32
Mitgliederzeitschrift Angestellte Schweiz Revue des membres Employés Suisse 4/2019 7 «Egal, was junge Leute in ihrem Leben tun: Wenn sie dafür echte Leidenschaft mitbringen, ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg gegeben», sagt Heinz Karrer, Präsident Economiesuisse. 12 Die Schweiz ist so viel mehr als Schokolade und Käse. Vier Erfolgsgeschichten. 20 Arbeitssicherheit grossgeschrieben in der Bodenbelagsbranche. 29 La Suisse, ce n’est pas que le chocolat et le fromage. La Suisse, c’est un pays de succès. 6 Miss_Erfolg 26 In_succès

6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

Mitgliederzeitschrift Angestellte SchweizRevue des membres Employés Suisse

4/2019

7 «Egal, was junge Leute in ihrem Leben tun: Wenn sie dafür echte Leidenschaft mitbringen, ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg gegeben», sagt Heinz Karrer, Präsident Economiesuisse.

12 Die Schweiz ist so viel mehr als Schokolade und Käse. Vier Erfolgsgeschichten.

20 Arbeitssicherheit grossgeschrieben in der Bodenbelagsbranche.

29 La Suisse, ce n’est pas que le chocolat et le fromage. La Suisse, c’est un pays de succès.

6 Miss_Erfolg 26 In_succès

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 1 31.10.19 16:17

Page 2: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

Braucht eine Bank Freunde?Aber ja doch! Umso glücklicher sind wir, die Angestellten Schweiz auch weiterhin an unserer Seite zu wissen und ihren Mitgliedern exklusive Vorteile zu bieten.

www.cler.ch/angestellte-schweiz

Angestellte-Schweiz_Kooperation_194x124-d.indd 1 23.10.2017 14:31:25

Für eine dyslexie- und dyskalkuliefreundliche SchweizIn der Schweiz gibt es eine Kluft zwischen den erbrachten Spitzenleistungen der Dyslexie- und Dyskalkulie-Forschung und der Unterstützung, die die Betroffenen im Schulalltag tatsächlich erhalten. Diese Diskrepanz will der Verband Dyslexie Schweiz VDS aufheben.

Die Voraussetzungen im Umfeld der Schule müssen verbessert werden, so dass Kinder mit Dyslexie (auch genannt Legas-thenie, Lese- und Rechtschreibstörung) und Dyskalkulie (Rechenstörung) frühzeitig erkannt und nachher mit geeigneten Massnahmen unterstützt werden. Der VDS hat im Juni 2019 ähnlich gelagerte Verbände an ein gemeinsames Auftakt- Podium eingeladen, um mit vereinten Kräften daran zu arbeiten, bessere Bedingungen für Betroffene zu schaffen. Eine gemeinsame Strategie soll den Druck auf die Politik erhöhen und endlich wichtige Verbesserungen herbeiführen.

Mehr zum Verband: www.verband-dyslexie.ch

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 2 31.10.19 16:17

Page 3: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

Scheitern als Chance

«Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge» (Kurt Marti, 1921–2017, Schweizer Pfarrer und Schriftsteller).Wer kennt es nicht. Man hat gefühlt alles dafür getan, um erfolgreich eine Prüfung zu bestehen, und doch stellt sich der Erfolg nicht ein. Das Leben ist manchmal hart und ungerecht. Es gibt aber keinen Grund, das persönlich zu nehmen. Denn jede Chance birgt auch ein Risiko, und ein Risiko wiederum birgt eine Chance. Wir müs-sen Rückschritte, Fehler und Scheitern als Chance sehen. Denn sie haben eine wich-tige Funktion, indem sie uns auf Schwachstellen hinweisen. Lernen heisst, zwei Schritte vorwärts und einen zurückzugehen. Start-ups gehen und machen sich auf den Weg. Sie schauen, wohin und wie weit sie kommen. Sie testen, ob ihre Ideen tragfähig sind. Ob es sich lohnt, weiterzugehen. «Start-uppen» setzt Mut und Leidensfähigkeit voraus, denn Scheitern ist immer möglich. Scheitern ist nicht lustig. Im Gegenteil – Misserfolge hängen einem oftmals wie ein Klotz am Bein. Sie können aber auch jene Stufen sein, über die wir nach oben kommen. Denn durch sie lernen wir.In dieser Apunto-Ausgabe beleuchten wir das Thema Erfolg und Misserfolg mit allen seinen Facetten. Ich wünsche Ihnen eine spannende Auseinandersetzung mit dem Thema.

Echouer : une chance

« Mais où irions-nous, si tout le monde ne disait que : ‹ Mais où allons-nous ? › et que personne n’y allait pour voir où nous irions si nous y allions vraiment ? » (Kurt Marti, 1921-2017, pasteur suisse et écrivain)Qui ne connaît pas ce sentiment ? Celui de tout faire pour passer un examen et, mal-gré tout, le succès n’est pas au rendez-vous. La vie est parfois difficile et injuste. Au-cune raison n’existe toutefois de le prendre personnellement, car chaque opportunité recèle un risque et chaque risque recèle une opportunité. Nous devons considérer les retours en arrière, les erreurs et les échecs comme des opportunités. Ils ont une fonc-tion importante : celle de nous montrer nos points faibles. Apprendre, c’est faire deux pas en avant, un en arrière.Des start-up se créent et font leur chemin. Elles regardent jusqu’où et comment elles peuvent avancer. Elles testent la solidité de leurs idées et s’il vaut la peine de conti-nuer. « Start-uper » nécessite du courage et de l’endurance, car un échec peut arriver. Echouer n’est pas drôle, bien au contraire. Souvent, les échecs sont comme un boulet qu’on traîne. Mais ils peuvent aussi être le tremplin qui nous permet d’aller plus haut. Nous apprenons de nos échecs.Dans cette édition d’Apunto, nous vous faisons découvrir toutes les facettes du succès et de l’échec. Nous vous souhaitons une lecture intéressante.

—Alexander Bélaz, Vizepräsident Angestellte Schweiz

Vice-président d’Employés Suisse

IMPRESSUM EDITORIAL

apunto

Mitgliederzeitschrift Angestellte Schweiz

Revue des membres Employés Suisse

Erscheinungsweise / Parution

4 ≈ pro Jahr / 4 fois par an

Druckauflage / Tirage

22 000 Exemplare / copies

Mitgliederauflage (WEMF-

beglaubigt) / Tirage certifié REMP

17 148 Exemplare / copies

Herausgeber / Editeur

Angestellte Schweiz

Martin-Disteli-Strasse 9, Postfach 234

4601 Olten

T 044 360 11 11

F 044 360 11 12

[email protected]

www.angestellte.ch

Redaktion / Rédaction

Hansjörg Schmid (hs), Virginie Jaquet (vj),

Ariane Modaressi (am)

Onlineausgabe / Edition en ligne

www.apunto-online.ch

Anzeigen / Annonces

Stämpfli AG, 3001 Bern

Anzeigenmanagement

Lucia Jonietz

T 031 300 63 83

[email protected]

Adressmutationen / Mutations

[email protected]

[email protected]

Druck / Impression

Stämpfli AG, 3001 Bern

Gestaltung / Conception

sofie’ s Kommunikationsdesign, Zürich

Nachdruck mit ausdrücklicher Geneh-

migung des Herausgebers gestattet.

La reproduction n’ est permise qu’ avec

l’ autorisation expresse de l’ éditeur.

Titelseite: iStockphoto

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 3 31.10.19 16:17

Page 4: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

Une banque a-t-elle besoin d’amis ?Mais tout à fait! Et c‘est pour cela que nous sommes très heureux de savoir les membres d’Employés Suisse toujours à nos côtés et de leur off rir des avantages exclusifs..

www.cler.ch/employes-suisse

Angestellte-Schweiz_Kooperation_194x124-d.indd 2 23.10.2017 17:07:54

Recrutez de nouveaux membres et profitez doublement !Pour chaque nouveau membre, vous recevez en récompense > CHF 50.– en espèceset vous gagnerez peut-être début décembre lors de notre tirage au sort la possibilité de faire remplir gratuitement> une déclaration d’impôts d’une valeur de CHF 540.– avec immeuble ou de CHF 360.– sans immeuble par notre partenaire

Participez à notre action de recrutement – pour que nous en profitions tous !Plus d‘informations sur www.employes.ch/mrm2019

Action de recrutement

jusqu’au 30 novembre 2019

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 4 31.10.19 16:17

Page 5: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

5INHALT / SOMMAIRE

DAS THEMA: MISS_ERFOLGSUJET PRINCIPAL : IN_SUCCÈS

DIE ARBEITSWELTLE MONDE DU TRAVAIL

DER VERBANDL’ ASSOCIATION

AUSSERDEM ...EN OUTRE …

Foto

: iSt

ockp

hoto

Foto

: iSt

ockp

hoto

Foto

: iSt

ockp

hoto

6 Misserfolg wird salonfähig

7 Erfolg und Misserfolg bereichern das Leben

10 Psychologische Aspekte von Misserfolg: Was mit uns passiert, wenn wir scheitern

12 Erfolgsmodell Schweiz

26 Echouer devient acceptable

27 Les aspects psychologiques de l’échec

29 Le modèle de réussite suisse

14 Branchenmonitor MEM

15 Branchenmonitor Chemie/Pharma

16 Erster Gesamtarbeitsvertrag für die Plattformökonomie

18 Der mitbestimmte Algorithmus

20 Arbeitssicherheit in der Bodenbelagsbranche

21 Eventreihe Neue Arbeitswelt

22 Kurs «Arbeitnehmervertretung im Sandwich»

23 Der lange, aber lohnende Weg zum Recht

31 Une longue, mais victorieuse odyssée

24 Der visionäre Lebensmittelpraktiker

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 5 31.10.19 16:17

Page 6: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

6DAS THEMA: MISS_ERFOLG

Der Misserfolg wird salonfähig

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 6 31.10.19 16:17

Page 7: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

7DAS THEMA: MISS_ERFOLG

Manche mögen bedauern, dass die Globalisierung eine gewisse kulturelle Nivellierung mit sich bringt. Ein Gutes hat sie aber bewirkt: Wir sind toleranter geworden gegenüber Fehlern und Misserfolgen.

Wer früher in unserem Land scheiterte, auf die oder den wurde mit dem Finger gezeigt. Die Person wurde stigmatisiert und war erle-digt – oft fürs ganze Leben. Schweizer*innen waren aber nicht nur streng mit anderen, sondern auch mit sich selbst. Man durfte sich nicht erlauben, einen Fehler zu machen. Sonst dachten die anderen, dass man es nicht könne, und bestraften einen.

Heute sind wir klar fehlertoleranter geworden. Das ist sicher mit auf den Einfluss anderer Kulturen in unserer Arbeitswelt zurück-zuführen. Wir haben gesehen, dass es im Silicon Valley zum guten Ton gehört, mindestens einmal zu scheitern. Das gestehen wir uns mittlerweile auch zu. Ja wir sind sogar schon so weit, dass wir das Scheitern zelebrieren. Die Angestellten Schweiz führten am 27. Juni 2019 den Anlass «Scheitern macht stark» durch, der recht fröhlich war (siehe Apunto 3/2019).

Kraft schöpfen kann man aber nicht nur aus dem Misserfolg, son-dern ebenso aus dem Erfolg. Je nach Person spornt der Misserfolg oder der Erfolg mehr an, wie Sie auf den Seiten 7 bis 9 nachlesen können. Dort erfahren Sie, wie Sportler, Unternehmer oder Kultur-schaffende mit Erfolg und Misserfolg umgehen.

Was mit uns in psychologischer Hinsicht passiert, wenn wir schei-tern, und wie man aus einem solchen Tief gestärkt hervorgehen kann, erfahren Sie auf den Seiten 10 und 11.

Wahrscheinlich ist es schon unserer Mentalität geschuldet: Die Schweiz ist ein sehr erfolgreiches Land mit vielen sehr erfolgrei-chen Bewohner*innen, zum Beispiel den beiden Schweizer For-schern Michel Mayor und Didier Queloz. Dieses Jahr haben beide für ihren Beitrag zum Verständnis des Universums und des Platzes der Erde im Kosmos den Nobelpreis für Physik bekommen. Michel Mayor und Didier Queloz entdeckten 1995 den ersten Planeten ausserhalb des Sonnensystems. Weitere Beispiele dazu von gestern und heute und aus den verschiedensten Wirtschaftsbereichen fin-den Sie auf den Seiten 12 und 13.

Nun wünschen wir Ihnen an der Arbeit und im Leben viel Erfolg! Denn Misserfolg hatten Sie bestimmt schon, und Sie haben daraus gelernt.

—Hansjörg Schmid, Virginie Jaquet, Ariane Modaressi

Lesen Sie auf Apunto-OnlineAus dem Scheitern wird man klug

—Michael von der HeideSingendes Multitalent

www.michaelvonderheide.com

Welches war Ihr grösster Erfolg, welches Ihr grösster Misserfolg?Mein grösster Erfolg besteht darin, dass ich an meinem Kindheitstraum «Sänger werden» festgehalten habe, ihn umsetzen und leben konnte und immer noch kann. Es ist eben nicht ein Ereignis, das ich benennen kann. Ebenso fällt es mir schwierig, den einen grossen Misserfolg zu beschrei-ben. Von der Publikumsseite aber würde ich sagen, das war 2010 am ESC, als es mein schönes Lied «il pleut de l’or» nicht ins Finale schaffte.

Aus welchem Ereignis haben Sie mehr gelernt, was und warum?Ich lerne tagtäglich und bin und war auch immer auf Misserfolge einge-stellt. Mein Motto ist: no risk, no fun.

Was raten Sie jungen Menschen, die in Ihre Fussstapfen treten möchten?

Ich denke nicht, dass jemand in meine Fussstapfen treten möchte. Jungen Menschen, die Musiker werden wollen, wünsche ich einen langen Atem.

Weitere Persönlichkeiten auf den nächsten Seiten >>

Erfolg und Misserfolg als Bereicherung des

Lebens

Was macht uns erfolgreich? Wie gehen wir mit Misserfolg um? Ganz unterschiedlich,

wie die folgenden Beispiele von Persönlichkei-ten aus Kultur, Sport, Unternehmertum und Politik zeigen. Aber eines ist klar:

Erfolg und Misserfolg bescheren uns wertvolle Erfahrungen.

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 7 31.10.19 16:17

Page 8: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

8DAS THEMA: MISS_ERFOLG

—Massimo Rocchi

Erfolgreicher Kabarettist in einer erlernten Sprache

www.massimorocchi.ch

Welches war Ihr grösster Erfolg, welches Ihr grösster Misserfolg

Von direktem Misserfolg kann ich nicht berich-ten, da jeder Theaterbesucher für mich wichtig ist – auch wenn es am Anfang meiner Karriere einmal passierte, dass nur ca. 20 Menschen im Theater waren. Ist das ein Misserfolg? Für mich nicht. Mein grösster Erfolg ist die Zusam-menarbeit im Team Massimo Rocchi. Es ist uns gelungen, die Balance zwischen Kontinuität und Innovation zu finden. Mein Team und ich haben ein gemeinsames Leistungsverspre-chen – das Publikum begeistern!

Aus welchem Ereignis haben Sie am meisten gelernt und warum?

Aus Reisen in Länder, deren Sprache ich nicht verstand. Es lüftet Herz und Hirn. Der Markt-platz Djemaa el Fna in Marrakesch ist eine Eisbrecher-Bühne.

Was raten Sie jungen Menschen, die in Ihre Fussstapfen treten möchten?

Ich bin mir nicht sicher, ob sie für die jetzige Generation noch Gültigkeit haben, jedoch wie-derhole ich gerne meine Mottos: A. Akzeptanz der Fachkompetenz im Rahmen von Theater-ausbildung oder -proben. B. Auf der Bühne dann ein Rebell sein. C. Auf der Bühne nicht für oder gegen, sondern mit dem Publikum spie-len. Toi, toi, toi!

—Thomas Järmann

Professioneller Springreiterwww.rsz-cavallino.ch

Was war Ihr grösster Erfolg als professioneller Springreiter?

Als ich mit meinem selbst ausgebildeten Pferd Percy Tow im Jahr 2011 an der Schweizer Meis-terschaft «Springen Elite» teilnehmen durfte. Percy Tow war damals 12 Jahre alt, und ich hatte ihn mit fünf Jahren gekauft. Wir konn-ten die Meisterschaft auf dem 15. Schlussrang beenden. Für uns ein unglaublicher Erfolg!

Was war der grösste Misserfolg?Ich denke für mich war der grösste Misserfolg noch ganz am Anfang meiner Karriere. Ich hatte mit Sicherheit noch kein Selbstbewusst-sein. Ungefähr 1997 fiel ich im Concours Thun vom Pferd – und das am letzten Hindernis! Aber das wäre gar nicht so schlimm gewesen. Schlimmer war, dass ich mich vor meinen Kol-legen und Verwandten, die extra zum Zuschau-en gekommen waren, sehr geschämt habe.

Aus welchem Ereignis haben Sie mehr mitgenommen – dem Erfolg

oder dem Misserfolg?Eine schwierige Frage, denn wenn man mit Pferden arbeitet, hat man eigentlich nie ausge-lernt. Die Pferde lehren uns Menschen, uns selbst weiterzubilden und ständig zu entwi-ckeln. Je älter man wird, desto besser versteht man die Pferde. Der Schweizer Dressurreiter und Olympiasieger aus dem Jahr 1964, Henri Chammartin, hat an seinem 90. Geburtstag gesagt: «Jetzt, wo ich weiss, wie man reitet, bin ich zu alt!» Diese Worte habe ich bis heute nicht vergessen.

Was können Sie jungen Menschen mitgeben, die es Ihnen

gleichtun wollen?Baut euch ein starkes Durchhaltevermögen auf, nehmt immer das Positive mit, und lasst euch von den Erfolgen steuern! Verlernt nicht zu geniessen, weil auch die Niederlagen dazu-gehören.

—Saskia Schenker

Landrätin und Nachrückkandidatin Nationalrat FDP

www.saskia-schenker.ch

Welches war Ihr grösster Erfolg, welches Ihr grösster Misserfolg?

Gerade in der Politik erlebe ich die Hochs und Tiefs von Erfolgen und Misserfolgen sehr oft. Ich bin mit Herzblut mit dabei, was bedeutet, dass mir sowohl Erfolge als auch Misserfolge persönlich nahegehen. Aber gleichzeitig bin ich immer wieder von Neuem motiviert, mich für bestimmte Themen einzusetzen, hinzustehen und mich zu exponieren. Denn ich glaube dar-an, dass es sich lohnt, politisch mitzureden.

Aus welchem Ereignis haben Sie mehr gelernt, was und warum?

Aus Misserfolgen. Zum Beispiel, wenn bei einer Wahl unsere Kandidatin, unser Kandidat nicht gewählt wird oder wenn ich im Parla-ment eine Abstimmung zu einem Thema ver-liere, das mir sehr wichtig ist. Dann ziehe ich ein Fazit, überlege, was ich hätte anders ma-chen sollen, und versuche, ein nächstes Mal anders vorzugehen. Nichtsdestotrotz: Niederla-gen oder Misserfolge beschäftigen mich jeweils sehr.

Was raten Sie jungen Menschen, die in Ihre Fussstapfen treten möchten?

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass man sich immer wieder aus der Wohlfühlzone hinausbe-wegen sollte. Das heisst, sich immer wieder po-tenziellen Erfolgen und Misserfolgen zu stellen. Was man daraus lernt, ist das, was wirklich zählt. In der Politik heisst das, sich immer wie-der von Neuem eine eigene Meinung zu bilden und den Mut zu haben, diese auch öffentlich zu vertreten. Die Menschen schätzen es, wenn man Rückgrat beweist.

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 8 31.10.19 16:17

Page 9: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

9DAS THEMA: MISS_ERFOLG

—Roland Lenz

Zweifacher Biowinzer des Jahresweingut-lenz.ch

Welches war Ihr grösster Erfolg, welches Ihr grösster Misserfolg?

Für uns sind die zwei Titel zum Biowinzer des Jahres 2015 und 2018 sicher als grosser Erfolg zu werten. Darauf sind wir auch stolz! Ein grosser Misserfolg waren für uns die Kupferre-duktionsversuche 2015 mit neuen Biopflanzen-schutzmitteln in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Da dieses homöopathische Kupferersatz-mittel in den Kleinversuchen in den Vorjahren gut funktioniert hatte, versuchten wir es 2015 auf rund 3 ha Pinot-noir-Fläche. Leider brach der Falsche Mehltau voll durch, was uns rund 350 000 Franken Schaden brachte, natürlich nicht versichert. Dabei war ich so sicher, dass es ein Erfolg würde …

Aus welchem Ereignis haben Sie mehr gelernt, was und warum?

Aus obigem Ereignis, aus dem Hageljahr 2004 (80% Schaden), aus den Frostjahren 2016 und 2017 (je 30% Verlust) und aus vielen kleinen alltäglichen Erlebnissen musste ich lernen, die Natur als unseren wichtigsten Partner zu ak-zeptieren. Das fällt natürlich leichter, wenn diese «Zusammenarbeit» positiv ausfällt.

Was raten Sie jungen Menschen, die in Ihre Fussstapfen treten möchten?

Jungen Menschen rate ich, die Natur als Part-ner zu akzeptieren und zu schätzen. Sie weiter zu erforschen und zu erfahren und sich mit viel Mut und Risikobereitschaft auf sie einzulas-sen. Denn wenn das Zusammenspiel funktio-niert, gibt es keine bessere Partnerschaft!

—Thomas Janek

Zweifacher Schweizer Meister im Canopy Piloting

www.vimeo.com/thomasjanek

Was war Ihr grösster Erfolg als professioneller Skydiver?

Ich habe dreimal an den Schweizer Meister-schaften im Canopy Piloting teilgenommen und tolle Erfolge erzielt. 2018 wurde ich Zwei-ter, 2016 und 2019 gar Erster!

Was war der grösste Misserfolg?Es war der zweite Tag meiner zweiten Saison in Neuseeland, als ich mir die Schulter aufgrund einer persönlichen Fehleinschätzung auskugel-te. Ich war einen Monat komplett ausser Ge-fecht gesetzt. Ich bin schnell zurück in den Sport gekommen, aber mit Defiziten. So habe ich die ersten vier Wochen nur noch Videosprünge für Tandems gemacht und mich mit leichten Pas-sagieren zurückgearbeitet. Für meine Karriere war das natürlich ein Rückschritt.

Aus welchem Ereignis haben Sie mehr mitgenommen – dem Erfolg oder

dem Misserfolg?Ich bin ein sehr positiver Mensch. Natürlich lernen wir aus Misserfolg, aber ich persönlich nehme mehr aus dem Erfolg mit. Der Misser-folg war durch einen eigenen Fehler entstan-den, und es war keine leichte Zeit danach. Es hat mich viel Ausdauer gekostet. Der Erfolg aber hat mich gepusht, mir Mut und Selbstbe-wusstsein gegeben und mich noch mehr arbei-ten lassen – mit viel Freude!

Was können Sie jungen Menschen mitgeben, die es Ihnen gleichtun wollen?

Mir ist wichtig zu sagen, dass eigentlich jeder Fallschirmspringer werden kann. Es bedarf Zeit, Geld und genügend Motivation. Als ich meinen Unfall hatte, waren 3000 Sprünge in meinem Logbuch verzeichnet. Bis heute, vier Jahre später, sind es weit über 7000 Skydives. Ich habe mich nicht unterkriegen lassen, mei-ner Sehnsucht nach dem Springen genug Raum im Leben gegeben, auf meinen Körper gehört und ihn dafür trainiert.

—Heinz Karrer

Präsident Economiesuisse mit Leidenschaft

www.economiesuisse.ch

Welches war Ihr grösster Erfolg, welches Ihr grösster Misserfolg?

Den grössten Erfolg durfte ich mit dem Hand-ballclub St. Otmar St. Gallen feiern: Wir haben den Final der Klubs der Landesmeister (heute Champions League) gegen Teams wie den TV Grosswaldstadt und Atletico Madrid erreicht. Ebenfalls mit St. Otmar St. Gallen habe ich den grössten Misserfolg erlebt: Im Hinspiel in Bu-dapest gegen Honved Budapest haben wir mit happigen zehn Toren Differenz verloren.

Aus welchem Ereignis haben Sie mehr gelernt, was und warum?

Aus beiden Ereignissen habe ich viel gelernt. So habe ich zum Beispiel selbst erfahren, welche Voraussetzungen es für einen Erfolg braucht. Zudem habe ich erlebt, dass Erfolg und Miss-erfolg sehr nahe beieinander liegen können.

Was raten Sie jungen Menschen, die in Ihre Fussstapfen treten möchten?

Egal, was junge Leute in ihrem Leben tun: Wenn sie dafür echte Leidenschaft mitbringen, ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg bereits gegeben.

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 9 31.10.19 16:17

Page 10: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

10DAS THEMA: MISS_ERFOLG

Jeder von uns kennt das beflügelnde, unsag-bar gute Gefühl, wenn einem etwas gelingt, wenn wir erfolgreich sind. Seien das früher gute Noten in der Schule gewesen oder aber der überraschende Gewinn beim Glücks-spiel. Ebenso kennen wir das beklemmende, niederschmetternde Gefühl des Misser-folgs. Was aber genau passiert mit uns, un-serer Psyche, unserem Körper, wenn wir scheitern?

Misserfolg oder eben, weniger positiv ausge-drückt: Scheitern verursacht in uns meist ein Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit. Wir fühlen uns gefangen in einer Sackgasse. Man kann nicht der sein, der man sein möchte. Das Selbstbewusstsein wird erschüttert, was bis hin zur Depression führen kann. Eine der ersten Untersuchungen, die sich mit Misserfolg beschäftigten, war die be-rühmte soziografische Pionierstudie «Die Arbeitslosen von Marien-thal» von 1933 von Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld und Hans Zeisel. Darin wurde aufgezeigt, wie die Auswirkungen von Langzeitarbeitslo-sigkeit den Grossteil der Betroffenen «abstürzen» liessen, nachdem die örtliche Textilfabrik hatte schliessen müssen und ein gesamtes Dorf keine Arbeit mehr hatte. Das Leben dieser Menschen war geprägt von Resignation und Hoffnungslosigkeit bis hin zum Alkoholismus.

Der Einfluss der Gesellschaft

Durch Erfolg bekommen wir Feedback von unserer Umwelt. Stellt sich jedoch Misserfolg ein, so stellen wir nicht unsere Fähigkeiten infrage, sondern meistens uns selbst. Die Distanz zwischen Fähigkeit und dem Selbst ist für die meisten Menschen sehr schwierig zu wahren.

Was Erfolg genau ist, wird uns von klein auf von der Gesellschaft vorge-geben. Das fängt schon im Säuglingsalter an, wenn wir für ein gewisses Verhalten gelobt werden. Wir passen uns von klein auf permanent an die Erwartungen unserer Umwelt an. Im digitalen Zeitalter, in dem in den sozialen Netzwerken alles geteilt wird, man somit permanent Feedback

erhält und jeder offenbar erfolgreich und per-fekt zu sein scheint, haben sich der Erfolgs-druck und das kontinuierliche Streben nach Erfolg noch weiter intensiviert. Diese alles durchdringende Feedbackkultur macht Miss-erfolg noch schwerer erträglich, als dies vor der Existenz der sozialen Medien und vor dem di-gitalen Zeitalter der Fall war.

Der permanente Vergleich mit anderen

Aber wie kann man aus diesem Teufelskreis des permanenten Vergleichs mit seiner Umwelt ausbrechen? Wie kann man sich dem als Per-

son entziehen? Psychologen empfehlen, jeweils eigene Bewertungsmass-stäbe festzulegen. Man sollte sich selbst immuner gegen Erfolg oder Misserfolg machen, rät Nils Spitzer, Psychotherapeut und Autor des Bu-ches «Perfektionismus überwinden».

Es lohne sich auch, die befürchteten Katastrophen nach einem Misser-folg kritisch zu prüfen und sich zu fragen, was wirklich passiert sei. Habe man die Fallhöhe bei Misserfolgen verringert, komme die Akzep-tanz ihnen gegenüber oft von selbst.

Den Misserfolg als Neuausrichtung betrachten

Wie schnell man sich vom Misserfolg erholt, hängt davon ab, ob wir uns von unseren Emotionen überrennen lassen. Wenn wir uns nach einem Misserfolg erst mal vom Erfolgsdruck befreit haben, ist es wichtig, neue Werte zu suchen. Insofern ist der Misserfolg eigentlich gar keiner, son-dern eine Neuausrichtung, ein Dazulernen. Man sollte sich selbst klar-machen, dass Niederlagen zum Leben dazu gehören.

Wer scheitert, macht eine Krise durch, ähnlich wie wenn ein naheste-hender Angehöriger stirbt. Diese sogenannte Trauerphase wurde von der Schweizer Psychologin Verena Kast beschrieben und lässt sich eins zu eins aufs Scheitern übertragen.

Wie schnell wir uns von einem Misserfolg erholen,

hängt davon ab, ob wir uns von unseren Emotionen

überrennen lassen.

Psychologische Aspekte von Misserfolg

Was mit uns passiert, wenn wir scheitern

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 10 31.10.19 16:17

Page 11: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

11DAS THEMA: MISS_ERFOLG

Die vier Phasen der Verarbeitung des Scheiterns

1

Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens

In dieser Phase tritt eine Empfindungslosigkeit auf. Der Schmerz wird abgespalten, und man hat den Eindruck, man träume und der Misser-folg sei nicht real. Als Schockreaktion wird das Problem geleugnet. Oft erinnern sich die Betroffenen im Nachhinein gar nicht mehr an diese Phase. Ihre Dauer variiert von Stunden, über Tage bis zu Wochen.

2

Phase der aufbrechenden, chaotischen Emotionen

Die Gefühle schlagen dann in der zweiten Phase um in Schmerz, Wut, Zorn, Freude, Angst vor Leben und Tod. Auch Schuldgefühle sind hier sehr häufig, oder die Betroffenen machen andere verantwortlich für ihr Scheitern. Es ist wichtig, das Chaos dieser Emotionen auszuhalten und nicht zu verdrängen, um die Krise zu bewältigen. Am Ende der zweiten Phase ist die Krise auf ihrem Höhepunkt.

3

Phase des Suchens, Findens und Sichtrennens

Dies entspricht der Einsichtsphase, in der man beginnt, den Sinn des Scheiterns oder der Krise zu verstehen. Das Geschehene wird akzeptiert.

4

Phase des neuen Selbst- und Weltbezuges

In der vierten Phase beruhigt sich der innere Sturm, und man beginnt, sich aus dem Strudel der Gefühle zu befreien, und kann wieder klarer denken.

Experten sind sich einig, dass es wichtig ist, sich die entsprechende Zeit zu nehmen, um seine «Wunden zu lecken» und mit allen wichtigen Ent-scheidungen bis zur Phase vier zu warten, wenn der Realitätssinn wie-der da ist und die Emotionen abgeklungen sind.

Gestärkt durch den Misserfolg

Ob wir aus unserem Misserfolg lernen, hängt davon ab, wie wir diesen interpretieren. Wer dem Scheitern etwas Positives abgewinnen kann, lässt sich nicht länger von seinen Emotionen überrennen. Der Verarbei-tung von negativen Gefühlen kommt hier ein sehr hoher Stellenwert zu. Misserfolge sollten grundsätzlich bei jedem Vorhaben immer miteinkal-kuliert werden. Denn nur wer auch mal gescheitert ist, kann Resilienz aufbauen, also die Fähigkeit, Krisen zu überstehen.

Scheitern gehört somit zu einem gelungenen Leben und zur Persönlich-keitsentwicklung dazu. Umwege erhöhen die Ortskenntnis, könnte man auch sagen.

—Ariane Modaressi

Weiterführende Literatur

Verena KastTrauern: Phasen und Chancen des

psychischen Prozesses

Marie Jahoda u.a.Die Arbeitslosen von Marienthal

Nils SpitzerPerfektionismus überwinden, Müssiggang

statt Selbstoptimierung

Psychologie HeuteLeben als gelungenes Scheitern

Psychologie HeuteWie scheitern gelingen kann

Wer scheitert, macht eine Krise durch, ähnlich wie wenn ein

nahestehender Angehöriger stirbt.

Foto

: iSt

ockp

hoto

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 11 31.10.19 16:17

Page 12: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

12DAS THEMA: MISS_ERFOLG

Erfolgsmodell Schweiz

Uhren, Schokolade, Käse mit oder ohne Lö-cher, Berge, frische Luft usw. Der Schweiz mangelt es nicht an Produkten oder Eigen-schaften, die sie trotz ihrer geringen Grösse zu einem weltweit bekannten und aner-kannten Land machen. Die Schweiz ist je-doch weit mehr als Uhren, Schokolade und Co. Die Schweiz ist das Land mit einem neid erregenden Ausbildungssystem, mit ei-ner Spitzenindustrie, mit innovativen For-schern und mit einer stabilen Wirtschaft. In unserem Artikel geben wir Ihnen einige Beispiele. Denn über die Erfolge unseres Landes zu sprechen, ist gut für alle – wir sollten es öfter tun.

Ausserordentliches Innovations-potenzial

1940er-Jahre in der Schweiz: Schwierige Zeit, Europa ist mitten im Zweiten Weltkrieg. Für Georges de Mestral steht diese Zeit jedoch im

Zeichen der Innovation. Der Ingenieur aus der Waadt ist daran, die Welt der Kleidung zu re-volutionieren. 1941 erfand er nämlich den Klettverschluss. Auf einer Jagdpartie klam-merten sich Kletten an seine Kleidung und das Fell seines Hundes. Georges de Mestral stellte fest, dass die Kletten fest hafteten. Bei genau-erem Hinsehen entdeckte er, dass die Pflanze mit kleinen Haken ausgestattet ist, mit denen sie sich an Stoffe oder Felle anhaften kann. Er liess sich davon inspirieren und entwickelte den Klettverschluss. Erst zehn Jahre später, 1951, reichte er nach einigen Schwierigkeiten das Patent in der Schweiz ein, 1952 für den Rest der Welt.

Georges de Mestral ist eines von vielen Beispie-len für Schweizer Innovation. Einer der Er-folgsfaktoren der Schweiz, ihrer Industrie und ihrer Universitäten ist ihre Innovationsfähig-keit. So wurden 2018 von der Schweiz 7927 Pa-tentanmeldungen eingereicht. Im Vergleich zu

unserem deutschen Nachbarn, der mehr als 20 000 eingereicht hat, oder den Vereinigten Staaten, die 43 000 hinterlegt haben, mag das als wenig erscheinen. 7927 sind aber bezogen auf die Einwohnerzahl nicht wenig, die Schweiz ist das Land mit den meisten Patentanmeldun-gen pro Million Einwohner. Antonio Campi-nos, Präsident des Europäischen Patentamts, erklärte im Frühjahr 2019, als die Jahresstatis-tik veröffentlicht wurde, dass «dies das ausser-ordentliche Innovationspotential [der Schweiz] beweist». Wie schon im Jahr 2017 wurden im Bereich Messsysteme auch 2018 die meisten Patentanmeldungen eingereicht, gefolgt von der Medizintechnik und den Elektrogeräten.

Was denken Sie, in welchem Kanton werden die meisten Anträge gestellt? In Zürich, dem Wirtschaftszentrum der Schweiz, oder Basel, dem Standort der pharmazeutischen und che-mischen Industrie? Nein, es ist im Kanton Waadt, unter anderem dank der ETH. Das

Foto

: Ala

in H

erzo

g/EP

FL

Brutstätte kreativer Ideen: die ETH Lausanne aus der Vogelperspektive

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 12 31.10.19 16:17

Page 13: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

13DAS THEMA: MISS_ERFOLG

Schweizer Unternehmen, das 2018 die meisten Patente angemeldet hat, ist Roche. Falls Sie keine Angst vor grossen Zahlen haben, sollte Sie die Folgende nicht erschrecken: 122 919. Das ist die Gesamtzahl der in der Schweiz gül-tigen Patente. Um zu präzisieren: Nicht alle sind von Schweizer Unternehmen oder Hoch-schulen.

Die Schweiz darf sich jedoch nicht zurückleh-nen. Die hohe Anzahl von Patenten pro Ein-wohner verdankt sie internationalen Unter-nehmen, die ihren Sitz in der Schweiz haben. Wenn für diese die Bedingungen uninteres-santer werden, werden sie nicht zögern zu ge-hen – und die Innovation wird nicht mehr zu den Erfolgen der Schweiz gehören.

Ein Schweizer Nobelpreis

Die Schweiz ist nicht nur dank ihren Unter-nehmen innovativ, sondern auch dank ihren Bürgerinnen und Bürgern. Das Land brachte und bringt Forscherinnen und Forscher her-vor, die durch ihre Arbeit und Entdeckungen die Wissenschaft voranbringen. Der Waadt-länder Biochemiker Jacques Dubochet ist einer von ihnen. 2017 erhielt er zusammen mit dem Amerikaner Joachim Frank und dem Briten Richard Henderson den Nobelpreis für Chemie für seine Arbeiten in der Kryo-Elektronenmik-roskopie. Jacques Dubochet gingen andere Ta-lente voraus. Alfred Werner ist ein weiterer Schweizer Nobelpreisträger im Bereich Che-mie. Der gebürtige Franzose und eingebürger-te Schweizer studierte an der ETH Zürich und promovierte dort. Er gewann den Nobelpreis für seine Arbeit in der anorganischen Chemie.

Olten ist nicht nur der Sitz der Angestellten Schweiz, sondern auch der Geburtsort eines weiteren Schweizer Nobelpreisträgers: Paul Hermann Müller. Auch er war Chemiker, aber er erhielt den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. 1948 war das, für seine Arbeit am In-sektizid Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT). DDT ermöglichte, die Epidemien von Typhus und Malaria zu neutralisieren. Heute ist DDT sehr umstritten und in einigen Ländern verbo-ten. Auf der Website www.nobelprize.org fin-den Sie alle Nobelpreisträger, natürlich auch die Schweizer.

Duales Bildungssystem als beste Voraussetzung für den digitalen Wandel

Normalerweise blicken wir Schweizer ehr-fürchtig ins Silicon Valley, wenn wir wissen wollen, wie wir uns am besten für den digitalen

Wandel wappnen. Eine wissenschaftliche Um-frage 1 unter Digitalisierungsexperten der Hochschule Luzern zum Thema Wissensarbeit in der digitalen Transformation hat nun aber Überraschendes hervorgebracht: Wenn es um das Bildungssystem geht, blicken die inter-viewten Experten in der San Francisco Bay neidisch in die Schweiz. Arbeitsmarktexperten in den USA studieren offenbar unser duales Bildungsmodell intensiv und sprechen sich für deren Einführung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein. «Wir brauchen das schwei-zerische Modell der Lehre», sagt Vinz Koller, Senior Strategist for Capacity Building, Work-force and Human Services Division bei Social Policy Research Associates. Die Lehre werde anerkannt als wirtschaftliche und robuste Lö-sung, dank der Stelleninhaber und Jobsuchen-de sich die Fähigkeiten aneignen könnten, die von der sich stets schneller drehenden Wirt-schaft gefordert werden.

Mit Schweizer Technologie dem Klimawandel entgegenwirken

Ziel 13 der Agenda 2030 der UNO umfasst Massnahmen zum Klimaschutz. Erreicht wer-den kann es nur mit einem Bündel von Mass-nahmen. Einen wichtigen Beitrag kann die innovative Schweizer Technologie des Unter-nehmens Climeworks leisten. Ihre Innovation ist verblüffend einfach zu erklären: Mittels der Technologie «Direct Air Capture» (DAC) wird das klimaschädliche Treibhausgas CO2 ganz einfach aus der Luft gefiltert. Es kann dann entweder industriell verwendet oder unterir-disch gespeichert werden.

Climeworks betreibt in Hinwil im Zürcher Oberland eine DAC-Anlage. Die Kehrichtver-brennungsanlage auf dem Gelände liefert die erforderliche Prozesswärme. Das gewonnene CO2 übernimmt ein Gewächshaus in der Nähe, wo das Gas das Pflanzenwachstum anregt. Neuerdings sprudelt auch das Valser Wasser mit CO2 von Climeworks. Beide Anwendungen ersetzen CO2, das sonst aus fossilen Quellen stammt. Damit wird lediglich Klimaneutrali-tät erreicht, netto wird der Atmosphäre kein CO2 entzogen. Um die Co2-Bilanz zu verbes-sern, muss das Treibhausgas gespeichert wer-den. Eine entsprechende Pilotanlage CO2 be-

treibt Climeworks in Island. Das CO2 aus der Luft wird zuerst in Wasser gelöst und an-schliessend in ein Basaltgestein 700 Meter unter der Erde gepumpt. Dort reagiert es mit dem Gestein, wobei sich ein stabiles Karbonat bildet. Das CO2 sollte also sicher versorgt sein.

Die Technologie von Climeworks allein wird bei Weitem nicht ausreichen, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens (Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 oder 1,5 Grad) zu erfüllen. Gemäss der Website von Climeworks kann die CO2-Reduktion zu 80 Prozent mit herkömmlichen Mitteln erreicht werden, die restlichen 20 Prozent müsste die Entfernung von CO2 aus der Luft beitragen. Um jährlich 6 Gigatonnen CO2 aus der Luft abzuscheiden, wären 120 Millionen der heutigen Clime-works-Module erforderlich. Das Verfahren ist heute mit 600 Dollar pro Tonne CO2 auch noch sehr teuer. Christoph Beuttler von Climeworks ist aber zuversichtlich, die Kosten auf 100 Dol-lar senken zu können.

Schweizer Technologie kann also einen we-sentlichen Beitrag zum Ziel 13 der Agenda 2030 leisten und damit indirekt auch zum Ziel 3, Gesundheit und Wohlergehen.

—Virginie Jaquet, Hansjörg Schmid

«Wir brauchen das schweizerische Modell

der Lehre»

Vinz Koller

Die Technologie von Climeworks filtert

CO2 aus der Luft.

1 «Knowledge work in the age of digital transformation

in the US and the Bay Area», August 2019

Phot

o: Ju

lia D

unlo

p / C

limew

orks

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 13 31.10.19 16:17

Page 14: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

14DIE ARBEITSWELT

Nach Boomjahren erlebt die MEM-Industrie wieder Turbulenzen. Verschiedene Faktoren bremsen das Wachstum der Branche und wirken sich negativ auf die MEM-Unterneh-men aus.

Nach dem konjunkturellen Höhenflug in den letzten zwei Jahren kühlt sich die Dynamik der MEM-Industrie 2019 deutlich ab. Dies zeigen die meisten Indikatoren: Die Industrieproduk-tion, Produzentenpreise und Exporte haben be-reits im zweiten Halbjahr 2018 an Schwung ver-loren. Dieser Trend hat sich im ersten Halbjahr 2019 fortgesetzt. Insbesondere die Exporte sind im zweiten Quartal 2019 mit Ausnahme der Branche Datenverarbeitungsgeräte und Uhren in negatives Territorium gerutscht. Mit Aus-nahme der Branche elektrische Ausrüstungen – bei welcher sich Restrukturierungen wie jene bei General Electric bemerkbar machen – wur-de in der MEM-Industrie im ersten Halbjahr 2019 weiter Beschäftigung aufgebaut, jedoch nicht mehr in gleichem Ausmass wie 2018.

Die konjunkturellen Aussichten für die Schweiz sind verhalten. Die politische Unsicherheit (Zuspitzung Handelskonflikte, Brexit, Institu-tionelles Abkommen) ist weiter angestiegen und dürfte noch weit bis ins Jahr 2020 die glo-bale und die Schweizer Wirtschaftsdynamik bremsen. Hinzu kommen die schwache Kon-

junktur im Euroraum und der wiedererstarkte Franken. Der private Konsum spielt hingegen eine stützende Rolle. Die Gefahr einer Rezes-sion ist deshalb klein. Insgesamt prognosti-ziert BAK für das laufende Jahr ein verhalte-nes BIP-Wachstum von 0,7 Prozent (2018: 2,8%) mit einer leichten Beschleunigung im kommenden Jahr auf 1,3 Prozent. Die Be-schleunigung ist aber weitgehend Sonderef-fekten (Lizenzeinnahmen durch Sportgross-ereignisse wie die Fussball-EM) geschuldet. Korrigiert man diese, resultiert in beiden Jah-ren ein Wachstum von 1,1 Prozent.

Politische Unsicherheiten bremsen Investitionen

Die MEM-Industrie ist von Konjunkturzyklen besonders betroffen: Genauso stark wie die MEM-Industrie 2018 vom Boom profitierte, wird sie jetzt vom Abschwung getroffen. Das Wachstum der MEM-Industrie dürfte 2019 und 2020 dennoch leicht höher ausfallen als das (um Sondereffekte bereinigte) Wachstum der Gesamtwirtschaft. Die starke Verlangsamung des Wachstums der MEM-Industrie gegenüber 2018 (4,1%) ist auf verschiedene Faktoren zu-rückzuführen: Aufgrund der schwächeren glo-balen Dynamik der Ausrüstungsinvestitionen leiden die MEM-Exporte, zumal der Franken 2019 (EUR/CHF 1.11) und 2020 (1.10) wieder stärker ist als 2018 (1.15). Hinzu kommt, dass

die Unternehmen aufgrund der erwähnten po-litischen Bremsfaktoren auch auf dem Schwei-zer Heimmarkt zurückhaltender investieren. Zusätzlich belasten die Probleme der deutschen Automobilindustrie, einer wichtigen Abneh-merbranche, die Schweizer MEM-Unterneh-men.

Aus diesen Gründen erwartet BAK für 2019 und 2020 ein verhaltenes Wertschöpfungs-wachstum der MEM-Industrie von je 1,2 Pro-zent. Das Beschäftigungswachstum flacht die-ses und nächstes Jahr ebenfalls ab (1,6% bzw. 0,5%), liegt 2019 aber noch über dem Schweizer Schnitt (1,2%). Lassen die politischen Span-nungen wie erwartet 2021 nach, werden Unter-nehmen Investitionen nachholen und der MEM-Industrie so einen Rebound bescheren.

—Mark Emmenegger

Senior Projektleiter BAK Economics AG

Den vollständigen Branchenmonitor finden Sie unter www.angestellte.ch unter

Newsroom/Publikationen

BAK steht als unabhängiges Wirtschafts-forschungsinstitut seit 35 Jahren für die

Kombination von wissenschaftlich fundierter empirischer Analyse und deren praxisnaher

Umsetzung.

2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021

= Gesamtwirtschaft = MEM-Industrie

Beschäftigte

Veränderung in % Quelle: BAK Economics

3.0 %

2.0 %

1.0 %

0.0 %

–1.0 %

–2.0 %

–3.0 %

–4.0 %

Verlangsamung in der MEM-Branche

6.0 %

4.0 %

2.0 %

0.0 %

–2.0 %

–4.0 %

–6.0 %

–8.0 %

2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021

= Gesamtwirtschaft = MEM-Industrie

Reale Bruttowertschöpfung

Veränderung in % Quelle: BAK Economics

Foto

: iSt

ockp

hoto

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 14 31.10.19 16:17

Page 15: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

15DIE ARBEITSWELT

Die Branche Chemie/Pharma bleibt auf Wachstumskurs. Für 2019 sieht es sogar et-was besser als im letzten Jahr aus.

Die chemisch-pharmazeutische Industrie ist mit viel Schwung ins Jahr 2019 gestartet. Die konjunkturellen Aussichten der Branche sind für das gesamte Jahr entsprechend gut. Gegen-über dem erfolgreichen 2018 ist sogar eine leichte Beschleunigung zu erwarten. Damit trotzt die Branche der konjunkturellen Ab-schwächung der globalen und der Schweizer Wirtschaftsdynamik, die sich aufgrund politi-scher Unsicherheiten (z.B. Handelskonflikt USA–China, Brexit) eingestellt hat. Die gute Konjunkturstimmung der chemisch-pharma-zeutischen Industrie zeigt sich auch in den meisten Indikatoren.

Die angestiegene politische Unsicherheit, die schwächelnde Konjunktur im Euroraum und der wiedererstarkte Franken dämpfen die Wachstumsaussichten für die Schweiz. Die Ge-fahr einer Rezession ist jedoch klein. Insgesamt prognostiziert BAK für 2019 ein verhaltenes BIP-Wachstum von 0,7 Prozent (2018: 2,8%), mit einer leichten Beschleunigung 2020 auf 1,3 Prozent (bereinigt um Sondereffekte 2019 und 2020: +1,1%).

Pharmabranche bleibt auf Erfolgsspur

Aufgrund eines Stellenabbaus bei Novartis wird das Beschäftigungswachstum der Phar-maindustrie in den kommenden Jahren weni-ger dynamisch verlaufen als in der jüngeren Vergangenheit. Trotzdem bleibt die Pharma-branche auf der Erfolgsspur. Aufgrund der In-betriebnahme neuer Produktionsanlagen und der Produktivitätsgewinne im Zuge des Struk-turwandels prognostiziert BAK für 2019 ein kräftiges Wachstum der realen Bruttowert-schöpfung von 8,1 Prozent (2018: 7,1%) und der Beschäftigung von 1,2 Prozent (2018: 1,8%). Die konjunkturresiliente Pharmaindustrie wird also von der Wachstumsabschwächung im In- und Ausland nicht in Mitleidenschaft gezogen. 2020 dürfte bei der Wertschöpfungs-entwicklung eine Normalisierung in Richtung des längerfristigen Potenzialwachstums ein-setzen.

Für die chemische Industrie dürfte das laufen-de Jahr 2019 einen erfolgreichen Verlauf neh-men. Dabei ist mit einer Steigerung der Wachs-tumsdynamik gegenüber dem Vorjahr zu rechnen. Die Verlangsamung des globalen und nationalen Wirtschaftswachstums 2019 tan-giert die chemische Industrie im aktuellen Jahr noch nicht. Eine stützende Rolle hierbei spielt die gute Performance der Pharmaindus-

trie, die ein wichtiger Abnehmer der chemi-schen Industrie ist. BAK rechnet für 2019 mit einem Wachstum der realen Wertschöpfung in der chemischen Industrie von 2,9 Prozent (2018: 2,6%), verbunden mit einer Zunahme der Beschäftigung um 1,3 Prozent (2018: 2,6%). 2020 dürfte die konjunkturelle Dyna-mik der chemischen Industrie im Zuge der Wachstumsnormalisierung der Pharmaindus-trie abflachen, im gesamtwirtschaftlichen Ver-gleich aber weiterhin überdurchschnittlich hoch ausfallen.

—Jonas Stoll

Senior Projektleiter BAK Economics AG

Den vollständigen Branchenmonitor finden Sie unter www.angestellte.ch unter

Newsroom/Publikationen

BAK steht als unabhängiges Wirtschafts-forschungsinstitut seit 35 Jahren für die

Kombination von wissenschaftlich fundierter empirischer Analyse und deren praxisnaher

Umsetzung.

3 %

2 %

1 %

0 %

= Gesamtwirtschaft = Chemie/Pharma

Beschäftigte

Veränderung in % gegenüber VorjahrQuelle: BAK Economics

2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021

= Gesamtwirtschaft = Chemie/Pharma

Reale Bruttowertschöpfung

Veränderung in % gegenüber VorjahrQuelle: BAK Economics

Beschleunigung in der chemisch- pharmazeutischen Branche

Foto

: iSt

ockp

hoto

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 15 31.10.19 16:18

Page 16: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

16DIE ARBEITSWELT

Digitale Plattformen: historische Vereinbarung

in Dänemark

«Dies ist eine Pioniervereinbarung», sagte der frühere dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen im April 2018. Er sprach nicht etwa über die damals von

den Führern beider Korea unterzeichnete Erklärung von Panmunjeom, sondern über den ersten Gesamtarbeitsvertrag der Plattformökonomie.

Vor über einem Jahr unterzeichnete die däni-sche Gewerkschaft 3F mit Hilfr eine histori-sche Vereinbarung: den ersten Gesamtarbeits-vertrag für die globale Plattformwirtschaft (Link siehe Kasten). Hilfr ist eine digitale Plattform für Reinigungsdienstleistungen, die mit Batmaid in der Schweiz verglichen werden kann. Hilfr beschäftigt rund 450 Mitarbeiten-de und betreut mehr als 1000 Kunden in ganz Dänemark. 3F steht für Fagligt Faelles For-bund und ist die stärkste dänische Gewerk-schaft. Sie wurde 2004 gegründet und zählt über 270 000 Mitglieder.

Regierung, Arbeitgeber, Gewerkschaft: alle zufrieden

Bei der Unterzeichnung betonte der dänische Premierminister Lars Løkke Rasmussen, dass dies ein Fortschritt sei. Er bezeichnete die Ver-einbarung, die sich in eine lange Tradition der Sozialpartnerschaft einreihe, als Pioniertat. Zu-friedenheit herrscht auch auf Arbeitgeberseite: Steffen Wegner Mortensen, Mitgründer von Hilfr, zeigte sich sehr stolz darauf, den ersten Gesamtarbeitsvertrag für die Plattformökono-mie unterzeichnet zu haben. Diese leide unter einem schlechten Ruf, weil zu viele Plattformen schlechte Arbeitsbedingungen bieten würden, auch wenn sie sich als innovativ betrachteten. Für Steffen Wegner Mortensen zeigt die Unter-zeichnung dieses wegweisenden Gesamtar-beitsvertrags, dass alle von neuen Technologien profitieren können, ohne die Rechte der Arbeit-

nehmenden zu schwächen und deren Arbeitsbe-dingungen zu verschlechtern.

Der unterzeichnete Vertrag sieht einen Min-deststundenlohn von 141,21 dänischen Kronen vor, das sind rund 20 Schweizer Franken. Dazu kommen Beiträge für die Altersvorsorge, be-zahlte Urlaubstage, Krankenentschädigung, und es ist zusätzlich zum Lohn eine Sozialab-gabe von 20 Kronen (ca. 3 Franken) pro Stunde zu leisten. Für Tina Møller Madsen, Gruppen-vorsitzende bei 3F, ist die Vereinbarung ein wichtiger Meilenstein, aber sie betont auch, dass der Weg noch weit sei.

Andere europäische Beispiele

Dänemark ist Pionier, aber natürlich nicht das einzige Land, das die Plattformarbeit regelt oder dies versucht. Auf europäischer Ebene ge-

hen die meisten Überlegungen dahin, wie diese neue Form der Arbeit durch die sozialen Sicher-heitssysteme besser geschützt werden kann. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung vertritt die Auffas-sung, dass Anpassungen darauf abzielen soll-ten, die Übergangsphasen, die das Arbeitsleben zunehmend prägten, zu sichern und zu unter-stützen. Dies erfordert möglicherweise, dass Rechte nicht an Arbeitsbeziehungen geknüpft werden, sondern an Personen.

Deutschland geht das Problem seit einigen Jahren an. Nach einem Dialog zwischen ver-schiedenen Akteuren (Verbänden, Gewerk-schaften, Unternehmen) im April 2015 unter Führung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wurde ein Weissbuch zu Arbeit 4.0 veröffentlicht (Weissbuch Arbeiten 4.0, Link siehe Kasten). Eine der wichtigsten Er-kenntnisse dieses Dokuments ist, dass ein eu-ropaweiter Dialog über Arbeit 4.0 notwendig ist, um einen Konsens über Mindeststandards der sozialen Sicherheit zu erzielen.

Die Arbeitslosenversicherung durch eine Arbeitsversicherung ersetzen

Das Ministerium schlägt ausserdem vor, die Arbeitslosenversicherung schrittweise in eine Arbeitsversicherung umzuwandeln, d.h. die präventiven Aspekte der Arbeitslosenversiche-rung zu stärken. Man will den Fokus weniger auf die Absicherung des Risikos eines Arbeits-

Ein GAV mit Pioniercharakter wurde in Dänemark

ausgehandelt.

Foto

: iSt

ockp

hoto

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 16 31.10.19 16:18

Page 17: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

17DIE ARBEITSWELT

platzverlusts richten, sondern systematisch auf die Chancen der beruflichen Weiterentwick-lung im Laufe eines Berufslebens. Man will also vorbeugend und auf den Berufsweg ausge-richtet handeln und die Arbeitsmarktfähigkeit einer und eines jeden entwickeln. Für diesen Wandel vorgeschlagene Massnahmen sind die Einführung eines Rechts auf unabhängige Be-rufs- und Fortbildungsberatung sowie eines Rechts auf Weiterbildung. Mit der Inkraftset-zung des Qualifizierungsschancengesetzes am 1. Januar 2019 ist dies zum Teil umgesetzt. Während es weiterhin Aufgabe der Arbeitge-ber ist, dafür zu sorgen, dass die Arbeitneh-menden zusätzliche Kompetenzen erwerben, trägt die Bundesagentur für Arbeit einen Teil der Weiterbildungskosten. Das Gesetz sieht auch andere Massnahmen zur Förderung der Ausbildung und Qualifikation der Arbeitneh-menden vor.

Parallel zu diesen staatlichen gibt es weitere Massnahmen, die darauf abzielen, der Digita-lisierung und insbesondere der Plattformöko-nomie einen Rahmen zu verpassen. So hat zum Beispiel die deutsche Gewerkschaft IG Metall in Zusammenarbeit mit der österreichischen Gewerkschaft Arbeiterkammer Wien und dem ÖGB sowie der schwedischen Gewerkschaft Union eine Plattform für Crowdworker lan-ciert: www.faircrowd.work. Diese bietet ver-schiedene Informationen zur Plattformarbeit und vermittelt Crowdworkern Unterstützung.

Übernahme von Sozialbeiträgen

Auch in Frankreich wurden Massnahmen er-griffen. Seit dem 1. Januar 2018, nach einer Änderung des Sozialversicherungsgesetzes, müssen die Plattformen die Beiträge der Un-fallversicherung übernehmen. Die «union de recouvrement des cotisations de sécurité so-ciale et d’allocations familiales française» (staatliche Stelle für soziale Sicherheit und Fa-milienzulagen) hat eine Liste der betroffenen Aktivitäten der Plattformwirtschaft (auch kol-laborative Wirtschaft genannt) online gestellt, inklusive Informationen über das einzuhal-tende Verfahren.

Darüber hinaus wies der französische Abgeord-nete Pascal Terrasse in einem Bericht vom Feb-ruar 2016 auf die Notwendigkeit hin, die Be-rufswege der Plattformarbeitenden zu sichern und ihren sozialen Schutz zu verbessern. Er schlug ein «compte personnel d’activité» vor, ein persönliches Konto von beruflichen Aktivitäten, um allen Bürgern ab 16 Jahren den Zugang zu sozialen Rechten zu ermöglichen, unabhängig

von ihrem Status und den Unwägbarkeiten des Arbeitslebens. Konkret würde das heissen: Wenn Menschen arbeiten, sammeln sie Punk-te, mit denen sie einen Anspruch auf Leistun-gen wie Mutterschutz, Aus- und Weiterbildung oder eine finanzielle Unterstützung bei der Gründung eines Unternehmens geltend ma-chen können.

Fragen ohne Antworten

Auch die Schweiz beschäftigt sich mit der Plattformarbeit. Derzeit beschränkt sich das Handeln der Regierung jedoch hauptsächlich auf die Ausarbeitung von Berichten, wie dem Bericht «Auswirkungen der Digitalisierung auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen – Chancen und Risiken» (Link siehe Kasten). Darin werden einige problematische Aspekte angesprochen, unter anderem die Grenze zwi-schen abhängiger und unabhängiger Tätigkeit. Diese Grenze wirft besonders aus sozialversi-cherungs- und arbeitsrechtlicher Sicht grund-sätzliche Fragen auf.

Die Plattformarbeit hat auch Schweizer Ge-richte schon beschäftigt und Entscheide her-ausgefordert. Oder eben nicht: Im Juli 2018 kam das Sozialversicherungsgericht des Kan-tons Zürich zu keinem Schluss über den Status von Uber-Fahrern, zur Frage nämlich, ob diese angestellt oder selbstständig sind. Das Zürcher Gericht entschied nicht darüber, sondern zog es vor, die Akte an die Suva zurückzugeben mit der Aufforderung, abzuklären, von welchem Unternehmen genau die Uber-Fahrer vertrag-lich abhängig seien. Im Juli dieses Jahres be-kräftigte die Suva ihre ursprüngliche Meinung erneut: Uber-Fahrer seien Angestellte. Hatte die Suva in ihrem ersten Entscheid Uber Swit-zerland GmbH als Arbeitgeber bezeichnet, qualifizierte sie diesmal das Unternehmen Uber B. V. mit Sitz in Holland als solchen. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, die Debatte geht weiter.

Reglementieren oder Laisser-faire?

Für die Angestellten Schweiz lautet die Ant-wort auf die Frage, was zu tun ist: Rahmenbe-dingungen schaffen. Das ist für die Digitalisie-rung unabdingbar, damit diese für alle eine Chance ist und bleibt. Konkret braucht es auf der einen Seite Werkzeuge und Mittel, um die Innovation und Digitalisierung voranzutrei-ben, auf der anderen Seite müssen sich die Er-werbstätigen gegen die Gefahren der digitalen Transformation wappnen und sich schützen können.

Die Angestellten Schweiz begleiten und unter-stützen die Erwerbstätigen in dieser Entwick-lung der Arbeitswelt. Als moderne Arbeitneh-merorganisation thematisieren wir den Wandel in der Arbeitswelt und dessen Auswirkungen auf die Arbeitnehmenden seit Jahren. Wir be-raten unsere Mitglieder rund um die Problema-tiken der Arbeitswelt 4.0, informieren und schulen sie, damit sie arbeitsmarktfähig blei-ben. Für die Angestellten Schweiz ist die Digi-talisierung unumkehrbar, es ist unsere Pflicht, sie zum Vorteil aller zu machen.

—Virginie Jaquet

Weiterführende Links

GAV Plattformwirtschaft Dänemark (englischsprachige Website)

Weissbuch Arbeiten 4.0—

Bericht «Auswirkungen der Digitalisierung auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen –

Chancen und Risiken»—

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 17 31.10.19 16:18

Page 18: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

18DIE ARBEITSWELT

Der mitbestimmte Algorithmus

Welf Schröter vom Deutschen Gewerkschaftsbund fordert eine Mitbestimmung beim Einsatz von Algorithmen als Handlungsträgern.

«Der Umbruch in der Erwerbsarbeit betrifft den industriellen Sektor und den Dienstleistungssektor in unterschiedlicher Weise. Der Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in den priva-ten und öffentlichen Dienstleistungen wird zunehmend Arbeitsorgani-sationen und Arbeitsplatzprofile verändern.»

Dieses Zitat könnte einer aktuellen Broschüre entnommen worden sein. Doch es stammt aus dem «Memorandum – Regionaler Forschungsbe-darf und soziale Technikgestaltung» des Forums Soziale Technikgestal-tung (FST) aus seiner Gründungszeit des Jahres 1991. Der heutige empi-rische Befund des FST zeigt, dass rund drei Viertel der heutigen Technikimplementierungen vor allem Technikprodukte betreffen, die in ihren benannten Basisversionen zwischen fünfzehn und mehr als zwan-zig Jahre alt sind. Nur die immanenten Updates und Upgrades sind ak-tuell. Diese Technologien werden in grossen Teilen jetzt erst wahrge-nommen und deshalb subjektiv als «neu» empfunden. Doch aus der Perspektive der Technikentwicklung sind sie zumeist «alt». Es werden technische Werkzeuge und Modelle eingeführt, die es schon lange gibt. Diesen Prozess kann man besser als «nachholende Digitalisierung» (Schröter) bezeichnen.

Die «Vorspeise» des Umbaus

Kennzeichen der «nachholenden Digitalisierung» sind zum einen die um viele Jahre deutlich verspätete Nutzung und Anwendung IT-techni-scher Produkte, Organisationsvorstellungen und Infrastrukturen. Zum anderen dominiert diesen Ansatz ein gravierender Fehlschluss im Inno-vationskonzept: Die Träger eines solchen Wandels sehen in den identi-fizierten Techniken schon das abschliessende Ergebnis der digitalen Transformation. In ihren Augen sind die gewählten Bausteine schon das Ziel, der erreichte Status einer «Vier-null-Welt». Doch weit gefehlt. Die «nachholende Digitalisierung» ist zwar eine zwingende Vorbedingung, eine Art Fundament des erforderlichen Wandels. Jedoch stellt sie tat-sächlich nur die «Vorspeise» des Umbaus dar. Der «Hauptgang» steht noch aus. Er zeigt sich erst vorsichtig am Horizont.

Entzaubern wir die gängige Messe-Marketing-Sprache etwas: Mobiles Arbeiten begann erkennbar in der Mitte der Neunzigerjahre. Der erste diesbezügliche Gesamtarbeitsvertrag wurde 1996 unterzeichnet. 1997 startete eine weiträumige Ausgabe und Nutzung von mobilen Endgerä-ten (Vorgänger der Smartphones), die zwar noch keine grafische Ober-fläche (kein «Wisch-und-Weg») kannten, aber dafür alle Funktionali-täten (per Tastaturbefehle) enthielten. Um die Jahrtausendwende fanden die ersten Anwendungen jener Brillen unter dem Namen «An-gereicherte Realität» (Augmented Reality) statt, die wir heute Smart Glasses nennen. Parallel entwickelten sich die Profile und Perspektiven für jene Softwarewerkzeuge, die man damals als «Software-Agenten» oder «mobile Agenten-Plattformen» bezeichnete. Heute verstecken sich diese technischen Innovationen in Cyberphysischen Systemen. Ähnlich verhält es sich mit der «klugen Fabrik», der Smart Factory, die ebenfalls auf eine Lebensdauer von fast zwei Jahrzehnten zurückblicken darf. Das Konzept des Internets der Dinge (Internet of Things, IoT) liegt seit vie-len Jahren in der Praxis vor.

Die Konzipierung von «Software-Agenten»

In der jüngsten Vergangenheit gab es im Prinzip zwei Konstanten: We-der die Maschine als Produktionsmittel noch die Software als Werkzeug veränderten sich durch ihre Anwendung. Natürlich mussten Düsen von Schweissrobotern ausgetauscht werden, weil das Material ermüdete. Für die Software gab es Updates, Upgrades und Antivirensysteme. Aber der Schweissroboter blieb ein Schweissroboter und die Steuerungssoft-ware blieb dieselbe. Im besten Sinne des Wortes waren es hochqualifi-zierte, gute «passive Assistenztechniken». «Passiv» – im übertragenen Sinne – waren sie, weil sie sich durch Anwendung nicht veränderten, nicht «selbst-lernend», nicht «selbst-verändernd».

In Förderprogrammen wurde vor rund zwei Jahrzehnten unter der Formel «Mensch–Technik–Interaktion» die Konzipierung und Reali-sierung von sogenannten «Software-Agenten» gestartet. Schon zu Be-ginn des Jahrtausends galten diese technischen Softwarewerkzeuge als

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 18 31.10.19 16:18

Page 19: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

19DIE ARBEITSWELT

Möglichkeit, transaktive Arbeits- bzw. Geschäftsvorgänge rechtsver-bindlich in Echtzeit auf sie zu übertragen, zu delegieren. Das FST be-schrieb diese Perspektive bereits in den Jahren 2001/2002: «Neben der Frage nach der Mobilität der Person und der Mobilität der Arbeitsinhal-te verstärken die technischen Innovationsentwicklungen die Mobilität von Werkzeugen. Darunter sind einerseits mobile Endgeräte zu verste-hen, andererseits ist darunter vermehrt die Mobilität von plattformun-abhängigen Software-Anwendungen und von Software-Agenten zu sub-sumieren. Dies ist relevant für die Arbeitsorganisation und den Wandel der Arbeitskultur, wenn diese mobilen Werkzeuge die Möglichkeiten zur Delegation einräumen, wenn sie eigene technische ‹Intelligenz› mit sich führen, wenn sie Arbeitsabläufe, Prozesse, Zugriffe und Transaktio-nen unterschiedlichster Art eigenständig realisieren, auslösen, beenden, steuern bzw. überwachen können.» Solcherart Werkzeuge wurden seit-dem weiter optimiert, um ihre Verlässlichkeit, Sicherheit und Leistungs-fähigkeit zu verbessern. «Software-Agenten» verschiedener Ausprä-gung finden sich heute in so manchen CPS-Anwendungssystemen (cyberphysisches System) und als autonome Softwaresysteme (ASS) in «Watson» wieder.

Mit dem Wort «Delegationssoftware» verbindet sich zugleich eine weit-gehende Öffnung der Zielbestimmung. Damit ist gemeint, dass dieser Typ von autonomen Softwaresystemen nicht nur ständig Daten auf-nimmt, bewertet, auswertet und sie zur Grundlage neuer «Entscheidun-gen» macht. Dieser Typ von ASS ist in der Lage, die Vorgaben der Kern-spielregel zu überschreiten. Damit handelt es sich nicht mehr um eine Assistenz, sondern tatsächlich um eine Verschiebung von der «Hand-lungsträgerschaft Mensch» zur «Handlungsträgerschaft ASS». Hier ist das Wort «Delegation» ernst gemeint.

Kriterien für die Gestaltung von Algorithmen

Der traditionelle Ansatz zur Gestaltung der Arbeitswelt und zur For-mierung von Technikimplementierungen fusste bislang auf einem drei-gliedrigen Handlungskonzept. Dieses Konzept orientiert sich an den

Vorgaben von Bundesgesetzen, den zwischen den Sozialpartnern ver-einbarten Gesamtarbeitsverträgen und den errungenen Ergebnissen der Betriebs- und Dienstvereinbarungen – auch zu Experimentierpha-sen. Aus den Diskussionen des FST ergibt sich der dringende Impuls, die drei vorhandenen und notwendigen Gestaltungsebenen um die Ebene der Gestaltung eines «mitbestimmten Algorithmus» im mehrschichti-gen Sinne eines algorithmischen komplexen Entscheidungsprozesses zu erweitern. Mit dieser Erweiterung ergeben sich besondere neue Anfor-derungen und ein erweitertes Modell der Integration der vier Ebenen wie etwa die Stärkung und der Ausbau der Gestaltungskompetenz, der Erwerb von Orientierungswissen über das Wirken von Algorithmen und algorithmischen Entscheidungsprozessen sowie die Vereinbarung gene-rischer Kriterien für die Freigabe von Algorithmen bzw. von algorithmi-schen Entscheidungsprozessen. Um die vorgeschlagene vierte Gestal-tungsebene operativ nutzbar werden zu lassen, ist es sinnvoll, sich auf eine Liste grundsätzlicher (generischer) Kriterien zu verständigen. An-hand dieser Kriterien kann die Frage der Implementierbarkeit und der Zulässigkeit der Implementierung mithilfe einer Checkliste geprüft und entschieden werden. Das FST hat 30 Kriterien für die Gestaltung von Algorithmen in seiner Publikation «Der mitbestimmte Algorithmus – Gestaltungskompetenz für den Wandel der Arbeit» (hrsg. von Welf Schröter, 2019, 248 Seiten, ISBN 978-3-89376-181-4) veröffentlicht.

—Welf Schröter

Leiter Forum Soziale Technikgestaltung DGB Baden-Württemberg

Wer entscheidet letztlich – der Mensch oder die Maschine?

Foto

: iSt

ockp

hoto

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 19 31.10.19 16:18

Page 20: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

DIE ARBEITSWELT 20

Arbeitssicherheit in der Bodenbelagsbranche

Mit gutem Beispiel vorangehen

«Es wird in der Bodenbelagsbranche noch zu wenig Wert auf die Arbeitssicherheit gelegt», findet der Bodenlegermeister und Be-rufsschullehrer Minur Ajdaroski. Er kennt die Ursachen und hat Rezepte dagegen.

«Ich lege sehr grossen Wert auf die Arbeitssicherheit. Einerseits, weil ich mit Verletzungen schon die eine oder andere Erfahrung machen musste. Andererseits möchte ich mit gutem Beispiel vorangehen.» Dies sagt Minur Ajdaroski, der sich in der Bodenbelagsbranche zusammen mit Rechtsanwältin Caroline Hasler auch für die Angestellten Schweiz starkmacht (vgl. Apunto 2/2018).

Von Kopf bis Fuss geschützt

Verletzen kann man sich beim Bodenlegen auf mannigfache Weise. Am häufigsten sind Schnittverletzungen. Es kommt aber auch recht oft zu Stolperunfällen. Am schlimmsten sind Unfälle mit Maschinen – die Bo-denleger benutzen diverse Sägen. Nicht zuletzt müssen Bodenleger auf ihren Rücken achten. Benutzt man beim Heben von schweren Gegen-ständen nicht die geeigneten Hilfsmittel, «spürt man im Moment viel-leicht nichts, aber nach einigen Jahren meldet sich der Rücken», warnt der Bodenlegermeister.

Für Minur Ajdaroski ist klar, der Bodenleger muss sich von oben bis unten schützen: Je nach Tätigkeit bedeutet dies Helm, Schutzbrille, Oh-renschutz, Mundschutz, Handschuhe. Die Hose muss mit Knieschonern ausgerüstet sein, weil man oft auf den Knien arbeitet. Nicht zuletzt muss man Bodenlegerschuhe mit Stahlkappen tragen. «Diese mögen die Bodenleger nicht so, weil sich beim Knien gerne das Gelenk über-dehnt», sagt Minur Ajdaroski. Trage man die Schutzausrüstung voll-ständig, dann passiere im Regelfall nie etwas.

Klare Richtlinien und Vorschriften

In der Bodenbelagsbranche kommen die entsprechenden Suva-Richtli-nien zum Zug sowie branchenspezifische ASA-Richtlinien (ASA ist die Abkürzung für «Beizug von Arbeitsärzten und anderen Spezialisten der Arbeitssicherheit»). Sodann existiert in der Bodenbelagsbranche eine ASA-Branchenlösung vom Arbeitgeberverband BodenSchweiz, der sich die Bodenbelagsfirmen anschliessen können.

Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz stellen für die Arbeitgeber eine klare rechtliche Pflicht gegenüber den Angestellten dar. Das Gesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber Schutzmassnahmen nach anerkannten Regeln der Technik zu treffen hat und seine Mitarbeitenden ausreichend und regelmässig instruieren muss. Die Mitarbeitenden sind im Gegen-zug verpflichtet, die Anordnungen des Arbeitgebers hinsichtlich Schutz-massnahmen zu befolgen. Setzt ein Arbeitgeber die für die Branche er-forderlichen Schutzmassnahmen nicht oder nicht genügend um, kann dies zu Schadenersatz- und Haftpflichtansprüchen gegenüber dem ent-sprechenden Arbeitgeber führen.

Chefs müssen Vorbild sein

Minur Ajdaroski muss regelmässig feststellen, dass das Bewusstsein für die Arbeitssicherheit bei vielen Bodenlegern noch nicht angekommen ist. «Ich erlebe immer wieder Schüler, die mit der Einstellung kommen, das sei nicht nötig», sagt er.

Das Problem sieht er darin, dass die notwendigen Informationen gar nicht richtig bis zu den Bodenlegern durchkommen und dass die Vor-bilder fehlen. Gewisse Chefs und Lehrmeister sässen im Büro und hät-ten kaum Kontakt zu den Handwerkern. Zudem würden in Sachen Ar-beitssicherheit die falschen Leute geschult – eben die, die kaum auf den Baustellen sind. «Eine gute Führungsperson krampft selber auch mal mit und organisiert Anlässe für das Team. Sie ist ständig in Kontakt mit ihren Leuten und ein Vorbild.» Auf diese Weise könne dem Problem be-gegnet werden. Cool finde Ajdaroski auch das Bonussystem, das gewisse Betriebe zur Reduktion der Unfälle anwenden: Je weniger Unfalltage ein Bodenleger hat, desto mehr Bonus erhält er. «Das ist ein starker An-reiz, sich maximal zu schützen», sagt Minur Ajdaroski. Dies setzt natür-lich voraus, dass die Bodenleger vorher über die erforderlichen Schutz-massnahmen aufgeklärt wurden.

Nicht zuletzt plädiert der passionierte Bodenleger für mehr als die im GAV garantierten vier Wochen Ferien: «Unser Handwerk belastet den Körper stark. Ich finde, wir sollten darum auch mehr Ferien haben, damit wir uns wirklich erholen können. Das macht den Beruf auch at-traktiver.»

—Hansjörg Schmid, Caroline Hasler

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 20 31.10.19 16:18

Page 21: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

21DIE ARBEITSWELT

Erfahren Sie am 28. November 2019 im SkyKey in Zürich auf der letzten Etappe unserer Jubiläumsreise durch neue Ar-beitswelten, wie künstliche Intelligenz un-sere Arbeitswelt verändert.

Digitalisierung, Internet der Dinge sowie Daten und Analytics – oft mit dem Begriff «Künstliche Intelligenz» umschrieben – werden häufig als Mittel für Automatisierung und somit Effizienz-steigerung betrachtet. Mit diesem technikge-triebenen Ansatz wird aber das Potenzial für in-telligente neue Dienstleistungen und Produkte zum Nutzen von Unternehmen und Menschen im Arbeits- und Privatleben nicht ausgeschöpft. «Smart Services» und «Smart Products» er-möglichen neuartige Wertschöpfung und neu-artige Kooperationsformen in sogenannten Service-Ökosystemen. Die Ausrichtung auf service- und datenbasierte Wertschöpfung er-fordert eine komplett neue Perspektive und al-ternative Formen der Zusammenarbeit. Jürg Meierhofer, Dozent an der ZHAW School of Engineering, zeigt in seinem Referat Lösungs-ansätze und praktische Beispiele auf.

Jubiläumsevent vom 28. November 2019 in Zürich

Künstliche Intelligenz – so verändert sie

die Arbeitswelt 4.0

—Jürg Meierhofer

Dozent an der ZHAW School of Engineering

—Ioannis Martinis

Head of Legal Tech der Coop Rechtsschutz AG

Künstliche Intelligenz beginnt, in den Kernbe-reich der juristischen Tätigkeit einzudringen, und verändert damit nicht nur die Arbeit von Juristen, sondern verspricht auch dem Bürger einen besseren und einfacheren Zugang zum Recht. Ioannis Martinis, Head of Legal Tech der Coop Rechtsschutz AG, erläutert, wo in Zeiten der Digitalisierung die Herausforde-rungen liegen.

Diskutieren Sie im Anschluss mit den Referen-ten über die vielen Aspekte des Einsatzes von KI, und pflegen Sie Ihr Netzwerk beim an-schliessenden Apéro. (km)

—Der Anlass ist kostenlos und

beginnt um 17.30 Uhr im SkyKey in Zürich. Das detaillierte Programm

und das Anmeldeformular finden Sie auf www.angestellte.ch. Melden Sie sich noch heute an, wir

freuen uns auf Sie!

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 21 31.10.19 16:18

Page 22: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

22DER VERBAND

Kurs «Arbeitnehmervertretung im Sandwich»

So machen Sie das Beste aus Ihrer Sandwichposition

Arbeitnehmervertreter*innen stecken in ei-ner typischen Sandwichposition, zwischen den Mitarbeitenden und der Geschäftslei-tung oder zwischen den Human Resources und dem Verwaltungsrat. Das ist anspruchs-voll. Aber das Beste steckt im Sandwich be-kanntlich zwischen den Brotscheiben.

«Wer in die Arbeitnehmervertretung gewählt wird, ist in der Unternehmung eine geachtete Persönlichkeit, offenbar von unten wie von oben.» Dies sagt Daniel Bürki, der Leiter des Kurses «Arbeitnehmervertretung im Sand-wich». Ob es eine Ehre oder eine grosse zusätz-liche Belastung für die gewählte Person sei, müsse jede*r für sich klären. Sicher aber sei, dass viele Erwartungen im Raum stünden.

Besondere Belastungen

«Die Anspruchsgruppen der Arbeitnehmerver-tretungen sind zahlreich und ihre Anliegen viel-fältig», weiss Daniel Bürki. Als Beispiele von Themen, die auftauchen können, nennt er:

— Nähe und Distanz zu den Parteien— Lohnverhandlungen ohne Mitentscheidung— Unausgesprochene Erwartungen im Raum— Schleudersitz im Hintergrund— Umgang mit Geheimnissen, Verschwiegen-

heit— Nein sagen können— Rollen- und Funktionsklarheit in der Sand-

wichposition— Arbeitnehmervertretung als Pseudofunk-

tion— Offenheit als Risiko

Mit solch schwierigen Themen umzugehen, kann sehr belastend sein. Im Kurs lernen die Teilnehmenden aufgrund ihrer eigenen Situa-tion, wie es gelingen kann.

«Die Funktionsübernahme ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Zukunft», betont Da-niel Bürki. Es gilt zuerst, Fragen zu klären wie: War es eine echte Wahl? Eine Notlösung? Eine Berufung von unten oder oben? Hilfreich sei zudem eine transparente Funktionsbeschrei-bung mit Pflichten und Rechten.

Innovative Methode

Der erfahrene Seminarleiter und Coach Bürki wendet, um auf die individuellen Bedürfnisse aller Teilnehmenden eingehen zu können, eine innovative Methode an, die sich in den bisher durchgeführten Kursen sehr bewährt hat: «Anlässlich eines Telefonats mit den angemel-deten Teilnehmenden erfahre ich ihren Kon-text und die konkrete Fragestellung. Diese Ar-beitnehmervertretungssituationen werden im Plenum von der Fallgeberin, dem Fallgeber eingeführt, dann mit allen analysiert, und es werden verschiedene Lösungsansätze disku-

tiert. Diese werden dann 1:1 trainiert, damit die Person eine Auswahl für ihr Handeln im Betrieb hat.»

Wichtig ist Daniel Bürki bei diesem situations-bezogenen Ansatz, die Erfahrungen aus dem Teilnehmerfeld einfliessen zu lassen. Sie wer-den mit kurzen Theorieimpulsen ergänzt.

Bewusstsein ermöglicht professionelleres Handeln

«Die Teilnehmenden sind sich nach dem Kurs ihrer Sandwichposition besser bewusst und können dadurch professioneller aus ihrer Funktion auf die Zielsetzung hin kommunizie-ren und handeln.» So fasst Daniel Bürki den Nutzen der Schulung zusammen. Die Aufgabe als Arbeitnehmervertreter wird dadurch zur Lust statt zum Frust, weil man mit der eigenen Rolle nicht zurechtkommt. Schon manche Ar-beitnehmervertreter*innen sind an ihrer Auf-gabe stark gewachsen.

—Hansjörg Schmid

Infos zum Kurs

Datum und Kurszeiten: 27. November 2019, 8.45 – 17.15 Uhr

Kursort: Angestellte Schweiz, Olten

Als Arbeitnehmervertreter*in steckt man oft im

Sandwich verschiedener Interessen.

Foto

: iSt

ockp

hoto

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 22 31.10.19 16:18

Page 23: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

23

Foto

: iSt

ockp

hoto

DER VERBAND

Der lange, aber lohnende Weg zum Recht

Auch der Rechtsdienst der Angestellten Schweiz ist gelegentlich mit den Themen Er-folg und Misserfolg konfrontiert. Er ist stets bestrebt, für die rechtlichen Sorgen und Nöte der Mitglieder erfolgreiche Lösungen zu erarbeiten. Wie sich an nachfolgendem Beispiel, das sich an einem echten Fall des Rechtsdienstes orientiert, zeigt, kann dies manchmal Jahre beanspruchen. Doch lohnt sich am Ende der lange Weg.

Simona Successo war bereits seit einiger Zeit arbeitsunfähig. Aus diesem Grund meldete sie sich im Juli 2014 bei der Invalidenversicherung (IV) an. Das Beschwerdebild von Simona Suc-cesso war sehr komplex. Die IV-Stelle veran-lasste darum diverse Abklärungen. So zogen die Jahre ins Land. Im Januar 2017 schliesslich schickte die IV-Stelle Simona Successo zum medizinischen Gutachter. Dieser liess sich für die Ausarbeitung des Gutachtens ein halbes Jahr lang Zeit. Erst im Januar 2018 verschickte die IV-Stelle den Vorbescheid: Simona Succes-so wurde rückwirkend ab Januar 2015 bis Sep-tember 2015 eine ganze IV-Rente und danach, ab Oktober 2015, eine Viertelsrente zugespro-chen.

Lohnende Intervention

«Warum soll ich ab Oktober 2015 nur An-spruch auf eine Viertelsrente der IV haben, ob-schon sich mein Gesundheitszustand ab die-sem Zeitpunkt nicht wirklich stark verbessert hat?» Dies fragte sich Simona Successo und kontaktierte den Rechtsdienst der Angestell-ten Schweiz. Dieser bestellte daraufhin die IV-Akten, welche mehrere Hundert Seiten um-fassten, prüfte die Sache sorgfältig und kam

zum Schluss: der IV-Vorbescheid ist falsch. Also erhob der Rechtsdienst im Februar 2018 bei der IV-Stelle ein Rechtsmittel gegen den Vorbescheid. Wiederum liess sich die IV-Stelle Zeit. Erst kurz vor Weihnachten 2018 erging der neue, geänderte Vorbescheid: Die IV-Stelle sprach Simona Successo ab Januar 2015 bis September 2015 eine ganze Rente und neu ab Oktober 2015 bis auf Weiteres eine Dreivier-telsrente zu. Dieser Entscheid war aus Sicht des Rechtsdienstes der Angestellten Schweiz korrekt und konnte somit akzeptiert werden. Die zuständige Pensionskasse tat es daraufhin

der IV gleich und gewährte Simona Successo ebenfalls zunächst eine ganze IV-Rente und ab Oktober 2015 bis auf Weiteres eine Dreivier-telsrente.

Angestellte Schweiz – ein verlässlicher Partner

Die Krankentaggeldversicherungsleistungen sowie der Anspruch auf Arbeitslosenentschä-digung waren kurz vor Weihnachten 2018, zum Zeitpunkt der Rentenzusprache, vollum-fänglich ausgeschöpft. Das «Weihnachtsge-schenk» kam also gerade noch rechtzeitig. An-sonsten hätte Simona Successo wohl den Gang zum Sozialamt antreten müssen …

Das Beispiel zeigt: In solchen Situationen braucht man einen langen Atem. Der Rechts-dienst der Angestellten Schweiz ist aber der richtige Partner, um den «Sozialversicherungs-marathon» trotz anfänglichen Rückschlägen erfolgreich zu Ende zu bringen. Es lohnt sich, Mitglied des Verbands zu sein!

—Marilena Schioppetti, Rechtsanwältin Angestellte

Schweiz

Die gerichtlichen Wege können schon mal länger

sein, aber wir stehen Ihnen bei.

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 23 31.10.19 16:18

Page 24: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

24AUSSERDEM...

Tilo Hühn

Der visionäre Lebensmittelpraktiker

Forscher, Professor, Erfinder, Weinmacher, Philosoph: Tilo Hühn ist vieles. Lesen Sie, wie er seine Vision von besseren und nachhaltig produzierten Lebensmitteln unter Nutzung

alten Wissens und der Digitalisierung in die Praxis umsetzt.

«Ich bin der Tilo, wenns recht ist», sagt Tilo Hühn, Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Leiter des Zentrums Lebensmittelkomposition und -prozessdesign, als ich ihn vor seinem Büro im Grüental in Wädenswil treffe. Als Bauernsohn, aufgewachsen auf einem Misch-betrieb im deutschen Rheingau, ist er unkom-pliziert und zugänglich. In der Cafeteria be-komme ich als Erstes einen Tee und eine Schachtel Schokolade. Nicht irgendeine Scho-kolade natürlich, sondern die revolutionär neue von Dieter Meier (u.a. Musiker bei Yello, Schauspieler, bildender Künstler, Wein- und Fleischproduzent). Tilo Hühn hat sie an der ZHAW miterfunden.

Zur Schokolade ist der Käse-, Brot- und Wein-liebhaber Tilo Hühn durch Zufall gekommen. Angefangen an der damaligen Ingenieurschule Wädenswil hat er vor 22 Jahren als Dozent für Weinbereitung – und Wein macht er heute in seiner alten Heimat Rheingau in der Freizeit. Als der Bundesrat beschloss, die Önologie in Wädenswil nicht mehr weiterzuführen, stand seine Abteilung vor der Frage: Angebot abwi-ckeln oder sich neu erfinden? «Das war ein sehr guter Moment, um agil zu werden», sagt Tilo Hühn. «Wir mussten uns öffnen, um zu überleben.»

Heute entwickelt Hühns Zentrum für Start-ups wie für grosse Unternehmen im Lebens-

mittelbereich Prozesse zur Verarbeitung von Rohstoffen in Lebensmitteln. Projekte entwi-ckeln sich aus zwei Richtungen: «Entweder aus Ideen, die in unserem Team entstehen, oder es kommen Anfragen aus der Wirtschaft, die bei uns bearbeitet werden.» Die Forschung dient als Grundlage für den primären Auftrag, Bildung zu betreiben. Den Studierenden kön-nen so adäquate neue Erkenntnisse vermittelt werden, die das Institut selbst generiert hat.

Aromen einfangen

Wie kamst du zur Schokolade, Tilo? Beim Besuch einer Schokoladefabrik stellten mein Kollege Roland Laux und ich fest, dass bei der Produktion sehr viele Aromen in der Luft sind. Roland meinte, eigentlich müssten diese im Produkt bleiben. Damit gab er den An-stoss zum Projekt. Ich wehrte mich erst mal, weil ich von Schokoladeherstellung keine Ah-nung hatte. Nachher stellte sich dies als grosser Vorteil heraus, weil ich unbelastet war.

Was macht ihr anders bei der Herstellung dieser Schokolade?

Im Prinzip verwenden wir uraltes Menschheits-wissen. Die Azteken und Mayas rösteten die Bohnen auf einem heissen Stein und zerrieben sie. Sie erreichten eine sehr feine Mahlung. Da die Kakaobohne ca. 50% Fett enthält, entsteht eine schwer von der Oberfläche zu entfernende Salbe. Bekannt ist, dass die Mayas Schokolade

tranken, sie also mit Wasser vermischten. Sie hatten vermutlich auch noch eine Oxidation durch Luftkontakt ausgelöst, um den Gerbstoff weniger bitter zu machen. Dieses Wissen nutz-ten wir für unseren Prozess.

Wodurch unterscheidet sich denn eure neue Schokolade von der

herkömmlichen?Die Bohnen, an denen auch noch Fruchtfleisch dran ist, werden fermentiert. Aus dem Zucker im Fruchtfleisch entsteht Alkohol. Parallel dazu generieren Bakterien aus dem Alkohol und der Zitronensäure Essig. Dies führt dazu, dass die Bitterkeit stärker wahrgenommen wird. Zudem überdeckt der Essig wie ein Teppich die anderen Aromen. Mit unserem Prozess gelingt es, den Es-sig zu etwa 80% zu eliminieren.

Die Schokolade von Dieter Meier schmeckt da-durch deutlich weniger bitter, dafür aromati-scher und fruchtiger. Auf Aromazusätze wie Vanille kann verzichtet werden. Wie beim Wein soll man die ursprüngliche Aromatik der Herkunft, der Sorte und sogar des Jahrgangs schmecken.

Noch gibt es erst kleine Mengen der Schokola-de von Dieter Meier, zu kaufen etwa in seinem Laden in Zürich. Im schwyzerischen Freien-bach wird aber eine neue Schokoladefabrik ge-baut. Wenn das keine gute Nachricht für Scho-koladeliebhaber ist …

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 24 31.10.19 16:18

Page 25: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

25

«Dass uns die Schokolade mit unserem Verfah-ren so gut gelingt, da haben wir einfach Glück gehabt», sagt Tilo Hühn. Er hat aber bereits weitere Erfolg versprechende Produkte in der Pipeline, die bereits in der Kommerzialisie-rung sind: die Extraktion von Kaffeebohnen sowie die Herstellung von Extrakten von Kräu-tern und Gewürzen. Bei Letzteren wird durch den Trocknungsprozess sehr viel an Aromen verschwendet. Dies verhindert das Verfahren von Tilo Hühn, indem die Aromastoffe aus den Pflanzen mit einem ähnlichen Verfahren wie bei der Schokolade direkt ins Öl transferiert werden.

Raus aus der Hölle

Aromatischere Schokoladen oder Kräuteres-senzen herzustellen, ist das eine. Tilo Hühn verfolgt aber noch andere Ziele: eine nachhal-tigere Produktion von Lebensmitteln sowie die Regeneration der bereits zerstörten Umwelt. «Wir müssen die Wertschöpfungsketten über-denken», fordert der Forscher. «Die rein preis-

getriebene Beschaffung von Rohmaterial hat uns auf den Weg zur Hölle geführt. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, diese Vorgehens-weise zu überdenken. Wir sollten nicht mehr in Ketten denken, sondern müssen verstehen, dass es sich um ein Netzwerk handelt. Es gibt überall Beziehungen und Rückkopplungen, die einen direkten Einfluss auf das Leben unseres Planeten haben.»

Den Umweltschutz, die Nachhaltigkeit und die Regeneration müssen wir

also immer mitdenken. Eine Möglichkeit, Lebensmittel nachhaltig zu

produzieren, sind Zellkulturen. Was denkst du darüber, Tilo?

Es ist gut, über den Footprint von Wasser oder CO2 nachzudenken, auch über die ethische Di-mension der Tierhaltung. Allerdings gibt es bezüglich der Zellkulturen noch grosse Her-ausforderungen. So braucht es sowohl für tie-rische wie auch für pflanzliche Zellkulturen ein Substrat. Dieses – Kohlenstoff, Stickstoff, Mineralstoffe – muss produziert werden. Wir

werden uns noch sehr lange mit dem Anbau und Transport von Rohstoffen auseinander-setzen müssen. Es ist vorderhand erst eine Vor-stellung einer schönen neuen Welt, in der man zu Hause aus Zellkulturen seinen eigenen Orangensaft herstellt. Wir sind noch weit da-von entfernt.

Immerhin schafften es die Wädenswiler ZHAW-Forscher zusammen mit der ETH, ei-nen In-vitro-Wein und eine Schokolade aus Zellkulturen zu erzeugen, die als solche zu er-kennen waren.

Was sind die künftigen Trends in der Lebensmittelbranche?

Neben der erwähnten Nachhaltigkeit die Ge-sundheit. Die Menschen wollen länger leben und dabei fit bleiben. Da spielt eine ausgewoge-ne Diät eine Rolle. (Ich selber bin als Bauer so-zialisiert worden, esse wie ein Bauer, arbeite aber nicht mehr so, man sieht es mir an.) Men-schen achten mehr auf die Balance zwischen Nährstoffaufnahme und -verbrauch. Dazu kommt die Individualisierung. Ein wichtiges Thema ist auch das Wissen um die Darmbak-terien und die anderen Mikroorganismen im Darm – und wie man die Ernährung darauf abstimmt. Dazu kommen die Möglichkeiten der Computerisierung, Digitalisierung, Algo-rithmisierung und künstlichen Intelligenz. Das geht bis hin zum Moleküldesign.

In der Digitalisierung sieht Tilo Hühn auch eine grosse Chance, weil sie es allen Konsu-menten ermöglicht, sich zu informieren und das Wertschöpfungsnetzwerk durch Notari-atssysteme transparent zu machen.

Wie werden wir in Zukunft essen?In den reifen Volkswirtschaften mit zunehmen-der Bildung werden wir bewusster essen. Für Menschen, die aus der Unterversorgung kom-men, trifft dies weniger zu, sie wollen zuerst einfach einmal genug essen.

Ich hätte mit dem sympathischen und – im bes-ten Sinne – schlauen Bauern Tilo noch stun-denlang weiterdiskutieren mögen. Aber man sollte ihn ja nicht zu lange von seiner Mission abhalten …

—Hansjörg Schmid

Hat bei der Herstellung von Lebensmitteln den Durchblick: Thilo Hühn.

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 25 31.10.19 16:18

Page 26: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

26SUJET PRINCIPAL : IN_SUCCÈS

Echouer devient

acceptableCertains regrettent que la mondialisation

engendre un nivellement culturel. Elle a toutefois amenée une chose positive :

nous sommes devenus plus tolérants face aux erreurs et aux échecs.

Par le passé, celui qui échouait dans notre pays était montré du doigt. Il était stigmatisé et mis au ban – souvent jusqu’à la fin de sa vie. Les Suissesses et les Suisses n’étaient pas seu-

lement sévères avec les autres, mais aussi avec eux-mêmes. Com-mettre une erreur : on ne le se permettait pas. Qu’aurait sinon pen-ser les autres ? Qu’on était incapable et il nous aurait alors pénalisé.

Aujourd’hui, nous sommes clairement plus tolérants face aux er-reurs, ce qui est sûrement dû à l’influence d’autres cultures sur notre monde du travail. Nous avons pu voir qu’il était de bon ton à la Silicon Valley d’échouer au moins une fois. Nous sommes même arrivés au stade de célébrer l’échec. Le 27 juin 2019, Employés Suisse a organisé un évènement intitulé « Echouer rend plus fort ». D’ici la fin de l’année, un deuxième évènement semblable sera orga-nisé à Olten. Malheureusement, notre monde numérisé et les mé-dias sociaux peuvent aussi engendrer une autre situation : celle de la course au succès.

On peut puiser des forces dans l’échec, mais bien sûr aussi dans la réussite. En effet, certains sont stimulés par l’échec, d’autres par le succès. Chacun réagit différemment.

En pages 27 et 28, découvrez ce qu’il se passe au niveau psycholo-gique lorsqu’on échoue et comment on peut se sortir d’une telle si-tuation.

Notre mentalité joue peut-être un rôle. La Suisse est un pays mar-qué par la réussite et nombre de ses habitants ont connu ou connaissent le succès. On peut citer l’exemple récent des deux cher-cheurs romands Michel Mayor et Didier Queloz qui ont reçu début octobre le prix Nobel de physique pour la découverte de la première exoplanète. En pages 29 et 30, nous vous présentons d’autres per-sonnalités suisses et d’autres succès suisses.

Nous vous souhaitons plein de succès dans votre vie privée et pro-fessionnelle. Si vous avez déjà échoué dans votre vie, vous en avez bien évidemment tiré des leçons.

—Hansjörg Schmid, Virginie Jaquet et Ariane Modaressi

Soutenir les autres dans l’échec et non les rabaisser.

Phot

o: iS

tock

phot

o

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 26 31.10.19 16:18

Page 27: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

27SUJET PRINCIPAL : IN_SUCCÈS

Les aspects psychologiques de l’échec : que se passe-t-il en nous

lorsque nous échouons ?

La plupart du temps, l’échec provoque en nous un sentiment d’impuissance, de détresse. On a le sentiment de se trouver dans un cul-de-sac. On n’arrive pas être celui qu’on souhaiterait être. Notre confiance en nous en est ébranlée, ce qui peut même conduire à la dépression. Une des premières études s’étant penchée sur l’échec a été l’étude pionnière « Les chômeurs de Ma-rienthal » publiée en 1933 et coécrite par Paul Lazarsfeld, Marie Jahoda et Hans Zeisel. Cette étude a montré comment les conséquences du chômage de longue durée s’abattaient sur la grande partie des personnes concernées par la fermeture d’une fabrique de textile locale. Tout le village se retrouva sans travail. La vie de ces personnes fut alors marquée par la résignation, la détresse et même par l’alcoolisme.

L’influence de la société

Par le succès, nous recevons un retour de notre environnement. Lorsqu’un échec se produit, nous ne mettons pas nos capacités en question, mais la plupart du temps nous-mêmes. La plu-part des personnes ont des difficultés à perce-voir l’écart entre leur capacité et eux-mêmes.

Ce que l’on comprend exactement par succès est défini dès notre enfance par la société. Cela commence déjà au premier âge lorsque nous faisons l’éloge de certains comportements. De-puis petits, nous nous adaptons en permanence

aux attentes de notre environnement. Dans une époque numérisée où tout est partagé sur les réseaux sociaux, engendrant des retours permanents des autres et où chacun semble connaître la réussite et être parfait, la pression au succès et sa quête continue se sont encore intensifiées. Cette culture du feed-back répan-due rend l’échec encore plus difficilement sup-portable qu’il ne l’était avant l’existence des médias sociaux et de la numérisation.

Continuellement se comparer à l’autre

Comment rompre ce cercle vicieux de toujours vouloir se comparer à son environnement ?

Comment peut-on s’en extraire ? Les psycholo-gues recommandent de se fixer ses propres échelles d’évaluation. On devrait se rendre plus immun face à la réussite et l’échec, conseille Nils Spitzer, psychothérapeute et auteur de l’ou-vrage « Perfektionismus überwinden » (Vaincre le perfectionnisme, uniquement disponible en allemand). Il vaut également la peine d’évaluer de manière critique les catastrophes liées à l’échec que l’on craint et de se demander ce qui s’est réellement passé. Si l’on réduit la distance de chute lors d’échecs, l’acceptation vient d’elle-même, en principe.

Considérer l’échec comme une nouvelle orientation

La rapidité avec laquelle on se remet d’un échec dépend du fait qu’on se laisse dépasser par nos émotions ou non. Lorsqu’après un échec, on se libère de la pression au succès, il est important de chercher de nouvelles valeurs. Dans ce contexte, l’échec n’en est en effet pas un, mais c’est une nouvelle orientation, un apprentis-sage. L’échec fait partie de la vie, cela doit être clair pour nous.

Celui qui échoue traverse une crise, comme celle qu’il vivrait si l’un de ses proches venait à décéder. Cette phase de deuil croît et décroît selon la psychologue suisse Verena Kast et pour l’échec c’est la même chose.

Donner des retours devient la normalité.

Tout le monde connaît et a déjà connu ce sentiment agréable qui donne des ailes lorsque le succès est au rendez-vous, par exemple lorsqu’enfant, on recevait une bonne

note à l’école ou encore lorsqu’aujourd’hui on gagne à un jeu de hasard. Mais on connaît aussi tous le sentiment accablant de l’échec. Que se passe-t-il exactement en nous,

dans notre tête, dans notre corps lorsque nous échouons ?

Phot

o: iS

tock

phot

o

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 27 31.10.19 16:18

Page 28: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

28SUJET PRINCIPAL : IN_SUCCÈS

Les quatre phases du traitement de l’échec

1

Première phase : ne pas vouloir reconnaître

Durant cette phase, une insensibilité apparaît. La douleur est comme mise de côté et on a le sentiment que l’on rêve et que l’échec n’est pas réel. La réaction de choc fait que le problème est nié. Souvent, après coup, les personnes concernées ne se rappellent même plus cette phase. Sa durée varie de quelques heures, à quelques jours ou quelques semaines.

2

Deuxième phase : explosion et chaos d’émotions

Durant la deuxième phase, les sentiments se bousculent entre douleur, rage, colère, joie, peur face à la vie et la mort. Souvent un senti-ment de culpabilité apparaît également et les personnes concernées se sentent responsables de leur échec. Il est important de tenir le coup face à ce chaos d’émotions et de ne pas les re-fouler pour surpasser la crise. A la fin de la deuxième phase, la crise est à son apogée.

3

Troisième phase : chercher, trouver et se séparer

Cette phase correspond à celle de la compré-hension durant laquelle on commence à com-prendre le sens de l’échec ou de la crise. Ce qui s’est passé est accepté.

4

Quatrième phase : la nouvelle conscience de soi et du monde

Durant la quatrième phase, la tempête inté-rieure se calme et on commence à se libérer du tourbillon des sentiments. On peut à nouveau réfléchir clairement.

Tous les experts sont d’accord sur le fait qu’il est important de prendre le temps nécessaire à panser ses plaies et d’attendre jusqu’à la qua-trième phase avant de prendre n’importe quelle décision importante, lorsque le sens des réalités est à nouveau là et les émotions ont diminué.

Renforcé par l’échec

Le fait d’apprendre de son échec dépend de la manière dont on l’interprète. Celui qui peut voir les bons côtés de l’échec se laissera moins longtemps dépasser par ses émotions. Traiter les sentiments négatifs a ici une grande impor-tance. Les échecs devraient en principe être pris en compte lors de chaque projet. Ce n’est en effet que lorsqu’on a échoué une fois que l’on peut développer notre résilience, soit la capa-cité de comprendre les crises.

Echouer fait donc partie d’une vie réussie et du développement personnel. Les détours nous permettent de mieux connaître les lieux, pour-rait-on aussi dire.

—Ariane Modaressi

Lecture

« Les chômeurs de Marienthal » de Paul Lazarsfeld, Marie Jahoda, Hans Zeisel,

Les Editions de Minuit—

Ne pas se laisser dépasser par ses émotions.

Phot

o: iS

tock

phot

o

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 28 31.10.19 16:18

Page 29: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

29SUJET PRINCIPAL : IN_SUCCÈS

Le modèle de réussite suisse

Ses montres, son chocolat, son fromage avec ou sans trou, ses montagnes, son air pur : la Suisse ne manque pas de produits ou d’attributs faisant d’elle un pays

connu et reconnu à travers le monde, malgré sa petite taille. La Suisse, ce n’est toutefois pas que les montres, le chocolat et Cie.

La Suisse, c’est un pays avec un système de for-mation envié par d’autres pays, avec des indus-tries à la pointe, un pôle de recherche innovant et une économie stable. Dans cet article, nous vous donnons quelques exemples, car parler de notre pays et de ses succès : cela fait du bien à tous. On devrait le faire bien plus souvent.

Un potentiel d’innovation extraordinaire

Les années 40 en Suisse : des années difficiles, l’Europe est en pleine Seconde Guerre mon-diale. Pour Georges de Mestral, cette période fut placée sous le signe de l’innovation. Georges de Mestral est un ingénieur vaudois qui révolu-tionna le monde de la confection vestimentaire en inventant la bande velcro en 1941. Lors d’une partie de chasse, des bardanes, une plante, s’accrochèrent à ses vêtements et au pelage de son chien. En essayant de les enlever, Georges de Mestral constata que la bardane restait solidement accrochée. Il y regarda de plus près et découvrit que la plante était recouverte de petits crochets lui permettant de s’accrocher à des tissus ou de la fourrure. Il s’en inspira et développa la bande velcro. Ce n’est toutefois que dix ans plus tard qu’il en déposa le brevet de sa découverte, après quelques difficultés, en 1951 en Suisse, et en 1952 pour le reste du monde.

Georges de Mestral est un exemple parmi tant d’autres de l’innovation et de l’inventivité suisse. Aujourd’hui encore, l’un des succès de la Suisse, de son industrie et de ses universités est sa capacité d’innovation. En 2018, 7927 demandes de brevet ont été déposées par la Suisse. C’est peu en comparaison à notre voisin allemand qui en a déposés plus de 20 000 ou des Etats-Unis qui en a déposés 43 000. Mais, en réalité, ce chiffre de 7927 n’est pas si minime. La Suisse est le pays qui dépose le plus grand nombre de demandes de brevets par million d’habitants. Antonio Cam-

pinos, président de l’Office européen des bre-vets, déclarait au printemps 2019 lors de la pu-blication des statistiques annuelles que « cela prouve le potentiel d’innovation extraordinaire [de la Suisse]. » Comme en 2017, le secteur des systèmes de mesure est, pour la Suisse, celui ayant déposé le plus de demandes de brevet en 2018, il est suivi par le secteur des technologies médicales, puis celui des équipements élec-triques.

A votre avis dans quel canton le plus de de-mandes de brevet sont-elles faites ? Zurich, le pôle économique de la Suisse, Bâle, le siège de l’industrie pharmaceutique et chimique ? Et non, c’est dans le canton de Vaud, entre autres grâce à l’Ecole polytechnique fédérale. Quant à l’entreprise suisse ayant déposé le nombre le plus élevé de demandes de brevet en 2018, c’est Roche. Et si vous n’avez pas peur des gros chiffres, vous ne devriez pas être effrayé par celui qui suit : 122 919, soit le nombre total de

brevets en vigueur en Suisse, précisons qu’ils ne sont pas forcément en mains d’entreprises ou d’universités suisses.

La Suisse ne doit toutefois pas s’endormir. Son nombre élevé de brevets par habitant, elle le doit, entre autres, à des entreprises internationales ayant leur siège en Suisse, mais si celles-ci ne trouvaient plus des condi-tions intéressantes en Suisse, elles n’hésiteront pas à partir – et la Suisse ne sera plus un pays d’innovation.

Un prix Nobel suisse

La Suisse est innovante non seulement grâce à ses entreprises, mais aussi grâce à ses citoyennes et citoyens. Le pays compte parmi sa popu-lation des chercheuses et des chercheurs qui de par leur travail, leur dé-

Des étudiants de l’EPFL qui contribueront sans

doute au succès de la Suisse.

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 29 31.10.19 16:18

Page 30: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

30SUJET PRINCIPAL : IN_SUCCÈS

couverte font évoluer la science. Le biochimiste vaudois Jacques Dubo-chet est l’un d’entre eux. En 2017, il a reçu le prix Nobel de chimie avec deux autres chercheurs, l’Américain Joachim Frank et le Britannique Richard Henderson, pour ses travaux en cryo-microscopie électronique. Jacques Dubochet a été précédé par d’autres chercheurs suisses de ta-lents. Citons Alfred Werner, également prix Nobel de Chimie. Né en France, naturalisé suisse, il étudie à l’Ecole polytechnique fédérale de Zurich où il obtient son doctorat. Il obtient le prix Nobel pour ses tra-vaux en chimie inorganique.

Olten n’est pas seulement la ville du siège d’Employés Suisse, c’est aussi la ville de naissance d’un autre prix Nobel suisse : Paul Hermann Müller. Lui aussi chimiste, il obtient le prix Nobel de physiologie ou médecine en 1948 pour ses travaux sur le Dichlorodiphényltrichloroéthane (DDT), un insecticide qui permet de neutraliser les épidémies de typhus et palu-disme. Aujourd’hui, le DDT est très controversé et est interdit dans cer-tains pays.

Sur le site Internet www.nobelprize.org, vous trouverez tous les lauréat-e-s de prix Nobel et bien sûr les Suisses aussi.

Le système de formation dual : le meilleur prérequis pour la transformation numérique

Nous, les Suisses, regardons avec jalousie vers la Silicon Valley, lorsque nous souhaitons savoir comment nous armer au mieux face à la transfor-mation numérique. Une enquête scientifique réalisée par les experts en numérisation de la Haute école de Lucerne sur le travail du savoir dans la transformation numérique arrive cependant à des résultats surpre-nants. Interrogés sur le système de formation, des experts de la baie de San Francisco se sont déclarés envieux du système suisse.

« Nous avons besoin du modèle suisse d’apprentissage »

Vinz Koller

Aux Etats-Unis, des experts en marché du travail étudieraient attentive-ment notre système de formation dual, paraît-il. Ces derniers se pro-noncent en faveur de son introduction dans le pays et des possibilités infinies. « Nous avons besoin du modèle suisse d’apprentissage », déclare Vinz Koller, Senior Strategist for Capacity Building, Workforce and Human Services Division à Social Policy Research Associates. L’appren-tissage est reconnu comme une solution économique et solide grâce à laquelle les employés et les personnes en recherche d’emploi pourraient acquérir les compétences nécessaires à une économie évoluant toujours plus rapidement.

La technologie suisse pour lutter contre le changement climatique

L’objectif 13 de l’Agenda 2030 des Nations Unis appelle à prendre des mesures pour lutter contre les changements climatiques et leurs réper-cussions. La technologie innovante suisse de l’entreprise Climeworks fournit une contribution importante pour atteindre cet objectif. Son in-novation est étonnamment simple à expliquer. Au moyen de la technolo-gie « Direct Air Capture (CAS) », le CO2, gaz à effet de serre dangereux pour le climat, est simplement filtré de l’air. Ensuite, il peut être utilisé soit dans l’industrie, soit stocké sous terre.

Climeworks exploite une installation CAS à Hinwil dans le canton de Zurich. L’usine d’incinération sur le site fournit la chaleur nécessaire. Le CO2 gagné est utilisé dans une serre dans les environs où le gaz favorise la croissance des plantes. Depuis peu, Valser gazéifie son eau avec du CO2 de Climeworks. Dans les deux applications, le CO2 remplace du CO2 qui serait sinon issu de sources fossiles. La neutralité climatique est ain-si atteinte, d’un point de vue net aucun CO2 n’est absorbé de l’atmo-sphère. Pour améliorer le bilan de CO2, le gaz à effet de serre doit être stocké. Climeworks exploite une installation-pilote dans ce but en Is-lande. Le CO2 de l’air est d’abord rendu soluble dans l’eau, puis pompé dans des pierres de basalte à 700 mètres sous terre. Là, il réagit avec le minéral et un carbonate stable en résulte. Le CO2 doit être stocké de manière sure.

Seule, la technologie de Climeworks ne suffira pas à atteindre le but de l’Accord de Paris sur le climat, soit de limiter le réchauffement global à 2 ou 1,5 degrés. Selon le site Internet de Climeworks, la réduction de CO2 peut être atteinte à 80 % avec les moyens existants, l’extraction du CO2 de l’air devrait contribuer au 20 % restant. Pour tronquer 3 gigatonnes de CO2 de l’air par année, 120 millions de modules actuels de Climeworks seraient nécessaires. Avec 600 dollars par tonne de CO2, la procédure est actuellement encore très chère. Christoph Beuttler de Climeworks est toutefois confiant de pouvoir baisser les coûts à 100 dollars.

La technologie suisse peut ainsi fournir un apport essentiel à l’objectif 13 de l’Agenda 2030 et aussi indirectement à l’objectif 3, celui de permettre à tous de vivre en bonne santé et promouvoir le bien-être de tous à tout âge.

—Virginie Jaquet et Hansjörg Schmid

Des mesures innovantes pour le climat.

Phot

o: Ju

lia D

unlo

p / C

limew

orks

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 30 31.10.19 16:18

Page 31: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

31L’ASSOCIATION

Une longue, mais victorieuse odyssée

Le service juridique d’Employés Suisse est confronté de manière ponctuelle aux thèmes du succès et de l’échec. Sans cesse, il s’ap-plique à trouver des solutions favorables aux membres confrontés aux aléas du droit suisse. Comme l’exemple suivant, basé sur un cas issu de notre pratique, le montre, ceci peut parfois prendre plusieurs années. Il vaut toutefois la peine de s’engager sur ce long chemin.

En incapacité de travail depuis longtemps, Si-mona Successo s’annonça à l’assurance-invali-dité (AI) en juillet 2014. Ses problèmes de santé étaient passablement complexes. L’office AI or-donna de nombreux examens. Ainsi passèrent plusieurs années jusqu’à ce que l’office AI en-voie Mme Successo chez un expert médical en janvier 2017. L’élaboration du rapport d’exper-tise prit son temps, à savoir environ six mois. En janvier 2018, l’office AI notifia un préavis selon lequel Mme Successo avait le droit, de ma-nière rétroactive, à une rente d’invalidité com-plète de janvier 2015 à septembre 2015. A par-tir d’octobre 2015, l’office AI ne comptait octroyer qu’un quart de rente.

Le « cadeau de Noël »

Mme Successo fut interpellée par cette conclu-sion : pourquoi seulement un quart de rente à partir d’octobre 2015 ? Son état de santé s’était certes amélioré à partir de cette période, mais pas de manière considérable. Elle décida de contacter le service juridique d’Employés Suisse. Celui-ci commanda le dossier AI, épais de plusieurs centaines de pages, examina l’af-faire et parvint à la conclusion que le préavis de

l’AI était faux. En février 2018, il s’opposa donc au préavis. Une fois de plus, l’office AI prit son temps. Ce n’est que peu avant Noël 2018 qu’il notifia un nouveau préavis, corrigé : Mme Suc-cesso avait désormais le droit à une rente com-plète de janvier à septembre 2015, puis à trois quarts de rente dès octobre 2015. Cette fois-ci, la décision était correcte et pouvait être accep-tée. La caisse de pension compétente calqua sa décision sur celle de l’AI et accorda aussi une rente complète puis trois quarts de rente à par-tir d’octobre 2015.

Peu avant Noël 2018, les prestations de l’assu-rance perte de gain maladie et le droit aux in-demnités de l’assurance-chômage étaient épui-sés. Le « cadeau de noël » ne pouvait ainsi pas mieux tomber. Sans lui, Mme Successo n’aurait probablement pas eu d’autre choix que de re-courir à l’aide sociale.

Employés Suisse : une partenaire de confiance

L’exemple précité montre que parfois, il faut savoir garder le cap, sans autre repère que l’ho-rizon. Le service juridique d’Employés Suisse est votre partenaire de choix pour sortir victo-rieux d’une odyssée à travers les assurances sociales, malgré les vents contraires au mo-ment de lancer les voiles. Il vaut la peine d’être membre d’Employés Suisse !

—Marilena Schioppetti,

avocate chez Employés Suisse

Les juristes d’Employés Suisse fournissent

un travail de fond.

Phot

o: iS

tock

phot

o

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 31 31.10.19 16:18

Page 32: 6 Miss Erfolg 26 In succès · Scheitern als Chance «Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin. Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge»

Neue Mitglieder werben und doppelt profitieren!

Für jedes Mitglied belohnen wir Sie mit> CHF 50.– in barund unter allen WerberInnen verlosen wir anfangs Dezember> eine Gratis-Steuererklärung bei im Wert von CHF 540.– oder CHF 360.– (mit oder ohne Liegenschaft)

Machen Sie mit – damit wir alle profitieren!Weitere Informationen auf www.angestellte.ch/mwm2019

Mitglieder-Werbeaktion

bis 30. November 2019

LÜCKENLOSER SCHUTZ. MIT BELOHNUNG FÜR

UNFALLFREIES FAHREN.

Mitglieder der AngestelltenSchweiz profitieren jetzt von500 Schweizer Franken weniger Selbstbehalt nach drei Jahren unfallfreiem Fahren und von unserem Prämienschutz im Schadenfall.zurich.ch/partnerZugangscode: mSCDM6px

ZURICH VERSICHERUNG.FÜR ALLE, DIE WIRKLICH LIEBEN.

ZH 17449 Inserat für Angestellte CH_DE.indd 1 24.05.18 20:22

AS_Apunto_4_2019_RZ_191030.indd 32 31.10.19 16:18