48
30 JAHRE EIN SINNHEFT ZUM ALNATURA JUBILÄUM DANACH GLORIA NATALIE HILLIG ist im Jubiläumsjahr 2014 Lehrling im Alnatura Super Natur Markt in Regensburg

Alnatura Jubiläumsmagazin

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Wie können wir "Sinnvoll für Mensch und Erde" handeln? Anlässlich unseres dreißigjährigen Jubiläums widmen wir dem Thema "Sinn" ein eigenes Magazin. Wie war das vor 30 Jahren? Und wie könnte es in 30 Jahren sein? Geschichten, die berühren, inspirieren und zum Nachdenken anregen...

Citation preview

Page 1: Alnatura Jubiläumsmagazin

30 JAH

RE

EIN SINNHEFT ZUM ALNATURA JUBILÄUM

DANACH

GLORIA NATALIE HILLIG ist im Jubiläumsjahr 2014 Lehrling im Alnatura Super Natur Markt in Regensburg

Page 2: Alnatura Jubiläumsmagazin

HERAUSGEBERAlnatura Produktions- und Handels GmbH

Darmstädter Straße 63, 64404 Bickenbach

Tel. 062 57-93 22-0

www.alnatura.de

GRÜNDER UND GESCHÄFTSFÜHRENDER ALLEINGESELLSCHAFTER (V.I.S.D.P.)Prof. Dr. Götz E. Rehn

KONZEPTIONraabengrün – nachhaltig kommunizieren

REDAKTIONHolger Meerwarth, Sylvia Raabe (Redaktionsleitung),

Johannes Böhm, Melanie Eben, Stefanie Grauer,

Dr. Manon Haccius, Katja Hellmuth, Uli Hesse,

Andrea Knura, Volker Laengenfelder, Bettina Laux,

Götz Rehn, Ralf Roesberger, Kristina Rudy,

Tina Schneyer, Anna Seidel, Kirsten Zesewitz

GRAFIK UND GESTALTUNGAWAWII Kreativagentur

FOTOSAlnatura, Christoph Assmann, Dieter Bachert,

BUND, Johann Cohrs, Marc Doradzillo, Ole Ekhoff,

Thomas Fedra, Flores Farm, Johannes Green,

Alexander Heimann, Wendy A. Hern, Andrea

Knura, Volker Laengenfelder, Rob Lewis, Holger

Meerwarth, Norman A. Müller, Thomas Niedermüller,

Ökodorf Brodowin, People Wear Organic GmbH,

Sylvia Raabe, Bernd Ritter, Verein für Heimatkunde e.V.

Alfeld, Viscom Fotografie, Steffi Zepp

DRUCKalpha print medien AG

Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt

Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste, Internet

und Vervielfältigung auf Datenträger nur nach

vorheriger schriftlicher Zustimmung durch Alnatura.

30 JAHRE ZUVOR – 30 JAHRE DANACH ist eine einmalige Sonderausgabe von Alnatura.

26 Sinndimensionen haben die Sinnforscher der Universität

Innsbruck in einer breit angelegten Interviewstudie identifi-

ziert. Es sind Begriffe wie Liebe, Spaß, Naturverbundenheit

oder Individualität, welche die Befragten als bedeutsam für ihr

Leben nannten. Für jedes Individuum hat jeder dieser Begriffe

eine andere Wertigkeit – die Sinndefinition ist individuell.

Für die einen stehen Familie und Freunde weit vorne in der

Bedeutsamkeit ihres Lebens. Für andere ist es Gesundheit.

Oder Liebe.

Eine Lebensdeutung nennen die Forscher „Generativität“ und

meinen damit das Tun oder Schaffen von Dingen mit bleiben-

dem Wert – also etwas, das nachfolgenden Generationen

erhalten bleibt. Und das ist etwas, was laut der Wissenschaftler

als extrem sinnstiftend erlebt wird.

Man könnte dies Nachhaltigkeit nennen. Dies meint üblicher-

weise ein Handeln, das wirtschaftliche, ökologische und

soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. Bei Alnatura

kommt noch eine vierte Dimension dazu: die geistig-kultu-

relle. Denn der Mensch als handelndes Wesen kann aus

Erkenntnis sein Handeln so verändern, dass es sinnvoll wird

für Mensch und Erde.

Dieses Magazin wirft einen Blick darauf, was in den letzten

30 Jahren Sinnstiftendes erreicht worden ist: in den Bereichen

Ökologie, Ökonomie, Kultur und Soziales. Der Blick geht aber

auch nach vorne. Was müssen wir tun, um die kommenden

Jahrzehnte sinnvoll zu gestalten: im Bio-Landbau (Ökologie),

beim nachhaltigen Wirtschaften (Ökonomie), beim Gestalten

unseres Miteinanders (Soziales) und bei allem, was wir in

unserem Leben durch kreatives Tun bewegen können (Kultur)?

Wir freuen uns, wenn wir über diese Anregungen mit Ihnen

in den Dialog kommen!

Ihre Redaktion.

IMPRESSUM

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

Page 3: Alnatura Jubiläumsmagazin

www.alnatura.dewww.facebook.com/alnaturawww.twitter.com/alnatura www.youtube.com/alnatura

WEITERE INFOS

Im Alter von 21 Jahren fasste ich den Entschluss, „Wirtschaft“

zu studieren. Mein Lebensmotiv stand fest; ich wollte „Wirt-

schaftsarzt“ werden. Mir ging und geht es darum zu zeigen,

dass wirtschaftliches Handeln nicht gegen die Natur und den

Menschen gerichtet sein muss. Ich wollte und will gemeinsam

mit allen Kolleginnen und Kollegen von Alnatura zeigen,

dass wir aus Vernunft Produkte und Leistungen entwickeln

können, die die Natur fördern. Alles soll dem Menschen

dienen. Wir wollen nicht manipulieren, sondern informieren;

nicht überreden, sondern überzeugen; nicht binden, sondern

Partnerschaften anbieten. Es geht um Dialog und Zusammen-

arbeit auf Augenhöhe.

Das Wichtigste für jedes Unternehmen sind seine Kunden.

Kennt man die Kunden, weiß man viel über ein Unternehmen.

Die Kunden fragen Produkte und Leistungen nach. Je mehr sie

fragen, umso größer wird der so erzeugte Sog. Er beginnt in

den Filialen und endet schließlich bei den Bio-Bauern. Wenn

die Kunden zum Beispiel mehr Alnatura Produkte aus Bio-Din-

kel kaufen, müssen die Bio-Bauern mehr Bio-Dinkel anbauen,

sonst können wir dem „Kunden-Sog“ nicht entsprechen. Die

Alnatura Kunden verstehen sich auch als Mitgestalter des

Unternehmens. Sie sagen uns, was sie wollen, wie sie es

wollen, warum sie es wollen. Sie beteiligen sich bei Mitmach-

aktionen. Sie fördern den Bio-Landbau und unterstützen die

Bienen. Sie haben Interesse an Kunstprojekten und schätzen

den Dialog. Für uns sind unsere Kunden das Ziel und der

eigentliche Grund unseres Handelns. Zugleich geben sie uns

die Kraft, uns für sie einzusetzen. Man könnte sagen, die

Zukunftssicherheit für Alnatura liegt in den Herzen unserer

Kunden. Ihr Interesse, ihre Liebe, ihre Taten ermöglichen unser

Unternehmen.

Es ist beeindruckend, was in 30 Jahren Alnatura durch die

Kunden „geschaffen“ wurde. Es ist eine große Freude zu

sehen, wie dies gemeinsam mit unseren Partnern in Handel,

Herstellung, Bio-Landbau und vielen anderen möglich wurde.

Es gibt mir Zuversicht, dass heute täglich mehr als 2 200 Mit-

arbeiterinnen und Mitarbeiter Alnatura mit ihren Ideen und

Taten gestalten. Vor allem erfüllt es mich mit großer Dankbar-

keit. Mein Dank gilt allen, die bis heute die Entwicklung von

Alnatura gestaltet haben. Ich hoffe, dass sich das Mitdenken

und Mitmachen der Kunden, Partner und Mitarbeitenden

in Zukunft noch weiter intensiviert. Es gibt noch viel zu tun;

lassen Sie es uns denken, und dann lassen Sie es uns tun!

Die Erde erfreut es – und die Menschen auch.

MIT HERZLICHEN GRÜSSEN

GÖTZ REHN, Alnatura Gründer und Geschäftsführer

ED

ITO

RIA

L

3

ALNATURA PRODUKTE ERHALTEN SIE BEI:

DANKE!

Page 4: Alnatura Jubiläumsmagazin

INH

ALT

4

06

ÖKONOMIE BAUER SUCHT LANDWOLLEN WIR MEHR BIO-BAUERN, MÜSSEN WIR IN DER BESITZFRAGE UMDENKEN

06

KULTUR BIOGRAFIE:1984„BEQUEMES ESSEN BRACHTEDER EISMANN!“

20

WIRTSCHAFT NEU DENKEN WIE ARBEIT ZU LEBENSSINN WERDEN KANN

33

ALNATURA UND ICH BEOBACHTUNGEN, ERINNERUNGEN, BLICKE IN DIE ZUKUNFT: ACHT ALNATURA MITARBEITER UND IHRE GEDANKEN ZUM ALNATURA JUBILÄUM

24

BIOGRAFIE: 2014„MEINE ALNATURA LEHRE IST FÜR MICH MEHR ALS EINE ARBEIT.“

26

SINNVOLL FÜR MENSCH UND ERDEGEDANKEN VON ALNATURA GRÜNDER GÖTZ REHN

45

20

INHALTEIN SINNHEFT ZUM ALNATURA JUBILÄUM

Page 5: Alnatura Jubiläumsmagazin

5

INH

ALT

ÖKOLOGIE BERTASCHARRTNEUE WEGE FÜR MEHR TIERWOHL.

18

SOZIALES WURSTSACK TRIFFTGRASLUTSCHER... UND MINZGRÜN IST AUCH DABEI – EIN GESPRÄCH ÜBER DEN SINN DES „RICHTIGEN“ ESSENS

38

AUF DEM BODEN BLEIBENOHNE GRUNDLAGE WÄCHST NICHTS

11

BIO GLOBAL BIO-PRODUKTE AUS DEM AUSLAND – SINN ODER UNSINN?

14

MIT GEDULD UND HINGABE NEUE PFLANZENSORTEN FÜR DEN BIO-LANDBAU

30

DER ZEIGEFINGER-EFFEKTKANN DIE BIO-BRANCHE IHRE KUNDEN ZU MEHR ÖKO-BEWUSSTSEIN ERZIEHEN?

42

„FÜR FRAUEN IST DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT GROSSARTIG“ WIE FRAUEN UND MÄNNER DIE BIO-BRANCHE BEWEGEN

16

WENN ERDKRÖTEN SPRECHEN KÖNNTEN101 MAL NATURSCHUTZ DURCH ALNATURA KUNDEN

29

38

18

Page 6: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

6

Thomas Schmid zögert. Nein, sein Land sei das nicht. „Wir

hatten von Anfang an zu wenig Kapital. Alles hier ist mit

Fremdkapital gebaut und erworben worden. Unsere Hofge-

meinschaft ist nur der Pächter.“ Von der Scheune hat Schmid

freien Blick über die hügelige Landschaft des Linzgaus am

westlichen Bodensee. Er deutet auf die Felder rund um den

Hof des Weilers Heggelbach: „Da drüben bauen wir unser

Gemüse an: Rote Bete, Zwiebeln, Kartoffeln, Pastinaken.

Wir haben auch Grünland für die Milchkühe – 180 Hektar

insgesamt.“

Die Felder des Demeter-Betriebes liegen nicht alle direkt um

den Hof. Das wäre früher so gewesen und sorgte für kurze

Wege. Aber heute müssen viele Bauern Land zupachten –

und da grenzen frei werdende Flächen selten direkt an das

eigene Land an. In Teilen Süd- und Westdeutschlands hat

auch das Erbrecht zu einer Zerstückelung der Flächen geführt:

Denn dort erbte den Hof nicht – wie in Nord- und Ostdeutsch-

land nach Anerbenrecht üblich – ein Nachkomme als Ganzes;

stattdessen wurden die Flächen gleichmäßig zwischen allen

Erbberechtigten aufgeteilt (Realteilung). Einige Betriebe wur-

den dadurch so klein, dass sich ihre Besitzer von der Landwirt-

schaft alleine nicht mehr ernähren konnten. Sie sahen sich

nach besser bezahlter Arbeit in der Industrie um und betrieben

die Landwirtschaft fortan nur noch im Nebenerwerb.

Thomas Schmid ist Bauer im Vollerwerb – obwohl er kein

Land geerbt hat. Denn seine Eltern waren keine Bauern:

„Aber mein Traum war halt nun mal die Landwirtschaft. Also

habe ich die Landwirtschaftsschule besucht.“ Und dort lernte

er nicht nur seine heutige Frau Ulrike kennen, sondern auch

den heutigen Käser der Hofgemeinschaft, Rolf Raneburger.

Alle hatten denselben Wunsch: einen eigenen Hof. Den

wollten sie anders bewirtschaften als sie es auf der Landwirt-

schaftsschule gelernt hatten: ohne Kunstdünger, ohne Spritz-

mittel, ohne Wachstumsförderer in der Tierzucht. Damals in

den 1980er-Jahren, so Schmid, sei die Landwirtschaft in einem

kritischen Fokus gestanden: wegen Pestizid-Einsatz, Butter-

bergen und Massentierhaltung. „Auch das Höfesterben war

ein riesiges Thema“, erzählt Schmid. „Wir haben damals

nach anderen Möglichkeiten des Daseins gesucht.“

Suchende gibt es auch heute viele, aber sie finden kein

bezahlbares Land. Andererseits ist bei 70 Prozent aller Höfe

die Nachfolge ungeklärt. Vielfach wollen die Kinder die müh-

same Arbeit ihrer Eltern auf dem Hof nicht fortführen. In

Baden-Württemberg, so ergab 2013 eine parlamentarische

Anfrage im Landtag, sind nur sieben Prozent der Bäuerinnen

und Bauern jünger als 35 Jahre. Doch den Hof in fremde Hände

außerhalb der Familie übergeben, das bringen die wenigsten

Bauern übers Herz. Auch aus steuerlichen Gründen: >>

Wer Kartoffeln anbauen will, braucht Land zum Bewirtschaften. Doch wie wird man Bauer ohne Landbesitz? Die meisten Landwirte in Deutschland übernehmen den Hof von ihren Eltern. Wer nicht erbt, kann kaum das Kapital für Landbesitz aufbringen. Wollen wir mehr Bio-Bauernhöfe, brauchen wir auch ein Umdenken in der Landfrage. Wie das gehen kann, zeigt die Hofgemeinschaft Heggelbach am Bodensee.

BAUER SUCHT

LANDWOLLEN WIR MEHR BIO-BAUERN, MÜSSEN WIR AUCH IN DER BESITZFRAGE UMDENKEN

Autor HOLGER MEERWARTH

Page 7: Alnatura Jubiläumsmagazin

THOMAS SCHMIDMitbegründer und Gesellschafter der Hofgemeinschaft

ÖKO

NO

MIE

7

Autor HOLGER MEERWARTH

Page 8: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

8

THORSTEN KRUGGesellschafter der Hofgemeinschaft Heggelbach

2 000qm2

AUF DIESER FLÄCHE KANN MAN DAS LANDWIRTSCHAFTLICH ERZEUGEN, WAS EIN EINZELNER ZUM LEBEN BRAUCHT.

Page 9: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

9

Eine Übergabe innerhalb der Familie ist nahezu steuerfrei.

Beim Verkauf an Fremde können dagegen bis zu 60 Prozent

des Wertes an Steuern fällig werden. Dann lieber den Hof still-

legen und das Land verpachten. Dafür gibt es derzeit genug

Interessenten. Denn durch den staatlich subventionierten

„Energiemais“ für Biogasanlagen ist der Landhunger groß.

Das treibt die Land- und Pachtpreise in die Höhe. 25.000 Euro

kostete beispielsweise 2013 ein Hektar Agrarland in Schleswig-

Holstein. Für 50 Hektar kommen so 1,25 Millionen zusammen –

Wohnhaus, Stall, Maschinen, Tiere und sonstige Produktions-

mittel noch gar nicht mitgerechnet. Wer da als Quereinsteiger

und ohne einen Hof zu erben Landwirt werden will, hat im

Grunde keine Chance.

Ähnlich hoch waren schon vor 30 Jahren die Landpreise in

Baden-Württemberg, als Thomas Schmid und seine Mitstreiter

ihr Land kauften. „Ohne Familie Reyer hätten wir das hier

gar nicht anfangen können“, sagt Schmid. Die Reyers hatten

schon einen Hof in der Nähe von Stuttgart. Aber sie hatten

Lust auf einen Neuanfang – vor allem einen ökologischen.

Auf der Suche nach Land fanden die drei Familien 1986 jene

Flächen, auf denen heute die Hofgemeinschaft Heggelbach

lebt. Von Anfang an war klar, dass dieser Neuanfang ein

anderes Wirtschaften beinhalten sollte: „Niemand von uns

hatte Lust auf eine Sieben-Tage-Woche ohne Urlaub und ar-

beiten bis zum Umfallen.“ Deshalb die Gemeinschaft in Form

einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Jeder brachte

das an Kapital ein, was möglich war; und alle arbeiteten an

einem Ziel: dem Aufbau eines biologisch-dynamischen Hofes.

Brauchte mal einer Urlaub oder einen freien Tag, übernahmen

die anderen die Arbeit. Während der ersten Jahre lebte die

Hofgemeinschaft vor allem von der Milchviehhaltung und der

Käserei. Nebenbei musste für die drei Familien ein neues Haus

gebaut werden, außerdem der Stall für die Milchkühe.

1993 kam es dann in Heggelbach zur Zerreißprobe. Familie

Reyer, die den Großteil des Kapitals zum Erwerb des Hofes

beigesteuert hatte, wollte aus der Hofgemeinschaft ausstei-

gen und brauchte zumindest einen Teil des eingebrachten

Geldes zum Aufbau einer neuen Existenz. Doch die beiden

anderen Gründer hatten kein Eigenkapital, um die Anteilseig-

ner auszubezahlen. „Unser herkömmliches Wirtschaftsmodell

stellt Eigentum in den Fokus“, so Thomas Schmid. „Wir haben

dann nach einer Form gesucht, in der die Bewirtschaftung der

Flächen – also das eigentliche Erzeugen von Nahrungsmitteln

– eine höhere Priorität bekommt.“ Die Lösung fand sich in der

Trennung von Nutzung und Eigentum mit Hilfe des anthropo-

sophischen Mercurialis-Vereins. Dieser kaufte die 40 Hektar

Kernflächen des Hofes, und so bekamen die scheidenden

Gesellschafter ihr Geld; die restliche GbR dagegen zahlt seit-

dem Pacht für die Flächen und hält nur die Wohnhäuser und

Wirtschaftsgebäude in ihrem Besitz mit einem lebenslangen

Nutzungsrecht. Bei Ausscheiden oder Tod kann dieser Besitz

nicht vererbt werden, sondern fällt zurück an die Gemein-

schaft, von der sie die nächsten Nutzer übernehmen können.

Als die Hofgemeinschaft Heggelbach Nachfolger für die aus-

scheidenden Gesellschafter suchte, gab es noch kein für alle

zugängliches Internet. Heute bringt – neben einigen Bera-

tungsstellen – eine Internetseite Angebot und Nachfrage zu-

sammen: Auf hofgruender.de können sich sowohl Hofsuchende

als auch Verkaufswillige eintragen. Die Initiative wird von der

Zukunftsstiftung Landwirtschaft gefördert. „Wir brauchen

Existenzgründungen in der Landwirtschaft, denn pro Jahr

machen bis zu 10 000 Höfe dicht“, so Christian Vieth, Geschäfts-

führer von hofgruender.de. „Bei einer Hofübergabe geht es

nicht einfach um eine Immobilie, sondern um Menschen,

die miteinander klarkommen sollen. Die will ich zusammen-

bringen – und das ist die größte Herausforderung.“ >>

JONA KREISGesellschafter der Hofgemeinschaft Heggelbach

Page 10: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

10

DER MITARBEITERVEREIN „ALNATURA HILFT!“ UNTERSTÜTZTE MIT SPENDEN AN DIE ZUKUNFTSSTIFTUNG LANDWIRTSCHAFTINITIATIVEN WIE WWW.HOFGRUENDER.DE AUCH IHRE SPENDE HILFT: Alnatura hilft! e.V., Sparkasse Darmstadt,IBAN DE71 5085 0150 0025 0058 56, BIC HELADEF1DAS

WEITERE INFOS ONLINE UNTER:

www.alnatura-bio7.comwww.kulturland-eg.dewww.hofgruender.dewww.zukunftsstiftung-landwirtschaft.de

Ziel von hofgruender.de ist, pro Jahr 1 000 Betriebe durch eine

erfolgreiche Nachfolgevermittlung zu erhalten.

Nur sechs bis acht Prozent der Höfe werden heute außerhalb

der Familie übergeben oder neu gegründet. Neben den Land-

preisen sind Produktionsmittel wie Gebäude und Maschinen

der größte Hemmschuh für junge Gründer. Das Dilemma der

Bio-Branche: Die Nachfrage nach ökologischen Lebensmitteln

steigt beständig – im Jahr 2013 um 7,2 Prozent. Im gleichen

Zeitraum wuchs die biologisch bewirtschaftete Fläche in

Deutschland aber nur um ein Prozent. Kein Wunder, dass

der Anteil importierter Bio-Lebensmittel aus aller Welt stetig

wächst. Vor allem Ost-Europa befindet sich derzeit in einem

wahren Bio-Boom – nicht beim Konsum von Bio-Lebensmit-

teln, sondern bei der Erzeugung der Rohstoffe. Zwar ist die

biologische Wirtschaftsweise allemal besser als die konventio-

nelle; doch das schnelle Wachstum im Osten oder in Schwel-

lenländern ruft Investoren auf den Plan, denen es vor allem

um Rendite geht – soziale und kulturelle Aspekte sind da

nebensächlich. Außerdem muss jeder Import energieauf-

wändig nach Deutschland transportiert werden.

Sinnvoller wäre es also, wenn mehr Landwirte im eigenen

Land biologisch wirtschaften würden – und gut davon leben

könnten. Doch 2013 haben Bio-Landwirte erstmals seit vielen

Jahren weniger erlöst als ihre Kollegen – im Schnitt um sechs

Prozent. „Unsere Kosten sind gestiegen, aber für unsere

Produkte können wir am Markt derzeit keine Preissteigerun-

gen durchsetzen“, so Bio-Landwirt Thomas Schmid. Und so

kehrten im Jahr 2013 rund 600 Bauern der Bio-Landwirtschaft

wieder den Rücken. Gleichzeitig macht die EU-Förderpolitik

umstellungswilligen Bauern den Öko-Landbau alles andere als

schmackhaft: Seit Jahren werden Fördermittel zurückgefah-

ren. Und die bestehenden Betriebe können kaum wachsen,

weil die Landpreise für Kauf und Pacht durch den subventio-

nierten Biogas-Mais stark gestiegen sind.

Auch die Hofgemeinschaft Heggelbach muss sich mit dieser

Situation auseinandersetzen. Die Gesellschafter arbeiten seit

langem daran, dass nicht mehr das Eigentum, sondern die

Nutzung die höchste Priorität hat. Die neueste Idee: eine

Selbsthilfeeinrichtung, die mit dem Geld von Bürgern genos-

senschaftlich Land kauft und dieses an Bio-Bauern verpachtet.

„Unsere Mission lautet: Jedem Bürger seine 2 000 Quadrat-

meter“, so Thomas Schmid. „Auf dieser Fläche kann man das

landwirtschaftlich erzeugen, was ein Einzelner zum Leben

braucht. Für 500 bis 10.000 Euro Einlage kann sich künftig

jeder an diesen Flächenkosten beteiligen.“ Die Genossen-

schaft Kulturland eG sammelt als Selbsthilfe-Initiative dieses

Geld ein und stellt es Bio-Bauern deutscher Anbauverbände

zur Verfügung, die ohne Hilfe in eine Schieflage kämen.

Denn der Kauf einer landwirtschaftlichen Fläche wird für

einen Bauern laut Thomas Schmid nie rentabel sein: „Ich kann

mit meinem Land nur 1,5 Prozent Rendite erwirtschaften.

Das reicht derzeit nicht einmal, um die Zinsen zu bedienen –

und schon gar nicht zur Tilgung des Kredites.“ Die Genossen-

schaftsanteile sind also eine Art zinsloses Darlehen, mit

der die Genossenschaft Land kaufen und an den Landwirt

langfristig zu fairen Konditionen verpachten kann. Wer

Genossenschaftsanteile erwirbt, kann seine Einlage nach

frühestens fünf Jahren wieder zurückbekommen. „Der Ertrag

für den Einzelnen besteht darin, dass er die Öko-Landwirt-

schaft fördert, indem die Betriebe Land nutzen und bewirt-

schaften können“, so Schmid.

Alnatura hilft! e.V.

Page 11: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

11

Der Spaten sticht zwanzig Zentimeter tief in den Boden. Am

Metall schaben kleine Steine. Bauer Hans Reichl bückt sich

und greift in die dunkelbraune Erde: „Regenwürmer, Käfer …

und da: ein Tausendfüßer! Alles Zeichen für einen fruchtba-

ren, gesunden Boden“, freut sich Reichl und lässt die Krume

durch seine Hände rieseln. „Die Tiere sorgen zusammen mit

Bakterien und anderen Mikroorganismen für ein stabiles

Krümelgefüge. Dadurch verschlämmt der Boden weniger, wird

also nach Starkregen nicht betonhart; er ist leichter zu bear-

beiten und kann Nährstoffe und Wasser besser halten.“ Doch

Böden wie auf dem Schafdorner Hof, einem Naturland-Betrieb

in Oberbayern, sind längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

Denn der Großteil der Böden wird konventionell bewirtschaftet,

also unter Einsatz von Mineraldünger und chemischem Pflan-

zenschutz. Zudem sorgen Monokulturen und der personal-

sparende Einsatz schwerer Maschinen kurzfristig für Maximal-

erträge. Durch diese industrielle Landwirtschaft hat sich die

weltweite Agrarproduktion seit 1950 verdreifacht. Doch der

ökologische Preis dafür ist hoch: viermal so viele Pestizide auf

den Feldern, achtmal so viel Mineraldünger, dreimal so viel

bewässerte Flächen. 70 Prozent des weltweiten Süßwasserver-

brauchs fließen in die Landwirtschaft. Das alles geht auf Kosten

der Böden: nachlassende Fruchtbarkeit, zunehmende Erosion,

weniger Biodiversität und eine Zunahme der Bodenversalzung. >>

Geerdet sein, die Bodenhaftung nicht verlieren, verwurzelt leben – nicht umsonst geben Redensarten dem Boden eine so grundlegende Bedeutung. Boden gehört – neben Licht, Luft und Wasser – zu den Grundlagen unseres Lebens. Nur auf einem guten Boden kann etwas wachsen; ist er kaputt, stirbt jegliches Leben. Und deshalb macht es Sinn, auf dem Boden zu bleiben – auch wenn es um Erträge, Renditen und (wirtschaftliches) Wachstum geht.

AUF DEM BODEN BLEIBENOHNE GRUNDLAGE WÄCHST NICHTS

Autorin KATJA HELLMUTH

Page 12: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

12

BIO-BAUER HANS REICHL nimmt eine Boden-Probe.

Page 13: Alnatura Jubiläumsmagazin

13

ÖKO

LOG

IE

Für Hans Reichl sind dies auch Folgen einer verfehlten Agrar-

politik: „Ich erziele heute die Hälfte meines Einkommens

über staatliche Zuschüsse: Betriebsprämie, Flächenprämie,

Tierprämie, Milchprämie … All das sagt aber noch nichts

darüber aus, ob ich meinen Boden gut bewirtschafte.“ Die

Europäische Union handelt noch heute nach einer Vorgabe,

die bereits in den Römischen Verträgen von 1957 formuliert

wurde: Steigern der Produktivität durch technischen Fort-

schritt. Wachsen oder Weichen lautet die Devise für die Bauern

seit etlichen Jahrzehnten; sonst ist wirtschaftlich kaum ein

Überleben möglich. Dadurch ist in einem halben Jahrhundert

die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland von

zwei Millionen auf unter 290 000 geschrumpft. Der ökologische

Preis der industriellen Landwirtschaft: Artensterben, nitratbe-

lastetes Grundwasser, Bodenverlust und Klimagasemissionen.

Betroffen ist auch der Boden, der Krankheitssymptome wie

Erosion, Verdichtung, Humusverlust und biologische Verarmung

zeigt. Zu schaffen machen dem Boden vor allem die Mineral-

dünger. Sie bewirken zwar einen Nährstoffschub und putschen

das Bodenleben und die Pflanzen kurzfristig zu Höchstleistun-

gen auf; langfristig jedoch zerstören sie die Fruchtbarkeit des

Bodens.

Die Böden von Hans Reichl kommen ohne mineralischen Stick-

stoffdünger aus; dafür fährt er – je nach angebauter Frucht –

im Schnitt nur halb so viel Ernte ein wie seine konventionell

wirtschaftenden Nachbarn. Wichtiger als Maximalerträge sind

dem Bio-Landwirt langfristig stabile Ernten auf gesunden,

fruchtbaren Böden. „Beim letzten Starkregen haben meine

konventionellen Nachbarn einen Großteil ihres Getreides

verloren. Mein Bio-Getreide steht weniger dicht; es wächst

auf einem lebendigen Boden und bildet stärkere Halme aus.

Deshalb habe ich langfristig stabilere Erträge – egal ob es

starke Regen- oder Trockenperioden gibt“, erklärt Reichl.

Das Rückgrat eines fruchtbaren Bodens ist seine organische

Substanz, insbesondere der Humus: „Hier werden Nährstoffe

und Wasser für die Pflanzen gespeichert und leben unzählige

Mikroorganismen und Bodentiere wie Regenwürmer, Bakte-

rien und Pilze“, so Tobias Bandel, Geschäftsführer von Soil &

More, einem Beratungsunternehmen für Bodenfruchtbarkeit.

Diesen so wichtigen Lebens- und Nährraum bauen syntheti-

sche Dünger mit der Zeit ab. Organische Dünger hingegen

wirkten aufbauend, sagt Bandel. Denn indem der Bio-Land-

wirt Ernterückstände, Mist- oder Pflanzenkompost auf den

Boden gibt, aktiviert er komplexe biologische Prozesse.

Die Bodenbewohner nehmen den Dünger als Nahrung auf,

machen ihn für die Pflanzen indirekt als Nährstoffe verfügbar

oder wandeln ihn in Humus um. Mit Gründüngungen erreicht

der Bio-Bauer einen ähnlichen Effekt. Dabei werden Pflanzen

für den Humusaufbau zeitlich vor oder nach den eigentlichen

Hauptkulturen angepflanzt. Pflanzen der Familie der Legumi-

nosen, wie Klee und Wicken, binden Stickstoff aus der Luft

und machen ihn im Boden als Pflanzennährstoff verfügbar.

Gründüngung ist Teil einer vielseitigen Fruchtfolge, mit der

der Bio-Bauer zugleich Unkraut, Schädlingen und Krankheiten

vorbeugt.

Die Umweltbilanz fällt eindeutig positiv für den ökologischen

Landbau aus: Dort singen mehr Vögel, schwirren mehr

Insekten und blühen mehr Wildkräuter als auf konventionell

bewirtschafteten Flächen. Bio-Bauern verbrauchen weniger

Ressourcen und bis zu 60 Prozent weniger Energie. Vor allem

jedoch sind ihre Böden fruchtbarer und robuster gegenüber

Erosion und Witterungsextremen; zudem leisten sie einen

Beitrag zum Hochwasserschutz und speichern mehr Kohlen-

dioxid, eines der sogenannten Klimagase. „Unsere Böden

sind der Ausweg aus der Klimakatastrophe, weil sie jede

Menge CO2 binden können – das ist meine tiefste Über-

zeugung“, so Bio-Landwirt Hans Reichl.

Noch wird darüber diskutiert, ob eine ökologisch ausge-

richtete Landwirtschaft die Welt ernähren kann. Entwick-

lungsorganisationen sehen hier großen Intensivierungs- und

Optimierungsbedarf hinsichtlich klimatischer und regionaler

Bedingungen. Fest steht jedoch: Nur gesunde Böden werden

die Nahrungsmittelversorgung von neun Milliarden Menschen

in Zukunft decken können. Eine Landwirtschaft, die ihre Böden

erschöpft und immer mehr Regenwald für den Futtermittel-

bedarf in der Tiermast opfert, kann keine Lösung sein. „Die

dünne Schicht der Erdoberfläche, die wir Landwirte als Boden

bearbeiten, hat sich über Jahrmillionen aufgebaut“, sagt Hans

Reichl. „Wenn wir beim Boden etwas falsch machen, ist die

Grundlage unseres Lebens in kürzester Zeit kaputt.“

Leguminosen-Wurzel mit Bodenbakterien

Page 14: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

14

BIO

GLO

BA

LG

ut d

ie H

älft

e de

r in

Deu

tsch

land

ver

kauf

ten

Bio

-Pro

dukt

e st

amm

t aus

dem

Aus

land

– a

nder

s lä

sst s

ich

die

Nac

hfra

ge

bei u

ns a

nges

icht

s vo

n nu

r 6,

2 P

roze

nt Ö

ko-L

andb

aufl

äche

in D

euts

chla

nd n

icht

dec

ken.

Ist d

er Im

port

von

Bio

-Pro

dukt

en

sinn

voll

– a

uch

um B

io in

and

eren

Län

dern

zu

förd

ern?

Wir

hab

en d

rei E

xper

ten

um ih

re M

einu

ng z

um K

auf s

echs

ve

rsch

iede

ner

Bio

-Pro

dukt

e zu

ein

er b

esti

mm

ten

Jahr

esze

it a

us v

ersc

hied

enen

Reg

ione

n de

r Er

de g

ebet

en.

BIO

-PR

OD

UK

TE

AU

S D

EM

AU

SLA

ND

– S

INN

OD

ER

UN

SIN

N?

ALL

ESÖ

KO –

O

DE

RW

AS

?

JOH

AN

NE

S B

ÖH

M

FILI

ALL

EITE

R A

LNAT

URA

STU

TTGA

RT-D

EGER

LOCH

ww

w.a

lnat

ura.

de

ME

LAN

IE E

BE

N

UMW

ELTI

NST

ITUT

MÜN

CHEN

ww

w.u

mw

eltin

stitu

t.org

RA

LF R

OE

SB

ER

GE

R

SELB

STVE

RSOR

GER

UND

BLOG

GER

ww

w.n

eulic

him

gart

en.d

e

Als

Aln

atur

a Fi

lialle

iter b

in ic

h so

zusa

gen

der M

ittle

r zw

isch

en d

em A

ngeb

ot u

nser

er L

iefe

rant

en u

nd d

er

Nach

frag

e un

sere

r Kun

den.

Man

chm

al s

ind

dabe

i Ko

mpr

omis

se n

ötig

. Uns

ere

Kund

en w

ünsc

hen

sich

Vi

elfa

lt b

ei O

bst u

nd G

emüs

e, a

uch

jens

eits

der

Sa

ison

. Flu

gwar

e bi

eten

wir

aber

nur

an,

wen

n w

ir da

durc

h so

zial

e Pr

ojek

te fö

rder

n.

Ich

habe

in G

roßb

ritan

nien

Öko

logi

e un

d Na

turs

chut

z st

udie

rt. D

anac

h w

ar ic

h m

ehre

re Ja

hre

in S

üdam

erik

a

in d

en B

erei

chen

Öko

logi

e un

d Re

ssou

rcen

schu

tz

aktiv

. Heu

te a

rbei

te ic

h al

s Bi

ldun

gsre

fere

ntin

zu

Th

emen

wie

nac

hhal

tiger

Kon

sum

und

bin

Ref

eren

tin

für Ö

ko-L

andb

au u

nd V

erbr

auch

ersc

hutz

bei

m U

mw

elt-

in

stitu

t Mün

chen

e.V

.

Zuge

gebe

n, m

ein

Lebe

nsst

il is

t nic

ht re

präs

enta

tiv.

Ich

bin

Haus

man

n m

it zw

ei K

inde

rn. U

nser

e Fa

mili

e be

wirt

scha

ftet

ein

en g

roße

n Se

lbst

vers

orge

rgar

ten:

Wir

halt

en H

ühne

r, En

ten,

Gän

se, K

anin

chen

und

Bie

nen.

Ein

se

hr g

roße

r Tei

l uns

erer

Ern

ähru

ng s

tam

mt a

us e

igen

er

Prod

uktio

n. W

as w

ir ni

cht s

elbs

t pro

duzi

eren

kön

nen,

ka

ufen

wir

nach

Mög

lichk

eit a

us d

er R

egio

n.

BIO

-FR

ÜH

ERD

BEE

RE

AU

S SP

AN

IEN

GE

KAUF

T IM

FEB

RUA

R

Aus

Spa

nien

für u

ns e

in „n

o-go

“, de

nn d

er A

nbau

ve

rbra

ucht

vie

l Was

ser,

und

Span

ien

ist w

asse

rarm

. W

er n

icht

bis

Mai

auf

deu

tsch

e Er

dbee

ren

war

ten

will

, so

llte

italie

nisc

he F

rühe

rdbe

eren

kau

fen.

Ich

alle

rdin

gs

war

te a

uf h

eim

isch

e W

are

bis

Früh

som

mer

. Auc

h un

sere

Ku

nden

hab

en w

ir du

rch

lang

jähr

ige

Bezi

ehun

gen

zu

regi

onal

en L

iefe

rant

en a

uf d

ie h

eim

isch

e Er

nte

„ein

ge-

schw

oren

“ – re

gion

al, f

risch

und

opt

imal

reif.

Regi

onal

es u

nd s

aiso

nale

s Ob

st u

nd G

emüs

e so

llte

aus

mei

ner S

icht

imm

er V

orra

ng h

aben

: kur

ze T

rans

port

weg

e er

halte

n Ge

schm

ack

und

Fris

che

und

scho

nen

das

Klim

a.

Wen

n w

ir un

sere

Um

wel

t wirk

lich

schü

tzen

wol

len,

m

üsse

n w

ir un

s vo

n de

m G

edan

ken,

das

s al

les

jede

rzei

t ve

rfüg

bar i

st, v

erab

schi

eden

. Als

o lie

ber a

uf d

ie E

rdbe

er-

sais

on b

ei u

ns w

arte

n un

d da

nn g

uten

Gew

isse

ns ri

chtig

ge

nieß

en. E

in S

aiso

nkal

ende

r gib

t Übe

rsic

ht, w

ann

was

be

i uns

reif

ist.

Bei m

ir is

t der

Ged

anke

, nur

sel

bst e

rzeu

gte

oder

zum

in-

dest

in d

er R

egio

n ge

wac

hsen

e Na

hrun

gsm

ittel

zu

esse

n,

sehr

tief

ver

anke

rt. M

ir kä

me

es n

iem

als

in d

en S

inn,

im

port

iert

e Er

dbee

ren

auße

rhal

b de

r Sai

son

zu k

aufe

n.

In u

nser

em g

roße

n Ga

rten

wac

hsen

Erd

beer

en in

Hül

le

und

Fülle

. Ich

war

te g

erne

auf

eig

ene

Erdb

eere

n. D

as

War

ten

gehö

rt fü

r mic

h eb

enso

daz

u, w

ie d

er G

enus

s se

lbst

. Wei

hnac

hten

ist s

chlie

ßlic

h au

ch n

ur e

inm

al

im J

ahr.

BIO

-AN

AN

AS

AU

S CO

STA

RIC

A

GEKA

UFT

IM A

PRIL

Die

Ana

nas

zähl

t zu

den

Exot

en, d

ie K

unde

n in

ein

er g

ut

sort

iert

en O

bsta

btei

lung

erw

arte

n dü

rfen

. Wir

verk

aufe

n da

von

aber

nur

ger

inge

Men

gen,

für u

nser

e Ku

nden

sin

d A

nana

s al

so e

twas

Bes

onde

res,

das

sie

sic

h nu

r gel

e-ge

ntlic

h gö

nnen

. Wir

vers

uche

n, e

in g

leic

hble

iben

des

A

ngeb

ot m

it at

trak

tivem

Pre

is-L

eist

ungs

verh

ältn

is ü

ber

das

ganz

e Ja

hr h

inw

eg z

u bi

eten

und

ach

ten

dara

uf, d

ass

die

Ana

nas

per S

chiff

zu

uns

kom

mt.

Da A

nana

s nu

r unt

er tr

opis

chen

Bed

ingu

ngen

wac

hsen

, si

nd la

nge

Tran

spor

tweg

e un

verm

eidb

ar, w

enn

man

so

lche

Frü

chte

ver

spei

sen

möc

hte.

Wer

abe

r sei

nen

ök

olog

isch

en F

ußab

druc

k ve

rbes

sern

möc

hte,

sol

lte

dara

uf a

chte

n, tr

opis

ches

Obs

t nur

in A

usna

hmef

älle

n

zu k

aufe

n, d

enn

sow

ohl d

er T

rans

port

per

Sch

iff a

ls a

uch

per F

lugz

eug

hat e

rheb

liche

öko

logi

sche

Nac

htei

le.

Ich

bin

sich

er, m

eine

Gro

ßelte

rn h

aben

in ih

rem

gan

zen

Lebe

n ke

ine

Ana

nas

gege

ssen

. Sie

hab

en s

ie a

uch

nich

t ve

rmis

st! D

enn

es g

ibt s

o vi

el k

östl

iche

s Ob

st, d

as a

uch

in

uns

erer

Reg

ion

wäc

hst:

Him

beer

en, J

ohan

nisb

eere

n

oder

japa

nisc

he W

einb

eere

n. E

s gi

bt fü

r mic

h nu

r ein

en

Grun

d, e

ine

Ana

nas

zu k

aufe

n: u

nser

e Ki

nder

; dam

it si

e ke

nnen

lern

en, w

as e

s in

and

eren

Län

dern

gib

t. W

er a

ber

unbe

ding

t ein

e A

nana

s es

sen

möc

hte,

dem

sei

sie

geg

önnt

.

BIO

-AP

FEL

AU

S A

RG

ENTI

NIE

N

GEKA

UFT

IM M

AI

Heim

isch

e La

gerw

are

geht

irge

ndw

ann

aus

– je

nac

h

Ernt

emen

ge u

nd N

achf

rage

. Mei

st w

echs

eln

wir

im F

rüh-

jahr

auf

Übe

rsee

war

e. D

as is

t dur

chau

s na

chha

ltig

: Lau

t ve

rsch

iede

ner S

tudi

en v

erbe

sser

t sic

h di

e Ök

o-Bi

lanz

zu

guns

ten

der Ü

bers

eew

are,

je w

eite

r das

Jah

r vor

an-

schr

eite

t. De

nn h

eim

isch

e Ä

pfel

müs

sen

beim

Lag

ern

ener

giea

ufw

ändi

g ge

kühl

t und

mit

dem

Rei

feve

rzög

erer

CO

2 beh

ande

lt w

erde

n.

Ökol

ogis

ch n

achh

altig

ein

zuka

ufen

, hei

ßt fü

r mic

h, a

uf

regi

onal

es O

bst d

er S

aiso

n zu

rück

zugr

eife

n. D

a di

e

Lage

rung

unt

er u

ngün

stig

en B

edin

gung

en w

ie z

um

Beis

piel

in K

ühlh

äuse

rn s

ehr e

nerg

ieau

fwän

dig

ist u

nd

gena

uso

schä

dlic

h w

ie d

er la

nge

Tran

spor

t sei

n ka

nn,

ist d

ie ö

kolo

gisc

h si

nnvo

llste

Lös

ung,

auf

die

Ern

teze

it

im S

päts

omm

er u

nd H

erbs

t zu

war

ten

und

Äpf

el n

ur z

u di

eser

Zei

t zu

esse

n.

12 5

00 K

ilom

eter

Luf

tlin

ie, u

m m

eine

m G

aum

en z

u

schm

eich

eln?

Dar

auf k

ann

ich

gut v

erzi

chte

n. Ä

pfel

w

achs

en a

uch

in D

euts

chla

nd. E

s gi

bt a

bsol

ut k

eine

n Gr

und,

ein

en A

pfel

um

die

hal

be W

elt z

u sc

haff

en.

Ford

ern

sie

Ihre

n Hä

ndle

r im

mer

wie

der a

uf, B

io-P

rodu

kte

aus

Deut

schl

and

anzu

biet

en. I

hre

Nach

frag

e er

zeug

t da

s A

ngeb

ot. S

ie h

aben

es

in d

er H

and,

ein

Um

denk

en

zu e

rwirk

en.

BIO

-FR

ÜH

KA

RTO

FFEL

A

US

ÄG

YP

TEN

GE

KAUF

T IM

FEB

RUA

R

Heim

isch

e La

gerw

are

gibt

es

das

ganz

e Ja

hr ü

ber.

Doch

ge

rade

Frü

hkar

toff

eln

sind

seh

r bel

iebt

. Bei

uns

kom

men

si

e vo

n de

r SEK

EM-F

arm

in Ä

gypt

en. D

iese

r Dem

eter

- Be

trie

b w

irtsc

haft

et s

ehr n

achh

altig

, etw

a m

ittel

s

spar

sam

er T

röpf

chen

bew

ässe

rung

. Ein

gut

es B

eisp

iel

für e

in s

innv

olle

s Zu

sam

men

spie

l von

ver

antw

ortu

ngs-

be

wus

ster

Nac

hfra

ge u

nd n

achh

altig

em A

nbau

.

Der A

nbau

von

Kar

toff

eln

in L

ände

rn w

ie Ä

gypt

en is

t nu

r mit

inte

nsiv

er B

ewäs

seru

ng m

öglic

h, w

odur

ch g

ra-

vier

ende

Fol

gen

für d

ie U

mw

elt e

ntst

ehen

. Aus

mei

ner

Sich

t wer

den

bei u

ns n

ur d

ann

meh

r Bau

ern

auf B

io

umst

elle

n, w

enn

regi

onal

e Bi

o-Pr

oduk

te s

tatt

Impo

rtw

are

nach

gefr

agt w

erde

n. W

er s

ich

beim

Ein

kauf

für r

egio

nale

un

d sa

ison

ale

Lebe

nsm

ittel

ent

sche

idet

, kau

ft fr

isch

e Pr

oduk

te, d

ie G

esun

dhei

t und

Nat

ur g

ut tu

n.

Müs

sen

es in

ein

em K

arto

ffel

land

wie

Deu

tsch

land

Frü

h-ka

rtof

feln

aus

Ägy

pten

sei

n? W

er B

io k

auft

, der

sol

lte

auch

übe

r den

Tel

lerra

nd b

licke

n. B

io is

t für

mic

h m

ehr,

al

s nu

r der

Ver

zich

t auf

Che

mie

und

Gen

tech

nik

oder

die

ei

gene

Ges

undh

eit.

Der B

io-G

edan

ke u

mfa

sst a

uch

ein

Zurü

ck z

u A

ltbe

wäh

rtem

, zu

regi

onal

en u

nd v

or a

llem

sa

ison

alen

Nah

rung

smitt

eln

ohne

wei

te T

rans

port

weg

e

und

ohne

gro

ßen

Verp

acku

ngsm

üll.

BIO

-HO

NIG

A

US

SÜD

AM

ERIK

A

GEKA

UFT

IM N

OVEM

BER

Honi

g w

ird g

erne

regi

onal

gek

auft

. Das

Pro

blem

: Es

gibt

vi

el z

u w

enig

„Bio

-Imke

r von

neb

enan

“, w

elch

e di

e vo

n un

sere

n Ku

nden

gew

ünsc

hten

Bio

-Sor

ten

in g

leic

hble

i-be

nder

Qua

lität

und

aus

reic

hend

er M

enge

lief

ern

könn

en.

Deut

schl

and

kann

nic

ht e

inm

al e

in F

ünft

el d

es h

ier n

ach-

gefr

agte

n Ho

nigs

sel

bst e

rzeu

gen.

Des

weg

en b

ezie

hen

wir

auch

War

e au

s w

enig

indu

stria

lisie

rten

Reg

ione

n in

Os

teur

opa

und

Süda

mer

ika.

Honi

g au

s Sü

dam

erik

a le

gt s

ehr l

ange

Tra

nspo

rtw

ege

zu

rück

. Ich

bev

orzu

ge re

gion

al p

rodu

zier

ten

Honi

g,

denn

die

s er

hält

sow

ohl d

ie lo

kale

Imke

rei a

ls a

uch

di

e he

imis

che

Kult

urla

ndsc

haft

. Auß

erde

m g

ibt e

s be

i un

s ei

n um

fang

reic

hes

Ang

ebot

an

Honi

gsor

ten.

Die

Ge

ntec

hnik

frei

heit

ist b

ei d

euts

chen

Pro

dukt

en a

m

sich

erst

en g

ewäh

rleis

tet,

wei

l es

bei u

ns k

eine

n A

nbau

vo

n Ge

npfl

anze

n gi

bt.

Mei

n Ti

pp: H

ören

Sie

sic

h um

. Es

gibt

bes

timm

t auc

h

in Ih

rer U

mge

bung

ein

en H

obby

imke

r, de

r mit

viel

En

gage

men

t, Ze

it un

d A

rbei

tsau

fwan

d Bi

enen

häl

t und

Bi

o-Ho

nig

verk

auft

. Pfl

anze

n Si

e ei

ne L

inde

in Ih

rem

Gar

-te

n od

er s

äen

Sie

eine

n St

reife

n W

ildbl

umen

aus

. Dam

it

helfe

n Si

e de

n he

imis

chen

Bie

nen

und

unte

rstü

tzen

den

Bi

o-Ge

dank

en w

eit m

ehr a

ls m

it ei

nem

Gla

s Bi

o-Ho

nig

au

s Sü

dam

erik

a.

BIO

-WEI

N

AU

S SÜ

DA

FRIK

A

GEKA

UFT

IM J

ULI

Wir

habe

n un

s an

aus

länd

isch

e W

eine

gew

öhnt

und

wol

len

sie

habe

n. N

atür

lich

gibt

es

bei u

ns im

Sor

timen

t deu

tsch

e Bi

o-W

eine

, abe

r die

sch

mec

ken

ande

rs a

ls e

in S

hira

z au

s Sü

dafr

ika,

den

wir

auch

führ

en. D

azu

kom

mt d

ie K

unst

der

W

inze

r, au

s de

n Ro

hsto

ffen

ein

tolle

s Pr

oduk

t zu

mac

hen.

Ge

rade

öko

logi

sche

r Wei

nbau

ist a

nspr

uchs

voll!

Und

aus

dafr

ika

kom

men

tolle

Rot

wei

ne.

Bio-

Wei

n au

s de

utsc

hen

Land

en k

ann

qual

itativ

und

ge

schm

ackl

ich

sehr

gut

mit

ausl

ändi

sche

n W

eine

n m

ithal

ten,

sod

ass

man

auc

h hi

er a

uf d

euts

che

Prod

ukte

od

er P

rodu

kte

aus

den

unm

ittel

bare

n Na

chba

rländ

ern

zurü

ckgr

eife

n ka

nn. A

uf d

em a

frik

anis

chen

Kon

tinen

t so

llte

nach

mei

ner M

einu

ng d

ie P

rodu

ktio

n in

der

Lan

d-w

irtsc

haft

auf

die

Ern

ähru

ng d

er B

evöl

keru

ng s

tatt

auf

de

n Ex

port

aus

geric

htet

sei

n.

Ich

bin

kein

Wei

nken

ner,

kann

mir

aber

vor

stel

len,

das

s W

ein

unte

r Fac

hleu

ten

eine

Phi

loso

phie

ist.

Ein

wirk

liche

r W

eink

enne

r wird

den

Unt

ersc

hied

zw

isch

en e

inem

Wei

n

aus

Süda

frik

a un

d ei

nem

Mos

elw

ein

erke

nnen

. Ich

nic

ht.

Wen

n sc

hon

eine

n gu

ten

Trop

fen,

dan

n lie

ber a

us s

üd-

afrik

anis

chem

Bio

-Anb

au, a

ls a

us k

onve

ntio

nelle

m

heim

isch

em A

nbau

.

Page 15: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

15

ALL

ESÖ

KO –

O

DE

RW

AS

?

JOH

AN

NE

S B

ÖH

M

FILI

ALL

EITE

R A

LNAT

URA

STU

TTGA

RT-D

EGER

LOCH

ww

w.a

lnat

ura.

de

ME

LAN

IE E

BE

N

UMW

ELTI

NST

ITUT

MÜN

CHEN

ww

w.u

mw

eltin

stitu

t.org

RA

LF R

OE

SB

ER

GE

R

SELB

STVE

RSOR

GER

UND

BLOG

GER

ww

w.n

eulic

him

gart

en.d

e

Als

Aln

atur

a Fi

lialle

iter b

in ic

h so

zusa

gen

der M

ittle

r zw

isch

en d

em A

ngeb

ot u

nser

er L

iefe

rant

en u

nd d

er

Nach

frag

e un

sere

r Kun

den.

Man

chm

al s

ind

dabe

i Ko

mpr

omis

se n

ötig

. Uns

ere

Kund

en w

ünsc

hen

sich

Vi

elfa

lt b

ei O

bst u

nd G

emüs

e, a

uch

jens

eits

der

Sa

ison

. Flu

gwar

e bi

eten

wir

aber

nur

an,

wen

n w

ir da

durc

h so

zial

e Pr

ojek

te fö

rder

n.

Ich

habe

in G

roßb

ritan

nien

Öko

logi

e un

d Na

turs

chut

z st

udie

rt. D

anac

h w

ar ic

h m

ehre

re Ja

hre

in S

üdam

erik

a

in d

en B

erei

chen

Öko

logi

e un

d Re

ssou

rcen

schu

tz

aktiv

. Heu

te a

rbei

te ic

h al

s Bi

ldun

gsre

fere

ntin

zu

Th

emen

wie

nac

hhal

tiger

Kon

sum

und

bin

Ref

eren

tin

für Ö

ko-L

andb

au u

nd V

erbr

auch

ersc

hutz

bei

m U

mw

elt-

in

stitu

t Mün

chen

e.V

.

Zuge

gebe

n, m

ein

Lebe

nsst

il is

t nic

ht re

präs

enta

tiv.

Ich

bin

Haus

man

n m

it zw

ei K

inde

rn. U

nser

e Fa

mili

e be

wirt

scha

ftet

ein

en g

roße

n Se

lbst

vers

orge

rgar

ten:

Wir

halt

en H

ühne

r, En

ten,

Gän

se, K

anin

chen

und

Bie

nen.

Ein

se

hr g

roße

r Tei

l uns

erer

Ern

ähru

ng s

tam

mt a

us e

igen

er

Prod

uktio

n. W

as w

ir ni

cht s

elbs

t pro

duzi

eren

kön

nen,

ka

ufen

wir

nach

Mög

lichk

eit a

us d

er R

egio

n.

BIO

-FR

ÜH

ERD

BEE

RE

AU

S SP

AN

IEN

GE

KAUF

T IM

FEB

RUA

R

Aus

Spa

nien

für u

ns e

in „n

o-go

“, de

nn d

er A

nbau

ve

rbra

ucht

vie

l Was

ser,

und

Span

ien

ist w

asse

rarm

. W

er n

icht

bis

Mai

auf

deu

tsch

e Er

dbee

ren

war

ten

will

, so

llte

italie

nisc

he F

rühe

rdbe

eren

kau

fen.

Ich

alle

rdin

gs

war

te a

uf h

eim

isch

e W

are

bis

Früh

som

mer

. Auc

h un

sere

Ku

nden

hab

en w

ir du

rch

lang

jähr

ige

Bezi

ehun

gen

zu

regi

onal

en L

iefe

rant

en a

uf d

ie h

eim

isch

e Er

nte

„ein

ge-

schw

oren

“ – re

gion

al, f

risch

und

opt

imal

reif.

Regi

onal

es u

nd s

aiso

nale

s Ob

st u

nd G

emüs

e so

llte

aus

mei

ner S

icht

imm

er V

orra

ng h

aben

: kur

ze T

rans

port

weg

e er

halte

n Ge

schm

ack

und

Fris

che

und

scho

nen

das

Klim

a.

Wen

n w

ir un

sere

Um

wel

t wirk

lich

schü

tzen

wol

len,

m

üsse

n w

ir un

s vo

n de

m G

edan

ken,

das

s al

les

jede

rzei

t ve

rfüg

bar i

st, v

erab

schi

eden

. Als

o lie

ber a

uf d

ie E

rdbe

er-

sais

on b

ei u

ns w

arte

n un

d da

nn g

uten

Gew

isse

ns ri

chtig

ge

nieß

en. E

in S

aiso

nkal

ende

r gib

t Übe

rsic

ht, w

ann

was

be

i uns

reif

ist.

Bei m

ir is

t der

Ged

anke

, nur

sel

bst e

rzeu

gte

oder

zum

in-

dest

in d

er R

egio

n ge

wac

hsen

e Na

hrun

gsm

ittel

zu

esse

n,

sehr

tief

ver

anke

rt. M

ir kä

me

es n

iem

als

in d

en S

inn,

im

port

iert

e Er

dbee

ren

auße

rhal

b de

r Sai

son

zu k

aufe

n.

In u

nser

em g

roße

n Ga

rten

wac

hsen

Erd

beer

en in

Hül

le

und

Fülle

. Ich

war

te g

erne

auf

eig

ene

Erdb

eere

n. D

as

War

ten

gehö

rt fü

r mic

h eb

enso

daz

u, w

ie d

er G

enus

s se

lbst

. Wei

hnac

hten

ist s

chlie

ßlic

h au

ch n

ur e

inm

al

im J

ahr.

BIO

-AN

AN

AS

AU

S CO

STA

RIC

A

GEKA

UFT

IM A

PRIL

Die

Ana

nas

zähl

t zu

den

Exot

en, d

ie K

unde

n in

ein

er g

ut

sort

iert

en O

bsta

btei

lung

erw

arte

n dü

rfen

. Wir

verk

aufe

n da

von

aber

nur

ger

inge

Men

gen,

für u

nser

e Ku

nden

sin

d A

nana

s al

so e

twas

Bes

onde

res,

das

sie

sic

h nu

r gel

e-ge

ntlic

h gö

nnen

. Wir

vers

uche

n, e

in g

leic

hble

iben

des

A

ngeb

ot m

it at

trak

tivem

Pre

is-L

eist

ungs

verh

ältn

is ü

ber

das

ganz

e Ja

hr h

inw

eg z

u bi

eten

und

ach

ten

dara

uf, d

ass

die

Ana

nas

per S

chiff

zu

uns

kom

mt.

Da A

nana

s nu

r unt

er tr

opis

chen

Bed

ingu

ngen

wac

hsen

, si

nd la

nge

Tran

spor

tweg

e un

verm

eidb

ar, w

enn

man

so

lche

Frü

chte

ver

spei

sen

möc

hte.

Wer

abe

r sei

nen

ök

olog

isch

en F

ußab

druc

k ve

rbes

sern

möc

hte,

sol

lte

dara

uf a

chte

n, tr

opis

ches

Obs

t nur

in A

usna

hmef

älle

n

zu k

aufe

n, d

enn

sow

ohl d

er T

rans

port

per

Sch

iff a

ls a

uch

per F

lugz

eug

hat e

rheb

liche

öko

logi

sche

Nac

htei

le.

Ich

bin

sich

er, m

eine

Gro

ßelte

rn h

aben

in ih

rem

gan

zen

Lebe

n ke

ine

Ana

nas

gege

ssen

. Sie

hab

en s

ie a

uch

nich

t ve

rmis

st! D

enn

es g

ibt s

o vi

el k

östl

iche

s Ob

st, d

as a

uch

in

uns

erer

Reg

ion

wäc

hst:

Him

beer

en, J

ohan

nisb

eere

n

oder

japa

nisc

he W

einb

eere

n. E

s gi

bt fü

r mic

h nu

r ein

en

Grun

d, e

ine

Ana

nas

zu k

aufe

n: u

nser

e Ki

nder

; dam

it si

e ke

nnen

lern

en, w

as e

s in

and

eren

Län

dern

gib

t. W

er a

ber

unbe

ding

t ein

e A

nana

s es

sen

möc

hte,

dem

sei

sie

geg

önnt

.

BIO

-AP

FEL

AU

S A

RG

ENTI

NIE

N

GEKA

UFT

IM M

AI

Heim

isch

e La

gerw

are

geht

irge

ndw

ann

aus

– je

nac

h

Ernt

emen

ge u

nd N

achf

rage

. Mei

st w

echs

eln

wir

im F

rüh-

jahr

auf

Übe

rsee

war

e. D

as is

t dur

chau

s na

chha

ltig

: Lau

t ve

rsch

iede

ner S

tudi

en v

erbe

sser

t sic

h di

e Ök

o-Bi

lanz

zu

guns

ten

der Ü

bers

eew

are,

je w

eite

r das

Jah

r vor

an-

schr

eite

t. De

nn h

eim

isch

e Ä

pfel

müs

sen

beim

Lag

ern

ener

giea

ufw

ändi

g ge

kühl

t und

mit

dem

Rei

feve

rzög

erer

CO

2 beh

ande

lt w

erde

n.

Ökol

ogis

ch n

achh

altig

ein

zuka

ufen

, hei

ßt fü

r mic

h, a

uf

regi

onal

es O

bst d

er S

aiso

n zu

rück

zugr

eife

n. D

a di

e

Lage

rung

unt

er u

ngün

stig

en B

edin

gung

en w

ie z

um

Beis

piel

in K

ühlh

äuse

rn s

ehr e

nerg

ieau

fwän

dig

ist u

nd

gena

uso

schä

dlic

h w

ie d

er la

nge

Tran

spor

t sei

n ka

nn,

ist d

ie ö

kolo

gisc

h si

nnvo

llste

Lös

ung,

auf

die

Ern

teze

it

im S

päts

omm

er u

nd H

erbs

t zu

war

ten

und

Äpf

el n

ur z

u di

eser

Zei

t zu

esse

n.

12 5

00 K

ilom

eter

Luf

tlin

ie, u

m m

eine

m G

aum

en z

u

schm

eich

eln?

Dar

auf k

ann

ich

gut v

erzi

chte

n. Ä

pfel

w

achs

en a

uch

in D

euts

chla

nd. E

s gi

bt a

bsol

ut k

eine

n Gr

und,

ein

en A

pfel

um

die

hal

be W

elt z

u sc

haff

en.

Ford

ern

sie

Ihre

n Hä

ndle

r im

mer

wie

der a

uf, B

io-P

rodu

kte

aus

Deut

schl

and

anzu

biet

en. I

hre

Nach

frag

e er

zeug

t da

s A

ngeb

ot. S

ie h

aben

es

in d

er H

and,

ein

Um

denk

en

zu e

rwirk

en.

BIO

-FR

ÜH

KA

RTO

FFEL

A

US

ÄG

YP

TEN

GE

KAUF

T IM

FEB

RUA

R

Heim

isch

e La

gerw

are

gibt

es

das

ganz

e Ja

hr ü

ber.

Doch

ge

rade

Frü

hkar

toff

eln

sind

seh

r bel

iebt

. Bei

uns

kom

men

si

e vo

n de

r SEK

EM-F

arm

in Ä

gypt

en. D

iese

r Dem

eter

- Be

trie

b w

irtsc

haft

et s

ehr n

achh

altig

, etw

a m

ittel

s

spar

sam

er T

röpf

chen

bew

ässe

rung

. Ein

gut

es B

eisp

iel

für e

in s

innv

olle

s Zu

sam

men

spie

l von

ver

antw

ortu

ngs-

be

wus

ster

Nac

hfra

ge u

nd n

achh

altig

em A

nbau

.

Der A

nbau

von

Kar

toff

eln

in L

ände

rn w

ie Ä

gypt

en is

t nu

r mit

inte

nsiv

er B

ewäs

seru

ng m

öglic

h, w

odur

ch g

ra-

vier

ende

Fol

gen

für d

ie U

mw

elt e

ntst

ehen

. Aus

mei

ner

Sich

t wer

den

bei u

ns n

ur d

ann

meh

r Bau

ern

auf B

io

umst

elle

n, w

enn

regi

onal

e Bi

o-Pr

oduk

te s

tatt

Impo

rtw

are

nach

gefr

agt w

erde

n. W

er s

ich

beim

Ein

kauf

für r

egio

nale

un

d sa

ison

ale

Lebe

nsm

ittel

ent

sche

idet

, kau

ft fr

isch

e Pr

oduk

te, d

ie G

esun

dhei

t und

Nat

ur g

ut tu

n.

Müs

sen

es in

ein

em K

arto

ffel

land

wie

Deu

tsch

land

Frü

h-ka

rtof

feln

aus

Ägy

pten

sei

n? W

er B

io k

auft

, der

sol

lte

auch

übe

r den

Tel

lerra

nd b

licke

n. B

io is

t für

mic

h m

ehr,

al

s nu

r der

Ver

zich

t auf

Che

mie

und

Gen

tech

nik

oder

die

ei

gene

Ges

undh

eit.

Der B

io-G

edan

ke u

mfa

sst a

uch

ein

Zurü

ck z

u A

ltbe

wäh

rtem

, zu

regi

onal

en u

nd v

or a

llem

sa

ison

alen

Nah

rung

smitt

eln

ohne

wei

te T

rans

port

weg

e

und

ohne

gro

ßen

Verp

acku

ngsm

üll.

BIO

-HO

NIG

A

US

SÜD

AM

ERIK

A

GEKA

UFT

IM N

OVEM

BER

Honi

g w

ird g

erne

regi

onal

gek

auft

. Das

Pro

blem

: Es

gibt

vi

el z

u w

enig

„Bio

-Imke

r von

neb

enan

“, w

elch

e di

e vo

n un

sere

n Ku

nden

gew

ünsc

hten

Bio

-Sor

ten

in g

leic

hble

i-be

nder

Qua

lität

und

aus

reic

hend

er M

enge

lief

ern

könn

en.

Deut

schl

and

kann

nic

ht e

inm

al e

in F

ünft

el d

es h

ier n

ach-

gefr

agte

n Ho

nigs

sel

bst e

rzeu

gen.

Des

weg

en b

ezie

hen

wir

auch

War

e au

s w

enig

indu

stria

lisie

rten

Reg

ione

n in

Os

teur

opa

und

Süda

mer

ika.

Honi

g au

s Sü

dam

erik

a le

gt s

ehr l

ange

Tra

nspo

rtw

ege

zu

rück

. Ich

bev

orzu

ge re

gion

al p

rodu

zier

ten

Honi

g,

denn

die

s er

hält

sow

ohl d

ie lo

kale

Imke

rei a

ls a

uch

di

e he

imis

che

Kult

urla

ndsc

haft

. Auß

erde

m g

ibt e

s be

i un

s ei

n um

fang

reic

hes

Ang

ebot

an

Honi

gsor

ten.

Die

Ge

ntec

hnik

frei

heit

ist b

ei d

euts

chen

Pro

dukt

en a

m

sich

erst

en g

ewäh

rleis

tet,

wei

l es

bei u

ns k

eine

n A

nbau

vo

n Ge

npfl

anze

n gi

bt.

Mei

n Ti

pp: H

ören

Sie

sic

h um

. Es

gibt

bes

timm

t auc

h

in Ih

rer U

mge

bung

ein

en H

obby

imke

r, de

r mit

viel

En

gage

men

t, Ze

it un

d A

rbei

tsau

fwan

d Bi

enen

häl

t und

Bi

o-Ho

nig

verk

auft

. Pfl

anze

n Si

e ei

ne L

inde

in Ih

rem

Gar

-te

n od

er s

äen

Sie

eine

n St

reife

n W

ildbl

umen

aus

. Dam

it

helfe

n Si

e de

n he

imis

chen

Bie

nen

und

unte

rstü

tzen

den

Bi

o-Ge

dank

en w

eit m

ehr a

ls m

it ei

nem

Gla

s Bi

o-Ho

nig

au

s Sü

dam

erik

a.

BIO

-WEI

N

AU

S SÜ

DA

FRIK

A

GEKA

UFT

IM J

ULI

Wir

habe

n un

s an

aus

länd

isch

e W

eine

gew

öhnt

und

wol

len

sie

habe

n. N

atür

lich

gibt

es

bei u

ns im

Sor

timen

t deu

tsch

e Bi

o-W

eine

, abe

r die

sch

mec

ken

ande

rs a

ls e

in S

hira

z au

s Sü

dafr

ika,

den

wir

auch

führ

en. D

azu

kom

mt d

ie K

unst

der

W

inze

r, au

s de

n Ro

hsto

ffen

ein

tolle

s Pr

oduk

t zu

mac

hen.

Ge

rade

öko

logi

sche

r Wei

nbau

ist a

nspr

uchs

voll!

Und

aus

dafr

ika

kom

men

tolle

Rot

wei

ne.

Bio-

Wei

n au

s de

utsc

hen

Land

en k

ann

qual

itativ

und

ge

schm

ackl

ich

sehr

gut

mit

ausl

ändi

sche

n W

eine

n m

ithal

ten,

sod

ass

man

auc

h hi

er a

uf d

euts

che

Prod

ukte

od

er P

rodu

kte

aus

den

unm

ittel

bare

n Na

chba

rländ

ern

zurü

ckgr

eife

n ka

nn. A

uf d

em a

frik

anis

chen

Kon

tinen

t so

llte

nach

mei

ner M

einu

ng d

ie P

rodu

ktio

n in

der

Lan

d-w

irtsc

haft

auf

die

Ern

ähru

ng d

er B

evöl

keru

ng s

tatt

auf

de

n Ex

port

aus

geric

htet

sei

n.

Ich

bin

kein

Wei

nken

ner,

kann

mir

aber

vor

stel

len,

das

s W

ein

unte

r Fac

hleu

ten

eine

Phi

loso

phie

ist.

Ein

wirk

liche

r W

eink

enne

r wird

den

Unt

ersc

hied

zw

isch

en e

inem

Wei

n

aus

Süda

frik

a un

d ei

nem

Mos

elw

ein

erke

nnen

. Ich

nic

ht.

Wen

n sc

hon

eine

n gu

ten

Trop

fen,

dan

n lie

ber a

us s

üd-

afrik

anis

chem

Bio

-Anb

au, a

ls a

us k

onve

ntio

nelle

m

heim

isch

em A

nbau

.

Page 16: Alnatura Jubiläumsmagazin

SO

ZIA

LES

16Warum sind die meisten Bio-Pioniere und -Unter-nehmer Männer, Frau Beer?Männer sind in allen Bereichen der Wirtschaft häufiger Unter-

nehmer als Frauen – das ist in der Bio-Branche nicht anders

als in anderen Branchen. Frauen trauen sich meist weniger zu,

stufen ihre Fähigkeiten zu gering ein und stellen sich schneller

in Frage als Männer. Das ist von Nachteil, wenn es darum

geht, Führung zu übernehmen. Zudem machen wir Frauen

uns mehr Gedanken über die Folgen unserer Handlungen. Das

kann bremsen, aber ich sehe das eigentlich als Stärke, die sehr

gut in die nachhaltigen Branchen passt. Und die anthropo-

logischen Unterschiede spielen sicher auch eine Rolle. Allein

dadurch, dass Frauen in der Lage sind, Leben zu schenken und

damit zumindest in der ersten Zeit für das Kind lebenswichti-

ger sind als der Mann, wandert ein Teil der Lebensenergie von

Frauen in den Bereich Kinder und Familie.

Die Bio-Kunden sind überwiegend Frauen. Wäre es da nicht gut, wenn es auch mehr Frauen in Führungs-positionen gäbe?

Eine Bio-Unternehmensführung kann von einem Mann wie

von einer Frau ebenso gut gemacht werden, auch in der Werte-

welt, in der wir in der Bio-Branche leben. Wenn der Mann

bereit ist, sich auch dahingehend zu öffnen, dass quantitatives

Wachstum nicht alles ist. Das ist eine Sichtweise, die ich eher

dem Weiblichen zuordne. Zum Beispiel: Umsatz ist für mich

kein Ziel, sondern eher das Ergebnis einer inhaltlichen Arbeit.

Wir Frauen sehen Arbeitszufriedenheit, Lebens- und beruf-

lichen Erfolg eher gleichberechtigt.

Frauen machen also vieles anders als Männer. Wie ist das bei Ihnen persönlich? Ich führe das Unternehmen gemeinsam mit meinem Mann.

Ich stelle fest, dass die klassischen männlichen Ziele mehr

durch ihn repräsentiert werden, die weiblichen durch mich.

Was ich in der Mischung gut finde, weil wir so aus einem

größeren Talentpool schöpfen können.

Worauf gründet Ihr Erfolg als Bio-Unternehmerin? Ich halte die Herangehensweise, sich ein Thema aus Leiden-

schaft anzueignen, für einen hervorragenden Weg, nicht in

die gleichen Fußstapfen der schon bestehenden Industrie

zu treten. Wir haben Dinge neu gedacht und anders um-

gesetzt als es bis dahin üblich war. Bestes Beispiel ist das

Rezepturprinzip unserer Kosmetik: Wir verwenden anstelle

des üblichen Hauptbestandteils Wasser in unseren Cremes

und Emulsionen reine Pflanzensäfte. Damit erzielen wir eine

grundlegend intensivere Wirkung auf der Haut, die unsere

Kunden lieben. Wir haben gesättigte Märkte. Man sollte

dieser Welt nur noch etwas hinzufügen, wenn es wirklich

gut und außergewöhnlich ist.

Eigentlich war eine andere berufliche Laufbahn für Sie vorgesehen.Ich bin die älteste von drei Töchtern und war auserkoren, von

meinen Vater mal das Familienunternehmen (Anm. d. Red.:

Branche Elektrotechnik) zu übernehmen. Der Betrieb ging

während des Schreibens meiner Abschlussarbeit in Konkurs.

Das war eine starke Erfahrung für mich, und es war gut für

„FÜR UNS FRAUEN IST DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT

GROSSARTIG“Zwar sind Bio-Kunden mehrheitlich Frauen, die Bio-Unternehmen führen

aber vor allem Männer. Ergibt das Sinn? Ein Gespräch mit Sabine Beer, Gründerin und Geschäftsführerin von Santaverde.

WIE FRAUEN UND MÄNNER DIE BIO-BRANCHE BEWEGEN

Interview SYLVIA RAABE

Page 17: Alnatura Jubiläumsmagazin

SO

ZIA

LES

17

Santaverde mit Hauptsitz in Hamburg ist ein wichtiger Alnatura Partner für Kosmetik. Neben Aloe-vera-Produkten von Pflanzen aus eigenem Anbau in Spanien produziert Santaverde mit seinen 40 Mitarbeitern auch Naturpflege aus der Cashewfrucht, die das Unternehmen in Brasilien kultiviert. Angefangen hat alles vor 28 Jahren, als die studierte Ökonomin Sabine Beer mit ihrem Mann eine Finca im Andalusien kaufte. Die heute 59-Jährige litt damals unter Hautproblemen und erhielt von ihrem Nachbarn zur Linde-rung ein Aloe-vera-Blatt. Überzeugt von der Wirkung der Pflanze und mit dem Bestreben, ökologische Verantwortung im Wirt-schaftsleben zu übernehmen, baute Beer 1986 die ersten Aloe- vera-Pflanzen zur Herstellung eigener Naturkosmetik an – und gründete die Santaverde Gesellschaft für Naturprodukte mbH. Die Eheleute Beer sind gleichberechtigte Geschäftsführer: Sie kümmert sich außerdem um die Produktentwicklung und Öffent-lichkeitsarbeit, er betreut die firmeneigenen Anbaugebiete in Spanien und Brasilien. Ein Großteil des Santaverde-Teams sind Frauen, mehr als die Hälfte Mütter.

meine Entwicklung. Ich war zu einem Perspektivenwechsel

gezwungen. Ich habe gelernt, wieder aufzustehen. Mit

Niederlagen umzugehen und sich davon nicht mutlos

machen zu lassen – das ist auch etwas sehr Weibliches.

Wenn Kinder kommen, ist für viele Frauen Schluss mit dem beruflichen Aufstieg. Muss das so sein?Das muss überhaupt nicht so sein, aber die Strukturen unserer

Wirtschaft sind auf Männer und ständige Verfügbarkeit abge-

stimmt. Die Modelle, in denen sich Frauen einen Führungsjob

teilen, sind noch sehr ungewöhnlich. Dennoch ist das genau-

so möglich, wie ich mit meinem Mann die Führungsaufgaben

teile.

Für DAX-Unternehmen wird eine Frauenquote diskutiert. Halten Sie das für sinnvoll?Ich bin klar gegen eine Quotenregelung. Man sollte nicht

wegen seines Geschlechts, sondern wegen seiner Qualifikation

dort sein, wo man ist.

Was empfehlen Sie jungen Frauen, die am Anfang ihres Berufsweges stehen?Gerade für uns Frauen ist die Selbstständigkeit eine großartige

Form zu leben und Geld zu verdienen. Sie ist perfekt, um

Lebensverwirklichung nicht in die Rentenzeit zu verlegen und

sich Themen zu widmen, die einem persönlich liegen. Aber

ob selbstständig oder als Mitarbeiterin, die wichtigste Voraus-

setzung ist: wissen, was einem liegt und was mich auch dann

hält, wenn es schwierig wird. Und: für etwas zu arbeiten, das

größer ist als das eigene Leben, wie die Unverletztheit der

Natur und mehr soziale Gerechtigkeit. Das motiviert zutiefst

und macht einfach glücklich.

SABINE BEER Gründerin und Geschäftsführerin Santaverde

Page 18: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

18

BERTA SCHARRT

Berta ist gerade umgezogen. Das braune Huhn pickt fröhlich

im frischen Gras. Berta muss alle zwei bis drei Wochen

umziehen – besser gesagt: darf! Das Bio-Huhn lebt nämlich

in einem Hühnermobil im Ökodorf Brodowin nahe Berlin.

Und wenn Berta und ihre 450 Artgenossinnen die Wiese vor

dem Stall auf Rädern durchgescharrt haben, zieht die ganze

Hühnerschar samt Behausung einige Meter weiter ins frische

Grün. Heute hatte Berta noch keine Lust, ein Ei zu legen. Muss

sie auch nicht – im Gegensatz zu Hochleistungshühnern, die

es locker auf 310 Eier im Jahr bringen.

Vor 200 Jahren legten Hühner höchstens 50 Eier pro Jahr.

Doch die auf Effizienz ausgerichteten Geflügelzüchterfirmen

haben die Tiere durch Züchtung „optimiert“: Heute gibt es

fast nur noch Rassen, die entweder viele Eier legen oder viel

Fleisch ansetzen. Das Problem: Hähne legen bekanntlich keine

Eier – und da die männlichen Tiere bei den Legerassen zu

wenig Fleisch ansetzen, sind sie wirtschaftlich uninteressant.

Deshalb werden sie als Eintagsküken gleich nach dem

Schlüpfen getötet.

Das gilt auch für die Bio-Branche. Obwohl alle Bio-Akteure

diese Praxis ablehnen, müssen sie diese Entwicklung (fast

immer) akzeptieren. Der Grund: Es fehlen die geeigneten

Rassen, denn nahezu alle Küken kommen von drei großen

Zuchtbetrieben. Und diese arbeiten primär für den konventio-

nellen Markt. Die Hochleistungstiere aus den Zuchtbetrieben

sind mit der eigentlich artgerechten Haltung im Freien oft

überfordert: Sie fürchten sich vor Wind und Wetter, vor grel-

lem Licht und vor ungewohnten Geräuschen. Die ökologische

Landwirtschaft, in der artgerechte Tierhaltung eine wesent-

liche Maßgabe ist, arbeitet deshalb an eigenen Lösungen,

zum Beispiel durch die Züchtung neuer, für die Bio-Haltung

geeigneter Rassen. Doch bis eine neue Rasse gezüchtet wird,

vergehen meist etliche Jahre. Und ob diese Züchtungen dann

die gewünschten Anforderungen erfüllen und vom Markt

angenommen werden, stellt sich auch erst lange nach Beginn

der Arbeit heraus.

Grund genug für Alnatura und das Ökodorf Brodowin, einem

der größten biodynamischen Betriebe Europas, auch nach

kurzfristigen wirksamen Alternativen zu suchen. Auf dem

idyllisch gelegenen Anwesen werden seit 2014 sogenannte

Zweinutzungshühner gehalten. Die Hennen legen genügend

Eier und die Hähne setzen ausreichend Fleisch an.

Allerdings ist der Ertrag bei diesem Alleskönner-Huhn im Ver-

gleich zu den üblichen Hochleistungsrassen geringer. „Wir

wissen noch nicht ganz genau, wie viel Fleisch unsere Hähn-

chen bringen oder wie viele Eier die neue Rasse tatsächlich

legt“, sagt Peter Krentz, einer der beiden Geschäftsführer vom

Ökodorf Brodowin. Rein rechnerisch müssen die Eier von Berta

und ihren Schwestern drei Cent mehr pro Stück kosten, um

ihre Brüder mit zu ernähren, die nicht mehr direkt nach dem

Schlüpfen getötet werden, sondern als Masthähnchen groß

gezogen werden. Im Laden sind das dann rund 50 Cent pro Ei

– damit kosten sie doppelt so viel wie Bio-Eier beim Discounter.

Hähnchen von Zweinutzungsrassen setzen gut 30 Prozent

weniger Fleisch an als die Turborassen. Deshalb dauert die

Mehr Tierwohl geht nur mit mehr Aufwand – und der kostet. Vieles ist dank der Bio-Landwirtschaft schon auf einem guten Weg – einiges lässt sich auch in der Bio-Branche noch verbessern. Wir waren auf Sinnsuche in Hühner- und anderen Ställen.

NEUE WEGE FÜR MEHR TIERWOHL

Autorin STEFANIE GRAUER

Page 19: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

19

Aufzucht länger. Ein Zweinutzungshuhn frisst auf seine

Lebenszeit gerechnet fast doppelt so viel wie ein herkömm-

liches Huhn – und das kostet. Auch diesen Aufschlag müssen

wir Verbraucher bereit sein zu zahlen, wollen wir das Töten

der Küken künftig verhindern. „Uns geht es im Moment

nicht ums Geldverdienen, sondern um einen Neuanfang in

der Hühnerhaltung“, so Brodowin-Geschäftsführer Krentz.

Ein Neuanfang, wie er auch in anderen Bereichen der Tier-

haltung nötig wäre. Denn Bio-Landwirte müssen auch bei

der Putenmast und in der Milchviehhaltung meistens auf

Rassen zurückgreifen, die eigentlich für die intensiv betriebene

konventionelle Landwirtschaft gedacht und deshalb über-

züchtet sind. Deshalb setzt sich die Zukunftsstiftung Landwirt-

schaft mit Unterstützung von Alnatura für eine ökologische

Tierzucht ein.

Im Ökodorf Brodowin dürfen sich Bertas Brüder auf 21

Wochen sattes Grün freuen – knapp drei Monate länger als

ihre Verwandten in konventionellen Mastbetrieben. Diese

leben nur 31 Tage und nehmen jeden Tag zehn Prozent ihres

Körpergewichtes zu. Berta und ihre Brüder haben hingegen

Zeit. Die Gackerliesen wachsen vier Wochen schonend zur

Legehenne heran bis sie Eier legen, die groß und stabil genug

für den Handel sind. Ein Viererkarton mit dem Alnatura Origin

Ei aus Brodowin ist dann für 1,99 Euro in den Berliner Alnatura

Filialen erhältlich. Von der Nachfrage der Verbraucher wird es

abhängen, ob das Pilotprojekt auf andere Standorte erweitert

werden kann. Dann könnten viele weitere Hühner, so wie

Berta, auf rollenden Ställen immer wieder zu frischem Grün

gezogen werden.

WEITERE INFOS ZUR ÖKOLOGISCHEN TIERZUCHT: www.tierzuchtfonds.de

NOCH SIND ZWEINUTZUNGSHÜHNER DIE AUSNAHME. BIS ES DAVON MEHR GIBT, VERFOLGT ALNATURA FÜR ALLE ANDEREN BIO-EIERHÖFE EIN EIGENS ENTWICKELTES PROGRAMM FÜR MEHR TIERWOHL IN HÜHNERSTÄLLEN. ERARBEITET WURDE DIESER ANSATZ GEMEINSAM MIT DER HÜHNEREXPERTIN DR. CHRISTIANE KEPPLER. SIE UND IHR TEAM ÜBERPRÜFEN AUF DEN ALNATURA PARTNERHÖFEN DAS WOHL DER LEGEHENNEN.

Was genau machen Sie als „Hühnerflüsterin“? Vor allem schaue ich darauf, ob es dem Huhn gut geht. Hierfür

haben wir klare Kriterien. 1. Ist das Tier gestresst oder schreck-

haft, stillt es Hunger und Durst? 2. Verhält es sich wie es seiner

Natur entspricht? 3. Wie ist der Tierzustand? Für eine Übersichts-

beurteilung nehmen wir je Herde bis zu 25 Tiere in die Hand und

untersuchen sie auf mögliche Verletzungen und andere Beein-

trächtigungen. Stellen wir Abweichungen fest, muss der Bauer

nachbessern. Wir besprechen mit dem Bauern, durch welche Maß-

nahmen wieder ein guter Zustand der Tiere erreicht werden kann.

Und wie lassen sich Schwachstellen optimieren?Das kommt auf den Einzelfall an. Man kann versuchen, die Fütte-

rung zu ändern und für eine optimale Aufzucht der Junghennen

sorgen, zum Beispiel den Übergang von der Aufzucht in die

Legeperiode der Hennen besser gestalten oder den Tieren mehr

Platz und vor allem Beschäftigung geben. Federpicken beispiels-

weise ist eine Verhaltensstörung, die zeigt, dass das Huhn nicht

genügend Beschäftigungsanreize erhält.

Was wünscht sich denn ein glückliches Huhn?(Lacht.) Hühner bewegen sich zwei Drittel des Tages draußen und

suchen Futter – wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Wir haben

herausgefunden, dass Hühner bis zu fünfzehntausend Mal am Tag

picken, und dieses Futtersuch- und Fressverhalten muss „abgear-

beitet“ werden, sonst kommt es zu Federpicken in der Hühnerherde.

Ganz wichtig sind Sandbäder zur Gefiederpflege. Und Hühner

brauchen Sitzstangen zum ungestörten Putzen, Ruhen und

Schlafen sowie geschützte Bereiche zur Eiablage.

Die Hühner- flüsterin

DR. CHRISTIANE KEPPLER Biologin Universität Kassel

www.alnatura.de/eier

Page 20: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

20

Page 21: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

21

BIOGRAFIE: 1984

Wir waren die typische bürgerliche Durchschnittsfamilie:

Vater, Mutter, drei Kinder. Ich bin der Jüngste. Bis Sommer

1984 besuchte ich die 10. Klasse des Gymnasiums. Mein

Leben bestand aus wöchentlich 40 x 45 Minuten Unterricht:

zweimal in der Woche auch nachmittags, alle zwei Wochen

gab es sogar am Samstag zwei Doppelstunden. Schule, Haus-

aufgaben, Sportvereine – der Rest der Freizeit ging für die

Schülerzeitung drauf und die Arbeit bei der „echten“ Zeitung.

SO LEBTEN WIREinen Computer hatten wir damals noch nicht, das erste „trag-

bare“, fünf Kilogramm schwere Mobiltelefon namens „Porty“,

war eben erst auf den Markt gekommen und kostete rund

7.000 Mark, die monatliche Grundgebühr 300 Mark. Unser

Fernsehprogramm bestand 1984, dem Gründungsjahr von

RTL, aus drei Programmen: ARD, ZDF und „das Dritte“ – in

unserem Falle vom Südwestfunk Baden-Baden. Als wir unse-

ren ersten Fernseher bekamen, war ich schon acht. Wichtiger

waren ohnehin Freunde: Wenn ich die treffen wollte ging ich

einfach bei ihnen vorbei. Entweder hatten Jürgen, Andreas

oder Stefan Lust, mit mir Zeit zu verbringen – oder eben nicht.

Die Telefongebühren waren damals noch so horrend, dass

unser Papa mit Argusaugen über die Telefonnutzung wachte.

Bei uns zu Hause typisch: Auto, Kleidung, Möbel oder Technik

durften durchaus etwas kosten; an Verbrauchsgütern für den

täglichen Bedarf wie das tägliche Essen oder an allem, was

kurzzeitigen Genuss versprach, wurde gespart.

DIE JUGEND: AB IN DIE MIKROWELLE! Convenience – das Wort kannte ich 1984 noch nicht. Meine

Mutter auch nicht – aber sie kannte die Telefonnummer vom

Eismann. Die über die Dörfer fahrenden Tiefkühllaster mit Fer-

tiggerichten, Tiefkühlgemüsen und Eis an Bord fand sie toll.

Wenn ich mittags von der Schule nach Hause kam, konnte sie

flugs das Rahmgulasch mit Fertigspätzle und Gemüsebeilage

in die Mikrowelle schieben. Geschmack? War reichlich drin,

dank der Zusatzstoffe und zig Emulgatoren, von denen heute

sicher einige verboten sind. Sinnvoll für die Ernährung? Eher

weniger. Aber praktisch, aus Muttersicht. Ich hätte mir ja auch

selber was kochen können …

DIE KINDHEIT: SAMSTAG WAR SPAGHETTI-TAG Zehn Jahre zuvor war unser Speisezettel überschaubar: 1974,

zur Zeit der Fußball-WM in Deutschland, gab es bei uns min-

destens einmal in der Woche Spaghetti. Pasta sagte damals

kein Mensch – außer die Italiener. Die Nudeln servierte meine

Mutter meistens am Samstag: mit einer pampigen roten Soße

aus Tomatenmark und einer Mehlschwitze. Dazu gab es geho-

belte weiße Späne aus der Tüte mit der Aufschrift Parmesan

– ich liebte das! Wie frisch aus einem Käselaib geschnittener

Parmesan schmeckt, erfuhr ich erst, als ich schon 30 war. Dafür

lernte ich Anfang der 1980er-Jahre bereits mit Wasser angerührte

Spagetti-Fertigsoßen aus der Tüte kennen – die verweigerte

sogar ich. Unser sonstiger Speiseplan: Unter der Woche gab es

Würstchen, Aufläufe und alles, was sich günstig einkaufen >>

1984 – IM GRÜNDUNGSJAHR VON ALNATURA – feierte unser Autor seinen 17. Geburtstag. Der Begriff „Bio“ war in seinem Heimatdorf im Schwarzwald zwar schon angekommen, galt aber eher als Schimpfwort für schrumpeliges Obst und Gemüse. Im Trend waren dagegen Mikrowelle und Convenience-Gerichte. Internet und E-Mail waren noch nicht erfunden, Computer für den Hausgebrauch kosteten ein Vermögen. Aber immerhin gab es elektrische Schreibmaschinen, auf denen unser Autor damals seine ersten Artikel für die Zeitung tippte. Eine Erinnerung an Dosen- Ravioli, Eichenholzfurnier und den langen Weg zu einer halbwegs nachhaltigen Lebensweise.

„BEQUEMES ESSEN BRACHTE DER EISMANN!“

Autor HOLGER MEERWARTH

Page 22: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

22

ließ und satt machte. Der Freitag war für Fischstäbchen oder

Süßspeisen reserviert. Und Sonntag war der einzige Fleischtag

der Woche: Gulasch, Braten, Hähnchen – all das galt als Sonn-

tagsbraten. Jeden Tag Fleisch? Undenkbar, vor allem unbe-

zahlbar. Wenn meine Eltern mal unterwegs waren, „kochte“

ich auch für mich alleine: Ravioli-Dose mit dem Büchsenöffner

aufstemmen, rein in den Topf, drei Minuten warmmachen.

Runterschlingen. Einmal schaffte ich es sogar, diese Dosen-

Ravioli anbrennen zu lassen …

ARBEITS- UND LEBENSRÄUMEUnser Wohnzimmer: Schrankwand Eiche rustikal, dazu eine

unbequeme Polstergarnitur in Weinrot, ein 4:3 Fernseher

mit Nussbaumfurnier. Im Esszimmer ein grünes Telefon mit

Wählscheibe, dasselbe gab‘s nochmal im Büro. Dort stand

auch ein Fax. Das war schon eine technische Revolution, weil

man damit nicht nur Dokumente übermitteln, sondern auch

kopieren konnte; allerdings verblasste die Kopie auf Thermo-

papier innerhalb weniger Monate, sodass man nichts mehr

lesen konnte. Computer? Gab es damals nur in großen Fir-

men; mein Vater (ein selbstständiger Handelsvertreter) fluchte

darüber, weil nach seiner Meinung die Computer alles nur

komplizierter und fehleranfälliger machten. Bei uns im Büro

stand dagegen noch eine Kugelkopfschreibmaschine; das war

schon revolutionär für damalige Verhältnisse, denn sie hatte

ein Korrekturband, mit dem man Tippfehler schnell ausbes-

sern konnte. Für mich genial, denn ich schrieb damals meine

ersten Zeitungsartikel als freier Journalist.

VON MÄRKTEN UND GÄRTENObwohl wir immer einen Garten mit eigenem Gemüse hatten,

ging ich mit meinen Eltern in den 1970er-Jahren noch regel-

mäßig auf den Wochenmarkt in der zehn Kilometer ent-

fernten Kreisstadt. In der 80er-Jahren schossen dann überall

Supermärkte wie Pilze aus dem Boden: einkaufen von 9 bis 18

Uhr – wozu da noch auf Wochenmarkt-Tage Rücksicht nehmen.

Im Supermarkt gab es ja alles – und noch mehr: Kiwi, Ananas,

Honig-Melonen – das führten die Marktbauern in der Provinz

damals nicht. Dafür aber Kresse. Nicht diese kleinen Schälchen

für die Salatdeko, die es heute überall gibt, sondern Kresse

eimerweise. Bei uns gab es das als Salat in einer riesigen

Schüssel – als Abwechslung zu Kopfsalat, Feldsalat und

Endiviensalat. Nach dieser Kresse in solchen Mengen halte ich

heute noch vergeblich Ausschau. Finde ich aber nirgends –

stattdessen Batavia, Salatherzen, Lolorosso, Eichblattsalat …

Die Essens-Vielfalt von heute gab es bei uns damals nicht. Da-

für verbreitete sich das Wörtchen „Bio“. Wir im Dorf sagten

eher: ungespritzt! Das kannte ich schon vom Bauernhof; dort

half ich gerne beim Tierefüttern und der Heuernte. „Unser“

Bauer aß nur die Äpfel von seinen Bäumen rund ums Bau-

ernhaus. Die waren ungespritzt, die durften auch wir Kinder

essen. Von den Äpfeln seiner Plantagen vor dem Dorf verjagte

uns der Bauer dagegen regelmäßig – die gingen in den Ver-

kauf der Genossenschaft und waren eben: gespritzt.

WIE BIO IN DIE GRAFIE KAMMeine Mutter kaufte gelegentlich im Reformhaus ein: irgend-

welche Körnersachen und sündhaft teure Kosmetikartikel.

Das Schrumpel-Obst-und -Gemüse dort ließ sie liegen. Zu

meiner Kindheit hatten übrigens fast alle Äpfel sogenannten

„Schorf“: eine Art dünner Grind wie ein Leberfleck an der

Schale. Heute sehe ich diesen Apfelschorf kaum noch. Bei

„gespritzten“ konventionellen Äpfeln leuchtet mir das ein; bei

Bio-Äpfeln wunderte es mich. Bis ich bei meinem ersten Messe-

Besuch der Biofach in Nürnberg von einem Bauern erfuhr,

warum selbst Bio-Obst heute makellos aussieht: Kupfer und

Schwefel. Gut für die Optik und Haltbarkeit von Obst, weniger

gut für die Böden. Dass Bio-Landwirtschaft dennoch Sinn

macht, steht für mich außer Frage. Auch weil ich weiß, wie

viele Bio-Landwirte und Forscher fleißig weiter nach Lösungen

suchen, um den Umgang mit Tier, Pflanze und Boden jeden

Tag ein bisschen nachhaltiger zu gestalten. Aber vielleicht

müssten langsam mal wir Verbraucher etwas von unserem

Anspruch auf „bequemen Essen“ zurücknehmen … – oder?

„Convenience – das Wort kannte ich 1984 noch nicht. Meine Mutter auch nicht – aber sie kannte die Telefonnummer vomEismann.“

Page 23: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

23

Alnatura Gründer Götz Rehn setzte von Anfang an auf Bio – ein echter Pionier im Jahr 1984.

Page 24: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

24

ALNATURA UND ICH1984 legte Götz Rehn den Grundstein für Alnatura, zwei Jahre später standen die ersten Alnatura Produkte bei den Handelspartnern in den Verkaufsregalen. 1987 eröffnete die erste Alnatura Filiale in Mannheim. Heute, 30 Jahre später, gibt es 89 Alnatura Super Natur Märkte in 41 deutschen Städten und drei Alnatura Bio-Märkte in der Schweiz. Über 2 200 Mitarbeiter setzen tagtäglich ihre Zeit, Arbeitskraft, Ideen und ihr Engagement für die Arbeitsgemeinschaft ein.

Kunst als „Lernraum zur Selbstver-antwortung“: Das erproben unsere Lernenden

seit Jahren im Theaterworkshop „Abenteuer Kultur“. 2012 haben wir mit unseren Bonner Lehrlingen zum ersten

Mal Kunst in der Filiale gemacht: Bei „FilialART“ geht es darum, das Alltägliche mit anderen Augen zu betrachten. Wir haben

Alnatura Produkte plastiziert und nachmodelliert – und in der Filiale ausgestellt. Durch Pantomime im Schaufenster haben wir Kunden in die Aktion einbezogen. In diesem Jahr gibt es „FilialART“ zum

zweiten Mal – für Mitarbeiter quer durch alle Positionen.

Die Eröffnung der ersten Heidelberger Filiale stand bevor. Um darauf aufmerksam zu machen, lief ich durch die Stadt und

verteilte Zettel – als Möhre verkleidet. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen,

wie viele Japaner sich mit mir haben fotografieren lassen. Und das war nicht

mein einziges mulmiges Gefühl: Am Vorabend hatte ich einen sympathischen Typen kennen gelernt und war in Sorge,

dass wir uns beim „Stadtbummel“ wiedertreffen würden. Ich weiß gar nicht, ob er mich erkannt

hätte … Ist auf alle Fälle nicht passiert. Heute sind wir verheiratet und haben

drei Kinder.

BEOBACHTUNGEN, ERINNERUNGEN, BLICKE IN DIE ZUKUNFT: ACHT ALNATURA MITARBEITER UND IHRE GEDANKEN ZUM JUBILÄUM

NATASCHA BÖCKERPÄDAGOGIN UND BILDENDE KÜNSTLERIN, SEIT 2008 AUSBILDUNGSBERATERIN BEI ALNATURA.

ANJA WALDMANNSEIT 1998 BEI ALNATURA, SCHULT UNSERE FILIALMITARBEITER IN SACHEN ERNÄHRUNG UND SCHREIBT TEXTE FÜR DIE ALNATURA MEDIEN.

Protokoll KRISTINA RUDY

Page 25: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

25

Ich finde es faszinierend,

wie sich das Alnatura Kon-zept am Markt durchsetzt, und dass

wir immer neue Bio-Kunden dazugewinnen. Ich glaube, wir sind der Zeit oft einen Schritt voraus. Wie wir heute wach-sen, das wäre in den 70er- und 80er-Jahren nicht möglich

gewesen. Alleine 26 Neueröffnungen habe ich neben meiner Tätigkeit als Filialleiter begleitet. Teilweise war ich bis zu zehn Wochen vor Ort. Ich habe viele neue Menschen

und Aufgaben kennen gelernt und Freundschaften geschlossen, die bis heute gehalten haben.

Vor genau zehn Jahren begann mein Weg mit und bei Alnatura – pünktlich zum

20. Geburtstag. Damals war ich in Darmstadt Minijobber, um mein Studium als Grundschullehrerin zu finanzieren. Heute bin ich

schon seit achteinhalb Jahren Filialleiterin in Hamburg. 2004 gab es gerade mal 17 Filialen in Deutschland, 2014

gibt es schon 89, und sogar Alnatura Bio-Märkte in der Schweiz. Wer weiß, vielleicht mach‘ ich ja in zehn Jahren

den ersten Super Natur Markt in London auf ;-)!

Mutter Theresa sagte: “I alone cannot change the world. But I can cast a stone

across the waters to create many rippels.” In diesem Sinne schlagen der Stein, den Götz Rehn vor 30 Jahren

mit seiner Idee, Alnatura zu gründen, ins Wasser geworfen hat und die vielen Steine, die ihm folgten, erfolgreich

kräftig Wellen. Und auf einer Welle sitzt rudernd die kleine Birgit Hartnagel. Vielleicht ist dieser Erkenntnismoment

mein Alnatura Moment?

Anfang 2011 hatten wir die Vision, ein Hochregal-lager komplett aus Holz bauen zu lassen. Von diesem Gedanken, den in

dieser Dimension kein Unternehmen vor uns weiterverfolgt hatte, wollten wir Götz Rehn be-

geistern. Nach vielen kreativen Stunden in unserem Logistik-Team saß ich mit einer perfekt ausgearbeiteten Prä-

sentation am Schreibtisch unseres Unternehmensgründers. Noch bevor mein Laptop richtig hochgefahren war, verabschiedete

mich ein begeisterter Herr Rehn. Im Juli 2013 feierten wir das Richtfest für das weltweit größte Hochregallager

aus Holz, im Mai dieses Jahres haben wir es eröffnet.

Die Eröffnung des ersten Schweizer Alnatura Bio-Markts, den wir gemeinsam mit der Migros 2012 in

Zürich-Höngg eröffnet haben, ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Es war spannend zu beobachten, wie neugierig die

Schweizer Kunden auf Alnatura waren – und ich habe sogar einige Freiburger Kunden wiedergetroffen, die extra zur

Neueröffnung in die Schweiz gefahren waren.

Regelmäßig bieten wir für die Filial-Mitarbeiter unserer Handelspartner Seminare an. Wir bereiten

Gerichte zu, besuchen einen Bauernhof und erfahren so den (Mehr-)Wert von Naturkost aus

biologischem Landbau. Nach einem Seminar kam eine Teilnehmerin auf mich zu, nahm mich in den Arm und sagte: „Sie haben mich aus einem Dornröschenschlaf geweckt.“ Darüber habe ich mich sehr gefreut und in meiner Arbeit

bestätigt gesehen.

NICOLE HERMANNIST FILIALLEITERIN IN HAMBURG-OTTENSEN.

BIRGIT HARTNAGELSEIT 2007 BEI ALNATURA, LEITET DAS TEAM „ALLGEMEINER SERVICE“.

BARBARA UNGERERBEGANN 1989 ALS PRODUKT-MANAGERIN BEI ALNATURA.

WULF BAUERIST SEIT 2013 GESCHÄFTSFÜHRER NEBEN GÖTZ REHN. ZUVOR LEITETE ER DEN BEREICH LOGISTIK.

VALENTIN FUCHSBEGANN 2006 SEINE AUSBILDUNG BEI ALNATURA IN FREIBURG. HEUTE IST ER GEBIETS-VERANTWORTLICHER FÜR DIE FILIALEN IN BREMEN, GÖTTINGEN UND HANNOVER.

DIETER WEISSSEIT 2004 BEI ALNATURA, LEITET DIE FILIALE IN DER KARLSRUHER KÄPPELESTRASSE.

Protokoll KRISTINA RUDY

Page 26: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

26

Bayern wir kommen. Wir, das sind mein Vater, meine Mutter,

mein um fünf Jahre älterer Bruder und ich. Das war vor vier

Jahren. Wir zogen also von Dresden nach Regensburg und

damit in ein neues Leben. In Dresden besuchte ich die Sport-

grundschule, dann das Gymnasium, machte Eiskunstlauf als

Leistungssport und spielte gerne Volleyball. Durch den vielen

Sport war Ernährung für mich schon immer ein Thema. Viel

Obst und Gemüse, kein Fast Food. Für den Hunger zwischen-

durch hatte ich eine Banane in meiner Tasche. Das war in

Sachsen allerdings keine Bio-Banane, obwohl wir Bio-Produkte

eingekauft haben – so gut es eben ging in Dresden in unse-

rem kleinen Bio-Laden mit kleiner Auswahl. Bio wo immer es

möglich ist, war die Devise in unserer Familie – wahrscheinlich

auch, weil sich mein Vater als Ernährungsberater besonders

stark dafür gemacht hat. So richtig geht das aber erst, seit

wir in Regensburg leben – dort haben wir dank Alnatura eine

riesige Auswahl.

In der 10. Klasse hatte ich keine Lust mehr auf Schule. Ich

wollte eine Ausbildung machen, schrieb an Alnatura, hatte ein

Vorstellungsgespräch und konnte im April 2013 zu arbeiten

beginnen, auf 400 Euro Basis. Das war schon aufregend, aber

ich wusste genau, dass es das ist, was ich wirklich möchte.

Ich habe mich deshalb auch nur bei Alnatura beworben. Eine

andere Stelle kam für mich gar nicht in Frage. Im September

2013 startete meine Ausbildung, die bis 2016 geht. Und

dann, nach meinem Abschluss, wäre es super, wenn ich bei

Alnatura bleiben könnte, mich weiterbilden kann und >>

BIOGRAFIE: 2014Als 1984 Alnatura gegründet wurde, war Gloria Natalie Hillig noch gar nicht geboren. Heute ist die 19-Jährige im ersten Jahr ihrer Ausbildung im Alnatura Super Natur Markt in Regensburg. Geboren und aufgewachsen in Dresden, zog sie vor fünf Jahren mit ihrer Familie – Vater, Mutter, Bruder – nach Bayern. Sie ist Flexitarierin, boykottiert die typischen Fast-Food-Ketten, liebt Sport und hat einen klaren Lebensplan. Hier erzählt sie, warum ihre Entscheidung für die Bio-Branche nicht einfach eine Job-Entscheidung war.

„MEINE ALNATURA LEHRE IST FÜR MICH MEHR ALS EINE ARBEIT.“

Protokoll ANDREA KNURA

Page 27: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

27

Protokoll ANDREA KNURA

Page 28: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

28

irgendwann mal, noch bevor ich 30 bin, wünsche ich mir

meine eigene Familie. Zurzeit wohne ich ja noch zu Hause

bei den Eltern und Mama kocht. Wir sind Flexitarier: Auf

unserem Speiseplan steht immer viel mit Gemüse, aber auch

mal Fleisch, das wir dann direkt beim Bauern kaufen. Mein

Lieblingsgericht? Lasagne oder was mit Hirse!

Bei unseren Kunden im Alnatura Super Natur Markt fällt mir

immer wieder auf, dass für sie die Herkunft der Lebensmittel

wichtig ist. Oft werde ich gefragt, wo denn zum Beispiel die

Hirse oder Frischeprodukte wie Milch, Käse, Wurst und Gemü-

se herkommen. Ich kann das gut verstehen und gebe gerne

Auskunft. Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind auch ein

spannendes Thema. Da muss man sich schon gut auskennen,

um richtig beraten zu können. Ich interessiere mich für die

Produkte, und deshalb kenne ich mich aus und berate gerne.

Auch wenn ich erst im ersten Lehrjahr bin, kann ich das schon

ziemlich gut. In Workshops lernen wir nämlich auch, wie man

offen auf die Kunden zugeht.

Toll an der Bio-Branche ist, dass es nicht nur um die Produkte

und den Verkauf geht, sondern auch um die Menschen, also

um die Produzenten und die Konsumenten. Und dann wird

auch darauf geachtet, dass es den Tieren gut geht. „Bio kann

man sich ja nicht leisten“, dieses Argument bekomme ich im-

mer wieder mal zu hören. Das stimmt aber gar nicht. Speziell

bei Alnatura gibt es ein Preis-Einstiegssortiment in fast allen

Warengruppen. Wenn man ein bisschen schaut und darauf

achtet, was man einkauft, ist Bio nicht teurer als die konventi-

onellen Produkte.

Mit meinen Freunden diskutieren wir viel darüber, welche

Auswirkungen die Verwendung von Hybridsaatgut in der kon-

ventionellen Landwirtschaft für die Bauern hat. Und darüber,

dass es im Bio-Landbau anders ist und es da auch ganz tolle

Projekte gibt wie zum Beispiel die Sekem-Farm in Ägypten, für

die sich Alnatura besonders engagiert. Das ist übrigens auch

mein Lieblingsprojekt, und irgendwann muss ich da mal hin.

Seit ich mehr drüber weiß, achte ich beim Kauf meiner Klei-

dung auf das Öko-Zeichen, was mir oft aber nur bei meinen

T-Shirts gelingt.

Meine Freundin Constanze ist Alnatura Azubine in Viernheim

und genauso begeistert wie ich. Stundenlange Telefonate

über die Herausforderungen der Bio-Branche oder über

Artikel, die wir im Internet gefunden haben, sind bei uns

keine Seltenheit. Kennengelernt haben wir uns im zu unserer

Ausbildung gehörenden Theater-Workshop „Abenteuer

Kultur“. Bei Alnatura habe ich nicht nur eine Aufgabe, eine

Herausforderung und eine Arbeit gefunden, sondern auch

neue Freunde.

Die Sekem-Farm ist ein biologisch-dynamischer Landwirtschafts-

Betrieb in Ägypten. Auf 2 000 Hektar werden dort Futterpflanzen,

Gemüse, Getreide, Obst, Gewürze, Heilpflanzen und Baumwolle

angebaut. Gegründet hat die Sekem-Initiative der Chemiker Dr. Ibrahim

Abouleish. Er erwarb 1977 Land in der Wüste nördlich von Kairo, um

dort einen Raum für die nachhaltige, soziale und kulturelle Entwick-

lung der ägyptischen Bevölkerung zu schaffen. Nach erfolgreichen

biologisch-dynamischen Anbauversuchen setzte er bei der ägypti-

schen Regierung den Verzicht auf die chemische Schädlingsbekämp-

fung per Flugzeug durch. Über 300 Bauern aus dem ganzen Land

kultivieren unter ständiger Beratung und Kontrolle durch Mitarbeiter

der Sekem-Farm Bio-Baumwolle. Neben der Erzeugung von Bio-Textilien

ist es Ziel dieser Initiative, den Menschen eine sozial verträgliche

Arbeitswelt sowie die Chance auf Bildung und Erziehung zu bieten.

In Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und einer Universität

bekommen die Menschen eine Chance für die Zukunft. Dafür wurde

Dr. Ibrahim Abouleish 2003 mit dem Alternativen Nobelpreis ausge-

zeichnet. Alnatura ist bereits seit 1993 Partner der Sekem-Initiative.

Mein Lieblingsprojekt:die Sekem-Initiative

Page 29: Alnatura Jubiläumsmagazin

SO

ZIA

LES

29

WENN

ERDKRÖTEN SPRECHEN KÖNNTEN

NATURSCHUTZ MACHT SINN – das haben Alnatura Kunden im Juni mit über 113 000 abgegebenen Online- Stimmen für die beliebtesten Naturschutzprojekte ein- drucksvoll unterstrichen. Alnatura hatte 101 Projekte des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zum Schutz von Pflanzen, Tieren oder auch ganzer Landstriche vorgestellt. Jetzt stehen die Lieb-lingsprojekte der Kunden fest. Und wer aktiv Natur- schutz betreiben möchte, kann ab Herbst 2014 bei ausgewählten Projekten selbst mitmachen.

Erdkröten stellen keine Fragen, schon gar nicht nach dem

Sinn. Sie sind einfach da. Damit das auch im Schwanheimer

Wald so bleibt, hatte sich der BUND Frankfurt Süd-West mit

einem Projekt zum Schutz von Erdkröten und anderen Amphi-

bien bei „Naturschutz vor Ort“ – so das Motto der Alnatura

Aktion anlässlich des 30-jährigen Jubiläums – beworben. Das

Abstimmungsergebnis bestätigt das Engagement der BUND

Ortsgruppe: Der Erdkrötenschutz zählt zu den beliebtesten

Naturschutzprojekten, genauso wie ein Programm zur Rück-

kehr der Wildkatzen oder der Lehrteich für Kinder auf einer

Streuobstwiese. Doch die Herzen der Alnatura Kunden schla-

gen auch für den Erhalt von Wildkräuterwiesen, für Nisthilfen

für den Steinkauz oder für so exotische Projekte wie die

Rettung der vom Aussterben bedrohten Flussperlmuschel.

Mit ihrem Votum haben die Kunden entschieden, wohin ins-

gesamt 135.000 Euro an Spendengeldern fließen. 54 Projekte

aus 9 Bundesländern erhalten jeweils 2.500 Euro, zusätzlich

bekommen die übrigen Projekte jeweils 500 Euro als Unter-

stützung. Ermöglicht haben diese Spende die Alnatura Kunden.

Denn von jedem verkauften Produkt der „Alnatura Jubiläums-

Edition“ gehen 30 Cent in die BUND-Projekte. Auch die

Verpackungsgestaltung dieser sechs Produkte kommen von

Alnatura Kunden. Sie konnten Anfang des Jahres ihre Ge-

staltungsideen einreichen, die beliebtesten Entwürfe wurden

ebenfalls über eine Online-Abstimmung ermittelt. Vom Aufruf

zum kreativen Designen über den Verkauf der Jubiläums-

produkte bis hin zur Spende an Naturschutzprojekte: Die Sinn-

frage stand bei dieser Jubiläumsaktion stets im Vordergrund.

Wer Bio-Produkte kauft, unterstützt den ökologischen Land-

bau, und im aktuellen Fall auch den Naturschutz. Wer darüber

hinaus auch erleben möchte, wie sich Naturschutz konkret

anfühlt, konnte sich für einige Projekte zum Mitmachen an-

melden oder sich direkt an den BUND wenden. Dann heißt

es Gummistiefel und Arbeitshandschuhe anziehen, Erdkröten

entdecken – und vielleicht auch Sinn.

101 MAL NATURSCHUTZ DURCH ALNATURA KUNDEN

Autor VOLKER LAENGENFELDER

Page 30: Alnatura Jubiläumsmagazin

30

ÖKO

LOG

IE

Bio-Landbau bedeutet Sortenvielfalt. Dabei geht es um den Erhalt von genetischer Vielfalt, aber auch um das Züchten neuer, für die Bio-Landwirtschaft besser geeigneter Sorten. Und zwar ohne Gentechnik. Doch noch immer stammen gut zwei Drittel des Bio-Saatgutes aus konventioneller Züchtung. Und genau hier muss sich etwas ändern. Die Geschichte eines langen Weges.

Rot blitzt die Schere zwischen den grünen Blättern – und wie-

der landet ein Apfel in Inde Sattlers Plastikeimer. Walnussgroß

ist der und noch gar nicht reif. Die Äste über Inde Sattlers

Kopf sind prall gefüllt mit kleinen roten Äpfeln – es könnte

eine reiche Ernte werden. Aber zu viele Äpfel sind auch nicht

gut, sie sollen ja bis zur Reife eine gewisse Größe erreichen;

deshalb muss Inde Sattler ausdünnen. „Das tun wir hinge-

bungsvoll“, lacht sie. „Hacken, lichten, Bäume festbinden,

es gibt immer was tun.“ Die Obstbäuerin streicht mit dem

Handrücken eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, der

Wind weht heftig durch die Obstbaumreihen, trotz der wilden

Apfelhecken drumherum.

Gemeinsam mit Bernd Hagge-Nissen bewirtschaftet Inde

Sattler einen Bio-Obstbaubetrieb im schleswig-holsteinischen

Hollingstedt. 2003 pflanzten die beiden ihre ersten Bäume,

heute bauen sie Birnen, Zwetschgen und vor allem Äpfel

MIT GEDULDUND HINGABENEUE PFLANZENSORTEN FÜR DEN BIO-LANDBAU

Autor KIRSTEN ZESEWITZ

Page 31: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

31

auf vier Hektar Fläche an: 16 Sorten sind bei ihnen zu haben.

Die beiden sind auch Züchter und haben den Verein Saat:gut

mitgegründet, eine Initiative, die sich um den Erhalt alter und

die Zucht neuer Sorten kümmert. „Es gab ja lange keine eige-

ne Zucht für den Bio-Landbau“, sagt Inde Sattler. „Da haben

wir das selbst die Hand genommen, hier auf dem Hof.“

Auch beim Gemüse setzt der Bio-Landbau inzwischen ver-

stärkt auf eigene Sorten. Denn mit Beginn der 1980er-Jahre

hat so genanntes Hybrid-Saatgut der konventionellen Züchter

alte samenfeste Sorten verdrängt. Hybride werden aus

Inzuchtlinien mit extremen Ausprägungen einzelner Eigen-

schaften gekreuzt. In der ersten Generation bringen sie eine

reiche Ernte, doch ihre Nachkommen lassen sich nicht mehr

sinnvoll vermehren. Der Landwirt kann also nicht, wie bei

samenfesten Sorten üblich, einen Teil seiner Ernte zurückbe-

halten, um daraus Saatgut für das nächste Jahr zu gewinnen.

Stattdessen muss er das Saatgut jedes Jahr neu kaufen – von

multinationalen Firmen, die den Markt beherrschen. Denn in

den vergangenen 30 Jahren hat bei den Saatgutunternehmen

ein enormer Konzentrationsprozess stattgefunden. Heute

kontrollieren zehn internationale Unternehmen 75 Prozent

des Saatgutmarktes weltweit. Das hat zu einem Verschwinden

vieler samenfester Sorten geführt, weshalb auch Bio-Land-

wirte hauptsächlich auf Hybrid-Sorten zurückgreifen müssen.

Um das zu ändern, gründeten 1985 einige Bio-Gärtner

den Verein Kultursaat. Der konnte bis heute über 50

samenfeste, biologisch gezüchtete Gemüsesorten anmelden,

deren Vertrieb die Bingenheimer Saatgut AG übernimmt.

Der Kultursaat-Initiative gehört auch die Demeter-Gärtnerei

Piluweri im badischen Hügelheim an, welche die Alnatura

Filialen in Freiburg mit Tomaten, Auberginen, Möhren und

Gurken beliefert. Die samenfeste Tomate Tica beispielsweise

erfüllt alle Anforderungen an Festigkeit, Haltbarkeit, Ertrag

und Geschmack – sie wurde von einer Hybridtomate quasi

„rückgezüchtet“. „Ein langer Weg“, sagt Gärtner Richard

Specht. Über mehr als zehn Generationen mussten die viel-

fältigen Nachkommen der Hybridsorte selektiert, angepflanzt,

ausgesät und wieder selektiert werden – bis die Tica reif zur

Anmeldung war. Sie ist eine der wenigen samenfesten Toma-

tensorten für den Erwerbsanbau – der Markt wird zu mehr

als 90 Prozent von Hybriden dominiert.

Derzeit hofft Richard Specht auf die Zulassung einer samen-

festen Aubergine: Sie ist im zweiten Jahr ihrer Anmeldung

beim Bundessortenamt, kann also schon als „Saatgut für den

Versuchsanbau“ bei der Bingenheimer Saatgut AG erworben

werden.

Jede samenfeste Sorte ist eine kleine Revolution auf dem Saat-

gut- und Gemüsemarkt: Auch die stachelige Schlangengurke

Arola, die Richard Specht im Auftrag von Kultursaat vermehrt,

steht noch ziemlich alleine da im biologischen Erwerbsanbau.

Der überwiegende Teil der Bio-Gurken im Handel stammt aus

konventioneller Hybridzucht.

Wie beim Gemüse gilt auch für Obst: Bio-Bauern brauchen

eigene schmackhafte und robuste Sorten, die für den Anbau

ohne synthetische Dünger und Pestizide geeignet sind. Doch

die genetische Basis ist schmal geworden. Besonders deutlich

wird dies am Beispiel der modernen Apfelsorten. Diese lassen

sich auf nur fünf Ahnen zurückführen: Golden und Red De-

licious, Cox Orange, Jonathan und McIntosh. Und diese sind

vor allem auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der konven-

tionellen Landwirtschaft zugeschnitten, die mit chemischem

Pflanzenschutz und Mineraldünger arbeitet.

Apfelzüchterin Inde Sattler setzt daher auf alte Sorten: „Die

sind ein großer Schatz mit Merkmalen, von denen wir noch

gar nicht wissen, ob wir sie einmal brauchen werden.“ Sie

zeigt auf einen zwei Meter hohen Baum. „Das ist eine Kreu-

zung aus Gelbem Münsterländer Borsdorfer und der moder-

nen Sorte Collina.“ Dichtes Blattwerk bedeckt die Zweige,

Früchte sind nicht zu sehen. Inde Sattler setzt die Jungpflan-

zen bewusst der Witterung aus, mit der Folge, dass sie erst

nach fünf bis sechs Jahren Früchte tragen: „Die Bäume sollen

ihre juvenile Phase ausleben, so werden sie robust und passen

sich dem Standort an.“ >>

FERNANDO KROKISIUS, Teamverantwortlicher „Obst & Gemüse“ bei Alnatura (links) und MICHAEL PICKEL von der Gärtnerei Piluweri

Autor KIRSTEN ZESEWITZ

Page 32: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

32

Die Kunst des Züchters liegt darin, die vitalsten Pflanzen zu

selektieren. Und diese wachsen jetzt – vier Jahre nach Beginn

der Arbeit – als 2,20 Meter große Bäume in Inde Sattlers Plan-

tage. Sie könnten die Basis für eine neue Sorte sein; aber bis

dahin werden noch gut 15 Jahre vergehen. Inde Sattler greift

ins Blattwerk: „Der trägt nächstes Jahr Früchte. Dann wird es

spannend: die Äpfel begutachten, schauen, wie sie Krank-

heiten vertragen – und vor allem: verkosten!“

Zusätzlich zum Geschmack muss auch der Ertrag stimmen,

und die Bäume sollen widerstandsfähig gegen Krankheiten

sein. Das ist gerade beim gefürchteten Apfel-Schorf wichtig,

ein Pilz, der braun-schwarze Flecken auf der Schale hinterlässt.

Dieses Jahr setzt er den Bäumen arg zu. Bernd Hagge-Nissen

muss deshalb Kupfermittel anwenden. Diese werden seit über

100 Jahren im Pflanzenschutz eingesetzt. In geringen Mengen

sind sie auch im Öko-Landbau erlaubt: laut EU-Öko-Verordnung

maximal drei Kilogramm Kupfer pro Hektar. Hagge-Nissen

versucht mit nur der halben Menge auszukommen. Da die

Kupfermittel vor der Fruchtausbildung angewendet werden,

gelangen sie nicht auf den Apfel und hinterlassen dort keine

Rückstände. Doch Kupfer steht im Verdacht, Gewässerorga-

nismen zu schädigen und das Bodenleben zu beeinträchtigen.

Die EU will Kupfermittel deshalb verbieten. „Dann können wir

den Öko-Apfelanbau vergessen“, glaubt Hagge-Nissen. „Wir

haben es ein Jahr ohne Kupfermittel versucht – und hatten

keinen Ertrag.“ Ersatzstoffe werden zwar erforscht, wie

aktuell im Julius Kühn-Institut ein Süßholzwurzelextrakt.

Bislang jedoch, so Professor Stefan Kühne, reiche keines

der getesteten Mittel an die Wirksamkeit von Kupfer heran.

„Kupfer ist und bleibt vorerst alternativlos“, resümiert er.

Die Hoffnung liegt deshalb auf Sorten, die gegen Schorf

resistent sind. Das erfordert langwierige Zuchtarbeit über

mindestens ein Jahrzehnt – und Geld. Doch während die

großen Agro-Konzerne Milliarden in die Entwicklung neuer

Sorten stecken, sind Bio-Initiativen wie der Saatgutfonds auf

Spenden angewiesen. Deshalb haben Inde Sattler und Bernd

Hagge-Nissen mit anderen Züchtern das Projekt Apfel:gut

gegründet. Dieses wird auch von der Zukunftsstiftung Land-

wirtschaft gefördert. „Das Ziel ist, in zehn Jahren ohne Kupfer

auszukommen“, sagt Oliver Willing von der Zukunftsstiftung

Landwirtschaft.

Inde Sattlers Eimer mit den ausgedünnten Äpfelchen ist voll.

Wenn das Wetter mitspielt, werden die Bäume rund eine

Tonne Ernte bringen. Und wenn ihre Züchtungsarbeit ebenso

erfolgreich ist, können Inde Sattler und Bernd Hagge-Nissen

in zehn Jahren eine neue Sorte anmelden: einen Apfel, der

geschmackvoll und robust ist.

Ein Ziel des Bio-Landbaus ist es, wieder mehr samenfeste

Sorten verfügbar zu machen. Deshalb unterstützt Alnatura

den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Damit sollen künftig mehr samenfeste Bio-Sorten in den

Handel kommen, wie dies bei Pastinaken, Rote Bete und

Möhren heute schon gut gelingt.

WEITERE INFORMATIONEN:

www.bingenheimersaatgut.de

www.kultursaat.org www.zs-l.de

Saatgut-Initiativen

Saatgut-InitiativenWährend die Saatgutindustrie Milliarden in die Entwicklung

neuer Sorten steckt und staatliche Forschungsgelder in die

konventionelle Pflanzenzucht gehen, sind biologische Saatgut-

Initiativen auf Spenden angewiesen:

Saatgutfonds: GLS Bank,

IBAN DE77 430609670030005412, BIC GENODEM1GLS

Saat:gut e.V.: GLS Bank,

IBAN DE77 430609672025926300, BIC GENODEM1GLS

Kultursaat e.V.: Sparkasse Oberhessen

IBAN DE17 518500790086001420, BIC HELADEF1FRI

Spenden helfen

Der Reinerlös aus dem Verkauf des Alnatura Saatgutes geht teilweise an die Zukunftsstiftung Landwirtschaft.

Page 33: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

33

Die Zeit der Bio-Pioniere der ersten Stunde ist lange vorbei. Alnatura kam 1984 mit dem Konzept von ganz-heitlich gestalteten Bio-Produkten, eigener Marke und einem kontinuierlichen Aufbau der Alnatura Filialen genau mit der richtigen Idee zur richtigen Zeit. Heute stehen Bio-Start-ups vor zwei Problemen: Sie treffen auf einen extrem diversifizierten, gesättigten Markt. Und sie werden kritisch beäugt: sowohl von den eta- blierten Unternehmen als auch von gut informierten, kritischen Kunden. Hat es da noch Sinn, neue Bio- Produkte auf den Markt zu bringen?

Am Anfang standen die Namen: Charity und Aid – also

Wohlfahrt und Hilfe. Der damals 27-jährige Entwicklungs-

helfer Paul Bethke war es leid, dass so viele Spendengelder

in undurchsichtigen Kanälen versickerten und wollte daran

etwas ändern. „Es hätte auch der Verkauf von T-Shirts sein

können“, sagt Paul Bethke. Hauptsache, es steht ein Sinn da-

hinter. Aber dann wurde es Bio-Limonade: hausgemacht und

aus Fairtrade-Zutaten, deren Verkauf einzelne Entwicklungs-

hilfe-Projekte direkt unterstützt. Das war die Geburtsstunde

der Limonade LemonAid und des Eistees ChariTea – und des

Slogans: Trinken hilft! Mit seiner Idee rannte Paul Bethke bei

seinen Freunden offene Türen ein: Jakob Berndt arbeitete seit

mehreren Jahren in einer großen Hamburger Werbeagentur

und hielt den Spagat zwischen Überzeugung und Job kaum >>

WIRTSCHAFT NEU DENKENWIE ARBEIT ZU LEBENSSINN WERDEN KANN

Autor ULI HESSE

Page 34: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

34

FELIX LANGGUTH, JAKOB BERNDT UND PAUL BETHKE (V.L.)Geschäftsführer von LemonAid

FOTO

: STE

FFI Z

EPP

Page 35: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

35

mehr aus: „Es ist absurd, wenn man mit Anti-Atomkraft-

Demos aufgewachsen ist und privat Öko-Strom bezieht, aber

im Job 70 Stunden pro Woche damit verbringt, Atomstrom

zu vermarkten.” Also musste ein neues Lebensmodell her:

ein Konsumprodukt, das sich verkaufen lässt, aber auch Sinn

macht.

Am Küchentisch seiner Hamburger WG experimentierte

Bethke mit Berndt Ende 2008 so lange mit Rezepten, bis sie

mit dem Geschmack zufrieden waren. „Wir hatten keine

Ahnung von Verpackung, Logistik oder industrieller Produk-

tion. Wir sind einfach mit unserer selbstgepressten Limonade

losgelaufen und haben die ersten Vertriebsgespräche ge-

führt“, erinnert sich Jakob Berndt. Das Produkt kam an, aber

Geld verdienten sie damit noch nicht. Deshalb holten sie bald

Felix Langguth, der vorher in einer Unternehmensberatung

das Optimieren von Arbeitsprozessen gelernt hatte, als dritten

Geschäftsführer an Bord. „Unser sozialer Beitrag hängt davon

ab, dass wir sauber wirtschaften“, so Paul Bethke. „Wenn

wir jedes Jahr in die Miesen segeln, haben unsere sozialen

Projekte auch nichts davon.”

2010 war die Firma stabil genug, um auch den sozialen

Gedanken zu verwirklichen. Seitdem gibt es den Verein

LemonAid & ChariTea e.V.. An ihn gehen von jeder verkauften

Flasche LemonAid oder ChariTea fünf Cent als Spende. Der

Verein wiederum fördert damit gemeinnützige Projekte, aus

denen die Rohstoffe für die Getränke kommen: Aus Paraguay

stammt der Rohrzucker, dort hilft das LemonAid-Geld zum

Beispiel beim Aufbau von Schulen; in Südafrika, dem Her-

kunftsland des Rooibos-Tees, bauen sie mit ChariTea-Geld

Solarsysteme; und in Sri Lanka konnte inmitten der Tee-

plantagen ein Bildungszentrum gefördert werden.

Das Verbinden von sinnhaftem Handeln mit der Lust am Geld

verdienen ist typisch für die Generation Y. Der Buchstabe wird

ausgesprochen wie das englische „why“ – steht also für die

Sinnfrage: Warum machen wir das? Darum geht es auch den

Studierenden im Fachbereich Wirtschaft der Alanus Hoch-

schule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Von

den angehenden Betriebswirtschaftlern werden dort kreative

Lösungsansätze gefordert, zum Beispiel im Kunstmodul:

Obwohl sie keine erfahrenen Bildhauer sind, sollen die BWLer

eine Skulptur meißeln – und dabei bricht der Stein meist, geht

also kaputt.

Statt von vorne anzufangen, motivieren die Lehrkräfte die

jungen Studierenden, aus dem abgebrochenen Stück etwas

Neues zu schaffen. „Diesen Prozess übertragen wir dann ins

Wirtschaftsleben, zum Beispiel auf Organisationsformen, die

nicht mehr funktionieren”, erklärt Steffen Koolmann, Professor

für Ökologie und Gesellschaft. „Wir setzen den Studenten

keine Ideologien vor, sondern wollen ihnen Lust machen,

Wirtschaft selbst zu gestalten und so dem eigenen Tun einen

tieferen Sinn über die monetäre Bilanz hinaus zu geben. >>

„Wir sind einfach mit unserer selbstgepressten Limonade losgelaufen und haben die ersten Vertriebsgespräche geführt.“JAKOB BERNDT Gründer von LemonAid

Page 36: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

36

ALNATURA ZÄHLT MIT AKTUELL 89 FILIALEN ZU DEN FÜHRENDEN ANBIETERN VON BIO-PRODUKTEN IN DEUTSCHLAND. GEGRÜNDET HAT DAS UNTERNEHMEN GÖTZ REHN (64).

Herr Rehn, hat sich im Laufe Ihres Lebens der Fokus Ihres unternehmerischen Handelns verändert? In der Pionierphase, das heißt in den ersten Jahren eines Unterneh-

mens, ist man allein. Also muss man auch alles allein denken und

tun. Mit dem wachsenden Unternehmensorganismus entsteht eine

Arbeitsgemeinschaft. Jetzt geht es um Mitarbeiterführung, Prozess-

gestaltung und Organisation. Je differenzierter das Unternehmen

wird, umso wichtiger wird die Bewusstseinsentwicklung des Einzel-

nen, damit er eigenständig sinnvoll im Sinne des Ganzen zu denken

und zu handeln lernt. Dies ist ein lebenslanger Lernprozess.

Eine Firmengründung ist ja immer auch mit Risiko verbunden. Was hat Sie bewogen, in der Bio-Branche etwas „zu unternehmen“?Als Unternehmer schaut man nicht auf die Risiken, sondern ist von

seiner Gründungsidee so überzeugt, dass man Probleme ausblendet.

Für Alnatura boten sich Bio-Produkte an, weil Menschen ein Interesse

für Nachhaltigkeit zeigten. Ich war und bin davon überzeugt, dass

es immer mehr Menschen gibt, die eine Unternehmensinitiative wie

Alnatura wollen. Uns verbindet die Überzeugung, es geht nicht

nur effizient, sondern zugleich und vor allem sinnvoll, sozial und

ökologisch.

Was empfehlen Sie heutigen Start-ups?In einer arbeitsteilig organisierten Wirtschaft sind wir in einem

globalen Netz alle miteinander verbunden. Jeder hängt von den

Leistungen eines anderen, für ihn Tätigen ab. Daraus folgt: Wirt-

schaften ist dann sinnvoll, wenn es sich konsequent am Kunden

orientiert. Das ist der Mensch. Eine radikale „Kundenorientierung“

ist für jedes Start-up wesentlich.

Was sind ihre Visionen für die kommenden Jahrzehnte?Alnatura will sich in Zukunft in der ganzen Wertschöpfungskette

noch stärker engagieren. Im Rahmen der Bio 7 Initiative werden wir

die Umstellung auf den biologischen Landbau fördern. Alnatura wird

mit seinen Hersteller- und Handelspartnern noch enger zusammen-

arbeiten, um für die Kunden die Alnatura Produkte und Leistungen

in noch sinnvollerer Weise zu gestalten.

GÖTZ REHNAlnatura Gründer und Geschäftsführe

Jenseits der monetären Bilanz

Page 37: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

NO

MIE

37

Auf Sinnsuche waren auch Jochen Wolf und Martin Steck-

daub, als sie 2005 im Flugzeug auf dem Weg zur indo-

nesischen Insel Flores saßen. Jochen Wolf war es nach 15

Jahren als geschäftsführender Gesellschafter leid, nur für die

Gewinnmaximierung von Unternehmen zu arbeiten. Martin

Steckdaub – ein Freund und erfahrener Entwicklungshel-

fer – hatte ihn überredet, sich auf der paradiesischen, aber

abgelegenen Insel ein Projekt anzusehen, das kurz vor dem

Aus stand. 600 Kleinbauern bauten auf Flores Cashewnüsse

biologisch an und knackten sie kalt, so dass mehr Nährstoffe

erhalten werden als beim traditionellen Verfahren. Einzigartig

– doch es fehlte ihnen an Absatzmöglichkeiten und Geld, so

dass sie gezwungen waren, die Nüsse zu Dumpingpreisen auf

dem konventionellen Markt zu verkaufen.

Jochen Wolf war fasziniert von dem Projekt und den Men-

schen. Tagelang fuhr er mit Martin Steckdaub im Jeep über

Feldwege zu abgelegenen Parzellen ohne Wasser und Strom,

um sich die Felder und Arbeitsweisen anzuschauen. In der

letzten Nacht schickte Jochen Wolf seiner Frau eine SMS:

Kurzentschlossen kaufte er mit Martin Steckdaub 60 Tonnen

Nüsse, um sie in Deutschland zu vertreiben und so das Projekt

am Leben zu erhalten. Zwei Monate später gründeten die

beiden die Firma Flores Farm.

Zwar hatte Jochen Wolf Erfahrung in der Unternehmensfüh-

rung, aber keine Ahnung vom Lebensmittelvertrieb. Die

Banken wollten das Projekt nicht finanzieren: zu risikoreich.

Daher investierten die Unternehmer ihr komplettes Privatver-

mögen und lebten drei Jahre lang von ihren Ersparnissen.

„Wir haben den Bauern einen fairen Handel angeboten,

aber uns selbst ausgebeutet und viel Lehrgeld gezahlt“,

sagt Jochen Wolf heute selbstkritisch.

Durchgehalten hat er dennoch, und seit fünf Jahren trägt sich

das Unternehmen. Er schreibt es seiner positiven Einstellung

zu und der Vorarbeit von Bio-Unternehmern wie Götz Rehn.

„Das sind wirkliche Pioniere, auf deren Konzept wir aufbauen

und es weiterentwickeln konnten.”

„Ich werde Cashew-Produzent in Indonesien!“

Page 38: Alnatura Jubiläumsmagazin

SO

ZIA

LES

38

WURSTSACK TRIFFT

GRASLUTSCHER ...

HENDRIK HAASEwww.wurstsack.de

AILEEN KAPITZAwww.minzgruen.com

JAN HEGENBERG www.graslutscher.de

Autor HOLGER MEERWARTH

Page 39: Alnatura Jubiläumsmagazin

SO

ZIA

LES

39

Berlin-Kreuzberg, Markthalle Neun. In dem historischen Gebäude versuchen die Betreiber seit vier Jahren zu zeigen, dass „Anders-Essen“ und „Anders-Einkaufen“ in der Großstadt möglich sind: mit der Herstellung und dem Verkauf von Lebensmitteln, die möglichst regional, fair und ökologisch sind. Hierher haben wir drei Food- Blogger zum Lunch eingeladen. Hendrik Haase lebt in Berlin und ist Fleischliebhaber; in seinem Blog www.WURSTSACK.de tritt er für nachhaltigen Genuss ein. Jan Hegenberg aus Wiesbaden macht sich bei www.GRASLUTSCHER.de für vegane Ernährung stark. Aileen Kapitza ist Vegetarierin und studiert in Leipzig; sie betreibt den Veggie-Blog www.MINZGRUEN.com. Zum Lunch sitzt Hendrik vor einer Fleischplatte mit Rind aus bayerischer Freilandhaltung sowie Gemüse aus dem Berliner Umland, Jan und Aileen haben sich für einen veganen Burger entschieden.

Wie ist das für euch beide, wenn nebenan jemand solche Fleischberge isst?JAN: Das ist ja normal. Wenn du mit anderen zusammen sitzt,

sind Vegetarier oder Veganer die Ausnahme. Wenn ich da

jedes Mal einen Aufstand machen würde, könnte ich ja nie

was mit Bekannten machen.

AILEEN: Ich kann den Fleischkonsum um mich herum

ausblenden bis zu einem gewissen Grad.

JAN: Was Hendrik auf der Platte hat, sieht mir zu sehr nach

Tier aus. Als ich noch Fleisch gegessen hatte, musste das

möglichst anonym aussehen, am besten paniert: Schnitzel

halt oder Chicken-Nuggets. Ein halbes Hähnchen mit Knochen

hat mich schon zu sehr an Tier erinnert …

AILEEN: Ich habe schon als Kind nicht gerne Fleisch gegessen.

Das kam – wenn überhaupt – mal sonntags auf den Tisch.

HENDRIK: Hattest Du eigentlich gesundheitliche Probleme,

wenn Du Fleisch gegessen hast?

AILEEN: Ich hatte Probleme mit Milchprodukten. Ich finde

ja Kuhmilch schon nicht gesund. Da sind ja viele Hormone

drin …

JAN: Du meinst die Wachstumshormone für das Kälbchen?

AILEEN: Ja. Ich befasse mich beim Essen mehr mit der Ge-

sundheit. Für mich ist egal, ob die Kuh auf der Weide steht

oder im Stall auf engstem Raum. Mir geht es darum, was

das tierische Eiweiß in deinem Körper anstellt. Und wenn

dann die Industrie sagt, du musst Milch trinken, das ist

gesund und gibt Kalzium für die Knochen, das finde ich

echt schlimm …

Also um Moral und Ethik geht es euch gar nicht bei der Ernährung?JAN: Mir schon! Gesundheit ist weniger mein Thema.

Wenn man wie früher einmal die Woche Fleisch isst, glaube

ich, dass es gesundheitlich nicht so viel Unterschiede gibt

zwischen einem Vegetarier oder einem Fleischesser. Aber

wenn ich unterwegs in einer Kantine oder im Zug Fleisch

esse, dann ist das wahrscheinlich voll von Antibiotika und

Wachstumshormonen …

HENDRIK: Da gebe ich Dir recht. Mich stört, dass Fleisch

so ein Nebenbei-Produkt wird, das man am Grillstand mal

eben schnell billig kaufen kann. In einer Kantine funktioniert

ein Veggie-Day deshalb nicht, weil das Gemüse so widerlich

zubereitet ist; da ist das Schnitzel, was mal schnell frittiert

wird, noch das Essbarste. >>

WURSTSACK TRIFFT

GRASLUTSCHER ...... UND MINZGRÜN IST AUCH DABEI –

EIN GESPRÄCH ÜBER DEN SINN DES „RICHTIGEN“ ESSENS

Autor HOLGER MEERWARTH

Page 40: Alnatura Jubiläumsmagazin

SO

ZIA

LES

40

Wir reden beim Fleisch immer über Verzicht. Aber niemand von euch sagt: Ich esse Gemüse aus Genuss …JAN: Es gibt tatsächlich Sachen wie Peperoni-Wurst auf der

Pizza, die hat noch keiner geschafft so nachzumachen, dass

ich als Veganer sage, dass schmeckt genau so lecker wie eine

echte Wurst. Aber das ist vielleicht auch ungerecht: Fleisch-

produkte haben eine viel längere Tradition als vegane.

AILEEN: Wenn ich in der Stadt an so einem Grillstand vorbei

gehe, erinnert mich das an den Earthlings-Film, diese Doku-

mentation über Fleischkonsum und Tierhaltung. Deswegen

finde ich Fleischgeruch mittlerweile eher abstoßend.

HENDRIK: Den Film habe ich auch gesehen. Der besteht

aus Horrorszenen, in denen Tiere nur noch ein Produkt sind,

die man in diese Maschine, die Schlachthof heißt, reinstop-

fen muss. Ich kenne aber auch eine andere Welt, denn ich

habe selbst schon beim Metzger mitgeholfen. Da wurde das

Schwein ohne Stress überraschend betäubt, und zwar von

einem Metzger, der das Schwein kennt.

JAN: Wenn jemand sagt, es ist ihm wichtig, dass das Tier

ordentlich betäubt wurde, dann ist das schon mal ein guter

Schritt. Ich lehne es trotzdem ab, dass ein Tier getötet wird,

aber zu dieser Einsicht kann man auch ohne solche Horror-

filme wie den Earthlings-Film kommen.

Wie hat euch eigentlich der Lunch geschmeckt?HENDRIK: Die Fleischplatte war toll. Den Burger fand ich

weniger gut: Da hat einfach jemand Tofu als Bratling in

das Brötchen geklemmt und aus meiner Sicht nicht nach-

gedacht …

JAN: Ja, das könnte man noch besser machen. Tofu halte ich

als Belag für ungünstig, weil das keinen Biss hat. Das hat so

was von Gemüsematte …

AILEEN: Ich fand’s ok. Klar, so einen Burger kann man immer

besser machen.

HENDRIK: Ich bin Teilhaber bei SpeiseGut, die arbeiten nach

dem Prinzip der solidarischen Landwirtschaft. Auf dem Bio-

Hof haben wir 80 bis 90 verschiedene Gemüse: zehn Sorten

Kartoffeln, fünf Sorten Möhren, zehn Sorten Salat … Was

ich mich immer frage, warum aus der Ecke Vegetarier oder

Veganer nicht mehr zum Thema Gemüse kommt? Denn, was

ich wirklich ablehne, sind diese veganen Produkte mit Zusatz-

stoffen wie Glutamat und Aromastoffen, bei denen Gen-

technik im Spiel ist.

JAN: Von diesem Fertigzeug esse ich nicht viel. Da gibt es ja

inzwischen absurde Sachen: Tintenfischringe …

AILEEN: … und Tofu-Truthähne …

JAN: Ja, ganze Truthähne, sogar mit Anus. Aber wenn das

jemandem hilft, von seinen 80 Kilogramm Billigfleisch-Kon-

sum runter zu kommen, dann ist das was Gutes. Aber es ist

doch blöd, wenn wir statt fertig verpackte Wurstscheiben

jetzt fertig verpackte Sojascheiben essen, für die jede

Menge Plastikmüll produziert wird. Seit ich mich vegan

ernähre, esse ich viel indisch, weil Inder mit Gemüse

coolere Sachen anstellen als Europäer.

HENDRIK: Dieses Thema „Beilage“ ist wirklich ein Nach-

kriegsding: Da gab es endlich wieder Fleisch, und dann gab

es halt noch eine Beilage. Ur-Oma wäre nie auf die Idee

gekommen, von Beilagen zu reden.

JAN: Bei der gab’s halt einen Kohleintopf. Das war ein

Wintergemüse und hat dann für drei Tage gereicht. Heut-

zutage isst man im Winter gerne Eisbergsalat und Brokkoli,

die sonst woher kommen.

HENDRIK: Ich erwarte von veganen Blogs immer, dass etwas

kommt wie „Hey, ich habe hier gerade eine neue Spargelsorte

entdeckt, die wächst so und so und schmeckt ganz abgefah-

ren“. Stattdessen lese ich häufig Begründungen, warum es

auch ohne Fleisch geht. Das habt ihr doch gar nicht nötig!

AILEEN: Als ich meine Nahrung umgestellt habe, bin ich

häufig auf Food-Blogs gelandet, da gab es ein veganes Rezept

mit schlechten Handyfotos und drunter ein Video von einer

Schlachtung. Ich wollte das in meinem Blog anders machen.

Wenn sich jemand gesund ernähren will, muss er nicht dieses

Schlachtvideo sehen.

JAN: Das ist natürlich auch daraus entstanden, weil man sich

rechtfertigen muss. Geht man mit anderen Burger essen,

heißt es: Du kannst ja gar nichts essen!

Aileen, Du bist ja vor allem deshalb Vegetariern, weil du dich schwertust, dich überall vegan zu ernähren …AILEEN: Genau. Wenn man nicht gerade in einer Großstadt

wohnt, sieht es für Veganer schlecht aus. In einem Restaurant

bleibt da oft nur der Salat übrig – und dafür muss ich nicht in

ein Restaurant gehen.

JAN: Und wenn du dann sagst, machen sie mir doch einfach

einen Gemüseteller, dann kommt der oft ganz schön ein-

fallslos daher: ungewürzt, matschig …

*QUELLE: YOUGOV MÄRZ 2014

92,5%*

FLEISCHESSER

1,5%*

VEGANER

6%*

VEGETARIER

So isst Deutschland

Page 41: Alnatura Jubiläumsmagazin

SO

ZIA

LES

41

HENDRIK: Das ist ja die Schande! Wenn Du als Koch nur

Fleisch hinkriegst, ist das so, als ob Du in einer Band spielst,

kannst aber nur solo spielen.

Es gibt ja Veganer, die achten beim Autokauf darauf, dass kein Leder verarbeitet wurde und fordern eine tierfreie Landwirtschaft. JAN: 100 Prozent vegan geht nicht. Ich bin mit dem ICE

hergefahren, was meinst Du, wie viele Mücken da an der

Lokscheibe kleben.

HENDRIK: Ich habe mal auf einem Bio-Bauernhof geholfen,

und da gingen wir am Abend Schnecken sammeln. Bei den

Schnecken mit Häuschen hat der Bauer gesagt: Wirf die ein-

fach an den Rand, die fressen die Gelege der Nacktschnecken.

Indirekt hat er also zum Schneckenmord aufgerufen. Die

Nacktschnecken haben wir gesammelt und an die Schweine

verfüttert. Da habe ich mich gefragt: Ist denn jetzt der Salat

noch vegan?

JAN: Weil ihr Schnecken getötet habt, damit der Salat wach-

sen kann? Das ist nicht meine Welt, denn wo ziehe ich da die

Grenze?

HENDRIK: Da bist du jetzt aber auf ganz dünnem Eis …

JAN: Ich weiß, das gibt bestimmt einen Shitstorm in meinem

Blog! Ich kann halt schlecht sagen, ich will nur noch das

essen, wofür kein Tier gestorben ist. Denn auch für ein Brot

fährt eine Erntemaschine über ein Weizenfeld, und da geraten

natürlich auch Kleintiere unter die Räder. Und im Produktions-

prozess hat vielleicht der Gabelstaplerfahrer in ein Wurstbrot

gebissen, als der die Tofu-Palette rausgefahren hat.

HENDRIK: Bei unserem Bio-Bauern gab es eine Diskussion

auf Facebook, ob er ein Mörder ist, weil er Bienenvölker zum

Bestäuben seiner Zucchini, Gurken oder Tomaten hält. Und

das ist bedenklich, weil da Leute weit weg sind von einer

Realität, wie hier Gemüse angebaut wird. Mich stören diese

harten Linien. Ihr kauft, hoffe ich, auch Bio-Gemüse, oder?

JAN: Ja klar.

AILEEN: Ja, und regional.

JAN: Stimmt, das ist mir sogar noch wichtiger als Bio. Wenn

ich die Wahl habe zwischen einem Bio-Apfel aus Chile und ei-

nem konventionellen um die Ecke, dann nehm‘ ich lieber den

konventionellen, obwohl ich weiß, da sind Pestizide drauf,

dafür wurde er nicht um die halbe Welt gekarrt.

HENDRIK: Mein Standpunt ist: Bio funktioniert nicht ohne

Tiere! Sonst gibt es keine Kreislaufwirtschaft. Denn wenn

wir das mal vegan durchspielen, bist du bei der Tomate,

die auf Steinwolle wächst; statt Bienen müsste die Pflanzen

jemand mit einem Pinsel von Hand bestäuben, und für die

Düngung müssten wir unsere eigenen Exkremente nehmen …

JAN: Wir machen ja viele Sachen so, weil wir sie vorgelebt

bekommen haben.

HENDRIK: Aber müssten wir dann nicht zusammen kämp-

fen? Ihr müsst das Gemüse pushen und aus der Beilage die

Hauptlage machen. Und ich esse weiter Fleisch, kümmere

mich aber darum, dass von der Schwanzspitze bis zur Nasen-

spitze das Tier gut gehalten, geschlachtet und verarbeitet

wird.

Page 42: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

42

So schlecht kann es uns gar nicht gehen! Wir haben (bis-

lang) überlebt: das atomare Wettrüsten, das Ozonloch, den

BSE-Wahnsinn. Außerdem diverse Gammelfleisch-Skandale

und nicht wenige Unwetter. Grund zur Freude? Bedingt. Denn

es verwundert doch immer wieder, wie lange unsere Spezies

für einsichtige Erkenntnis gepaart mit Verhaltensänderung

benötigt.

Bereits 1972 hob der Club of Rome – ein Zusammen-schluss aus Wissenschaftlern, Intellektuellen und Industriellen – mahnend den Zeigefinger. Unter dem Titel

„Die Grenzen des Wachstums“ malt die Studie das Bild einer

zerstörten Umwelt mit ausgebeuteten Ressourcen und einer

in Verteilungskämpfen zerrissenen Welt. Geändert hat der

Bericht über Jahrzehnte: nichts!

Gedankensprung. Es gab mal eine Zeit, da hatten Autos

keine Sicherheitsgurte. Auch als sie ab 1974 bei Neuwagen

serienmäßig eingebaut sein mussten, legte sie kaum ein

Autofahrer an. Selbst zig Studien, welche die höhere Über-

lebensrate von Angeschnallten belegten, führten zu keinem

Umdenken. Das änderte sich erst, als 1984 das Strafgeld für

Gurtmuffel kam. – So leicht ist es also: Hier ein Gesetz, dort

die positive Veränderung?

Nicht ganz. Denn auch beim Sicherheitsgurt spielten viele

Faktoren eine Rolle: die technische Entwicklung über Jahr-

zehnte; die öffentliche Diskussion samt Aufklärung über die

Medien; Vorbilder – ein schwedischer Autobauer baute Gurte

serienmäßig ein; und äußere Faktoren – 1970 gab es über

19 000 Verkehrstote. Zum Vergleich: 2013 waren es 3 290.

Bewusstseinswandel braucht Zeit. Denn manchmal

sind Menschen einfach noch nicht reif oder bereit für einen

Wandel. Was hilft, sind Vorbilder. Menschen, die vorangehen,

Beispiel geben – auch wenn das im ersten Moment erst mal

nur fordert: Mut, Energie, Kapital, visionäre Kraft. Es gäbe

heute keinen Bio-Landbau ohne die Pioniere. Vordenker wie

Rudolf Steiner. Überzeugte Visionäre, die in den 1980er-

Jahren dank ihrer unternehmerischen Strahlkraft und Aus-

dauer dafür sorgten, dass Bio-Produkte heute in aller Munde

sind. Joseph Wilhelm und Jennifer Vermeulen von Rapunzel

(1979). Volker Krause von der Bohlsener Mühle (1979). Sina

Nagel und Neil Reen von Barnhouse (1979). Ulrich Walter von

Lebensbaum (1979). Götz Rehn mit Alnatura (1984). Stefan

Voelkel, der die bereits 1936 gegründete Naturkostsafterei in

3. Generation zur Weltmarke machte. Und viele andere. Sie

alle haben etwas angefangen, weil sie etwas anders machen

wollten. >>

DER ZEIGEFINGER- EFFEKT

Katalysator, Rauchgas-Entschwefelung, FCKW-Verbot in Kühlsystemen, Umweltschutz als Staats-ziel, Atomausstieg – verglichen mit den letzten 30 Jahren, scheint der Weltuntergang heute gar nicht mehr so nah. Was hat in einigen Bereichen zum Umdenken geführt? Und was können wir tun, um unser Leben für Mensch und Erde sinnvoller zu gestalten? Gedanken über erhobene Zeigefinger, schlichte Erkenntnis und die Lust, das eigene Leben sinnvoll zu gestalten.

KANN DIE BIO-BRANCHE IHRE KUNDEN ZU MEHR ÖKO-BEWUSSTSEIN ERZIEHEN?

Autor HOLGER MEERWARTH

Page 43: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

43

Autor HOLGER MEERWARTH

Page 44: Alnatura Jubiläumsmagazin

ÖKO

LOG

IE

44

2011 HABEN SICH PER PETITION AN DEN DEUTSCHEN BUNDESTAG MEHR ALS 100 000 MENSCHEN FÜR EINEN ZULASSUNGSSTOPP VON GENTECH-PFLANZEN EINGESETZT. INITIIERT WURDE DIE PETITION DURCH VIELFALTERLEBEN; PETENT WAR DR. FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN, VORSITZEN-DER VOM BUND ÖKOLOGISCHE LEBENSMITTELWIRTSCHAFT.

Herr Prinz zu Löwenstein, wie können wir Menschen ansprechen, damit sie sich nachhaltiger verhalten? In unzähligen Initiativen werden die erforderlichen Alternativen

zu unserem derzeitigen Lebensstil entwickelt. Das ist eine nötige

Voraussetzung. Den Durchbruch werden wir nur erzielen, wenn wir

die Marktmechanismen funktionsfähig machen. Und das bedeutet

vor allem: Die Preise müssen die Wahrheit sprechen. Erst wenn für

die Produkte, die wir kaufen, alles mitbezahlt werden muss, was

bei ihrer Produktion und auf dem Weg ins Regal an sozialen und

ökologischen Kosten anfällt, haben wir es geschafft.

Warum war die Petition des BÖLW gegen grüne Gentechnik solch ein Erfolg? Das Beispiel zeigt ebenso wie die komplette Bewegung gegen

Agro-Gentechnik, wie viel Bürger erreichen können, wenn sie

aktiv werden. Sie brauchen nur Instrumente, mit denen sie ihre

Bereitschaft zum Handeln umsetzen können. Die Petition hat ein

solches Instrument bereitgestellt.

Wie, glauben Sie, können wir die Welt zum Besseren verändern? Angesichts der ökologischen und der sozialen Herausforderungen

reicht eine Kurskorrektur nicht aus. Wir brauchen eine gesellschaft-

liche Transformation. Sie kann nur durch ausreichenden Druck aus

der Bevölkerung in Gang gesetzt werden - und das erfordert einen

Bewusstseinswandel bei einer kritischen Masse von Menschen.

www.boelw.dewww.vielfalterleben.info

„Die Preise müssen die Wahrheit sprechen.“

Was die Bio-Branche nicht kann: Alleine die Welt retten.

Aus globalen Warenströmen lokale Selbstversorgungssysteme

erschaffen. Bio-Kunden vorschreiben, wie lange die Kühl-

schranktür offen stehen darf und wie groß das Auto für den

Einkauf sein sollte.

Ein Veggie-Day auf Ansage? Schwierig! Aber das Bewusst-

sein gerade vieler junger Konsumenten wandelt sich ja ohne-

hin. Denn es gibt mehr denn je für alle zugängliche Informa-

tionen und Vorbilder, die als Orientierung dienen: Veganer

beschreiben in Blogs ihre Erfahrungen, Journalisten berichten

mehr und mehr über die Folgen von (Massen-)Tierhaltung.

Das sind demokratische Faktoren für einen Bewusstseins-

wandel – Information statt Zeigefinger. Entscheiden muss

jeder individuell.

Die Bio-Branche kann auch vorangehen. Wenn beispiels-

weise Alnatura als erster Einzelhändler für mehr Energie-

Effizienz Türen vor Kühlregale montiert, dann ist dies ein kleiner

Beitrag, der auch andere motivieren kann. Wenn Taifun mit

seinem Sojaanbau in Deutschland, Frankreich und Österreich

zeigt, dass die eiweißreiche Bohne auch in Mitteleuropa ge-

deiht, dann müssen wir immerhin einige hundert Tonnen Soja

weniger aus Übersee importieren – und vielleicht macht das

Projekt ja Schule.

Zu menschlichem Leben gehört der Ressourcenver-brauch: Land, Nahrung, Luft, Wasser, Rohstoffe. Im Gegen-

satz zu den meisten anderen Arten ist der Mensch keinem

anderen Lebewesen nützlich – mal abgesehen von Haus- und

Nutztieren. Mit diesem Axiom menschlichen Lebens werden

wir zurechtkommen müssen. Mit sinnloser Ausbeutung

der Natur und Geringachtung der Kreatur dagegen nicht.

Denn das Beste und damit Sinnvollste aus unserem Dasein zu

machen, das geht sehr wohl. Und dafür lohnt es, gelegentlich

den mahnenden Zeigefinger zu erheben.

DR. FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEINVorsitzender BÖLW

Page 45: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

45Gibt es etwas Schöneres, als in unseren Zeiten leben zu dür-

fen? Wann je in der Geschichte waren wir so frei im Denken

und Handeln und zugleich so allein? Wir sind jeder auf uns

selbst gestellt und haben die Chance, jenseits von Konventi-

on und Routine selbstverantwortlich unser Leben zu führen,

unsere Biografie zu schreiben.

Niemals zuvor waren wir zugleich auch so gefährdet. Die von

uns entwickelten Systeme und Maschinen sind übermächtig.

Wir schaffen neben der realen eine virtuelle Welt. Von jedem

Menschen gibt es demnächst ein „digitales Ich“, einen aus

unseren Daten und Verhaltensmustern der Vergangenheit

zusammengesetzten Datenzwilling. Er ist das Abbild unserer

Taten, das droht, die Übermacht über unsere freie Persönlich-

keit zu gewinnen. Er wird zur Orientierung für die Gestaltung

der Zukunft als Vorbild gewählt: ein Schatten unserer Vergan-

genheit. Dabei verlieren wir das Ideal des schöpferischen, sich

entwickelnden Menschen; der Individualität, die aus Idealen

Sinnvolles gestaltet und sich im Gestaltungsprozess selbst als

Mensch entwickelt. Wir stehen also an einer entscheidenden

Kreuzung: Wollen wir dem Weg der Förderung des Ideals der

freien Menschen folgen oder uns zu Opfern unserer eigenen

Systeme machen und in Richtung Verhaltenskonditionierung

durch Reizstimuli zu Produkten der Wirtschaft werden?

Für mich besteht der Sinn des Lebens darin, gemäß meiner

mir gegebenen individuellen Möglichkeiten möglichst viel

dazu beizutragen, dass andere Menschen, andere Wesen und

die Erde sich besser entwickeln können. Dies setzt ein ständi-

ges, selbstloses Erkenntnisstreben voraus. Nicht was ich „über“

etwas denke ist wesentlich, sondern was ich von dem

„Wesen des Anderen“ erkennen kann, weist mir den Weg,

dem anderen „gerecht“ zu werden, ihm zu entsprechen.

Damit entdecke ich den „Sinn“ des anderen Wesens und

kann sinnstiftend tätig werden.

Allerdings gelingt dieser Weg nur, wenn jeder Mensch für sich

den Entschluss fasst und sich selbst auf eine „geistige Wande-

rung“ begibt. Das verlangt Disziplin. Den Sinn kann sich jeder

Mensch nur im eigenen Erkenntnisbemühen selbst erschließen.

Sinn können wir nicht konsumieren, nur schöpfen, das heißt

in unserem Bewusstsein durch unser Denken erzeugen. Der

Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er Schöpfer ist, wo er

Sinnvolles individuell gestaltet.

Das ist auch die Aufgabe der Mitarbeiter der Arbeitsgemein-

schaft Alnatura. Wir wollen durch unsere Handlungen dazu

beitragen, dass mehr Schöpferisches in der Welt entstehen

kann. Je mehr uns das gelingt, umso stärker werden wir uns

selbst im Spiegel unserer Taten erleben. Die Folgen der Sinn-

Taten sind der Handlungsrahmen der Erde und damit für uns

Menschen unsere Zukunft. >>

SINNVOLL FÜR MENSCH UND ERDE

Je mehr Freiheiten und damit Möglichkeiten wir haben, desto mehr stellt sich für viele die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Tuns, ja gar nach der Sinnhaftigkeit ihres Seins. Wie leben wir sinnvoll? Und wie wird daraus sinnhaftes Handeln?

GEDANKEN VON ALNATURA GRÜNDER GÖTZ REHN

Autor GÖTZ REHN

Page 46: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

46

Sinnvoll für Mensch und Erde – mit dieser am Ideal orientierten Unternehmensführung haben wir bei Alnatura schon früh eine eigene Idee von Bio geprägt. Wir haben uns nicht daran orientiert, was die Gesetze gerade noch zuließen, sondern seit der „Geburt“ von Alnatura konsequent auf 100 Prozent Zutaten aus biologi-schem Landbau bei den Alnatura Produkten gesetzt. Im Gegensatz dazu erlaubt die „EU-Bio-Verordnung“, dass bis zu 5 Prozent der landwirtschaftlichen Zutaten in einem Produkt nicht Bio sind. Auch die Zusammenarbeit mit den Bio-Anbauorganisationen Bioland, Demeter und Naturland kennzeichnet die Alnatura Qualitätsphilosophie: „Beste Qualität in ästhetischer Anmutung zum günstigsten Preis“. Für uns steht das ständige Verbessern der Qualität ganz vorne. Dies begleitet seit der Unternehmens-gründung ein unabhängiges Expertenteam. Ist die Qualität für ein Produkt gefunden, arbeiten wir daran, die Prozesse so schlank wie möglich zu gestalten, damit Alnatura Produkte von immer

mehr Menschen gekauft werden können. Beim Gestalten unserer Leistungen geht es uns auch um die Schönheit. Wir bemühen uns immer neu, unsere Produkte ästhetisch zu gestalten, unsere Alnatura Filialen schön und einladend zu konzipieren – und unsere Logistikgebäude aus Holz zeigen, dass auch „Funktionsbauten“ schön und umweltfreundlich sein können.

In 30 Jahren hat sich Alnatura zu einem Unternehmen entwickelt, das von seinen Kunden geschätzt und gewollt ist. Auszeichnun-gen, zum Beispiel 2011 als nachhaltigstes Unternehmen Deutsch-lands, begleiten unsere Entwicklung. Unser Motto „Sinnvoll für Mensch und Erde“ ist ein Ideal, das wie ein Leitstern unseren Entwicklungsweg beleuchtet. Unablässiges Streben nach sinn- voller Verbesserung der Werkwelt prägt unser Tun. Oft sind es kleine Verbesserungen, die uns Schritt für Schritt zu einem Unter-nehmen machen, das Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn lebt. >>

Was unser Tun prägt

Autor GÖTZ REHN

Page 47: Alnatura Jubiläumsmagazin

KU

LTU

R

47

TATJANA SCHNELL IST ASSOZIIERTE PROFESSORIN AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK MIT DEM SCHWERPUNKT EMPIRISCHE SINNFORSCHUNG. SEIT 14 JAHREN FORSCHT SIE ÜBER DAS, WAS MENSCHEN ALS SINNERFÜLLUNG BEGREIFEN. GRUNDLAGE DAFÜR SIND FRAGEN ZU 26 SINNDIMENSIONEN WIE ZUM BEISPIEL GESUNDHEIT, SOZIALES ENGAGEMENT, MACHTSTREBEN, LIEBE ODER SPASS.

Fragt man Menschen nach ihrem Lebenssinn, nennen sie häufig

Familie, Freunde und Beruf. Das sage aber noch nichts darüber aus,

ob diese Faktoren einem Menschen auch tatsächlich Sinnerfüllung

geben, so Tatjana Schnell: „Wenn man schaut, was am meisten

Sinn gibt, dann steht die Generativität an erster Stelle. Wenn also

jemand etwas tut, das in erster Linie der Gemeinschaft und späteren

Generationen zu Gute kommt, dann ist diese Person mit großer Wahr-

scheinlichkeit sehr sinnerfüllt.“ Auch Religiosität und Spiritualität

können starke Sinngeber sein, sind aber in Deutschland nach Erkennt-

nissen der Sinnforscherin nicht mehr sonderlich stark ausgeprägt.

In der 2008 von ihr publizierten Studie „Deutsche in der Sinnkrise?“

nannten die Befragten eher Faktoren wie Moral, Harmonie, Fürsorge,

Entwicklung und Gemeinschaft, die sie in ihrem Alltag als wichtig

bewerten.

„Mir scheint, dass die Sehnsucht nach Sinnerfüllung in den letzten

30 Jahren noch größer geworden ist“, sagt Tatjana Schnell. „Einige

groß angelegte Studien haben gezeigt, dass über die Hälfte der

Angestellten in Asien, Amerika oder Europa bereit wären, entweder

weniger Gehalt zu bekommen oder ihre Machtposition zu verringern,

wenn sie dafür etwas Sinnvolles tun könnten. Und in einer Studie

über Führungskräfte sagten zwei Drittel, dass sie Sinn in ihrer

Arbeit vermissen.“ Damit wir unser Sein als sinnvoll empfinden,

sollten laut der Wissenschaftlerin vor allem vier Faktoren vorhanden

sein.

1. Zugehörigkeit: Spiele ich eine wichtige Rolle in einem Team,

gehöre ich zu einer Gruppe? Zugehörigkeit meint das Gegenteil von

isoliert und entfremdet sein.

2. Bedeutsamkeit: Das, was ich tue, hat Konsequenzen. Nimmt

beispielweise jemand meine Arbeit wahr und wie ich sie tue?

Bedeutsamkeit wird über Wertschätzung vermittelt – und zwar

nicht nur durch Kollegen und Chefs; es ist auch wichtig, was mein

Tun für die Gesellschaft bedeutet.

3. Orientierung: Entwickelt sich das, was ich tue, in eine

Richtung, hinter der ich auch mit meinen Werten stehen kann? Diese

Werte kann man gut mit den 26 Sinndimensionen beschreiben. Zum

Beispiel wäre es für einen Menschen, dem viel an Gemeinschaft liegt,

schwierig, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem nur Machtfragen im

Vordergrund stehen.

4. Kohärenz: Stimmt das, was ich tue mit meinen Überzeugungen

überein? Oder muss ich in meiner Arbeit etwas tun, was meinen

Werten widerspricht – also mich anders verhalten, als ich privat bin?

„Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der es schwierig ist, Sinn

zu erleben, weil alles Mögliche dem entgegenspricht, die vier Sinn-

kriterien zu erfüllen“, glaubt Schnell. Früher sei vieles selbstverständ-

lich gewesen, auch mangels wählbarer Alternativen: „Meine Urgroß-

eltern hatten einen Bauernhof. Hätte ich die nach Sinn gefragt, hätten

sie mich komisch angeschaut, weil sie die Frage gar nicht verstanden

hätten.“ Tatjana Schnell verdeutlicht die vier Sinnfaktoren am Beispiel

ihrer Urgroßeltern: „ 1. Sie gehörten der Dorfgemeinschaft an – fühlten

sich also zugehörig. 2. Was sie taten, war bedeutsam, weil ganz klar

war, was wann zu tun war, damit etwas wächst auf dem Feld. 3. Die

Orientierung war da, denn alle waren damals Christen. Und das war

4. auch kohärent, weil es keine anderen Weltentwürfe gab, die dieses

Leben in Frage gestellt hätten.“

Damals wie heute sind Menschen auf der Sinnsuche. Auch das Thema

Nachhaltigkeit könne sinnstiftender Motor unserer Gesellschaft sein,

so die Wissenschaftlerin Schnell: „Ich kann mir vorstellen, dass die

Bio-Pioniere vor 30 Jahren dasselbe angetrieben hat, was Menschen

auch heute noch treibt: Die bisherige Tätigkeit hinzuwerfen und

etwas zu tun, was sinnvoll erscheint; auch wenn es nicht unbedingt

eine Karriereaussicht bietet.“

WEITERE INFOS: www.sinnforschung.org

Sinn ist individuell

TATJANA SCHNELLSinnforscherin an der Universität Innsbruck

ERKENNTNISSE DER SINNFORSCHUNG ÜBER UNSER SINNERLEBEN

Autor HOLGER MEERWARTH

Page 48: Alnatura Jubiläumsmagazin

EIN SINNHEFT ZUM ALNATURA JUBILÄUM

30 JAH

RE ZUVOR

MARIA REITMEIER arbeitete schon im Alnatura Gründungsjahr 1984 als Marktfrau auf dem Münchner Großmarkt