6
§4. Lebesguesches Prämaß 17 Insbesondere gibt es für jede Menge ein Maß auf der Potenzmenge 9 ( ) derart, daß (A) = 0 genau für die abzählbaren Teilmengen A von gilt. 7. Sei ein endlicher Inhalt auf einem Ring dt. Man zeige, daß eine Pseudometrik auf ^ definiert, d.h. daß d„ alle Eigenschaften einer Metrik auf ^ mit einer eventuellen Ausnahme besitzt: aus (A, B) = 0 folgt nicht notwendig A = B. (Vgl. auch §15, Aufgabe 3.) § 4. Lebesguesches Prämaß Jetzt sei speziell der d-dimensionale Zahlenraum IR d (d = l, 2,...). Für je zwei Punkte a = (a l5 ..., a d ) und b = (jß l5 ..., ß d ) des (R d mit Koordinaten a;, ft schreiben wir a < b bzw. a<i b, wenn oCj < ft bzw. <Xj < ft für alle i = l,..., d gilt. Nach rechts halboffenes Intervall im IR d heiße jede Menge der Gestalt (4.1) [a,b[:={xelR d :a<x<ab}, wenn hierbei a und b Punkte des fR d mit a < b sind. Geometrisch handelt es sich um achsenparallele, „nach rechts hin offene" Parallelotope. Offenbar ist [a, b[ genau dann nicht leer, wenn ao b gilt; in diesem Falle bestimmt [a, b [ die Punkte a und b eindeutig. Für jedes solche Intervall [a, b [ nennen wir die reelle Zahl seinen d-dimensionalen Elementarinhalt. Er ist genau dann gleich Null, wenn [a, b[ = 0, wenn also nicht a<: b (wohl aber a < b) gilt. Mit J A soll fortan die Menge aller nach rechts halboffenen Intervalle im (R d , mit 3F A das System aller Vereinigungsmengen von je endlich vielen Mengen aus ,/ d bezeichnet werden. Die Elemente von 3F A sollen a-dimen- sionale Figuren genannt werden. Es ist ,/ d c ^" d . 4.1 Lemma. Für je zwei Intervalle I, J e ,/ d gilt I n J e J A und J\ I e ^ d . Jede Figur ist die Vereinigung endlich vieler, paarweise fremder Intervalle aus Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek Bielefeld Angemeldet Heruntergeladen am | 16.11.15 10:56

9783110871739.17

  • Upload
    alex

  • View
    212

  • Download
    0

Embed Size (px)

DESCRIPTION

a

Citation preview

§4. Lebesguesches Prämaß 17

Insbesondere gibt es für jede Menge ein Maß auf der Potenzmenge 9 ( ) derart,daß (A) = 0 genau für die abzählbaren Teilmengen A von gilt.7. Sei ein endlicher Inhalt auf einem Ring dt. Man zeige, daß

eine Pseudometrik auf ̂ definiert, d.h. daß d„ alle Eigenschaften einer Metrik auf^ mit einer eventuellen Ausnahme besitzt: aus (A, B) = 0 folgt nicht notwendigA = B. (Vgl. auch §15, Aufgabe 3.)

§ 4. Lebesguesches Prämaß

Jetzt sei speziell der d-dimensionale Zahlenraum IRd (d = l, 2,...). Für jezwei Punkte a = (a l 5 . . . , ad) und b = ( jß l 5 . . . , ßd) des (Rd mit Koordinatena;, ft schreiben wir a < b bzw. a<i b, wenn oCj < ft bzw. <Xj < ft für allei = l , . . . , d gilt. Nach rechts halboffenes Intervall im IRd heiße jede Mengeder Gestalt

(4.1) [a ,b[ :={xelR d :a<x<ab},

wenn hierbei a und b Punkte des fRd mit a < b sind. Geometrisch handelt essich um achsenparallele, „nach rechts hin offene" Parallelotope. Offenbarist [a, b[ genau dann nicht leer, wenn ao b gilt; in diesem Falle bestimmt[a, b [ die Punkte a und b eindeutig.

Für jedes solche Intervall [a, b [ nennen wir die reelle Zahl

seinen d-dimensionalen Elementarinhalt. Er ist genau dann gleich Null,wenn [a, b[ = 0, wenn also nicht a<: b (wohl aber a < b) gilt.

Mit JA soll fortan die Menge aller nach rechts halboffenen Intervalle im(Rd, mit 3FA das System aller Vereinigungsmengen von je endlich vielenMengen aus ,/d bezeichnet werden. Die Elemente von 3FA sollen a-dimen-sionale Figuren genannt werden. Es ist ,/d c ̂ "d.

4.1 Lemma. Für je zwei Intervalle I, J e ,/d gilt

I n J e JA und J\ I e ̂ d.

Jede Figur ist die Vereinigung endlich vieler, paarweise fremder Intervalle aus

Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek BielefeldAngemeldet

Heruntergeladen am | 16.11.15 10:56

18 Maßtheorie

Beweis. Sei I = [a, b[ und J = [a', b'[ mit a < b und a' < b'; die entspre-chenden Koordinaten dieser Punkte seien oq, ß{, aj, ß{. Bezeichnen wir dannmit e bzw. f denjenigen Punkt aus (Rd, dessen Koordinaten gleichmax (oCj, aj) bzw. min (ß-t, ßj) sind (i = l, . . . , d), so gilt I n J = [e, f [ im Falle < f und I n J = 0 andernfalls. Stets liegt somit I n J in Ja. Wegen J\ I= J\ (I n J) und I n J e ,/d kann also für den zweiten Teil der BehauptungI c J sowie 0 angenommen werden. Dann bestimmen I und J die Punk-te a, b, a', b' eindeutig, und es ist a' < a<i b < b'.

Man ersetze nun in [a, b [ mit a = (al5 . . . , ad) und b = (ßlt ...,ßd) aufalle möglichen Arten oCj durch aj und zugleich ß{ durch ̂ oder aber ̂ durchß{ und zugleich ß{ durch ß{, d.h. genauer: Man nehme für die Elemente ieiner jeden nicht leeren Teilmenge von (l, . . ., d} diese Ersetzungen vor.Auf diese Weise erhält man 3d — l paarweise fremde Intervalle aus ,/d mitJ\ I als Vereinigung. Also ist J\ I eine Figur, welche sich als Vereinigungendlich vieler paarweise fremder Mengen aus </d darstellen läßt. Daß diesfür jede Figur F = Ij u . . . u In e ̂ d mit I l5 . . . , In e ̂ d zutrifft, folgt nunso: Es ist

F=I1u(I2 \ I1)u(I3 \ I1uI2)u. . .u(In \ I iU. . .uIn_1)

Vereinigung von n paarweise fremden Mengen, von denen jede die GestaltI\ Jj u . . . u Jm besitzt, wobei I, J l9 . . . , Jm Intervalle aus JA sind. Also ge-nügt es zu zeigen, daß jede solche Menge die Vereinigung endlich vielerpaarweise fremder Intervalle aus </d ist. Dies aber folgt aus

I \J 1 u. . .uJ m = 0(1X1;),i = l

indem man jedes I\ J; als Vereinigung endlich vieler paarweise fremderIntervalle aus ./d schreibt und das distributive Gesetz sowie den ersten Teilder Behauptung anwendet. D

4.2 Satz. &* ist ein Ring in IRd.

Beweis. Nicht evident ist nur die Eigenschaft (1.10) eines Ringes, wonachmit je zwei Mengen F, G, € ̂ "d auch F\ G in J2rd liegt. Definitionsgemäßexistieren Intervalle 15 . . . , ^, /, . . . , I„ e yd mit

F= (J l i und G=i = l

Dann aber ist

Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek BielefeldAngemeldet

Heruntergeladen am | 16.11.15 10:56

§4. Lebesguesches Prämaß 19

und somit nur zu zeigen, daß jede der Mengen p) (I|\ Ij') eine Figur ist.j = i

Nach 4.1 ist Ij\ Ij' stets eine Figur. Somit genügt es zu zeigen, daß derDurchschnitt zweier und damit je endlich vieler Figuren wieder eineFigur ist. Sind aber F und G zwei Figuren mit obiger Darstellung, so istFnG nach dem Distributivgesetz die Vereinigung der Mengen IJnl·'(i = l, . . . , m; j = l, . . . , n), also erneut nach 4.1 eine Figur. D

Definitionsgemäß ist jede Figur die Vereinigung endlich vieler Intervalleaus JA. Für jeden Ring ̂ in IRd mit JAa@ gilt daher & c @. Der Satz 4.2besagt somit, daß 3? der von Ja in IRd erzeugte Ring ist.

Unsere geometrische Anschauung legt nun die Gültigkeit des folgendenSatzes nahe:

4.3 Satz. Es existiert genau ein Inhalt auf 3? derart, daß ( ) für jedesI e ./d gleich dem -dimensionalen Elementarinhalt von I ist. Dieser Inhalt istreellwertig.

Beweis. Nach 4.1 besitzt jede Figur Fe^d eine Darstellung F= It u . . . u In als Vereinigung endlich vieler paarweise fremder IntervalleI15 . . . , I„ e J?"d. Für jeden Inhalt auf &a ist dann

d. h. ist bereits eindeutig durch seine Werte auf J* festgelegt und reellwer-tig. Zu zeigen ist also nur die Existenz von . Hierzu definieren wir zu-nächst nur auf «/d: Für jedes I e </d sei A(I) der d-dimensionale Elementar-inhalt von I. Dann gilt:

(a) Sei I = [a, b [ e ̂ d, a = (alt . . . , ocd) und b = (ßit . . . , ßj mit a < bund eine reelle Zahl mit oq < < ß{ für ein i = l, . . . , d. Die Hyperebenemit der Gleichung = zerlegt I in zwei fremde Intervalle I j = [a', b[, I2= [a, b' [ e yd, wobei a' bzw. b' aus a bzw. b dadurch hervorgeht, daß mandie i-te Koordinate in y abwandelt. Aus (4.2) folgt dann ( ) = (1 )+ A(I2). - Durch vollständige Induktion ergibt sich:

(b) Zerlegt man ein I = [a, b [ € ./d mittels endlich vieler Hyperebenender in (a) beschriebenen Art in paarweise fremde Intervalle I l5 . . . , In e JA,so ist A(I) = A(I!) + . . . + A(In). - Allgemeiner gilt:

(c) Für je endlich viele, paarweise fremde I l5 ...,Ine,/d mitI0 := l! u . . . u In e Jfa ist A(I0) = A(Ij) + . . . + A(I„). Offenbar kann jedes L

Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek BielefeldAngemeldet

Heruntergeladen am | 16.11.15 10:56

20 Ma theorie

als nicht leer angenommen werden. Dann existieren Punkte aj= (ajl5 . . . , ajd) und bj = (0jl5 . . . , jd) aus (Rd mit EJ<I bj und Ij = [aj5 bj [,

j = 0, l , . . . , n. Durch Schneiden von I0 mit allen durch eine Gleichung derArt f j = oCjj bzw. f j = /Jji (i = l, . . . , d; j = l, . . . , n) definierten Hyperebe-nen zerf llt I0 in paarweise fremde Intervalle l'lt...,l'meSd. JedesI l5 . . . , I„ zerfallt in gewisse dieser Fl5 . . . , 1 .̂ Zieht man also (b) (n + l)-malheran, so folgt die behauptete Gleichheit.

(d) Sind nun

zwei Darstellungen einer Figur F e <Fd als Vereinigung paarweise fremderIntervalle, so ist

Es ist n mlich Ij = Ij n F = \J (L n Jj) eine Darstellung von L als Vereini-i = l

gung der paarweise fremden Intervalle I jnJ l 9 ..., IjnJm . Folglich giltnach (c):

t j) = Σ Λ. (Ij n Jj) (j = l, . . . , n).

Vertauscht man die Rollen von i und j, so erh lt man analog

Beide Gleichungen zusammen liefern(e) Somit ist f r jedes F ε tFd die Zahl Σ λ (Ij) unabh ngig von der spe-

ziellen DarstellungF-^υ.. .υΙ,,

von F als Vereinigung endlich vieler, paarweise fremder I l5 . . . , Ine ,/d.Durch die Festsetzung

wird also λ zu einer auf ̂ d definierten, reellen Funktion fortgesetzt, diewiederum mit λ bezeichnet werden soll. Diese Funktion ist > 0 und wegen(d) endlich-additiv. Da au erdem 0 e ,/d und A(0) = 0 ist, liegt ein Inhaltmit den gew nschten Eigenschaften vor. α

Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek BielefeldAngemeldet

Heruntergeladen am | 16.11.15 10:56

§4. Lebesguesches Pr ma 21

4.4 Satz. Der Inhalt λ auf &ά ist ein Pr ma .

Beweis. Wegen der Endlichkeit von λ gen gt es nach 3.2, die 0-Stetigkeitvon λ nachzuweisen. Sei also (Fn) eine antitone Folge von Figuren aus ̂ d.Wir zeigen, da aus der Annahme

0·.= lim A(Fn)= inf A(F n )>0folgt η"°° n e N

n Fn*0.n = l

Da Fn die Vereinigung endlich vieler paarweise fremder IntervalleI j , . . . , Ime«/d ist, kann durch naheliegendes Verkleinern der Koordina-ten der rechten Bestimmungspunkte dieser Intervalle eine Figur Gn ε ̂ d

gewonnen werden mit Gn ( = abgeschlossene H lle von Gn) c Fn und

Setzen wir Hn ·.= G^ n . . . n Gn, so ist (Hn) eine Folge von Mengen aus &d

mit Hn r> Hn + ! und Hn <= Gn c Fn. Wegen der Beschr nktheit von Fn istdann also (H„) eine Folge kompakter Teilmengen des IRd mitFn => Hn => Hn + ̂ Folglich (vgl. Franz [1973], Satz 23.2; Heuser [1981],Satz 1 57.6) ist f) Hn φ 0 und damit, wie behauptet, f) F„ φ 0, falls jedes Hnnicht leer ist. Dies aber kann wie folgt eingesehen werden: F r jedes n e ΓΝgilt

wie durch vollst ndige Induktion gezeigt werden soll. (*) ist f r n = l rich-tig, da H! = G! und ̂ (F^ - λ(Οι) < 2"1 δ gilt. Aus der Richtigkeit von(*) f r irgendein n folgt die Richtigkeit f r n + l . Hierzu beachtet man, dawegen Hn+1 = Gn+1 n Hn und somit nach (3.5)

A(Hn+1) = A(GB+1) + A(Hn) - A(Gn+1 u H J

gilt. Nach Induktionsannahme gilt Λ.(Ηη) > A(F„) -<5(1 -2~n); nachWahl von Gn+1 gilt A(Gn+1) > A(Fn+1) -2~η~1δ sowie G n + 1 u H n cFn+1 u Fn = Fn und somit A(Gn+1 u Hn) < A(Fn). Zusammengefa t er-gibt dies gerade

A(HB+1) >

Beachtet man noch, da λ(Ρη) > δ nach Definition von δ gilt, so liefert (*)

Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek BielefeldAngemeldet

Heruntergeladen am | 16.11.15 10:56

22 Maßtheorie

die Abschätzung A(Hn) > 2~"<5 > 0 und damit die noch fehlende AussageHn 0. D

4.5 Definition. Das auf dem Ring J*d der d-dimensionalen Figuren im [Rd

definierte Prämaß heißt Lebesguesches Prämaß im (Rd oder d-dimensiona-les Lebesguesches Prämaß. Es soll fortan mit bezeichnet werden.

Wir begegnen hier erstmals dem Namen des französischen Mathemati-kers H. LEBESGUE (1875-1941), dem Erfinder des heute nach ihm benann-ten Maß- und Integralbegriffs. Die Entwicklung der Maß- und Integra-tionstheorie wurde vor allem durch seine Untersuchungen und die seinesLandsmannes E. BOREL (1871-1956) ausgelöst. Zur Geschichte des Lebes-gueschen Integralbegriffs sei auf Dieudonne [1978] und Hawkins [1970]hingewiesen.

Aufgaben

1. Man zeige, daß auf '̂1 genau ein Inhalt existiert, welcher den nach rechtshalboffenen Intervallen [a, /?[, a, e (R, folgende Werte zuordnet:

f l , falls a < 0 < / ? ;<! P

(0, in allen anderen Fallen.Ist -additiv?2. Gegeben seien zwei Intervalle I0 und 3 e JA mit I0 <= J. Man beweise die Existenzvon k < 2d Intervallen I l 5 . . . , Ik e ./d mit den folgenden zwei Eigenschaften: (i) fürjedes = 0, l ..., k ist I0 u... u IK e J&\ (ii) J = I0 u... Ik. [Anleitung: VollständigeInduktion nach der Dimension d.]

§ 5. Fortsetzung eines Prämaßes zu einem Maß

Das Lebesguesche Prämaß ist kein Maß, da sein Definitionsbereich, derRing ̂ A der d-dimensionalen Figuren, keine -Algebra ist. Beispielsweiseliegt der Gesamtraum IRd nicht in ̂ d, da jede d-dimensionale Figur einebeschränkte Teilmenge von fRd ist.

Die zu Beginn von Kapitel I skizzierten elementargeometrischen Über-

Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek BielefeldAngemeldet

Heruntergeladen am | 16.11.15 10:56