Upload
others
View
2
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Seite 1 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018konstruktiv-kritischen sachorientierten
Agile Projektarbeit – Ressourcen und Belastungen
in selbstorganisierten Teams
Christian Wille & Matthias Lindner
ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit
Fachtagung Agiles Arbeiten und Gesundheit – Selbstausbeutung durch Selbstorganisation?
Bielefeld, 15.11.2018
Seite 2 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Warum interessieren wir uns für agiles Arbeiten?
Seite 3 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Problem Arbeitsintensität(nicht nur) in der IT Branche
Die Sonderauswertung des Index
Gute Arbeit 2016 zeigt für den
Dienstleistungssektor, dass die
Arbeitsintensität mit der Digitalisierung steigt.
Arbeitsmenge und Multitasking
nehmen zu.
Arbeitsbedingte psychische
Störungen kosten die Gesellschaft jährlich ca. 6,3 Mrd. € und
arbeitsbedingte psychische Belastungen ca. 30 Mrd. €, so ein
Gutachten von 2012.
Seite 4 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
… im Zeitverlauf
51%
57%
36%
56%
29%
37%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%
Abschalten können
nach Arbeit
Arbeit kann auf
Dauer
durchgehalten
werden
2001 2005 2009
Einschätzung durch Projektbeschäftigte in der IT-Wirtschaft 2001/2005/2009
Abb. nach
Gerlmaier/Latniak 2012;
Quelle: IAQ 2010,
Gerlmaier/Latniak 2007,
Gerlmaier/Kastner 2003
Seite 5 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Das Agile Manifest (2001)
Individuen und Interaktionen Prozesse und Werkzeuge
Funktionierende Software umfassende Dokumentation
mehr als
Zusammenarbeit mit dem Kunden Vertragsverhandlung
Reagieren auf Veränderung das Befolgen eines Plans
mehr als
„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:“
„Das heißt,
obwohl wir die
Werte auf der rechten Seite wichtig finden,
schätzen wir die Werte auf
der linken Seite
höher ein.“(Verfasser des
Manifests)
Seite 6 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Was heißt agiles Arbeiten? Agiles Manifest (2001), Bsp. Scrum
Drei agile Rollen …- Team- Scrum Master- Product Owner
…und vier zentrale Meetings- Daily- Planning- Review- Retrospektive
Seite 7 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Vom agilen Manifest zu Guter Arbeit?
Seite 8 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Agile Methoden und Gute Arbeit Der Mensch im Mittelpunkt
Wir zeigen bessere Wege auf, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen, es zu tun. Durch unsere Arbeit sind wir zu folgender Erkenntnis gekommen:
Menschen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge …Agiles Manifest, 2001
Gute Arbeit ist für uns untrennbar verbunden mit Respekt, Anerkennung, Wertschätzung und dem Recht auf Mitwirkung und Mitbestimmung.
Unsere Initiative Gute Arbeit greift die Interessen, Wünsche und Bedürfnisse der Menschen … auf.
Bundeskongress ver.di, 2007
Der Mensch hat ein Recht … auf Arbeitsbedingungen, die er auch als abhängig Beschäftigter mitgestalten kann. Ein Recht auf eine Arbeitsgestaltung, durch die seine Gesundheit und seine Persönlichkeit gefördert werden.
ver.di Grundsatzerklärung 2010
Seite 9 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Agile Methoden und Gute ArbeitSelbstorganisation
Ein zentrales Prinzip der agilen Methoden besagt:
The best architectures, requirements, and designs emerge from self-organizing teams.
Sich (selbst) zu organisieren, die Dinge in die Hand zu nehmen, sich zu beteiligen – das ist der Kern von Guter Arbeit, bes. mit dem Ziel, gute Arbeitsbedingungen, aber nicht zuletzt auch gute Arbeitsergebnisse zu erreichen.
So ergibt zwar die Index-Befragung, dass die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten in der IT-Branche höher sind als in der Gesamtwirtschaft, aber das gilt nicht bezüglich der Arbeitsmenge.
Die Arbeitsintensität nimmt zu und verschlechtert die Arbeitsqualität und die Innovationsfähigkeit (ver.di-Innovationsbarometer) sowie die Servicequalität.
Seite 10 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Agile Methoden und Gute ArbeitSustainable Pace
Agilität kommt nicht ohne entsprechende Arbeitsbedingungen aus!
Die Bewertungen der IT-ler bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen widersprechen ganz klar folgenden agilen Prinzipien:
Build projects around motivated individuals. Give them the environment and support theyneed, and trust them to get the job done.
Agile processes promote sustainable development. The sponsors, developers, and users shouldbe able to maintain a constant pace indefinitely.
Das Prinzip des sustainable pace (nachhaltiges Tempo) wird bei Beck (einem der Erstunterzeichner des agilen Manifests) in eine der zwölf Praktiken des Extreme Programming, die „40-hour week“, überführt.
„In Scrum sind regelmäßige Überstunden sowie Qualitätskompromisse inakzeptabel.“(Pichler 2008, S. 50)
Seite 11 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
ZielGute agile Projektarbeit unter Bedingungen der Digitalisierung (…) zu ermöglichen und mit praxistauglichen Modellen und Methoden zu unterstützen.
Idee für ein Forschungsprojekt:Gute agile Projektarbeit
Seite 12 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Bestandsaufnahme – Ergebnisse aus Interviews und einer Online-Befragung 2017
Als Instrument für die Online-Befragung diente der DGB Index Gute Arbeit sowie ein speziell entwickeltes Modul zu agilem Arbeiten und soziodemographische Fragen.
425 Beschäftigte haben an der Befragung teilgenommen.
Seite 13 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Kernaussagen – Ergebnisanalyse
der agil Arbeitenden bewerten ihre Arbeit in hohem, bzw. sehr hohem Maß produktiv hinsichtlich Leistung des Projektteams, Termintreue, Qualität der Lösung und des Kundenfeedbacks.84%
der agil Arbeitenden spiegeln wieder, dass agile Projektmethoden ihnen die Möglichkeit zu mehr selbstbestimmter Arbeit ermöglichen. 64%Die Befragung bestätigt die
Vielfalt an agilen, hybriden und herkömmlichen (nicht-
agilen) Arbeitsmethoden.Den DGB Index Gute Arbeit zugrunde
gelegt, sehen wir die als agil definierten Mit-arbeiter/innen bei den Kriterien „Gestaltungs-möglichkeiten“, „emotionale Anforderungen“
sowie „Beschäftigungssicherheit“ signifikant besser im Vergleich zu den nicht-agilen.
Beide Mitarbeitergruppen schätzen die
Arbeitsintensität aber als insgesamt sehr proble-matisch ein. Der ermittelte Wert des DGB Index liegt deutlich unter dem gesamtwirtschaftlichen
Benchmark im Bereich „schlechte Arbeit“.
Je weniger Agilität tatsächlich gelebt wird, desto geringer sind die Möglichkeiten, damit vorhandene Belastungen zu verringern. Oder anders herum gesagt: Je mehr agiles Arbeiten Freiräume, Verfügung über (zeitliche) Ressourcen ermöglicht, desto geringer sind die Belastungen der Projektmitarbeiter/innen.
Agile Prinzipien konsequent umsetzen und Rahmenbedingungen schaffen, um positive Effekte zu verstärken und Belastungen zu Begegnen.
Beschäftigte, die agile Methoden in hohem Maße anwenden, sind sensibler gegenüber mangelnden Ressourcen und störenden Einflüssen aus der Umwelt als solche, die zu
einem größeren Anteil noch „hybrid agil“ arbeiten. Die höhere Sensibilität der „echt agilen“ zeigt sich sowohl im Positiven (mehr Handlungsspielräume) als auch im Negativen (stärkere Arbeitsbelastung).
Seite 14 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Kernaussagen Arbeitsbelastung„Sustainable Pace“ noch nicht umgesetzt
• Eine hohe Belastung ist bei vielen Befragten zu spüren. Bei einer konsequenten Anwendung von agilen Grundsätzen und Methoden zeigt sich aber eine deutliche Verbesserung dieser Belastung (Vergleich „echt“ vs. „hybrid“ Agile).
• Arbeitsintensität: Störungen und Unterbrechungen
sowie Zeitdruck erzeugen bei der Mehrheit der
Befragten massive Belastungswirkungen.
• Die überwiegende Mehrzahl der befragten agil
Arbeitenden leistet Mehrarbeit. Mit deren Umfang
steigen die Belastungen an. Mehrarbeit ist oft
verbunden mit einer Ausdehnung der Arbeit in die
Abendstunden und häufigen Arbeitsunterbrechungen
und Störungen.
Seite 15 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Kernaussagen ArbeitsbelastungNeue Belastungen
• Agiles Arbeiten bedeutet die regelmäßige Produktion von Inkrementen bzw. verwertbaren
Arbeitsergebnissen. Für fast die Hälfte der agil Arbeitenden geht dies mit (eher) starken
Belastungssituationen einher.
• Die Transparenz der Arbeitsfortschritte wird vielfach als eine Kontrolle der eigenen Arbeitsleistung
wahrgenommen. Dies ist z.T. mit starken Belastungen verbunden.
• Aufgrund der hohen Arbeitsintensität müssen viele agil Arbeitende regelmäßig an die Grenze ihrer
Leistungsfähigkeit gehen. Die hohen Leistungsanforderungen werden meist nicht als motivierende
Herausforderung gesehen, sondern vielfach als (sehr) belastend. Gerade auch unter den zu einem
hohen Zeitanteil agil Arbeitenden finden sich viele, die „oft“ in ihrer arbeitsfreien Zeit nicht mehr
richtig abschalten können.
Seite 16 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Zentrales Ergebnis Online-Befragung und Interviews
Verfügung über zeitliche Ressourcen als zentraler Hebel:
Die Prinzipien agiler Projektarbeit sollen den Beschäftigten mehr Einfluss auf die Arbeitsplanung und die Verfügbarkeit der erforderlichen zeitlichen Ressourcen ermöglichen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten nicht ausreichend vorhanden sind.
Orientierung an einer Durchschnittsbelastung:
• „Wenn ich ein Release überplane oder noch kurzfristig Themen annehme, dann habe ich natürlich diese Spitzen. Und ansonsten kann ich das ja genauso ausplanen, dass ich auch auf meine ‚Durchschnittsbelastung‘ komme. (…) Man muss auch berücksichtigen, dass manches einfach ungewiss ist und nicht optimal läuft, dass muss man mit einplanen, dann passt das.“
• „Das Scrum-Team kann ja sagen: Nein, das schaffen wir nicht! Und dann kann er [der Vorgesetzte] zwar dicke Backen machen, aber so ist das halt, wenn es denn gelebte Kultur ist.“
Quelle: Experteninterviews 2017, ISF München e.V.
Seite 17 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Handlungsempfehlungen
Seite 18 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Erste Handlungsempfehlungen aus diGAP
• Verfügung des Teams über notwendige (zeitliche, personelle) Ressourcen und Einfluss auf Arbeitsmenge sicherstellen
• Gangbare Durchschnittsgeschwindigkeit entwickeln
1. Selbstorganisation stärken
• Schätzungen möglichst unter Beteiligung des gesamten Teams durchführen und verbindlich machen
• Autonomie des Teams beim Sprint („Schutzraum Sprint“) sicherstellen
• Reviews und Retrospektiven konsequent nutzen und Maßnahmen daraus umsetzen
2. Agile Methoden richtig und konsequent umsetzen
• Kalkulationsmodelle, Controlling und Reporting auf agile Arbeitsweise ausrichten
• Agile Rollendefinition klar kommunizieren und Schnittstellen zum nicht-agilen Umfeld erarbeiten
• Technische und räumliche Ausstattung am Bedarf agiler Teams ausrichten
3. Rahmenbedingungen und Organisationsformen für gute agile Projektarbeit schaffen
• Schwerpunkt auf Beratung im Pre- und After-Sales-Prozess und Gestaltung ‚agiler‘ Verträge
4. Zusammenarbeit und Verträge mit dem Kunden auf agiles Arbeiten ausrichten
5. Nachhaltige, zielgerichtete, zeit-und praxisnahe Qualifizierung aller Beteiligten zum Thema „agiles Arbeiten“ vorantreiben.
Mentoring und Coaching sind als wichtige Ergänzung auszubauen
6. Unterstützungspotenziale durch
betriebliche Regelung realisieren
7. „agiles Mindset“ (agile Werte) in
der Führung und Organisation wichtig
Seite 19 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Unterstützung durch betriebliche Regelungen
• Einer großen Mehrheit der Befragten ist
Unterstützung durch betriebliche Vereinbarungen
wichtig zu den Themen Beschäftigungssicherheit,
Arbeitsort/-zeit, Belastungen. Den größten
Anpassungsbedarf sehen sie bei Belastungen,
Qualifikation und Arbeitsmenge.
• Vorteile agilen Arbeitens für die Beschäftigten
absichern (nachhaltiges Tempo, Selbstorganisation,
v.a. Verfügung über zeitliche Ressourcen) und einen
Schutzschirm gegen die Risiken aufspannen – dazu
im Vorfeld Beschäftigte befragen, ggf. kreative
Methoden wie Design Thinking einsetzen usw.
Seite 20 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Eigenes Verständnis von agiler und von guter Arbeit entwickeln: Warum – wann – wie agil arbeiten?
MB-Rechte voll zur Geltung bringen –z.B. bei Versetzung,
Qualifizierung, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Persönlichkeitsrechten – und mit betrieblichen Regelungen für die (jeweilige) agile Vorgehensweise verzahnen, z.B. zu Belastungsschutz, Rollen oder Konfliktlösung.
Unterstützung durch betriebliche Regelungen
Seite 21 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Christian [email protected]
Matthias [email protected]
ver.di – Vereinte DienstleistungsgewerkschaftBereich Innovation und Gute Arbeit
www.diGAP.verdi.de
www.gute-agile-projektarbeit.de
Kontakt
Seite 22 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Anhang
Seite 23 – Agile Projektarbeit: Ressourcen und Belastungen – 15. November 2018
Die Prinzipien des Agilen Manifests (2001)
„Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.“
„Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können.“ (Prinzip des „sustainable pace“).
„Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.“
„In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann und passt sein Verhalten entsprechend an.“
Nähe zum Nutzer/Kunden, Offenheit für Änderungen
Team-Kooperation und Selbstorganisation
Arbeits- und Produktqualität
„frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software“, „Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen“
„Fachexperten und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten“, „innerhalb eines Entwicklungsteams“ ist dereffizienteste Informationsaustausch das „Gespräch von Angesicht zu Angesicht“
„Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.“