilkommunikation oder Video-Chats in Kontakt bleiben, allerdings lassen sich Handy, Computer und Co. meist nur von jeweils einer Person nutzen. Für den Austausch zwischen Familien oder Cliquen sind die Geräte meist nicht geeignet.

»In dem EU-Projekt arbeiten wir an Technologien, die die Kommunikation von Gruppen ermöglichen«, sagt Färber. Die neuen Systeme sollen sich einfach in jedem Wohnzimmer installieren lassen. Die Idee: Familien oder Freunde sehen sich über den Fernseher, hören sich über die Stereoanlage, tauschen Fotos und Videos aus oder spielen zusammen. Ziel ist es, eine möglichst natürliche Situation zu erzeugen, so als ob auch weit entfernte Freunde mit am Tisch säßen. Doch dazu müssen die Bilder in sehr guter Qualität übertragen wer-den und der Ton den Raumklang natürlich wiedergeben. Ruckelnde Bilder oder verzerrte Stimmen – wie sie heute viele Videokonferenzsysteme noch bieten – stören die Kommuni-kation. Auf der Internationalen Funkausstellung IFA in Berlin

haben die IIS-Forscher eine spezielle Version des H.264 Videocodec vorgestellt. Der im TA2-Projekt entwickelte Codec ist für den Einsatz in hochwertigen Kommunikations-systemen optimiert und verspricht gestochen scharfe Bilder in HD-Aufl ösung – und das ohne merkliche Verzögerung. Auf teure Spezialhardware wurde dabei weitgehend verzichtet. Zum Einsatz kommt ein leicht modifi zierter herkömmlicher Computer, denn die Technologie soll später möglichst einfach Einzug in das Wohnzimmer fi nden. Die in Berlin vorgestellte optimierte Variante basiert auf dem Standard H.264, den unter anderem Forscher des Fraunhofer-Instituts für Nach-richtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut HHI entwickelt haben.

Für den hochwertigen Ton sorgt die »Audio Communication Engine« des IIS. Sie besteht aus drei aufeinander abgestimm-ten Einzelkomponenten, die die Klangqualität und Verständ-lichkeit von Video- und Telefonkonferenzen im Vergleich zu heutigen Systemen deutlich verbessern: Kernstück ist der MPEG-Audiocodec »Enhanced Low Delay AAC«, der HiFi-Klangqualität bei niedrigen Datenraten und Verzögerungs-zeiten garantiert.

Telefonieren in CD-Qualität

Ein Echo-Controller beseitigt störenden Widerhall. »Echo-Unterdrückung ist zwar an sich nichts Neues. Aber unsere Technologie ist einzigartig robust und wenig aufwändig. So können Mikrofone zuhause beliebig platziert und auch während des Sprechens umgestellt werden. Sogar wenn weitere Personen den Raum betreten oder Lärm von außen kommt, funktioniert die Echo-Unterdrückung problemlos«, erklärt Färber die Vorzüge des Technik. »Das Verfahren ist so gut optimiert, dass die Echo-Unterdrückung sogar von einfachen Prozessoren leicht berechnet werden kann. Das macht die Geräte billiger.« Die dritte Komponente ist eine leistungsfähige Streaming-Technologie. Sie sorgt für eine gute Klangqualität, sogar in schlechten Netzwerken. Die Audioverfahren lassen sich auch für die Mobilkommuni-kation nutzen. Die »Audio Communication Engine für LTE-A (Long Term Evolution Advanced)« ermöglicht in Handy-Net-zen der vierten Generation (4G) Telefongespräche in CD-Qualität. Die Stimmen klingen kristallklar und so natürlich, als ob man sich im gleichen Raum befi ndet. Weiterer Pluspunkt: Auch Musik oder Multimediainhalte lassen sich in bester Qualität übertragen.

Auch hier sorgen der MPEG Audiocodec »Enhanced Low Delay AAC«, die Echounterdrückung und das Streaming-System für die gute Klangqualität. »So können 4G-Netzbe-treiber eine deutlich höhere Sprachqualität anbieten, die sich mit heutigen Netzwerk-Technologien nicht realisieren lässt: Telefonkonferenzen sind einfacher zu verfolgen und weniger ermüdend, Telefonate in lauter Umgebung besser verständ-lich. Und auch die übertragene Musik klingt, als käme sie von einer CD«, fasst Färber die Vorteile zusammen.

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24 - ENERGIE weiter.vorn 4.10

Kälteeinbruch – in der Nacht sind die Temperaturen auf unter 15 Grad Celsius gesunken. Mit wieviel Leistung fährt das Elektroauto jetzt an und welche Reichweite ist noch möglich? Diese und andere Fragen untersuchen Forscher des Fraun-hofer-Instituts für Integrierte Systeme und Bauelementetech-nologie IISB in ihrem neuen Testzentrum in Erlangen, das anlässlich der Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen der Erlanger Fraunhofer-Institute eröffnet wurde (siehe Kasten). Das Zentrum verfügt über speziell zugeschnittene Analyse- und Prüfeinrichtungen für elektrische Antriebe und Ener-giespeicher, elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) und Zuverlässigkeit. Ob die Elektrowagen wie im Beispiel auch bei arktischen oder hochsommerlichen Bedingungen problem-los fahren, untersuchen die Forscher auf dem klimatisierten Allrad-Rollenprüfstand.

Batterien oder Elektromotor – die in Hybrid- und Elektro-fahrzeugen umgesetzten elektrischen Leistungen werden um ungefähr den Faktor 100 über denen in heutigen Autos liegen. Dennoch dürfen diese Fahrzeuge weder Radios noch Handys stören und sich umgekehrt auch nicht durch andere elektrische Geräte beeinträchtigen lassen. In der befahrbaren EMV-Zelle können die Forscher des IISB die elektromagneti-sche Verträglichkeit (EMV) und Zuverlässigkeit von Elektro-autos untersuchen.

Besonderes Augenmerk legen die Erlanger Wissenschaftler auf ein Schlüsselelement der Stromer – die Batterie: »Dank eines speziell geschützten Prüfcontainers außerhalb des Testzentrums können wir die Energiespeicher bis an ihre Leistungsgrenzen – und bei Bedarf auch etwas darüber hinaus – belasten, um beispielsweise die Betriebssicherheit von Batterien zu untersuchen«, erläutert Dr. Martin März vom IISB. Die Experten testen sowohl Einzelzellen als auch Fahr-zeugbatteriesysteme und die dazu gehörende umfassende Elektronik zur Überwachung und Steuerung.

Prüf- und Messtechnik zum Vorteil auch für kleine und mittelständische Unternehmen

Doch wie weit kommt man künftig mit einer Batterieladung? Nach wie vielen Kilometern müssen die Akkus wieder aufge-tankt werden? »Die Reichweite eines Elektrofahrzeugs hängt nicht nur von Fahrzeugdaten, maximalem Energieinhalt und Ladezustand der Batterie sowie von Fahrzyklus und Fahrweise ab: Auch Nebensysteme, beispielsweise die Innenraumklima-tisierung, die Heizungen für Innenraum und Scheiben oder auch die Beleuchtung, beeinfl ussen die Reichweite – ebenso wie die sehr stark temperaturabhängigen Eigenschaften der Batterie«, berichtet Dr. Martin März. Ziel der Forscher ist es deshalb, den Gesamtenergiebedarf der Elektrofahrzeuge

Elektroautos auf dem Prüfstand Stromern gehört die Zukunft. Doch fahren sie auch noch bei großer Kälte? Wie reagieren sie auf hochsommerliche Temperaturen? Diese und weitere Fragen untersuchen Forscher im neu eröffneten Testzentrum für Elektrofahrzeuge in Erlangen.

Text: Birgit Niesing

Befahrbare EMV-Kabine (EMV: Elektromagnetische Verträglichkeit) im neuen Testzentrum für Elektro-fahrzeuge. © Fraunhofer IISB

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durch ein optimiertes Wärmemanagement, hoch effi ziente Leistungselektronik und energieeffi ziente Nebenaggrega-te zu minimieren. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Testzentrum in Erlangen im Innovations- und Investitionsprogramm mit rund 4 Millionen Euro. Den Prüfstand kann auch die Fahrzeugindustrie nutzen. »Insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen soll so ein kostengünstiger Zugang zu einer einzigartigen

Prüftechnik und Beratungskompetenz zur Verfügung gestellt werden«, betont März.

Das neue Testzentrum in Erlangen ist ein Teil des Prüfstand-Gesamtkonzepts in der Fraunhofer-Systemforschung Elektro-mobilität. In Freiburg untersuchen Forscher die Crashsicher-heit der Elektrowagen, in Darmstadt die Betriebsfestigkeit und in Stuttgart die Akustik.

25 Jahre Fraunhofer in Erlangen

1985 übernahm die Fraunhofer-Gesellschaft das Zentrum für Mikroelektronik und Informati-onstechnik als Arbeitsgruppe für Integrierte Schaltungen AIS. Die Arbeitsgruppe bestand aus den beiden Abteilungen Angewandte Elektronik AIS-A und Bauelementetechnologie AIS-B. Die gemeinsame Leitung hatten Prof. Dr. Dieter Seitzer und Prof. Dr. Heiner Ryssel. Die Arbeitsgrup-pe entwickelte sich rasant. Nur fünf Jahre später wurde daraus das erste Fraunhofer-Institut in Erlangen, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. 2003 entstanden aus den Institutsteilen für Angewandte Elektronik IIS-A und Bauelementetechnologie IIS-B die beiden eigenständigen Institute IIS und IISB.

Das IIS arbeitet an mikroelektronischen Systemen und Geräten sowie an den dazu notwendi-gen integrierten Schaltungen und der Software. Dabei spielt die Codierung von Audio- und Videosignalen und deren internationale Standardisierung eine wichtige Rolle. Weltweit bekannt geworden sind die Audiocodierverfahren mp3 und AAC, an deren Entwicklung das IIS maßgebli-chen Anteil hatte. Das IIS ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen: Heute sind in dem von Prof. Dr. Heinz Gerhäuser und Prof. Dr. Günter Elst kollegial geleiteten Institut etwa 750 Mitarbeiter an den Standorten Erlangen, Nürnberg, Fürth, Ilmenau und Dresden tätig.

Das IISB betreibt angewandte Forschung und Entwicklung auf den Gebieten der Mikro- und Nanoelektronik, Leistungselektronik und Mechatronik. Mit seinen Arbeiten zu leistungselek-tronischen Systemen für Energieeffi zienz, Hybrid- und Elektroautomobile sowie seinen Techno-logie-, Geräte- und Materialentwicklungen für die Nanoelektronik genießt das Institut inter-nationale Aufmerksamkeit und Anerkennung. Heute arbeiten in dem von Prof. Dr. Lothar Frey geleiteten Institut 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Standorten Erlangen, Nürnberg und Freiberg.

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Autos, Lkws und Motorräder rasen auf der Autobahn, biegen ab in die Stadt, warten an der Ampel und schleichen durch Nebenstraßen. Ähnlich fl ießt elektrischer Strom – vom Kraft-werk aus über Hochspannungsleitungen in Umspannwerke. Wie an einer Verkehrsampel wird der Fluss reguliert. Dann führen die Kabel den Strom in die Innenstadt oder zu einer Fabrik. Die Energie strömt weiter über Nebenkabel. Viele Schaltstellen reduzieren die Spannung, damit die Geräte dann bei niedriger Spannung jederzeit Strom zapfen können. Dank dieser hochkomplexen Infrastruktur und ausgeklügelter Technologie kann der Stromkunde einfach einschalten und die Kaffeemaschine läuft.

»Unsere Gesellschaft wird elektrischer«, sagt Professor Lothar Frey, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen. »Elektronik begleitet uns zunehmend und häufi g unbemerkt im Alltag.Voraussetzung für alle Geräte ist eine sichere Stromversor-gung. Sie wird sich stark verändern: Verkehrs- und Strom-netz wachsen durch die Elektromobilität stärker zusammen, denn die Elektrofahrzeuge tanken nicht nur Strom, sondern stellen auch ihre Batterie als Speicher für das Stromnetz zur Verfügung. Es wird zunehmend regenerative Energiequellen geben, auch einzelne Haushalte speisen ein.« Angebot und Nachfrage schwanken stärker als bisher, denn die mit Wind

Das Stromnetz spart EnergieStrom kommt aus der Steckdose. Bis er dort ankommt, hat er schon eine lange Reise beispielsweise von Wind-kraftanlagen in der Nordsee hinter sich, oder er kommt von regionalen Sonnen-, Wind- und Biogaskraftwerken. Auf dem Weg zum Verbraucher geht bisher jedoch ein beachtlicher Teil Energie verloren.

Text: Marion Horn

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und Sonne erzeugte Energie steht nicht immer gleichmäßig zur Verfügung, auch variiert der Verbrauch je nach Tages-zeit. Großprojekte wie Desertec sind in Planung. Hier sollen künftig solarthermische Kraftwerke in den sonnenreichen Regionen Nordafrikas und des Nahen Ostens Strom für Euro-pa produzieren. Die Energie wird dann über lange Hochspan-nungsleitungen oder Seekabel zum Verbraucher fl ießen.

Nun müssen die bestehenden Kabel, Anlagen und Bauteile an den künftigen Energiemix angepasst werden, damit der Strom möglichst verlustarm und sicher beim Verbraucher ankommt. An technologischen Lösungen arbeiten Leistungs-elektronik-Experten. Sie entwickeln beispielsweise Kompo-nenten für die Umformung, das An- und Abschalten und die Sicherheit der elektrischen Energie.

Robuste Bauteile für das Stromnetz der Zukunft

Es gibt zwei Arten von Strom: Gleichstrom und Wech-selstrom. In Deutschland wird Wechselstrom genutzt. Er schwingt wie eine Welle: Die Elektronen wechseln 100 Mal in der Sekunde ihre Richtung. Er lässt sich mit Transforma-toren einfach – allerdings unter Einsatz von sehr viel Eisen und Kupfer – auf sehr hohe und sehr niedrige Spannung transformieren. Über große Distanzen jedoch verliert Wech-

selstrom bis zu 40 Prozent Energie; bei Gleichstrom sind es dagegen nur bis zu sieben Prozent. Gleichstrom besitzt eine konstante Spannung und wird heute vor allem für die Ener-gieübertragung über Entfernungen von mehr als 500 Kilo-meter oder für Seekabel genutzt. Jedoch müssen zusätzliche Umrichter-Stationen die hohe Spannung des Gleichstroms wieder in Wechselstrom verwandeln, da in Privathaushalten und Unternehmen noch vorwiegend Geräte für Wechsel-strom benutzt werden.

»Wir entwickeln beispielsweise gemeinsam mit Siemens Energy Hochleistungsschalter. Diese sind für die Übertra-

gung der Gleichspannung im Stromnetz notwendig und eine entscheidende Voraussetzung für Großprojekte wie Desertec. Die Schalter müssen sicherer, besser skalierbar und fl exibler einsetzbar sein als bisherige Lösungen, um den Anforderungen zukünftiger Energieversorgungsnetze gerecht zu werden«, sagt Dipl.-Ing. Markus Billmann vom IISB. Dazu verwenden die Forscher kostengünstigere Halb-leiterzellen, die mit bisherigen Schaltungstechniken nicht für die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) eingesetzt werden konnten.

»An beiden Enden einer HGÜ-Anlage befi ndet sich eine Stromrichterstation«, erklärt der Forscher. »Als Stromrichter werden Thyristoren und nun auch IGBTs verwendet. Das sind – im Gegensatz zu Thyristoren – abschaltbare und mit höheren Schaltfrequenzen betreibbare Bauelemente, die deutlich kleinere und dynamisch besser steuerbare Anlagen ermöglichen.«

Eine große Herausforderung ist der Schutz der Zellen vor Havarien. Von den etwa 5000 Modulen, die in einer Strom-richterstation in Reihe geschaltet sind, dürfen nur wenige ausfallen, und das ohne Auswirkungen auf die Nachbar-module, da sonst durch eine Kettenreaktion die komplette Anlage zerstört werden könnte. »Dieses Problem haben wir nun erstmals sicher in den Griff bekommen und wir haben

viele weitere Ideen, die wir mit unseren Kooperationspart-nern im Innovationscluster >Elektronik für nachhaltige Ener-gienutzung< untersuchen wollen«, freut sich Billmann. »Wir arbeiten beispielsweise an maßgeschneiderten Materialien und Bauelementen sowie intelligenten Systemen, damit die Geräte und Anlagen künftig weniger Energie benötigen und deutlich kompakter werden.«

In dem vom IISB koordinierten Innovationscluster verknüp-fen Unternehmen und Forschungseinrichtungen ihr Know-how. Sie entwickeln Bauteile für das Stromnetz der Zukunft – damit immer Strom aus der Steckdose kommt.

Durch Seekabel fl ießt meist Gleichstrom. Er wird dann für die Stromkunden in Wechselstrom umgewan-delt. © Stefan Strand/ddp

In der Metropolregion Nürnberg intensivieren Unterneh-men und Forschungseinrichtungen ihre Zusammenarbeit zu den Themen Leistungselektronik und Energietechnik: Die Kooperationspartner arbeiten an sparsamen, kom-pakten und betriebssicheren Bauelementen und Systemen für zahlreiche Anwendungen vom Haushaltsgerät bis zum Elektroauto und Stromversorgungsnetz. Sie untersuchen auch die Möglichkeit, Haushalte und Büros mit einem Niederspannungs-Gleichstromnetz auszurüsten.

Forschungspartner sind unter anderem die Fraunhofer-Institute für Integrierte Systeme und Bauelementetech-nologie IISB (Koordinator) und für Integrierte Schaltun-gen IIS, die Universität Erlangen-Nürnberg, die Ohm-Hochschule Nürnberg, das Bayerische Laserzentrum. Der Cluster wird gefördert vom Land Bayern, der Industrie sowie von der Fraunhofer-Gesellschaft innerhalb des Pakts für Forschung und Innovation der Bundesregierung.

www.iisb.fraunhofer.de

Fraunhofer-Innovationscluster »Elektronik für nachhaltige Energienutzung«

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Heimat der amerikanischen Automobilindustrie: Detroit. © David Rochkind/Rapport/laif

Mit Laserlicht in die grüne Zukunft

Ein Technologiesprung kommt selten allein: Die Umstellung auf rege-nerative Energien wird nicht nur Märkte für Elektroautos, sondern auch für neue, umweltfreundliche Fertigungstechniken schaffen.

Text: Monika Weiner

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Die USA, bisher nicht als Vorreiter im Klima-schutz bekannt, starten durch. Noch in diesem Jahr will General Motors das erste Elektro-auto auf den Markt bringen. Wenn man der Homepage des Autoriesen glaubt, wird das Modell VOLT die Welt verändern. Sicher ist: Die US-Autobauer, die durch die Wirtschaftskrise schwer getroffen wurden, setzen derzeit all ihre Hoffung auf eine saubere, emissionsfreie Mobilität. Mit einer neuen Generation von strombetriebenen Fahrzeugen wollen sie den Weltmarkt erobern. Unterstützt wird die Auto-mobilindustrie dabei von der US-Regierung und vom Bundesstaat Michigan, der Heimat der »Big Three« – Ford, General Motors und Chrysler –, sowie zahlreicher Zulieferfi rmen.

2,4 Milliarden Dollar hat die Regierung im American Recovery and Reinvestment Act zur Förderung neuer Technologien für Hybrid- und Elektrofahrzeuge zur Verfügung gestellt. Ziele des Programms sind der rasche Aufbau von Produktionskapazitäten für neue Batterietechno-logien und die Entwicklung effi zienter Elektroan-triebe. 1,4 Milliarden Dollar gingen an Batterie-entwickler und -produzenten in Michigan, die außerdem durch Steuervergünstigungen vom Bundesstaat unterstützt werden. Das ist viel Geld, aber es steht auch viel auf dem Spiel: die Zukunft der amerikanischen Automobilindustrie mit Hunderttausenden von Arbeitsplätzen.

Amerika gibt Gas: Milliarden fl ießen in die Elektromobilität

Forscher in Unternehmen und an Universitäten arbeiten derzeit mit Hochdruck an technologi-schen Entwicklungen, die Autos fi t machen sollen für eine benzinfreie Zukunft. »Die Amerikaner sind weiter als die Europäer, mehr als 1,6 Million Hybridfahrzeuge sind derzeit in den USA zugelassen. Zusammen mit Japan repräsentieren die USA damit 90 Prozent des Weltmarkts«, sagt Stefan Heinemann, Leiter des Fraunhofer Center for Laser Technology CLT in Plymouth. In enger Zusammenarbeit mit Wissen-schaftlern an der nur 30 Autominuten entfern-ten University of Michigan in Ann Arbor entwickelt er neue Fertigungsprozesse für die Automobilbranche. »Unser Ziel ist es, nicht nur kostengünstige und energiesparende Verfahren zu entwickeln und zu testen, sondern diese auch in die industrielle Produktion zu integrie-ren«, so der Forscher.

Lasertechnologie spielt dabei eine Schlüsselrol-le: »Mit ihr können wir berührungslos, schnell

und sauber arbeiten. Bei der Herstellung von Lithium-Ionen Batterien lassen sich auf diese Weise Zeit und Geld einsparen«, erklärt Heine-mann. Sparen ist angesagt, denn die Batterien sind teuer – derzeit das teuerste Bauteil am Elek-troauto. Der Erfolg der Elektromobilität wird mit davon abhängen, ob es gelingt, kostengünstige Batterien zu produzieren.

Theoretisch ist die Herstellung einfach: Jedes Batteriepack besteht aus mehreren Dutzend kleiner Akkus. Die Akkus wiederum sind kleine Zylinder, in deren Innerem sich eine elektrolyti-sche Flüssigkeit sowie Stapel von dünnen, elektrisch leitenden Schichten befi nden – die Elektroden. Die Zylinder sind verschlossen – oben ragen nur die elektrischen Kontakte heraus. Zusammengeschaltet ergeben die Akkus eine leistungsstarke Batterie, die genug Energie speichern kann, um ein Elektroauto 60 bis 300 Kilometer weit fahren zu lassen.

Die Tücke liegt im Detail: Die Produktion der Batterien ist relativ aufwändig, denn die elekt-risch leitenden Folien, aus denen die Elektroden gefertigt werden, sind sehr dünn, was die Erzeu-gung sauberer, glatter Schnittkanten erschwert. Um gute Ergebnisse zu erzielen, mussten die Techniker bisher regelmäßig Schneid- oder Stanzwerkzeuge nachjustieren und immer wie-der die Messer austauschen. Lange Stillstandzei-ten der Maschinen und hohe Werkzeugkosten waren die Folgen. Stefan Heinemanns Team am CLT hat jetzt eine Alternative entwickelt: In der Pilotanlage fi xiert Unterdruck die Folie auf der Arbeitsfl äche, geschnitten wird mit Laser-licht. Das Verfahren ist zehnmal schneller als klassische Schneid- oder Stanzwerkzeuge, der Ausschuss ist geringer, lange Wartungszeiten der Maschinen entfallen.

Wenn das Schneiden mit Laser so einfach ist, warum wird es dann nicht schon längst in der Batterieproduktion eingesetzt? »Die Ingenieure haben bisher befürchtet, dass sich durch das Erhitzen die Materialeigenschaften der dünnen Metallfolien verändern und die Performance der fertigen Batterien verschlechtert«, erläutert Heinemann. Bei der Prozessentwicklung ging er daher vorsichtig ans Werk: »Wir arbeiten immer mit der minimalen Energiezufuhr. Besonders bewährt haben sich gepulste Festkörperlaser mit Wellenlängen von 0,6 bis 0,1 Mikrometern, die wir mittels Scanner mit Geschwindigkeiten von bis zu drei Metern pro Sekunde über die Elektro-denfolie führen. Diese Technik hat zwei Vorteile: Die Schneidezeit ist kurz und die Laserstrahlung

liegt genau in dem Bereich, in dem Elektroden-folien ihr Absorptionsmaximum haben. Damit schneiden wir das Material schneller und effekti-ver auf, es geht wenig Energie verloren.«

Laser optimieren die Produktion von Flachbatterien

Tatsächlich ist die Schnittqualität der mit Laser bearbeiteten Folien nicht schlechter als die von Vergleichsfolien, die mit klassischen Werkzeugen zertrennt wurden, das bestätigen Untersuchungen vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfi nztal. Dort hat Dr. Jens Tübke die Proben aus den USA unter das Rasterelektronen-Mikroskop gelegt, um mögliche Materialveränderungen an den Schnittkanten aufzuspüren. Anschließend hat der Forscher mit seinem Team Testzellen aus den in den USA geschnitten Elektroden hergestellt und diese geprüft. »Die Langzeitstabilität lässt sich checken, indem man die Akkus immer wie-der be- und entlädt. Bei diesen Tests konnten wir keinen Unterschied feststellen zwischen tra-ditionell und den mit Laser bearbeiteten Folien beziehungsweise den fertigen Flachbatterien«, berichtet Tübke.

Mit Lasertechnik lassen sich übrigens nicht nur Folien schneiden. Auch bei der Fertigung und Montage der Akkus leistet sie gute Dienste: Heinemann und sein Team verwenden Licht, um die mit Elektroden und Elektrolyt gefüllten Zylinder zu verschließen und am Ende miteinan-der zu verschweißen. »Das geht schneller und ist kostengünstiger als klassische Schweißmetho-den«, weiß der Ingenieur. Die Prozessentwick-lung ist mittlerweile abgeschlossen, zur Zeit bauen die Fraunhofer-Forscher die ersten Prototypen für die Fertigung. Die serienreife Maschine soll schon bald Zehntausende von Batterien pro Jahr liefern – übrigens nicht nur für die amerikanische, sondern auch die deutsche Automobilindustrie.

»Die Möglichkeiten der Lasertechnik sind noch lange nicht erschöpft«, resümiert Heinemann: »Die Notwendigkeit, Energie zu sparen und regenerative Energie zu nutzen, wird viele neue Fragestellungen aufwerfen, die innovative Lösungen verlangen – bei der Produktion von Leichtbauteilen, der Fertigung von Solarzellen, der Entwicklung neuer Energiespeicher. Die Lasertechnik, die schneller, fl exibler und kosten-günstiger ist als klassische Verfahren, bietet hier eine Fülle von Möglichkeiten, deren Potenzial wir heute nur erahnen können.«

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Wärmeverlustim Abgas

Wärmeverlust

Reibungs-und

Ladeverlust

Quelle: Fraunhofer

10 %

30 %

35 %

Wer sich nach einer längeren Spritztour schon einmal die Finger am Auspuff eines Motorrads verbrannt hat, der weiß, dass Maschinen jede Menge Hitze produzieren. Das gilt nicht nur für Verbrennungsmotoren (siehe Abb.), sondern auch für Computer, Küchenmixer oder Roboter in der Fabrik. Wo gearbeitet wird, entsteht Abwärme. Bislang geht diese Energie meist an die Umgebung verloren. Das ist Verschwen-dung. Angesichts schwindender Energierohstof-fe entwickeln jetzt Forscher auf der ganzen Welt Techniken, um Abwärme zu nutzen: thermoelektrische Wandler – »thermoelektrische Batterien« – machen aus Wärmeenergie elektrische Energie. Diese lässt sich als elektri-scher Strom nutzen. Die ersten thermoelektri-schen Batterien wurden schon vor mehr als 40 Jahren für die Raumfahrt entwickelt. Sie

waren allerdings schwer und teuer. Heute werden thermoelektrische Batterien zwar in hohen Stückzahlen gefertigt, sie sind aber immer noch relativ kostspielig, weil man für die Herstellung seltene und teure Elemente benötigt. Um diese Technologie fi t zu machen für den Einsatz in Massenmärkten, sind Wissen-schaftler auf der Suche nach leistungsfähigeren und kostengünstigeren Lösungen. Ein Ansatz sind nanostrukturierte Materialien – aufgebaut wie Kirschtorten, jedoch auf atomarer Skala.

Das Herz der thermoelektrischen Batterie sind thermoelektrische Materialien. Diese müssen hohen Ansprüchen genügen: Die verwendeten Substanzen müssen Hitze ertragen, gleichzeitig, wie eine herkömmliche Batterie, hohe Spannun-gen bereitstellen, den Strom möglichst gut leiten

und zudem sehr gute thermisch isolierende Ei-genschaften haben, da Temperaturunterschiede genutzt werden sollen. Eine thermoelektrische Batterie ist dann besonders wirkungsvoll, wenn durch den Temperaturunterschied zwischen der heißen Seite – beispielsweise am Auspuff – und der kalten Seite – dort, wo die Kühlfl üssigkeit das Material abkühlt – eine möglichst hohe elektrische Spannung aufgebaut werden kann. Die Elektronen sollen möglichst ungehindert von der heißen zur kalten Seite fl ießen können. Die Voraussetzung hierfür ist, dass das Material gute thermisch isolierende Eigenschaften hat.

Kombination von Germanium und Silizium

Einem europäischen Forscherteam, zu dem auch Experten des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Physikalische Messtechnik IPM gehören, ist jetzt ein wichtiger Schritt gelungen: Durch Kombina-tion von Germanium und Silizium auf atomarer Skala entstand ein neuartiges thermoelektrisches Material mit hervorragenden physikalischen Eigenschaften. Die ersten Ergebnisse haben die Forscher vor kurzem im Wissenschaftsmagazin »Nature Materials« veröffentlicht.

Hergestellt wurde das neue thermoelektrische Material in einer Vakuumkammer. Mithilfe einer mikroskopisch feinen Laserspitze haben die Wissenschaftler Silizium- und Germaniumatome verdampft und auf einer Siliziumplatte zu einem hauchdünnen Kristall wachsen lassen. Durch ge-naue Steuerung der Silizium- und Germanium-mengen, der Temperatur und anderer Parameter ordneten sich die Germaniumatome im Silizium wie Kirschen in einer Torte zu kleinen Inseln an, den »Dots«.

»Die Schwierigkeit besteht darin, den Kristall so wachsen zu lassen, dass sich mehrere saubere Schichten aus Germanium-Dots und Silizium bilden, ohne dass Fehler im Kristall auftreten«, sagt Armando Rastelli vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung, Leiter des

Wo Motoren laufen, entsteht Wärme. Statt damit die Atmosphäre aufzuheizen, nutzen Forscher die Energie, um daraus Strom zu machen.

Text: Tim Schröder

Atomare Kirschtorten

Energie-Effi zienz eines AutosEingesetzte Energie (Kraftstoff) 100 %

25 % tatsächliche Leistung75 % Energieverlust

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Kooperationsprojekts »Nanostrukturierte Isolatoren aus Silizium«. Normalerweise leitet reines Silizium Wärme ganz hervorragend. Für Computerprozessoren ist das essenziell, denn die Bauteile würden überhitzen, wenn die Wärme nicht abfl ießen könnte. Bei thermoelek-trischen Elementen ist jedoch das Gegenteil gefragt: Sie sollen die Wärme möglichst schlecht leiten. Tatsächlich verwandelt sich das Silizium auf Grund der eingebauten Germanium-Dots in einen ausgezeichneten thermischen Isolator. Physiker sprechen von Wärmeschwingungen, die an den Dots gestreut werden, sodass die Schwingungen das Silizium nicht mehr so leicht durchdringen können. Der Silizium-Germanium-Kristall, den die Forscher gezüchtet haben, hält Wärme ähnlich gut zurück wie Glas. Noch ist das außergewöhnliche Material ein teurer Prototyp, doch die Qualität ist hervorragend – doppelt so gut wie bei ähnlichen Materialien aus amerikanischen Forschungslabors.

Das Messen der physikalischen Eigenschaften ist dabei eine Kunst für sich. Mit einer besonderen Apparatur ist es Alexandre Jacquot, Physiker am

IPM, gelungen, das neue thermoelektrische Ma-terial zu untersuchen: Auf der Oberfl äche wurde ein winziger metallischer Messstreifen befestigt, der sich bei Einschalten eines elektrischen Wech-selstroms erhitzt. Leitet ein Bauteil die Wärme gut, erhitzt sich die Oberfl äche kaum, weil thermische Energie abgeleitet wird. In einen sehr guten thermischen Isolator hingegen kann die Wärme nur schlecht eindringen. Entsprechend stark steigt die Temperatur an der Oberfl äche an. Die Messapparatur nimmt die Wärme nicht direkt wahr, sondern ermittelt diese – kompli-ziert, aber exakt – mit Hilfe einer Frequenzände-rung des heizenden Wechselstroms. »Dank der Apparatur konnten wir die Eigenschaften der Materialproben sehr genau bestimmen«, sagt Projektleiter Rastelli, »und gleichzeitig haben wir ein hochgenaues Messverfahren verifi ziert.«

Für das neue Material sind viele Anwendungen denkbar. Das derzeitige Herstellungsverfahren mit dem Elektronenstrahl ist der Industrie je-doch zu teuer. Die Fraunhofer-Forscher arbeiten daher schon seit einiger Zeit an einem Alterna-tiv-verfahren: Mit der Sputter-Methode lässt

sich das Material in der Vakuumkammer in größeren Mengen abscheiden. Sollte es gelin-gen, damit Silizium-Germanium-Schichten mit hervorragenden thermoelektrischen Eigenschaf-ten zu erzeugen, könnten sich völlig neue Wege zu thermoelektrischen Bauelementen eröffnen – davon ist Jacquot überzeugt. IPM-Wissen-schaftler haben bereits andere ungewöhnliche Ideen auf dem Gebiet der Thermoelektrik bis zur Marktreife entwickelt – beispielsweise extrem leistungsfähige Mikrokühler und -thermogenera-toren, die jetzt von dem Unternehmen micropelt hergestellt werden.

Die Kooperationspartner

– Institut für Integrative Nanowissen- schaften des IFW, Dresden– Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, Stuttgart– Fraunhofer IPM, Freiburg– CEA Grenoble, Frankreich– CNRS Bordeaux, Frankreich

Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung

7. Nanotechnologie forum Hessen

Europäische Dimension der Nanotechnologie – Von der Forschung zur Anwendung1. Dezember 2010 • ESOC European Space Operations Centre / ESA in Darmstadt

Die Fachveranstaltung rund um Nanotechnologien und EU-Förderprojekte –für Unternehmer und Entwickler. Die Themenschwerpunkte sind

> Schlüsselergebnisse aus EU-Projekten zu:Raumfahrt, Werkstoffe, Oberflächen, Chemie, Katalyse, Batterie

> EU-Förderung in der Praxis

Mit Besichtigungstouren am Vortag durch das „nanoValley“,die europäische Nanotechnologie-Region entlang des Rheins.

Information und kostenlose Anmeldung: www.hessen-nanotech.de/nanoforum

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Biokraftstoff ist ins Gerede gekommen. Denn Ökodiesel und Bioalkohol aus Raps oder Zuckerrohr machen Land-wirten die Äcker streitig, weil für die Herstellung große An-baufl ächen nötig sind. Das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Grenzfl ächen- und Bioverfahrenstechnik IGB und Partner aus Forschung und Industrie gehen deshalb einen anderen Weg: Als Ausgangsstoff dienen keine erntefrischen Feld-früchte, sondern Abfälle aus Großküchen, Markthallen oder Mensen. Diese organischen Reste produzieren beim Vergären Methan, das – in Hochdruckfl aschen gepresst – Autos und Lastwagen antreiben kann. So könnten Autofahrer ökolo-gisch korrekt tanken, ohne die Preise für Mais oder Gerste in die Höhe zu treiben.

Was einfach klingt, ist technologisch ausgesprochen an-spruchsvoll. Denn das beteiligte Konsortium will möglichst viel Energie aus der Biomasse herausholen. Ihr Projekt, das vor einem Jahr angelaufen ist, heißt denn auch ETAMAX – nach dem griechischen Buchstaben Eta, der für maximalen Wirkungsgrad steht. Eine Pilotanlage entsteht derzeit direkt neben dem Stuttgarter Großmarkt. Dort fallen Tag für Tag erhebliche Mengen Abfall an, die bisher auf dem Kompost landen. Bald wandern die Obst- und Gemüsereste in die innovative Vergärungsanlage. Die Nähe zum Erzeuger ist wichtig, weil dadurch Transporte entfallen, die in der Öko-bilanz mit einem dicken Minuszeichen zu Buche schlagen würden. Der hohe Wassergehalt der Großmarktabfälle – für die Kompostierung eher hinderlich – ist fürs Vergären ideal. Außerdem ist der Großmarktmüll arm an Lignozellulose,

also verholzten Teilen, die sich kaum vergären lassen. »Der Bioabfall ist zu hohen Prozentsätzen verwertbar«, sagt Ursula Schließmann, Expertin für Umweltbiotechnologie.

In wenigen Tagen vom Reststoff zum wertvollen Methan

Allerdings setzt sich der Abfall jeden Tag anders zusammen. Mal enthält er viele Melonen, mal viele Erdbeeren oder Orangen. Ein solches Wechselbad macht den Bakterien, die daraus Methan produzieren sollen, gelegentlich zu schaffen. Schließmann: »Bei zu vielen Zitrusfrüchten sackt der pH-Wert ab und der Prozess muss angepasst werden.« Damit die Einzeller nicht leiden und möglichst viel Treibgas produzieren, wandert der zerkleinerte Bioabfall zunächst in einzelne »Ver-säuerungsmodule«. Schließmann spricht von einer »Multisub-stratkaskade«. Erst danach wird alles vermischt und kommt in den eigentlichen Vergärungsreaktor. Bei dieser Prozessstufe konnten die Fraunhofer-Experten auf bewährte Technologie zurückgreifen: Sie haben bereits einen ähnlichen Reaktor für die Aufbereitung von Klärschlamm entwickelt. Schon nach wenigen Tagen ist die Verwandlung der organischen Rest-stoffe in wertvolles Methan abgeschlossen.

Der Clou des Projekts: Alles, was beim Vergären entsteht, wird genutzt, von den gasförmigen Ausscheidungen über das fl üssige Filtrat bis zum schlammartigen Rest. Möglich macht das die pfi ffi ge Kombination mit einer Algenkultur. Die Mikroalgen, mit deren Massenanzucht das IGB bereits viel

Müll macht mobilSalat, Obst, Gemüse und weitere leicht vergärbare Abfälle sol-len künftig in Methan umgewandelt werden und dann als Kraftstoff Autos antreiben. Forschung und Industrie arbeiten an einem Verfahren.

Text: Klaus Jacob

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Erfahrung hat, dienen der nachhaltigen Biomasseproduktion. Nach Gewinnung von Algenwertstoffen können Algrenrest-stoffe in die Gärtanks rückgeführt werden und ergänzen so den organischen Abfall. Umgekehrt profi tieren auch die Algen vom Gärprozess. Das fl üssige Filtrat (s. o.) düngt sie, denn es enthält alle nötigen Nährstoffe wie Stickstoff, Phos-phor oder Magnesium.

Das Gas, das die Methanbakterien produzieren, besteht zu knapp zwei Dritteln aus Methan und zu einem Drittel aus Koh-lenstoffdioxid. Auch das Treibhausgas Kohlendioxid kann für die Versorgung der Grünkulturen genutzt werden. Schließlich bleibt noch ein fester Gärrest übrig, den die Methanbakterien nicht weiter abbauen können. Das Karlsruher Institut für Tech-nologie und das Schweizer Paul Scherrer Institut wollen einen Weg fi nden, um auch daraus noch Energie zu gewinnen. Mit einer »katalysatorgestützten hydrothermalen Vergasung« bei hohem Druck und großer Hitze soll dieser Rückstand zu Methan und Kohlenstoffdioxid umgewandelt werden. Ob das gelingt und ob es sich lohnt, wird der Praxistest zeigen.

Für die Aufbereitung des Methans ist die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) zuständig. Sie trennt das Koh-lenstoffdioxid ab und prüft, ob noch andere Spurenstoffe wie Schwefelwasserstoff entfernt werden müssen. Dabei sprechen sich die Forscher mit Experten der Daimler AG ab, die eine kleine Flotte von Versuchsfahrzeugen stellt. Deren Motorenspezialisten untersuchen, ob die Erdgasmotoren das Biogas gut vertragen. Der Fuhrpark ist überschaubar, denn

die Pilotanlage ist keine großtechnische Anlage. Die beiden Gärtanks haben je vier Kubikmeter. Damit lassen sich pro Tag etwa acht Kilogramm aufbereitetes Biogas gewinnen. Das reicht für eine halbe Tankfüllung: Ein B-Klasse-Mercedes kommt damit rund 160 Kilometer weit.

Das Projekt ETAMAX, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit sechs Millionen Euro gefördert wird, hat eine Laufzeit von fünf Jahren. Wenn alles funktioniert und die einzelnen Komponenten einwandfrei zusammenspielen, könnten ähnliche Anlagen überall stehen, wo organischer Abfall mit hohem Wassergehalt anfällt. Um umweltschädliche Transporte über große Entfernungen zu vermeiden, benötigt man semizentrale Anlagenstandorte, die einen wirtschaftli-chen Betrieb ohne Emissionen ermöglichen. Die Projektpart-ner achten schon jetzt auf einen modularen Aufbau, damit sie später Minifabriken jeder Größe bauen können.

Die Zahl der Markthallen und Großküchen ist begrenzt – und damit auch die Anzahl der möglichen Standorte. Warum aber nicht auf den Inhalt der zahllosen Biotonnen zurückgreifen, die in vielen Städten und Gemeinden vor den Haustüren ste-hen? »Das geht leider nicht«, sagt Ursula Schließmann, denn in den Biotonnen landen viele Gartenabfälle, also verholzte Teile. Und einen Sensor, der diese störenden Bestandteile erkennen und automatisch aus dem Dreck herausfi schen könnte, gibt es nicht. Doch vielleicht gelingt es ja, Bevölke-rung und kommunale Verwaltungen für eine Sammlung von Küchenabfällen zu begeistern, die gut vergärbar sind und in die vorher beschriebenen Anlagen passen würden, da damit auch Müllgebühren gesenkt werden könnten. Eine begleiten-de Studie soll das untersuchen. Außerdem soll sie deutsch-landweit nach möglichen Standorten für die innovativen Gärküchen fahnden.

Partner im Projekt ETAMAX

– Fraunhofer-Institut für Grenzfl ächen- und Bioverfahrenstechnik IGB– Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV– Karlsruher Institut für Technologie (KIT)– Paul Scherrer Institut PSI– Daimler AG– EnBW Energie Baden-Württemberg AG– FairEnergie GmbH– Netzsch Mohnopumpen GmbH– Stulz Wasser- und Prozesstechnik GmbH– Subitec GmbH– Stadt Stuttgart

Ideal fürs Vergären: abgelaufene Großmarktware mit einem hohen Wassergehalt und wenig verholzten Pfl anzen. © Oliver Bodmer

www.fraunhofer.de/audioonline ab 28. Oktober 2010

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Das australische Healthcare-Unter-nehmen Prima BioMed Ltd. wird künftig eng mit dem Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immu-nologie IZI in Leipzig zusammen-arbeiten. Das von Prima BioMed entwickelte autologe Tumorvakzin CVacTM soll im kommenden Jahr in Leipzig für klinische Studien als Prüfpräparat hergestellt werden. Das auf Dendritischen Zellen beruhende Therapeutikum aktiviert nach Applikation körpereigene T-Zellen. Diese aktivierten T-Zellen spüren entartete Zellen im Körper auf und eliminieren sie, dabei werden keine oder nur geringe Ne-benwirkungen erwartet. CVacTM gehört damit zu einer neuen Generation von immuntherapeu-tischen Pharmazeutika. Nach dem Abschluss der klinischen Studien wollen die australischen Entwick-ler das Medikament international auf den Markt bringen. Die dafür notwendigen klinischen Tests sollen in verschiedenen europäischen Kliniken durchgeführt werden, wobei auch Prüfzentren in Leipzig vorgesehen sind.

Krebs-medikament im TestDie Megastadt Seoul investiert.

Mit einem kleinen Mobiltelefon kann heute jeder im World Wide Web surfen. Interaktive digita-le Medien gelten als einer der Wachstumsmärkte der Zukunft. Das Fraunhofer-Institut für Gra-phische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt hat zusammen mit der Nanyang Technological Universi-ty in Singapur ein gemeinsames Projektzentrum gegründet. Hier wollen die Forscher künftig Com-putergraphik, Computer Vision und virtuelle sowie erweiterte Realität für internetfähige Mobiltelefone entwickeln.

»An der Nanyang Technological University forschen die führenden Wissenschaftler Asiens für inter-aktive digitale Medien«, erklärte Dr. Wolfgang Müller-Wittig, Leiter der neuen Projektgruppe, bei der Vertragsunterzeichnung: »Der asia-tische Markt ist für seine Produkte in diesem Sektor bekannt. Hier bietet sich ein weites Betätigungs-feld.« Bundesforschungsministerin Annette Schavan bezeichnete die Gründung des Projektzentrums in Singapur als »Erfolg für die europäi-sche Forschungslandschaft«.

Projekt-zentrum in Fernost

In der Produktion, Unterhaltungs-elektronik und Medizin haben Laser bereits heute einen festen Platz: Sie schweißen Bleche, schicken Daten durch Glasfaserkabel, lesen Musik-CDs und härten Zahnfüllungen. Doch die technischen Möglichkei-ten sind bei weitem noch nicht aus-geschöpft. Die Laser der Zukunft sollen noch kleiner, noch kosten-günstiger, noch fl exibler und noch energiesparender sein.

Im EU-Projekt VERTIGO haben Forscher spezielle Lasermodule entwickelt, die nicht nur kompakt, effi zient und lichtstark sind, son-dern auch besonders langwelliges Licht emittieren. Damit eignen sie sich für den Einsatz in der Medizin-technik und der optischen Sensorik – beispielsweise zum Aufspüren von gefährlichen Turbulenzen hin-ter startenden Flugzeugen.

Beteiligt an den Arbeiten waren Institute und Unternehmen aus Großbritannien, Frankreich, Polen und Deutschland. Die Koordination lag beim Fraunhofer-Institut für An-gewandte Festkörperphysik IAF in Freiburg. Das neue IR-Lasersystem wird jetzt von der deutschen Firma LISA Laser vermarktet. Demnächst soll es – eingebaut in Sensoren und medizinische Geräte – in den Handel kommen.

Neuer IR-Laser

Als erste Stadt Südafrikas hat Jo-hannesburg nun einen Energieaus-weis eingeführt. Die Zertifi zierung wurde vor fünf Jahren in Deutsch-land entwickelt. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Stuttgart haben die Rechen-werkzeuge dafür erarbeitet.

Die Methoden wurden jetzt speziell für die Gebäudezertifi zierung in Südafrika weiterentwickelt und an die klimatischen Gegebenheiten angepasst. Im Projekt »EnerKey« wollen die Experten nicht nur die Energieeffi zienz von öffentlichen Gebäuden, sondern auch den gerechten Zugang zu Energieres-sourcen und den umweltbewussten Umgang mit Energie berücksichti-gen. Beteiligt sind neben dem IBP der TÜV Rheinland, die Universität Johannesburg sowie das Council for Scientifi c and Industrial Re-search. Mit dem Projekt »EnerKey« wollen die Forscher zur nachhal-tigen Entwicklung Johannesburgs beitragen.

Energie-ausweis

Spin-offsKompetenz für die ImmobilienwirtschaftWelche Kriterien sind maßgeblich, um einer nachhalti-gen Modernisierung gerecht zu werden? Wie lassen sich Instandhaltungskosten im technischen Bestandsmanagement entscheidend optimieren? Wann sind Investitionen in eine Sanierung zur Steigerung der Energieeffi zienz von Gebäuden gewinnbringend? Antworten auf diese und weitere Fragen geben Experten der Firma CalCon.

Seit nunmehr zehn Jahren trägt das IT-gestützte Verfahren epiqr® zur Optimierung des Immobilienmanagements von Bestandsimmobilien bei. Das Verfahren ist 1999 aus einem EU-Forschungsprojekt hervorgegangen, an dem das Fraunho-fer-Institut für Bauphysik IBP in Stuttgart beteiligt war.

Der Clou: Innerhalb nur weniger Stunden Bestandsanalyse durch einen Ingenieur liefert epiqr® verlässliche Informatio-nen zum baulichen Zustand, zur künftigen Instandhaltungs- und Modernisierungskosten. Ohne das System benötigt ein Architekt für dieselbe Leistung mehrere Tage.

Um das Verfahren weiterzuentwickeln und zu vermarkten, wurde im Jahr 2000 die Firma CalCon als Spin-off des IBP gegründet. In den vergangenen zehn Jahren sind allein in Deutschland mehr als 100 Millionen Quadratmeter Brut-togrundfl äche mit epiqr® erfasst worden. Diese weltweit einzigartige Menge an Informationen zu baulichen Zustän-den, Abnutzungsgraden, Lebensdauern und Kosten von Immobilien nutzt CalCon zur Erweiterung und zur Validierung des Systems. »Somit helfen wir unseren Kunden mit wenigen, jedoch entscheidenden Daten, schneller auf Marktanforde-rungen zu reagieren und dabei Ihre Produktivität zu steigern«, sagt der Vorstandsvorsitzende Christian Wetzel.

Das Leistungsspektrum der CalCon-Gruppe umfasst heute neben der stetigen Weiterentwicklung der Softwarelösung epiqr® auch ein umfangreiches Dienstleistungsportfolio: Die Firma bietet Sonderprogrammierungen für individuelle Kun-denbedürfnisse, Bestandserfassungen durch hochqualifi zierte Ingenieure, Nachhaltigkeitsanalysen und ein ganzheitliches Energiemanagement an.

Christian Wetzelwww.calcon.de

Kostengünstig und kompakt scannen Die Inhalte der Döschen und Flaschen, aus denen Apothe-ker individuelle Medikamente für Patienten mischen, sehen meist gleich aus: weißes Pulver. Daher sind die Pharmazeuten verpfl ichtet, die Rezepturrohstoffe zu kontrollieren, damit jede Verwechslungsgefahr ausgeschlossen werden kann. Das ist ein mit bis zu einer dreiviertel Stunde Dauer pro Test zeitraubendes Procedere und ein teueres noch dazu, weil gängige Spektrometer dafür leicht so viel wie ein Mittelklas-seauto kosten.

Seit dem vergangenen September geht das mit einem Ana-lysegerät der Dresdner Firma Hiperscan GmbH billiger und besser: Das neuartige Nahinfrarot-Spektrometer schafft die so genannte Identprüfung in ein bis zwei Minuten und kostet knapp 12 000 Euro.

Kern des Geräts ist eine Entwicklung des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS in Dresden: Mikro-scannerspiegel, durch die die kompakte und kostengünstige Bauweise erst möglich wird. Alexander Wolter hat am IPMS nicht nur die Forschung geleitet, sondern auch den Prozess entwickelt, wie die Bauteile in Massenproduktion hergestellt werden können. »Da war der Weg zu einer Ausgründung nicht mehr weit«, sagt der 41-Jährige. Er wagte den Schritt vor gut vier Jahren und lacht: »Als ich 1996 am Fraunhofer-Institut anfi ng, hätte ich mir das nicht zugetraut.« Doch er arbeitete an etlichen Industrieprojekten und belegte Fraunhofer-Fortbildungen im Unternehmensmanagement. Es hat gewirkt: Die junge Firma fl oriert, gilt in der Branche als führender Lieferant von Mikroscannerspiegeln und beschäf-tigt mittlerweile neun Mitarbeiter. Wachstum verspricht, dass das kompakte Nahinfrarot-Spektrometer vielfach einsetzbar ist, etwa für die Eingangs- und Ausgangskontrolle von Le-bensmitteln oder bei der Qualitätssicherung in der Chemie-, Pharma- und Getränkeindustrie. Künftig soll die Technik noch kompakter werden: »Wir arbeiten an einem Handheld-Ana-lysegerät, das auch ungelernte Arbeiter bedienen können«, informiert Wolter.

Dr. Alexander Wolterwww.hiperscan.com

weiter.vorn 4.10 GRÜNDERWELT - 35

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36 - MEDIZIN weiter.vorn 4.10

Schritt für Schritt geht Florian Dennerlein die Treppe hinauf. Stufe um Stufe. Rechtes Bein anheben, Knie anwinkeln, Bein ein kleines Stück nach vorne versetzen, absetzen, auftreten, Gewicht verlagern. Dann kommt das linke Bein. Nach zwölf Stufen ist er am Ziel. Ganz ohne fremde Hilfe und relativ fl ott – für Florian ein kleines Wunder, denn eigentlich hat er kein rechtes Bein. Er ist ein Unterschenkelamputier-ter, wie es bei Medizinern heißt.

Die Vision der Forscher in der Abteilung Ortho-pädie und Bewegungssysteme des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automa-tisierung IPA in Stuttgart: Florian wird künftig eine Prothese tragen, die sich viel feiner steuern lässt. Natürliche Bewegungsabläufe wie gehen, rennen und Treppen steigen, sollen mit dem neuen Steuerungssystem funktionieren, ohne dass der Prothesenträger darüber nachdenken muss. Das Gehirn steuert die Muskeln willkür-lich. So können diese zum richtigen Zeitpunkt und in der nötigen Intensität kontrahiert wer-den. Dann werden Treppenstufen für Florian keine mühsame und holprige Angelegenheit mehr sein.

Die Forscher des IPA arbeiten auf dem Gebiet der Prothesen- und Orthesenentwicklung eng mit dem VAMC (VA Medical Center) in Minnea-polis zusammen. Gemeinsam haben sie ein Steu-erungssystem entwickelt, mit dem Prothesen-träger das künstliche Bein in Zukunft willkürlich steuern können. Im Schaft der Prothese sitzen Sensoren, die elektrische Signale an den verblei-benden Muskeln abgreifen und in Prothesen in eine entsprechende Bewegung umwandeln.

Array aus Sensoren misst Aktivitätssignale

Bisherige Prothesen mit Willkürsteuerung hatten einen entscheidenden Nachteil: Spannt ein Trä-ger etwa im Sitzen unbewusst einen Beinmuskel an, reagiert das Kunstbein darauf und das Knie-gelenk der Prothese streckt sich. Unbeabsich-tigte Bewegungen mögen manchmal vielleicht komisch aussehen, auf der Treppe etwa kann ein unkontrolliertes Beinausschlagen aber zur Gefahr für Menschen wie Florian werden. Auch plötzlich auftauchende Hindernisse wie eine Tür-schwelle sind für den Betroffenen ein Problem, wenn er sie nicht rechtzeitig erkennt. Denn nur

dann kann er die Prothesenbewegung entspre-chend abstimmen.

»Unser neues Steuerungssystem merzt diese Gefahrenquellen aus und ermöglicht eine we-sentlich intuitivere Kontrolle«, sagt Projektleiter Harald von Rosenberg. Für den Prothesenträger bedeutet das schlicht: Am besten denkt er nicht an das Bein, sondern macht alles so wie früher, ganz selbstverständlich. Hinter dem System steckt eine ausgeklügelte Technik: Im Schaft der Prothese befi ndet sich ein Array aus Sensoren, das sämtliche Aktivitätssignale der verbliebenen Beinmuskeln misst. Doch welches dieser Signale ist das richtige? Jenes, das die Bewegung aus-führen soll? Um das herauszufi nden, muss das System anhand von spezifi schen Signalmustern das ideale Muskelsignal bestimmen. »Das heißt, es muss den Wunsch des Prothesenträgers erkennen«, erklärt von Rosenberg.

Gleichzeitig registrieren die Sensoren aber auch, in welchem Bewegungszustand sich der Prothesenträger gerade befi ndet. Bei jedem Schritt messen die Sensoren in Bruchteilen einer Sekunde eine ganze Reihe von Parametern, wie

Natürlich gehen mit Prothese Prothesenträger haben es schwer: Nicht immer tut das künstliche Bein das, was es soll. Forscher haben ein neues Steuerungssystem entwickelt, das auf willkürliche Gedanken reagiert. Damit sollen sich Prothesen wie natürliche Gliedmaßen bewegen lassen.

Bewegungen lassen sich mit Hilfe einer Mikropro-zessor-Steuerung feiner, realitätsnäher steuern.© Fraunhofer IPA

den Kniewinkel oder die Kraft und die Beschleunigung, die an einzelnen Punkten auf den Prothesenschaft wirken. »Da-mit weiß die Prothese quasi, ob ihr Träger gerade sitzt oder liegt, steht, geht oder rennt. Oder ob er sich gerade bückt oder sich hinkniet.« Wie ein Sandwich liegen die Drucksenso-ren unter den elektrischen Sensoren. Die Experten sprechen von einem Multi-Sensorsystem. Dabei erkennen die Druck-sensoren, dass der Amputierte gerade sein gesamtes Gewicht auf das Prothesenbein verlagert hat – eine Situation, die vor allem beim Treppensteigen vorkommt.

Beide Informationen – also Muskelaktivitätssignal und Bewegungszustand – verwandelt das System in ein Will-kürsignal. Dafür sind komplexe Algorithmen notwendig, die beide Sensordaten miteinander »verschmelzen«, weshalb man sie auch Fusionsalgorithmen nennt. Diese müssen am Ende ein reproduzierbares Willkürsignal liefern, das die rich-tige Bewegung der Prothese auslöst und diese zudem den Gegebenheiten anpasst, etwa des Bodens und der entspre-chenden Dämpfung. Der eigentliche Clou des Systems aber ist, dass die Berechnung in Echtzeit erfolgt. »So nähert sich die Verwendung von künstlichen Extremitäten immer mehr dem natürlichen Bewegungsablauf«, sagt von Rosenberg. Außerdem sinkt das Sturzrisiko und Hindernisse sind für den Prothesenträger kein großes Problem mehr. Das schafft mehr Sicherheit im Alltag.

Computerspiele per Muskelspannung bedienen

Die Forscher sehen aber noch viele weitere Anwendungs-möglichkeiten für ihre Erfi ndung. Ähnliche Sensor-Arrays könnte man auch für Armprothesen zur Steuerung von Hand-bewegungen nutzen. Bei dem System der IPA-Forscher handelt es sich um eine Mensch-Maschine-Schnittstelle, die beim Bedienen von Geräten ebenfalls sehr hilfreich sein könnte. Jogger, die bei der morgendlichen Runde im Park auf Musik nicht verzichten wollen, hätten zum Beispiel ein leichteres Spiel: Anstatt umständlich während des Laufens nach den Knöpfen des MP3-Players in der Hosentasche zu tasten, spannen sie einfach den Muskel im Oberarm und das nächste Lied ertönt. Ähnliche Steuerungssysteme kann man sich auch bei Computerspielen vorstellen, denn je komplexer die Spiele werden, desto einfallsreicher muss man bei der Handhabung sein. Wie diese funktioniert, demonstrieren die Forscher an einer Flippermaschine. Sensoren, die auf den Unterarm geklebt werden, registrieren die Muskelanspan-nung des Spielers. So steuert er, ohne Knöpfe zu drücken, mit der Kraft seiner Gedanken willkürlich die Kugel. Für viele körperlich Eingeschränkte könnte der Fortschritt derartiger Mensch-Maschine-Schnittstellen den Alltag erheblich erleichtern – sei es beim Bedienen von Elektrogeräten im Haushalt oder eines Tages auch beim Autofahren.

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38 - ROBOTER weiter.vorn 4.10

Vorsichtig nimmt der Roboter das Zahnrad in die eine und das Gehäuse in die andere Hand. Dann steckt er die beiden Teile zusammen. Als sie nicht gleich einrasten, unterbricht er seine Bewegung. Langsam dreht er das Zahnrad ein kleines Stück zurück. Jetzt lässt es sich ohne Widerstand in der Halterung bewegen. Mit einem Lächeln legt er die erfolgreich zusammen-gesteckte Verbindung auf das Laufband und greift zum nächsten Teil.

Dem pi4-Workerbot gelingt motorisch Vie-les, was normale Roboter nicht können. Er ist das Glanzstück des mit europäischen Mitteln geförderten PISA-Projekts. Ziel des Forschungs-vorhabens ist es, mit Hilfe von Robotern die Flexibilität bei Montageaufgaben einer indus-triellen Massenfertigung zu erhöhen. Wer in Deutschland produziert, braucht eine Technolo-gie, die anpassungsfähig ist, an unterschiedliche Produktvarianten und schwankende Stückzah-len. Weil je nach Auftragslage auch der Bedarf an Arbeitskräften variiert, sollen Hersteller den Workerbot daher sogar leasen können.

www.pisa-ip.org

»Wir haben den Workerbot so entwickelt, dass er ähnliche Proportionen wie ein Mensch hat«, sagt Dragoljub Surdilovic, Arbeitsgruppenleiter

am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin. So lässt er sich an jedem modernen Stehsitzarbeitsplatz der industriellen Fertigung einsetzen.

Der Roboter ist mit drei Kameras ausgestattet. Die Umgebung erfasst er mit einer hochmoder-nen 3D-Kamera in der Stirn. Zu Inspektions-zwecken dienen die beiden anderen Kameras. Die Bandbreite seiner Fähigkeiten ist groß: »Er kann Gegenstände vermessen oder unterschied-liche Oberfl ächen inspizieren«, sagt Matthias Krinke, Geschäftsführer von pi4-Robotics, dem Unternehmen, das den Workerbot auf den Markt bringt. Über die Refl ektion des Lichts auf dem Material erkennt der Workerbot beispiels-weise, ob die Chromschicht auf einem Werk-stück makellos aufgetragen wurde. »Wenn man zwei unterschiedliche Kameras einsetzt, kann

er mit dem linken Auge einen anderen Aspekt prüfen als mit dem rechten«, sagt Klinke. »Da hätten wir als Menschen Probleme.«

Die Prüfung von Einzelteilen ist eine hoch repe-titive und für Menschen sehr ermüdende Arbeit, zwangsläufi g lassen sie fehlerhafte Teile passie-ren. Der Workobot hingegen kann Bauteile 24 Stunden lang inspizieren. Das ist für Bereiche, in denen es auf Präzision ankommt, besonders wichtig: Zum Beispiel in der Medizintechnik, wo ein fehlerhaftes Teil im schlimmsten Falle das Leben von Menschen in Gefahr bringen kann.

Eine weitere Besonderheit des pi4-Workerbot: Er verfügt über zwei Arme. »Das erlaubt neue Arten von Operationen«, sagt Surdilovic. »Die Roboter können ein Werkstück von einer Hand in die andere weitergeben.« Etwa, um kompliziert

Zwei Arme, drei Kameras, Fingerspitzengefühl und Mimik — das sind die besonderen Kennzeichen des pi4-Workerbot. Der Roboter soll helfen, die Produktion in Europa wettbewerbsfähig zu halten.

Text: Britta Danger

Roboter mit Fingerspitzengefühl

Der Workerbot hat ähnliche Proportionen wie ein Mensch. © pi4_workerbot

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weiter.vorn 4.10 ROBOTER - 39

gebaute Teile aus allen Winkeln zu betrachten. »Der Workobot hat ähnliche Bewegungsmög-lichkeiten wie ein Mensch«, sagt der promovierte Maschinenbauer. »Konventionelle Roboterarme haben in der Regel nur ein einziges Drehge-lenk in der Schulter, alle anderen Gelenke sind Knickgelenke. Das heißt, sie verfügen über sechs Freiheitsgrade und nicht über sieben wie der menschliche Arm.« Der Workerbot hat neben dem Drehgelenk in der Schulter eine zusätzliche Drehmöglichkeit, die dem Handgelenk beim Menschen entspricht. »Das ist steuerungstech-nisch nicht so ganz einfach zu realisieren, weil es dann mehrere Möglichkeiten gibt, Teile zu posi-tionieren und zu greifen. Aber die Geschicklich-keit des Roboters hat sich so deutlich erhöht«, erläutert Krinke. Die Arbeitsgruppe von Surdilovic arbeitete die Steuerung aus. »Eine besondere Herausforderung war es, das Zusammenspiel der beiden Arme zu ermöglichen – etwa wenn sie gemeinsam ein Werkstück inspizieren oder zwei Bauteile zusammenbauen«, erläutert der

Fraunhofer-Forscher. »Dazu bedarf es einer zusätzlichen Sensorik.«

Der Workerbot hat Kraftsensoren in den Hand-gelenken. »Verkantet sich zum Beispiel beim Zusammenschrauben ein Werkstück, spürt er den Widerstand und kann die Bewegung korrigie-ren«, erklärt Krinke die Nachgiebigkeitsregelung. »Ein konventioneller Roboter würde das Teil zerstören, weil er ganz stumpf versucht, die Teile zusammenzubringen. Oder er empfängt eine Fehlermeldung und stellt die Arbeit einfach ein.«

Mit der Steuerung vom IPK kann der Roboter analysieren, wo die Kräfte entstehen. Diese Informationen verwendet er, um neue Strate-gien für das Zusammenfügen zu entwickeln. So kann er auch komplizierte Teile zusammen-setzen. Zusätzlich dazu haben die Forscher ihn mit Fingerspitzengefühl versehen. »Wenn man die Greifkräfte richtig einstellt, greift er ein Ei oder eine Erdbeere, ohne sie zu zerquetschen«,

sagt Surdilovic. Der Roboter kann sich sogar mit Mimik ausdrücken. Läuft die Arbeit reibungs-los, lächelt der Workerbot zufrieden. Sieht er gelangweilt aus, wartet er auf Arbeit und der Produktionsleiter weiß, dass der Produktionspro-zess beschleunigt werden kann.

»Das ist eine sehr ernst gemeinte Idee von uns«, betont Krinke. Elf verschiedene Gesichtsausdrü-cke sind unterschiedlichen Betriebszuständen zugeordnet. »Gesichtszüge sind eine internatio-nale Sprache, die keine Übersetzung braucht«, erklärt Krinke. Man muss den Roboter nur anschauen und versteht sofort, was los ist. »Das ist ein großer Vorteil gegenüber herkömmlichen Systemen. In einer Kunststofffabrik stehen 20 bis 30 unterschiedliche Maschinen, die von einem Mitarbeiter betreut werden. Gibt es ein Problem, muss er anhand von Zahlenkolonnen heraus-fi nden, wo die Schwierigkeiten liegen«, sagt Krinke. »Beim Workerbot erkennt er intuitiv, wie die Situation ist.«

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Schwere Kisten transportieren, Getränke anbieten und die geleistete Arbeit zu-verlässig dokumentieren — Servicerobo-ter können das Personal in stationären Pfl egeeinrichtungen entlasten. Ein erster Praxistest mobiler Serviceroboter zeigt, dass sowohl Pfl egekräfte als auch Bewoh-ner die Unterstützung durch Roboter akzeptieren.

Text: Birgit Niesing

Robbie, bitte übernehmen Sie!

40 - ROBOTER weiter.vorn 4.10

Wartungsroboter, die sehen und fühlen

Sie sind die Helfer in der Not: Die im Projekt ImRoNet entwickelten Serviceroboter zur Wartungsunterstüt-zung meistern souverän komplizierte Aufgaben, können technische Anlagen steuern und überwachen oder das Anlagenpersonal instruieren. Ihr besonderes Kennzei-chen: Sie lassen sich einfach bedienen und führen einige Bewegungsabläufe bereits selbstständig durch. Wichtige Voraussetzung für die Benutzerunterstützung ist, dass Sensoren die Umgebung detailliert erfassen – die Roboter können »sehen« und »fühlen«. Dadurch kann der War-tungsgehilfe nicht nur Hindernissen ausweichen, sondern auch einfache Arbeiten selbst erledigen – etwa präzise ein Stellrad greifen und genau mit der richtigen Kraft auf- oder zudrehen. Entwickelt haben die Systeme Forscher des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Au-tomatisierung IPA in Stuttgart, des Karlsruher Instituts für Technologie sowie der Industriepartner Beckhoff GmbH, metaio GmbH, GPS GmbH und Schunk GmbH & Co. KG.

www.imronet.de

Der Care-O-bot® 3 holt frische Getränke vom Wasserspender und bietet sie dann den Bewohnern des Pfl egeheims an. © Fraunhofer IPA

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weiter.vorn 4.10 ROBOTER - 41

Seit mehr als zwölf Jahren kümmert sich Nadine Petrova als Pfl egekraft im Seniorenheim um die Bewohner: Sie wäscht die Senioren, füttert sie, wechselt Verbände und versorgt sie im Notfall. Regelmäßig dokumentiert sie ihre Tätigkeit. Obwohl die Arbeit körperlich sehr anstrengend ist, kann sie sich nicht vorstellen, einen anderen Beruf auszu-üben. Bisher gehören auch einfache Routinetätigkeiten zu ihren Aufgaben, die nicht direkt mit den Bewohnern zu tun haben, zum Beispiel Hol- und Bringdienste. Entlastung schaffte im vergangenen Monat ein Roboter zur Pfl ege-unterstützung: Er übernahm lästige Transporte wie die Lie-ferung von Post, Wäsche oder neuer Getränke und fuhr mit Hilfe seines Navigationssystems zielsicher von Station zu Station. Bedienen lässt sich der Helfer einfach über den am Roboter angebrachten Touchscreen oder über das Smartphone von Frau Petrova.

Bei der Versorgung der Senioren mit Getränken unterstützt ein weiterer Roboter das Pfl egepersonal: In den Aufenthalts-räumen verteilt er regelmäßig Wasser an die Bewohner, die noch nicht ausreichend Flüssigkeit zu sich genommen haben. Doch woher weiß der Helfer, welche Senioren noch nicht genügend getrunken haben? Die notwendigen Informa-tionen zur Identifi kation einzelner Senioren und zu deren bisheriger Flüssigkeitsaufnahme lädt er über eine verschlüs-selte Funkverbindung aus einer Datenbank, in der sowohl der automatische Helfer als auch das Pfl egepersonal die bisher ausgegebenen Flüssigkeitsmengen protokollieren.

www.wimi-care.de

So oder ähnlich könnten mobile Serviceroboter in Zukunft zur Pfl egeunterstützung eingesetzt werden. Welche Aufgaben die Roboter übernehmen könnten, haben Forscher in dem Projekt »WiMi-Care« auf Basis einer Bedarfsanalyse in der stationären Altenpfl ege herausgefunden. Daraus haben sie beispielhaft zwei Szenarien abgeleitet – den Transport und das Verteilen von Getränken – und in einem ersten Praxistest im Stuttgarter Altenpfl egeheim »Parkheim Berg« untersucht. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt »WiMi-Care« arbeiteten die Universität Duisburg-Essen, die User Interface Design GmbH, die MLR System GmbH und das Fraunhofer-Institut für Produktions-technik und Automatisierung IPA zusammen. Das im November 2008 gestartete Forschungsvorhaben hat eine Laufzeit von drei Jahren. »Primäres Ziel der ersten Testphase war es, die technische Machbarkeit der ausgewählten

www.care-o-bot.de/Videos/Care-O-bot3_Altenheim.wmv

Szenarien zu verifi zieren und ein erstes Feedback bezüglich der Benutzerakzeptanz zu bekommen. Dieses Ziel haben wir erreicht«, erklärt Dr. Birgit Graf, die am Fraunhofer IPA die Gruppe Haushalts- und Assistenzrobotik leitet.

Die Erprobung der Transportfunktion fand dabei auf dem fahrerlosen Transportsystem »CASERO®« der MLR System GmbH aus Ludwigsburg statt. »CASERO®« verteilte Post und lieferte Wäsche sowie Getränke auf die Stationen. Der Roboterassistent »Care-O-bot® 3«, den Forscher des Fraun-hofer IPA entwickelt haben, versorgte die Bewohner des Altenheims mit frischem Wasser. »Der Roboter verfügt über eine mobile Basis, einen Arm und Greifer. So kann er auch für komplexe Handhabungsaufgaben, etwa die Bedienung eines Wasserspenders, eingesetzt werden«, erläutert Graf. Für die Tests kam eine neue Care-O-bot® 3-Variante zum Einsatz, die in dem EU-Projekts »BRICS« aufgebaut wurde.

Auf Care-O-bot® 3 wurde für die erste Testphase ein ver-einfachtes Szenario implementiert: Der Robbie füllt einen im Wasserspender befi ndlichen Becher durch Drücken des Knopfs auf. Den Becher stellt er auf seinem Tablett ab, fährt über den Gang in den Aufenthaltsraum und bietet das Wasser den Senioren an. »Die Bewohner haben durchweg positiv auf den Roboter reagiert und schnell verstanden, dass sie den Becher vom Tablett nehmen sollen«, erläutert Graf. Einziges Manko: Tatsächlich daraus getrunken haben sie nur selten. Eines der Ziele für die nächste Projektphase besteht nun darin, »den Roboter überzeugender auftreten zu lassen, so dass er nicht nur als Zeitvertreib angesehen, sondern seine Aufforde-rungen zum Trinken von den Bewohnern auch ernst genom-men werden«, erläutert Graf.

www.care-o-bot.de

Die nächste Tests sind für Anfang 2011 angesetzt. Neben der verbesserten Interaktion mit den Benutzern soll bis dahin das Szenario weiter ausgearbeitet und optimiert werden, so dass der Roboter auch mehrere Interaktionszyklen eigen-ständig, das heißt ohne Steuerung und Überwachung durch die IPA-Mitarbeiter, durchführen kann. Außerdem wollen die Forscher bis dahin ein zusätzliches Szenario zur Unterhaltung und Animation der Bewohner entwickeln, in dem zum Bei-spiel auf dem Touchscreen Gesellschaftsspiele oder Program-me zum Gedächtnistraining gestartet, Musik abgespielt oder Gedichte vorgelesen werden können.

www.fraunhofer.de/audioonline ab 18. November 2010

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42 - ROBOTER weiter.vorn 4.10

Unter Wasser stößt der Mensch schnell an seine Grenzen: Ohne zu atmen, überlebt er nur we-nige Minuten. Taucher, die mit Pressluftfl asche und Lungenautomat ausgerüstet sind, können zwar in geringe Tiefen vorstoßen – dort aller-dings nur beschränkte Zeit bleiben. Der Grund: Je tiefer der Taucher sinkt, desto größer wird der Außendruck und damit auch der Luftver-brauch. Dazu kommt, dass sich die Lösbarkeit des Sauerstoffs im Blut verändert. Dies kann bei größeren Tauchtiefen zu pyhsiologischen Problemen führen.

U-Boote erlauben längere und tiefere Tauchgän-ge. In ihrem Inneren wird ein Luftdruck aufge-baut, der dem an der Oberfl äche entspricht – die

Passagiere merken nichts von dem enormen Wasserdruck, der in einigen hundert oder sogar tausend Metern Tiefe herrscht. Dieser Luxus hat jedoch seinen Preis: Bemannte U-Boote sind teuer. Nur große Forschungseinrichtungen und Militär können sie sich leisten. Günstiger sind unbemannte Unterwasserfahrzeuge, die über Kabel mit der Steuerzentrale verbunden sind – diese kann sich am Ufer, auf einer Bohrinsel oder auf einem Forschungsschiff befi nden. Ausge-rüstet mit Kameras, Sensoren und Greifarmen werden ferngesteuerte Tauchroboter heute bereits für Forschungs-, Inspektions- und War-tungsarbeiten genutzt. Die Einsatzmöglichkeiten dieser Technik sind allerdings begrenzt durch die Länge des Kabels und das Fingerspitzengefühl

des Navigators – die Steuerung eines Unterwas-serfahrzeugs im dreidimensionalen Raum ist eine Kunst für sich.

Kein Wunder, dass Ingenieure auf der ganzen Welt nach einfacheren und fl exibleren Lösungen suchen. Schon seit Jahren arbeiten die Forscher an autonomen Unterwasserrobotern, die sich unter Wasser orientieren und ohne menschli-ches Zutun Jobs erledigen können. Mittlerweile gibt es AUVs, – die Abkürzung für Autono-mous Underwater Vehicles –, die selbstständig Daten sammeln oder Proben nehmen, bevor sie zum Ausgangspunkt zurückkehren. »Die Technik ist enorm vielseitig, bisher allerdings auf Nischenmärkte beschränkt«, erklärt Dr. Thomas Rauschenbach, Leiter des Anwendungszen-trums Systemtechnik am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Ilmenau. »Für Routineaufgaben wie die Inspektionen von Spundwänden, Staumauern oder Schiffsrümpfen ist sie noch zu teuer.«

Neue Generation autonomer Unterwasser-Roboter

Das kann sich bald ändern. Zusammen mit Forschern an vier Fraunhofer-Instituten arbeitet Rauschenbachs Team derzeit an einer Genera-tion von autonomen Unterwasserrobotern, die kleiner, robuster und billiger sein werden als die bisher gängigen Modelle. Die neuen AUVs sollen sich in klaren Bergstauseen genauso gut orientieren können wie im trüben und beweg-ten Hafenwasser, sie sollen für Arbeiten am Grund der Tiefsee ebenso geeignet sein wie für die Inspektion von fl achen Betonsockeln, auf de-nen Offshore-Windkraftanlagen montiert sind. »Die derzeit verfügbaren Marktstudien gehen von einem steigenden Bedarf an AUVs aus«, weiß Rauschenbach. »Wartungsarbeiten werden zunehmend automatisiert und das Interesse an Rohstoffvorkommen am Meeresgrund wächst. Die Energie, die beispielsweise in Form von Me-thanhydraten im Meeresboden gespeichert ist, übersteigt die der derzeit bekannten Erdöl- und Erdgasvorkommen.« Wenn man den Prognosen der Technikvisionäre glaubt, werden solche Roh-stoffe in Zukunft auch gleich an Ort und Stelle – am Meeresgrund – verarbeitet. Auch dazu sind Unterwasserroboter notwendig.

Die erwartete Nachfrage befl ügelt die For-schung. Wissenschaftler und Ingenieure auf der

Abtauchen – im neu entstandenen Forschungsbecken werden Unter-wasserroboter getestet. © Fraunhofer IOSB

Unter WasserRoboter müssen nicht atmen. Sie können daher länger tauchen als jeder Mensch. Ausgestattet mit der nötigen Sensorik können sie Hafenanlagen und Schiffsrümpfe inspizieren oder bis auf den Meeresgrund vorstoßen, um nach Rohstoffen zu suchen.

Text: Monika Weiner

weiter.vorn 4.10 ROBOTER - 43

ganzen Welt arbeiten an neuen AUVs. »Was uns auszeichnet, ist die Interdisziplinarität«, erläutert Rauschenbach. »Die Fraunhofer-Institute, die an dem Projekt beteiligt sind, verfügen über jahr-zehntelange Erfahrungen in der Entwicklung von Sensoren, Bildauswertungsverfahren, Batterien sowie Steuerungs- und Regelungstechnik.«

Sehen unter Wasser — Kameras sind die Augen der Roboter

Die Ingenieure vom Fraunhofer-Institut für Op-tronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Karlsruhe erarbeiten »Augen« für den Unter-wasserroboter: Die optische Wahrnehmung ba-siert auf einer speziellen Belichtungs- und Analy-setechnik, die eine Orientierung auch im trüben Wasser ermöglicht. In einem ersten Schritt wird der Abstand zum Objekt ermittelt, dann sendet die Kamera einen Laserimpuls aus, der vom Objekt – beispielsweise einer Wand – refl ektiert wird. Millisekunden, bevor der refl ektierte Licht-blitz eintrifft, öffnet sich die Blende der Kamera, die empfi ndlichen Sensoren können nun die einfallenden Lichtpulse auffangen. Die Aufnah-metechnik sorgt dafür, dass Fehlinformationen, deren Ursache Refl exionen an Schwebteilchen im Wasser sind, erst gar nicht registriert werden. So lassen sich selbst in schmutzigem Hafenwas-ser aussagekräftige Aufnahmen machen.

Im Ilmenauer Institutsteil des IOSB entwickelt Rauschenbachs Team das »Hirn« des Robo-ters: Ein Steuerprogramm, das das AUV auch bei Strömung auf Kurs hält – beispielsweise in einem bestimmten Abstand zu der Wand, die untersucht werden soll. Bis der Roboter vollstän-dig aufgebaut ist, wird die Software mit den weiteren drei vorhandenen Unterwasserfahr-zeugen in Ilmenau getestet.

Aus dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Forschung IBMT in St. Ingbert kommen die »Oh-ren« des neuen Roboters: Ultraschallsensoren helfen ihm bei der Orientierung und ermögli-chen die Untersuchung von Gegenständen. Im Gegensatz zur bisher gängigen relativ langwelli-gen Sonartechnik verwenden die Forscher hoch-frequente Schallwellen, die von Wänden oder Hindernissen refl ektiert und anschließend vom Sensor registriert werden. Mit Hilfe der hoch-frequenten Wellen lassen sich sogar feine Risse aufspüren. Um den Sensor fi t zu machen für den Einsatz unter Wasser, haben die Fraunhofer-

Experten eine eigene Technik entwickelt: Die elektronischen Bauteile werden unter Vakuum in Silikon eingegossen. So halten sie Drücken von 600 Bar stand – das entspricht dem Druck in 6000 Metern Tiefe – ohne dass ein teures und schweres Gehäuse benötigt würde. Mit Silikon sind auch die leistungsstarken und gleichzeitig leichten Lithiumbatterien des Fraunhofer ISIT in Itzehoe ummantelt, die den Unterwasserroboter mit Energie versorgen. Ein spezielles Energiema-nagement, das Forscher am Fraunhofer-Institut für Umwelt, Sicherheit und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen entwickelt haben, spart Strom und stellt sicher, dass im Notfall die Daten gesichert werden, bevor dem Roboter die Energie ausgeht und er auftauchen muss.

Augen, Ohren, Hirn, Motor und Batterien werden derzeit in einen Tragrahmen integriert. Der Prototyp ist ungefähr zwei Meter lang und 200 Kilo schwer. Seine Jungfernfahrt wird das torpedoartige Gebilde noch in diesem Jahr im neuen Tauchbecken auf dem Gelände des IOSB in Ilmenau machen. Das Becken ist nur drei Meter tief, aber »das reicht, um die entscheiden-den Funktionen zu testen«, beteuert Rauschen-bach. »Schnell und weit fahren ist einfach. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, auf kleinem Raum langsam zu manövrieren, stehen zu bleiben und Daten zu sammeln. Unser Tauchbecken ist dafür ideal.« Im Herbst 2011 soll der autonome Tauchroboter made by Fraun-hofer dann erstmals in See stechen: Zusammen mit den Wissenschaftlern vom IFM-Geomar Forschungszentrum in Kiel werden die Ingeni-eure vom Forschungsschiff METEOR aus ihren Roboter ins Wasser lassen. Mehrere Tauchgänge in bis zu 5000 Meter Tiefe sind geplant.

Sobald die Tests abgeschlossen sind, wollen die Forscher den Prototypen zur Serienreife weiterentwickeln: »Wir können Industriekun-den entweder einzelne Komponenten oder ein Gesamtsystem anbieten, das sich je nach Aufgabengebiet modifi zieren lässt«, erklärt Rauschenbach. So könnte der Unterwasserro-boter etwa einen Greifarm bekommen, mit dem er Reparaturen selbstständig durchführen kann. »Unser Ziel ist ein AUV, das überall einsetzbar ist, völlig autonom arbeitet und gleichzeitig die Daten ermittelt, die anschließend eine Qualitäts-kontrolle erlauben.« Damit würden die Forscher nicht nur die Grenzen des Menschen, sondern auch die der bisherigen Technik überschreiten.

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Schäfter + Kirchhoff HamburgIntensity ProfileLaser Beam Analysis:

Ref.: SK970703 Intensities100.0%90.0%80.0%70.0%60.0%50.0%40.0%30.0%20.0%10.0%

Object:

Fiber CollimatorCollimating Lens M12Beam Diameter (1/e2) 2.18 mmWavelength 635 nmLasersource Singlemode FiberMode Field Diameter 4 .5 μ mNumerical Aperture 0.11

Gaussian Fit

A Laser Beam Coupler60SMS-1-4-…

A

B

CB Fiber cable PMC-... with APC fiber connector. C Fiber collimator 60FC-...

Laser Sources

Made i

n Germ

any

Made i

n Germ

any

with polarization-main-taining fiber optics

Filiform ProfileBrightfield Illumination

Optical scheme

Filiform Corrosion

CCD line scan camerawith integrated

bright field illumination

Turn-key System

Application:

Line Scan Cameras and Lasers for Research and Machine Vision

Gm

bH

OPTICS, METROLOGY, AND PHOTONICS

Fiber optics polarization maintaining, for laser sources 350 – 1700 nm

cschrai
Unterstreichen

44 - FRAUNHOFER VISUELL weiter.vorn 4.10

Fraunhofer visuell

Die Großradaranlage TIRA (Tracking and Imaging Radar) des Fraunhofer-Instituts für Hochfrequenz-physik und Radartechnik FHR in Wachtberg bei Bonn kann Weltraumobjekte wie zum Beispiel Satelliten und Weltraummüll sehr präzise verfolgen und mit hoher Aufl ösung abbilden; in 1000 Kilometern Entfernung lassen sich bis zu zwei Zentimeter kleine Objekte detektieren. Die Mitarbeiter befi nden sich innerhalb der Schutzhülle auf dem 34-Meter-Parabolspiegel.Foto: David Ertl

weiter.vorn 4.10 FRAUNHOFER VISUELL - 45

46 - MIKROELEKTRONIK weiter.vorn 4.10

3D-Systemintegration auf 300-mm-Wafern soll helfen, Mikroelektronik kleiner, leis-tungsfähiger und energie-effi zienter zu machen. © Fraunhofer IZM

Immer kleiner, immer mehr Leistung und vor allem immer mehr Funktionen, das müssen mikroelektro-nische Systeme zukünftig bieten — gleichzeitig sollen sie energieeffi zient und günstig herzustel-len sein. Eine Methode, dies zu erreichen, ist die 3D-Systemintegration.

Text: Beate Koch

Stapelbare Mikroelektronik

weiter.vorn 4.10 MIKROELEKTRONIK - 47

Was für Kino-Highlights gilt, ist auch Ansporn für die Mikro-elektronik: die Eroberung der dritten Dimension. Während es in den Filmen aus Hollywood um Showeffekte geht, wollen Forscher des in Dresden ansässigen Zentrums »All Silicon System Integration Dresden ASSID« des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM Technologien für eine 3D-Systemintegration von Halbleiter-Bauelementen ent-wickeln – und anwendungsreif machen. Ende Mai starteten sie offi ziell mit ihren Arbeiten.

»Das Zentrum All Silicon System Integration Dresden ASSID des IZM ist weltweit eines der wenigen Zentren, die auf dem Hightech-Gebiet der 3D-Systemintegration auf Waferebene aktiv sind«, so Fraunhofer-Vorstand Prof. Dr. Alfred Gossner bei der Eröffnung. »Wir freuen uns, dass das Bundesministe-rium für Bildung und Forschung, der Freistaat Sachsen sowie die Europäische Union diese zukunftsweisende Technologie unterstützen und hier konkrete Vorhaben fördern.«

Eingesetzt werden die am Fraunhofer IZM-ASSID entwickelten Technologien, um Systeme herzustellen, die mehrere elektro-nische Komponenten in einer miniaturisierten Bauform in sich vereinigen und mittels adaptierter Verfahren der Halbleiterfer-tigung hergestellt werden. Der Fachbegriff dafür ist: »Wafer Level System in Packages – WL-SiP«. Diese kleinen, extrem komplexen Systeme fi nden als elektronische Module dort An-wendung, wo es um schnelle Signalverarbeitung geht, zum Beispiel in der Bildverarbeitung und -auswertung in medizini-schen Geräten oder im Sicherheitsbereich. Weitere Einsatzge-biete sind Steuerungen im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automatisierungstechnik und in Robotersystemen sowie bei alternativen Energien. In der Automobilindustrie werden derartige Systeme etwa für eine energieeffi ziente Fahrzeug-steuerung von Elektroautos oder in Fahrerassistenz-Systemen benötigt. Denkbar sind sie überall dort, wo mehrere elektro-nische Komponenten wie Prozessoren, ASICSs, Speicher oder Sensoren zu einem kompakten, leistungsfähigen, kleinen elektronischen Gesamtsystem zusammengeführt werden sollen. Durch ihren modularen Ansatz ist es möglich, mit Hilfe der 3D-Systemintegration zügiger und besser auf spezielle

Anwendungsbedürfnisse und individuelle Kundenwünsche einzugehen. Produkte lassen sich schneller realisieren und kostengünstiger auf den Markt zu bringen.

Maßgeschneiderte 3D-Chipsysteme für Forschung und Industrie

Die technischen Herausforderungen bezüglich Integrations- und Verdrahtungsdichte sind immens. Hier kommt die langjährige Expertise des IZM zum Tragen. Auf dem Gebiet des Wafer-Level-Packaging und der 3D-Systemintegration haben sich die Forscher auch international eine herausra-gende Stellung aufgebaut. Diese soll mit IZM-ASSID auf die 300-mm-Wafer-Level-Packaging-Technologie übertragen und ausgebaut werden. Die Ingenieure wollen die Leistungs-fähigkeit mikroelektronischer Systeme steigern, indem die Bauelemente nicht nur in einer Ebene angeordnet, sondern in mehreren Lagen übereinander gestapelt und elektrisch verbunden werden. Das Verbinden erfolgt mittels »Through Silicon Vias«. Am IZM-ASSID sind dies kupfermetallisierte Durchkontaktierungen im Siliziumwafer.

Um solche 3D-Systeme in eine industrielle Fertigung umzuset-zen, müssen die Wissenschaftler eine Vielzahl von technolo-gischen Einzelprozessen, innovative Verfahren und Lösungs-ansätze mit neuen Materialien entwickeln. »Unser Ziel ist es, für die verschiedensten Kunden aus Industrie und Forschung maßgeschneiderte Lösungen anzubieten«, erklärt Dr. Klaus-Dieter Lang vom IZM.

Bedeutende Industriepartner wie GLOBALFOUNDRIES am Standort Dresden sowie unter anderem die Firmen Infi neon Technologies und NXP Semiconductors Germany haben ihr Interesse an dieser Technologie bereits bekundet. Das IZM-ASSID wird fest eingebunden in das institutionelle For-schungs- und Industrienetzwerk mit den Firmen des Silicon Saxony sowie den Fraunhofer-Instituten im Freistaat Sachsen. Darüber hinaus wird sich das IZM-ASSID auch international als eines der wichtigsten Zentren für die 3D-Systemintegrati-on in der Mikroelektronik etablieren.

Kupfergefüllte Durchkontaktie-rungen zur 3-D-Integration auf Waferebene zum Beispiel für die Stapelung von Silizium-Interposern mit eingebetteten aktiven Komponenten.© Fraunhofer IZM

48 - INTERVIEW weiter.vorn 4.10

Herr Professor Reichl, Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten die Mikroelektronik entscheidend mitgeprägt. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwick-lungen?

Der gravierende Vorteil der Mikroelektronik liegt darin, dass ein einziger Transistor genauso lange lebt wie eine Milliarde Transistoren, wenn sie auf einem Chip integriert werden. Dies ist ein entscheidender Grund dafür, dass es überhaupt möglich ist, leistungsfähige Computer herzustel-len, die über Jahre hinweg funktionieren. Die Lebensdauer ist nahezu unabhängig von der Strukturgröße der Bauelemente. Damit ist eine Voraussetzung zur Herstellung von Speichern und Mikroprozessoren höchster Komplexität erfüllt. Die Siliziumtechnologie und die Bauele-mentearchitektur konnten über fünf Jahrzehnte so effi zient gestaltet werden, dass sich nahezu alle 1,5 Jahre die Anzahl der Transistoren pro Chip verdoppelt hat: das Mooresche Gesetz. Aus Komplexitäts- und Kostengründen mussten je-doch nicht nur die Strukturen stetig verkleinert, sondern auch die Waferdurchmesser vergrößert werden. Heute sprechen wir von 300-mm- und demnächst von 450-mm-Technologien. Bei den Strukturgrößen sind wir im nm-Bereich nicht nur bei den Schichtdicken, sondern auch bei den Kanallängen angelangt – demnächst 22-nm-CMOS-Technologie.

Ein weiterer wesentlicher Fortschritt ist die Herstellung und Integration von Sensoren und

Aktuatoren. Damit konnte der Funktionsbereich der Mikroelektronik von der reinen Signal- und Datenverarbeitung um die Erfassung und Beeinfl ussung nichtelektrischer Größen erwei-tert werden. Die Konzeption ganzer hybrid und teilweise monolithisch integrierter elektronischer Systeme und Mikrosysteme war damit möglich. In Deutschland wurde die Entwicklung von Sensoren und Aktuatoren auch von mittelständi-schen Firmen aufgegriffen. So ist eine exzellente und einmalige industrielle Infrastruktur entstan-den, die heute eine entscheidende Vorausset-zung für eine leistungsfähige Automobilelektro-nik darstellt.

Die Fortschritte in der Aufbau- und Verbin-dungstechnik trugen wesentlich dazu bei, dass sich diese Systeme miniaturisieren ließen. Damit konnten viele neue Anwendungen erschlossen werden. Zukünftig gewinnt diese Technologie noch an Bedeutung. Man wird von Hetero-System-Integrationstechnologien sprechen. Insgesamt liefert die Sensorik und Aktuatorik die Voraussetzung, dass zusammen mit der Signal- und Datenverarbeitung ganze Systeme auf einem Chip oder Substrat integriert werden können – »More than Moore«.

Ein weiteres wichtiges, aber während der ver-gangenen 20 Jahre oft vernachlässigtes Gebiet, ist die Leistungselektronik. Heute ist diese Technologie ausschlaggebend für die Senkung des Energieverbrauchs und nimmt eine Schlüs-selposition bei der Entwicklung von effi zienten Elektrofahrzeugen und alternativen Energiequel-len ein. Europa und insbesondere Deutschland

haben bei der Leistungselektronik eine Füh-rungsposition inne.

Eine wichtige Entwicklung war die »weiße LED«. Wegen ihrer Umweltfreundlichkeit und ihrem relativ hohen Wirkungsgrad wird die weiße LED die Glühlampe der Zukunft werden. Sie wird der Ausgangspunkt für viele Innovationen sein. Man spricht heute schon von der intelligenten Raum-beleuchtung, von einer adaptierbaren Farbtem-peratur, von der Straßenlaterne, die Fußgänger ausfi ndig machen und anleuchten kann, bis hin zu einer lokalen Datenübertragung mittels LED. Großfl ächige Beleuchtungen und Anzeigen können mit organischen Halbleitertechnologien, den OLEDs, realisiert werden. Heute entsteht die Polytronik, die neben elektrischen Funktionen zunehmend sensorische Funktionen erschließt. Diese Technologie wird auch im Bereich der Solarzellen wichtige Fortschritte ermöglichen.

Vor 16 Jahren wurde das Fraunho-fer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Ber-lin gegründet, das Sie aufgebaut und geleitet haben. Wie verän-derten sich in dieser Zeit die fachlichen Schwerpunkte?

Zu Beginn haben wir uns im IZM damit beschäftigt, diverse Kontaktierungstechniken wie Flip-Chip-Technologien zu entwickeln, die übrigens heute nahezu alle in Produkten eingesetzt werden. Die Electroless-Ni-Bumping-Technologie konnte 16-Mal lizensiert werden

Mehr als MooreAbstandsradar, Chipkarte oder Herzschrittmacher — in vielen Produkten stecken Techno-logien aus der Ideenschmiede von Professor Herbert Reichl. Bis Ende März leitete Reichl das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin. Das Fraunhofer-Magazin »weiter.vorn« sprach mit dem »Ruheständler« über besondere Entwick-lungen in der Mikroelektronik und Herausforderungen für die Zukunft.

Das Gespräch führte Birgit Niesing.

weiter.vorn 4.10 INTERVIEW - 49

Prof. Dr. Herbert Reichl. © Tim Deussen

50 - INTERVIEW weiter.vorn 4.10

und wurde zu einer internationalen Standard-technologie. Die damit verbundene Ausgrün-dung, die Firma PacTech, vermarktet diese Technologie seit mehr als zehn Jahren mit großem Erfolg. Wir waren weltweit die ersten, die über ein Zuverlässigkeitsmodell für Flip-Chip-gebondete Dies verfügten. Damit war es möglich in Berlin die Lebensdauer der Chips in Austin, Texas, USA bei der Firma Motorola vorherzusagen. Als eine der ersten konnten wir eine Bumping-Technologie auf 300-mm-Wafer vorweisen. Wir haben neue Wafer-Um-verdrahtungstechnologien eingeführt und gedünnte Chips in Polymerlagen vergraben. Mit der Chip-in-Polymertechnologie haben wir auch dazu beigetragen, die Leiterplattentech-nologie zu revolutionieren. Die weltweit kleinste Pumpe, Brennstoffzelle und CMOS-Kamera sowie das kleinste Hörgerät und der kleinste autarke Sensorknoten kamen vom IZM. In Portland USA wird seit mehr als acht Jahren ein Herzschrittmacher auf der Basis einer IZM-Tech-nologie hergestellt. Erst kürzlich konnten nach Aussagen des Endkunden die weltweit ersten voll funktionsfähigen Mikroprozessor-Speicher-module in 3D-Siliziumtechnologie am IZM hergestellt werden. In Dresden werden bereits die ersten 300-mm-Wafer für diese neue 3D-Silizium-Integrationstechnologie produziert.Ausgehend von Einzeltechnologie-Entwicklun-gen hat sich die Arbeit des Instituts hin zur Entwicklung von produktnahen Systeminte-grationstechnologien verlagert.

Sie gelten als Wegbereiter des Electronic Packaging. Welche Bedeutung haben Technologien für den Aufbau und die Zuverlässig-keit elektronischer Systeme?

Die Aufbau- und Verbindungstechniken bestimmen die Funktionalität, Zuverlässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der damit hergestell-ten Produkte. Sie tragen wesentlich zur Miniaturisierung der Systeme und damit zur Erschließung neuer Anwendungsgebiete bei. Die meist sehr unterschiedlichen Anwendungen erfordern oft spezielle Lösungen. So können eine Low-Cost-Consumer Technologie meist nicht für Automobilanwendungen genutzt und Technologien der Leistungselektronik nicht in Kathetern eingesetzt werden.

Aufbau- und Verbindungstechniken müssen bei der Realisierung der elektrischen Verbindungen, für die Bauteilpassivierung, Kühlung und Gehäu-sung eine Vielzahl von Materialien kombinieren. Materialübergänge sind aber anfällig gegen-über externen mechanischen und thermome-chanischen Belastungen. Außerdem kann es zu Materialwechselwirkungen kommen, wie Interdiffusion, Korrosion oder Migration. Damit sind Aufbau- und Verbindungstechniken oft für die Zuverlässigkeit der Produkte verantwortlich. Deshalb ist bei der Entwicklung entscheidend, parallel zur Technologie ein Zuverlässigkeits-modelling zu erstellen. Diese Zusammenarbeit sehr unterschiedlicher Disziplinen, wie Chemie, Werkstoffwissenschaften, Elektrotechnik, Ther-modynamik und Mechanik, stellte das IZM vor besondere Herausforderungen. Sie bewältigt zu haben, ist der Erfolgsfaktor des IZM.

In dem Verbund Mikroelektro-nik haben sich erstmals mehrere Fraunhofer-Institute zusammenge-schlossen. Was war beziehungswei-se ist die Aufgabe des Verbundes?

Nach einer Evaluierung der Mikroelektronik im Jahr 1995 durch die Industrie wurde angeregt, dass die Fraunhofer-Mikroelektronik-Institute eine koordinierte Planung der relativ teueren Infrastruktur vornehmen. Dies hat den Vor-stand dazu veranlasst, mit der Neukonzeption des Fraunhofer-Verbunds Mikroelektronik zu reagieren. Bald stand fest, dass die Strategie des Verbunds sich nicht nur auf den effi zienten Aufbau von Reinraumkapazität beziehen kann,

sondern dass der Verbund über die jeweiligen Institutsstrategien hinaus gefordert ist, Zukunfts-themen zu erschließen, diese mit der Industrie abzustimmen und mögliche Geldgeber zur Anfi nanzierung zu fi nden. Es zeigte sich, dass bei den visionären Themen, die natürlich erst aufbereitet werden mussten, der Verbund oft mehr Gehör bei der Industrie, den Verbänden, der EU und beim Forschungsministerium fand als die jeweiligen Einzelinstitute.

Ein weiterer Vorteil war, dass nun auch die Strategien der einzelnen Institute im Verbund diskutiert wurden und die Mitglieder des Ver-bunds bei den Neubesetzungen von Institutslei-terstellen indirekt mitbeteiligt waren. Dies war ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung einer gemeinsamen und langfristigen Strategie der je-weiligen Institute und des Verbunds insgesamt.

Sie standen dem Verbund von 1996 bis 2004 als Vorsitzender vor. Wie hat er sich in dieser Zeit entwickelt? Gab es besondere Höhepunkte?

Es hat mich besonders gefreut, dass wir im Laufe der Zeit nicht nur auf Grund eines extern erzeugten Drucks ein Verbund, sondern aus Überzeugung eine Gemeinschaft wurden. Wir haben jährlich einen Strategiereport herausge-geben. Dieser wurde mit ausgewählten Firmen, Verbänden und dem Forschungsministerium diskutiert. Aus der jährlichen Strategieklausur wurden neue Themen entwickelt und von der Geschäftstelle ausgearbeitet. Beispielsweise

Zur Person

Nach seiner Promotion am Institut für Integrierte Schaltungen an der TU München nahm Professor Herbert Reichl 1987 den Ruf der TU Berlin an und übernahm dort die Leitung des For-schungsschwerpunkts »Technologien der Mikroperipherik«. Von 1993 bis Ende März 2010 leitete er zudem das Fraunhofer IZM, das er zu einer der ersten Adressen im Electronic Packaging mach-te. Prof. Reichl ist Autor von weit mehr als 900 wissenschaftlichen Fachbeiträgen und Büchern und Mitglied in verschiedenen nationalen und internationalen Komitees und wissenschaftlichen Beiräten. Während seiner Tätigkeit wurden mehr als 500 Patente angemeldet.

Für seine herausragenden Leistungen erhielt er unter anderem das Bundesverdienstkreuz, die Ehrendoktorwürde der Universität Chemnitz, den »Goldenen Ehrenring« des VDE und wurde zum IEEE Fellow ernannt. In diesem Jahr erhielt Reichl den IEEE Components, Packaging and Manu-facturing Award sowie die Goldene Ehrennadel der TU-Berlin.

weiter.vorn 4.10 INTERVIEW - 51

konnten Themen wie OLED-Technologien, Leistungselektronik, Rolle-zu-Rolle-Fertigung und Energiemanagement angegangen und umgesetzt werden.

Wo steht der Verbund heute im europäischen Vergleich?

Der Verbund wird aufgrund seiner Größe, Personalkapazität und seines Finanzvolumens auf europäischer Ebene wahrgenommen und als Partner anerkannt. Die vielen unabhängigen Einzelinstitute hatten auf europäischer Ebene den Nachteil, dass sie im Vergleich zu den starken europäischen Partnern IMEC und LETI nicht die geballte Kraft aufbringen konnten, um in allen strategischen Belangen ernst genommen zu werden. Um als ein weiterer europäischer Partner Gehör zu fi nden, mussten sie mit einer Stimme sprechen.

Vor wenigen Wochen wurde in Dresden das Zentrum »All Silicon System Integration Dresden ASSID« eröffnet. Woran wird dort gear-beitet werden?

Wenn man vor dem Problem steht, eine voll funktionstüchtige Kamera für einen Katheter in Millimetergröße zu entwickeln, dann wünscht man sich, dass das gesamte System – Optik, Kamera- und Prozessorchip – auf Waferbasis in Silizium herstellbar ist, damit das risikoreiche Handling und Assembly kleinster Bauelemente vermieden wird. Die Lösung eröffnet die »All Silicon System Integration« oder auch 3D-Silizi-um-Integration genannte Aufbautechnik. Hier werden gedünnte Silizium- oder Glaswafer auf Trägersubstraten miteinander verbunden und kontaktiert. Nach Fertigstellung des Wafersta-pels und dem anschließenden Test werden die Systeme aus dem Wafer herausgesägt. Das Silizium dient in diesem Zusammenhang sowohl als Basismaterial für Bauelemente als auch als Bauelementeträger. Preiswerte Technologien müssen großfl ächige Substrate benutzen. Aus diesem Grunde werden in Dresden auf der Basis von 300-mm-Wafern elektrische Durchführun-gen im Silizium, Dünnungsverfahren, Umver-drahtungstechniken, Kontaktierungsverfahren und 3D-Assembly-Technologien entwickelt (vgl. Seite 46). Ziel ist es, verschiedene funktionale Ebenen – Sensorik und Aktuatorik, analoge

und digitale Schaltungstechnik, HF-Sende- und -Empfangseinheiten, Antennen, optische Kommunikationssysteme, Energieversorgung – in dünnen Siliziumfolien zu realisieren und zu einem Gesamtsystem zu stapeln.

Vor welchen Herausforderungen steht die Mikroelektronik in den kommenden Jahren?

Die Mikroelektronik wurde vor Jahren eindeutig von der Fortentwicklung der Mikroprozessor- und DRAM-Technologien geprägt. Die Strategie ist durch die ITRS Roadmap vorgegeben. Im Rahmen der Konzeption der Technologieplatt-form ENIAC wurde klar, dass dies nicht mehr der Weg für Europa sein kann. Die meisten europäischen Firmen, mit Ausnahme von ST Microelectronic, haben sich von der alleinigen Strategie der Strukturverkleinerung, »More Moo-re« genannt, verabschiedet. Unser Weg liegt in der Konzeption von ganzen Systemen, erstmalig von ENIAC mit »More than Moore« bezeichnet. Damit entsprechen wir besser den europäischen Gegebenheiten, nämlich der besonderen Nähe zum Anwender. Der Vorteil dieser räumlichen Nähe kann genutzt werden, um mit dem Anwender gemeinsam spezielle Systeme zu konzipieren, zu entwickeln und herzustellen. Allerdings verlangen Systeme die Integration von zusätzlichen Funktionen, wie Sensoren und Aktuatoren, Antennen und passiven Bauelemen-ten auf der Basis einer höchstfl exiblen Chip-technologie, die auch bei mittleren Volumina preiswert beherrscht werden kann. Dies stellt nun die besondere Herausforderung für eine europäische Mikroelektroniklösung dar.

Wie wirkt sich das auf die künf-tige Arbeit des Verbunds Mikro-elektronik aus?

Aus dem Anforderungsprofi l für die »More than Moore«-Technologien ergibt sich auch die zukünftige Tätigkeit des Verbunds Mikroelek-tronik. Zum einen muss sich der Entwurf auf Systeme konzentrieren. Dies schließt neben den elektrischen Funktionen auch Sensor- und Aktuatorfunktionen sowie die Fragen der Wärmeabfuhr und der Zuverlässigkeit mit ein. Da zukünftige Systeme zunehmend dreidimen-sional aufgebaut sind, ist auch die 3D-Platzie-rung sowohl unter elektrischen als auch

thermischen und sogar mechanischen Gesichts-punkten zu beherrschen. Und da sie sehr hohe Datenraten beinhalten, kommt dem Übergang zur optischen Kommunikation eine hohe Bedeutung zu, was wiederum für den System-entwurf eine große Herausforderung darstellt. Insgesamt dürfte sich der Frequenzbereich zukünftiger Systeme weit über 100 GHz hinaus erstrecken und die Diskussion »optisch« oder »elektrisch« zunehmen.

Zum anderen ist der Verbund technologisch ge-fordert, den Übergang vom Mikro- in den Nano-bereich nicht nur bei Transistoren, sondern auch bei Sensoren und Aktuatoren sowie bei passiven Bauelementen zu beherrschen. Dazu müssen Nanotechnologien im Bereich der Systeminte-gration bzw. des Packagings eingesetzt wer-den. Insgesamt besteht die Herausforderung, Technologien fl exibler und kostengünstiger den jeweiligen Anwendungen anzupassen und einen Dialog zwischen Anwender und Technologie-provider aufzubauen. Es wird auch Aufgabe des Verbunds sein, insbesondere die kleinen und mittleren Halbleiterhersteller mit Modifi ka-tionstechnologien zu unterstützen, damit ihre Produkte systemfähig werden und der Übergang zu More than Moore auf internationalem Niveau vollzogen werden kann.

Wo steht die Mikroelektronik in zehn Jahren?

Einige Fachleute bezeichnen den Zeitraum von 2020 an als »Post-Silicon-Era«. Aus Erfahrung kann man aber davon ausgehen, dass sich dieser Zeitpunkt weiter verschieben und Silizium der bevorzugte Halbleiter bleiben wird. Meiner Meinung nach wird auch nach 2020 Silizium als preiswertes »Substratmaterial« verwen-det werden, auch wenn sich insgesamt das Materialspektrum weiter vergrößert – mit GaN, Ge, C, GeO2 – und die Integration sich in die dritte Dimension erstrecken wird. Viele Vor-aussetzungen für die Technologien des Jahres 2020 sind bereits vorhanden oder Gegenstand der Forschung, so dass man davon ausgehen kann, dass sich der Trend der Mikroelektronik – kleiner, leistungsfähiger, schneller – auch weiter fortsetzt. Eine für uns alle sehr ernste Frage in diesem Zusammenhang ist, welche Rolle Europa bei der Herstellung von höchstintegrierten Schal-tungen in Zukunft spielen wird.

52 - FIRMENPORTRAIT weiter.vorn 4.10

Fachleute aus der ganzen Welt sehen in Nitridhalbleitern ein enormes Potenzial in der Optoelektronik für Leucht- und Laserdioden, in der drahtlosen Kommunikations- und Sensortechnik und als Leistungswandler für die E-Mobilität. Sogar die elektrische Ausbeute von Solarzellen und Windanlagen lässt sich mit einer leistungsfähigeren Elektronik weiter steigern. Kaum ein anderes Halbleitermaterial übt deshalb auf Physiker und Elektronikspezia-listen eine höhere Anziehungskraft aus und weckt den Entwicklergeist mehr als Galliumnitrid (GaN). Marktprognosen geben deutliche Hin-weise darauf, dass die weltweite Nachfrage nach energiesparenden Mikrowellenverstärkern und Leistungsbauelementen wächst – auch

aufgrund des weiteren Ausbaus von Mobilfunk-netzen, der Fortschritte in der Verteidigungs- und Raumfahrttechnik sowie neuer Herausfor-derungen an die Automobilelektronik.

Radartechnik, Mobilfunk, Hochfrequenzgeneratoren

In Europa ist die Ulmer Bauelementeschmiede United Monolithic Semiconductors GmbH (UMS) zusammen mit dem französischen Partnerun-ternehmen United Monolithic Semiconductors S.A.S. in Orsay federführend bei der Herstellung von Galliumarsenid-Komponenten. Auch bei der kommerziellen Markteinführung der GaN-Elektronik übernimmt UMS eine Vorreiterrolle.

Zusammen mit dem Fraunhofer-Insitut für Ange-wandte Festkörperphysik IAF in Freiburg will der Elektronikhersteller seine Marktposition weiter stärken und den Geschäftsradius erweitern.

International sind US-amerikanische und japani-sche Konzerne führend beim schnellen Aufbau von Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten für neue Technologien. Das soll sich ändern. »Unser Ziel ist es, eine größere Unabhängigkeit der heimischen Industrie von amerikanischen und asiatischen Zulieferern und den dadurch existierenden Exportbeschränkungen herzu-stellen«, sagt Klaus Beilenhoff, Teamleiter im Bereich Customer and R&D Interface der Ulmer UMS. Nur ein starker europäischer Standort, so

Neues Material für die LeistungselektronikDas Halbleitermaterial Galliumnitrid eröffnet neue Möglichkeiten in der Hochfrequenz-, Opto- und Leistungselektronik. Die Ulmer United Monolithic Semiconductors GmbH (UMS) möchte zusammen mit den Experten des Fraunhofer IAF dieser Materialklasse zum industri-ellen Durchbruch verhelfen.

Text: Andreas Beuthner

Wafer mit GaN-Transistoren und Schaltungen. © UMS Waferfertigung bei der UMS in Ulm. © UMS

weiter.vorn 4.10 FIRMENPORTRAIT - 53

Beilenhoff, könne verhindern, dass Europa den Anschluss in diesen Märkten verliert.

Die Nase vorn zu haben, ist selbst in dem über-schaubaren Markt der Mikrowellen-Leistungs-verstärker, Mischer, Oszillatoren und anderer analoger Signalverarbeitungskomponenten kein einfaches Unterfangen. UMS fertigt seit der Gründung im Jahr 1996 erfolgreich elektroni-sche Komponenten aus dem Materialsystem Galliumarsenid (GaAs) für Verteidigungssysteme, Kommunikationsanlagen und Anwendungen in der Luft- und Raumfahrt. Der Fokus des Unternehmens liegt auf High-Performance-Komponenten, die bei hohen Signalfrequenzen, hohen elektrischen Leistungen sowie extremen Umgebungsbedingungen arbeiten können. Inzwischen bieten die Ulmer für fast jede Mikrowellenanwendung einen optimierten Halb-leiterprozess an. Und das Einsatzspektrum für hocheffi ziente Komponenten wächst von Jahr zu Jahr. So haben zum Beispiel Berechnungen ergeben, dass zukünftige Galliumnitrid-basierte Endstufen den Stromverbrauch einer Mobilfunk-Basisstation um 75 Prozent gegenüber der bisher eingesetzten Elektronik senken.

Der Schritt aus dem Nischendasein auf die Bühne der großen Herstellernamen ist kein Wunschdenken, sondern von längerer Hand vorbereitet. Vor knapp 15 Jahren bündelten die

damalige Daimler Benz Aerospace, Temic (heute EADS Deutschland) und die französische Thomson-CSF (heute Thales) ihre Elektronikakti-vitäten rund um die chemischen Materialgrup-pen III und V. Kombinationen aus diesen beiden Stoffklassen ergeben sehr effi ziente Verbin-dungshalbleiter, aus denen sich Hochleistungs-Transistoren und andere Bauelemente mit Signalfrequenzen im Gigahertzbereich herstellen lassen. Um schneller Antworten auf die forschungsintensiven Fragen nach den passen-den Design- und Herstellungsverfahren sowie der richtigen Prozesstechnik zu erhalten, suchten UMS-Entwickler schon frühzeitig die Zusammen-arbeit mit Wissenschaftlern des IAF.

Abgestimmte Prozess-Schritte, keine Zeit- und Reibungsverluste

Aus dem lockeren Erfahrungsaustausch über grundlegende physikalische Eigenschaften der Materialien und dem präzisen Aufbau von Schichtstrukturen entstanden gemeinsame Arbeitsgruppen, die gezielt nach praktikablen Lösungswegen für die industrielle Fertigung von GaN-Bauelementen forschen. Die effi ziente Zusammenarbeit erregte auch bei dem nieder-ländischen Halbleiterhersteller NXP Semiconduc-tors (ehemals Philips) starkes Interesse. Alle drei Partner bündelten im Jahre 2006 ihre Kompe-tenzen, um hocheffi ziente Leistungsverstärker

für Mobilfunkstationen unter europäischer Regie herzustellen. »Die Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren wurde in einer Weise intensiviert, die einzigartig ist«, schwärmt UMS-Manager Beilenhoff. Bei vielen Verfahrens-fragen sowie dem Aufbau von Modulen und Systemen samt Messtechnik für das Testen von Komponenten und deren Optimierung sitzen NXP-, UMS-Mitarbeiter und IAF-Wissenschaft-ler gemeinsam an einem Tisch. Zwei UMS-Spe-zialisten haben sogar ihren Arbeitsplatz nach Freiburg verlegt, um projektbezogen im IAF-Labor mitzuarbeiten. Viele Prozess-Schritte an den beiden Standorten sind aufeinander abgestimmt, so dass keine Zeit- und Reibungs-verluste bereits in den frühen Stadien der Entwicklung entstehen.

Diese Vorgehensweise zahlt sich aus. Das IAF-Team benutzt weitestgehend die gleichen Herstellungs- und Analyseverfahren wie die Produktionstechniker in der Ulmer UMS-Fabrik. Beide Seiten tauschen Materialien während des Herstellungsprozesses aus und können somit kurzfristig vergleichende Untersuchungen an-stellen. »Wir haben dadurch Probleme schneller erkannt und verschiedene Lösungswege we-sentlich effi zienter untersucht«, sagt Beilenhoff. Für die Zukunft sind damit die Weichen gestellt: »Diese erfolgreiche Kooperation wird in Kürze zu einer Ausweitung der Aktivitäten führen.«

United Monolithic Semiconductors GmbHWilhelm-Runge-Straße 1189081 UlmTelefon +49 731 505 3080Telefax +49 731 505 3005www.ums-gaas.com

Gründung: 1996

Mitarbeiter: 250*

Umsatz: 47 Millionen Euro (2009)*

Europäischer Hersteller von hochfrequenten analogen Schaltungen, elektrischen Verstär-kern, energieeffi zienten Leistungswandlern, Mischer und Oszillatoren.

* zusammen mit dem Partnerunternehmen United Monolithic Semiconductors S.A.S., Orsay, Frankreich.

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54 - GESUNDHEIT weiter.vorn 4.10

Nachhaltige NahrungLecker, gesund und nachhaltig erzeugt sollen Lebensmittel sein. Forscher arbeiten an neuen Verfahren, um möglichst viele Bestandteile von Pfl anzen für die Ernährung zu nutzen.

Text: Brigitte Röthlein

weiter.vorn 4.10 GESUNDHEIT - 55

In aufstrebenden Staaten wie China oder Brasilien nimmt der Fleischverbrauch dramatisch zu. Seit 1961 ist der Verzehr an rotem Fleisch weltweit auf das Vierfache angestiegen, der an Gefl ügelfl eisch hat sich sogar verzehnfacht. Noch gibt es star-ke regionale Unterschiede: Ein Europäer isst im Durchschnitt zwanzigmal so viel Fleisch wie ein Inder. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO erwartet, dass sich aufgrund des zunehmenden Wohlstands die globale Fleischproduktion bis 2050 verdoppeln wird.

Zuviel Ackerbau allein für die Viehzucht

Da stellt sich die Frage, ob unser Globus mit seinen begrenz-ten Ressourcen an Ackerland in Zukunft überhaupt noch in der Lage sein kann, alle Bedürfnisse zu decken. Dr. Peter Eisner vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising zeigte auf der wissenschaftlichen Jahrestagung des Instituts Lösungsmöglichkeiten für das heraufziehende Dilemma.

Die Produktion von Fleisch erfordert viel Land. »Um ein Kilogramm zu erzeugen, werden sieben bis 16 Kilogramm Getreide oder Sojabohnen als Tierfutter verbraucht, errech-nete das Worldwatch Institute«, berichtet Eisner. »Das hat dazu geführt, dass in den USA rund 80 Prozent des Getreides an Nutztiere verfüttert werden. Wenn das Wachstum unge-bremst so weitergeht, würde etwa im Jahr 2022 die gesamte global verfügbare Ackerfl äche nur noch der Futtermittelpro-duktion dienen.« Verschärft wird die Lage noch durch die Konkurrenz mit Energiepfl anzen. Je teurer das Erdöl wird, desto mehr rücken Pfl anzen in den Fokus, aus denen sich beispielsweise Bioethanol herstellen lässt. Auch dies verrin-gert die Ackerfl ächen, die für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen. Als 2007 in Mexiko der Preis von Maismehl für Tortillas dramatisch anstieg, weil die USA große Teile der mexikanischen Maisernte zur Bioethanolproduktion importiert hatten, kam es zu Protesten der Bevölkerung.

Im Vergleich zur Fleischproduktion ist der Anbau von Pfl anzen als Nahrungsmittel wesentlich weniger fl ächenintensiv. Während die Produktion von einem Kilogramm Fleisch 40 Quadratmeter erfordert, könnte man auf derselben Fläche stattdessen 120 Kilogramm Karotten oder 80 Kilogramm Äpfel erzeugen. Aber schon jetzt wird weltweit ein Viertel der Agrarfl ächen als Weideland genutzt und auf einem Drittel Tierfutter angebaut. Im Gegensatz dazu wird nur ein geringer Teil der Agrarfl ächen für den Anbau von pfl anzlichen Lebens-mitteln verwendet – in den USA liegt dieser Anteil bei gerade

sieben Prozent. Würde man dort nur ein Viertel weniger Fleisch produzieren, könnten mit dem eingesparten Getreide rund eine Milliarde Menschen ernährt werden.

»Esst weniger Fleisch«, mahnen die Weltverbesserer, aber ihre Rufe verhallen meist ungehört. Deshalb sind intelligente Lösungen gefragt, etwa die bessere Ausnutzung von Pfl an-zen. Peter Eisner betont: »Aus Pfl anzen lassen sich nicht nur hochwertige Lebensmittel erzeugen, sondern parallel dazu auch noch technische Rohstoffe und Energieträger.« Er führt das am Beispiel von Sonneblumenkernen vor: Bisher werden sie zur Ölgewinnung gepresst, der Rückstand dient als minderwertiges Tierfutter. So kann man pro Hektar Anbau-fl äche rund 950 Euro erwirtschaften. Würde man aber – wie Eisner vorschlägt – außer der Ölgewinnung alle Bestandteile aufbereiten und zu hochwertigen Grundstoffen für die Ernäh-rungs-, Kosmetik- und Kraftstoffi ndustrie verarbeiten, könnte man aus einem Hektar Anbaufl äche rund 1770 Euro erzielen. »Das wäre ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll und würde eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erlöse bei gleichen Hektarerträgen bedeuten«, so Eisner.

Pfl anzliche Lebensmittelzutaten alsErsatz für tierische Rohstoffe

Von besonderer Bedeutung dürfte die Nutzung von pfl anz-lichen Lebensmittelzutaten als Ersatz für tierische Rohstoffe sein. Eisner stellte beispielsweise einen aus Lupinenproteinen hergestellten »Milchersatz« vor, der etwa in Speiseeis oder Käse verwendet werden kann. Er enthält keine Laktose, hat einen neutralen Geschmack, ist frei von Cholesterin und reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren.

Lupinensamen sind auch der Grundstoff für ein neues pfl anzliches Proteinisolat mit fettähnlichen Eigenschaften, das IVV-Forscherin Daniela Sußmann entwickelt hat. Mit einem speziellen Produktionsverfahren lässt sich aus dem Lupinensa-men eine Proteinsuspension als hochviskose Masse gewin-nen, die eine sehr cremige Textur aufweist. »Die Herstellung beruht auf einem Fällungsverfahren, das zurzeit optimiert und in den Industriemaßstab übertragen wird«, so die Wissen-schaftlerin. »Die mikroskopische Struktur dieses Produkts ähnelt den Fettpartikeln im Wurstbrät. Deshalb kann man es zur Herstellung fettarmer Wurstwaren benutzen, die genauso gut schmecken wie das Original. Bisher führte eine Reduktion von Fett häufi g zu sensorischen Einbußen.« In sensorischen Tests untersuchte sie, ob die Zugabe des Lupinenproteins den saftigen und cremigen Eindruck einer fettarmen Wurst-rezeptur verbessern kann. Mit Erfolg: »Es zeigte sich, dass

950 Euro erwirtschaften sich heute aus einem Hektar Sonnenblumen. 1770 Euro wären es, würde man außer dem Öl noch die übrigen Grundstoffe weiterverarbeiten. © Michel RENAUDEAU/HOA-QUI/laif

56 - GESUNDHEIT weiter.vorn 4.10

eine signifi kante Verbesserung des fettähnlichen Eindrucks fettarmer Leberwurst durch eine Zugabe von zehn Prozent Proteinisolat erzielt werden konnte.«

Zum Vorteil des Verbrauchers, des Bauern und der Umwelt

Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, was die Ernäh-rung zum Beispiel in Deutschland betrifft. Denn Wurstwaren zählen meist zu den fettreichen Lebensmitteln. 31 Kilogramm pro Jahr isst jeder Deutsche im Durchschnitt davon. Die Fol-ge: Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Auch IVV-Forscher Christian Zacherl, der aktuelle Zukunfts-trends bei Wurstwaren analysiert hat, betont, dass eine Reduktion des hohen Fettgehalts sowie die Zugabe von weniger Salz wichtige Themen sind. »Dies gilt vor allem im

Hinblick auf die geplanten Nutrient Profi les, die von der Europäischen Kommission derzeit ausgearbeitet werden«, sagt er. »Dort werden Obergrenzen an Salz, Fett und Zucker in Lebensmitteln mit gesundheitsbezogenen Werbeaussagen festgelegt.« Dem muss die Lebensmittelindustrie Rechnung tragen, gleichzeitig aber auch den Wünschen der Verbrau-cher: Fertig vorbereitet, schnell zuzubereiten, lange haltbar, aber dennoch schmackhaft soll das Essen sein. Und dazu gesund. Wenn ein Teil des Fetts durch Proteine aus Pfl anzen ersetzt werden könnte, wäre damit allen gedient: dem Ver-braucher, weil er weniger Fett isst, dem Bauern, weil er höhe-re Erträge erzielen kann, und der Umwelt, weil die Erzeugung von Pfl anzen nachhaltiger ist als die von Fleisch.

Im Uhrzeigersinn: Lupine, Sonnenblume, Soja, Leinsamen, Ackerbohne und Raps.© Fraunhofer IVV

www.fraunhofer.de/audioonline ab 2. Dezember 2010

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weiter.vorn 4.10 PANORAMA - 57

Markant geschwungene Glasfl ächen, ein Bau, der geschickt die Kurvenführung der Straße aufnimmt – das zeichnet die geplante Erweite-rung des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC in Würzburg aus. Futuristisch und funktional zugleich ist der Entwurf der Stararchitektin Zaha Hadid für das neue Technikum. Vor wenigen Wochen wurde der Grundstein für den Bau gelegt. Ende 2012 soll das neue Gebäude be-zugsfertig sein.

Ein besonderer Blickfang des geplanten Neubaus ist die geschwungene Fassade: Sie besteht aus 1,5 Meter breiten und etwa 120 Kilogramm schweren Glaselementen. Viele sind einfach, manche doppelt gebogen.

Das neue Gebäude wird vor allem als Technikum und Labor genutzt. Auf einer Fläche von knapp 2500 Quadratmetern entstehen Life-Sciences-Labore, Räume für die Batterie- und Superkon-densatoren-Entwicklung und ein bis zu 18 Meter hohes Keramikfaser-Technikum. Außerdem wird in dem Neubau die Elektronenmikroskopie untergebracht.

Nicht nur architektonisch, auch technisch setzt das neue Technikum Maßstäbe: 400 Quadrat-meter anti-refl exbeschichtete Thermokollektoren – die Beschichtung wurde am Fraunhofer ISC entwickelt – auf dem Dach liefern mehr als ein Drittel der benötigten Energie für Heizung und Kühlung des Neubaus. Auf die Südseite werden zudem knapp 140 Quadratmeter Dünnschicht-Photovoltaik-Module integriert. Sie werden künftig die geplante Elektro-Tankstelle an den Besucherparkplätzen mit Strom versorgen. »Als eines der ersten Labor- und Technikgebäude in der Bundesrepublik soll dieses Gebäude nach den Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen Teil einer Pilot-Zertifi zierung sein«, erläutert Professor Gerhard Sextl, Leiter des ISC.

Die Gesamtkosten für den Bau und die Erstaus-stattung werden etwa 25,5 Mio Euro betragen. Die Europäische Union, der Bund und der Frei-staat Bayern fördern den Bau.

Futuristisch und funktional

Messen und Veranstaltungen

Informationen zu allen Messen:www.fraunhofer.de/messenwww.fraunhofer.de/veranstaltungen

Welf ZöllerTelefon +49 89 [email protected]

Oktober

5. – 7. OktoberBiotechnica, Hannover Europäische Messe für Biotechnologie und Life Sciences

12.– 14. Oktoberparts2clean, StuttgartLeitmesse für Reinigung in Produktion und Instandhaltung

November

9. – 11. NovemberVision, StuttgartInternationale Fachmesse für industrielle Bild-verarbeitung und Identifi kationstechnologien

9. – 12. November electronica, MünchenMesse für Komponenten, Systeme und Anwendungen

Dezember

1. – 4 DezemberEuroMold, FrankfurtMesse für Werkzeug- und Formenbau,Design und Produktentwicklung

Mit dem Technikum III bekommt das Fraunhofer ISC ein markantes neues Gesicht. © Zaha Hadid Ltd.

Für optimale Lichtverhältnisse auf der Nordseite sorgt die zurückgestaffelte Fassade. © Zaha Hadid Ltd.

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58 - PERSONALIEN weiter.vorn 4.10

Prof. Dr. Herbert Reichl erhält die höchste Auszeich-nungen des weltweit größten Berufsverbandes »Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE)«, den »Compo-nents, Packaging & Manufacturing Technology Award 2010«. Damit wird der ehemalige Leiter des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM für seine herausra-genden Verdienste um Forschung und Lehre in der Aufbau- und Verbindungstechnik sowie seinen richtungsweisenden Einsatz für die Integration von Zuverlässigkeitsaspekten in der Mikroelektronik geehrt.

Die Leibniz Universität Hannover besetzt zum 1. Oktober die neu eingerichtete Professur für Windenergietechnik mit Dr. Andreas Reuter. Finanziert wird die Professur zu 75 Prozent von der Leibniz Universität Hannover und zu 25 Pro-zent vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energie-systemtechnik IWES in Bremerhaven, dessen Leitung Prof. Dr. Reuter ebenfalls übernehmen wird.

Prof. Dr. Bernd Mayer ist der neuer Leiter des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialfor-schung IFAM. Er verantwortet den Bereich Klebtechnik und Oberfl ächen. Als neues Forschungsfeld baut Bernd Mayer

Untersuchungen zur Ermüdung und Alterung von Klebver-bindungen sowie Verbundwerkstoffen auf. Mayer ist auch an die Universität Bremen berufen worden. Er übernimmt die Professur für Polymere Werkstoffe und Oberfl ächentechnolo-gien im Fachbereich Produktionstechnik.

Prof. Dr. Alexander Verl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, erhielt den »Invention and Entrepreneurship Award 2010«. Diesen Preis vergaben die IEEE Robotics and Automation Society und die International Federation of Robotics bei einer Robotik-Konfe-renz am Rande der AUTOMATICA. Verl wurde für sein Projekt »Inline Measurement Robots – Robots Get the Precision for Car Body Inspection« (Roboterbasierte Inline-Messtechnik für den Karosserierohbau) geehrt. Die IEEE Robotics and Auto-mation Society (IEEE RAS) und die International Federation of Robotics (IFR) zeichnen mit dem Invention & Entrepreneurship Award außergewöhnliche Leistungen in der Vermarktung von innovativen Roboter- und Automatisierungstechnologien aus.

Personalien

Impressum Fraunhofer Magazin »weiter.vorn«:Zeitschrift für Forschung, Technik und Innovation.Das Magazin der Fraunhofer Gesellschaft erscheint viermal pro Jahr. Kunden, Partner, Mitarbeiter, Medien und Freunde können es kostenlos beziehen.ISSN 1868-3428 (Printausgabe)ISSN 1868-3436 (Internetausgabe)

Herausgeber:Fraunhofer-GesellschaftHansastraße 27c, 80686 MünchenRedaktionsanschrift wie HerausgeberTelefon +49 89 1205-1301Fax +49 89 [email protected]/magazin

Abonnement:Telefon +49 89 [email protected]

Redaktion:Franz Miller, Birgit Niesing (Chefredaktion)Stefanie Heyduck, Marion Horn, Beate Koch, Isolde Rötzer, Monika Weiner, Britta WidmannChrista Schraivogel (Bild und Produktion)

Redaktionelle Mitarbeit:Andreas Beuthner , Britta Danger, Frank Grotelüschen, Klaus Jacob, Brigitte Röthlein, Tim Schröder

Graphische Konzeption: BUTTER. DüsseldorfLayout: Vierthaler & Braun, MünchenTitelbild: Volker StegerLithos + Druck: J. Gotteswinter GmbH, München

Anzeigen: Heise Zeitschriften VerlagTechnology Review, Helstorfer Straße 7, 30625 Hannover, Telefon +49 511 5352-0www.heise.de/mediadatenNächster Anzeigenschluss: 15. November 2010.

Bezugspreis im Mitgliedspreis enthalten.© Fraunhofer-Gesellschaft, München 2010

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Details unter www.forum-elektromobilitaet.de

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16.–17. November 2010 SpreePalais am Dom, Berlin

Fachveranstaltung mit begleitender Ausstellung

Programmschwerpunkte

Netzintegration & Ladeinfrastruktur

Energiespeicher

Elektrischer Antriebsstrang

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InformationstechnikDie Stadt, die mitdenkt

EnergieMüll macht mobil

MikroelektronikStapelbare Mikroelektronik

Aus Pulver gebaut

Das Fraunhofer-Magazin 4 /10

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