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87. Jahresbericht 1. April 2016–31. März 2017 Basel, 25. Juni 2017

87. Jahresbericht der BIZ - Juni 2017 · China und Mexiko? 67 Fußnoten 69 ... träger die aktuell günstige Lage nutzen, ... Bild von dem Richtungswechsel in der Politik und den

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  • 87. Jahresbericht1. April 201631. Mrz 2017

    Basel, 25. Juni 2017

  • Diese Publikation ist auf der BIZ-Website verfgbar (www.bis.org/publ/arpdf/ar2017_de.htm).

    Auch in Englisch, Franzsisch, Italienisch und Spanisch verffentlicht.

    Bank fr Internationalen Zahlungsausgleich 2017. Alle Rechte vorbehalten. Kurze Auszge drfen mit Quellenangabe wiedergegeben oder bersetzt werden.

    ISSN 1682-7724 (Online)

    ISBN 978-92-9259-057-4 (Online)

  • InhaltVorwort 1

    berblick ber die Kapitel zur Wirtschaftsentwicklung 3

    Kapitel I: Auf dem Weg zu widerstandsfhigem Wachstum 3

    Kapitel II: Politische Schocks sorgen fr eine Neuorientierung der Mrkte 3

    Kapitel III: Die Weltwirtschaft: Erholung bald abgeschlossen, Finanzzyklen am

    Wendepunkt? 4

    Kapitel IV: Die Geldpolitik: erste Schritte auf dem Weg zur Normalisierung 4

    Kapitel V: Der Finanzsektor: Vorkehrungen fr die Zukunft 5

    Kapitel VI: Globalisierung im Fokus 5

    I. Auf dem Weg zu widerstandsfhigem Wachstum 7

    Das Jahr im Rckblick 9

    Nachhaltigkeit 11

    Inflation 12

    Risiken aufgrund des Finanzzyklus 13

    Konsum und Investitionen 15

    Entglobalisierung 16

    Wirtschaftspolitische Manahmen 19

    Strkung der Widerstandsfhigkeit: nationale Herausforderungen 21

    Strkung der Widerstandsfhigkeit: globale Herausforderungen 24

    Funoten 26

    II. Politische Schocks sorgen fr eine Neuorientierung der Mrkte 27

    Mrkte passen sich einem neuen Umfeld an 27

    Marktrisiko im Wandel 34

    Anomalien bei der Preisbildung treten seltener auf, verschwinden aber nicht 38

    Kasten II.A: Laufzeitprmien: Konzepte, Modelle und Schtzungen 41

    Kasten II.B: Risiko oder Unsicherheit? 44

    Kasten II.C: Vernderte Marktstrukturen im Devisengeschft 46

    Funoten 48

    III. Die Weltwirtschaft: Erholung bald abgeschlossen, Finanzzyklen am

    Wendepunkt? 49

    Makrofinanzielle Entwicklungen am Wendepunkt? 49

    Risiken fr die Aussichten 54

    Risiken aufgrund des Finanzzyklus 54

    Risiken fr den Konsum 57

    Risiken fr die Investitionsttigkeit 59

    Risiken aufgrund zunehmender protektionistischer Tendenzen 62

    Chancen aufgrund des konjunkturellen Rckenwinds 63

    BIZ 87. Jahresbericht iii

  • Kasten III.A: bermige Verschuldung der privaten Haushalte und mittelfristiges

    Wachstum 65

    Kasten III.B: Wie stark reagieren die Produktionskosten in den USA auf Importzlle fr

    China und Mexiko? 67

    Funoten 69

    IV. Die Geldpolitik: erste Schritte auf dem Weg zur Normalisierung 71

    Jngste Entwicklungen 71

    Geldpolitik weltweit im Umbruch 72

    Entwicklung der Inflationsaussichten 75

    Weltweit leicht gestiegene Teuerung 75

    Signalisieren die Arbeitsmrkte steigenden Inflationsdruck? 77

    Langfristig wirkende Krfte verringern Preissetzungsmacht der Arbeitskrfte 77

    Was bedeutet dies fr Lohnwachstum und Inflation? 79

    Steht die geldpolitische Trendwende bevor? 81

    Kasten IV.A: Lohn-Phillips-Kurve im Fokus 87

    Kasten IV.B: Arbeitskosten weltweit zunehmend im Gleichschritt 89

    Kasten IV.C: Verringerung der Zentralbankbilanzen 90

    Kasten IV.D: Haushaltseffekte durch Zinssatznderungen vor dem Hintergrund

    ausgeweiteter Zentralbankbilanzen 92

    Funoten 94

    V.Der Finanzsektor: Vorkehrungen fr die Zukunft 97

    Finanzinstitute: abflauender Gegenwind 97

    Banken 97

    Andere Finanzinstitute 100

    Geschftsmodelle der Banken: die Suche nach nachhaltigen Gewinnen 103

    Anzeichen fr Fortschritte, doch die Skepsis bleibt bestehen 103

    Ein Blick in die Zukunft 105

    US-Dollar-Refinanzierung: eine wesentliche Schwachstelle? 107

    Risiken der US-Dollar-Refinanzierung 108

    Herausforderungen fr die Politik 111

    Kasten V.A: Kapitalallokation der Banken anhand mehrerer regulatorischer Kennzahlen 114

    Kasten V.B: Banken und Online-Kreditgeschft: von der Konkurrenz zur

    Zusammenarbeit? 116

    Kasten V.C: Reform der US-Geldmarktfonds und US-Dollar-Refinanzierungen von

    Banken auerhalb der USA 118

    Funoten 119

    VI. Globalisierung im Fokus 121

    Verflechtung von Handel und finanzwirtschaftlicher Offenheit 122

    iv BIZ 87. Jahresbericht

  • Die Entwicklung der Globalisierung 125

    Handel 126

    Finanzen 127

    Hat die Globalisierung ihren Hhepunkt erreicht? 129

    Globalisierung und Wohlfahrt 131

    Globalisierung und Wachstum 132

    Globalisierung und Ungleichheit 133

    Globalisierung und Finanzstabilitt 134

    Die Globalisierung optimal nutzen 137

    Kasten VI.A: Eine Weltkarte der Globalisierung 140

    Kasten VI.B: Finanzielle Entglobalisierung des Bankgeschfts? 142

    Kasten VI.C: Globalisierung und Spillover-Effekte von Zinsstzen 145

    Referenzen 150

    Statistischer Anhang 155

    Organisation der BIZ per 31. Mrz 2017 160

    Die BIZ: Aufgabe, Ttigkeit, Fhrungsstruktur und Jahresabschluss 161

    Der Basler Prozess 161

    Zweimonatliche Sitzungen und andere regelmige Beratungen 161

    Bei der BIZ ansssige Ausschsse und Vereinigungen 163

    Ttigkeit der bei der BIZ ansssigen Ausschsse und des FSI 164

    Basler Ausschuss fr Bankenaufsicht 164

    Ausschuss fr das weltweite Finanzsystem 170

    Ausschuss fr Zahlungsverkehr und Marktinfrastrukturen 171

    Mrkteausschuss 174

    Central Bank Governance Group 175

    Irving Fisher Committee on Central Bank Statistics 175

    Institut fr Finanzstabilitt 176

    Ttigkeit der bei der BIZ ansssigen Vereinigungen 178

    Financial Stability Board 178

    Internationale Vereinigung der Einlagensicherungen 183

    Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehrden 184

    Wirtschaftliche Analyse, Forschung und Statistiken 187

    Forschung und Analyse 187

    Forschungsthemen 188

    Internationale statistische Initiativen 190

    Weitere Bereiche der internationalen Zusammenarbeit 191

    Finanzdienstleistungen der Bank 191

    Umfang der Dienstleistungen 192

    Reprsentanzen 193

    BIZ 87. Jahresbericht v

  • Die Reprsentanz Asien 193

    Die Reprsentanz fr den amerikanischen Kontinent 194

    Organisations- und Fhrungsstruktur der BIZ 195

    Die Generalversammlung der Mitgliedszentralbanken der BIZ 195

    Mitgliedszentralbanken der BIZ 196

    Der Verwaltungsrat der BIZ 197

    Verwaltungsrat der BIZ 199

    Die Geschftsleitung der BIZ 199

    Finanzgeschfte und Jahresabschluss 202

    Bilanz der Bank 202

    Geschftsergebnis 203

    Ausschttung und Verwendung des Reingewinns 205

    Vorgeschlagene Dividende 205

    Vorgeschlagene Verwendung des Reingewinns 2016/17 205

    Unabhngige Buchprfer 205

    vi BIZ 87. Jahresbericht

  • BIZ 87. Jahresbericht vii

    Die Kapitel zur Wirtschaftsentwicklung in diesem Bericht sttzen sich auf verfgbare Daten bis 26. Mai 2017 und wurden nacheinander im Zeitraum 14.16. Juni 2017 abgeschlossen.

    Abkrzungen, Zeichen, Lnder- und Whrungscodes

    $ US-Dollar, wenn nicht anders angegeben

    PP Prozentpunkte

    Bp Basispunkte

    LS, RS linke Skala, rechte Skala

    ... nicht verfgbar

    . nicht anwendbar

    null oder vernachlssigbar gering

    Differenzen in den Summen durch Runden der Zahlen.

    Als Lnder werden in diesem Jahresbericht auch Territorien bezeichnet, die nicht Staaten im Sinne des Vlkerrechts und der internationalen Praxis sind, die jedoch in den Statistiken gesondert und eigenstndig erfasst werden.

    Fortgeschrittene Volkswirtschaften: Australien, Dnemark, Euro-Raum, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Schweiz, USA, Vereinigtes Knigreich.

    Wichtigste fortgeschrittene Volkswirtschaften (G3): Euro-Raum, Japan, USA.

    Sonstige fortgeschrittene Volkswirtschaften: Australien, Dnemark, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Schweiz, Vereinigtes Knigreich.

    Aufstrebende Volkswirtschaften: Argentinien, Brasilien, Chile, China, Chinesisch-Taipeh, Hongkong SVR, Indien, Indonesien, Kolumbien, Korea, Malaysia, Mexiko, Peru, Philippinen, Polen, Russland, Saudi-Arabien, Singapur, Sdafrika, Thailand, Tschechische Republik, Trkei, Ungarn.

    Welt(weit)/Global: Smtliche hier aufgefhrten fortgeschrittenen und aufstrebenden Volkswirtschaften.

    Rohstoffexportierende Volkswirtschaften (Lnder mit einem durchschnittlichen Rohstoffanteil am Exporterls von ber 40% im Zeitraum 200514): Argentinien, Australien, Brasilien, Chile, Indonesien, Kanada, Kolumbien, Neuseeland, Norwegen, Peru, Russland, Saudi-Arabien, Sdafrika.

    Lndergruppen in Grafiken und Tabellen umfassen, je nach Datenverfgbarkeit, nicht unbedingt smtliche hier aufgefhrten Lnder.

  • viii BIZ 87. Jahresbericht

    Lndercodes

    AO Angola KW Kuwait AR Argentinien KZ Kasachstan AT sterreich LT Litauen AU Australien LU Luxemburg BA Bosnien und Herzegowina LV Lettland BE Belgien LY Libyen BG Bulgarien MK Ehemalige jugoslawische

    Republik Mazedonien BR Brasilien CA Kanada MT Malta CH Schweiz MX Mexiko CL Chile MY Malaysia CN China NG Nigeria CO Kolumbien NL Niederlande CY Zypern NO Norwegen CZ Tschechische Republik NZ Neuseeland DE Deutschland PA Panama DK Dnemark PE Peru DZ Algerien PH Philippinen EA Euro-Raum PK Pakistan EE Estland PL Polen ES Spanien PT Portugal EU Europische Union QA Katar FI Finnland RO Rumnien FR Frankreich RU Russland GB Vereinigtes Knigreich SA Saudi-Arabien GR Griechenland SE Schweden HK Hongkong SVR SG Singapur HR Kroatien SI Slowenien HU Ungarn SK Slowakei ID Indonesien TH Thailand IE Irland TR Trkei IL Israel TW Chinesisch-Taipeh IN Indien US USA IS Island VE Venezuela IT Italien VN Vietnam JP Japan ZA Sdafrika KR Korea

    Whrungscodes

    AUD australischer Dollar GBP Pfund Sterling CHF Schweizer Franken JPY Yen EUR Euro USD US-Dollar

  • BIZ 87. Jahresbericht 1

    87. Jahresbericht

    an die ordentliche Generalversammlung der Bank fr Internationalen Zahlungsausgleich am 25. Juni 2017 in Basel

    Hiermit darf ich den Bericht der Bank fr Internationalen Zahlungsausgleich ber das am 31. Mrz 2017 abgeschlossene 87. Geschftsjahr vorlegen.

    Der Reingewinn fr das Geschftsjahr betrgt SZR 827,6 Mio., verglichen mit SZR 412,9 Mio. im Vorjahr. Nhere Angaben zum Jahresabschluss fr das Geschfts-jahr 2016/17 finden sich im Abschnitt Finanzgeschfte und Jahresabschluss (S. 202203).

    Der Verwaltungsrat schlgt der Generalversammlung in Anwendung von Artikel 51 der Statuten der Bank vor, SZR 167,4 Mio. zur Zahlung einer Dividende von SZR 300 je Aktie zu verwenden. Die vorgeschlagene Dividende setzt sich zusammen aus einer ordentlichen Dividende von SZR 225 je Aktie und einer Zusatzdividende von SZR 75 je Aktie und ist zahlbar in einer beliebigen Whrung des SZR-Korbs oder in Schweizer Franken.

    Ferner empfiehlt der Verwaltungsrat, SZR 33,0 Mio. dem Allgemeinen Reserve-fonds und den verbleibenden Betrag von SZR 627,2 Mio. dem Freien Reservefonds zuzuweisen.

    Bei Annahme dieser Empfehlungen wird die Dividende der Bank fr das Geschftsjahr 2016/17 den Aktionren am 29. Juni 2017 gezahlt.

    Basel, 16. Juni 2017 JAIME CARUANA Generaldirektor

  • BIZ 87. Jahresbericht 3

    berblick ber die Kapitel zur Wirtschaftsentwicklung

    Kapitel I: Auf dem Weg zu widerstandsfhigem Wachstum

    Im vergangenen Jahr hat die Weltwirtschaft weiter an Fahrt gewonnen. Das Wachs-tum nhert sich dem langfristigen Durchschnitt, die Arbeitslosenquoten sind in Richtung ihrer Vorkrisenwerte gefallen, und die Inflationsraten bewegen sich weiter auf die Zielwerte der Zentralbanken zu. Angesichts der kurzfristigen Aussichten, die so gut sind wie lange nicht mehr, werden im diesjhrigen BIZ-Jahresbericht vier Risiken untersucht, die die Nachhaltigkeit des Wachstums auf mittlere Sicht bedrohen knnten: ein Anstieg der Inflation, schwerwiegende finanzielle Anspannungen, wenn der Finanzzyklus seinen Hhepunkt erreicht, eine Abschwchung von Konsum und Investitionen, insbesondere aufgrund der hohen Schuldenlast, und ein zunehmender Protektionismus. Diese Risiken wurzeln grtenteils in der riskanten Dreier-konstellation, von der im letztjhrigen BIZ-Jahresbericht die Rede war: einem ungewhnlich niedrigen Produktivittswachstum, ungewhnlich hohen Schulden-stnden und einem ungewhnlich engen wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum. Daher erscheint es am vielversprechendsten, wenn die politischen Entscheidungs-trger die aktuell gnstige Lage nutzen, um die wirtschaftliche Widerstandsfhigkeit auf nationaler und internationaler Ebene zu strken. Die Steigerung des Wachstums-potenzials der Wirtschaft ist von entscheidender Bedeutung. Auf nationaler Ebene bedeutet dies eine wirtschaftspolitische Neuausrichtung hin zu Strukturreformen, eine Entlastung der Geldpolitik, der zu viel aufgebrdet wurde, und die Umsetzung ganzheitlicher Handlungsrahmen, die den Finanzzyklus systematischer berck-sichtigen. Auf internationaler Ebene gilt es, den multilateralen Ansatz entschlossener zu verfolgen nur mit diesem Ansatz lassen sich die gemeinsamen Heraus-forderungen meistern, denen sich die Lnder weltweit stellen mssen.

    Kapitel II: Politische Schocks sorgen fr eine Neuorientierung der Mrkte

    Die Finanzmrkte waren mit einem sich wandelnden politischen Umfeld konfrontiert, whrend sich die wirtschaftlichen Bedingungen verbesserten. Die Marktteilnehmer wurden von mehreren politischen Ereignissen berrascht und mussten sich rasch ein Bild von dem Richtungswechsel in der Politik und den entsprechenden wirtschaft-lichen Auswirkungen machen. So richtete sich die Aufmerksamkeit verstrkt auf politische Ereignisse, und die Geldpolitik rckte in den Hintergrund. Eine logische Konsequenz dieser Neuorientierung waren nderungen der herkmmlichen Korrela-tions- und Risikomuster. Die sich ablsenden Phasen von allgemein zu- und abnehmender Risikobereitschaft fanden ein Ende, und die Anleger gingen in Bezug auf Sektoren und Lnder wieder selektiver vor. Die Renditen der Anleihen in den wichtigsten Volkswirtschaften entwickelten sich unterschiedlich, was sich auch auf die Devisenmrkte auswirkte. Gleichzeitig kam es zu einer beispiellosen Diskrepanz zwischen Indikatoren der wirtschaftspolitischen Unsicherheit, die in die Hhe schnellten, und der Finanzmarktvolatilitt, die auf ein Rekordtief sank. Einige Indika-toren deuteten unterdessen auf ein zunehmendes Risiko von Extremereignissen hin.

  • 4 BIZ 87. Jahresbericht

    Die Preisanomalien, die nach der Groen Finanzkrise sichtbar geworden waren, verringerten sich, blieben aber bestehen, was darauf schlieen lsst, dass sie zu einem festeren Bestandteil der Mrkte geworden sind.

    Kapitel III: Die Weltwirtschaft: Erholung bald abgeschlossen, Finanzzyklen am Wendepunkt?

    Die globale Konjunktur zog im Berichtsjahr deutlich an, und Anfang 2017 verzeichne-ten praktisch alle groen Volkswirtschaften einen Aufschwung. Ein wesentlicher Bestimmungsfaktor der Gesamtnachfrage war der Konsum, aber auch die Investitio-nen der Unternehmen lieen Anzeichen einer Erholung erkennen. Gleichzeitig deuteten rcklufige Messgren der wirtschaftlichen Unterauslastung darauf hin, dass die Expansion allmhlich ihren Hhepunkt erreichte. Viele Lnder befanden sich in der Aufschwungphase des Finanzzyklus, was die Konjunktur untersttzte. Teilweise mit dem Finanzzyklus zusammenhngend, bestehen einige mittelfristige Risiken fr einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung. Vorlaufindikatoren finanzieller Anspan-nungen deuten in mehreren Volkswirtschaften, die nicht im Zentrum der Groen Finanzkrise standen, auf Risiken infolge einer hohen Verschuldung des privaten Sektors und hoher Wohnimmobilienpreise hin. Die hohe Verschuldung der privaten Haushalte knnte in einigen Lndern die Nachfrage in Mitleidenschaft ziehen, insbe-sondere wenn steigende Zinsstze die Schuldendienstlast erhhen. Auerdem knnte die Investitionsttigkeit durch das schwache Produktivittswachstum und die hohe Unternehmensverschuldung gedmpft werden. Und schlielich knnten zuneh-mende protektionistische Tendenzen den Wirtschaftsausblick trben. Allerdings erffnet die aktuell gnstige Lage Mglichkeiten zur Umsetzung von Manahmen, um die Widerstandsfhigkeit zu erhhen und die Risiken fr ein nachhaltiges Wachstum zu mindern.

    Kapitel IV: Die Geldpolitik: erste Schritte auf dem Weg zur Normalisierung

    Die Geldpolitik blieb im Allgemeinen uerst akkommodierend, mit weiterhin sehr niedrigen nominalen und realen Zinsstzen und hohen oder sich erneut ausweiten-den Zentralbankbilanzen. Vor dem Hintergrund eines sich festigenden Wachstums rckte die Inflationsentwicklung in den Mittelpunkt geldpolitischer Entscheidungs-prozesse. Whrend sich die Inflationsraten immer mehr an Werte annherten, die mit den Preisstabilittszielen der jeweiligen Zentralbanken bereinstimmen, stellte sich die Frage, ob die betrchtliche Zunahme der Auslastung an den Arbeitsmrkten mit Aufwrtsrisiken fr die Inflation verbunden sein knnte. Eine Bewertung dieser Risiken auf Grundlage historischer Entwicklungen am Arbeitsmarkt deutet allerdings darauf hin, dass sie wohl nicht die Hauptgefahr fr das gegenwrtige globale Wirtschafts-wachstum darstellen. Angesichts der derzeit hohen Schuldenstnde und der ungewhnlich hohen Unsicherheit stellt die Normalisierung der Geldpolitik die Zentralbanken vor beispiellose Herausforderungen. Ein graduelles, transparentes Vorgehen hat klare Vorteile, ist aber kein Allheilmittel, da so auch die bernahme neuer Risiken begnstigt und eine Ausweitung des geldpolitischen Spielraums verlangsamt werden knnten.

  • BIZ 87. Jahresbericht 5

    Kapitel V: Der Finanzsektor: Vorkehrungen fr die Zukunft

    Der Finanzsektor operiert in einem sich aufhellenden, aber weiterhin schwierigen Umfeld. Der kurzfristige Wirtschaftsausblick hat sich erheblich verbessert. Gleichzeitig jedoch verharren die Zinsmargen der Finanzintermedire in allen wichtigen Volkswirt-schaften auf einem niedrigen Niveau, und die Branche kmpft mit strukturellen Herausforderungen wie technologischer Innovation und Konsolidierungsdruck. Die Hauptelemente der Regulierungsreformen stehen kurz vor dem Abschluss. Den Banken und anderen Finanzinstituten bietet sich somit die Chance, ihre Widerstands-kraft weiter zu strken. Aufmerksamkeit gilt dabei unter anderem den globalen US-Dollar-Refinanzierungsmrkten, die sich in Zeiten von Marktanspannungen nach wie vor als ein neuralgischer Punkt erweisen drften. Dass sich die Banken immer noch in hohem Mae auf kurzfristige US-Dollar-Refinanzierungen sttzen, unterstreicht angesichts der hohen Konzentration und Verflechtung an diesen Mrkten die Bedeutung der Zusammenarbeit unter Aufsichtsinstanzen und wirksamer Sicherungs-mechanismen. Letztlich besteht das Ziel darin, ein strkeres Finanzsystem zu schaffen, das zur Widerstandskraft der Weltwirtschaft beitrgt.

    Kapitel VI: Globalisierung im Fokus

    Die Globalisierung der Wirtschaft hat in den letzten 50 Jahren zu einer erheblichen Verbesserung des Lebensstandards und sinkender Armut gefhrt. Die strkere Handelsintegration ist eng mit der zunehmenden Finanzintegration verknpft: Der internationale Handel sttzt sich nicht nur auf Finanzbeziehungen, er bringt auch neue hervor. Die internationalen Handels- und Finanzbeziehungen haben zu mehr Wettbewerb und zu Technologietransfers gefhrt, was wiederum Effizienzsteigerun-gen und eine hhere Gesamtproduktivitt ermglicht hat. Wie jede tiefgreifende wirtschaftliche Vernderung bringt die Globalisierung aber auch Probleme mit sich. Beispielsweise hat sich in einigen Lndern zeitgleich zur Globalisierung die innerstaat-liche Einkommensungleichheit verstrkt, wenngleich vieles darauf hindeutet, dass der technologische Wandel die Hauptursache dafr war. Zudem setzt die finanzwirt-schaftliche Offenheit die Volkswirtschaft destabilisierenden externen Einflssen aus. Mit gut durchdachten nationalen Manahmen lassen sich die Vorteile der Globalisie-rung noch besser nutzen und die Anpassungskosten mindern. Und diese Manahmen gilt es, durch internationale Zusammenarbeit zu ergnzen, um den globalen Verflech-tungen Rechnung zu tragen. Die Vollendung der internationalen Finanzreformen ist hier von groer Bedeutung. Globale Whrungen machen eine internationale Zusammenarbeit, ein schlagkrftiges Krisenmanagement und eine systematischere Bercksichtigung von grenzberschreitenden bertragungs- und Rckwirkungs-effekten unabdingbar.

  • BIZ 87. Jahresbericht 7

    I. Auf dem Weg zu widerstandsfhigem Wachstum

    Wie sehr kann sich die Weltwirtschaft doch in einem Jahr verndern! Das gilt fr Fakten und mehr noch fr die allgemeine Stimmung. Die Fakten zeichnen ein erfreu-licheres Bild. Das Wachstum hat sichtlich an Schwung gewonnen. In den wichtigsten Volkswirtschaften hat sich die Unterauslastung weiter verringert, und in einigen Lndern ist die Arbeitslosenquote sogar auf Werte gesunken, die mit Vollbeschf-tigung gleichzusetzen sind. Die Inflationsraten haben sich den Zielwerten der Zentralbanken angenhert, und das Deflationsrisiko kommt in den wirtschaftlichen Projektionen nicht mehr vor. Mehr noch als die Fakten hat sich die Stimmung gewandelt. Pessimismus ist der Zuversicht gewichen. Letztes Jahr wurde an dieser Stelle argumentiert, dass die Wirtschaftsleistung nicht so desolat sei, wie oft behauptet werde. Inzwischen haben sich die Bedenken hinsichtlich einer skularen Stagnation verflchtigt. Es ist nur noch von den wiedererweckten Lebensgeistern der Wirtschaftsakteure und von Reflation dank boomender Finanzmrkte die Rede. Zudem stellte die US-Prsidentschaftswahl insofern einen Wendepunkt dar, als poli-tische Ereignisse die Ankndigungen der Zentralbanken als wichtigste Triebkraft fr die Entwicklungen an den Finanzmrkten abgelst haben.

    Die kurzfristigen Aussichten sind zwar so gut wie seit Langem nicht mehr, doch gibt es viele paradoxe Sachverhalte und Spannungen. Die Volatilitt an den Finanz-mrkten ist massiv zurckgegangen, obwohl die Indikatoren der wirtschafts-politischen Unsicherheit in die Hhe geschnellt sind. Die Aktienmrkte haben sich dynamisch entwickelt, doch die Anleiherenditen sind nicht in vergleichbarem Ausma gestiegen. Und die Globalisierung, ein wichtiger Wachstumsmotor der Weltwirtschaft, hat sich abgeschwcht und wird durch protektionistische Tendenzen bedroht.

    Vor diesem Hintergrund ist das Hauptthema des diesjhrigen Jahresberichts die Nachhaltigkeit des gegenwrtigen Aufschwungs. Welche Risiken bestehen auf mitt-lere Sicht? Was sollte die Wirtschaftspolitik dagegen unternehmen? Und knnen wir die Chancen nutzen, die eine strkere Wirtschaft bietet?

    Es gibt von den geopolitischen Risiken abgesehen vier Risiken, die der Nach-haltigkeit des Aufschwungs schaden knnten und die im vorliegenden Jahresbericht untersucht werden. Erstens knnte ein erheblicher Anstieg der Inflation den Aufschwung abwrgen, indem er die Zentralbanken zwingt, die Geldpolitik strker als erwartet zu straffen. Dieses typische Nachkriegsszenario rckte im vergangenen Jahr in den Fokus, obwohl es keinerlei Hinweise auf ein Wiederaufflammen der Inflation gab. Ein zweites und weniger beachtetes Risiko sind schwerwiegende finanzielle Anspannungen, wenn der Finanzzyklus seinen Hhepunkt erreicht und es in der Abschwungphase zu gravierenden Turbulenzen kme. Dies war auf hchst spektaku-lre Weise in der Groen Finanzkrise der Fall. Blieben schwerwiegende finanzielle Anspannungen aus, knnte sich drittens der Konsum unter der Schuldenlast abschwchen, und die Investitionen wren womglich nicht in der Lage, dessen Rolle als wichtigster Wachstumsmotor zu bernehmen. Es gibt Hinweise darauf, dass konsumgetriebenes Wachstum kurzlebiger ist, nicht zuletzt da es einen zu geringen Zuwachs des Produktivkapitals bewirkt. Viertens knnte ein zunehmender Protek-tionismus die offene Weltwirtschaftsordnung in Frage stellen. Die Geschichte lehrt uns, dass angespannte Handelsbeziehungen die Weltwirtschaft schwchen knnen.

    Diese vier Risiken mgen voneinander losgelst erscheinen, doch sie sind es nicht. Beispielsweise knnte eine geldpolitische Straffung zur Eindmmung eines

  • 8 BIZ 87. Jahresbericht

    Inflationsanstiegs in anflligeren Lndern einen finanziellen Abschwung auslsen oder verstrken. Dies wre insbesondere der Fall, wenn hhere Leitzinsstze mit einer abrupten Aufwrtskorrektur bei den Anleiherenditen und einer Aufwertung des US-Dollars zusammenfielen: Der betrchtliche Aufbau von US-Dollar-Schulden nach der Krise hat nmlich die Anflligkeit vor allem einiger aufstrebender Volkswirtschaften erhht. Die Reagibilitt der Weltwirtschaft gegenber hheren Zinsen aufgrund des anhaltenden Schuldenaufbaus im Verhltnis zum BIP ist in der Tat ein grundlegendes Problem und erschwert die Normalisierung der Geldpolitik (Grafik I.1). Ein weiteres Beispiel fr die Verflechtung der vier Risiken ist, dass eine Rckkehr zum Handels-protektionismus finanzielle Anspannungen auslsen knnte und einen Inflations-anstieg wahrscheinlicher machen wrde. Und auch hier knnte das Auftreten system-weiter finanzieller Anspannungen oder auch einfach ein erheblich langsameres Wachstum die Bedrohung, die von protektionistischen Tendenzen ausgeht, ber das kritische Ma hinaus ansteigen lassen.

    Einige dieser Risiken haben ihren Ursprung in jahrzehntelangen Entwicklungen, doch sie sind alle ganz entscheidend durch die Groe Finanzkrise und die unausge-wogene Antwort darauf geprgt worden. So kam es zu der riskanten Dreier-konstellation, auf die im letztjhrigen Jahresbericht eingegangen wurde: einem ungewhnlich niedrigen Produktivittswachstum, ungewhnlich hohen Schulden-stnden und einem ungewhnlich engen wirtschaftspolitischen Handlungs-spielraum.1

    Angesichts der mittelfristigen Risiken erscheint es am vielversprechendsten, die aktuell gnstige Lage zu nutzen, um die wirtschaftliche Widerstandsfhigkeit auf nationaler und internationaler Ebene zu strken. Auf nationaler Ebene bedeutet dies eine wirtschaftspolitische Neuausrichtung hin zu Strukturreformen, eine Entlastung der Geldpolitik, der zu viel aufgebrdet wurde, und die Umsetzung ganzheitlicher politischer Handlungsrahmen, die den Finanzzyklus systematischer bercksichtigen. Letzterer ist ein mittelfristiges Phnomen und eine magebliche Quelle fr Anfllig-keiten. Die Steigerung des Wachstumspotenzials der Wirtschaft ist von entschei-dender Bedeutung. Auf internationaler Ebene gilt es den multilateralen Ansatz

    Weltweiter Schuldenaufbau hlt an Grafik I.1

    Bio. USD % des BIP

    AV = aufstrebende Volkswirtschaften; FV = fortgeschrittene Volkswirtschaften.

    Quellen: IWF, World Economic Outlook; OECD, Economic Outlook; Angaben der einzelnen Lnder; BIZ; Berechnungen der BIZ.

    135

    110

    85

    250

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    150

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    50

    0FV AV Alle

    Ende 2007FV AV Alle

    Ende 2010FV AV Alle

    Ende 2013FV AV Alle

    Ende 2016

    RS:Weltweit insgesamt (LS) Gesamtstaat Nichtfinanzunternehmen Private Haushalte

  • BIZ 87. Jahresbericht 9

    entschlossener zu verfolgen nur mit diesem Ansatz lassen sich die gemeinsamen Herausforderungen meistern, denen sich die Lnder weltweit stellen mssen.

    In diesem einleitenden Kapitel des BIZ-Jahresberichts werden zunchst die Entwicklungen des vergangenen Jahres im Rckblick betrachtet. Danach werden die mittelfristigen Risiken fr die Nachhaltigkeit des Aufschwungs beleuchtet, und zum Schluss werden mgliche wirtschaftspolitische Manahmen errtert.

    Das Jahr im Rckblick

    Das globale Wachstum hat sich seit dem letzten Jahresbericht deutlich beschleunigt und die Erwartungen bertroffen (Kapitel III sowie Grafik I.2 links). Der Prognose-mittelwert liegt derzeit bei 3,5% fr das Jahr 2017. Dieser Wert stnde im Einklang mit dem langfristigen Durchschnitt, lge allerdings unter den fast 4%, die im goldenen Jahrzehnt vor der Krise verzeichnet wurden. Die Beschleunigung des Wachstums war besonders markant in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, wo die Indikatoren des Konsum- und Geschftsklimas zu Beginn des Jahres 2017 die hchsten Werte seit vielen Jahren erreichten. Das Wachstum in den aufstrebenden Volkswirtschaften verlief weniger einheitlich, obwohl sich auch dort die Wirtschafts-leistung gesttzt durch hhere Rohstoffpreise verbesserte. Insbesondere kam es in China nicht zum befrchteten Wachstumseinbruch: Die Behrden griffen einmal mehr zur Sttzung der Wirtschaft ein, erhhten dadurch aber die Schuldenlast der chinesi-schen Volkswirtschaft noch mehr.

    Weltwirtschaft gewinnt nochmals an Fahrt, und Inflationsraten gleichen sich einander an Grafik I.2

    BIP-Wachstum1 Arbeitslosenquote2 Inflation1, 3

    Vernderung gegenber Vorjahr in Prozent, saisonbereinigt

    Prozent, saisonbereinigt Prozent

    Punkte im linken Feld = Prognosen von Consensus Economics fr 2017; gestrichelte Linien = Durchschnitt 19822007. AV = aufstrebende Volkswirtschaften; FV = fortgeschrittene Volkswirtschaften.

    1 Gewichteter Durchschnitt auf der Basis des BIP und der Kaufkraftparitten. 2 Gewichteter Durchschnitt auf der Basis der Erwerbsbevlkerung; kann je nach Land unterschiedlich definiert sein. 3 Verbraucherpreise.

    Quellen: IWF, International Financial Statistics und World Economic Outlook; OECD, Economic Outlook und Main Economic Indicators; CEIC; Consensus Economics; Datastream; Angaben der einzelnen Lnder; Berechnungen der BIZ.

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  • 10 BIZ 87. Jahresbericht

    Mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Erholung verringerte sich die Unteraus-lastung weiter, vor allem an den Arbeitsmrkten (Kapitel III sowie Grafik I.2 Mitte), und in den wichtigsten fortgeschrittenen Volkswirtschaften sank die Arbeitslosigkeit weiter. In einigen Lndern, die von der Groen Finanzkrise am strksten betroffen gewesen waren, beispielsweise dem Vereinigten Knigreich und den USA, kehrte die Arbeitslosenquote auf ihr Vorkrisenniveau zurck. In anderen Lndern, wie z.B. Japan, lag sie deutlich darunter. Im Euro-Raum war sie zwar nach wie vor vergleichsweise hoch, doch sie war ebenfalls rcklufig und erreichte Werte, die zuletzt vor rund acht Jahren zu beobachten gewesen waren.

    Die Inflation nherte sich im Allgemeinen den Zielwerten der Zentralbanken an (Kapitel IV sowie Grafik I.2 rechts). In erheblichem Ausma angetrieben vom hheren lpreis, erhhte sich die Gesamtinflation in mehreren fortgeschrittenen Volkswirt-schaften leicht, whrend die Entwicklung der Kerninflation gedmpfter ausfiel. In einigen aufstrebenden Volkswirtschaften, in denen die Inflation ber dem Zielwert gelegen hatte, war die Inflation sogar rcklufig, nicht zuletzt aufgrund von Wechsel-kursschwankungen. Der Prognosemittelwert fr 2017 deutet auf einen leichten Inflationsanstieg weltweit hin.

    Der Stimmungsumschwung an den Finanzmrkten war bemerkenswert (Kapitel II). Nach der US-Prsidentschaftswahl verschlechterte sich die Stimmung vorbergehend, verbesserte sich dann aber wieder, als sich die Befrchtungen eines verhaltenen knftigen Wachstums verflchtigten und neuerlicher Optimismus aufkam. In der Folge untermauerten positivere Wirtschaftsdaten die optimistische Stimmung, und der Reflation Trade blieb monatelang marktbestimmend. Die Aktienkurse schnellten in die Hhe, und die Volatilitt fiel auf ein sehr niedriges Niveau ein Zeichen fr hohe Risikobereitschaft. Der Anstieg der Anleiherenditen, der bereits im Juli 2016 eingesetzt hatte, beschleunigte sich. Unter dem Strich bewegten sie sich allerdings immer noch in historisch niedrigen Bandbreiten, und bis Mai 2017 hatten sie einen betrchtlichen Teil des Anstiegs wieder verloren, da der Reflation Trade abebbte. Der US-Dollar zeigte eine noch prgnantere Auf-und-ab-Bewegung: Er wertete bis Anfang 2017 stark auf und bte anschlieend seine Gewinne wieder ein.

    Nicht minder bemerkenswert war die Verlagerung bei den wichtigsten Trieb-krften fr die Marktentwicklung (Kapitel II). Die Zentralbanken wurden weniger stark beachtet, und stattdessen rckten politische Ereignisse in den Vordergrund, insbe-sondere das Votum der Briten fr einen Austritt aus der Europischen Union (Brexit) und noch mehr die US-Prsidentschaftswahl. Entsprechend wurden die nach der Krise blicherweise aufeinanderfolgenden Phasen von zu- und abnehmender Risikobereit-schaft, die im Einklang mit den Worten und Taten der Zentralbanken standen, durch strker differenzierte Reaktionen auf politische Ereignisse und Verlautbarungen abgelst. Dies gilt insbesondere fr die Preise von finanziellen Vermgenswerten in verschiedenen Anlagekategorien, Sektoren und Regionen, die sich nach der US-Prsidentschaftswahl und angesichts der sich verndernden Aussichten auf expansive Finanzpolitik, Steuersenkungen, Deregulierung und Protektionismus deutlich hetero-gener entwickelten. Diese Verlagerung bei den Triebkrften fr die Marktentwicklung ging einher mit einer beispiellosen Diskrepanz zwischen den Indikatoren der wirtschaftspolitischen Unsicherheit, die in die Hhe schnellten, und den Indikatoren der Finanzmarktvolatilitt, die sich verringerten.

    Dennoch bten Zentralbanken weiterhin erheblichen Einfluss auf die Mrkte aus. Zwischen den Zinsstrukturkurven fr US-Dollar einerseits und fr Yen und Euro andererseits traten ungewhnlich groe Unterschiede zutage, was weitgehend auf

  • BIZ 87. Jahresbericht 11

    den jeweiligen geldpolitischen Ausblick und die Wertpapierankufe durch die Zentralbanken zurckzufhren war. Dies trug zu betrchtlichen whrungsber-greifenden Portfoliostrmen bei, hufig mit Absicherung des Whrungsrisikos, was wiederum eine schwer nachvollziehbare Marktanomalie erklren hilft: den Zusam-menbruch der gedeckten Zinsparitt (Kapitel II). Der entsprechende Aufschlag bei US-Dollar-Refinanzierungen am Devisenmarkt im Verhltnis zu US-Dollar-Refinanzie-rungen am Geldmarkt deutete zudem auf eine geringere Ausnutzung der Bilanzkapazitt durch die Banken hin: Sie waren im Vergleich zur Vorkrisenzeit weniger zu Arbitragegeschften bereit, die sich stark auf die Bilanz auswirken (Kapitel V).

    Die Verfassung der Finanzinstitute und die kurzfristigen Prognosen fr die Finanzbranche verbesserten sich, es blieben aber Herausforderungen bestehen (Kapitel V). Die Aussicht auf hhere Zinsstze und eine strkere Wirtschaft trug dazu bei, dass sich Bankaktien besser entwickelten als der Gesamtmarkt. Die Gewinne in den von der Krise betroffenen Lndern erhhten sich leicht, was den Banken die Aufstockung ihrer Kapitalpolster erleichterte. In den Lndern, die einen starken Aufschwung des Finanzzyklus erlebten, war die Rentabilitt allgemein besser. Dennoch blieben die Marktteilnehmer skeptisch, was in vergleichsweise niedrigen Kurs-Buchwert-Verhltnissen oder Kreditratings vieler Banken zum Ausdruck kam. Die Banken im Euro-Raum standen besonders unter Druck, da sie mit berkapazi-tten und teilweise hohen Bestnden an notleidenden Krediten zu kmpfen hatten. Die Rentabilitt des Versicherungssektors war in den wichtigsten fortgeschrittenen Volkswirtschaften nahezu unverndert. Sie wurde noch strker durch die anhaltend niedrigen Zinsen beeintrchtigt als die Rentabilitt des Bankensektors.

    Nachhaltigkeit

    Dieser kurze Rckblick auf das vergangene Jahr zeigt, dass sich die Wirtschafts-leistung weltweit deutlich verbessert hat und dass die kurzfristigen Aussichten so gut erscheinen wie lange nicht mehr. Zudem deuten die Prognosen von privaten und offiziellen Stellen zumeist auf eine weitere schrittweise Verbesserung hin. Demnach werden die hemmenden Einflsse abnehmen, die Weltwirtschaft wird an Dynamik gewinnen, die Geldpolitik wird allmhlich normalisiert werden, und der Aufschwung wird sich verfestigen und von Nachhaltigkeit geprgt sein. Tatschlich entspricht die Stimmung an den Finanzmrkten diesem Ausblick.

    Doch wie immer gibt es keine Garantie, dass sich dieses Szenario bewahrheiten wird. Die Erwartungen der Mrkte und offiziellen Stellen sind seit der Groen Finanz-krise wiederholt enttuscht worden. Und im Allgemeinen sind wirtschaftliche Prog-nosen ber den kurzfristigen Horizont hinaus wenig stichhaltig. Konzeptionsbedingt setzen sie eine Rckkehr zu langfristigen Trends voraus, was eine Erklrung dafr ist, wieso sie keine Rezessionen vorhersehen. Zudem ist der gegenwrtige Aufschwung ungeachtet seiner insgesamt migen Ausprgung bereits einer der lngsten, der je verzeichnet wurde.

    Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die wichtigsten mittelfristigen Risiken fr diesen Ausblick zu untersuchen. Im Folgenden werden nacheinander betrachtet: ein Anstieg der Inflation, Risiken im Zusammenhang mit dem Finanzzyklus, das Unver-mgen, dass Investitionen den sich womglich abschwchenden Konsum als Wachs-tumsmotor ablsen, und protektionistische Tendenzen, die den Handel einschrnken und das Rad der Globalisierung zurckdrehen knnten.

  • 12 BIZ 87. Jahresbericht

    Inflation

    Ein Anstieg der Inflation, der die Zentralbanken zwingt, die Geldpolitik erheblich zu straffen, war in der Nachkriegszeit der typische Auslser fr eine Rezession. Die jngste Rezession allerdings war eine Ausnahme: Die Geldpolitik wurde zwar etwas gestrafft, dennoch kam es unabhngig davon zum Zusammenbruch eines Finanz-booms dem Hauptgrund fr die Rezession. Ist es mglich, dass sich nun wieder das typische Muster der Nachkriegszeit durchsetzt (Kapitel IV)?

    Vordergrndig spricht einiges dafr, dass die Inflation deutlich ansteigen knnte (Grafik I.3 links). Sie hat bereits angezogen. Wichtiger noch: Die Unterauslastung verringert sich. Darauf deuten vor allem die Arbeitsmarktindikatoren, aber auch Schtzungen des Zusammenhangs zwischen Produktion und Produktionspotenzial (sog. Produktionslcke) hin. Zudem ist dies in mehreren Lndern gleichzeitig zu beobachten was nicht zu unterschtzen ist, da globale Messgren der Unteraus-lastung zustzlich zu den nationalen Messgren einen Beitrag zur Inflations-prognose leisten knnen. All dies legt nahe, dass es unklug wre, sich damit zufrieden zu geben, dass der jngste Inflationsanstieg hauptschlich auf einen hheren lpreis zurckzufhren ist. Es knnte eine hhere Inflationsdynamik bevorstehen.

    Gleichzeitig scheint ein starkes und anhaltendes Aufflammen der Inflation unwahrscheinlich (Kapitel IV). Der Zusammenhang zwischen Unterauslastung und Preisauftrieb ist schon seit einiger Zeit nicht klar erkennbar (Grafik I.3 rechts). Dagegen erscheint der entsprechende Zusammenhang zwischen dem Ausma der Unterauslastung an den Arbeitsmrkten und der Lohninflation umso deutlicher. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass dieser Zusammenhang im Zeitverlauf schwcher geworden ist, im Einklang mit dem Verlust der Preissetzungsmacht des Faktors Arbeit, wie er in den Arbeitsmarktindikatoren zum Ausdruck kommt (Grafik I.3

    Weisen angespanntere Arbeitsmrkte auf Aufwrtsrisiken fr die Inflation hin? Grafik I.3

    Steigender Lohndruck aufgrund rcklufiger Arbeitslosigkeit1

    Lhne reagieren nach wie vor auf Arbeitslosigkeit, Preise dagegen nicht4

    Vernderung gegenber Vorjahr in Prozent Prozentpunkte Koeffizient

    1 CA, DE, GB, JP, US; Prognosen nach 2015. 2 LSK = Lohnstckkosten. Gewichteter Durchschnitt auf der Basis des BIP und derKaufkraftparitten (jeweils rollierend). 3 Arbeitslosenquote abzglich der inflationsstabilen Arbeitslosenquote; gewichteter Durchschnitt aufder Basis der Erwerbsbevlkerung. 4 Schtzungen anhand eines rollierenden 15-Jahres-Fensters und Konfidenzbnder der G7-Volks-wirtschaften. Fr Einzelheiten siehe Kapitel IV.

    Quellen: IWF, World Economic Outlook; OECD, Economic Outlook; Schtzungen der BIZ.

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    Wachstum LSK (LS)2 Arbeitslosigkeitslcke (RS)3

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    PreiseLhnevariierenden Phillips-Kurve:

    Steigung der zeitlich

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    rechts). Und der Zusammenhang zwischen hheren Lohnstckkosten und dem Preis-auftrieb ist seinerseits berraschend schwach.

    ber die genauen Grnde fr diese Entwicklungen herrscht Unklarheit. Vielleicht sind sie Ausdruck der gewachsenen Glaubwrdigkeit der Zentralbanken bei der Inflationsbekmpfung. Oder sie spiegeln hauptschlich lngerfristigen Disinflations-druck wider, der auf die Globalisierung und den Eintritt von Billigpreisproduzenten wie China und ehemaligen kommunistischen Lndern in den Welthandel zurckzu-fhren ist. Zustzlich zum technologischen Druck drfte dies sowohl die Verhand-lungsmacht der Arbeitskrfte als auch die Preissetzungsautonomie der Unternehmen verringert haben, womit die Wahrscheinlichkeit einer Neuauflage der in der Vergan-genheit beobachteten Lohn-Preis-Spiralen sinkt.

    Daraus lsst sich schlieen, dass ein Inflationsanstieg zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass er aber zumindest auf kurze Sicht wohl nicht die Hauptgefahr fr das Wirtschaftswachstum darstellt. Die aktuellen Preise von finanziellen Vermgens-werten lassen vermuten, dass die Finanzmarktteilnehmer diese Sicht der Dinge teilen.

    Risiken aufgrund des Finanzzyklus

    Angesichts der vorstehenden berlegungen zum Inflationsanstieg rckt die mgliche Bedeutung von Risiken im Zusammenhang mit dem Finanzzyklus in den Vordergrund. Vielleicht wird der Auslser der nchsten Rezession hnlich sein wie der letzte: das Platzen der Blase am Hhepunkt des Finanzzyklus. Tatschlich wiesen die Rezessio-nen in einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu Beginn der 1990er Jahre bereits einige hnliche Merkmale auf, allerdings ohne das Ausma und die Verbreitung der jngsten Rezession zu erreichen: Ihnen war ein bermiger Anstieg des Kredit-volumens und der Immobilienpreise vorausgegangen, der sich umkehrte, als die geldpolitische Straffung begann, was zu Anspannungen an den Finanzmrkten und im Bankensektor fhrte. In den aufstrebenden Volkswirtschaften wiederum waren Finanzkrisen recht hufig mit Turbulenzen in der Abschwungphase des Finanzzyklus verbunden, wobei die Krise oft durch den Verlust von Auslandsfinanzierungen ausgelst oder verstrkt wurde man denke beispielsweise an die Asien-Krise vor rund 20 Jahren.

    Vorlaufindikatoren von finanziellen Anspannungen, die sich auf die oben beschriebenen Merkmale sttzen, zeigen tatschlich potenzielle Risiken an (Kapitel III). Allerdings ist dies nicht der Fall in den von der Groen Finanzkrise am strksten betroffenen Lndern, in denen der inlndische Finanzboom bereits zusammengebrochen ist, beispielsweise in den USA, im Vereinigten Knigreich oder in Spanien. In diesen Lndern hat ein gewisser Schuldenabbau des privaten Sektors stattgefunden, und der Aufschwung des Finanzzyklus hat erst vor relativ kurzer Zeit eingesetzt. Die Tatsache, dass es nicht allen Krisenlndern gelungen ist, die Bank-bilanzen vollstndig zu sanieren, ist ein Hauptgrund fr Bedenken auf kurze Sicht. Dies gilt insbesondere fr einige Lnder des Euro-Raums, in denen auch der Staats-haushalt fragil erscheint (Kapitel V). Politische Unsicherheiten tragen noch zu dieser Besorgnis bei.

    Die klassischen Signale von Risiken aufgrund des Finanzzyklus sind vielmehr in mehreren Lndern sichtbar, die von der Groen Finanzkrise weitgehend verschont wurden und in denen der Aufschwung des Finanzzyklus nach der Krise an Dynamik gewonnen hat. Zu diesen Lndern zhlen mehrere aufstrebende Volkswirtschaften, darunter die grten, sowie einige fortgeschrittene Volkswirtschaften, insbesondere

  • 14 BIZ 87. Jahresbericht

    einige Rohstoffexporteure, die sich aufgrund des seit der Krise anhaltenden Rohstoff-booms im Aufwind befinden. Natrlich sind die Zinsstze in all diesen Lndern uerst niedrig oder sogar negativ, whrend die Inflation ungeachtet der robusten wirtschaftlichen Entwicklung gemigt ausfllt oder sich gar in eine Deflation gekehrt hat. Diese Lnder befinden sich in unterschiedlichen Phasen des Finanzzyklus. Teilweise hlt der Boom an oder nhert sich seinem Hhepunkt, wie in China, whrend in anderen Fllen, so beispielsweise in Brasilien, bereits der Abschwung eingesetzt hat und es zu einer Rezession wenn auch nicht zu einer ausgewachsenen Finanzkrise gekommen ist.

    Die aufstrebenden Volkswirtschaften sind mit einem zustzlichen Problem konfrontiert, nmlich dem vergleichsweise hohen Anteil an Fremdwhrungsschulden, vor allem in US-Dollar (Kapitel III, V und VI). Dollarschulden haben in der Vergangen-heit bei Finanzkrisen in aufstrebenden Volkswirtschaften gewhnlich eine entschei-dende Rolle gespielt, entweder als Auslser, beispielsweise bei einer Umkehr der Bruttokapitalstrme in US-Dollar, oder als Verstrker. Das Zusammenfallen einer Abwertung der Landeswhrung und eines Anstiegs der US-Dollar-Zinsen kann bei hohen Whrungsinkongruenzen gravierende Auswirkungen haben. Von 2009 bis Ende 2016 erhhten sich die US-Dollar-Kredite an Nichtbanken auerhalb der USA ein fhrender BIZ-Indikator der globalen Liquiditt sprunghaft um rund 50% auf mittlerweile etwa $ 10,5 Bio. Davon entfallen $ 3,6 Bio. allein auf Nichtbanken in aufstrebenden Volkswirtschaften, mehr als doppelt so viel wie noch Anfang 2009.

    Anders als frher wird das Risiko im Zusammenhang mit der Fremdwhrungs-verschuldung durch mehrere Faktoren abgeschwcht: Vielerorts sind flexiblere Wechselkurssysteme eingefhrt worden, die zwar kein Allheilmittel darstellen, aber einen Whrungszusammenbruch weniger wahrscheinlich machen und ex ante zu einer geringeren Risikobereitschaft in Bezug auf Fremdwhrungen fhren drften. Zudem sind hohe Whrungsreserven aufgebaut worden, die die Auswirkungen finanzieller Anspannungen abfedern sollten. Und schlielich sind die Fremd-whrungsschulden im Verhltnis zum BIP unter dem Strich noch immer nicht so hoch wie vor frheren Finanzkrisen. Tatschlich haben mehrere Lnder in den letzten Jahren hohe Wechselkursschwankungen absorbiert. Dennoch sollten Anflligkeiten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, zumindest nicht dort, wo eine hohe Fremdwhrungsverschuldung mit einem bermigen inlndischen Finanzboom zusammenfllt. Unter anderem aus diesem Grund knnten eine Straffung der US-Geldpolitik und eine Aufwertung des US-Dollars einen Rckzug aus internationalen Finanzinvestitionen und eine hhere Risikoaversion ankndigen, mit dem Dollar als eine Art Angstbarometer.2

    Generell gesprochen vermitteln Vorlaufindikatoren von finanziellen Anspannun-gen zwar ein allgemeines Gefhl fr den Aufbau von Risiken, aber sie sind auch mit einigen Einschrnkungen behaftet. Insbesondere sind sie in Bezug auf den genauen Zeitpunkt des Auftretens von Anspannungen, ihre Intensitt oder ihre konkrete Dynamik wenig aussagekrftig. Schlielich haben die politischen Entscheidungstrger nach der Krise wichtige Schritte zur Strkung von Regulierung und Aufsicht unter-nommen, die die aus den Daten ersichtlichen statistischen Korrelationen verndern knnten. Beispielsweise haben viele aufstrebende Volkswirtschaften eine breite Palette an makroprudenziellen Manahmen ergriffen, um den Finanzzyklus besser in den Griff zu bekommen. Die Manahmen vermochten zwar nicht den Aufbau von bermigen Finanzbooms zu verhindern, doch knnen sie das Finanzsystem wider-standsfhiger gegen den anschlieenden Abschwung machen. Wie die Erfahrung Brasiliens zeigt, knnen diese Manahmen keine Rezession verhindern, aber sie

  • BIZ 87. Jahresbericht 15

    vermgen das Risiko einer Finanzkrise einzudmmen. Diese Einschrnkungen legen einen vorsichtigen Umgang mit den Indikatoren nahe.

    Konsum und Investitionen

    Wenn es nicht zu schwerwiegenden finanziellen Anspannungen kommt, knnte der Aufschwung durch eine schwache gesamtwirtschaftliche Nachfrage im Inland abge-wrgt werden (Kapitel III). Das jngste Wirtschaftswachstum war vielerorts konsum-getrieben, d.h. das Konsumwachstum berflgelte das BIP-Wachstum. Dagegen waren die Investitionen bis vor Kurzem vergleichsweise verhalten. Knnte sich der Konsum abschwchen? Und besteht Aussicht auf eine anhaltende Belebung der Investitionen? Natrlich wre der Aufschwung nachhaltiger, wenn die Investitionen zum wichtigsten Wachstumsmotor wrden: Die Produktivitt wrde angekurbelt, und der Inflationsdruck bliebe mittelfristig unter Kontrolle. Empirische Daten, die darauf hindeuten, dass konsumgetriebenes Wachstum weniger nachhaltig ist, untermauern diese Sichtweise.

    Der Konsum knnte infolge rcklufiger Beschftigungszuwchse bei Erreichen der Kapazittsgrenze abnehmen; schwerwiegendere Anflligkeiten ergeben sich jedoch durch den anhaltenden Schuldenaufbau, der zuweilen durch die historisch hohen Preise von Vermgenswerten begnstigt wird. Ein Rckgang der Vermgens-preise knnte die Bilanzen unter Druck setzen, insbesondere wenn er mit hheren Zinsstzen einherginge. Tatschlich haben Forschungsarbeiten der BIZ ergeben, dass die Schuldendienstlast ein wichtiger, wenn auch unterschtzter Treiber fr die Ausgaben ist (Kapitel III).

    Eine Analyse der schuldendienstindizierten Zinsreagibilitt des Konsums lsst Schwachstellen erkennen (Kapitel III sowie Grafik I.4). Dies gilt insbesondere fr Lnder u.a. mehrere kleine offene und einige aufstrebende Volkswirtschaften , die nach der Krise einen Kreditboom bei den privaten Haushalten erlebt haben, der oft von krftigen Preissteigerungen bei Immobilien begleitet war. Ein Anstieg der Zins-stze ber das am Markt bereits eingepreiste Niveau hinaus knnte den Verbrauch erheblich schwchen. Demgegenber bestehen in einigen von der Krise betroffenen Lndern, beispielsweise den USA, dank dem bereits erfolgten Schuldenabbau deutlich grere Sicherheitsreserven.

    Die Investitionen im Verhltnis zum BIP waren zumindest in den fortgeschritte-nen Volkswirtschaften nach der Krise relativ schwach (Kapitel III). Teilweise war der Investitionsrckgang Ausdruck einer Korrektur bei den Wohnungsbauinvestitionen als Antwort auf den Boom vor der Krise. Ein weiterer Grund war die rcklufige Entwicklung bei allen anderen Investitionen. In den aufstrebenden Volkswirtschaften zeigten sich die Investitionen im Allgemeinen robuster, namentlich als Folge des Aufschwungs in China und des damit verbundenen Anstiegs der Rohstoffpreise. Die schwachen Investitionen nach der Krise im Zusammenspiel mit einer Fehlallokation von Ressourcen haben zweifelsohne zu einer weiteren Abschwchung des Produk-tivittswachstums beigetragen. Knnte das jngste willkommene Anziehen der Inves-titionen an Schwung verlieren?

    Obwohl Zinsstze fr Investitionen wichtig sind, spielen Gewinne, Unsicherheit und Cashflows eine noch grere Rolle. So gesehen knnen sehr hohe Werte der Indikatoren der wirtschaftspolitischen Unsicherheit zwar Anlass zur Sorge geben, doch bislang haben sie den jngsten Investitionsanstieg nicht beeintrchtigt. In mehreren aufstrebenden Volkswirtschaften ist die massive Zunahme der Unter-nehmensverschuldung, zuweilen in Fremdwhrung, besorgniserregend. Empirische

  • 16 BIZ 87. Jahresbericht

    Daten deuten tatschlich auf einen Zusammenhang zwischen US-Dollar-Aufwertung und Investitionsschwche in vielen aufstrebenden Volkswirtschaften hin (Kapitel III). China sticht in dieser Hinsicht hervor, angesichts der Kombination aus beispiellosen schuldenfinanzierten Investitionsquoten und Anzeichen fr berkapazitten und unrentable Geschftsaktivitten. Kme es hier zu einer deutlichen Abschwchung der Investitionen, knnte dies viel weitreichendere Folgen fr die aufstrebenden Volks-wirtschaften haben, nicht zuletzt aufgrund einbrechender Rohstoffpreise.

    Entglobalisierung

    Seit der Groen Finanzkrise gewinnen protektionistische Tendenzen an Boden. Sie sind Teil einer allgemeineren gesellschaftlichen und politischen Gegenreaktion auf die Globalisierung. Wrde das Rad der Globalisierung zurckgedreht, wrde dies den Aussichten auf ein nachhaltiges und robustes Wirtschaftswachstum einen schweren Schlag versetzen. Die Investitionen wrden als Erstes Schaden nehmen, da sie mit dem Handel eng verflochten sind. Doch eine solch seismische Vernderung der insti-tutionellen Rahmenbedingungen und wirtschaftspolitischen Systeme htte weit-reichendere und nachhaltigere Folgen. Es lohnt sich, diese genauer unter die Lupe zu nehmen, weshalb im diesjhrigen Jahresbericht der Globalisierung ein ganzes Kapitel gewidmet wird (Kapitel VI).

    Bekanntlich ist der allmhlich fortschreitende Prozess zunehmender Integration, der seit dem Zweiten Weltkrieg in der Weltwirtschaft stattgefunden und nach dem Ende des Kalten Kriegs einen Quantensprung erlebt hat, nicht der erste in der Geschichte (Grafik I.5 links). Zu einer ersten Globalisierungswelle kam es bereits ab der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts. Sie gewann in der Zeit des Goldstandards an Schwung und erlitt whrend des Ersten Weltkriegs einen schweren Rckschlag, bevor sie schlielich ein Jahrzehnt spter im Zuge der Groen Depression endete.

    Zinsreagibilitt der Schuldendienstquote privater Haushalte

    Abweichung vom lnderspezifischen langfristigen Durchschnittswert Grafik I.4

    Prozentpunkte

    1 4. Quartal 2016; fr AU, IT, NO und US: 3. Quartal 2016. 2 Prognosen der Schuldendienstquote privater Haushalte fr die kommenden drei Jahre gem unterschiedlichen Zinsszenarien. Basierend auf lnderspezifischen Vektorautoregressionen, die das Verhltnis der Kredite privater Haushalte zum Einkommen, die Zinsstze des gesamten Schuldenbestands der privaten Haushalte, die realen Wohnimmobilienpreise, das reale BIP und den 3-monatigen Geldmarktsatz einbeziehen. Fr Einzelheiten siehe Kapitel III.

    Quellen: Angaben der einzelnen Lnder; Berechnungen der BIZ.

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    4. Quartal 2007Schuldendienstquote: Beobachtungsende1 Prognosebandbreite2

  • BIZ 87. Jahresbericht 17

    Zwischen diesen beiden Globalisierungswellen gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch wichtige Unterschiede. Beide Male kam es zu einer bedeutenden Zunahme der real- und finanzwirtschaftlichen Integration, forciert von politischen Entscheidungen und untersttzt von technologischer Innovation. Wirtschaftlich gesehen war die jngste Globalisierungswelle allerdings sowohl tiefgreifender als auch weitreichender, obwohl sie in geringerem Mae auf Migrationsstrmen aufbaute. Davon zeugen die beispiellose Ausbreitung globaler Wertschpfungsketten und das Rekordwachstum bei den grenzberschreitenden finanziellen Forderungen.

    Obwohl man automatisch dazu tendiert, real- und finanzwirtschaftliche Globali-sierung getrennt zu betrachten, sind sie miteinander verflochten. Exporte und Importe sind stark auf internationale Finanzierungen angewiesen. Lnderber-greifende Eigentumsverhltnisse bei Unternehmen in Form von auslndischen Direktinvestitionen kurbeln den Handel an, sorgen fr eine weite Verbreitung von organisatorischem und technischem Know-how und bringen weltweit ttige Unter-nehmen hervor. Banken und andere Dienstleistungsanbieter folgen in der Regel ihren Kunden rund um die Welt. Die Finanzdienstleistungen selbst haben einen stetig wachsenden Anteil an der Wirtschaftsttigkeit und dem Handel. Und die Relevanz von Landesgrenzen wird zustzlich geschmlert durch die enorme Verwendung einer Handvoll internationaler Leitwhrungen insbesondere des US-Dollars als Zah-lungsmittel und Rechnungseinheit fr Handelsgeschfte und Finanzkontrakte.

    Eine Analyse der Daten besttigt die enge Verflechtung von real- und finanzwirt-schaftlicher Globalisierung. In den einzelnen Lndern bilden die Finanzbeziehungen die Handelsbeziehungen recht genau ab (Kapitel VI sowie Grafik I.5 rechts). Historisch gesehen gab es Zeiten, beispielsweise in der Bretton-Woods-ra, in denen die poli-tischen Entscheidungstrger eine strkere Handelsintegration anstrebten, gleichzeitig aber die Finanzintegration gezielt zu unterbinden suchten, um sich greren Hand-lungsspielraum zu sichern. Doch mit der Zeit erwies sich diese Strategie als unhaltbar, und die finanzielle Integration gewann an Fahrt.

    Finanz- und realwirtschaftliche Offenheit Grafik I.5

    Liberalisierung des Finanzsystems und des Handels im Zeitverlauf

    Offenheit des Finanzsystems und des Handels in den einzelnen Lndern, 2015

    1865 (18651935), 1960 (19602015) = 100

    Quellen: Fr Einzelheiten siehe Kapitel VI.

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    Handelsoffenheit (LS): Finanzoffenheit (RS): 18651935 19602015

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    )

    Handelsoffenheit (%)

  • 18 BIZ 87. Jahresbericht

    Allerdings hat die finanzielle Seite der Globalisierung auch eine Art Eigenleben entwickelt. In den einzelnen Lndern widerspiegelt dies insbesondere Ballungs-vorteile, die dazu fhren, dass sich das Finanzgeschft an einem Finanzplatz konzentriert, sowie Steuer-Arbitrage, die Unternehmen dazu bewegt, ihren Hauptsitz in einem bestimmten Land anzusiedeln. Seit Anfang der 1990er Jahre bersteigen die Finanzbeziehungen die Handelsbeziehungen bei weitem; dies war den verfgbaren Daten zufolge bei der ersten Globalisierungswelle nicht der Fall.

    Es gibt Anhaltspunkte dafr, dass sich die Globalisierung nach der Krise verlang-samt hat, doch sie befindet sich nicht auf dem Rckzug. Der Handel gemessen am weltweiten BIP und die Verbreitung der globalen Wertschpfungsketten haben sich stabilisiert. Und whrend sich die finanzielle Integration in ihrer weitgefassten Defini-tion offenbar abgeschwcht hat, ist die Bankkreditvergabe zurckgegangen. Eine genauere Analyse der BIZ-Statistiken aber zeigt, dass dieser Rckgang hauptschlich auf die Banken des Euro-Raums zurckzufhren ist und regionalen Charakter hat. Banken in Asien und anderen Lndern haben die Lcke gefllt, und die Integration dort hat nicht nachgelassen. Zudem bersteigt der Wertpapierabsatz inzwischen die Bankkreditvergabe, im Einklang mit dem Aufstieg von institutionellen Anlegern und Kapitalanlagegesellschaften.

    Aus wirtschaftspolitischer Sicht sind die Grnde fr die Verlangsamung der Globalisierung von Bedeutung. Die Verlangsamung wre weniger ein Thema, wenn sie lediglich zyklische Faktoren und freie wirtschaftliche Entscheidungen wider-spiegeln wrde und ein Groteil des Rckgangs bei den Handels- und Finanz-beziehungen scheint tatschlich auf diese beiden Ursachen zurckzugehen. Die Verlangsamung wre dagegen mehr Anlass zur Sorge, wenn sie Ausdruck von wirtschaftsnationalen Tendenzen wre. Sowohl beim Handel als auch im Finanz-geschft scheint eine solche Entwicklung eingesetzt zu haben, wenn man die zunehmenden Manahmen zur Handelsbeschrnkung und zur Abschirmung des Finanzsektors als Mastab nimmt. Natrlich mgen einige dieser Manahmen durch-aus gerechtfertigt sein, doch sie knnten Vorboten einer allgemeineren und schdlicheren Gegenreaktion auf die Globalisierung sein.

    Formelle statistische Daten, Beobachtungswerte und pure Logik deuten darauf hin, dass die Globalisierung bei der Sttzung des Weltwirtschaftswachstums und der Verbesserung des Lebensstandards eine wichtige Rolle gespielt hat. Sie hat dazu beigetragen, groen Teilen der Weltbevlkerung aus der Armut zu helfen und die Ungleichheit zwischen den einzelnen Lndern zu verringern. Es ist schlicht undenkbar, dass die aufstrebenden Volkswirtschaften so stark htten wachsen knnen, wren sie nicht in die Weltwirtschaft integriert worden. Grundstzlich sorgt Integration fr die Verbreitung von Know-how, sie frdert die Spezialisierung und verlagert die Produk-tion dorthin, wo die Kosten niedriger sind. Sie entspricht dem, was die Volkswirte eine Reihe von positiven Angebotsschocks nennen wrden, die ihrerseits die Nachfrage ankurbeln.

    Bekanntlich bringt die Globalisierung aber auch Probleme mit sich. Erstens knnen die Vorteile ungleichmig verteilt sein, vor allem, wenn die Volkswirtschaften nicht anpassungswillig oder -fhig sind. Der Handel verdrngt Arbeitskrfte und Kapital in jenen Wirtschaftssektoren, die dem internationalen Wettbewerb strker ausgesetzt sind. Und er erhht womglich die Einkommensungleichheit in gewissen Lndern. Die Liberalisierung des Handels mit Lndern, die ber ein reichliches Angebot an billigen Arbeitskrften verfgen, setzt die Lhne in Lndern mit knappe-rem und teurerem Arbeitskrfteangebot unter Druck. Sie kann somit dazu fhren, dass die Preissetzungsmacht des Faktors Arbeit abnimmt, die Einkommensverteilung

  • BIZ 87. Jahresbericht 19

    sich zugunsten des Kapitals verschiebt und die Schere zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskrften sich ffnet. Eine zweite Herausforderung sind die hheren finanziellen Risiken, die entstehen knnen, wenn der Kapitalverkehr ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen liberalisiert wird.

    Die Auswirkungen der Globalisierung auf die Arbeitsmrkte und die Einkom-mensverteilung werden durch empirische Daten besttigt, aber auch relativiert (Kapitel VI). Jobs fr Geringqualifizierte verlagerten sich in Niedrigkostenlnder, und groe Industriezweige in weniger konkurrenzfhigen Lndern verloren an Bedeutung. Und obwohl Studien den Einfluss der Globalisierung auf die Einkommensungleichheit belegen, kamen sie im Allgemeinen zu dem Schluss, dass der technologische Fortschritt weit bedeutsamer war: Es sind hnliche Mechanismen im Spiel, die sich natrlich gegenseitig beeinflussen, doch der verbreitete Einsatz von Technologien in allen Bereichen der Wirtschaft hat dafr gesorgt, dass ihr Einfluss viel durchdringen-der ist.

    Inzwischen wird auch weithin anerkannt, dass eine Liberalisierung des Finanz-systems finanzielle Instabilitt mit sich bringen kann. Und unabhngig davon, ob die Liberalisierung auf nationaler Ebene oder im Rahmen der Globalisierung stattfindet: Ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen kann sie die Auf- und Abschwnge des Finanzzyklus verstrken die sog. Prozyklizitt des Finanzsystems. Im 85. BIZ-Jahres-bericht wurde diesem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet, in dem die Schwachstellen des internationalen Whrungs- und Finanzsystems untersucht wurden.3 Der freie Kapitalverkehr ber Grenzen und Whrungen hinweg kann ein berschieen des Wechselkurses verursachen, den Aufbau von Risiken intensivieren und finanzielle Anspannungen verstrken unter dem Strich also zu einem Anstieg der bermigen Elastizitt des Finanzsystems fhren. Die dominierende Rolle des US-Dollars als inter-nationale Leitwhrung trgt zu dieser Schwachstelle bei, da sich die Diskrepanz zwischen den Interessen des Ausgabelandes dieser Whrung und denjenigen der brigen Welt vergrert.4 Daraus erklrt sich der bermige Einfluss der US-Geld-politik auf die geldpolitischen und finanziellen Rahmenbedingungen weltweit.

    Diese Nebeneffekte der Globalisierung bedeuten nicht, dass sie rckgngig gemacht werden sollte. Vielmehr zeigen sie, dass die Globalisierung angemessen geregelt und gesteuert werden muss (siehe weiter unten). Eine Entglobalisierung htte schdliche kurz- und langfristige Folgen. Auf kurze Sicht wrde ein verstrkter Protektionismus die globale Nachfrage schwchen und die Nachhaltigkeit und Strke des Aufschwungs gefhrden: Der Handel wrde Schaden nehmen, und es bestnde die Gefahr eines Investitionsstopps und pltzlich ausbleibender auslndischer Direktinvestitionen. Auf lngere Sicht wren die durch die grere Offenheit erreich-ten Produktivittssteigerungen gefhrdet, und die Inflation knnte wieder-aufflammen. In geschlosseneren Volkswirtschaften, in denen mglicherweise finanzielle Repression herrscht, knnte die Versuchung zunehmen, die Schulden durch Inflation zu verringern, und Lohn-Preis-Spiralen knnten wieder wahrschein-licher werden. Dadurch knnte das Risiko einer Rckkehr zur Stagflation vergangener Jahre steigen.

    Wirtschaftspolitische Manahmen

    Was knnen die politischen Entscheidungstrger angesichts der mittelfristigen Risiken unternehmen, damit sich der aktuelle Aufschwung in nachhaltiges und robustes globales Wachstum kehrt? Im vergangenen Jahr hat sich ein breiter Konsens

  • 20 BIZ 87. Jahresbericht

    gebildet, dass eine Neuausrichtung des Manahmen-Mix erforderlich ist, der die Geldpolitik entlastet und mehr auf fiskalpolitische Manahmen und Strukturreformen setzt. Dennoch herrscht Uneinigkeit darber, welche Manahmen Prioritt haben sollten. Um zu entscheiden, welcher Weg verfolgt werden muss, sollte man einen Schritt zurckzutreten und den Fokus auf einige grundlegende Fragen im Zusammenhang mit dem derzeitigen analytischen Rahmen richten.

    Ein Groteil der gegenwrtigen wirtschaftspolitischen Debatte grndet auf zwei Annahmen. Erstens wird davon ausgegangen, dass die politischen Entscheidungs-trger in der Lage sind, eine Feinsteuerung der Wirtschaft vorzunehmen, indem sie Hebel in Gang setzen, die die Gesamtnachfrage, die Produktion und die Inflation auf magebliche und berechenbare Weise beeinflussen. Die zweite Annahme ist, dass zwischen dem kurzfristigen Ziel der Erhaltung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und dem langfristigen Ziel der Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Angebots eine klare Trennlinie existiert.

    Whrend beiden Annahmen etwas Wahres anhaftet, ist die Wirklichkeit weit viel-schichtiger. Die Geschichte hat wiederholt gezeigt, dass die Fhigkeit der politischen Entscheidungstrger, die Wirtschaft zu steuern, allzu leicht berschtzt wird. Zudem beeinflussen sich Gesamtnachfrage und Gesamtangebot gegenseitig, sodass sich die kurz- und langfristigen Ziele berlagern.

    Die Erfahrungen nach der Krise sind ein ernchterndes Beispiel fr diese Viel-schichtigkeit. Es erwies sich ungeachtet der beispiellosen Manahmen als weit schwieriger als erwartet, das Wachstum und die Inflation anzukurbeln. Und die Rezession selbst eine Hinterlassenschaft des vorausgegangenen nicht tragfhigen Finanzbooms scheint tiefe Spuren hinterlassen zu haben: enorme Produktions-einbuen und ein dauerhaft niedrigeres Produktivittswachstum.

    Diese Erfahrungen unterstreichen die Notwendigkeit, die Wirtschaftspolitik in einem langfristigen Zusammenhang zu beurteilen. Manahmen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ergriffen wurden, haben lang anhaltende Auswirkungen, ob sie nun auf die Nachfrage oder das Angebot abzielen. Und indem sie beispielsweise die Schuldenstnde oder den Handlungsspielraum beeinflussen, gestalten sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit, die die politischen Entscheidungstrger als gegeben oder exogen betrachten, wenn die Zukunft zur Gegenwart wird.5 Wenn diese Auswirkungen nicht angemessen bercksichtigt werden, kann sich das Spektrum mglicher Manahmen im Laufe der Zeit betrchtlich verringern. Dies scheint in den vergangenen zehn Jahren der Fall gewesen zu sein.

    Aus dieser Perspektive betrachtet, scheint es nicht angezeigt, eine Feinsteuerung der Wirtschaft anzustreben. Vielversprechender wre es, die aktuell gnstige Lage zu nutzen, um die Widerstandsfhigkeit der Wirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene zu strken. Mit dem Ziel der Widerstandsfhigkeit vor Augen liee sich die Falle vermeiden, den politischen Entscheidungstrgern eine zu groe Einflussnahme auf die Wirtschaft zuzutrauen. Und der Blick verschbe sich hin zu einem lnger-fristigen Zeithorizont, der so wichtig ist, um die Wirtschaftspolitik im angemessenen zeitlichen Kontext zu betrachten.

    Widerstandsfhigkeit bedeutet in ihrer allgemeinen Definition nicht nur die Fhigkeit, unvorhergesehene Entwicklungen oder Schocks zu verkraften. Es bedeutet auch, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass es berhaupt zu einem Schock kommt, indem die wirtschaftspolitische Unsicherheit und der Aufbau von Schwach-stellen, beispielsweise aufgrund von finanziellen Ungleichgewichten, begrenzt werden.6 Und es bedeutet, die Anpassungsfhigkeit der Wirtschaft an langfristige

  • BIZ 87. Jahresbericht 21

    Trends zu erhhen Trends im Zusammenhang mit der Alterung der Bevlkerung, der Verlangsamung der Produktivitt, dem technologischen Wandel oder der Globa-lisierung. Im Folgenden wird diskutiert, wie die Strkung der Widerstandsfhigkeit dazu beitragen kann, die derzeitigen nationalen und globalen Herausforderungen zu meistern

    Strkung der Widerstandsfhigkeit: nationale Herausforderungen

    Die Strkung der Widerstandsfhigkeit auf nationaler Ebene ist eine vielschichtige Herausforderung. Betrachten wir der Reihe nach die geld-, fiskal- und struktur-politischen Manahmen sowie ihre Rolle beim Bestreben, den Finanzzyklus besser in den Griff zu bekommen.

    Es ist inzwischen weitgehend unbestritten, dass der Geldpolitik viel zu lange zu viel aufgebrdet wurde. Sie ist zur einzigen Option geworden. Dabei haben sich die Zentralbankbilanzen aufgeblht, die Leitzinsstze sind seit Langem extrem niedrig, und die Zentralbanken haben ihren unmittelbaren Einfluss weiter entlang der Renditenstrukturkurve von Staatsanleihen und auf andere Anlageklassen wie Schuld-titel des privaten Sektors und sogar Aktien ausgeweitet.

    Zur Strkung der Widerstandsfhigkeit wre eine Ausweitung des geldpoliti-schen Handlungsspielraums besonders wichtig, um fr die nchste Rezession besser gewappnet zu sein. Dies wiederum wrde bedeuten, dass die aktuell gnstige Lage der Wirtschaft zu nutzen wre, um die Normalisierung mit Beharrlichkeit zu verfolgen, soweit es die inlndischen Umstnde erlauben. Letzteres ist eine wichtige Relativie-rung, denn lnderspezifische Faktoren sowohl die wirtschaftliche Situation als auch der geldpolitische Handlungsrahmen bestimmen, inwieweit eine Normalisierung mglich ist. Dies ist je nach Land sehr unterschiedlich. Dennoch knnte die allgemeine Handlungsstrategie fr alle gelten.

    Eine Normalisierung stellt die Zentralbanken vor enorme Herausforderungen (Kapitel IV). Viele davon ergeben sich aufgrund der Ausgangslage: den beispiellosen geldpolitischen Bedingungen, die seit der Krise vorherrschen. Da sich die Mrkte an die sttzende Hand der Zentralbanken gewhnt haben, sind die Schuldenstnde weltweit weiter gestiegen; zudem erscheint die Bewertung einer Vielzahl von Vermgenswerten hoch und von weiterhin sehr niedrigen Zinsstzen und Anleihe-renditen abhngig (Kapitel II). Einerseits verleitet eine hhere Unsicherheit die Zentralbanken natrlich dazu, die Zinsen in sehr kleinen Schritten anzuheben und bei ihren Bilanzen noch vorsichtiger vorzugehen, wobei sie Vernderungen sorgfltig ankndigen. Andererseits bremst genau dieses graduelle Vorgehen die Ausweitung des Handlungsspielraums. Und es knnte auch zu hherer Risikobernahme fhren und ein Umfeld hervorbringen, das einen reibungslosen Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik erschwert. Die Gefahr, dass es zu einer abrupten Aufwrtskorrektur beispielsweise bei den Anleiherenditen kommt, ist gro.7 Die mglichen weltweiten Spillover-Effekte nationaler Manahmen, vor allem im Falle des US-Dollars, verschr-fen die Zielkonflikte noch.

    Der Weg wird also holprig sein. Die Zentralbanken werden entsprechend den sich ndernden Rahmenbedingungen gangbare Wege auskundschaften, und so wird die Normalisierung wohl nicht linear verlaufen, sondern mit Anlaufschwierigkeiten und Rckschlgen. Aber es ist wichtig, dass die Finanzmrkte und die Wirtschaft ganz allgemein ihre ungewohnte Abhngigkeit von den beispiellosen geldpolitischen Manahmen berwinden.

  • 22 BIZ 87. Jahresbericht

    Die Strkung der Widerstandsfhigkeit durch fiskalpolitische Manahmen hat zwei Dimensionen. Erstens mssen fr den Einsatz jeglichen verfgbaren fiskal-politischen Spielraums Prioritten festgelegt werden. Verschiedene Manahmen-bereiche sind denkbar: Beispielsweise sollten wachstumsfreundliche Struktur-reformen prioritr gefrdert werden (siehe weiter unten). Zudem sollte die Akzeptanz der Globalisierung erhht werden, indem ihre negativen Auswirkungen eingedmmt werden. In dieser Hinsicht scheinen generelle Anstze geeigneter als konkret auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtete Anstze, denn die einzelnen Unternehmen und Privatpersonen drften schwer auszumachen sein. Grundstzlich gilt es, Menschen zu retten, nicht Arbeitsstellen, und entsprechend mssen Umschulung und flexible Ressourcenallokation gefrdert werden. Nicht zuletzt hat auch die staatliche Unter-sttzung von Bilanzsanierungen Prioritt, wenn die privaten Quellen ausgeschpft sind. Die Lsung des Problems notleidender Kredite ist allesentscheidend, um die Finanzierung produktiver Investitionen anzukurbeln (Kapitel V). Was zum jetzigen Zeitpunkt unklug wre: dort, wo die Wirtschaft den Punkt der Vollbeschftigung fast erreicht hat, einfach auf schuldenfinanzierte Staatsausgaben zu setzen. Dies schliet eine Vereinfachung der Steuersysteme oder umsichtige und gut geplante ffentliche Investitionen nicht aus. Doch wie immer kommt es auf die Umsetzung an. Die Erfah-rung zeigt, dass sie keineswegs einfach ist.

    Die zweite Dimension der fiskalpolitischen Manahmen betrifft die Ausweitung des Handlungsspielraums im Zeitverlauf. Voraussetzung ist hier eine vorsichtige Einschtzung dieses Spielraums. Wie im letztjhrigen Jahresbericht ausfhrlich dargelegt, mssen die gegenwrtigen Schtzmethoden eine Reihe von Faktoren einbeziehen, die oft nicht voll bercksichtigt oder sogar ausgeklammert werden: die Notwendigkeit eines Puffers fr potenzielle Finanzrisiken, eine realistische Antwort der Finanzmrkte auf hhere Lnderrisiken und die Belastung durch die Bevlke-rungsalterung. Zu bercksichtigen ist auch die Wirkung, die die Verknpfung der Gefahr eines pltzlichen Renditeanstiegs mit den grovolumigen Anleiheankufen durch Zentralbanken auf die Zinsreagibilitt von Haushaltsdefiziten haben kann (Kapitel IV). Allgemeiner betrachtet knnte eine vorsichtige Einschtzung des fiskal-politischen Handlungsspielraums als Richtschnur fr die erforderliche mittelfristige Konsolidierung der ffentlichen Finanzen dienen.

    Die Strkung der Widerstandsfhigkeit durch strukturpolitische Manahmen ist von entscheidender Bedeutung. Es sind die einzigen Manahmen, die tatschlich fr eine Anhebung des langfristigen Wachstumspotenzials sorgen und ein fr lang-fristige Investitionen frderliches Umfeld schaffen knnen. Leider hat sich die Umsetzung solcher Manahmen keineswegs beschleunigt, sondern im Gegenteil noch verzgert. Und dies, obwohl empirische Daten zeigen, dass viele Manahmen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht einmal kurzfristig beeintrchtigen womit eine verbreitete Annahme widerlegt wird.8 Die politischen Kosten von Struktur-reformen bersteigen offensichtlich die wirtschaftlichen Kosten. Wie bei der Globalisierung ist es auch hier die Konzentration der Kosten auf bestimmte Gruppen, die den Ausschlag geben.

    Die erforderlichen Strukturreformen sind weitgehend lnderspezifisch. Ihr gemeinsamer Nenner besteht in der Frderung unternehmerischen Handelns und der raschen Nutzung von Innovationen, whrend es rein auf Gewinne ausgerichtetes Verhalten einzudmmen gilt. Ein weiterer Aspekt, der vielfach unterschtzt wurde und erst langsam Beachtung findet, ist, dass die Ressourcenallokation flexibel gestaltet werden sollte, weil strukturelle Rigiditten die Fhigkeit der Wirtschaft, Schocks zu verkraften, und das Produktivittswachstum beeintrchtigen knnen. Manahmen in diese Richtung wrden auch erheblich dazu beitragen, die negativen Auswirkungen

  • BIZ 87. Jahresbericht 23

    der Globalisierung einzudmmen. Besonders besorgniserregend ist der hohe Anteil von Unternehmen, die ungeachtet historisch niedriger Zinsstze nicht in der Lage sind, ihre Zinslast mit Gewinnen zu kompensieren, die sog. Zombiefirmen (Kapitel III). Dies weist auf erhebliche Hindernisse fr Bemhungen hin, die Ressourcen einem produktiveren Einsatz zuzufhren.

    Auf mittlere Sicht wre es wichtig, dass die geld-, fiskal- und strukturpolitischen Manahmen Teil einer Neuausrichtung der politischen Handlungsrahmen wren mit dem Ziel, eine magebliche Quelle fr Schwachstellen den Finanzzyklus besser in den Griff zu bekommen. Dass dies bisher nicht gelungen ist, ist tatschlich einer der Hauptgrnde fr die unerfreuliche Entwicklung der Weltwirtschaft und den begrenz-ten wirtschaftspolitischen Spielraum.9 Und wie in frheren BIZ-Jahresberichten ausfhrlich errtert, wre es unklug, zur Eindmmung von finanziellen Auf- und Abschwngen ausschlielich auf Aufsichtspolitik oder gar nur auf makroprudenzielle Manahmen zu setzen.10 Die jngsten Erfahrungen in den aufstrebenden Volkswirt-schaften, wo diese Manahmen in hohem Mae eingesetzt werden, besttigen, dass sie allein den Aufbau von Ungleichgewichten nicht verhindern knnen.

    Um den Finanzzyklus besser in den Griff zu bekommen, wren symmetrischere Manahmen erforderlich. Wenn Finanzbooms nicht eingedmmt werden, die Geld-politik aber in der Abschwungphase jeweils energisch und ber lngere Zeit gelockert wird, knnte dies langfristig zu einer Serie von schwerwiegenden finanziellen Anspan-nungen, einem fortschreitenden Verlust von Handlungsoptionen und einer Schulden-falle fhren. Bei der Schuldenfalle beispielsweise wrden die Zinsstze sinken und die Schulden weiter steigen, wodurch es irgendwann schwierig wrde, die Zinsen anzu-heben, ohne der Wirtschaft Schaden zuzufgen (Grafik I.6). Von dieser Warte aus betrachtet, gibt es derzeit besorgniserregende Entwicklungen: Die Geldpolitik stt an ihre Grenzen, die Haushaltslage erscheint in einigen Volkswirtschaften nicht tragfhig, insbesondere angesichts der Belastung durch die Bevlkerungsalterung, und der Anstieg der globalen Schuldenquoten setzt sich weiter fort.

    Zinsstze sinken, whrend die Verschuldung rasant steigt Grafik I.6

    Prozent % des BIP

    1 Ab 1998: einfacher Durchschnitt von FR, GB und US; davor nur GB. 2 Nominaler Leitzinssatz abzglich Verbraucherpreisinflation. 3 Gewichteter Durchschnitt der G7-Volkswirtschaften sowie CN auf der Basis des BIP und der Kaufkraftparitten (jeweils rollierend).

    Quellen: IWF, World Economic Outlook; OECD, Economic Outlook; Angaben der einzelnen Lnder; Berechnungen der BIZ.

    4

    2

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    2

    4

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    175

    15020162013201020072004200119981995199219891986

    Renditen langfristiger indexierter Anleihen1

    Realer Leitzins2, 3LS: Globale Verschuldung (ffentlicher und

    privater Nichtfinanzsektor)3RS:

  • 24 BIZ 87. Jahresbericht

    Strkung der Widerstandsfhigkeit: globale Herausforderungen

    Zwar kann die nationale Wirtschaftspolitik vieles tun, um die Widerstandsfhigkeit zu strken, doch bestimmte Herausforderungen erfordern ein globales Vorgehen. Ziel ist die Erarbeitung eines klaren und konsistenten multilateralen Rahmenkonzepts die Festlegung von Spielregeln also , damit entsprechende Manahmen entweder auf nationaler Ebene oder gemeinsam auf internationaler Ebene ergriffen werden. Natrlich wrden sich diese Spielregeln je nach Anwendungsgebiet in Bezug auf ihren Konkretisierungs- und Verbindlichkeitsgrad unterscheiden und von allgemeinen Grundstzen bis hin zu gemeinsamen Standards reichen. Im Folgenden werden fnf Schlsselbereiche fr die Festlegung solcher Spielregeln vorgestellt: Aufsichts-standards, Krisenmanagement, Handel, Besteuerung und Geldpolitik.

    Eine erste Prioritt ist der Abschluss der begonnenen Finanzaufsichtsreformen (Kapitel V und VI). Ein Minimum an gemeinsamen Mindeststandards im Finanzbereich ist eine Grundvoraussetzung fr globale Widerstandsfhigkeit in einer integrierten Finanzwelt. Auf diese Weise lsst sich ein gefhrlicher Wettlauf vermeiden, bei dem die Standards immer weiter gesenkt werden. Die angestoenen Reformen sind nicht perfekt, doch dies ist nicht der Zeitpunkt fr eine Schwchung der Sicherheitsvorkeh-rungen oder fr die Schaffung zustzlicher Unsicherheitsfaktoren, die die notwendi-gen Anpassungen der Finanzbranche behindern wrden (Kapitel V).

    Unter den Reformen ist eine Einigung ber Mindestanforderungen an das Eigen-kapital und die Liquiditt Basel III besonders wichtig angesichts der Rolle, die Banken im Finanzsystem spielen. Es gilt, eine Einigung zu erzielen, ohne dass dabei die Standards verwssert werden in dem falschen Glauben, dass dadurch das Wirt-schaftswachstum gestrkt wrde. Es gibt zahlreiche empirische Belege dafr, dass strkere Finanzinstitute mehr Kredit vergeben und die Wirtschaft in schwierigen Zeiten besser untersttzen knnen.11 Solide internationale Vereinbarungen, die durch zustzliche Manahmen auf nationaler Ebene untersttzt und mit wirksamen makroprudenziellen Handlungsrahmen kombiniert werden, wrden es auch weniger reizvoll erscheinen lassen, die finanzielle Integration rckgngig zu machen.

    Eine zweite Prioritt ist die Sicherstellung angemessener Mechanismen fr das Krisenmanagement. Ungeachtet der Qualitt der Prventivmanahmen lassen sich finanzielle Anspannungen auf internationaler Ebene ja nicht ausschlieen. Ein kriti-sches Element ist dabei die Fhigkeit, Liquiditt bereitzustellen, damit sich die Anspannungen nicht ausbreiten. Und diese Liquiditt kann nur in einer inter-nationalen Leitwhrung denominiert sein, allen voran dem US-Dollar mit seiner fhrenden Rolle (Kapitel V und VI). Dazu mssten zumindest die nach der Krise eingerichteten Swapkreditlinien unter Zentralbanken weiterhin bei Bedarf aktiviert werden knnen.

    Als dritte Prioritt ist sicherzustellen, dass der Freihandel nicht protektionisti-schen Tendenzen zum Opfer fllt. Die Liberalisierung des Handels, der auf multilateralen Organisationen grndet und von ihnen untersttzt wird, hat sich in der Nachkriegszeit als ein Schlsselfaktor fr den wirtschaftlichen Erfolg erwiesen. Auch hier ist keineswegs alles perfekt. Bekanntlich sind beispielsweise die Welthandels-runden der Welthandelsorganisation zum Stillstand gekommen, und die Streitbei-legungsinstanz der Organisation ist berlastet. Dennoch wre es falsch, den Multila-teralismus aufzugeben die Gefahr, dass alles auf ein Wie du mir, so ich dir" zwischen den einzelnen Lndern hinauslaufen wrde, ist schlicht zu gro. Zwar stellt uns der Freihandel vor betrchtliche Herausforderungen, doch ihn aufzugeben wre ebenso waghalsig, wie technologische Innovationen rckgngig zu machen.

  • BIZ 87. Jahresbericht 25

    Ergnzend dazu sind als vierte Prioritt die Bemhungen um einheitlichere Spiel-regeln in der Besteuerung zu nennen. Steuer-Arbitrage zwischen den einzelnen Lndern ist ein Faktor, der fr viel Kritik an der Globalisierung gesorgt und zur Einkommens- und Vermgensungleichheit innerhalb der einzelnen Lnder beige-tragen hat, nicht zuletzt weil es dadurch zu einer Art Wettlauf um die tiefsten Unter-nehmenssteuern gekommen ist. Unter der Fhrung der G20 sind mehrere Vorste gemacht worden. Doch hier knnte noch mehr getan werden.

    Die fnfte Prioritt betrifft den Spielraum fr eine strkere geldpolitische Zusam-menarbeit, der weiter ausgelotet werden sollte. Wie in frheren BIZ-Jahresberichten ausfhrlich errtert, ist sie deshalb wnschenswert, weil die Spillover-Effekte von Lndern mit einer internationalen Leitwhrung betrchtlich sind, die Isolierwirkung von Wechselkursen gegenber externen Entwicklungen aber begrenzt ist. Die Zusammenarbeit wrde helfen, den destabilisierenden Auf- und Abbau von finan-ziellen Ungleichgewichten einzudmmen. Zu den Optionen gehren, mit steigendem Schwierigkeitsgrad: ein aufgeklrtes Eigeninteresse, gemeinsame Entscheidungen zur Verhinderung des Aufbaus von Schwachstellen und die Festlegung neuer Spielregeln, die fr mehr Disziplin bei den nationalen Manahmen sorgen wrden. Die Bedingun-gen fr eine engere Zusammenarbeit sind derzeit noch nicht erfllt, doch auf dem Weg dorthin ist ein vertiefter Dialog unabdingbar, um grere Einigkeit ber die Diagnose und die Heilmittel zu erzielen.

    Die zu ergreifenden Manahmen haben einen gemeinsamen roten Faden. Sie anerkennen, dass die Globalisierung genau wie der technologische Fortschritt eine unschtzbare gemeinsame Ressource darstellt, die enorme Chancen bietet. Nun gilt es sicherzustellen, dass sie auch als Ressource wahrgenommen wird, nicht als Hinder-nis, und dass ihre Chancen genutzt werden. Es ist gefhrlich, wenn Regierungen die Globalisierung zum Sndenbock fr die Unzulnglichkeiten ihrer eigenen Ma-nahmen machen. Nicht minder gefhrlich aber ist es, die Kosten der Anpassungen, die die Globalisierung mit sich bringt, nicht anzuerkennen. Zudem kann die Globali-sierung nicht allein auf nationaler Ebene gesteuert werden. Dazu sind robuste multilaterale Regeln notwendig. Fr dauerhaften Wohlstand auf der ganzen Welt gibt es keinen anderen Weg als das zuweilen ermdende und frustrierende Geben und Nehmen einer engen internationalen Zusammenarbeit.

  • 26 BIZ 87. Jahresbericht

    Funoten

    1 Siehe Kapitel I im 86. BIZ-Jahresbericht.

    2 Fr eine Erluterung dieses Angstbarometers als Alternative zum vielbeachteten VIX-Index siehe H. S. Shin The bank/capital markets nexus goes global, Vorlesung an der London School of Economics and Political Science, 15. November 2016.

    3 Siehe Kapitel V im 85. BIZ-Jahresbericht.

    4 Fr eine Errterung der Rolle des US-Dollars im Finanzsystem siehe C. Borio. More pluralism, more stability?, Vortrag bei der siebten gemeinsam von der Schweizerischen Nationalbank und dem Internationalen Whrungsfonds veranstalteten und hochrangig besetzten Konferenz zum Thema International Monetary System, Zrich, 10. Mai 2016.

    5 Siehe Kapitel I im 86. BIZ-Jahresbericht.

    6 Siehe Economic resilience: a financial perspective, BIZ-Notiz an die G20 am 7. November 2016.

    7 Fr die Beschreibung und Analyse eines der zugrundeliegenden Mechanismen siehe D. Domanski, H. S. Shin und V. Sushko, The hunt for duration: not waving but drowning?, BIS Working Papers, Nr. 519, Oktober 2015.

    8 Fr eine detaillierte Analyse der empirischen Daten siehe R. Bouis, O. Causa, L. Demmou, R. Duval und A. Zdzienicka, The short-term effects of structural reforms: an empirical analysis, OECD Economics Department Working Papers, Nr. 949, Mrz 2012.

    9 Siehe C. Borio, Secular stagnation or financial cycle drag?, Ansprache anlsslich der 33. Economic Policy Conference der National Association for Business Economics, Washington D.C., 5.-7. Mrz 2017. Siehe auch Kapitel I im 84., 85. und 86. Jahresbericht.

    10 Fr eine Errterung eines solchen makrofinanziellen Stabilittskonzepts siehe Kapitel I im 84. und 85. BIZ-Jahresbericht.

    11 Siehe Kapitel V im 86. BIZ-Jahresbericht.

    http://www.bis.org/publ/arpdf/ar2016_5_de.htmhttp://www.bis.org/publ/arpdf/ar2015_1_de.pdfhttp://www.bis.org/publ/arpdf/ar2014_1_de.pdfhttp://www.bis.org/publ/arpdf/ar2016_1_de.htmhttp://www.bis.org/publ/arpdf/ar2015_1_de.htmhttp://www.bis.org/publ/arpdf/ar2014_1_de.htmhttp://www.bis.org/speeches/sp170307.htmhttp://www.bis.org/publ/work519.pdfhttp://www.bis.org/publ/work519.pdfhttp://www.bis.org/publ/arpdf/ar2016_1_de.htmhttp://www.bis.org/speeches/sp160510.htmhttp://www.bis.org/speeches/sp160510.htmhttp://www.bis.org/publ/arpdf/ar2015_5_de.htmhttp://www.bis.org/speeches/sp161115.htmhttp://www.bis.org/publ/arpdf/ar2016_1_de.htm

  • BIZ 87. Jahresbericht 27

    II. Politische Schocks sorgen fr eine Neuorientierung der Mrkte

    In der zweiten Jahreshlfte 2016 und im ersten Halbjahr 2017 waren die Finanzmrkte mit einem sich wandelnden politischen Umfeld konfrontiert, whrend sich die wirt-schaftlichen Bedingungen verbesserten. Im Jahr 2016 berraschten mehrere poli-tische Ereignisse die Mrkte, beispielsweise das Votum der Briten fr einen Austritt aus der Europischen Union (Brexit) im Juni, vor allem aber die US-Prsidentschafts-wahl im November. Fr die Marktteilnehmer galt es, sich schnell eine Meinung zum neuen politischen Kurs in puncto Handel, Besteuerung und Regulierung zu bilden und die Folgen fr voraussichtliche Gewinner und Verlierer einzuschtzen. Gleich-zeitig beschleunigten sich in den groen Volkswirtschaften sowohl das Wachstum als auch die Inflation, was den Aktien- und Kreditmrkten Untersttzung und den Anleiherenditen Auftrieb verlieh.

    Die Geldpolitik, die zuvor der bestimmende Faktor fr die Entwicklung der Mrkte gewesen war, rckte in den Hintergrund. Eine Folge davon war eine nderung der traditionellen Korrelations- und Risikomuster. Die sich abwechselnden Phasen all-gemeiner Risikofreude bzw. Risikoscheu fanden ein Ende, und die Anleger gingen in Bezug auf Sektoren und Lnder wieder selektiver vor. Die Entwicklung der Anleihe-renditen verlief in den wichtigsten Volkswirtschaften uneinheitlich, was Auswirkungen auf die Devisenmrkte hatte. Gleichzeitig kam es zu einer Diskrepanz zwischen der wachsenden wirtschaftspolitischen Unsicherheit einerseits und der nachlassenden Finanzmarktvolatilitt andererseits. Bis Mitte Mrz 2017 deuteten einige Indikatoren allerdings darauf hin, dass das Bewusstsein ber mgliche massive Verluste an den Aktienmrkten zugenommen hatte.

    Mrkte passen sich einem neuen Umfeld an

    Die besseren Wachstumsaussichten trugen ab Mitte des Jahres 2016 dazu bei, dass in den wichtigsten fortgeschrittenen und aufstrebenden Volkswirtschaften die Aktienkurse stiegen und sich die Renditenaufschlge einengten (Grafik II.1 links und Mitte). Whrend das Wachstum Fahrt aufnahm, blieb die Volatilitt sehr verhalten (Grafik II.1 rechts), und zwar selbst mit zunehmende