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ARBEIT FÜR ALLE? Euro-Schulen-Organisation Mag. Herbert Böhm, Dr. Herbert Bruch, Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, Wolfgang Gärthe, Bernhard Jagoda, Karsten Koppe, Ilse Lang, Prof. Dr. Winfried Schlaffke, Dr. Josef Siegers, Dr. Richard Wanka Qualitätsgemeinschaft Euro-Schulen-Organisation

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ARBEIT FÜR ALLE?

Euro-Schulen-Organisation

Mag. Herbert Böhm, Dr. Herbert Bruch, Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, Wolfgang Gärthe, Bernhard Jagoda, Karsten Koppe, Ilse Lang, Prof. Dr. Winfried Schlaffke, Dr. Josef Siegers, Dr. Richard Wanka

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MEMORANDUM 7/2008

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IMPRESSUM

2. Auflage 2008 als Sonderdruck für die Euro-Schulen-Organisation (ESO), Stockstadt

Die Publizierung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Memoranden-Forums – dortliegen auch alle Rechte der Verwertung.

Die Effizienz des Memorandums ergibt sich aus der Kommunikation zu den Arbeitser-gebnissen – hierzu passt eine offensive Einbindung in Diskussionen und Arbeiten, die sichmit der Entwicklung des Arbeitsmarktes beschäftigen:Es ist ausdrücklich gestattet, dieses Werk oder Teile daraus mit Quellenangabe frei zu zitieren und zu verwerten. Bei Berichterstattung zum Thema bitten wir um Zusendung ei-nes Belegexemplars.

Die im folgenden Text enthaltenen Angaben beziehen sich grundsätzlich sowohl auf die männliche als auch die weibliche Form. Zur besseren Lesbarkeit wurde stellenweise auf die zusätzliche Bezeichnung in weiblicher Form verzichtet.

Herzlichen Dank an Herrn Dr. Dieter Bogai, IAB, für wertvolle Anregungen, HerrnWolfgang Larmann, IW Köln, für die Lektorenarbeit und Frau Judith Pfeifer für die Ver-arbeitung der Texte und Korrekturen.

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Impressum:Gestaltung: ECC, StockstadtTitelbild: ECC, ArchivDruck: Bliesdruckerei GmbH, Blieskastel1. Auflage 2008: 1.000 Stck.ISBN: 978-3-00-025842-8

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COLLEGIUM

Mag. Herbert BöhmVorstandsmitglied a.D. des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS)

Dr. Herbert Bruchehemaliger Sprecher des Vorstandes der Grundig AG

Prof. Dr. Dr. habil. Peter EisenmannFH Würzburg-SchweinfurtUniversity of Applied Sciences

Wolfgang GärtheGeschäftsführer der Euro-Schulen-Organisation GmbH

Bernhard JagodaPräsident a.D. der Bundesanstalt für Arbeit

Karsten KoppePräsident a.D. des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen

Ilse LangUnternehmerin

Prof. Dr. Winfried SchlaffkePräsident der privaten Fachhochschule ISM International School of Management Dortmund,ehemaliger Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln

Dr. Josef SiegersFrüher Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und alternierender Vorsitzender des Vorstandes der Bundesanstalt für Arbeit

Dr. Richard WankaPräsident a.D. des Landesarbeitsamtes Bayern

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INHALTSVERZEICHNIS

A. Zum ThemaI. Editorial 5II. Arbeit als Menschenrecht: 9

Finanzierung von Arbeit statt Arbeitslosigkeit von Rainer Bomba Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit

III. Arbeit für Ellwangen, Varta Microbattery GmbH 13IV. Produktionsverlagerung deutscher Betriebe ins Ausland und

Rückverlagerungen sowie die Wirkungen auf die Beschäftigung 15

B. Arbeit für alleI. Arbeit und Beruf im Wandel der Zeit 29II. Die Schlüsselrolle der Bildung 35

C. Die InstrumenteI. Allgemeine Überlegungen 45II. Forcierte Integration in den 1. Arbeitsmarkt 49III. Die Funktion des 2. Arbeitsmarkts 61IV. Der problematische 3. Arbeitsmarkt 67

D. PraxisbeispieleI. Der Jugend eine Chance - ein Integrationsprojekt des AMS Österreich 77II. Zeitarbeitsunternehmen - ein Erfahrungsbericht aus Österreich 87III. Erlanger Hauptstraße – Straße ins Leben 95

E. Bürger- und Freiwilligenarbeit im Ehrenamt 97

F. Warum Memoranden-Forum? 102

G. Bisher herausgegebene Memoranden 104

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I. Editorial

Arbeit für alle, Teilhabe aller an der Arbeitswelt: Ist das eine utopische Vorstellung odereine realisierbare politische Vision?

Die Teilhabe-Idee, die jüngere „Schwester“ des Demokratie-Gedankens, hat sich erst spät herausgebildet. Am Anfang der demokratischen Bewegung zu Beginn des 19. Jahrhundertssteht der Kampf gegen einen übermächtigen Staat, um politische Mitbestimmung und Menschenrechte. Aus der Sicht des Bürgers ging es dabei um Partizipation im Sinne vonTeilnahme und Mitwirkung an den wichtigen politischen und gesellschaftlichen Entschei-dungen.

Der Teilhabegedanke hat sich entwickelt, nachdem sich nach dem 2. Weltkrieg in Deutsch-land die demokratischen Strukturen und Prozesse gefestigt hatten und auf dieser Grund-lage ein allgemeiner Wohlstand erreicht worden war. Bei der Teilhabe-Idee geht es darum,grundsätzlich allen Bürgern Zugang zu den wichtigsten Lebensbereichen zu verschaffen,zur Arbeitswelt sowie ganz allgemein zum kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaft-lichen Leben.

Nicht umsonst kommt der Teilhabe an Arbeit dabei eine Schlüsselrolle zu. Arbeit hat sichim Zuge der Modernisierungsgeschichte unserer Gesellschaft als das wirksamste Instru-ment zur persönlichen Entfaltung des Einzelnen, zu seiner materiellen Absicherung undzugleich zur Grundvoraussetzung für den ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschrittder Gemeinschaft herausgebildet. Im ersten Kapitel wird der Bedeutungswandel des Phä-nomens Arbeit im Laufe der letzten Jahrhunderte nachgezeichnet (Kapitel B I).

Zugleich wird bei dieser Beschreibung deutlich, dass sich der Weg, jedem Einzelnen ei-nen Rechtsanspruch auf Arbeit zuzusprechen, als nicht gangbar erwiesen hat. Dies würdeletztlich eine nicht einlösbare Garantieverpflichtung des Staates bedeuten, Arbeitsplätzefür alle zu schaffen. Dass dieser Weg in die Irre führt, hat das Scheitern des Sozialismusmit aller Deutlichkeit erwiesen. Die Forderung, allen die Teilhabe an der Arbeitswelt zu er-möglichen, kann also nur den generellen Auftrag an Staat, Wirtschaft und Gesellschaft be-treffen, die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Lebens so zu setzen und alle rele-vanten Entwicklungen so zu steuern, dass wir dem Ziel der Vollbeschäftigung möglichstnahe kommen.

Die schlechthin entscheidende Voraussetzung für den Einzelnen, erfolgreich und dauerhaftZugang zur Arbeitswelt zu finden, ist eine zielführende Grund-, Aus- und Weiterbildung.Die Ausführungen in Kapitel B II beschreiben die zu dieser individuellen employabilitynotwendigen Schritte, listen die Schwachpunkte und Defizite unseres Bildungssystems

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auf, appellieren an Staat, Wirtschaft und Gesellschaft angesichts der Globalisierung undder demographischen Entwicklung die dringend notwendigen Entscheidungen nicht zuverschleppen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die heute unstrittige Einsicht,dass für seine Beschäftigungsfähigkeit grundsätzlich jeder Einzelne zuvörderst selbst ver-antwortlich ist. Zwar müssen Staat und Gesellschaft allen gleiche Startchancen einräumen,aber was jeder Einzelne für sich daraus macht, liegt in seinen Händen.

Die entscheidende Frage lautet nun: Wie gehen Staat und Gesellschaft mit den Personenum, die umständehalber oder aus persönlichen Gründen schon den Start in die Arbeitswelt verpassen oder später durch Widerstände des Lebens oder Fehlentwicklungen in ihrer Um-gebung ihren Arbeitsplatz verlieren?

Hier geht es also um das Arbeitsschicksal von zwei großen Personengruppen: einmal umdie berufliche Zukunft gehandicapter Jugendlicher, die ohne ausreichende Qualifikation,oft zusätzlich belastet durch ihre soziale oder fremde Herkunft, ihren schweren Weg insArbeitsleben antreten und zum anderen um all diejenigen, die irgendwann auf der Ar-beitsstrecke in Schwierigkeiten geraten und wegen ihrer problembeladenen persönlichenSituation die Rückkehr auf einen Arbeitsplatz nicht aus eigener Kraft schaffen.

Das Memorandum befasst sich schwerpunktmäßig mit dieser zweiten Gruppe, weil sichdie politische Diskussion zurzeit unter den Stichworten Hartz-IV-Reform sowie zweiterund dritter Arbeitsmarkt intensiv mit diesem Personenkreis befasst und das Memoranden-Forum hierzu einen Diskussionsbeitrag leisten will. Es kann aber kein Zweifel daran be-stehen, dass die Probleme der ersten Gruppe Vorrang beanspruchen. Auf Dauer könnennämlich die Schwierigkeiten der älteren Problem-Arbeitslosen nur dadurch gelöst bzw.verhindert werden, dass durch eine rechtzeitige ausreichende vorbeugende Qualifizierungder jungen Menschen Arbeitsmarktprobleme später überhaupt erst gar nicht auftreten.

Das Memorandum belässt es für diesen eigentlich vorrangigen Personenkreis bei einigen,die Problematik beschreibenden Bemerkungen im Kapitel B und bei der Aufzählung zwei-er praktischer Beispiele für gelungene Jugendarbeit in Kapitel D.

Im Kapitel C („Die Instrumente“) wendet sich das Memorandum der großen Gruppe von Arbeitslosen zu, die nur schwer vermittelbar sind, weil sie in der Regel mehrere vermitt-lungshemmende Merkmale (Langzeitarbeitslosigkeit, gesundheitliche Einschränkungen,hohes Alter, mangelhafte Qualifikation) auf sich vereinigen. Hierbei handelt es sich – jenach Zuordnung – um einen Kreis von bis zu einer Million Personen. Die noch problema-tischere Teilmenge, die bis zu 500.000 Personen umfassen könnte, besteht aus Arbeitslo-sen, die trotz formaler Arbeitsfähigkeit keine Perspektiven auf dem 1. Arbeitsmarkt haben.Die Vorgehensweise des Memorandums ist nun so angelegt, dass das ganze arbeitsmarkt-

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politische Instrumentarium der beiden maßgebenden Arbeitsmarktgesetze, des SGB III(früher Arbeitsförderungsgesetz) und des SGB II (früher Bundessozialhilfe-Gesetz) in Be-zug auf die Gruppe der Schwervermittelbaren durchdekliniert wird. Der Gesetzgeber istvon dem Grundsatz ausgegangen, dass die allgemeinen arbeitsmarkpolitischen Hilfen undLeistungen zunächst auch bei der Problemgruppe zum Einsatz kommen müssen, bevor –im Sinne eines schrittweisen Vorgehens – speziellere und damit regelmäßig auch teurereund kompliziere Leistungen in Betracht gezogen werden.

Die Ausführungen des Memorandums gehen also von den allgemeinen Dienstleistungender Berufsberatung und Arbeitsvermittlung aus, beschreiben die verschiedenen Maßnah-men zur Qualifizierung der Arbeitslosen und die möglichen Anreize für Arbeitgeber, auchproblematische Arbeitslose einzustellen, und enden schließlich bei den Beschäftigungschaffenden Maßnahmen, insbesondere bei den klassischen Arbeitsbeschaffungsmaßnah-men und den neu eingeführten Ein-Euro-Jobs. Bei diesen Darlegungen wird deutlich, dassbei einer individuellen, auch Betreuungsaktivitäten einschließenden Anwendung dieserVorschriften in vielen Fällen auch noch zunächst schwierig erscheinende Arbeitslose re-integriert werden können. In allen Fällen, insbesondere bei den beiden zuletzt genanntenInstrumenten, sind jeweils die arbeitsmarktpolitischen Erfolge gegen die zu erwartendennegativen Nebenwirkungen (z. B. Verdrängung regulärer Arbeitsplätze, hohe Kosten) ab-zuwägen. Die in der jüngsten Wirksamkeitsforschung sichtbar gewordenen schwachen Ar-beitsmarkterfolge mahnen zur Vorsicht.

Besonders ausführlich werden die Chancen und Risiken des so genannten sozialen oderdritten Arbeitsmarktes dargestellt. Auf die dazugehörende so genannte Bürgerarbeit hatsich die politische Diskussion im Zusammenhang mit der Hartz-Reform konzentriert. DasMemorandum vertritt hierzu die Auffassung, dass das Instrument einer rein unprodukti-ven Beschäftigungstherapie kein Königsweg sein kann. Hunderttausende Menschen aufDauer in künstlich organisierter Arbeit ohne ökonomisches Fundament unterbringen zuwollen, ist weder finanziell zu verkraften noch sachlich sinnvoll. Örtlich beschränkte,überschaubare Aktivitäten auf diesem Feld haben hingegen ihren Sinn, der hauptsächlichin der intensiven Sichtung und Betreuung der Arbeitslosen zu sehen ist.

Ein Weg zur Öffnung neuer Arbeitsmarkt-Perspektiven ist auch die Zeitarbeit. In einer Zeit ökonomischer Umbrüche und Unsicherheiten kann Zeitarbeit für viele Menschen zu einersinnvollen Zwischenstation zwischen Arbeitslosigkeit und regulärer Beschäftigung wer-den. Dieser Weg, der in anderen Ländern viel stärker ausgebaut ist, sollte auch in Deutsch-land eine angemessene Bedeutung im Arbeitsmarkt einnehmen. Zeitarbeit ist anfällig fürFehlentwicklungen. Die Konsequenz darf aber nicht darin bestehen, Zeitarbeit zu er-schweren oder gar zu verhindern. Damit würde man realistische Arbeitsmarktchancen ver-spielen. Vielmehr kommt es darauf an, die politischen, rechtlichen und tariflichen Rah-

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menbedingungen so zu gestalten, dass Zeitarbeit zu einer anerkannten und sinnvollen Op-tion für Arbeitsuchende wird. In Kapitel D wird beschrieben, wie dies für den österreichi-schen Arbeitsmarkt funktioniert.

Immer wieder wird auch die ehrenamtliche Arbeit als ein Bereich diskutiert, in dem eineBeschäftigung noch einsatzfähiger, aber momentan nicht beschäftigter Personen sinnvollist. In der Tat: Ehrenamtliche Tätigkeiten sind durchaus geeignet, die persönliche Befind-lichkeit und die sozialen Kompetenzen nicht beschäftigter Personen zu verbessern. Sie er-möglichen die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und fördern zugleich – beirückläufigem staatlichem Engagement auf vielen Feldern – das Gemeinwohl. Allerdingsdarf ehrenamtliche Tätigkeit nicht dazu benutzt werden, den Mangel an Arbeitsplätzen zukompensieren, oder gar als Instrument zur Disziplinierung der Arbeitslosen zu dienen. InKapitel E sind die Möglichkeiten und Grenzen dieses Tätigkeitsfeldes dargestellt.

Arbeit für alle: eine Illusion? Nein! Diese Forderung beschreibt ein Ziel, das zwar nie hun-dertprozentig erreicht werden kann, dem man aber durch gemeinsame Anstrengungen al-ler Akteure sehr nahe kommen kann.

Wolfgang Gärthe

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II. Arbeit als Menschenrecht: Finanzierung von Arbeit statt Arbeitslosigkeit

Wer das Thema „Arbeitswelt für Alle“ analysiert, wird sich schnell seiner eigenen ethi-schen Werte bewusst und stößt dabei auf rechtlich und politisch festgeschriebene Bekun-dungen.

Während Artikel 12 unserer Verfassung allen Deutschen das Recht zuspricht, ihren Beruf,Arbeitsplatz sowie ihre Ausbildungsstätte frei zu wählen, gehen die Vereinten Nationen inihrer Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte noch einen entscheidenden Schritt wei-ter. In Artikel 23 heißt es dort: „Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, aufgerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.“

Die Väter dieser Grundsätze hatten erkannt, dass Arbeit mehr ist als eine bloße Grundla-ge zur Sicherung materieller Lebensbedingungen. Der Wert der Arbeit bestimmt den ge-sellschaftlichen Status eines jeden von uns, selbst in der Familie, unter Freunden undNachbarn. Gerade dadurch verleiht Arbeit dem Menschen Würde. Ihm dieses Ehrgefühlzu nehmen heißt, seine Bedeutung in der Gemeinschaft zu mindern. Wer sich hingegen inder Welt der Arbeit behaupten kann, steht dort, wo sich unsere politischen und sozialenVerhältnisse entwickeln: Er nimmt teil an beruflichen Prozessen, die maßgeblich auch seinprivates Leben bestimmen.

Wäre Arbeit tatsächlich nur ein Instrument zur materiellen Sicherung unseres Lebens, wirhätten heute in unserem Wohlfahrtsstaat keine sozialen Probleme im Umgang mit der Ar-beitslosigkeit. Auch die meisten Haushalte von arbeitslosen Beziehern öffentlicher Trans-ferleistungen sind heute ausgestattet mit dem, was unseren Alltag erleichtert und ver-schönt. Es kann also nur bedingt an unerfüllten Warenhauswünschen liegen. Vielmehr lei-det der größte Teil von ihnen unter einer Ausgrenzung aus der Arbeitwelt und den darausresultierenden sozialen Folgen.

Wir werden auch weiterhin in der Lage sein, mit immer weniger Menschen immer mehrzu produzieren. Während sich die Zahl unserer Arbeitsplätze langfristig betrachtet verrin-gert, steigt die Zahl der Arbeitswilligen. Dies führt für viele Betroffene zu einer sich ver-stetigenden Arbeitslosigkeit mit einhergehender Isolation. Dabei geht der individuellenAusgrenzung von Arbeitnehmern oft ein langwieriger Prozess voraus, dem unter anderemaus Unkenntnis eine fehlerhafte „Selbstvermarktung“ in der Arbeitswelt zugrunde liegt.Mit der Dauer der Arbeitslosigkeit wachsen zwischenmenschliche Konflikte. SozialeKompetenzen, Disziplin und die Struktur des eigenen Lebens gehen verloren. Als Sekun-däreffekt sind höhere Gesundheits- und Sozialkosten die Folge.

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Mit den bislang bewährten Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik können die be-schriebenen Gefahren für unsere Gesellschaft nur bedingt bekämpft werden. Insbesonde-re das Problem der lang anhaltenden Arbeitslosigkeit wurde bislang nur unzureichend ge-löst. So gibt es zum Beispiel in den neuen Bundesländern Menschen, die mehr als 15 Jah-re arbeitslos sind. Viele Kinder haben ihre Eltern noch nie arbeiten sehen. Daraus ergebensich natürlich auch Folgen für die jungen Generationen.Trotzdem haben viele dieser langzeitarbeitslosen Menschen den Willen, sich wieder in denArbeitsmarkt integrieren zu lassen, nicht verloren. Ihnen muss mit vereinten Kräften undneuen Instrumenten der Weg geebnet werden.

Aus dieser Erkenntnis heraus wurde die Idee der „Bürgerarbeit“ geboren, deren primäresZiel es ist, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren und die Teilhabe am Arbeitsleben zufördern. Erstmals in Sachsen-Anhalt und Thüringen erprobt, hat sich „Bürgerarbeit“ fürdie Schwächsten unserer Gesellschaft aufgrund seines Erfolges weiter verbreitet undlängst den Status eines Modellversuchs überwunden.

Wie funktioniert Bürgerarbeit?

Im Rahmen eines vierstufigen kaskadierenden Systems wird allen Arbeitslosen ein Ar-beitsangebot unterbreitet, das auf ihre individuelle Lebenssituation zugeschnitten ist. Zu-nächst erhalten alle Arbeitslosen eine Einladung zu einem Beratungsgespräch in ihrerAgentur für Arbeit oder SGBII-Arbeitsgemeinschaft (ARGE). In dieser ersten Stufe, derAktualisierung und Aktivierung, wird geprüft, welche Chancen diese Menschen auf demArbeitsmarkt haben. In der zweiten Stufe erfolgt die zeitnahe Vermittlung marktnaherKunden. Personen mit Qualifizierungsdefiziten erhalten im Rahmen der dritten StufeMaßnahmen, z. B. zur Weiterbildung. Erst wenn geförderte und ungeförderte Hilfen nichtzum Ziel führen wird „Bürgerarbeit“ angeboten. In dieser vierten Stufe handelt es sich aus-schließlich um versicherungspflichtige Beschäftigung in gemeinnützigen Bereichen, wieVereinen, Kirchen oder karitativen Einrichtungen. Hier geht es um die Erledigung vonAufgaben, die ohne Bürgerarbeit aufgrund fehlender Gelder nicht ausgeführt würden. Ei-ne Verdrängung regulärer Arbeit findet definitiv nicht statt.

Die Vorteile sind für alle Beteiligten beträchtlich: Mit bislang nicht genutztem Humanka-pital wird die Volkswirtschaft gestärkt. Erwerbsfähigkeit und bereits erworbene beruflicheQualifikationen der Arbeitnehmer bleiben erhalten. Illegale Beschäftigung wird ebenso re-duziert, wie die angesprochenen Mehrkosten im Gesundheitswesen. Bürgerarbeiter erfah-ren einen Zugewinn an Motivation und Selbstvertrauen, der ihren Blick auf Arbeitsange-bote des ersten Arbeitsmarktes schärft.

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Letztlich handelt es sich gesamtfiskalisch um ein Nullsummenspiel, denn die Mittel, diein den Phasen 1 - 3 an Arbeitslosengeld eingespart wurden, werden zur Finanzierung derStufe 4 „Bürgerarbeit“ verwendet. Alle Beschäftigten erhalten für ihre erbrachten Lei-stungen einen angemessenen Lohn. Finanziert wurde Bürgerarbeit in der Modellphase ausMitteln der Aktiven Arbeitsförderung der Arbeitsagenturen und Arbeitsgemeinschaften.Zusätzlich beteiligte sich das Land Sachsen-Anhalt mit der Übernahme der Arbeitgeber-anteile zur Sozialversicherung aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.

Heute ist die Finanzierung derartiger Projekte über den jüngst in Kraft getretenen §16aSGBII und das Bundesprogramm zur Förderung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in Re-gionen mit hoher und verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit möglich. Wobei das Bundes-programm nur für Grundsicherungsträger SGBII in Bezirken mit einer Arbeitslosenquotevon 15 Prozent und mehr gilt. Hier hat die „Bürgerarbeit“, die international für ein be-achtliches Medieninteresse gesorgt hat, Pate gestanden.

Zwischenzeitlich haben viele vormals aus der Arbeitswelt ausgegrenzte Menschen überden Weg der Bürgerarbeit in den ersten Arbeitsmarkt zurückgefunden. Bereits im Juni2007 wurden in Sachsen-Anhalt in einem ersten Zwischenbericht Ergebnisse zur Berech-nung von Kosten und Nutzen vorgestellt. 95 Prozent der durch Bürgerarbeit entstandenenKosten waren danach durch eingesparte Sozialleistungen gedeckt. Die durch Arbeitslei-stungen eingetretene Wertschöpfung sowie eingesparte Mittel für gesundheitliche und so-ziale Folgekosten waren hierbei noch nicht berücksichtigt. Es ist zu vermuten, dass weite-re, noch nicht abgeschlossene Evaluierungen zu ähnlich positiven Ergebnissen führen wer-den. Durch „Bürgerarbeit“ sank in Bad Schmiedeberg (Sachsen-Anhalt) die Arbeitslosen-quote von 15,6 Prozent im September 2006 auf 6,0 Prozent im November 2007. In der in-dustriestarken Region Barleben wiederholte sich dieser Erfolg. Hier gelang mit „Bürger-arbeit“ im gleichen Jahr innerhalb von vier Wochen eine Reduzierung der ohnehin relativgeringen Arbeitslosenquote von 8,6 auf 4,0 Prozent.

Unbestritten ist, dass Bürgerarbeit an den Modellstandorten Arbeitslosigkeit signifikantund dabei annähernd kostendeckend gesenkt hat. Diese positive Bilanz hat uns in Bayernveranlasst, die Erfolgsgeschichte in modifizierter Form fortzuschreiben. Im Februar 2008startete deshalb in der Oberpfalz im strukturschwachen Stadtgebiet von Weiden das Pro-jekt „Job-Perspektive-Plus“, ein ähnlicher vierstufiger gesamtheitlicher Ansatz. Mit ihmwird das ehrgeizige Ziel verfolgt, die Arbeitslosigkeit vor Ort mittelfristig zu halbieren.Sollte dies gelingen, hätte sich auch hier die neue Art der Verflechtung von Individualitätund Sozialsinn eine nachhaltige Aufmerksamkeit bei den politischen Entscheidungsträ-gern erworben.

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Ich bin davon überzeugt, dass langfristig eine Bevölkerungsgruppe heranwächst, die sichaufgrund ihres sozialen Hintergrundes und begrenzter Qualifikationspotentiale nicht densteigenden Anforderungen einer sich immer höher entwickelnden Arbeitswelt dauerhaftanpassen kann. Sollte sich diese Vermutung bestätigen, wird sich unsere Gesellschaft aufder Suche nach humanen und sozialverträglichen Lösungen völlig neuen Herausforderun-gen stellen müssen. Bürgerarbeit oder die modifizierte Form der Job-Perspektive Plus kön-nen hier erste vielversprechende Ansätze sein.

Rainer Bomba

Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit

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III. Arbeit für Ellwangen

Anfang der 70er Jahre verlegte Varta wie so viele andere Unternehmen große Teile seinerProduktion ins asiatische Ausland. Anders als viele andere Unternehmen holte Varta25 Jahre später die Produktion zurück an seinen deutschen Stammsitz Ellwangen.

Die Varta Microbattery GmbH ist einer der weltweit führenden Hersteller von Mikrobat-terien, für die mobile Kommunikation genauso wie für hochsensible medizinische Gerä-te, und behauptet sich als einziger großer europäischer Anbieter gegenüber der asiatischenKonkurrenz. Der Jahresumsatz beträgt rund 140 Millionen Euro. Varta beschäftigt welt-weit rund 1500 Mitarbeiter, davon 500 in Ellwangen.

1973 gründete Varta ein Werk in Singapur, um seinen damaligen Hauptkunden vor Ort bes-ser bedienen zu können. In den Folgejahren wurde die gesamte Produktion wiederauflad-barer NiCd-Knopfzellen aus dem Hagener Werk nach Singapur verlagert. Die damals mo-dernen Fertigungslinien kamen aus Ellwangen und Hagen. Aus Singapur und den umlie-genden Ländern wurden Führungskräfte rekrutiert und durch Führungskräfte aus den Var-ta-Stammwerken unterstützt und ausgebildet. Die Belegschaft setzte sich insbesondere ausMalaien, Chinesen und Indern zusammen. Über 100 Millionen Zellen wurden in Singapurproduziert und fanden Verwendung in TV-Fernbedienungen, schnurlosen Telefone,Schreibmaschinen, Taschenlampen und als Memory-Backup in Computern.

Anfang der 90er Jahre standen alle Zeichen auf Veränderung. Der Markt verlangte nachleistungsfähigeren und zugleich umweltfreundlicheren Batterien – die veraltete NiCd-Technologie arbeitete auf Basis der giftigen Schwermetalle Cadmium und Quecksilber.Die Produktentwicklung von NiMH-Knopfzellen machte NiCd-Batterien, wie sie in Sin-gapur produziert wurden, letztlich überflüssig.

Auch die Möglichkeiten der Fertigung selbst hatten sich verändert. Durch die im eigenenHaus entwickelte Technologie der Hochleistungszellenmontagelinien konnte das Ellwan-ger Varta-Werk die Menge der dort produzierten primären Knopfzellen signifikant stei-gern. Eine ebenso deutliche Produktionssteigerung sollte nun auch im Bereich der wie-deraufladbaren Batterien gelingen, und zwar bei den neuen NiMH-Knopfzellen. DieSchaffung einer neuen Fertigungslinie war in jeder Hinsicht erforderlich.In Ellwangen verfügte man über hochqualifizierte Arbeitskräfte, Chemiker, Ingenieure,Physiker, und es gab es bereits eine funktionierende Entwicklungs- und Maschinenbauab-teilung. Diesen Bereich auszulagern oder in Asien parallel aufzubauen stand nicht zur De-batte. Aufgrund der völlig veränderten, höheren Anforderungen hätte der Aufbau neuerProduktionsanlagen in Asien unweigerlich zu höheren Kosten durch mehr Koordinations-und Betreuungsbedarf und bei der Qualitätssicherung geführt. Die Produktion der Zellen

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an den Ort ihrer Erforschung und Entwicklung zu koppeln, das Fertigungs-Know-how unddie Fertigung wieder zusammenzuführen, war die folgerichtige Lösung. Als 1996 dasWerk in Singapur geschlossen wurde, gingen 500 Stellen verloren. In Ellwangen hat Var-ta Microbattery dafür 100 neue Stellen geschaffen und etwa 400 bereits bestehende Stel-len vor Ort gesichert.

Für Varta ist der Standort Asien weiterhin sehr wichtig: Weil viele Großkunden der Elek-tronikbranche ihre Produktion nach Asien verlagert haben, kann Varta durch die Assem-blierung in Indonesien und China schneller auf Kundenanforderungen reagieren. Die Bei-behaltung asiatischer Assemblierungsstätten hält die Lohnkosten in diesem zeitintensivenArbeitsschritt niedrig. Und als Unternehmen mit weltweitem Absatzmarkt verfügt VartaMicrobattery ohnehin über ein gut gepflegtes, weit verzweigtes Vertriebsnetz. Neben denmessbaren Vorteilen durch die Rückholung der Produktion nach Deutschland konnte Var-ta auch einen spürbaren Imagegewinn verzeichnen. Zahlreiche Auszeichnungen honorie-ren die Innovationskraft des Unternehmens und dessen Bekenntnis zum Standort Deutsch-land.

In den letzten Jahren setzt die Varta Microbattery GmbH ihre Schwerpunkte sehr bewusstin der Forschung und Entwicklung und in der zeitnahen Umsetzung. In Ellwangen kom-binieren Chemiker und Maschinenbau-Ingenieure die Ergebnisse hochaktueller Produkt-entwicklung mit modernster Prozesstechnik. Varta Microbattery beschäftigt mehr als70 Fachleute im Bereich des Engineering.

Das Ellwanger Werk arbeitet überaus profitabel. Von den ersten Schritten in der Entwick-lungsabteilung über die Fertigung der Halbteile bis hin zum Endprodukt und zu seiner Ver-marktung wird eine verlust- und verzögerungsfreie Wertschöpfung im Unternehmen er-zielt. Impulse aus der Forschung werden zeitnah umgesetzt. Seinen derzeitigen Innovati-onsvorsprung beweist Varta insbesondere im Design-In, der Maßanfertigung von Knopf-zellen für hochkomplexe Bauelemente auf flexiblen Fertigungslinien, und bei wiederauf-ladbaren Hörgerätebatterien. Die Ellwanger Hörgerätebatteriefabrik ist inzwischen diegrößte weltweit.

Ansprechpartner Varta Microbattery GmbH: Simone [email protected]

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IV. Produktionsverlagerung deutscher Betriebe ins Ausland und Rückverlagerungen sowie die Wirkungen auf die Beschäftigung

Über Produktionsverlagerung wird in der breiten Öffentlichkeit seit etlichen Jahren immerdann viel diskutiert, wenn Großunternehmen und eine große Zahl von Arbeitsplätzen – wiebei Nokia, BenQ oder Karmann – von Verlagerung betroffen sind. Aber dabei wird über-sehen, dass Betriebe nicht nur ihre Produktion ins Ausland verlagern können, sondernauch zurückholen. Auf diese verschiedenen Produktionsstrategien weisen jüngst zweiPressemeldungen hin. So wird vom Kölner Ford-Werk berichtet, dass ein neuer Kleinwa-genmotor im rumänischen Craiova gebaut werden soll. Diese Produktion ginge, so be-fürchtet der Betriebsrat, zulasten der Mitarbeiter im Motorenwerk in Köln – 720 Arbeits-plätze seien gefährdet (Kölner Stadt-Anzeiger vom 28. Juli 2008). Als Gründe für dieseVerlagerung werden neben den relativ niedrigeren Arbeitskosten auch die geringeren Ko-sten für Logistik, Energie und Verwaltung in Rumänien genannt.

Auf der anderen Seite wird vom Stofftierhersteller Steiff GmbH gemeldet, dass er seineteilweise nach China ausgegliederte Produktion wieder nach Deutschland zurückgeholthat. Die Geschäftsleitung hat diesen Rückzug damit begründet, dass die Qualitätsstan-dards in den chinesischen Betrieben nicht erreicht würden. Zudem sei der Transportwegzu weit und die Lieferzeiten für kurzfristige Kundenbestellungen zu lang. Überdies fehl-ten qualifizierte Fachkräfte (FAZ vom 3.Juli 2008). Wegen dieser Schwierigkeiten werte-te die Geschäftsleitung die Verlagerung von Produktion vor vier Jahren nach China als ei-nen „Irrweg“ (Welt am Sonntag vom 6. Juli 2008, S. 24).

Diese beispielhaft genannten Meldungen verdeutlichen, wie aktuell das Thema ist. Die Ex-perten sind sich uneins, ob es eine Rückkehrwelle geben wird oder die Produktionsausla-gerung weitergeht. Für die Fragen, wie viele deutsche Betriebe ihre Produktion ins Aus-land verlagern und wie viele zurückkommen und welche Arbeitsplatzeffekte damit ver-bunden sind, soll im Folgenden eine Antwort versucht werden. Dabei wird zuerst definiert,was eine Produktionsverlagerung ausmacht. Sodann gilt es, die Produktionsstrategie inden Zusammenhang wirtschaftlicher Entwicklungslinien – sog. Megatrends – einzuord-nen. Drittens geht es um das derzeitige Ausmaß und den Stellenwert von Verlagerungenund Rückverlagerungen der Produktion in der Wirtschaft allgemein und im Produzieren-den Gewerbe im Besondern auf Grund neuester Unternehmensumfragen. Vor diesem Hin-tergrund wird abschließend versucht, die Frage zu beantworten, welche Wirkungen dieProduktionsverlagerung auf die Beschäftigung hat.

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1. Produktionsverlagerung als UntersuchungsgegenstandFür das Verlagern oder Auslagern von Unternehmensprozessen werden zahlreiche Be-griffe verwendet – Auslandinvestitionen, Produktionsverlagerung, Offshoring, Nearsho-ring oder Inshoring. Eine exakte Definition dieser Begrifflichkeiten untereinander istschwer auszumachen. Deshalb existiert eine einheitliche Begrifflichkeit von Produkti-onsverlagerung bisher nicht. Oft werden Produktionsverlagerungen von Teilen des Her-stellungsprozesses ins Ausland als Offshoring bezeichnet (Matthes, 2008, S. 45).

Für alle genannten Tätigkeiten kann als Oberbegriff die Auslandsinvestition gelten (Rö-mer, 2007, S. 8). Damit wird üblicherweise eine Direktinvestition im Ausland bezeichnet.Ein Teil dieser Auslandinvestitionen sind speziell die Produktionsverlagerungen.

Eine Direktinvestition wird aus verschiedenen Gründen sowie in unterschiedlichen Bran-chen vorgenommen. Wirtschaftsforscher unterscheiden im Wesentlichen zwei Motive:Marktmotive und Kostenmotive (Römer, 2007, S. 19 ff.)

Erstens marktorientierte Motive: Ein Beweggrund für Unternehmen, sich in Betriebe imAusland einzukaufen oder dort neue Produktionsanlagen aufzubauen, besteht darin, Ab-satzmärkte zu sichern oder neu zu erobern. Dieses Motiv hat bei Direktinvestitionen in Mit-tel- und Osteuropa besonders an Bedeutung gewonnen. Schließlich wachsen die dortigenVolkswirtschaften stark, sodass die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern steigt.

Diese Strategie eröffnet auch den deutschen Firmen die Chance, zusätzliche Kunden fürihre Erzeugnisse zu gewinnen. Dabei setzen die Unternehmen zunehmend auf Niederlas-sungen vor Ort. Damit kann auf die speziellen Produktwünsche der Verbraucher einge-gangen, ein optimaler Kundenservice geboten sowie das erforderliche Marketing betrie-ben werden.

Zweitens kostenorientierte Motive: Dieses Motiv spielt typischerweise eine große Rolle,wenn Unternehmen aus einem hoch entwickelten Industriestaat in Firmen eines Schwel-len- oder Entwicklungslandes investieren, um die niedrigeren Löhne bzw. Arbeitskostenauszunutzen. So wird etwa bei den Plänen in der Automobilindustrie, Werke in Rumänienzu errichten, auf die Lohndifferenz hingewiesen. Während in Rumänien die Arbeitsstun-de 4,50 Euro kostet, liegt sie hierzulande einschließlich Lohnnebenkosten bei 44 Euro.

Das Unternehmen kann durch die Auslagerung der kompletten Fertigung oder den Zukaufgünstiger Komponenten seine Waren auf den angestammten Märkten billiger anbieten.Damit kann es einen Wettbewerbsvorsprung erzielen.

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2. Megatrends der Wirtschaft Die Neuausrichtung der Produktion von deutschen Betrieben steht im Zusammenhang mitwesentlichen Herausforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft, die oft als so genannteMegatrends bezeichnet werden. Hier wären einige Trends zu nennen, von denen für dasThema drei Megatrends von besonderer Bedeutung sind (Hardege/Klös, 2008, S. 19 ff.).

Da ist erstens die Globalisierung / Internationalisierung der Wirtschaft. Wenngleich die In-ternationalisierung seit Ende des Zweiten Weltkriegs – und damit schon lange – besteht,so beschleunigt sich derzeit dieser Prozess. Treiber dieser Entwicklung sind besonders dieSchwellenländer in Lateinamerika und Asien, Russland, China und Indien. Die neuen Ge-schäftspartner und Absatzmärkte im Außenhandel bringen Vorteile, die deutsche Unter-nehmen zu nutzen verstehen. Volkswirtschaftlich gesehen, bedeutet Globalisierung imKern, dass einfache und arbeitsintensive – und in Deutschland relativ kostenintensive –Tätigkeiten auf Grund von absoluten und relativen Kostendifferenzen ins Ausland verla-gert werden. Hierzulande werden hingegen die humankapitalintensiven Teile der Wert-schöpfungskette bearbeitet.

Ein anderer Trend der Entwicklung ist der Einsatz neuer Technologien, der die skizzierteGlobalisierung erst ermöglicht und fördert. Die Durchdringung der Arbeitswelt mit Com-puteranwendungen nimmt ständig zu, sodass der Computer inzwischen aus dem deutschenArbeitsalltag kaum wegzudenken ist. Durch den Einsatz neuer Informations- und Kom-munikationstechnologien wird eine Just-in-time-Produktion möglich, weil Vorleistungenrechnergesteuert weltweit gestaltet werden und neue Netzwerke von Zulieferern und Her-stellern entstehen können. So kann ein großes deutsches Unternehmen der Bauindustrieden Auftrag, einen Staudamm in Chile zu errichten, durchführen, indem hierzulande dieingenieurwissenschaftlichen Arbeiten, wie Konstruktionen und Zeichnungen, ausgeführtwerden. Die Kommunikationsmittel hierfür sind Computer, Internet und notfalls auch dasTelefon. Die Veränderungen der Medienwelt durch das Internet sind umstürzend. Allge-mein zeigt die jüngste Befragung von Erwerbstätigen, dass inzwischen 41 Prozent aller Er-werbstätigen Fachkenntnisse und weitere 52 Prozent zumindest Grundkenntnisse in PC-Anwendungsprogrammen für ihre derzeitige Tätigkeit benötigen.

Ein weiterer Trend ist der zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Diese sich schonlange Zeit vollziehende Entwicklung zur Tertiarisierung hat die Zahl der Beschäftigen inden Branchen verändert: Mehr als 70 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland habenderzeit eine Arbeit im Dienstleistungssektor, nur noch 19 Prozent im Verarbeitenden Ge-werbe. Dieser Strukturwandel geht auf der Grundlage eines sich aktuell stabilisierendenindustriellen Kerns mit einer zunehmenden Verflechtung der Wirtschaft und der Heraus-bildung von Vorleistungsverbünden einher. Unternehmen, die den Strukturwandel erfolg-reich bewältigen, konzentrieren laut Wirtschaftsstudien hierzulande anspruchsvolle wis-

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sens- und wertschöpfungsintensive Unternehmensfunktionen, wie Forschung und Ent-wicklung, Design, Marketing, Fertigungsplanung, Vertriebssteuerung sowie die Erarbei-tung der Firmenstrategie. Hingegen werden einfache Fertigungsprozesse häufiger im Aus-land abgewickelt (Hüther, 2008, S. 17).

Diese dargestellten Megatrends haben in ihrer Dynamik zahlreiche kurz- und mittelfristi-ge Auswirkungen auf die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Beschäftigung. Besondersdie Globalisierung / Internationalisierung der Wirtschaft verschärft den Wettbewerbsdruckauf die Unternehmen. Gleichzeitig erweitert die Verflechtung der Weltwirtschaft über ei-ne Intensivierung der Arbeits- und Wissensteilung die Spielräume für Unternehmen. Ne-ben der Produktion im Inland steht es den Unternehmen zunehmend frei, bestimmte Pro-duktionsprozesse zu verlagern oder von dortigen Lieferanten einzukaufen.

3. Zum Ausmaß von Produktionsverlagerungen und RückverlagerungenEs fehlen verlässliche amtliche Statistiken zur Entwicklung von Produktionsverlagerun-gen und Rückverlagerungen (Kinkel/Maloca, 2008, S. 2). Aber zwei Unternehmensum-fragen darüber sind verfügbar und können das gegenwärtige Ausmaß und den Stellenwertvon Verlagerungen und Rückverlagerungen von Produktion deutscher Betriebe verdeutli-chen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young hat im Dezember 2007/Januar2008 3.000 Unternehmen aus dem gehobenen Mittelstand befragt. Dabei betrafen einigeFragen auch Aspekte der „Produktion im Ausland (Ernst & Young, 2008, S. 30 ff.). Die an-dere Umfrage hatte das Fraunhofer – Institut für System- und Innovationsforschung durch-geführt. Dieses Institut erhebt seit 1993 alle zwei Jahre Daten zur „Modernisierung derProduktion“. An der Erhebungsrunde 2006 beteiligten sich rund 1.600 Firmen des Verar-beitenden Gewerbes (Kinkel/Maloca, 2008). Im Folgenden werden die wesentlichenErgebnisse beider Untersuchungen hinsichtlich Ausmaß und Motive von Produktionsver-lagerungen und Rückverlagerungen dargestellt und verglichen. Da die Untersuchung derWirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young jüngeren Datums ist und den gesamtenMittelstand erfasst, werden diese Befragungsergebnisse zuerst skizziert.

3.1 Produktion des Mittelstands im AuslandNach der Befragung von Ernst & Young verfügt derzeit fast jedes zweite mittelständischeIndustrieunternehmen über Produktionsstätten im Ausland (46 Prozent). Für diese Unter-nehmen spielt die Kostensenkung eine wichtige Rolle, Produktion ins Ausland zu verla-gern oder zusätzliche Produktionskapazitäten im Ausland aufzubauen (80 Prozent). Bei ei-ner Produktion im Ausland verfolgen die Unternehmen aber längst nicht mehr nur das Ziel,kostengünstiger zu produzieren. Der Schritt ins Ausland bietet auch die Chance, neue Ab-satzmärkte zu erschließen und sich damit unabhängiger vom stagnierenden Heimatmarkt

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zu machen. Dieser Aspekt einer Produktionsverlagerung gewinnt zunehmend an Bedeu-tung. So geben 74 Prozent der befragten Betriebe an, dass es bei der Entscheidung überden Aufbau einer Produktionsstätte im Ausland auch um die Erschließung neuer Märkteging. Diese und andere Gründe für die Produktion im Ausland sind in der Tabelle 1 dar-gestellt.

Tabelle 1: Gründe für die Produktion im Ausland

Gründe Stellenwert 2008 2005Günstigere Produktionskosten 80 85Erschließung neuer Absatzmärkte 74 62Nähe zu Kunden 64 32Flexibilität des Faktors Arbeit 64 77Niedrigere Unternehmenssteuern 57 72Verbesserte F & E Möglichkeiten 31 20

Angaben in Prozent/Mehrfachnennungen möglichGrundgesamtheit: IndustrieunternehmenQuelle: Ernst & Young, 2008

Auch künftig werden deutsche mittelständische Betriebe in erheblichem Umfang im Aus-land investieren und dort Produktionsstätten oder andere Unternehmensfunktionen ein-richten. So planen 18 Prozent der Unternehmen gegenwärtig, in den kommenden drei Jah-ren Teile der Wertschöpfungskette ins Ausland zu verlagern. Dabei stehen vor allem Pro-duktionsverlagerungen weiter im Zentrum der Entscheidung (13 Prozent). Nur eine klei-ne Gruppe will Vertrieb / Marketing aus Deutschland ins Ausland verlagern (4 Prozent).Hingegen stehen Verlagerungen von Verwaltung, Finanz- und Rechnungswesen oder For-schung & Entwicklung kaum oder nicht zur Debatte.

Insgesamt nimmt die Verlagerungsdynamik mittelständischer Unternehmen ab, folgt mandem Mittelstandsbarometer von Ernst & Young: Während in der Erhebung von 2005 noch19 Prozent der Unternehmen angaben, Produktionsverlagerungen zu planen, liegt der An-teil aktuell nur noch bei 13 Prozent (Ernst & Young, 2008, S. 34). Offenbar ist die großeVerlagerungswelle vorbei. Einen hauptsächlichen Grund sieht die Wirtschaftsprüfungsge-sellschaft darin, dass viele Unternehmen in den vergangenen Jahren bereits die arbeitsin-tensiven Teile der Produktion ins kostengünstigere Ausland – besonders nach Osteuropa –verlagert haben. Zudem hätten die gute Konjunktur und die hervorragende Auftragslagein den vergangenen zwei Jahren dazu geführt, dass der Wettbewerbsdruck und die Her-

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ausforderungen etwas nachgelassen haben. Gegenwärtig gehe es in der mittelständischenIndustrie weniger um Rationalisierungen, Einsparungen und Verlagerungen. Vielmehrkämpften viele Unternehmen mit Kapazitätsengpässen und dem Fachkräftemangel.

Bei der Unternehmensstrategie, Produktion zu verlagern, kommt es immer wieder vor,dass sich die Erwartungen, die mit einer solchen Verlagerung verbunden sind, nicht erfül-len und die Produktion wieder rückverlagert wird. Offenbar war das bei der Steiff GmbHnach Presseberichten der Fall. Für solche und andere Rückverlagerungen können folgen-de Motive eine Rolle spielen, ohne dass dies quantifiziert ist:

Womöglich werden bei der realisierten Produktionsverlagerung Kosteneinsparungen nicht in der gewünschten Höhe realisiert,

es gibt Qualitätsprobleme bei der Produktion im Ausland oder

die Motivation und die Qualifikation der Arbeitnehmer entsprechen nicht den Erwartungen.

Möglicherweise erweist sich auch der ausländische Markt als weniger attraktiv als erhofft.

Diese oder andere Gründe haben in den vergangenen zwei Jahren sechs Prozent der mit-telständischen Unternehmen veranlasst, ihre Produktion wieder zurück nach Deutschlandzu holen, wie die Befragung von Ernst & Young ergeben hat. Derzeit planen fünf Prozentder Unternehmen, die im Ausland produzieren, die Fertigung ganz oder in Teilen nachDeutschland zurückzuverlagern (Ernst & Young, 2008, S. 36). Angesichts dieser Zahlenkann man nicht von einem generellen Trend zur Rückverlagerung sprechen – die Rück-verlagerungen werden nach dieser Erhebung auch nicht die Verlagerungen aus Deutsch-land weg kompensieren.

3.2. Produktion des Verarbeitenden Gewerbes im AuslandNach der Erhebung des Fraunhofer-Instituts haben 15 Prozent der Betriebe des deutschenVerarbeitenden Gewerbes von Mitte 2004 bis Mitte 2006 Teile ihrer Produktion ins Aus-land verlagert. Für den Teilsektor der Metall- und Elektroindustrie verfügt das Institut übereine weiter zurückreichende Zeitreihe. Demnach hatten im Zeitraum von 2002 bis 2003insgesamt 25 Prozent der Betriebe der Metall- und Elektroindustrie Produktion ins Auslandverlagert, während es im Zeitraum 2004/2006 insgesamt 19 Prozent sind. (Kinkel/Maloca,2008; S. 3) Der Vergleich dieser Zeitreihe zeigt, dass die Verlagererquote deutlich zurück-gegangen ist, wenn von der großen Branche der Metall- und Elektroindustrie ausgegangenund dieser Befund für das gesamte Verarbeitende Gewerbe verallgemeinert wird.

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Eine Leitfrage für das Fraunhofer-Institut war, welche Motive für Produktionsverlagerun-gen ins Ausland bestimmend sind. Nach der letzten Erhebung ist die Reduktion der Perso-nalkosten nach wie vor das wichtigste Motiv, besonders in die neuen EU-Mitgliedsländer.(Kinkel/Maloca, 2008, S. 8). Dies nennen vier von fünf Betrieben des gesamten Verarbei-tenden Gewerbes als mitentscheidend für ihre Entscheidung, Produktion zu verlagern.

An zweiter Stelle der Verlagerungsmotive stehen Kapazitätsengpässe. So führten in etwaeinem Drittel der Verlagerungsfälle Kapazitätsengpässe am deutschen Produktionsstand-ort dazu, dass Kapazitäten ins Ausland verlagert wurden. Weiter zielte rund ein Viertel derBetriebe mit seinen Verlagerungen auch darauf, neue Märkte im Ausland zu erschließen.An vierter Stelle der Gründe folgt der Wunsch von wichtigen Kunden im Ausland, dass derdeutsche Betrieb räumlich in ihrer Nähe produziert. Diese und andere Motive für Verla-gerungen sind in Tabelle 2 dargestellt. Dabei wird auch deutlich, dass Steuern und Sub-ventionen als Motiv für Verlagerung nachrangige Bedeutung haben.

Tabelle 2:Gründe für Produktionsverlagerungen des Verarbeitenden Gewerbes im Zeitraum 2004-2006

Gründe Stellenwert/AusmaßPersonalkosten 80Kapazitätsengpässe 34Markterschließung 27Kundennähe 21Steuern / Subventionen 11Wissensgewinn / Cluster 4

Angaben in ProzentQuelle: Fraunhofer-Institut, 2008

Produktionsverlagerungen ins Ausland sind jedoch kein unumkehrbarer Prozess. Es kommtauch für Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes immer wieder zu Rückverlagerungen vonvormals ausgelagerten Produktionen. Nach der Erhebung des Fraunhofer-Instituts gaben imgesamten Verarbeitenden Gewerbe 2,5 Prozent der Firmen an, dass sie zwischen Mitte 2004und Mitte 2006 Rückverlagerungen von Teilen ihrer Produktion durchgeführt haben. Da-mit käme im betrachteten Zeitraum auf etwa jeden sechsten Betrieb, der seine Produktionverlagert, ein Rückverlagerer – ein Verhältnis, das sich auch im vorhergehenden Erhe-bungszeitraum 2002/2003 gezeigt hatte (Kinkel/Maloca, 2008, S. 4). Damit sind Rückver-lagerungen etwa auf gleichem Niveau wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts geblieben.

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Das Fraunhofer-Institut hat in seiner Erhebung nicht nur das Verhältnis von Verlagerer-quote zu Rückverlagererquote berechnet, sondern auch den Zeitraum ermittelt, wann eineRückverlagerung erfolgt. Demnach wird ein Großteil der Rückverlagerungen von Betrie-ben getätigt, die innerhalb fünf Jahre zuvor Produktionsverlagerungen ins Ausland vorge-nommen hatten. Die differenzierte Betrachtung eines Panels von 471 Betrieben, die an al-len drei Erhebungen seit 2001 teilgenommen hatten, lässt den Schluss zu, „dass innerhalbvon 4 bis 5 Jahren auf jede vierte bis sechste Produktionsverlagerung eine Rückverlage-rung folgt“ (Kinkel/Maloca, 2008, S.5).

Welche Gründe sind für Rückverlagerungen von Produktionskapazitäten entscheidend?Die Analyse dieser Gründe ist aufschlussreich, da dadurch Faktoren aufgedeckt werdenkönnen, die bei Entscheidungen in der betrieblichen Praxis bisher nicht in entsprechenderWeise berücksichtigt wurden. Die Tabelle 3 gibt Aufschluss über die verschiedenen Grün-de und deren Stellenwert.

Tabelle 3: Gründe für Rückverlagerungen des Verarbeitenden Gewerbes im Zeitraum 2004 - 2006

Gründe Stellenwert/AusmaßFlexibilität 72Qualität 61Koordinationskosten 16Infrastruktur 15Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal 9

Angaben in ProzentQuelle: Fraunhofer-Institut

Die drei wichtigsten Gründe für Rückverlagerungen werden im Folgenden erläutert:

Als häufigsten Grund für Rückverlagerungen nannten Betriebe Einbußen bei Flexibili-tät und Lieferfähigkeit (72 Prozent). Hierin spiegelt sich die Notwendigkeit bei Pro-duktionsverlagerung wider, für Probleme bei der Produktion oder unterwegs entspre-chende Puffer- und Sicherheitsbestände zu schaffen.

An zweiter Stelle folgen Qualitätsprobleme, die für gut 60 Prozent der rückverlagern-den Betriebe mit entscheidend sind. Hierin spiegelt sich wider, dass die hohen Aufwen-

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dungen für die Qualitätssicherung, Qualitätskontrolle und Betreuung der ausländischenStandorte zur Sicherstellung der notwendigen Produkt- und Prozessqualität bei der Ent-scheidung zur Verlagerung unterschätzt wurden.

Mit deutlichem Abstand folgen zu diesen beiden hauptsächlich genannten Gründen an-dere auf den folgenden Plätzen, wie die Koordinationskosten (16 Prozent), unzurei-chende Infrastrukturen vor Ort (15 Prozent) und eine mangelnde Verfügbarkeit qualifi-zierten Personals vor Ort (9 Prozent).

Damit wird deutlich, dass Rückverlagerungen sich vorrangig durch Einbußen an Flexibilitätund Qualitätsprobleme der Auslandsproduktion motiviert sind. Hingegen haben Defizite derInfrastruktur vor Ort und die Verfügbarkeit qualifizierten Personals an Bedeutung verloren.

4. Beschäftigungswirkungen von ProduktionsverlagerungenÜber das Ausmaß der Verlagerung oder des Verlustes von Arbeitsplätzen, die mit Produk-tionsverlagerungen verbunden sind, gibt es keine amtliche Statistik. Auch die herangezo-genen Erhebungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young und des Fraunho-fer-Instituts enthalten darüber keine Daten.Um wenigstens die Auswirkungen der Auslandsaktivitäten auf den deutschen Arbeitsmarkteinschätzen zu können, ist es wichtig, die Motive für Direktinvestitionen zu unterscheiden.Mit der Wirtschaftsforschung hatten wir die Motive der Markterschließung und der Kostensenkung unterschieden (vgl. Kap.1).

Die Folgen dieser verschiedenen Arten von Direktinvestitionen für die Beschäftigung inDeutschland sind verschieden:

Besonders bei Projekten zur Markterschließung kann hierzulande durchaus eine positi-ve Beschäftigungsbilanz herauskommen. Denn gewinnt die Firma neue Kundenkreisein anderen Ländern, winken höhere Gewinne, mit denen auch im Inland zusätzliche Investitionen und Arbeitsplätze finanziert werden können.

Demgegenüber können kostenorientierte Auslandsinvestitionen einen Abbau von Stel-len nach sich ziehen. Eine solche bloße Verschiebung von Arbeitsplätzen dürfte vor al-lem dann stattfinden, wenn die Höhe der Arbeitskosten hierzulande keine rentable Her-stellung mehr ermöglicht und – gerade bei einfacheren Fertigungsvorgängen – im Aus-land ohne übermäßige Qualitätsverluste billiger produziert werden kann.

Ausgehend von diesen theoretischen Annahmen und auf der Basis empirischer Daten hatdas Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) eine eigene Berechnung durchgeführt, die

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sich auf die Beschäftigungswirkungen deutscher Investitionen in Mittel- und Osteuropabis zum Jahr 2004 konzentriert (Römer, 2007, S. 8).

Demnach haben deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahren zunehmend in Mittel-und Osteuropa investiert und in dortigen Tochterfirmen zahlreiche Arbeitsplätze für Be-schäftigte geschaffen. Dies waren nach IW-Berechnungen rund 757.000 Beschäftigte (Rö-mer, 2007, S. 54). Aus den vorliegenden Zahlen und Unternehmensumfragen geht hervor,dass 70 Prozent der Direktinvestitionen aus Gründen der Markterschließung getätigt wer-den und nur 30 Prozent aus Kostengründen. Aus Kostengründen haben deutsche Unter-nehmen bis 2004 nur rund 120.000 Arbeitsplätze in die mittel- und osteuropäischen EU-Länder verlagert. Angesichts dieses positiven Saldos gibt das Engagement der deutschenWirtschaft bei den östlichen Nachbarn eher Anlass zur Freude als zur Sorge. Allerdings istder sechsstellige kostenbedingte Abbau von Arbeitsplätzen nicht zu vernachlässigen!

Dass Direktinvestitionen kein Jobkiller in Deutschland sind, verdeutlicht abschließendauch eine Unternehmensumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages beiknapp 2.900 auslandaktiven Unternehmen im Jahr 2007. Demnach ist der Personalbestanddieser Unternehmen im Inland im Vergleich zu den Umfragen 2005 und 2006 erheblichgestiegen. Der positive Beschäftigungssaldo von 25 Prozentpunkten ist dreimal größer alsder im Ausland (DIHK, 2007, S. 8). Besonders die Industrieunternehmen des Verarbei-tenden Gewerbes – zumal wenn sie im Ausland investiert hätten – verzeichneten ein star-kes Beschäftigungsplus im Inland. Aufgrund dieser Daten kommt der Deutsche Industrie-und Handelskammertag zu dem Schluss, dass auslandsaktive Unternehmen ein wichtigerMotor für Beschäftigung seien und seit Sommer 2006 rund 200.000 neue Arbeitsplätze inDeutschland geschaffen haben.

5. Zusammenfassung1) Die Internalisierung von Unternehmen und besonders Produktionsverlagerungen ins

Ausland haben große Bedeutung für Wirtschaft und Arbeitsmärkte. In einer globali-sierten Wirtschaft führt für deutsche Unternehmen oftmals kein Weg an einer konse-quenten Strategie der Internationalisierung vorbei.

2) Eine Strategie dabei ist die Produktionsverlagerung ins Ausland. Aber diese Vorge-hensweise ist kein unumkehrbarer Prozess. Es kommt auch immer wieder aus ver-schiedenen Motiven zu Rückverlagerungen.

3) Es fehlen verlässliche amtliche Statistiken zur Entwicklung von Produktionsverlage-rungen und Rückverlagerungen. Auch ist keine amtliche Statistik über das Ausmaß derdamit verbundenen Beschäftigungswirkungen verfügbar. Einigen Aufschluss über die-

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se Aspekte können aber Unternehmensumfragen der WirtschaftsprüfungsgesellschaftErnst & Young, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und eine Erhebungdes Fraunhofer-Instituts sowie eine Berechnung des IW geben.

4) Die Umfragen und Erhebungen kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass dieProduktionsverlagerungen rückläufig sind. Offenkundig ist die große Verlagerungs-welle vorbei. Einer der Gründe dafür ist, dass viele Unternehmen in den vergangenenJahren bereits arbeitsintensive Teile der Produktion ins Ausland verlagert haben – be-sonders nach Osteuropa. Überdies hat die gute Konjunktur und eine günstige Auftrags-lage in den letzten beiden Jahren in Deutschland dazu geführt, dass die Herausforde-rung und die Dynamik der Verlagerung nachgelassen haben. Von daher scheint der Pro-duktionsstandort Deutschland in letzter Zeit wieder an Attraktivität gewonnen zu haben.

5) Auf Grund von kostenorientierten Produktionsverlagerungen entstehen Arbeitsplatz-verluste. Sie sind aber aus gesamtwirtschaftlicher Sicht gering. Vor allem fördern ab-satzorientierte Direktinvestitionen im Ausland, die anteilsmäßig klar dominieren, dieBeschäftigung hierzulande. Daher zeigen Auslandsinvestitionen in Deutschland eherpositive Beschäftigungseffekte.

6) Es kommt immer wieder zu Rückverlagerungen; nach der Erhebung des Fraunhofer-Instituts kommt auf etwa jeden sechsten Betrieb, der seine Produktion verlagert, ein Be-trieb, der seine Produktion zurückholt. Angesichts dieses Zahlenverhältnisses kann mannicht von einem generellen Trend zur Rückverlagerung sprechen. Aber die Gründe fürRückverlagerungen sollten bei Entscheidungen für Verlagerungen berücksichtigt wer-den. So sollten sich Entscheidungen über Produktionsverlagerungen nicht allein auf Ko-stendifferenzen stützen. Vielmehr müssen auch Kosten für Qualitätssicherung und Auf-wendungen zur Sicherstellung der Flexibilität kalkuliert werden.

Dr. Reinhard Zedler Lehrbeauftragter für berufliche Bildung/Personalentwicklung, Fachhochschule Remagen

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Literatur

Deutscher Industrie- und Handelskammertag (Hrsg.): Going International 2007, Berlin 2008.

Ernst & Young AG (Hrsg.): Mittelstandsbarometer 2008, Essen 2008.

Hardege, Stefan/Klös, Hans-Peter: Der deutsche Arbeitsmarkt im Spiegel der wirtschaftlichen Mega-

trends. In: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Die Zukunft der Arbeit in Deutschland, Köln

2008, S. 9 - 30.

Hüther, Michael: Unternehmen in der globalisierten Wirtschaft. In: Die Politische Meinung, 53.Jg.,

2008, Nr. 462, S. 17 - 21.

Kinkel, Steffen/Maloca, Spomenka: Produktionsverlagerungen rückläufig. Ausmaß und Motive von

Produktionsverlagerungen und Rückverlagerungen im deutschen Verarbeitenden Gewerbe. In: Fraun-

hofer-Institut für System- und Innovationsforschung (Hrsg.): Mitteilungen aus der ISI –Erhebung zur

Modernisierung der Produktion, Nr. 45, Karlsruhe 2008.

Kinkel, Steffen/Zanker, Christoph: Globale Produktionsstrategien in der Automobilzulieferindustrie.

Berlin/Heidelberg 2007.

Matthes, Jürgen: Globalisierung: Ursache zunehmender Lohnungleichheit?

In: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Die Zukunft der Arbeit in Deutschland , Köln 2008,

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Römer, Christof: Offshoring – Wie viele Jobs gehen ins Ausland? Auslandsinvestitionen, Produkti-

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Scheffler, Carola: Vorsicht bei Standortverlagerungen. In: Personalwirtschaft, 34. Jg., 2007, Heft 7,

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Ziegler, Astrid: Zu den Auswirkungen von Umstrukturierungsmaßnahmen auf die Arbeitsbedingungen

– die Beispiele Standortverlagerung und Ausgliederung.

In: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans Böckler-Stiftung (Hrsg.): WSI-Mit-

teilungen, 61.Jg., 2008, Heft 6.

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B. Arbeit für alle

I. Arbeit und Beruf im Wandel der Zeit1. Vorbemerkung2. Arbeit – Fluch der Götter3. Arbeit – Berufung und ethische Verpflichtung4. Arbeit – Entfaltung produktiver Kräfte für das Gemeinwohl5. Arbeit – Freiheit und Menschenrecht6. Recht auf Arbeit – massiver moralischer Appell

II. Arbeit und Beruf im Wandel der Zeit1. Vorbemerkung2. Wissen – Rohstoff der Dienstleistungsgesellschaft3. Strukturwandel – Problembewältigung durch umfassende Kompetenzen4. Bildungsschwäche – geminderte Berufschancen5. Investitionen – Vermeidung von Bildungsarmut6. Begabungsförderung – soziales und wirtschaftliches Gebot7. Demographie – Verschärfung qualitativer und quantitativer Probleme8. Berufliche Bildung – Motor der Qualitätsentwicklung9. Weiterbildung – der Weg zur Qualitätsentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit

10. Die Vision – bezahlte Arbeit für alle

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B.I.

I. Arbeit und Beruf im Wandel der Zeit

1. VorbemerkungDie Geschichte der Arbeit ist so alt wie die Menschheit selbst, doch die Bewertung vonArbeit und die Arbeits- und Leistungsanforderungen an die Menschen haben sich ebensovielfältig verändert wie deren Einstellungen zur Arbeit.

Im Folgenden sollen mit wenigen Schlaglichtern ihre sehr unterschiedlichen Wertschät-zungen beleuchtet werden, um so den herausragenden Stellenwert zu unterstreichen, denArbeit nach Jahrhunderten der Geringschätzung erreicht hat. Heute sind Staat, Gesell-schaft und jeder Einzelne dazu aufgerufen, nach Kräften alles zu tun, um das Menschen-recht auf Arbeit als ein hohes Gut der Freiheit und Selbstentfaltung für alle arbeitsfähigenund arbeitswilligen Menschen zu sichern.

2. Arbeit – Fluch der GötterNach altbabylonischen Überlieferungen oder auch nach Vorstellungen der griechischenAntike meinten die Menschen, Arbeit sei die Folge eines Fluches der Götter. Auch die Be-richte in der Bibel scheinen darauf hinzudeuten, dass den Menschen die Arbeit als Strafeauferlegt wurde. Das Paradies – ein fruchtbarer Garten mit artigem Getier – bot Sorglo-sigkeit, Vergnügen und Segen, während die Arbeit auf den kargen Äckern der Erde wie einFluch erschien.

Nach harter Arbeit hat man sich weder in der griechischen und römischen Antike noch beiden Germanen gesehnt. Tacitus berichtet uns, dass die Germanen die Arbeit genauso denUnfreien überlassen haben wie die Spartiaten den Heloten. Die gehobenen Stände küm-merten sich um Philosophie, Bildung und Kultur oder um den Krieg. Zu arbeiten hattendie Sklaven, im Krieg bezwungene Feinde oder bezahlte Knechte.

Muße zu haben, um über das Wahre und Gute, das Schöne und Gerechte, die Politik und dieWirtschaft, Krieg und Frieden nachzudenken, adelte den Menschen. Arbeit setzte herab undwies den Menschen als Mitglied der untersten Stände aus. Nur, wenn die Banausen und dieTheten – die handwerklich tätigen Armen im Lande – eine ganz besondere hohe Kunstfer-tigkeit erreichten, konnten sie ihr Einkommen und ihre soziale Stellung verbessern.

3. Arbeit – Berufung und ethische VerpflichtungMit dem Beginn der Neuzeit, die durch Erfindungskraft, Pioniergeist und Schaffensfreu-de der Menschen charakterisiert ist, hat sich ihre Einstellung gegenüber der Arbeit grund-legend verändert. Zudem hatte Martin Luther mit seinen theologischen Neuinterpretatio-

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nen einen bedeutenden Anteil daran, dass sich im heraufkommenden Bürgertum eine ganzneue Sicht von Arbeit durchzusetzen begann: Arbeit ist gottgefällig, Faulheit eine Sünde.Jedwede nützliche Arbeit, die im festen Glauben an Gott verrichtet wird, ist wertvoll. Siegefällt Gott und hat damit eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gottesdienst. Arbeit wirdnicht mehr bestimmten Stufen einer Wertehierarchie zugeordnet, sie ist immer gleichwer-tig, egal ob es um körperliche oder geistige Arbeit geht. Die Bedeutung des Fleißes undder Schaden der Faulheit gewinnen in Luthers Reden und Schriften einen hohen Stellen-wert. Er überhöhte den Arbeitsbegriff durch eine theologisch-moralische Interpretation,die in dem von ihm gewählten Begriff „Beruf“ steckt. Die Arbeit ist kein bitterer Job mehr,den man mehr oder weniger zufällig übernimmt, um den Lebensunterhalt zu gewährlei-sten, sondern eine Berufung, der man sich mit ganzer Kraft hinzugeben hat.

Von den Reformatoren Martin Luther und Johann Calvin bis zu den Pietisten ausgehend,entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte ein ausgeprägtes Leistungsethos nach demMotto „Soli Deo gloria“, das schließlich dazu führte, Deutschland zu einem Wirtschafts-und Wissensstandort erster Qualität werden zu lassen.

In seinen 1904 erstmalig im Jafféeschen Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitikerschienen Untersuchungen macht Max Weber darauf aufmerksam, dass der Geist des Kapitalismus nicht etwa in Raffsucht, Habgier und schnödem Materialismus wurzelt, sondern, dass er seine Kraft und Dynamik aus dem moralisch fundierten Arbeitsethos desProtestantismus gezogen hat.

Das Motiv für diese herausragende Schaffenskraft fand Max Weber in der calvinistischenHeilslehre, die der Auffassung war, dass ein jeder Gnade vor Gottes Gericht finden wer-de, der besonders fleißig im Glauben und in der Welt der Pflichten ist. Mit innerweltlicherAskese, Hingabe an den Beruf, mit Sparsamkeit und Fleiß, mit Konsumverzicht und Investitionskraft konnte sich der gläubige Protestant zwar nicht die Gewissheit des Gna-denstandes erkaufen, aber doch eine beruhigende Vorgewissheit erarbeiten, wegen seineserfolgreichen Schaffens zu den Auserwählten zu gehören. Der in dieser Intensität noch nie-mals im Abendland vorhandene Leistungswille, verbunden mit einem tadelsfreien Lebenswandel, schufen mit die Voraussetzungen für die Entwicklung und das allmählicheEntstehen einer neuen, ungeheuer erfolgreichen Industrie.

4. Arbeit – Entfaltung produktiver Kräfte für das GemeinwohlMit den zur Neuzeit führenden politischen Entwürfen der großen Staatstheoretiker des16. und 17. Jahrhunderts (Hobbes, Locke) und mit den Ideen und Zielen der Aufklärungwurden die Grundlagen für den politischen und ökonomischen Liberalismus geschaffen.

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Adam Smith legte schließlich in seiner Begründung „des Wohlstandes der Nationen“ dasnoch heute tragfähige Fundament für ein neuzeitliches Wirtschafts- und Arbeitsverständ-nis. Er ging nicht von einem Wunschbild aus, wie die Menschen sein sollten, sondern ernahm sie so, wie sie gestern waren und heute noch sind mit ihrem Selbstinteresse und Stre-ben nach Wohlergehen:

Der Arbeitseinsatz aus Selbstinteresse und Selbstverantwortung ist der kraftvolle Motorfür die ökonomische, politische und kulturelle Entfaltung und Entwicklung sowohl desEinzelnen als auch des Gemeinwesens. Die Kraft und das Schöpfertum des eigenverant-wortlich handelnden und Vorsorge treffenden Menschen dienen dem Gemeinwohl. Wennder Einzelne nämlich alle Kräfte anspannt und im Verfolgen eigener Interessen große Lei-stungen vollbringt, um seinen Besitz oder sein Ansehen zu mehren, wird sich diese indi-viduelle Leistung zugleich zugunsten des Gemeinwohls auswirken. Denn der Mensch istkein manisch egozentrisches, sondern zugleich ein soziales Wesen, das Sympathien, Rück-sicht und Hilfe für den Mitmenschen kennt und bereit ist, Absprachen, Regelungen unddie Notwendigkeit sozialer Hilfeleistungen anzuerkennen.

Das von Locke bis Müller-Armack weiterentwickelte und in seinen sozialen Komponen-ten verstärkte liberale Marktwirtschaftsmodell fand in Ludwig Erhard den Wissenschaft-ler und Praktiker, der dieses Konzept zur erfolgreichen Wirklichkeit des Wirtschaftswun-derlandes Deutschland führte.

Erhard konnte gegen viel Skepsis seine politische und ökonomische Vision durchsetzen,ökonomische Freiheit zu sichern, Märkte offen zu halten, Wettbewerb zu stärken, Lei-stungseinsatz nachhaltig zu belohnen, dabei Angebot und Nachfrage als Regulativ wirkenzu lassen und über gesellschaftliche Verteilungsmechanismen auch für alle Schwachen zusorgen.

5. Arbeit – Freiheit und MenschenrechtWeder die protestantische Leistungsethik noch die Kapitalismuskritik zu Zeiten von KarlMarx, die das Elend der Industriearbeiter mit ihrer 80-Stunden-Arbeitswoche beklagte,hatte eine Ahnung davon, dass sich eines Tages bezahlte Arbeit zu einem so knappen Gutentwickeln würde, dass es mit großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anstren-gungen vermehrt werden muss. Denn nach dem heutigen in der Gesellschaft vorherr-schenden Verständnis dient Arbeit nicht nur dazu, mit dem erzielten Einkommen Lebens-unterhalt und -qualität zu sichern. Arbeit hat zugleich auch eine hohe sinnstiftende Funk-tion. Sie ist Ausdruck der vernünftigen und zielbewussten Handlungsfähigkeit des Men-schen. Arbeit schafft die Möglichkeit, für sich und andere langfristig zu sorgen. Sie ist zugleich ein Mittel der Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung. Vollbrachte

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Leistung schafft – wie kaum etwas anderes – Glück und Befriedigung. Somit gilt Arbeitals ein hohes Gut, das in manchen deutschen Landesverfassungen als persönliches Frei-heitsrecht und sittliche Pflicht zugleich verankert ist. In der Allgemeinen Erklärung derMenschenrechte heißt es in Artikel 23: „Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.“

6. Recht auf Arbeit – massiver moralischer AppellDer vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen eingesetzten besonderen Men-schenrechtskommission gelang es mit dieser Erklärung, ein bedeutendes Dokument zuverfassen, das jedoch von Anfang an darunter litt, den Geburtsfehler zu haben, dass es fürkeinen der Mitgliedsstaaten eine bindende Wirkung erzielen konnte, wenngleich die all-gemein hohe moralische und rechtliche Bedeutung im Sinne einer Richtschnur nach wievor gegeben ist. Grundsätzlich deklarierte die Generalversammlung die von ihr verkünde-te Erklärung und damit alle proklamierten Menschenrechte „als das von allen Völkern undNationen zu erreichende gemeinsame Ideal“ (!) und fordert das Bemühen um Achtung dieser Rechte ein.

In der wenig später vom Europarat 1950 verkündeten „Europäischen Konvention zumSchutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ findet sich das Recht auf Arbeit nicht;erst die „Europäische Sozialcharta“ 1961 verpflichtet die Vertragsstaaten in Teil II, Art. 1auf die Gewährleistung einer „wirksamen Ausübung des Rechtes auf Arbeit“ im Sinne eines „möglichst hohen und stabilen Beschäftigungsstandes“. Mit dieser Formulierungschließt sich ein Absolutheitsanspruch im Bezug auf ein Recht auf Arbeit für alle aus undrelativiert diesen Anspruch wiederum im Sinne einer Anstrengungsverpflichtung der Staaten über die Verwirklichung einer Vollbeschäftigung.

Dies ändert grundsätzlich – auch und gerade bezogen auf den Titel dieses Memoran-dums – nichts daran, dass jeder einen gewissen Anspruch auf Arbeit besitzt, der jedoch nurdann gewährleistet werden kann, wenn es genügend Arbeitsplätze mit einer ausreichendenProduktivität, die für die Bezahlung eines dem Leistungsaufwand adäquaten Lohnes aus-reichend wäre, geben würde. Da dies auch in einer Wohlstandsgesellschaft nicht der Fallist, bleibt das Ziel, Arbeit für alle erreichen zu können, ein mehr oder weniger abstraktesIdeal, dem man so nahe wie möglich zu kommen trachtet.

Alles andere bleibt Augenwischerei, auch wenn in der politischen Debatte immer wiedervon interessierter Seite die Forderung nach Schaffung einer grundgesetzlichen Absiche-rung eines Rechtes auf Arbeit erhoben wird. Die Verfassung der ehemaligen DDR hattedie Schwierigkeit der Postulierung und der Durchsetzung eines Rechtes auf Arbeit für

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alle Bürger in ihrem Artikel 24 (1) sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Leider vergisstman hierzulande, dass dieses Recht ausschließlich nur „entsprechend den gesellschaftli-chen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation“ (!) eingeräumt worden ist, be-ziehungsweise eingeräumt werden konnte! Zudem wurde mit der Formulierung: „DasRecht zur Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit“ eindeutig der Arbeitspflichtdas Wort geredet.

Eine derartige Verkoppelung von Recht und Pflicht als Einheit kann zwar das „Recht aufArbeit“ gewährleisten, erscheint aber in einer freiheitlichen demokratischen Gesell-schaftsordnung aus zweierlei Gründen nicht wünschenswert und somit nicht realisierbar:

Zum einen ließe sich ein derartiges „soziales Grundrecht“ nur durchsetzen, wenn für je-dermann genügend freie Arbeitsplätze verfügbar wären; da dies jedoch nicht der Fall ist,müsste Arbeit bei entsprechender Entlohnung zugeteilt werden.

Zum anderen würde dies wiederum in Zwangsarbeitsvergabe münden und so mit einemder kardinalen Wesensmerkmale der Demokratie, nämlich dem Freiheitsgedanken, mas-sivst kollidieren.

Somit kann die Forderung nach einem Recht auf Arbeit, wie es die Menschenrechtserklä-rung der Vereinten Nationen postuliert und wie es heute vielfach gefordert wird, aus-schließlich als massiver moralischer Appell an die Volkswirtschaften verstanden werden,alles zu tun, um möglichst für alle arbeitswilligen Bürger eines Landes Arbeit schaffen zukönnen.

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II. Die Schlüsselrolle der Bildung

1. VorbemerkungWenn dieVision „Arbeit für alle“ aus der Realitätsferne in die Realitätsnähe gebracht wer-den soll, muss Bildung – von der Wiege bis zur Bahre – einen zentralen Stellenwert in derGesellschaft einnehmen.

Bildung ist unbestritten eine entscheidende Voraussetzung für die aktive Teilnahme an derArbeitswelt, mehr noch: Bildung sichert die Freiheit und Selbstbestimmung des Men-schen. Bildung macht stark und unabhängig und sorgt für die Fähigkeit zu sozialem Ver-halten. Denn sozial wirken kann der, der wettbewerbsfähig ist. Mit Bildung verfügt manüber das Potenzial, auch für andere sorgen zu können.

Bildung ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft; aber Bil-dung ist kein materielles Gut, das sich in gleicher Weise auf alle verteilen lässt. Bildungmuss vielmehr von jedem Einzelnen nach seinen Möglichkeiten verantwortungsvoll undengagiert erarbeitet werden.

2. Wissen – Rohstoff der DienstleistungsgesellschaftArbeitslosigkeit ist immer noch ein Massenproblem, das mit höchster Dringlichkeitsstufebeseitigt werden müsste. Aber die Bewältigung dieser Herausforderung bleibt schwierig,weil sich das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhalten der Menschen zu-meist nur mit großen Verzögerungen an die dynamischen Veränderungen unserer Zeit an-passt. Das vorhandene Beharrungsvermögen, das Bemühen um die Sicherung erreichterBesitzstände und die Ängste vor den unbekannten Risiken der Zukunft sind groß. Dochder Strukturwandel verändert unsere Lebens- und Arbeitswelt in einem anhaltenden dyna-mischen Prozess. Globalisierung und Internationalisierung verlangen mehr Wettbewerbs-willen und höhere Leistungsfähigkeit. Der Vormarsch der Tertiarisierung, das Streben nachGanzheitlichkeit und Nachhaltigkeit, die Ökologisierung und der dynamische Trend zu In-novationen sind Entwicklungen, die nur mit einem höheren Qualifikationsniveau bewäl-tigt werden können.

Nicht mehr die Rohstoffe des Industriezeitalters – Steinkohle und Stahl, Chlor und Öl –und nicht mehr der Taylorismus mit massenhafter Einfacharbeit bestimmen das Beschäf-tigungssystem. Der entscheidend wichtige Rohstoff der heutigen Dienstleistungsgesell-schaft ist vielmehr das Wissen. Um die in den Datenbanken der Welt milliardenfach ge-speicherten Informationen verantwortungsvoll und produktiv nutzen zu können, wird einhohes Bildungsniveau gebraucht, das Wissen, Können und Handlungskompetenz um-greift.

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3. Strukturwandel – Problembewältigung durch umfassende KompetenzenMehr Bildung ist notwendig, um den dynamischen Veränderungsprozess in Gesellschaft,Wirtschaft und Technik zu verstehen, moralisch zu bewerten und verantwortungsvoll nut-zen zu können. Noch mehr Bildung, Forschungs- und Entwicklungsarbeit ist erforderlich,um abermals Innovationen zu schaffen. Die Spirale dreht sich nach oben. Ein anhaltenderTrend zum Bedarf neuen Wissens, neuer Fähigkeiten und vielschichtigerer Kompetenzenist nicht zu übersehen.

Bildung ist aber nicht nur das hilfreiche Instrument, technische und ökonomische Mög-lichkeiten zu ergreifen und zu meistern, sondern Bildung muss die Entwicklung der gan-zen Gesellschaft steuern und tragen. Bildung umgreift ein Wertesystem, Wissen dagegenist Rohstoff – eine Anhäufung von Daten, Fakten, Informationen, gesicherten Erkenntnis-sen. Wissen findet man milliardenfach im weltweiten Netz, doch erst Wissen mit Gewis-sen, mit Einordnungsvermögen, mit Urteilskraft und Verständnis, mit Zielbewusstsein undHandlungsorientierung charakterisiert das Wesen von Bildung.

Ordnet man den Entwicklungstrends unserer Zeit die notwendigen Fertigkeiten und Fä-higkeiten zu, dann wird deutlich: Die gegebenen Aufgaben sind nur mit umfassendenKompetenzen, das heißt mit Bildung, zu meistern:

Entwicklungstrends Kompetenzanforderungen

Von der Regionalität zur Internationalität Mobilität, Fremdsprachen, (Globalisierung) interkulturelles Verständnis

Von der Industrie- zur Dienstleistungs- Dialogfähigkeit, Qualitätsbewusstsein,gesellschaft (Tertiarisierung) Freundlichkeit, Zuverlässigkeit

Von Standardangeboten Kommunikations- und Anpassungs-zur Kundenorientierung fähigkeit, Flexibilität, Initiative

Vom Taylorismus zur Ganzheit Interdisziplinarität, Integrationsfähig-keit, Planungs-, Organisationsfähigkeit

Von materiellen Rohstoffen zur Kreativität, Innovationskraft,Wissensverwertung Lehren, Beraten

Von Kollektivität zur Individualität Eigenverantwortung, Selbstständigkeit,Delegieren, Teamarbeit, Flexibilität

Vom Verbrauch zur Nachhaltigkeit Folgebewusstsein,(Ökologisierung) ganzheitliches Denken, Ethik

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4. Bildungsschwäche – geminderte BerufschancenWenn erreicht werden soll, dass langfristig möglichst alle Erwerbswilligen und -fähigenam Arbeitsprozess mitwirken, müssen die notwendigen Voraussetzungen bereits im Kin-desalter geschaffen werden, denn ohne eine stark verbesserte Schulqualität wird sich auchkein generell höheres Niveau in der beruflichen und in der hochschulischen Bildung er-reichen lassen. Aber genau dies ist eine wichtige Voraussetzung für Arbeitsplatzzuwachs.

Wie groß inzwischen Deutschlands Leistungsrückstand im internationalen Vergleich ist,haben die PISA-Studien drastisch gezeigt: Ein Viertel aller Schulabgänger hat ein so un-zureichendes Leistungsniveau, dass eine erfolgreiche Berufsausbildung auf der vorhande-nen Basis unmöglich ist. In den leistungsschwächsten Bundesländern handelt es sich so-gar um ein Drittel aller Schüler.

Im internationalen Ranking ist die Problemgruppe, die nur unzureichend lesen, schreibenund rechnen kann, in Deutschland am größten. Schwaches soziales Milieu oder Migrati-onshintergründe hängen eng mit Schulversagen zusammen.

Im Jahr 2004 verließen 8,3 % der Abgänger allgemein bildende Schulen ohne Abschluss – das waren 82.000 junge Leute.

Ebenfalls ohne Abschlusszeugnis waren im gleichen Jahr etwa 23 % der Berufsschüler.Das sind rund 240.000 junge Menschen, die schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkthaben.

5. Investitionen – Vermeidung von BildungsarmutUm die Arbeitslosigkeit mit all ihren negativen Folgen für die Entwicklung der Gesell-schaft grundlegend bekämpfen zu können, müssen die entsprechenden Rahmenbedingun-gen für längeres und besseres Lehren und Lernen geschaffen werden; dazu gehört insbe-sondere der Ausbau der Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen. Weiterhinmuss einerseits die Schulausstattung (Gebäude, Räume, Labore, Computer) vielfach er-neuert werden, andererseits werden mehr (vor allem pädagogisch) qualifizierte Lehrer ge-braucht, die einen motivierenden, von Methodenvielfalt geprägten, niveauvollen Unter-richt abhalten. Denn nicht die Schulform ist von entscheidender Bedeutung, auch nicht al-lein die Großzügigkeit der Gebäude und der Räume oder die Höhe der Lehrervergütungund eine niedrige Pflichtstundenzahl: In erster Linie kommt es auf die Qualität des Unter-richts an.

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Die Verbesserung der Rahmenbedingungen verlangt Milliardeninvestitionen von Bund,Ländern und Kommunen, um bessere Startgleichheit und höhere Chancengerechtigkeit zuverwirklichen. Aber Bildung lässt sich nicht sozial verteilen, sondern Bildung muss vonjedem hart erarbeitet werden. Verantwortung und Leistungswille sind gefragt. Eine Kulturder Anstrengung und der Leistungsfreude wird daher zu Recht seit langem gefordert.

6. Begabungsförderung – soziales und wirtschaftliches GebotEine besondere Aufgabe von Schule und Elternhaus liegt deshalb darin, ein Klima des Lei-stungswillens und der Leistungsfreude zu schaffen, um so zu helfen, die in jungen Men-schen angelegten Interessen und Begabungen bestmöglich zu entfalten. Begabtenförde-rung ist wirksamer Treibstoff zur Verbesserung der Schulqualität. „Die Flut hebt, die Eb-be senkt alle Schiffe“ sagen Psychologen und Pädagogen. Sie meinen damit, dass durchdie Förderung der besonders Leistungsstarken das Niveau ganz generell angehoben wer-den kann, während Mittelmaß im Unterricht zu allgemeiner Leistungsschwäche führt. DerHochbegabte reüssiert nicht von selbst, weder in der Schule noch im Beruf. In der Gesell-schaft muss sich die Einsicht durchsetzen, dass es ein Gebot der Humanität, der pädago-gischen Vernunft und der gesellschaftlichen Notwendigkeit ist, allgemeine und auch spe-zielle Hochbegabungen nicht brachliegen und verkümmern zu lassen. Das Persönlich-keitsrecht auf bestmögliche Entfaltung der angelegten Begabungen ist zu respektieren –zum Wohle der Gesellschaft und einer künftigen positiven Arbeitsmarktentwicklung.

Niemand darf verloren gehen; deshalb gilt für die Schwachen eine gleiche Feststellung:Sie haben ein Anrecht auf bestmögliche Entwicklung aller vorhandenen Kräfte. Die För-derung sollte früh, gezielt und passgenau erfolgen. Zahllose Modellversuche haben be-wiesen, dass auch Leistungsgeminderte erstaunliche Ergebnisse erzielen und ihren Platzin Gesellschaft und Beruf finden können.

7. Demographie – Verschärfung qualitativer und quantitativer ProblemeDer Wille der Gesellschaft, die Bildungsqualität im Lande generell anzuheben, ist von ent-scheidender Bedeutung für eine positive Entwicklung des Arbeitsmarktes, denn die vor-handenen qualitativen Probleme werden sich durch quantitative weiter verschärfen.

Der dramatische Rückgang der Schulabgängerzahlen – aus den bekannten demographi-schen Gründen – wird sich wegen des damit verbundenen Mangels an Fachkräften undHochqualifizierten zu einem zentralen Problem deutscher Unternehmen entwickeln:

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Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der potenziellen Erwerbspersonen von derzeit rund 42 Millionen auf knapp 30 Millionen zurückgehen.

Im Jahr 2001 kamen auf je 100 über 45-jährige Akademiker noch 125 jüngere Menschenmit Hochschulabschluss oder Meisterbrief; im Jahr 2050 werden es nur noch 80 sein.

Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Hochqualifizierten um knapp 2 Millionen auf etwa 8,9 Millionen zurückgehen.

Zurzeit wird von den deutschen Unternehmen vor allem der Mangel an technischen Fach-kräften und Ingenieuren beklagt: Im Jahr 2006 konnten in Deutschland 48.000 Ingenieur-stellen nicht besetzt werden. Das hat Produktionsausfälle zur Folge. Der Arbeitsmarkt kannsich aber nur dann erfolgreich entwickeln, wenn genügend hoch qualifizierte Kräfte be-darfsgerecht bereitstehen. Fachkräftemangel ist aber kein schicksalhaftes Verhängnis, son-dern die Wirtschaft kann und muss mehr dazu beitragen, die durchaus vorhandenen Po-tenziale zu nutzen und weiterzuentwickeln. Circa 29.000 arbeitslos gemeldete Ingenieurekönnen insgesamt weder zu dumm noch zu alt sein, um nicht doch bedarfsgerecht weiter-qualifiziert zu werden.

Bedenklich ist es, dass zurzeit weitaus mehr High Potentials aus Deutschland ab- als zu-wandern. Inzwischen leben über 880.000 Deutsche mit akademischer oder gleichwertigerAusbildung in anderen OECD-Ländern. Das mit großem Abstand beliebteste Ziel sind dieUSA, gefolgt von Kanada, der Schweiz und Großbritannien. Umgekehrt leben nur knapp270.000 Hochgebildete aus anderen OECD-Ländern in Deutschland.

8. Berufliche Bildung – Motor der QualitätsentwicklungEinen wichtigen Schlüssel zur Problemlösung hat die Wirtschaft selbst in der Hand, wennsie ihr Engagement und ihre Entwicklungsarbeit in der beruflichen Aus- und Weiterbil-dung weiter intensiviert.

Unsere Hochschulen haben immer noch Schwächen, wenn es um die Verzahnung von Theo-rie und Praxis und um die Vermittlung von überfachlichen Schlüsselqualifikationen geht.

Die Wirtschaft sollte daher mit der Tradition beruflicher Bildung im dualen System nichtbrechen, sondern im Gegenteil ihre Anstrengungen weiter verstärken, denn es gehört zuden großen Vorteilen des dualen Systems, eine umfassende fachliche und methodische,personale und soziale Kompetenzstruktur zu schaffen. Das Zusammenspiel von Theorieund Praxis, die Vielfalt und Verschiedenheit der Lernorte, die konkreten Aufgaben und dieunmittelbare Überprüfbarkeit der erbrachten Leistung wirken motivierend.

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Im Einzelnen geht es um das Erreichen folgender Ziele:

Kontinuität der Ausbildungsleistungen

Quantitative Steigerung bei gleichzeitiger Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung

Flexibilisierung und Bedarfsnähe durch- Kernqualifikationen- Module und Wahlbereiche- Zusatzqualifikationen (vgl. auch www.ausbildung-plus.de)

Erneuerte und neue Berufsbilder

Attraktive Entwicklungsmöglichkeiten für Abiturienten (Jeder vierte geht in die duale Ausbildung)

Ausbildungsverbünde

Neue Medien, neue Wege der Didaktik („Der Azubi als Lehrer und Projektleiter“)

Praxis- und bedarfsnahe Prüfungen

Höhere Produktivität der Ausbildung

Entwicklung produktiver Einfachberufe

Senkung der Drop-out-(Ausfall)Rate

Verzahnung von Aus- und Weiterbildung

9. Weiterbildung – der Weg zur Qualitätsentwicklung und WettbewerbsfähigkeitAuf Grund der lang dauernden Reaktionszeiten des Schul- und Hochschulbereichs auf diedynamisch ablaufenden Umstrukturierungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaftkommt der Weiterbildung eine herausragende Rolle zu. Weiterbildung darf nicht länger einsporadisch und kurzatmig eingesetztes Mittel der Krisenbewältigung sein, sondern musszu einem integralen und wichtigen Bestandteil des gesamten Bildungssystems werden.

Eine zukunftsorientierte Weiterbildungsstrategie muss die Anhebung des Qualifikations-niveaus Beschäftigter und Arbeitsloser in gleicher Weise zum Ziel haben. Die Nachquali-

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fizierung Erwachsener ohne jeden Abschluss ist eine ebenso wichtige Aufgabe wie die Hö-herqualifikation von leistungsstarken Persönlichkeiten mit hohem Potenzial. Eine engeKooperation zwischen Weiterbildungseinrichtungen und Beschäftigungssystem und einegründliche Analyse des vorhandenen Kompetenzspektrums der Teilnehmer an Bildungs-maßnahmen schaffen Passgenauigkeit, Effizienz und Kostenreduktion.

Weiterbildung sichert dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern bessere Wettbewerbsfä-higkeit. Ein jeder ist gefordert, seine berufliche Leistungsfähigkeit auf dem Stand der Zeitzu halten. Heute verlangen die modernen Betriebsorganisationen eine Kultur der Eigen-verantwortung. In der Weiterbildungsarbeit der Unternehmen hat inzwischen ein Begriffzentrale Bedeutung gewonnen: Employability. Es geht um den Willen und die Fähigkeitder Mitarbeiter, sich so weiterzuqualifizieren, dass sie den sich ändernden Anforderungengenügen können. Doch gerade für die unbeschäftigten Risikogruppen des Arbeitsmarkteswie Geringqualifizierte, Migranten oder Ältere bedarf es besonderer Unterstützung. Pro-duktivitätsfortschritte sollten darüber hinaus genutzt werden, Lernzeitkonten und Weiter-bildungsfonds zu errichten.

10. Die Vision – bezahlte Arbeit für alleDie Zukunft der Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland hängt entscheidend von der Ei-genverantwortlichkeit, dem Leistungs- und Bildungswillen jedes Einzelnen ab. Bezahlba-re Arbeit lässt sich millionenfach vermehren, wenn

das Leistungsniveau in allen Bildungsbereichen gesteigert werden kann und sich eineKultur der Anstrengung entwickelt,

ein Innovationsklima mit Pionier- und Risikobereitschaft in allen Bereichen der Gesell-schaft Raum findet und unternehmerisches Tun schon von Jugend an gefördert wird undgenerell eine positive Wertschätzung erfährt,

Unternehmen die Potenziale ihrer Mitarbeiter nutzen und fördern und innovationsbereitund -fähig sind,

die Wirtschaft zukunftsorientiert forscht und handelt und der Dienstleistungsbereich –beispielsweise auf den Gebieten Senioren, Gesundheit und Freizeit – mit Kreativität undPhantasiefähigkeit ausgebaut wird,

deutlich mehr Steuergelder in Bildung und Forschung und in Technologien und Dienst-leistungen für den Arbeitsmarkt der Zukunft investiert werden,

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statt wuchernder Bürokratien, Reglementierungen und erstarrter Systeme in Staat, Ge-sellschaft und Wirtschaft mehr Beweglichkeit, Flexibilität und Kundenorientierungherrschen,

die Staatsquote sinkt und die weiter anhaltende Neuverschuldung aufhört (Das Geld, dasfür die Schuldenberge von gestern ausgegeben werden muss, steht nicht für Zukunfts-investitionen zur Verfügung),

Subsidiarität und Eigenverantwortung, Freiheit und Leistungsgerechtigkeit einen höhe-ren Stellenwert im Wertesystem der Gesellschaft erhalten als staatliche Rundumversor-gung und das Streben nach Gleichheit.

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C. Die Instrumente

I. Allgemeine Überlegungen.1. Terminologische Unübersichtlichkeit2. Grundsätzliche Überlegungen

II. Forcierte Integration in den 1. Arbeitsmarkt1. Arbeitsfördermaßnahmen für Problemgruppen nach

dem geltenden Förderrecht a. Problemgruppen des Arbeitsmarktesb. Systematik der Leistungenc. Allgemeine Beratungs- und Vermittlungsleistungend. Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Qualifikatione. Finanzielle Leistungen an Arbeitgeber

2. Ansatzpunkte für die Verbesserung des geltenden Förderrechtsa. Die neue Strategie der Arbeitsagenturen hinsichtlich

der Arbeitnehmerkundenb. Der neue Stellenwert der beruflichen Qualifizierungc. Maßnahmen zugunsten älterer Arbeitnehmer

3. Kombilohn-Konzeptea. Die heutige Situationb. Die Bewertung

III. Die Funktion des 2. Arbeitsmarktes1. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)

a. Die heutige Situationb. Die Bewertung

2. Arbeitsgelegenheiten (AGH) nach § 16 Abs. 3 SGB IIa. Die heutige Situationb. Die Bewertung

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DIE INSTRUMENTE

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C. Die Instrumente

IV. Der problematische 3. Arbeitsmarkt1. Ausgangssituation2. Die Funktionen eines sozialen Arbeitsmarktes3. Begriffsmerkmale eines 3. Arbeitsmarktes

a. Der Personenkreisb. Die Dauer der Förderungc. Die Form des Beschäftigungsverhältnissesd. Die Einsatzfeldere. Die Finanzierungsfrage4. Versuch einer Bewertunga. Arbeitsmarktpolitische Aspekteb. Die finanziellen Aspekte c. Gesamtbewertung

DIE INSTRUMENTE

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I. Allgemeine Überlegungen

1. Terminologische UnübersichtlichkeitDie augenblickliche arbeitsmarkt- und sozialpolitische Diskussion steht vor einem Dilem-ma. Einerseits: Viele Arbeitslose, vor allem irgendwie gehandicapte Personen, haben dau-erhafte Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz auf dem regulären, dem 1. Arbeitsmarkt, zu fin-den. Auf der anderen Seite verlangt das sozialstaatliche Postulat des Grundgesetzes, dassjeder, der arbeitsfähig ist, in einer freien Gesellschaft auch die Möglichkeit zur Teilhabe anArbeit haben soll. Da die Eigendynamik des Marktes es offensichtlich auch in wirtschaft-lich guten Zeiten nicht schafft, dieses Problem zu lösen, sehen sich viele Berufene und Un-berufene aufgefordert, nach Patentlösungen zu suchen. Die Folge ist eine immer größerwerdende Zahl von Programmen, Modellen und Konzepten. Dies wiederum begründet ei-ne inhaltlich und begrifflich äußerst unübersichtliche Diskussionslage. Die Übereinstim-mungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede der einzelnen Vorschläge verschwimmen.

Um zu einer gewissen Klarheit über Ziele und Instrumente der verschiedenen Lösungsan-sätze zu kommen, ist folgende Unterscheidung wichtig. Grundsätzlich gibt es nur zwei Ar-ten von Arbeit: Zunächst die Arbeit auf dem 1. Arbeitsmarkt, die von Unternehmen nachmarktwirtschaftlichen Grundsätzen und Regeln angeboten wird. Daneben ist in den letz-ten Jahrzehnten immer stärker der Typus öffentlich geförderter und nur dadurch existie-render Arbeit in Erscheinung getreten, die sich nach ganz anderen Kriterien richtet, je-denfalls nicht nach den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage.

In der gegenwärtigen politischen Diskussion hat sich jedoch die Unterscheidung nach dreiverschiedenen Beschäftigungssektoren durchgesetzt:

Arbeit auf dem 1. Arbeitsmarkt, die von gewinnorientierten oder gemeinnützigen Unternehmen zur Erreichung ihrer wirtschaftlichen/unternehmerischen Ziele angebo-ten wird.

Arbeit auf dem 2. Arbeitsmarkt: Hierunter werden die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen(ABM) und die im Zuge der deutschen Einigung eingeführten Strukturanpassungs-maßnahmen (SAM), gleichsam die „Klassiker“ der Arbeitsmarktpolitik, verstanden –neuerdings zusätzlich die Arbeitsgelegenheiten (AGH) nach dem SGB II.

Arbeit auf dem 3. Arbeitsmarkt, auch sozialer Arbeitsmarkt genannt: Dies sind langfri-stige, u. U. auch verstetigte öffentlich geförderte Beschäftigungsgelegenheiten für Per-sonen, die auf absehbare Zeit auf dem 1. Arbeitsmarkt keinen Arbeitsplatz finden; in-haltlich geht es dabei um Tätigkeiten auf sozialen Feldern im weitesten Sinne.

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DIE INSTRUMENTE

Diese Terminologie wird – trotz schwieriger Grenzziehungen insbesondere zwischen dem2. und 3. Arbeitsmarkt – in den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt, um wenigstenseine grobe Orientierung in der Fülle der Vorschläge zu ermöglichen.

2. Grundsätzliche ÜberlegungenArbeit auf dem 2. oder 3. Arbeitsmarkt zu organisieren, bedeutet, öffentliche Mittel zur Er-zeugung eines Gutes einzusetzen, das auf dem 1. Arbeitsmarkt ohne Zutun des Staatesgleichsam von selbst entsteht. Problembehaftet sind dabei einmal der verantwortliche Um-gang mit knappen öffentlichen Mitteln, andererseits die mit ABM, SAM und AGH not-wendigerweise verbundenen staatlichen Eingriffe in den sensiblen Marktmechanismus.Wenn man Fehlinvestitionen vermeiden und nicht mehr Störungen und Verwerfungen alsPositiveffekte auf den Arbeitsmärkten auslösen will, muss man sich an klaren Kriterienund Grundsätzen orientieren.

Der 1. Arbeitsmarkt muss bei allen Operationen absolute Priorität haben. Auch für Ar-beitnehmer, deren berufliche Integration aus den verschiedensten Gründen nicht auf An-hieb gelingt, muss Arbeit auf dem 1. Arbeitmarkt das primäre und nachhaltige Ziel sein.Hierzu müssen – sofern erforderlich – im Einzelfall arbeitsmarktpolitische Hilfen ein-gesetzt werden, wie z. B. vorgängige Qualifizierungsmaßnahmen oder finanzielle Ver-mittlungshilfen.

Diese Hilfen dürfen nicht pauschal vergeben werden. Sie müssen vielmehr präzisiert,d.h. auf die individuellen Verhältnisse des einzelnen Arbeitnehmers zugeschnitten wer-den. Das erfordert ein professionelles Profiling, um Stärken und Schwächen des Ein-zelnen zu ermitteln.

Priorität des 1. Arbeitsmarktes bedeutet auch, dass bei länger laufenden Maßnahmen,wie z. B. ABM, die Rückkehr in den 1. Arbeitsmarkt immer geprüft und bei gegebenerMöglichkeit auch realisiert werden muss. Diese Rückkehroption muss durch Anreiz-faktoren – wie etwa durch einen spürbaren Lohnabstand zwischen regulärer Arbeit undkünstlich erzeugter Arbeit – gesichert werden.

Vorrang des 1. Arbeitsmarktes heißt schließlich, dass Arbeit auf dem 1. Arbeitsmarkt,sei sie nach Inhalt und Dauer auch noch so gering, so weit wie möglich an die Stelle ali-mentierten Nichtstuns treten muss. Reicht das erzielte Erwerbseinkommen nicht aus,um den Lebensunterhalt des Betroffenen zu sichern, muss sein Gesamteinkommendurch staatliche Hilfen aufgestockt werden. Jedenfalls ist es für einen Nichtbeschäftig-ten von entscheidender Bedeutung, dass er „wieder einen Fuß in die Tür des Arbeits-

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marktes stellen kann“. Die Integration in den 1. Arbeitsmarkt muss immer Vorrang vorMaßnahmen zur Aufnahme in den 2. oder 3. Arbeitsmarkt haben.

Es ist illusionär anzunehmen, man könne durch lohnpolitische Eingriffe in den Markt-mechanismus oder durch den Einsatz öffentlicher Mittel auf Dauer sich selbst tragendeArbeitsplätze in genügender Zahl schaffen. Deshalb darf der Einsatz derartiger Instru-mente – wenn überhaupt – nur sehr behutsam und auf jeden Fall nur befristet erfolgen.Letztlich ist die Schaffung öffentlich geförderter Arbeit nur als arbeitsmarktpolitischesInstrument zur Integration der betroffenen Arbeitnehmer in den 1. Arbeitsmarkt zurechtfertigen und nicht als Wert an sich. Bei lohnpolitischen Eingriffen ist besondersgroße Vorsicht geboten.

Öffentlich geförderte Arbeit darf auf keinen Fall reguläre Arbeitsplätze gefährden. Siebirgt immer die Gefahr, normale Arbeitsplätze zu verdrängen, weil die öffentlichen Hän-de als Träger etwa von ABM ein starkes Interesse daran haben, ihre Pflichtaufgabendurch ABM zu ersetzen. Die Versuchung hierzu ist in Zeiten leerer öffentlicher Kassenbesonders groß.

Alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen setzen die Mitwirkung des betroffenen Ar-beitnehmers voraus. Diese Forderung ist nicht beliebig, sondern zwingend. Sie ist Aus-fluss des Prinzips „Fördern und Fordern“ und Konsequenz der grundsätzlichen Eigen-verantwortung eines jeden Menschen für seine Arbeitsfähigkeit.

Schließlich: In einem sozialen Rechtsstaat muss es – als ultima ratio – auch für diejeni-gen, die auf Grund anhaltender schwerwiegender Handicaps dauerhaft keine Integrati-onschancen mehr haben, Perspektiven für eine situationsgemäße Teilhabe an Arbeit ge-ben. Wer in seinen Grenzen noch arbeiten kann und will, muss Alternativen zum staat-lich finanzierten Nichtstun, also Chancen zur Teilhabe an Arbeit haben.

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II. Forcierte Integration in den 1. Arbeitsmarkt

1. Arbeitsfördermaßnahmen für Problemgruppen nach dem geltenden Förderrecht

a. Problemgruppen des ArbeitsmarktesUnabhängig von der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt stehen Personengruppen mitVermittlungsproblemen mehr denn je im Fokus der Arbeitsmarktpolitik. Im Einzelnenhandelt es sich um Langzeitarbeitslose (ein Jahr und länger arbeitslos), Ältere, Gering-qualifizierte, Alleinerziehende, Berufsrückkehrerinnen, gesundheitlich Eingeschränkte,Ausländer und Jugendliche ohne Ausbildung. Für diese Personengruppen ist es schwie-rig, ohne weiteres eine auf Dauer angelegte Beschäftigung im 1. Arbeitsmarkt zu finden.Mehrfachbetroffenheit, beispielsweise die Gruppe der älteren Langzeitarbeitslosen mitgesundheitlichen Einschränkungen und geringer Qualifikation, erschwert die Situationzusätzlich.Ein Blick in die einschlägigen Bestandsstatistiken der Bundesagentur für Arbeit ver-deutlicht, dass ständiger Handlungsbedarf besteht. Im Zwölfmonatsdurchschnitt 2007waren 3.776.425 Menschen als arbeitslos gemeldet. Darunter befanden sich 1.386.748und damit mehr als 37 % Langzeitarbeitslose. Bei 592.440 (mehr als 16 %) Personenlagen gesundheitliche Einschränkungen vor und 987.351 (mehr als 26 %) von ihnen wa-ren älter als 50 Jahre (siehe Anhang).

b. Systematik der LeistungenDas historisch gewachsene Gesamtsystem von arbeitsmarktpolitischen Förderleistun-gen ist nicht auf eine spezielle Arbeitslosengruppe ausgerichtet, sondern hat die ganzeBandbreite von Arbeitslosigkeits- und Beschäftigungsformen im Blick. Die zahlreichenEinzelinstrumente, im AFG von 1969 grundgelegt, über die Jahrzehnte hinweg in vie-len Änderungsgesetzen fortentwickelt und zuletzt in den vier Hartz-Gesetzen noch ein-mal umfassend überarbeitet und erweitert, ordnen sich zu vier großen Gruppen:

Dienstleistungen der Berufsberatung und Arbeitsvermittlung

Maßnahmen zur Verbesserung des Humanvermögens, insbesondere die Förderung derberuflichen Aus- und Weiterbildung

monetäre Anreize für Arbeitgeber zur Einstellung von Arbeitslosen und beschäfti-gungsschaffende Maßnahmen, insbesondere ABM.

Mit all diesen Leistungen will der Gesetzgeber auf die verschiedensten Formen der Ar-beitslosigkeit reagieren. Die Leistungen sind also auch für alle Problemgruppen des Ar-beitsmarktes, also für die Langfrist-Arbeitslosen, die Unqualifizierten, die Behinderten,die älteren Arbeitnehmer und für Personen mit Migrationshintergrund einzusetzen.

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c. Allgemeine Beratungs- und VermittlungsleistungenDie erste therapeutische Forderung lautet also: Bevor spezielle Maßnahmen für schwer-vermittelbare Personen in Betracht gezogen oder gar neu entwickelt werden, müssen zu-nächst die allgemeinen, gewissermaßen normalen Instrumente zum Einsatz kommen.Konkret bedeutet dies, dass auch und gerade bei Arbeitslosen mit vermittlungserschwe-renden Eigenschaften am Anfang die klassischen Methoden der Arbeitsvermittlung undBerufsberatung stehen müssen. Dies heißt vor allem, dass ein intensives Profiling erfol-gen muss, mit dem die Stärken und Schwächen der jeweiligen Person ermittelt werden.Wie im Behindertenbereich seit Jahrzehnten üblich, sollte auf dieser Basis und unter Ver-wertung der Beratungsgespräche ein individueller Eingliederungsplan entwickelt wer-den, der die Integrationsangebote der Arbeitsbehörden (Arbeitsagenturen und ARGEn),aber auch die notwendigen Mitwirkungsschritte des Arbeitslosen definiert.

d. Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen QualifikationAls nächster Schritt kommen sodann – angesichts der in der Person des Arbeitslosen be-gründeten Vermittlungsschwierigkeiten – solche Maßnahmen in Betracht, die seine be-ruflichen und sozialen Kompetenzen verbessern: also Trainingsmaßnahmen und Maß-nahmen zur beruflichen Weiterbildung. Bei ausländischen Arbeitnehmern gehört derErwerb deutscher Sprachkenntnisse mit in den Rahmen der Maßnahmen, die eine er-folgreiche Teilnahme am Arbeitsleben ermöglichen sollen. Nachdem die arbeitsmarkt-politische Wirksamkeit von Qualifizierungsmaßnahmen lange Zeit in Zweifel gezogenworden ist, zeigen jüngste Untersuchungen immer deutlicher, dass zielgerichtete Qua-lifizierungsmaßnahmen im weitesten Sinne, die auch Motivierungshilfen bieten und so-ziale Verhaltensweisen trainieren, durchaus geeignet sind, die Integrationschancen vonArbeitslosen signifikant zu verbessern.

Insbesondere die Trainingsmaßnahmen haben sich als ein wirksames Instrument zurVerbesserung der Integrationsfähigkeit erwiesen. Unter Fortzahlung des Alg I und desAlg II werden Arbeitslose in Kurzzeitmaßnahmen von wenigen Tagen bis zu maximalacht Wochen auf ihre Eignung geprüft und/oder mit arbeitsplatzrelevanten Kenntnissenausgestattet. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Hilfe zur Selbstsuche durch Bewerber-training. Schließlich lässt sich in diesem Zusammenhang auch die Verfügbarkeit wirk-sam überprüfen, da die Teilnahme an derartigen Maßnahmen verpflichtend ist. Aus gu-ten Gründen setzen die beiden Arbeitsverwaltungen dieses Instrument in steigendemUmfang ein.

e. Finanzielle Leistungen an ArbeitgeberBesondere Bedeutung haben ferner die finanziellen Anreizinstrumente für Arbeitgeber.Unternehmen, die die Einstellung von Personen mit unterschiedlichen Vermittlungs-hemmnissen in Betracht ziehen, müssen davon ausgehen, dass diese Personen die er-

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warteten Leistungen zunächst noch nicht in vollem Umfang erbringen können. Durchden Eingliederungszuschuss (EZ) sollen diese Minderleistungen des Arbeitnehmers unddaraus folgende Wettbewerbsnachteile für das Unternehmen befristet ausgeglichen wer-den. Besonders für schwer vermittelbare Arbeitslose und ältere Arbeitnehmer ist derEingliederungszuschuss auch nach dem Urteil der Mitarbeiter der Arbeitsbehörden eintaugliches Integrationsinstrument. Evaluationen haben ergeben, dass EZ-geförderte Ar-beitnehmer nach Beendigung der Förderzeit und der geforderten Nachbeschäftigungs-zeit deutlich häufiger sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind als vergleichbarenicht geförderte Arbeitslose.

Mit Wirkung vom 1. Oktober 2007 an ist durch Ergänzung des SGB II (§ 16a) mit demBeschäftigungszuschuss eine neue Arbeitgeberleistung eingeführt worden. Diese Lei-stung ist konzipiert für langzeitarbeitslose Arbeitslose mit mehrfachen Vermittlungs-hemmnissen, bei denen eine halbjährige Aktivierungsphase nicht zur Eingliederung aufdem 1. Arbeitsmarkt geführt hat. Voraussetzung ist ferner eine ungünstige Integrations-prognose für die nächsten 24 Monate.

Die Leistung besteht in einem Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 % des tariflichen bzw.ortsüblichen Arbeitsentgelts. Vereinbart wird jeweils ein sozialversicherungspflichtigesArbeitsverhältnis, das allerdings nicht der Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversi-cherung unterliegt, um Drehtür-Effeke auszuschließen. Hiervon können auch privateArbeitgeber profitieren, bei denen besonders sorgfältig darauf zu achten ist, dass dieNutzung des Angebotes nicht zur bloßen Mitnahme führt. Bis zum Jahre 2009 sollendurch dieses Programm 100.000 Menschen in Arbeit gebracht werden. Der Beschäfti-gungszuschuss wird im Einzelfall zunächst befristet auf 24 Monate gezahlt. Liegen dieFördervoraussetzungen auch nach diesem Zeitpunkt weiterhin vor, kann der Zuschussdauerhaft gewährt werden.

Bei der Finanzierung, die ab dem Jahr 2009 bei jährlich 1,4 Mrd. EUR liegen soll, wirddie Illusion einer Quasi-Selbstfinanzierung geweckt. Den jährlichen Ausgaben von 1,4Mrd. EUR sollen Einsparungen beim Alg II und Mehreinnahmen an Lohnsteuern undSozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 1,2 Mrd. EUR gegenüberstehen.

Die Auswirkungen dieses Milliarden-Programms auf den Arbeitsmarkt und den Bun-deshaushalt sollen zwar im Jahre 2011 untersucht werden. Aber dann ist es im Falle derzu erwartenden negativen Gesamtbewertung für eine Kurskorrektur zu spät.

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2. Ansatzpunkte für die Verbesserung des geltenden Förderrechts

a. Die neue Strategie der Arbeitsagenturen hinsichtlich der ArbeitnehmerkundenProblematisch ist zunächst die in der Praxis der Arbeitsagenturen fest etablierte Eintei-lung der Arbeitslosen und Arbeitssuchenden in

Marktkunden, die sich weitgehend selbst helfen und vermitteln können

Beratungskunden, bei denen ein arbeitsmarktpolitischer Handlungsbedarf besteht undschließlich

Betreuungskunden, bei denen relevante Vermittlungsprobleme diagnostiziert werden.

Besondere Brisanz erhält diese Einteilung dadurch, dass der jeweiligen KundengruppeHandlungsprogramme zugeordnet werden. Dies sind zentral vorgegeben Regeln für die mög-liche Zuweisung zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen (Produkteinsatzregeln). Bei denMarktkunden wird – anders als bei den Beratungskunden – wegen der unterstellten Eigen-stärke grundsätzlich auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen verzichtet. Bei den Betreu-ungskunden, bei denen entsprechend ihrer Kennzeichnung eine besonders intensive Zuwen-dung zu erwarten wäre, ist hingegen grundsätzlich keinerlei Förderung vorgesehen. Dahin-ter steht die Annahme, dass ein Erfolg derartiger Fördermaßnahmen erst nach dem Auslau-fen des Alg I-Anspruchs und damit nach dem Übergang des jeweiligen Arbeitslosen in denvon den ARGEn zu verwaltenden Rechtskreis des SGB II eintreten würde. Dies wäre ausSicht der nur für den Alg I-Zeitraum verantwortlichen Bundesagentur unrentabel.

Dieser strukturell bedingte Zielkonflikt bedeutet: Wird jemand mit von vornherein erkenn-baren Vermittlungshemmnissen arbeitslos und deswegen als Betreuungskunde eingeordnet,wird er während des Alg I-Bezugszeitraums zunächst „geparkt“. Er wird dann erst nach demÜbergang in den Zuständigkeitsbereich der ARGEn, also erst nach einem bzw. anderthalbJahren, ernsthaft auf den Einsatz geeigneter arbeitsmarktpolitischer Instrumente geprüft. Zuden ohnehin vorhandenen Vermittlungshemmnissen tritt dann noch das Merkmal der Lang-frist-Arbeitslosigkeit hinzu.

Dies kann schon im Interesse der betroffenen Menschen auf Dauer nicht hingenommen wer-den. Diese Vorgehensweise ist aber auch bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung nicht un-problematisch. Zwar erzielt die Bundesagentur bei dieser Verwaltungspraxis eine betriebs-wirtschaftliche Kosteneinsparung auf dem engeren Feld der Arbeitslosenversicherung. Da-bei werden aber die volkswirtschaftlichen Nachteile nicht in Rechnung gestellt, die durchden Verzicht auf frühzeitige Intervention gegen Langfristarbeitslosigkeit entstehen. Inzwi-schen hat die Bundesagentur die Problematik ihrer zunächst gegenüber den Betreuungskun-

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den eingeschlagenen Steuerungspolitik erkannt und ihr Handlungsspektrum durch das Pro-gramm „Integrationsfortschritte für Betreuungskunden“ erweitert. Sie hat hierfür einen rele-vanten Teil des Eingliederungstitels, in dem alle eingliederungsorientierten Ausgabenansät-ze zusammengefasst sind, bereitgestellt. Dieses Programm soll die Integrationsfähigkeit derBetreuungskunden verbessern, bei denen generell in absehbarer Zeit eine Integration in denArbeitsmarkt zu erwarten ist, diese aber voraussichtlich nicht mehr während des Regimesder Bundesagentur eintreten wird, sondern erst nach Übergang des Arbeitslosen in den vonden ARGEn verwalteten Rechtskreis nach SGB II.

Aber auch hier muss eine realistische Integrationsperspektive festgestellt werden, wenn die-se auch erst später eintritt. Mit Blick auf diese Zielstellung kommen für diese grundsätzlichpositiv beurteilten Betreuungskunden auch keine Förderleistungen in Betracht, die gerade ei-ne Eingliederung schon voraussetzen (wie zum Beispiel Eingliederungszuschüsse), sondernin erster Linie längerfristige Weiterbildungsmaßnahmen.

b. Der neue Stellenwert der beruflichen QualifizierungOberstes Ziel der Arbeitsmarktpolitik ist es, die Chancen des Arbeitslosen zur Integra-tion in Arbeit zu erhöhen. Ein wichtiger Ansatz hierzu ist die Verbesserung seines Hu-manvermögens, also seiner Beschäftigungsfähigkeit. Seit Begründung der modernenArbeitsmarktpolitik im AFG war und ist deshalb der beruflichen Qualifizierung der Ar-beitnehmer und speziell der Arbeitslosen ein besonderer Stellenwert eingeräumt wor-den. Es hat im Laufe der letzten Jahrzehnte unterschiedliche Entwicklungsphasen undBeurteilungen der staatlichen Weiterbildungsförderung gegeben. Expansive Phasen bishin zu Auswüchsen haben kontraktive Entwicklungen nach sich gezogen. Zur Jahrhun-dertwende war dieser Förderungssektor durch ständig steigende Aufwendungen, durchden Verdacht von Absprachemechanismen zwischen Ämtern und Trägern sowie durcheine eher vermutete als bewiesene Wirkungsschwäche in Misskredit geraten.

Im Zuge der arbeitsmarktpolitischen Reformbewegung der letzten Jahre erfuhr dieserFörderbereich eine einschneidende Neubewertung: weg von der Orientierung am ar-beitsmarktpolitischen Bedarf der einzelnen Arbeitslosengruppen – hin zu einer stärke-ren Beachtung von Integrationsmöglichkeiten und Effizienz, weg von Massenschulun-gen - hin zu arbeitsplatzorientierter Individualisierung. Maßgebend ist also nicht mehrder an der Arbeitslosenquote abzulesende vermutete Gesamtbedarf an Qualifizierung,sondern die konkrete Bildungszielplanung der Arbeitsagenturen, die den kurzfristigenBedarf des jeweiligen lokalen Arbeitsmarktes abbildet.

Diese Entwicklung kann und soll grundsätzlich nicht wieder rückgängig gemacht wer-den. In der Hochzeit der Bildungsförderung sind oft genug Bildungsmaßnahmen ohneRücksicht auf einen konkreten Bedarf nur deshalb in Gang gesetzt worden, weil noch

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Mittel im Jahresetat verfügbar waren. Die Orientierung an einer möglichst hohen indi-viduellen Eingliederungswahrscheinlichkeit hat jedoch zu einer Besten-Auswahl ge-führt, die gerade diejenigen aus dem Wettbewerb um Förderplätze ausschließt, die denhöchsten Qualifizierungsbedarf haben. Dieser Effekt wird noch verstärkt durch das Bil-dungsgutschein-Verfahren, das für weniger qualifizierte und weniger selbstbewussteArbeitslose nur schwer zu handhaben ist. Das frei, nicht mehr steuerbare Wahlverhaltender „Bildungsgutschein-Inhaber“ führt auch immer wieder dazu, dass Bildungsmaß-nahmen wegen zu geringer Teilnehmerzahlen bei den einzelnen Trägern nicht zustandekommen.

Das Ergebnis dieser ganzen Entwicklung lautet: Es ist immer schwieriger geworden, ge-handicapte Arbeitslose, insbesondere beruflich gering qualifizierte Personen, mit Qua-lifizierungsmaßnahmen zu fördern. Und dabei ist, wenn man den Blick von der beson-deren Kosten- und Zuständigkeitssituation der Bundesagentur weglenkt und auf die all-gemeine bildungspolitische Diskussion blickt, völlig unstreitig, dass der Bedarf an be-ruflicher Qualifikation generell eher zu- als abnimmt. Die Bedeutung einer hohen be-ruflichen Kompetenz der Arbeitnehmer kann angesichts des zunehmenden nationalen,europäischen und weltweiten ökonomischen Wettbewerbs und des heraufziehenden de-mographiebedingten Arbeitskräftemangels nicht hoch genug veranschlagt werden. ZuRecht ist deshalb das lebenslange Lernen ein zentraler Programmpunkt der nationalenund – auf der Grundlage der anspruchsvollen Ziele der Lissabon-Strategie – vor allemauch der europäischen Bildungsanstrengungen.

Mit dieser allgemeinen Entwicklung ist es schwer in Einklang zu bringen, dass geradediejenigen, die wegen ihrer unzureichenden beruflichen Qualifikation große Integrati-onsschwierigkeiten haben, aus diesem Prozess weitgehend ausgeschlossen sind. Richtigist, dass für seine Beschäftigungsfähigkeit zunächst jeder Einzelne selbst verantwortlichist. Aber viele der schwer vermittelbaren Personen haben den Einstieg in oder den An-schluss an eine ausreichende berufliche Qualifikation – oft unverschuldet – verpasst undsind aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage, diese Defizite auszugleichen. Hier mussein sozialer Rechtsstaat helfen, nicht nur zum Nutzen der betroffenen Menschen, son-dern auch im gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Interesse.

c. Maßnahmen zugunsten älterer ArbeitnehmerEine besondere Herausforderung erwächst für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ausder heranrückenden Überalterung der Belegschaften. Unter der Annahme mittlerer Va-rianten zur Entwicklung der Bevölkerung und des Erwerbsverhaltens ist mindestens biszum Jahr 2020 Alterung des Erwerbspersonenpotenzials und nicht Schrumpfung daszentrale Problem. Die Zahl der 55- bis 64-Jährigen wird bis 2020 um rund 40 %, in ei-nigen Regionen um zwei Drittel, zunehmen. Für die betriebliche Personalpolitik ist noch

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die Verlängerung der Lebensarbeitszeit hinzuzurechnen. Die durch das Projekt „Rentemit 67“ verlängerte Verweildauer der Arbeitnehmer in den Unternehmen bringt Proble-me mit sich, die bisher weder von den Unternehmen noch von den Arbeitnehmern selbstund ihren Repräsentanten zu Ende gedacht worden sind. Die ganzen betrieblichenStrukturen, Prozesse und Einstellungen sind noch nicht darauf vorbereitet, dass dem-nächst eine immer größere Zahl älterer Arbeitnehmer bis zum Ausscheiden mit 67 Jah-ren in Werkstätten, Produktionsstätten und Büros produktiv eingesetzt werden muss.Dies vor dem Hintergrund, dass heute immer noch – als Nachklang der Frühverren-tungswellen – die Mehrheit der Arbeitnehmer vorzeitig, d.h. spätestens mit 60 Jahren,ausscheiden möchte.

Die Politik hat sehr spät reagiert, indem sie erst vor wenigen Jahren die Alg I-Bezugs-zeiten verkürzt, die Frühverrentungsförderung zurückgeschnitten und dadurch die Wei-chen in Richtung auf eine längere Verweildauer am Arbeitsplatz gestellt hat. Gleichzei-tig sind die Förderungsmöglichkeiten für eine längere qualifizierte Tätigkeit älterer Ar-beitnehmer schrittweise ausgebaut worden. Seit 2005 sind Arbeitgeber, die ältere Ar-beitnehmer ab 55 Jahre einstellen, für diese Arbeitnehmer dauerhaft von der Beitrags-zahlung gegenüber der Arbeitslosenversicherung befreit. Dieser Beitragsbonus ist aberein weitgehend unbekanntes Instrument. Von wenigen Ausnahmen abgesehen kennendie Unternehmen diese Fördermöglichkeit nicht. Auch unter den Mitarbeitern der Ar-beitsagenturen ist das Wissen um dieses Instrument nicht sehr weit verbreitet. Die Fol-ge ist: Jährlich wird dieser Bonus nur in wenigen tausend Fällen in Anspruch genom-men, obwohl die Einstellung älterer Arbeitnehmer in den letzten zwei Jahren deutlichangestiegen ist.

Ein ähnliches Schicksal hat – bisher jedenfalls – die Entgeltsicherung für ältere Arbeit-nehmer erfahren. Dabei handelt es sich um einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt eines äl-teren Arbeitnehmers, dessen künftiger Lohn geringer ist als sein früheres Arbeitsein-kommen. Der Gesetzgeber antwortet damit auf ein spezielles Problem älterer Arbeit-nehmer, das darin besteht, dass deren Lohn auf Grund von Altersprämien im Lauf desArbeitslebens kontinuierlich angestiegen ist, aber an einem neuen Arbeitsplatz nichtmehr erreicht werden kann. Bis ältere Arbeitnehmer ihre erworbenen Lohnansprüchefreiwillig reduzieren, werden die zunehmende Dauer der Arbeitslosigkeit und der damitverbundene Qualifikationsverlust zu einem zusätzlichen Einstellungshindernis. In die-ser Situation können einkommenserhöhende Leistungen an ältere Arbeitnehmer durch-aus sinnvoll sein. Zusätzlich wird dem Arbeitgeber noch ein Zuschuss zum Rentenver-sicherungsbeitrag gezahlt. Auch diese beiden Leistungen sind bei den Unternehmen ge-nau so wenig bekannt wie der Beitragsbonus. Hinzu kommt noch, dass die Arbeitagen-turen dieses Instrumentarium eher zurückhaltend ins Spiel bringen. Auch hier ist dieFolge, dass es nur wenige Tausend Anwendungsfälle pro Jahr gibt.

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Schließlich ist auch die Möglichkeit, mit älteren Arbeitnehmern ab dem 52. Lebensjahrbefristete Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund und ohne zeitliche Begrenzung ab-schließen zu können, bisher bei den Unternehmen auf wenig Resonanz gestoßen.

Insgesamt können diese verschiedenen Fördermöglichkeiten in der gegenwärtigen Auf-schwungphase am Arbeitsmarkt der Einstellung älterer Arbeitnehmer einen zusätzli-chen Schwung verleihen. Eine intensivere Informationstätigkeit der Arbeitgeberver-bände und Arbeitsagenturen einerseits und eine größere Aufgeschlossenheit der Unter-nehmen andererseits sind vor allem dann vonnöten, wenn demnächst wieder einmal dermomentane Selbstlauf auf dem Arbeitsmarkt durch einen Konjunkturabschwung unddamit durch schwierigere Arbeitsmarktverhältnisse abgelöst wird.

3. Kombilohn-Konzepte

a. Die heutige SituationDie Idee eines Kombilohnes, also die Addition von normalem Arbeitseinkommen (AE)und staatlichen Transferleistungen (TL), zielt darauf ab, die Integrationschancen gehan-dicapter Arbeitnehmer auf dem 1. Arbeitsmarkt zu verbessern. Zur Zielgruppe zählen vorallem Personen aus dem Rechtskreis des SGB II, also wettbewerbsschwächere Arbeit-nehmer, die – wegen geringerer Qualifikation, eingeschränkter gesundheitlicher Lei-stungsfähigkeit oder aus anderen persönlichen Gründen – längerfristig arbeitslos sind.

Kombilöhne liegen aber auch dann vor, wenn Arbeitnehmer, die bereits auf dem 1. Ar-beitsmarkt beschäftigt sind, ein Arbeitseinkommen erzielen, das zur Sicherung ihres Le-bensunterhaltes nicht ausreicht: so genannte Aufstocker. Während also bei Alg II-Emp-fängern, die über die Brücke eines normalen AE in den 1. Arbeitsmarkt zurückgeführtwerden sollen, zuerst die TL gegeben ist und dann ein auf dem 1. Arbeitsmarkt erziel-tes AE hinzutritt, ist es bei den Aufstockern umgekehrt: hier folgt die TL auf das pri-märe AE. Dabei handelt es nicht nur um eine Unterscheidung hinsichtlich der Aufein-anderfolge der beiden Kombi-Elemente. Vielmehr stehen sich hier zwei unterschiedli-che Personengruppen gegenüber: auf der einen Seite die Aufstocker, die einen Arbeits-platz gesucht und gefunden haben und erst nachträglich eine TL beanspruchen; auf deranderen Seite die Alg II-Empfänger, die zunächst im Transfer-Leistungsbezug stehenund dann über die Brücke der Zusatzbeschäftigung und eines nur teilweise auf die TLangerechneten AE zurück in die Arbeitswelt geführt werden sollen.

Überlegungen zum Kombilohn müssen davon ausgehen, dass es bereits punktuelleKombilohn-Regelungen im geltenden Recht gibt und schon mehrere Feldversuche

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durchgeführt worden sind. Jeder weitere Schritt auf dem Felde des Kombilohnes solltealso die bisher gesammelten Erfahrungen berücksichtigen.

Gesetzlich geregelt ist bereits die Hinzuverdienstmöglichkeit für Alg I-Empfänger nachdem SGB III und für Alg II-Empfänger nach dem SGB II. Alg I-Empfänger dürfen vondem hinzuverdienten Einkommen 165 Euro einbehalten; der überschießende Teil desArbeitseinkommens wird voll auf das Alg I angerechnet. Für Alg II-Empfänger sind zu-nächst 100 Euro anrechnungsfrei, von dem darüber hinaus gehenden Teil des Arbeits-einkommens bleiben bis zu einem Einkommen von 800 Euro 20 % anrechnungsfrei,darüber hinaus 10 %.

Während es sich bei diesen Anrechnungsregelungen um zeitlich befristete Kombilohn-Modelle handelt, lassen sich im Gesetz zwei weitere Beispiele für unbefristete Rege-lungen finden: zum einen die Entgeltsicherung nach § 421 j SGB III, die bislang ar-beitslosen älteren Arbeitnehmern die Differenz zwischen ihrem früheren Lohn und demArbeitseinkommen an der neuen Arbeitsstelle teilweise ausgleicht und zum anderen dasEinstiegsgeld nach § 29 SBG II, das einem arbeitslosen erwerbsfähigen Alg II-Emp-fänger bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Tätigkeitgezahlt werden kann.

Hinzuweisen ist ferner auf mehrere Feldversuche. Das Mainzer Modell ist in den Jah-ren 2002 und 2003 über einen Zeitraum von 12 Monaten bundesweit durchgeführt wor-den. Die Arbeitseinkommen der beteiligten 14.000 Arbeitnehmer wurden durch Zu-schüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen subventioniert. Bei den nur regional er-probten Modellen Baden-Württemberg und Hessen wurde den „Kombilöhnern“ jeweilsein Einstiegsgeld gezahlt. Zurzeit läuft noch das Hamburger Modell, wonach sowohlden Beziehern von Arbeitslosigkeitsleistungen nach dem SBG III und dem SGB II alsauch den Arbeitgebern Zuschüsse bis zu 250 Euro monatlich gezahlt werden – bei Brut-tolöhnen zwischen 400 und 1700 Euro.

b. Die BewertungDie aus den bisherigen Versuchen gewonnenen Erfahrungen sind sehr heterogen. Zielder Kombilohnstrategie ist es generell, den Empfänger der kombinierten Zuwendungenzu einer Änderung seines Arbeitsangebotsverhaltens zu veranlassen. Die Besserstellungsoll ihn nicht primär finanziell zufrieden stellen und in dem erreichten Status quo ein-frieren (lock-in-Effekt), sondern ihn zu weiteren Schritten hin zu einer dauerhaften undauskömmlichen Position im 1. Arbeitsmarkt bewegen, die ihn von weiteren Transferlei-stungen unabhängig macht.

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DIE INSTRUMENTE

An diesem idealen Ziel gemessen, können die bisher festgestellten Wirkungen nicht zu-friedenstellen.

Hinsichtlich des Mainzer Modells hat sich Folgendes ergeben: Die Beschäftigungsstabi-lität der geförderten Teilnehmer war in Ostdeutschland nicht besser als die einer Ver-gleichsgruppe von nicht geförderten Arbeitnehmern. In Westdeutschland waren die ge-förderten Beschäftigungsverhältnisse sogar instabiler als die nicht geförderten. In Baden-Württemberg waren die Beschäftigungschancen der geförderten Arbeitnehmer leicht er-höht im Verhältnis zur der nicht geförderten Kontrollgruppe. Die Ergebnisse in Hessenwaren sehr gemischt: Nur in einem Bezirk ließen sich positive Effekte nachweisen.

Für das Hamburger Modell liegen noch keine Vergleichsuntersuchungen zwischen ge-förderten und nicht geförderten Arbeitnehmer-Gruppen vor. Die bisher festgestellten In-tegrationsergebnisse sind durchaus ansehnlich: Der Anteil der Arbeitnehmer, die sechsMonate nach Beendigung der Maßnahme nicht arbeitslos gemeldet sind, beträgt 52 %;die Integrationsquote, das ist der Anteil der nach sechs Monaten sozialversicherungs-pflichtig beschäftigten Arbeitnehmer, beläuft sich auf 32 %. Das sind Werte, die mit an-deren Integrationsinstrumenten durchaus konkurrieren können.

Nach alldem zeigt sich, dass es das ideale oder optimale Kombilohn-Konzept nicht gibt.Gleichwohl sollten die Überlegungen für arbeitslose Empfänger von TL eine Brückezwischen alimentiertem Nichtstun und einer – wenn auch nur teilweisen – Einbindungin den 1. Arbeitsmarkt nicht eingestellt werden.

Es kann nun nicht Aufgabe dieses Beitrages sein, zusätzlich zu den zahlreichen bisherschon erprobten, zurzeit noch praktizierten und in der politischen Diskussion entwik-kelten Kombilohn-Modellen noch ein weiteres konsistentes Modell zu stellen. Dazumüssten umfangreiche Vorarbeiten und Berechnungen durchgeführt und konzeptionel-le Überlegungen angestellt werden. Hier kann es nur darum gehen, einige allgemeineund grundsätzliche Hinweise zu geben.

Ausgangspunkt ist der aus dem Persönlichkeitsprinzip entwickelte Grundsatz, dass zu-nächst jeder Einzelne soweit wie möglich durch eigene Anstrengungen für seinen undseiner Angehörigen Unterhalt zu sorgen hat. Dies ist einmal Ausfluss des in der Verfas-sung grundgelegten Gedankens der Freiheit und Würde der Person und zugleich Aus-druck der Pflicht gegenüber der Gemeinschaft, deren Hilfe nur bei Fehlen eigener Kraftin Anspruch zu nehmen.

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Auch gesamtwirtschaftlich ist das Ziel maßgebend, so viel wie möglich von dem in un-serer Volkswirtschaft schlummernden Arbeitspotenzial in reale Arbeit umzuwandelnund zu nutzen.

Die bisher vorliegenden Erfahrungen zeigen, dass generalisierende, flächendeckendeKombilohn-Regelungen eher nicht Erfolg versprechend sind. Sie sind kostspielig undin ihren Beschäftigungswirkungen nicht überzeugend. Die weiteren konzeptionellenAnstrengungen sollten sich deshalb stärker an einzelnen Zielgruppen und deren beson-deren Verhältnissen orientieren. Auch die Erkenntnis, dass lokale oder kommunale Be-sonderheiten und Aktivitäten einen starken Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg derarti-ger Modelle haben, spricht eher gegen flächendeckende Modelle.

Es ist zu vermuten, dass befristete Modelle wirkungsvoller sind als zeitlich unbegrenz-te Regelungen. Die Gefahr, dass sich die Empfänger von Lohn und kombinierter Trans-ferleistung auf dem dadurch erreichten finanziellen Niveau einrichten, ist nicht von derHand zu weisen. Sie kann nur durch laufende Kontrollen und Interventionen mit demZiel, eine vollständige Integration in den 1. Arbeitsmarkt zu erreichen sowie letztlichdurch Befristung vermieden werden.

Überhaupt ist ein individuelles Coaching der beteiligten Personen während des ganzenKombilohn-Bezuges erforderlich. Dadurch wird verhindert, dass die Kombilöhner ihreEigenbemühungen zur vollständigen Rückkehr in den 1. Arbeitsmarkt einstellen.

Als problematisch wird in einzelnen Kombilohn-Modellen das (zu) hohe Grundein-kommen (Alg II mit den hinzukommenden Ergänzungszahlungen) gewertet. Diese Be-urteilung gilt verstärkt für Bedarfsgemeinschaften. In der Tat zeigt der Blick auf die an-gelsächsischen Verhältnisse (USA, Großbritannien), dass die dort geltenden niedrigenund befristeten Sozialhilfeleistungen einen viel höheren Druck zur Aufnahme zunächsteiner Teilzeit- und dann einer Vollzeit-Arbeit auf dem 1. Arbeitsmarkt entfalten. Ein-zelne Kombilohn-Modelle ziehen daraus den Schluss, dass nachhaltige und konse-quente Reintegrationserfolge mit Kombilöhnen nur zu erzielen sind, wenn die Grundsi-cherung über die Alg II-Zahlungen spürbar gesenkt wird. Dieser Weg ist aber inDeutschland zurzeit nicht gangbar.

Sinnvoll scheint es zu sein, bei der Anrechnung des Arbeitseinkommens die Anfangs-beträge (zum Beispiel die ersten 200 Euro des Zuverdienstes) vollständig auf die Trans-ferleistung anzurechnen und damit den Anreiz zu verstärken, ein darüber hinausgehen-des Arbeitseinkommen zu erzielen, von dem der Alg II-Empfänger dann wesentlicheTeile behalten könnte.

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Überhaupt scheint ein wesentlicher Teil der bisher festgestellten Integrationserfolge aufdie Intensität der Vorbereitungsprozesse bei der Durchführung von Kombilohn-Model-len zurückzuführen zu sein: auf die nachdrückliche Ansprache und Betreuung der Ziel-gruppe, auf die begleitenden Bemühungen, während der Kombilohn-Phase möglichstschnell einen vollwertigen Arbeitsplatz auf dem 1. Arbeitsmarkt zu erschließen oder auferfolgreiche Bemühungen, die involvierten Arbeitnehmer in begleitende Qualifizie-rungsmaßnahmen zu vermitteln. Häufig hat auch die in all diesen Maßnahmen inzidententhaltene Verfügbarkeitsprüfung spürbare Wirkungen in Form von Abmeldungen ausder Arbeitslosigkeit zur Folge gehabt.

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III. Die Funktion des 2. Arbeitsmarktes

1. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)

a. Die heutige SituationFörderungsbedürftige Arbeitslose können durch pauschalierte Lohnkostenzuschüsse anABM-Träger gefördert werden, indem sie in ABM beschäftigt werden. Hierbei handeltes sich um zusätzliche und in öffentlichem Interesse liegende Arbeiten. ABM sind so-zialversicherungspflichtige Beschäftigungen, die allerdings aus der Arbeitslosenversi-cherung ausgeschlossen sind, damit während ihrer Laufzeit kein neuer Anspruch auf Ar-beitslosengeld entsteht.

ABM sind nachrangig, d.h. sie dürfen erst zum Zuge kommen, wenn die allgemeinenarbeitsmarktpolitischen Instrumente nicht erfolgreich waren. Diese Forderung ent-spricht der hier vertretenen Linie, in jedem Einzelfall zunächst alle Anstrengungen dar-auf zu richten, einen Arbeitslosen in den 1. Arbeitsmarkt zu integrieren.

Durch das 3. Hartz-Gesetz ist die ostdeutsche ABM-Variante, der Typus der Struktur-Anpassungs-Maßnahmen (SAM), mit den klassischen West-ABM zusammengefasstworden.

Das 4. Hartz-Gesetz hat erhebliche Auswirkungen auf den Stellenwert und das Men-genvolumen der ABM gehabt. Einerseits wurde durch dieses Gesetz der Anwendungs-bereich der ABM-Regelungen nach den §§ 260 ff. SGB III auf den Personenkreis desSBG II, also auf die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, ausgedehnt. Dies hätte eigentlichzu einer beträchtlichen Ausweitung der ABM-Fälle insgesamt führen müssen. Auf deranderen Seite brachte das 4. Hartz-Gesetz aber einen völlig neuen Maßnahmetyp fürden zweiten Arbeitsmarkt hervor: die so genannten Arbeitsgelegenheiten (AGH). Die-ses Instrument hatte in seiner zweiten Variante, dem 1-Euro-Job, einen unerwartet gro-ßen Erfolg mit der Folge, dass die ABM seitdem deutlich an Bedeutung verloren haben.

b. Die BewertungDer Einsatz von ABM war seit jeher ein höchst umstrittenes arbeitsmarktpolitisches In-strument. Immer standen dem sichtbaren und unmittelbaren arbeitsplatzschaffenden Ef-fekt von ABM die hohen öffentlichen Aufwendungen und die trotz aller Sicherungsme-chanismen nicht auszuschließende Gefahr der Verdrängung oder gar Vernichtung regu-lärer Arbeitsplätze gegenüber. In schwierigen Arbeitsmarktphasen stellte die Möglich-keit, durch massiven Einsatz öffentlicher Mittel – nicht selten durch eine Erhöhung deröffentlichen Verschuldung finanziert – die Arbeitslosenstatistik zu verbessern, für jedeRegierung eine große Versuchung dar. Trotz des massiven Widerstandes der jeweiligen

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politischen Opposition, der meisten Ökonomen und der Wirtschaft hat es in der Ver-gangenheit immer wieder Phasen mit vielen hunderttausenden ABM-Beschäftigten ge-geben.

Die große Stunde der ABM in der ostdeutschen Variante der Struktur-Anpassungs-Maßnahmen (SAM) schlug, als im Nachgang der deutschen Einigung der ostdeutscheArbeitsmarkt zusammenbrach und in kurzer Zeit über 2,5 Millionen Arbeitsplätze vorallem in der industriellen Fertigung, in der Landwirtschaft und in der Bauwirtschaft ver-loren gingen. Sicherlich hat damals der massive Einsatz von ABM den Druck steigen-der Arbeitslosigkeit faktisch und politisch gemildert. Aber der hierfür gezahlte Preis inForm drastischer Erhöhungen der Beitragszahlungen (von Arbeitnehmern und Arbeit-gebern) an die Bundesanstalt für Arbeit und der Verschuldung des Bundes war hoch.Der hieraus wiederum resultierende Beschäftigungsverlust kann nur geschätzt werden,war aber sicher beträchtlich.

Seit der Jahrhundertwende hat sich die Lage deutlich entspannt. Die Zahl der ABM-Be-schäftigten hatte sich in der Zeit zwischen 2000 und 2004 auf etwa 200.000 jährlich sta-bilisiert. Nach der Einführung der 1-Euro-Jobs durch das 4. Hartz-Gesetz ist die Be-standszahl noch weiter zurückgegangen auf zuletzt unter 50.000 jährlich. Die Zahl um-fasst etwa je zur Hälfte Personen aus dem Rechtskreis SGB III, also Alg I-Empfänger,und erwerbsfähige Hilfsbedürftige, also Personen aus dem Rechtskreis SGB II.

ABM konzentrieren sich heute weitgehend auf Problemgebiete in Ostdeutschland. Fürdie westdeutschen Arbeitsagenturen haben sie nur noch marginale Bedeutung.

Damit haben sich auch die Kontroversen um Fluch oder Segen von ABM deutlich ent-spannt. Aber immer noch steht die Frage im Raum, wie dieses ambivalente Instrumentarbeitsmarktpolitisch zu bewerten ist und in welcher Größenordnung und für welchePersonenkreise es auch weiterhin zum Einsatz kommen soll.

Entscheidend sind die Resultate der Wirksamkeitsforschung – und die sind ernüchternd.Als generelle Feststellung kann heute gelten, dass die über die bloße Beschäftigungs-oder Absorptionsfunktion hinausgehenden Erwartungen, mit Hilfe von ABM Brückenin den 1. Arbeitsmarkt zu bauen und damit die Integrationschancen der ABM-Beschäf-tigten zu verbessern, sich im Allgemeinen nicht erfüllt haben. Die vorliegenden Eva-luationsstudien besagen, dass nur wenige Gruppen aus der ABM-Beschäftigung herauseinen besseren Zugang zum 1. Arbeitsmarkt gefunden haben als vergleichbare Arbeits-lose. Für viele Arbeitnehmer hat die ABM-Beschäftigung die Integration in den 1. Ar-beitsmarkt sogar behindert. Bedauerlicherweise ist gerade bei jungen Erwachsenen dienegative Wirkung einer ABM-Teilnahme am größten. In weiteren Wirkungsuntersu-

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chungen hat sich herausgestellt, dass auch die Nachhaltigkeit einer einmal erreichtenBeschäftigung im Privatsektor (Beschäftigungsdauer von mindestens 6 Monaten) ge-ringer ausfiel als bei vergleichbaren nicht ABM-geförderten Arbeitslosen.

Die Gründe für diese Befunde sind einmal darin zu sehen, dass Arbeitslose mit Beginneiner ABM-Beschäftigung häufig ihre eigene Arbeitsplatzsuche herunterfahren oderganz einstellen (lock-in-Effekt). Das mag menschlich verständlich sein, ist aber ar-beitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Außerdem wird vermutet, dass durch eine ABM-Tätigkeit eine Stigmatisierung der betroffenen Arbeitnehmer erfolgt, die potenzielle pri-vate Arbeitgeber eher zur Zurückhaltung veranlasst.

Als Resultat der bisherigen Erfahrungen muss gelten, dass künftig nur ein maßvollerund gezielter Einsatz von ABM als arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium in Fragekommen kann. Es muss also darum gehen, in Einzelfällen für geeignete Arbeitslose ei-ne arbeitsmarktpolitisch geprägte Brücke in den 1. Arbeitsmarkt zu bauen, indem durchdie Qualifizierungs- und Stabilisierungseffekte der ABM die Beschäftigungsfähigkeitder betroffenen Arbeitnehmer verbessert wird. Dabei sollte darauf geachtet werden, dassgrundsätzlich nur Personen gefördert werden, die im Augenblick keine Chancen für ei-ne Aufnahme in den 1. Arbeitmarkt haben (strikte Einhaltung des Nachrangigkeitsprin-zips) und dass weiterhin bei der Auswahl der Zielgruppen die Erfahrungen aus der Wirk-samkeitsforschung berücksichtigt werden.

2. Arbeitsgelegenheiten (AGH) nach § 16 Abs. 3 SGB II

a. Die heutige SituationDas 4. Hartz-Gesetz hat mit Wirkung vom 1. Januar 2005 die beiden Leistungen Ar-beitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengefasst und bei dieser Gelegenheit die Mög-lichkeit geschaffen, erwerbsfähige Hilfsbedürftige in AGH zu beschäftigen. DerartigeAGH sollen vor allem solchen Personen zugänglich gemacht werden, die andernfallskeinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz finden würden. Zielgruppen sind also Migran-ten, Behinderte, Langzeitarbeitslose, aber auch Jugendliche mit besonderen Vermitt-lungshemmnissen.

Das Gesetz sieht zwei AGH-Varianten vor: zum einen die Entgelt-Variante, die – wieABM – als reguläres sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit Ar-beitsentgelt konstruiert ist. Die zweite AGH-Variante ist die Mehraufwands-Entschädi-gung: Der AGH-Beschäftigte erhält zusätzlich zu der fortlaufenden Transferleistung AlgII eine geringfügige Entlohnung für den höheren Aufwand, der ihm durch die AGH ent-steht. Diese Entschädigung darf nicht mehr als ein bis zwei Euro je Arbeitsstunde be-

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tragen. Diese zweite Variante, der 1-Euro-Job oder Zusatzjob, macht fast 100 % der aufGrund dieser Neuregelung überhaupt entstandenen Beschäftigungsmöglichkeiten aus.Er steht deshalb im Vordergrund der folgenden Anmerkungen.

Mit den AGH stellte der Gesetzgeber den ARGEn, die vornehmlich für die Durchfüh-rung des SGB II zuständig sind, ein multifunktionales Instrument zur Verfügung. Zu-satzjobs sollen die Beschäftigungsfähigkeit erwerbsfähiger Hilfsbedürftiger verbessern,ihre Motivation und Arbeitshaltung stabilisieren und sie an den 1. Arbeitsmarkt heran-führen. Bei Jugendlichen sollen die AGH ausdrücklich von Qualifizierungsmaßnahmenbegleitet werden. Damit verbunden ist die Erwartung, dass die erwerbsfähigen Hilfsbe-dürftigen auf diese Weise Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern aufbauen können. Zu-dem werden die Zusatzjobs als Instrumente zur Prüfung der Verfügbarkeit eingesetzt.Die Fallmanager, die bei den ARGEn für die Organisation von Zusatzjobs und die ent-sprechende Einweisung von Arbeitslosen zuständig sind, haben angegeben, dass sie dieAGH in fast 50 % der Fälle auch zur Prüfung der Arbeitsbereitschaft einsetzen.

Da die 1-Euro-Jobs ähnlich wie ABM im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlichsein müssen, kommen als ABH-Träger vor allem Kommunen und öffentlich-rechtlicheBeschäftigungsträger, kommunale Beschäftigungsgesellschaften, Träger der freienWohlfahrt und sonstige geeignete Institutionen in Frage.

Die Dauer von AGH ist nicht gesetzlich geregelt. Jedoch soll im Hinblick auf das Zieldes Übergangs in den 1. Arbeitsmarkt die Dauer begrenzt sein. In der bisherigen Praxishat sich als durchschnittliche Laufzeit ein Zeitraum von 6 Monaten mit einer durch-schnittlichen Wochenarbeitszeit von 30 Stunden herausgestellt. Ältere Arbeitnehmerkönnen im Rahmen eines Sonderprogramms bis zu 3 Jahren in AGH beschäftigt werden.

b. Die BewertungDie intensive Nutzung der neuen Möglichkeiten durch die ARGEn zeigt, dass ihnenhiermit ein Instrument an die Hand gegeben worden ist, das den Interessen und Be-dürfnissen aller an dem AGH-Arrangement beteiligten Personengruppen entgegen-kommt. Für das Jahr 2006 werden fast 280.000 Zusatzjobs gezählt. Ihnen stehen inner-halb des Rechtskreises SGB II nur 36.000 ABM-Fälle, 31.000 Personen in Trainings-maßnahmen und 47.000 Teilnehmer an Weiterbindungsmaßnahmen gegenüber. Zusatz-jobs sind also das dominante Instrument in der Hand der Fallmanager.

Die betroffenen Arbeitnehmer erhalten ein zusätzliches Entgelt von durchschnittlich140 EUR zu ihrer Grundsicherung; gleichzeitig verbessern sie ihre Chancen auf dem 1.Arbeitsmarkt. Die Arbeitgeber können für ein verhältnismäßig geringes Entgelt, von

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dem keinerlei Abgaben zu entrichten sind, einen fast in Vollzeit tätigen Mitarbeiter ein-stellen. Ein zusätzlicher Anreiz für den Arbeitgeber liegt darin, dass er zur Abgeltungvon Nebenausgaben einen pauschalierten Zuschuss erhält. Die Fallmanager haben mitden AGH ein Instrument zur Hand, das ihnen gemeinsam mit den Arbeitnehmern Erfolgversprechend die Verfolgung arbeitsmarktpolitischer Ziele ermöglicht, ihnen aber auchdas Mittel gibt, deren Arbeitsbereitschaft zu testen.

Aus diesen verschiedenen Vorteilen leiten sich aber zugleich auch die problematischenAspekte der 1-Euro-Jobs ab. Die finanzielle Attraktivität des zusätzlichen Einkommensvon monatlich 140 EUR birgt durchaus die Gefahr in sich, dass der AGH-Beschäftigtesich auf dem dadurch ereichten Niveau einrichtet. Für viele Alg II-Empfänger, die durchreguläre Beschäftigung nur ein niedriges Arbeitseinkommen erzielen können, dürfte dieKombi-Leistung von Alg II und Zusatzeinkommen höher sein als ihr Lohneinkommenbei regulärer Arbeit. Dies gilt verstärkt bei größeren Bedarfsgemeinschaften. In derar-tigen Fällen liegt die Vermutung nahe, dass die AGH-Beschäftigten weniger intensivnach regulären Arbeitsplätzen suchen. Der letztlich intendierte Übergang in den 1. Ar-beitsmarkt wird dadurch eher erschwert. Es ist deshalb nicht überraschend, dass die Zu-satzjobs nach der Eingliederungsbilanz von Dezember 2006 der Bundesagentur dieschlechteste Integrationsquote aller Arbeitsmarktinstrumente haben. Mit einer Quotevon 15 % schneiden die Zusatzjobs im Vergleich zu der nur geringfügig genutzten Ent-geltvariante der AGH (26 %) sowie zu ABM (21 % im Rechtskreis SGB II bzw. 30 %im Rechtskreis SGB III) deutlich schlechter ab. Offensichtlich wird das Zusatzeinkom-men von den Alg II-Empfängern nur „mitgenommen“, ohne dass sich daraus eine Be-wegung in Richtung auf den 1. Arbeitsmarkt entwickeln würde.

Die relative Attraktivität der 1-Euro-Jobs für die im Regelfall im öffentlichen und so-zialen Sektor angesiedelten Arbeitgeber wirft mit großem Nachdruck die Frage der Ver-drängung regulärer Arbeitsplätze auf. Wenn einer Pflegeeinrichtung, einem Kranken-haus, einer Sozialstation oder ganz allgemein einer Kommune eine 30-Wochenstunden-Kraft zu äußert geringen Lohnkosten angeboten wird, besteht die Gefahr, dass dadurchsozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze abgebaut oder im Bedarfsfalle nicht neueingerichtet werden, nicht von der Hand zu weisen. Immerhin standen im Dezember2006 rund 5.000 Krankenpfleger, 11.000 Pflege-Helfer und 17 Kindergärtnerinnen alspotenzielle 1-Euro-Jobber zu Verfügung.

Eine erst kürzlich durchgeführte Evaluation hat klare Hinweise dafür gefunden, dass derVerdrängungsprozess in einem relevanten Umfang in Gang gekommen ist. Vor allem inOstdeutschland kann ein negativer Effekt der 1-Euro-Jobs auf das Wachstum und denBestand der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nachgewiesen werden. InWestdeutschland ist eine solche Wirkung bislang nicht sichtbar geworden. Dieses Ver-

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drängungs-Problem tritt umso deutlicher hervor, je höher oder je passender – gemessenan dem geplanten Einsatzort – die Qualifikation der zugewiesenen oder vermittelten Ar-beitnehmer ist.

Die Fallmanager wiederum laufen Gefahr, im Interesse eines guten Einvernehmens mitden kooperierenden Arbeitgebern, aber auch, um schließlich positive Integrationser-gebnisse vorweisen zu können, bei der Auswahl der zuzuweisenden Arbeitnehmer ehernach dem Prinzip der Bestenauslese zu verfahren, also eher die Arbeitnehmer mit ho-her Qualifikation und Motivation auszuwählen (creaming). Der Gesetzgeber hat abervorrangig gerade die erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen in AGH sehen wollen, die sonstkeine Chancen auf einen Arbeitsplatz haben. Die Regel muss also lauten: Je geringerdie Qualifikation und damit die Vermittlungsaussichten sind, umso größer muss dieChance auf einen Zusatzjob sein.

Die vorliegenden Untersuchungen zeigen aber, dass Arbeitnehmer mit Vermittlungs-hemmnissen, die infolgedessen geringere Chancen auf einen selbst gesuchten regulären Ar-beitsplatz haben, nicht höhere, sondern eher geringere Chancen auf einen Zusatzjob als bes-ser ausgestattete Arbeitnehmer haben. Zudem werden gering qualifizierte Frauen seltenerdurch Zusatzjobs gefördert als gering qualifizierte Männer. Lediglich bei den unter 25-Jäh-rigen kann von einer gesetzeskonformen Zielgruppengenauigkeit gesprochen werden.

Als Ergebnis lässt sich festhalten: Trotz des Booms von Zusatzjobs werden gerade diePersonengruppen, die der Gesetzgeber wegen ihrer eingeschränkten Vermittlungschan-cen besonders im Blick gehabt hat, noch zu wenig in die Förderung durch Zusatzjobseinbezogen. Auch weil für Arbeitgeber der Umgang mit diesem schwächeren Perso-nenkreis schwieriger ist als bei den „glatten Fällen“, muss hier – soll das Instrument derZusatzjobs weiter so intensiv gefahren werden – auf der Ebene der Fallmanager ar-beitsmarkpolitisch besser gesteuert werden. Werden die nach Qualifikation und Moti-vation schwächeren Hilfsbedürftigen stärker ins Spiel gebracht, verringert sich gleich-zeitig auch die Gefahr der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze.

Damit AGH in Form der Zusatzjobs wirklich ein Erfolg versprechendes Instrument fürdie Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt werden, muss es auf Grund der Erfahrungenaus der Einführungszeit künftig besser auf die arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen,die der Gesetzgeber vorgegeben hat, eingesteuert werden. Zum anderen müssen die Fall-manager durch laufende Beobachtung und Betreuung stärker als bisher darauf hinwir-ken, dass die Arbeitseinstellung der Zusatzjobber in Richtung auf den 1. Arbeitsmarktsich positiv verändert.

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IV. Der problematische 3. Arbeitsmarkt

1. AusgangssituationIn einem Millionenheer von Arbeitnehmern, deren Leistungsfähigkeit sich über die ganzeSkala von „hochleistungsfähig“ bis „gerade noch erwerbsfähig“ erstreckt, hat es immerschon – auch in größerer Zahl – Personen gegeben, denen es auf Grund ihres persönlichenLeistungsprofils und trotz des intensiven Einsatzes von arbeitsmarktpolitischen Maßnah-men dauerhaft nicht gelingt, im 1. Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Diese Personengruppe istnunmehr durch das 4. Hartz-Gesetz, das Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im SGB II zu-sammengeführt hat, massiv erweitert worden. Die Definition des § 8 SGB II, wonach er-werbsfähig ist, wer mindesten 3 Stunden täglich arbeiten kann, hat eine Vielzahl von Per-sonen für erwerbsfähig erklärt und damit zu Arbeitslosen gemacht, die noch nie in ihremLeben erwerbstätig waren oder – wenn überhaupt, dann – nur kurzzeitig oder geringfügig.

Heute werden rund zwei Drittel aller Arbeitslosen im Rechtskreis des SGB II betreut – mitsteigender Tendenz. An dieser Situation hat auch der jüngste Arbeitsmarktaufschwungnichts geändert. Zwar profitieren auch die Alg II-Empfänger von der positiven Wirt-schaftsentwicklung, allerdings deutlich weniger als Alg I-Empfänger. So ist die Zahl derArbeitslosen im Rechtskreis des SGB II im vergangenen Jahr nur um 1 % zurückgegan-gen, während die Zahl der Alg I-Empfänger um 8 % abgenommen hat.

Immer deutlicher tritt gerade vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hervor, dass ein ho-her Anteil der erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen zwar per definitionem erwerbsfähig, in derRealität des Arbeitlebens aber nicht einsatzfähig ist, auch dann nicht, wenn bei ihnen allearbeitsmarktpolitischen Instrumente zum Einsatz gekommen sind.

Angesichts dieser Situation stellt sich in einem sozialen Rechtsstaat die Frage, ob man dieBetroffenen in die Passivität des bloßen Leistungsbezugs abstellt und sie damit endgültigaus dem Arbeitsleben mit sozialen Bezügen verbannt oder ob ihnen eine wie immer gear-tete Teilhabeperspektive eingeräumt werden muss.

An dieser Stelle setzen vielfältige arbeitsmarkt- und sozialpolitische Überlegungen an, diedarauf abzielen, die zwar förmlich Erwerbsfähigen, in Wahrheit aber Arbeitsmarktunfähi-gen anstelle ökonomischer Teilhabe am regulären Arbeitsmarkt zumindest eine gesell-schaftliche Teilhabe in Gestalt der sozialen Integration zu bieten.

Wenn man die Vielzahl der hierzu entwickelten Vorschläge und Modelle überblickt, dannist in Politik und Gesellschaft eine grundsätzliche Bereitschaft festzustellen, einen 3. –richtigerweise als sozial bezeichneten – Arbeitsmarkt einzurichten. Im Koalitionsvertragvom 11. November 2005 wird gefordert, die Rahmenbedingungen „so zu gestalten, dass

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auch für Menschen, die keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben, Arbeitsplätze zurVerfügung stehen, die eine sinnvolle und den individuellen Möglichkeiten entsprechendeEntfaltung zulassen“. Eine entsprechende Forderung hat auch der Ombudsrat zur Bewer-tung der Hartz-Gesetze in seinem Abschlussbericht aufgestellt. Ähnlich hat sich die Ar-beitsgruppe Arbeitsmarkt des zuständigen Ausschusses des Deutschen Bundestages geäu-ßert.

Weiterhin haben nahezu alle im sozialpolitischen Umfeld agierenden Organisationen hier-zu ihre Modellvorstellungen entwickelt und in die öffentliche Diskussion eingespeist.Auch die Bundesagentur für Arbeit hat sich – gleichsam als neutrale sachverständige Stel-le – mit ihrem Konzept „Alternative Beschäftigungsformen“ zu Wort gemeldet. Hervor-zuheben ist das von der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagenturfür Arbeit entwickelte Modell „Bürgerarbeit“, weil es über die Konzeptionsphase hinausbereits an mehreren Standorten praktisch erprobt worden ist und dabei positive Ergebnis-se erbracht hat.

Eine auf Veranlassung der GRÜNEN und LINKEN zustande gekommene Sachverständi-gen-Anhörung im zuständigen Ausschuss des Bundestages am 7. Mai 2007 hat einen brei-ten Konsens zu sozialen Arbeitsmarkt-Arrangements zugunsten der schwächsten Arbeits-losengruppe ergeben. Nur die Wirtschaft und eine Reihe von Ökonomen warnen vor ei-nem solchen Schritt.

2. Die Funktionen eines sozialen ArbeitsmarktesPrimäres Ziel integrationspolitischer Maßnahmen kann angesichts des defizitären Lei-stungsprofils der hier in Frage stehenden Menschen nur eine soziale Integration, eine ge-sellschaftliche Teilhabe sein. Anstelle des rein passiven Bezugs von Transferzahlungen solleine sinnvolle Tätigkeit treten. Der normale Arbeitsmarkt soll ersetzt werden durch die Or-ganisation öffentlich geförderter Beschäftigung (Marktersatz). Insofern ist die Kenn-zeichnung des 3. Arbeitsmarktes als „ehrlicher sozialer Arbeitsmarkt“ durchaus zutreffend,weil mit der Einbeziehung der Alg II-Empfänger in derartige gemeinwohlorientierte Tä-tigkeiten – jedenfalls zunächst einmal – die Illusion aufgegeben wird, diese Art von Be-schäftigung hätte irgendetwas mit dem klassischen Arbeitsmarkt zu tun. Allerdings schim-mert in allen Modellen immer auch die Vorstellung durch, dass es letztlich mit intensivenund beharrlichen Betreuungsmaßnahmen noch gelingen könnte, irgendwann einmal denÜbergang in reguläre Beschäftigung zu erreichen. Auf jeden Fall aber wird gefordert undfür möglich gehalten, dass der auf dem 3. Arbeitsmarkt Beschäftigte in der Lage sein soll,durch seine soziale Tätigkeit grundsätzlich ein eigenes Erwerbseinkommen zu erzielen,das ihn vom Bezug der Transferleistung unabhängig macht.

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Ferner wird darauf abgestellt, dass sinnvolle, gemeinwohlorientierte Tätigkeiten dieser Ar-beitslosen als verpflichtende Gegenleistung für die empfangenen Transferzahlungen zu se-hen sind (workfare). Im Zusammenhang damit wird auch die Möglichkeit bejaht, die Be-schäftigung auf dem 3. Arbeitsmarkt als Prüfstein für die Arbeitsbereitschaft einzusetzen.

3. Begriffsmerkmale eines 3. ArbeitsmarktesEs kann nicht das Ziel der hier angestellten Überlegungen sein, eine Gesamtübersicht überdie zurzeit diskutierten Modelle vorzustellen. Das muss in anderem Zusammenhang ge-leistet werden. Hier kann es nur darum gehen, die Hauptaspekte dieser arbeitsmarkt- undgesellschaftspolitischen Grundsatzdiskussion zusammenzustellen.

Bei allen Unterschiedlichkeiten der Modellvorschläge im Detail lassen sich die folgendenbegrifflichen Konstanten herausschälen:

a. Der PersonenkreisDer Personenkreis, der für eine Eingliederung in den 3. Arbeitsmarkt in Frage kommt,wird trotz unterschiedlicher Beschreibungen im Einzelnen durchgängig folgendermaßendefiniert: Es muss sich um Personen handeln, die wegen ihrer defizitären Leistungsfä-higkeit – trotz des Einsatzes des allgemeinen arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums– auf Dauer nicht in den 1. Arbeitsmarkt eingegliedert werden können. Im Regelfall han-delt es sich dabei um Menschen, die konstitutionell und persönlich bedingt mehrere re-levante Vermittlungshemmnisse in sich vereinen. Je nachdem, wie eng oder weit man denBegriff des Vermittlungshemmnisses auslegt, hat die Gruppe eine Größe zwischen150.000 und 500.000. Einverständnis herrscht auch darüber, dass Jugendliche unter 25Jahren nicht zu dem Personenkreis gehören sollen, der für Tätigkeiten auf dem 3. Ar-beitsmarkt in Betracht kommt. Jugendliche sollen in jedem Fall, auch bei schwierigstenAusgangsbedingungen, ausschließlich in Qualifizierungsmaßnahmen und vorbereiten-den Beratungs-, Motivierungs- oder Hinführungsaktivitäten untergebracht werden.

b. Die Dauer der FörderungAlle Vorschläge gehen davon aus, dass es wegen der strukturbedingten Integrations-schwäche der Hilfsbedürftigen nicht mit einer befristeten Einbindung in sozialorien-tierte Tätigkeit getan ist, dass vielmehr nur lange Laufzeiten der Förderung (längerfri-stig oder gar dauerhaft) den Erwartungen gerecht werden können, die mit der Beschäf-tigung auf dem 3. Arbeitsmarkt verbunden sind.

c. Die Form des BeschäftigungsverhältnissesBei der inhaltlichen Gestaltung der zu arrangierenden Beschäftigungsverhältnisse wirdgrundsätzlich die Entgeltvariante bevorzugt – im Gegensatz zur Zuzahlungs- oder

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Mehraufwands-Variante, bei der unter Fortzahlung der Transferleistung für die getätig-te Beschäftigung lediglich ein Aufgeld gezahlt wird. Konsequenterweise wird deshalbmehrheitlich der Abschluss sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse verlangt.Die Vorstellungen über die dabei zu vereinbarende Entlohnung orientieren sich – diffe-renziert nach der Leistungsfähigkeit und Qualifikation der Arbeitnehmer – an den ein-schlägigen Tarifen und an dem lokalen oder regionalen Entgeltgefüge.

d. Die EinsatzfelderDie Tätigkeitsfelder des 3. Arbeitsmarktes sollen auf gemeinnützige Aktivitäten be-schränkt werden. Es sollen Aufgaben und Arbeiten in Angriff genommen werden, diegesellschaftlich bedeutsam sind, aber ohne diese Förderung nicht realisiert werdenkönnten. Der Kreis der denkbaren Einsatzfelder ist praktisch unbegrenzt: Er reicht vonPflege- und Betreuungstätigkeiten, Hilfen für besondere Zielgruppen wie Senioren, Be-hinderte oder schwierige Jugendliche, einfachen Handwerks- und Dienstleistungen, fer-ner über Sport-Maßnahmen sowie Naturschutz- und Landschaftsprojekte bis hin zu kul-turellen Aktivitäten. Entscheidend ist bei allen geförderten Aktivitäten, dass nichtPflichtaufgaben der Träger ersetzt und damit reguläre Arbeitsplätze verdrängt werden.Um diese Gefahr auszuschließen, sollen lokale Gremien an der Planung, Organisationund Durchführung der Projekte beteiligt werden.

e. Die FinanzierungsfrageDie zentrale Frage lautet: Wie sollen diese Beschäftigungsgelegenheiten finanziert wer-den? Dabei ist zu berücksichtigen, dass – nach allen Erfahrungen – öffentlich geförderteArbeitsgelegenheiten besonders kostspielig sind. Bei den insgesamt auflaufenden Ko-sten solcher Arrangements ist nicht nur die bloße Lohnsumme zu berücksichtigen. Esmuss vielmehr auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass wegen der gerin-gen Produktivität der betroffenen Arbeitnehmer häufig zusätzliche Aufwendungen fürdie Gestaltung der Arbeitsplätze und den Ablauf der Arbeitsprozesse erforderlich sind.Zudem wird in der Mehrzahl der Modellvorschläge verlangt, dass die reine Beschäfti-gung von zusätzlichen Betreuungs- und Qualifizierungsmaßnahmen begleitet wird, wasden Einsatz qualifizierter teurer Fachkräfte erforderlich macht.

Wie also soll die Finanzierung sichergestellt werden? Eine eindeutige gesetzliche Re-gelung für diese spezielle Leistungsart (3. Arbeitsmarkt) fehlt. Infolgedessen ist aucheine klare Finanzierungsverpflichtung eines oder mehrerer Finanziers nicht gegeben.Die derzeit auf dem Tisch liegenden Konzepte müssen deshalb ihre Finanzierungskon-zepte aus verschiedenen, nur zum Teil normierten Bauteilen gewissermaßen „zusam-menbasteln“. Die dadurch begründete Notlage spiegelt sich – nicht überraschend – ineiner starken Variationsbreite der einzelnen Vorschläge wider.

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Zu der disponiblen Verfügungsmasse gehören zunächst in allen Fällen die passivenLeistungen für erwerbsfähige Hilfsbedürftige: also das einzusparende Alg II. Damit istaber wegen dessen geringer Höhe nur ein Teil der insgesamt anfallenden Kosten zu dek-ken. Deswegen werden grundsätzlich auch die zu erwartenden Einsparungen bei denKosten der Unterbringung, die von den Gemeinden zu tragen sind, in die Finanzplanungeinbezogen. Dies ist insofern sinnvoll und logisch, als bei den unterstellten tariflichenoder ortsüblichen Arbeitsentgelten durchaus davon ausgegangen werden kann, dass derArbeitnehmer die Unterkunftskosten aus seinem künftigen Erwerbseinkommen bestrei-ten kann.

Weiterhin wird der Eingliederungstitel, also die Zusammenfassung aller Ausgaben fürMaßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in den Haushalten der ARGEn, in dieÜberlegungen einbezogen. Schließlich wird der künftige Arbeitgeber, der wegen derGemeinwohlorientierung der Tätigkeiten grundsätzlich eine öffentliche Einrichtungsein wird, als Nutznießer der Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers an der Finanzierungbeteiligt. Danach noch offene Lücken sollen aus diffusen Bundes- oder Landesmittelnsowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gedeckt werden. Die gelegent-lich erwähnte Möglichkeit, aus der Verwertung von marktgängigen Produkten oderDienstleistungen Gewinn zu erzielen, dürfte – wenn überhaupt – nur marginale Bedeu-tung haben.

Am Ende ergibt sich eine Art Finanzierungs-Patchwork aus öffentlichen Mitteln.

4. Versuch einer BewertungDas Projekt „3. bzw. sozialer Arbeitsmarkt“ findet im Augenblick in Gesellschaft und Po-litik breite Zustimmung. Durchaus in Übereinstimmung mit dem Sozialstaatsprinzip wirddabei Menschen, die bei der Suche nach „gesellschaftlicher Teilhabe durch Arbeit“ aus ei-gener Kraft keinen Erfolg haben, der Weg zum erstrebten Ziel geebnet.

Bei einer solchen Ausgangslage ist es schwierig, sich einen kritischen Blick auf diese all-seits akzeptierte Wohltat zu bewahren. Wer sich hier kritisch oder gar ablehnend äußert,wie dies einige Wirtschaftsverbände und Ökonomen tun, trifft nicht unbedingt auf Ver-ständnis. Gleichwohl muss man sich, wenn man den Weg eines 3. Arbeitsmarktes gehenwill, mit diesen Bedenken auseinandersetzen und hieraus, sofern sie berechtigt sind, Kon-sequenzen für die Gestaltung des Konzepts im Einzelnen ziehen.

a. Arbeitsmarktpolitische AspekteNicht von der Hand zu weisen ist das Bedenken, dass eingeschränkt erwerbsfähigeHilfsbedürftige, die durch eine soziale Arbeitsgelegenheit auf dem 3. Arbeitsmarkt (so-

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ziale AGH) praktisch auf Dauer von den Anforderungen, aber auch von den Chancendes 1. Arbeitsmarktes ausgeschlossen sind, damit subjektiv jeden Gedanken an eineRückkehr in den 1. Arbeitsmarkt aufgeben und keinerlei Anstrengungen hierzu mehrunternehmen werden. Sie sind gleichsam in den 3. Arbeitsmarkt eingeschlossen.

Damit eng verknüpft ist die Befürchtung, dass selbst eine äußerst eng definierte Be-schränkung der Einsatzfelder die Gefahr der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze nichtvollständig ausschließen kann.

Die Konsequenz aus diesen Überlegungen kann letztlich nur sein, dass bei der Planungund Durchführung von sozialen AGH alles getan werden muss, um diese Gefahren aus-zuschließen. Zunächst muss durch ein konsequentes Durchlaufen des klassischen Ar-beitsmarkt-Instrumentariums festgestellt werden, dass der Hilfsbedürftige trotz seinerformalen Arbeitsfähigkeit letztlich nicht arbeitsmarktfähig ist. Das Modell „Bürgerar-beit Sachsen-Anhalt-Thüringen (SAT)“ hat hierfür ein Vorlaufverfahren festgelegt mitden vier Stufen:

Einladung aller Arbeitslosen

Aktivierung, Vermittlung in Arbeit, soweit möglich

Angebot von Maßnahmen für hierfür prädestinierte Kunden (Qualifizierung, Trainingsmaßnahmen, ABM)

Angebot von „Bürgerarbeit“

Dieses Vorverfahren sollte noch ergänzt werden durch ein sorgfältiges Profiling der per-sönlichen Stärken und Schwächen des betroffenen Hilfsbedürftigen, notfalls auch durchMotivierungs- und Betreuungsschritte. Am Ende dieses Vorverfahrens bzw. vor der Ein-weisung des Hilfsbedürftigen in eine soziale AGH muss von den mit dem Einzelfall be-fassten Experten ein eindeutiges Urteil dahin ausgesprochen werden, dass der Hilfsbe-dürftige – trotz seiner formalen Arbeitsfähigkeit – in Wahrheit dauerhaft keine Integra-tionschancen auf dem 1. Arbeitsmarkt hat. Eine soziale AGH ist damit die ultima ratio.

Dieses Vorverfahren dient aber auch – dies zeigen die bisherigen Erfahrungen mit ähn-lichen Aktionen – ganz eindeutig einer zielführenden Sichtung, Differenzierung und ge-legentlichen Neubewertung der in das Verfahren einbezogenen Arbeitslosen. Der ersteFlächentest des Modells „Bürgerarbeit SAT“ in Bad Schmiedeberg begann mit einerAusgangsgröße von 331 Arbeitslosen. 20 % davon meldeten sich noch vor Beendigungdes Vorverfahrens in den 1. Arbeitsmarkt ab. Eine erhebliche Zahl ging in Qualifikati-

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ons-, Trainings- oder Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen über. Am Ende „landeten“93 Personen in der eigentlichen Bürgerarbeit. Sanktionen wurden nur in 2 % der Fälleverhängt. Immerhin wurde die Arbeitslosenquote in Bad Schmiedeberg innerhalb einesJahres von 15,6 auf 6,3 % gesenkt.

Diese arbeitsmarktpolitischen Ergebnisse, die sich in ähnlichen Dimensionen auch beianderen derartigen Projekten herausstellten, machen deutlich, dass die Vorweg- und Ne-beneffekte solcher Aktionen beträchtlich sind. Entscheidend ist in all diesen Fällen, dassdie Betreuung der Arbeitslosen durch den öffentlich erzeugten und registriertenSchwung des Modellversuches besonders intensiviert worden ist. Bei der Gesamtbe-wertung von sozialen AGH müssen diese Wirkungen mit berücksichtigt werden.

Als zweite Sicherheitslinie sollte während des Ablaufs der sozialen AGH immer wiederüberprüft werden, ob nicht entgegen den anfänglichen Prognosen doch noch ein Über-gang in den 1. Arbeitsmarkt möglich ist. Dies ist allein schon deswegen sinnvoll, weildie konkrete Integrationsmöglichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht allein durchdas Leistungsprofil des Betroffenen, sondern auch durch die jeweilige Aufnahmefähig-keit des 1. Arbeitsmarkts definiert wird. Bessern sich die Arbeitsmarktverhältnisse si-gnifikant, erhalten mit einem Mal auch solche Personen eine Chance, die vorher chan-cenlos waren.

Auch die Gefahr der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze muss bedacht werden. Hierist es zunächst Sache der Fallmanager, durch eine eindeutige Beschreibung und Be-grenzung der Einsatzfelder sowie durch eine strenge Prüfung der Zusätzlichkeit negati-ve Auswirkungen auf den 1. Arbeitsmarkt auszuschließen. Ein weiterer Sicherungsme-chanismus kann dadurch geschaffen werden, dass lokale Gremien, in denen neben Ar-beitsmarktexperten mit genauen Kenntnissen der örtlichen Arbeitsmarktverhältnisseauch Vertreter von Unternehmen beteiligt sind, deren Arbeitsplätze gefährdet sein könn-ten, an der Planung und Durchführung von sozialen AGH mitwirken.

b. Die finanziellen Aspekte Auszugehen ist von folgenden Fakten:

Soziale AGH sind wegen der Besonderheiten des involvierten Personenkreises relativ teuer.

Gleichgültig welcher „Topf“ in Anspruch genommen wird: Soziale AGH müssen ins-gesamt mit öffentlichen Mitteln finanziert werden.

Der Ertrag von sozialen AGH ist mehr in ideellen, kulturellen oder sozialen Wertig-keiten zu sehen als in handfesten marktgängigen Produkten oder Dienstleistungen.

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Die durchgängige Finanzierung von sozialen AGH aus öffentlichen Mitteln wirft zu-nächst die Frage auf, ob angesichts der knappen finanziellen Ausstattung nahezu alleröffentlichen Hände sowie der zahlreichen Anforderungen an den Staat die finanzielleUnterstützung von sozialen AGH überhaupt zu verantworten ist. Mittel, die aus den ver-schiedensten Quellen für AGH aufgewendet werden, stehen für andere öffentliche Auf-gaben nicht mehr zur Verfügung.

Als erstes tut sich hier der Konflikt zwischen konsumtiven und investiven Aufgaben auf.Soziale AGH müssen, da sie eher beschäftigungstherapeutisch als produktiv angelegtsind, zu den konsumtiven Aufgaben gezählt werden. Die Ergebnisse von sozialen AGHlassen sich nicht als marktgängige Produkte einordnen, auch wenn sie im Einzelfall ei-nen kulturellen, sozialen, sportlichen oder gesundheitlichen Wert haben sollten.

Auf der anderen Seite sehen sich Bund, Länder und Gemeinden, aber auch andere öf-fentliche Stellen, vor gewaltige Investitionsaufgaben gestellt. Allen voran stehen drin-gende Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung. Deutschland nimmt im in-ternationalen Ranking auf diesen Gebieten einen gefährlichen unterdurchschnittlichenPlatz ein, was künftig große Probleme für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bringenwird. Weitere Stichworte sind: Investitionsbedarf in der Verkehrsinfrastruktur, im Ge-sundheitssektor, in der Klima- und Energiepolitik sowie in der äußeren und inneren Si-cherheit.

Diese Aufzählung macht deutlich, dass soziale AGH in diesem Wettbewerb der An-sprüche nicht in vorderster Reihe stehen.

Auf gar keinen Fall ist daran zu denken, flächendeckend für alle nicht marktfähigenHilfsbedürftigen eine dauerhafte marktersetzende Beschäftigungsmöglichkeit zu . Daswürde zweistellige Milliardenbeträge erfordern und die finanziellen Möglichkeiten deröffentlichen Hände überfordern. Es kann also nur um eine verhältnismäßig kleine Zahllokal eingegrenzter Maßnahmen gehen. Dabei taucht dann im Übrigen noch die Ge-rechtigkeitsfrage auf: Wer von den vielen dauerhaft nicht marktfähigen Hilfsbedürfti-gen soll letztlich die Chance einer sozialen AGH erhalten? Nach welchen Kriterien solldie Auswahl erfolgen?

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Herkunft der einzelnen Finanzierungsele-mente schwer zu überschauen ist. Die Patchwork-Finanzierungskonzepte setzen sicheben aus Zuflüssen aus den verschiedensten Quellen zusammen. Das macht eine genaueZuordnung und damit auch eine Klärung der politischen Verantwortung schwierig,wenn nicht unmöglich. Auch die Evaluierung von sozialen AGH, die zwingend erfol-gen muss, wird dadurch mindestens hinsichtlich der finanzpolitischen Aspekte er-

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schwert. Auf der anderen Seite hat diese Heterogenität der Finanzbausteine zumindestin der augenblicklichen Experimentierphase den Vorteil, dass man für diesen Finanzie-rungs-Mix von Projekt zu Projekt ganz unterschiedliche Quellen erschließen und aufdiese Weise das Finanzierungspaket im Einzelfall optimieren kann.

c. GesamtbewertungSoziale AGH sind einerseits ein durchaus geeignetes Instrument, um schwachen erwerbs-fähigen Hilfsbedürftigen – dem Sozialstaatsgebot entsprechend– eine Beschäftigung au-ßerhalb des 1. Arbeitsmarktes zu bieten und ihnen damit eine gesellschaftliche Teilhabe zuermöglichen.

Einem darauf ausgerichteten, groß angelegten Politikansatz begegnen aber beachtliche Be-denken.

Die Folge hieraus muss sein:dass eine soziale AGH im Einzelfall nur ultima ratio sein kann, der ein systematischerEinsatz des klassischen arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums vorausgehen muss

dass sich eine flächendeckende Verbreitung wegen des erheblichen Finanzaufwandes und mit Blick auf andere vorrangige öffentliche Aufgaben verbietet, sondern nur einekleinräumige, punktuelle Realisierung dieser Projektidee, zugeschnitten auf konkreteörtliche Gegebenheiten, in Betracht kommt

dass durch entsprechende Vorkehrungen die Gefahr der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze ausgeschlossen werden muss und

dass trotz des grundsätzlich zeitlich unbegrenzten Einsatzes im Einzelfall in angemes-senen Abständen immer wieder überprüft wird, ob der Einsatz in der sozialen AGH wei-tergeführt werden kann oder ob nicht sogar eine Integration in den 1. Arbeitsmarkt mög-lich ist.

Es bleibt also letztlich nur ein schmaler Korridor. Der sollte aber in einzelnen Tests undModellen ausgefüllt werden. Da die Zeit für eine gesetzliche Regelung noch nicht reifist, sollte dies zunächst weiter in Experimenten geschehen. Dabei liegt schon ein be-achtlicher Wert in den Vorweg- und Nebeneffekten, die immer wieder beobachtet wer-den, wenn eine lokal definierte Gruppe von Arbeitslosen eine organisierte Zuwendungdurch die Fachkräfte der Arbeitsverwaltungen erfährt und mit den beratenden, vermitt-lerischen und qualifizierenden Arbeitsmarktinstrumenten konfrontiert wird.

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Letztlich ist aber darauf hinzuweisen, dass die Organisation von sozialen AGH nur einWeg zur Beteiligung von gehandicapten Arbeitslosen am gesellschaftlichen Leben seinkann. Hier kommt der ganze Bereich ehrenamtlicher Tätigkeiten in den Blick. Dieserbedeutende gesellschaftliche Sektor kann im vorliegenden Zusammenhang in zweifa-cher Weise Bedeutung erlangen. Einmal könnten – und sollten mehr als bisher – min-derleistungsfähige Hilfsbedürftige für ehrenamtliche Tätigkeiten auf den verschiedenenkulturellen, pflegerischen, nachbarschaftlichen etc. Feldern gewonnen werden. Wernicht auf dem 1. Arbeitsmarkt unterkommen kann, aber für eine soziale AGH in Betrachtkommt, kann in dem ihm gegebenen Rahmen auch ehrenamtliche Aufgaben überneh-men. Dies würde ihn nicht nur wieder in gesellschaftliche Zusammenhänge einbinden,sondern auch als Gegenleistung für die empfangenen Transferzahlungen sinnvoll sein.

Zum anderen können Hilfsbedürftige selbst zum Ziel ehrenamtlicher Tätigkeiten durchandere Personen werden. Hier tut sich ein weites Feld für Kirchen, kulturelle Einrich-tungen, Kommunen, Sport- und Traditionsvereine, Nachbarschaftshilfen etc. auf. Siekönnen ortsnah und spontan handeln und die schwächeren Mitbürger wieder am ge-sellschaftlichen Leben teilnehmen lassen. Nicht alles kann der Staat leisten, auch nichtdie umfassende und vollständige Realisierung der Forderung nach gesellschaftlicherTeilhabe für alle.

Die im Augenblick an vielen Stellen laufenden Experimente sollten nach einiger Zeiterfasst und bewertet werden. Dabei wird sich dann zeigen, ob hier ein zukunftsfähigerAnsatz liegt.

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I. Der Jugend eine Chance – ein Arbeitsmarkt-Integrationsprojekt des AMS Österreich und der Wirtschaftskammer Österreich

Das Thema Arbeitslosigkeit bleibt auch in Österreich auf der Tagesordnung: Obwohl sichder Arbeitsmarkt weiterhin positiv entwickelt, bereitet es nach einer aktuellen Umfrage desSalzburger Instituts für Grundlagenforschung immer noch jedem zweiten Bürger grund-sätzlich Sorgen. Fast 80 % der Befragten gaben an, dass dies besonders beim Blick auf dieJugendarbeitslosigkeit der Fall ist.

Dabei ist die Lage in Österreich noch komfortabel, liegt das Land bei der Jugendarbeits-losigkeit im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern mit 8,2 % doch mit an gün-stigster Stelle. Besser schnitten nur Dänemark und die Niederlande ab mit Quoten von 6,2bzw. 7,2 % (vgl. die beiden Grafiken im Anhang).

Im Durchschnitt hatten aber 15,4 % der europäischen Jugendlichen Ende Juli 2007 keine Ar-beit. Trotz der Bemühungen einzelner Staaten wurden keine wirklichen Fortschritte erzielt.Immer noch verlässt einer von sechs jungen Europäern die Schule vorzeitig. Immer noch sind4,6 Millionen 15- bis 24-Jährige arbeitslos – nicht selten auch wegen ihrer persönlichen undfachlichen Defizite. Etwa ein Viertel der europäischen Jugendlichen verfügt nicht über dieFähigkeiten und Fertigkeiten, die nötig sind, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

So nimmt es kein Wunder, dass auch die Europäische Kommission dem Thema Jugend-beschäftigung eine hohe Priorität einräumt. Der zuständige EU-Kommissar VladimirSpidla wies kürzlich darauf hin, dass die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam die paradoxe Si-tuation auflösen müssen, dass in der EU einerseits Fachkräftemangel herrscht, andererseitsdeutlich zu viele junge Menschen arbeitslos sind.

Auch in Österreich bedarf es trotz der grundsätzlich positiven Entwicklung weiterer An-strengungen. Zwar lag die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen im August 2007 gegen-über dem Vorjahr „nur“ bei 32.290. Das bedeutete einen Rückgang um insgesamt 1.921bzw. 5,6 %, und gegenüber den anderen Altersgruppen sank gerade die Jugendarbeitslo-sigkeit am stärksten (bei 25- bis 44-Jährigen: -5,3 %, bei über 45-Jährigen: -3,4 %). Dochim Vergleich zur Arbeitslosenrate der Gesamtbevölkerung (nach Eurostat im Juli 2007: 4,3%) lag die Jugendarbeitslosigkeit mit den genannten 8,2 % immer noch fast doppelt so hoch.

Jobcoaching- und Vermittlungsprojekt „Der Jugend eine Chance“In Österreich haben der Arbeitsmarktservice (AMS) und die Wirtschaftskammer Öster-reich (WKÖ) im Herbst 2005 gemeinsam das innovative Jobcoaching- und Vermittlungs-projekt „Der Jugend eine Chance“ gestartet, das zum Ziel hatte, die Jugendlangzeitar-

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PRAXISBEISPIELE

beitslosigkeit in Österreich wirksam zu bekämpfen. Die WKÖ erklärte sich bereit, das Pro-jekt mit maximal 1,4 Millionen Euro zu unterstützen. Bei geschätzten Gesamtkosten vonrund 4 Millionen Euro betrug ihr Finanzierungsanteil somit 35 %.

Da der Betreuungszeitraum bis Ende Mai 2007 ging, kann inzwischen Bilanz gezogen wer-den – und zwar eine außerordentlich positive. Denn immerhin ist die Jugendarbeitslosig-keit in Österreich vom 1. Halbjahr 2005 bis zum 1. Halbjahr 2007 um insgesamt 43,6 %zurückgegangen (Tabelle), was nicht zuletzt auch auf das spezielle Projekt „Der Jugend ei-ne Chance“ zurückzuführen ist. Weil es Vorbildcharakter für andere Länder haben kann,wurde es inzwischen als Best-Practice-Projekt bei der EU in Brüssel eingereicht.

Zahl der jungenlichen Langzeitarbeitslosen

1. Halbjahr 2007 1. Halbjahr 2006 1. Halbjahr 2005 Veränderung2005 - 2007:

851 1200 1200 - 43,6 %

Erfolgsgeheimnis des Projekts: Es hebt sich von anderen AMS-Unterstützungsmaßnah-men dahingehend ab, dass jeder Jugendliche durchgehend einen eigenen Coach hat, demgenügend Zeit zur Verfügung steht, ihn intensiv zu betreuen. Er vermag so Persönlichkeitund Fähigkeiten seines Schützlings genau studieren und kann – auch auf Grund seiner gu-ten Kontakte zu den regional ansässigen Unternehmen – relativ schnell herausfinden, wel-che Berufsfelder und Positionen für ihn geeignet sind.

Da die Projektteilnehmer zum Teil aus schwierigen familiären Umfeldern kommen, fin-den sie in ihrem Coach darüber hinaus auch eine menschlich wichtige Vertrauensperson.Das ist von großer Bedeutung, da die Zielgruppe besonders betreuungsbedürftig ist.Schließlich handelt es sich laut Definition, jeweils unabhängig von der jeweiligen Ausbil-dung bzw. beruflichen Qualifikation, um Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahre, die län-ger als 6 Monate arbeitslos waren und als schwer vermittelbar galten; das heißt, dass trotzaller Aktivierungs-, Beratungs- oder Schulungsmaßnahmen kein länger andauerndes Ar-beitsverhältnis für sie gefunden werden konnte.

Die WKÖ hat das Projekt durch eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Sowurden im Januar 2006 landesweit alle Unternehmen, von denen die E-Mail-Adresse be-kannt war, in einem persönlichen Schreiben des Präsidenten der Wirtschaftskammer Öster-reich und der Landeskammern über das Projekt informiert und dazu aufgerufen, sich zubeteiligen. Bereits binnen weniger Tage hatten an die 2000 Unternehmen geantwortet undihre Unterstützung angekündigt.

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Vorteile für Unternehmen

Das kam nicht von ungefähr, denn schließlich konnten Unternehmen, die jugendliche Pro-jektteilnehmer in ihrem Betrieb beschäftigten, gleich von einer ganzen Reihe von Vortei-len profitieren:

Regelmäßige Betreuung/Hilfestellung durch den Jobcoach auch nach der Einstellung.

Passgenaue Vermittlung: Der Jobcoach kannte bestens die individuellen Fähigkeiten und Interessen seiner Schützlinge.

Möglichkeit des unverbindlichen Kennenlernens durch Praktika: Dem Unternehmen entstanden keine Kosten; es gab keine anschließende Beschäftigungsverpflichtung.

Fördermöglichkeiten durch das AMS, insbesondere durch Eingliederungsbeihilfen undPrämien.

Gesellschaftspolitischer Beitrag – Vermeidung von sozialen Konflikten.

Jugendliche wurden durch die vorangehende achtwöchige Qualifizierungsphase motiviert und fit für die berufliche Praxis gemacht.

Im Projekt wurden erstmals zwei Methoden flächendeckend angewendet, die insbesonde-re von der Arbeitgeberkurie im Verwaltungsrat des AMS bereits seit längerem als zu-kunftsträchtig angesehen und mittlerweile zum Teil bereits auch in weiteren Pilotprojek-ten eingesetzt werden.

Das ist einmal der Ansatz der aufsuchenden Vermittlung: Aufsuchen bedeutet konkret,dass der Jobcoach bei Fernbleiben von vereinbarten Terminen versucht, zunächst telefoni-schen Kontakt zu dem Jugendlichen aufzunehmen. Falls dies erfolglos bleibt, bietet er denBesuch zu Hause an und signalisiert so sein Interesse am Fortkommen seines Schützlings.Gleichzeitig zeigt er, wie viel Wert er auf einen konstanten Kontakt legt. Die Reaktionender Jugendlichen auf diese Aktivitäten waren überraschend positiv: In vielen Fällen erleb-ten sie auf diese Weise erstmals, dass sich jemand um sie kümmerte.

Als Zweites wurde ein Best-Practice-Beispiel aus den Niederlanden aufgegriffen. Dorthatte sich der Einsatz erfolgsabhängiger Vermittlungsentgelte für private Arbeitsvermitt-ler bewährt. Deshalb wurde den regionalen österreichischen Kooperationspartnern je ver-mittelten Teilnehmer „auf ein vier Monate durchgängiges sozialversicherungspflichtigesDienstverhältnis“ eine Prämie von 250 Euro gezahlt.

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Eine stolze ErfolgsbilanzVor allem angesichts der äußerst schwierigen Zielgruppe war das Ergebnis nur als vollerErfolg zu bezeichnen. Die Zahlen sprechen für sich:

Von den insgesamt 2.012 Teilnehmern sind inzwischen 1.153 in Unternehmen tätig oderbesuchen einen Kurs bzw. eine Implacementstiftung (293).

Dies bedeutet eine Erfolgsquote von 57,3 %. Berücksichtigt man die 166 Austritte bzw.258 Ausschlüsse1 die meist auf persönliche Gründe wie Schwangerschaft, Drogensucht,Obdachlosigkeit, gravierende disziplinäre Schwierigkeiten usw. zurückzuführen sind,so liegt die Erfolgsquote sogar bei 72,6 %.

Der neue, unkonventionelle Zugang zur Betreuung schwer integrierbarer jugendlicher Ar-beitsloser zeigt, wie konsequente Zuwendung und persönliche Betreuung arbeitsmarktpo-litische Erfolge zeitigt. Von der „Umwegrentabilität“ dieser Maßnahme als Prävention vonnachhaltiger Jugendarbeitslosigkeit ganz zu schweigen. Wegen des großen Erfolgs ist dasProjekt inzwischen verlängert worden. Insgesamt werden wieder 2.000 langzeitarbeitslo-se Jugendliche mitmachen können – aktuell sind bereits 307 Teilnehmer angemeldet. DieWKÖ unterstützt das neuerliche Projekt mit 100.000 Euro.

Weitere Schritte zur Förderung der JugendbeschäftigungDass sich eine Fachausbildung für junge Menschen bezahlt macht, hat jetzt neuerlich eineUntersuchung der Synthesis Forschung GmbH bei Jugendlichen des Geburtsjahrgangs 1980bestätigt: Wer eine Lehre durchlaufen hatte, war besser in das Arbeitsmarktgeschehen inte-griert, blieb länger beschäftigt und erzielte ein höheres Jahresbeschäftigungseinkommen.

Im Einzelnen bezogen beispielsweise Frauen im Bereich Handel, die eine Lehrausbildungbesaßen, 3.873 Euro mehr Geld im Jahr als Frauen, die nur über einen Pflichtschulab-schluss verfügten. Bei Männern mit Lehrausbildung im Fahrzeugbau war der Jahresver-dienst sogar um 15.604 Euro höher als bei Männern mit maximal einem Pflichtschulab-schluss (vgl. auch die Grafik auf der nächsten Seite).

Gute AusbildungsbilanzDie Untersuchung belegte einmal mehr, wie wichtig es ist, möglichst allen Jugendlichenim Land einen Ausbildungsplatz anzubieten. Die österreichischen Unternehmen leistendazu einen wichtigen Beitrag. In den vergangenen zwei Jahren stiegen sowohl die Lehr-lingszahlen als auch die Zahl der Lehrbetriebe. Wurden 2004 noch 119.071 Lehrlinge ge-zählt, waren es 2005 schon 122.378 und im abgelaufenen Jahr 125.961 Lehrlinge.

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PRAXISBEISPIELE

Frauen im Handel

Frauen im Beherbergungs und Gaststättenwesen

Frauen in den sonstigen Dienstleistungen

Männer in der Metallerzeugung und Verarbeitung

Männer im Fahrzeugbau

Männer im Bauwesen

+ 3,873

+ 1,177

+ 2,351

+ 8,546

+15,604

+9,247

81

Der Bonus einer Fachausbildung in verschiedenen Branchen (Jahreseinkommen)Mehrverdienst von Personen mit Lehrausbildung gegenüber solchen mit Pflichtabschluss

Quelle: Synthesis Forschung GmbH, 2007

Die Zahl der Lehrbetriebe nahm seit 2004 von 36.139 (2005: 36.892) auf 37.783 mit Jah-resende 2006 ebenfalls zu. Gegenüber Juli 2006 ist die Zahl der Lehrbetriebe im Juli 2007um weitere 2,4 % gestiegen. Der Trend hält also nach wie vor an.

Beispiel Wien: Zwischen Juli 2004 und Juli 2007 stieg die Zahl der beim AMS gemelde-ten offenen Lehrstellen um 81 %; das heißt um 1.632 Stellen. Im Vergleich zum Ende 2004gab es Ende 2006 im 1. Lehrjahr 4.908 Lehrlinge (ohne Stiftungen) mehr als vorher.

Jugendliche vielfach nicht fit für den ArbeitsmarktAllerdings klagen die Betriebe zunehmend über mangelnde Basiskenntnisse der Lehrstel-lenbewerber. Gravierende Defizite wurden durch den so genannten Talente-Check bestä-tigt, der von der Wiener Sparte Gewerbe und Handwerk seit Oktober 2004 durchgeführtwurde. Dabei wurden Konzentrations- und Merkfähigkeit, sprachliche Fertigkeiten,Grundverständnis für Technik und Physik sowie Raum- und Zahlengefühl abgefragt – also genau die Anforderungen, die im Berufsleben unerlässlich sind. Die Ergebnisse wa-ren alarmierend: Nur 58,7 % der Lehrstellenaspiranten insgesamt bestanden den Test. Vonden Pflichtschulabsolventen scheiterten über 45 %. Besondere Schwierigkeiten gab es in

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2 (Anmerkung: Der „Kombilohn neu“ sollte nicht nur allein für Jugendliche gelten, sondern generell die In-tegration von wettbewerbsschwächeren Personen in den Arbeitsmarkt fördern.

den Bereichen Zahlengefühl/Rechnen sowie beim physikalisch-technischen Verständnis.Von den Absolventen weiterführender Schulen waren allerdings über 80 % erfolgreich.

Um die Defizite auszugleichen, empfiehlt es sich, bundesweit verbindliche Bildungs-Min-deststandards in der siebten und achten Schulstufe einzuführen. Wer bereits bei Basis-kenntnissen gravierende Mängel aufweist, wird es auch beim Berufseinstieg schwer ha-ben. Werden durch die verbindlichen Bildungs-Mindeststandards vorhandene Defiziteaber rasch genug aufgedeckt, besteht die Chance, sie bis zum Ende der Pflichtschule aus-zugleichen.

„Kombilohn neu“ zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration Junge Menschen brauchen geeignete Beschäftigungschancen, damit sie ihre Fähigkeitenunter Beweis stellen können. Trotz – zum Teil auch hoher – formaler Qualifikation kön-nen sie den tatsächlichen Anforderungen an einen Arbeitsplatz oft nicht entsprechen, weilihnen die für den Arbeitsmarkt erforderlichen – durch Erfahrung zu erwerbenden – Fer-tigkeiten und Kompetenzen fehlen.

Nicht zuletzt die Einkommensgrenze von 1.000 Euro/Monat war Grund, dass Jugendlichedas im Jahr 2006 angebotene Kombilohn-Modell viel zu wenig in Anspruch nahmen. Einmöglichst einfaches neues Modell2 (Zuschuss jeweils 250 Euro/Monat an Arbeitgeber undArbeitnehmer, bei Teilzeitbeschäftigung 125 Euro/Monat, Entgeltgrenze 1.700 Euro/Mo-nat) könnte in diesem Zusammenhang eine Win-win-Situation für Arbeitgeber und Ar-beitnehmer schaffen. Junge Menschen könnten im Rahmen eines regulären Arbeitsver-hältnisses die erforderliche Praxis erwerben. Der Zuschuss an den Arbeitgeber würde ei-nen Ausgleich für die noch fehlenden praktischen Kenntnisse bieten.

Qualifizierungsgutscheine könnten darüber hinaus der besonders gefährdeten Problem-gruppe, den gering qualifizierten Jugendlichen, helfen, Ausbildungsdefizite auszugleichen.

„Begleitendes Coaching“ auch für unzureichend integrierte PersonenDie positiven Erfahrungen mit begleitendem Coaching sollten auch hier genutzt werden,um Teilnehmern eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen (Inter-nationale Erfahrungen belegen, dass Kombilohnteilnehmer die Maßnahme häufig abbre-chen). Die im Rahmen des Projekts „Der Jugend eine Chance“ gewonnenen Erfahrungender aufsuchenden Arbeitsvermittlung sollten rasch flächendeckend auch auf andere Ziel-gruppen ausgedehnt werden.

PRAXISBEISPIELE

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200.000

175.000

150.000

125.000

100.000

2000 2001 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

2000/ Männer: 30 %

2010

Männer: 38 %

PRAXISBEISPIELE

Besonders Arbeitslose mit unzureichender Beschäftigungsintegration gelten als Risiko-gruppe des AMS, und gerade dieser Personenkreis hat zwischen 2000 und 2006 deutlichzugenommen. Prognosen zufolge ist bis 2010 mit einer weiteren Zunahme zu rechnen(Synthesis Mikroprognose „Der österreichische Arbeitsmarkt 2006/07).

Arbeitslose Personen mit unzureichender Beschäftigungsintegration

Entwicklung der Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen, deren Beschäftigungsintegration < 50% ist.

Durch die aufsuchende Arbeitsvermittlung gelingt es dem AMS, auch die schwierige Ziel-gruppe von langzeitarbeitslosen Personen wieder erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu inte-grieren. Die Maßnahme erreicht in Niederösterreich einen Erfolg von 50 %, in der Steier-mark von 58 % – bei gleichzeitiger hoher Teilnehmerzufriedenheit.

Laut Evaluierungsergebnissen liegt der Vorteil der aufsuchenden Arbeitsvermittlung in dereindeutig ziel- und ergebnisorientierten Ausrichtung, mit den arbeitslosen Personen an de-ren Arbeitsmarktintegration zu arbeiten. Es wird sehr individualisiert auf die Bedürfnisseder Personen eingegangen. Im Rahmen der künftigen Ausweitung des TätigkeitsbereichesAMS auf Sozialhilfeempfänger sollte der aufsuchenden Arbeitsvermittlung daher eben-falls eine Schlüsselrolle zu kommen.

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PRAXISBEISPIELE

Prozent

Griechenland 24,6Frankreich 21,9

Italien 20,2Polen 20,0

Rumänien 19,8Slowakei 19,3

Ungarn 19,2Belgien 18,5Spanien 18,3Portugal 17,3

Schweden 16,4Finnland 16,1

Luxenburg 15,5EU 27 15,4

Vereinigtes Königreich 15,0Malta 12,6

Bulgarien 12,5Tschechische Republik 11,5

Deutschland 11,0Lettland 9,9

Irland 9,9Estland 9,7

Slowenien 9,6Litauen 9,2Zypern 8,8

Österreich 8,2Niederland 7,2Dänemark 6,2

Quelle: Eurostat

Juni 07: Cyp, Est, Lit, Lv, Slo / Mai 07: UK / März 07: Gr, 1

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Arbeitslosenquoten in der EU 27

Anteil der arbeitslosen 15- bis 24- Jährigen an der Erwerbsbevölkerung, harmonisiert und saisonbereinigt,Juli 2007 oder letztverfügbarer Wert

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PRAXISBEISPIELE

in 1.000

Vereinigtes Königreich 682,4Deutschland 650,6

Frankreich 616,4Spanien 447,3

Polen 383,5Italien 377,8

Rumänien 192,3Niederland 103,7Schweden 92,7

Griechenland 90,6Portugal 89,0Belgien 77,2Ungarn 63,6

Slowakei 57,3Finnland 54,8

Tschechische Republik 51,2Österreich 49,4Bulgarien 37,9

Irland 35,5Dänemark 27,8

Lettland 15,1Litauen 12,9

Slowenien 10,7Estland 7,5

Malta 4,2Zypern 3,3

Luxenburg 2,2

Quelle: Eurostat Wirtschaftskammer

Juni 07: Cyp, Est, Lit, Lv, Slo / Mai 07: UK / März 07: Gr, 1 Österreich

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Arbeitslosenquoten in der EU 27

Zahl der arbeitslosen 15- bis 24- Jährigen ain 1.000, harmonisiert und saisonbereinigt,Juli 2007 oder letztverfügbarer Wert

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PRAXISBEISPIELE

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II. Zeitarbeitsunternehmen und Arbeitsagenturen – Coopetition in Theorieund Praxis zum Abbau der Arbeitslosigkeit und im Besonderen de Lang-zeitarbeitslosigkeit – ein Erfahrungsbericht aus Österreich

Flexibilisierungstendenzen am ArbeitsmarktZu den wesentlichen Entwicklungen der letzten Jahre, die zu der Forderung nach mehr Fle-xibilität in der Arbeitsorganisation geführt haben, zählen einerseits die Globalisierung derWirtschaft, die vor allem die geschützten nationalen Märkte in Frage stellt, andererseitsdie mit der Globalisierung einhergehende Technologisierung der Arbeit, die zu einer Be-schleunigung der Arbeitsprozesse führt und diese in den nächsten Jahren weiter verändernwird sowie ein weitaus höheres Maß an Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse.

Um im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu bleiben, haben sich auch die Produkti-ons- und Absatzbedingungen der Betriebe grundlegend verändert. Eine verstärkte Bereit-schaft der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter zu Flexibilisierung ist gleichsam eine „ge-meinsame Überlebensstrategie“ geworden. Diese Sichtweise wird heute stärker denn jeauch von den betrieblichen und überbetrieblichen Sozialpartnern geteilt.

Trends in der Arbeitswelt und ihre Implikationen für Unternehmen und Mitarbeiter:

Arbeitswelt Unternehmen Mitarbeiter

Deregulierung Nutzung v. Freiheitsgraden Employability

Globalisierung Neue Märkte Neue Lernformen

Digitalisierung Neue Produkte Neue Anforderungen

Technologisierung Neue Dienstleistungen Neue Berufsbilder

Nachfrageschwankungen Neue Produktionstechniken Neue Qualifikationen

Liberalisierung Employability Neue Arbeitsformen

Rationalisierung Wissensmanagement Neues Leistungsverständnis

Quelle: Flex-Ability, Christian Havranek (Hrsg.)

In Bezug auf quantitative Flexibilität der Mitarbeiter können in Unternehmen unter-schiedliche Flexibilisierungsstrategien unterschieden werden. Das „atmende“ Unterneh-men nützt interne Personalressourcen, um eine Anpassung an das Arbeitsvolumen mithilfevariabler Arbeitszeitmodelle zu erreichen (Nutzung von Gleitzeit, Arbeitszeitkonten,

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PRAXISBEISPIELE

Überstunden, Teilzeit usw.). Ergänzt wird die betriebsinterne Flexibilisierung durch eine Un-ternehmensstrategie, welche die Ersetzbarkeit und zeitliche Flexibilität in den Vordergrundstellt (Nutzung von befristeter Beschäftigung, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit).

Die neuen Strategien der Unternehmer stellen auch an die Beschäftigten neuartige und ho-he Anforderungen. Sie müssen nicht nur flexibel und mobil sein, sondern auch bereit zurständigen Weiterentwicklung und Fortbildung, um ihre Beschäftigungsfähigkeit (em-ployability) zu erhalten und ihre Arbeitsmarktchancen zu wahren. Voß/Pongratz haben zurBeschreibung dieser neuen Anforderungen den Begriff des „Arbeitskraftunternehmers“geprägt. Die Zunahme von flexiblen Arbeits- und Beschäftigungsformen führt dazu, dasssich das Leitbild des Arbeitnehmers an das des Unternehmers annähert und damit auch dieentsprechenden Chancen und Risiken ähnlicher werden. Die veränderten Anforderungenbieten den Beschäftigten einerseits neue Entfaltungsmöglichkeiten, sind gleichzeitig aberauch im erwerbsbiografischen Verlauf mit neuen Risiken verbunden. Die moderne Dienst-leistungswirtschaft fordert von jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin, dass sie mehrals „Unternehmer“ und weniger als „Unterlasser“ agieren. Jeder Arbeitsplatz ist am Erfolgdes Unternehmens unmittelbar oder mittelbar beteiligt. Ist dies nicht eindeutig erkennbar,besteht Rationalisierungspotenzial.

Bedeutung befristeter Arbeitsverhältnisse in der Europäischen UnionDer Kommissionsbericht „Beschäftigung in Europa“ weist darauf hin, dass anpassungsfä-hige, qualifizierte Arbeitskräfte, berufliche Mobilität, Arbeitsplatzsicherheit und flexibleFormen der Arbeitsorganisation der Schlüssel zur Erhöhung der Produktivität in Europa,zur Förderung der Arbeitsplatzschaffung und zur Anhebung der Beschäftigungsquoten imSinne der Ziele des Lissabon-Prozesses sind.

Auch ist in den meisten Ländern eine zunehmende Vielfalt an Arbeitszeitmodellen zu be-obachten. So waren beispielsweise in Österreich im Jahr 2002 bereits mindestens 18 % derBeschäftigten auf Teilzeitjobs beschäftigt, 6,2 % waren auf Grundlage eines befristetenVertrages beschäftigt und 10,9 % waren selbständig erwerbstätig.

Entwicklung von Zeitarbeit in ÖsterreichZeitarbeit ist ein Mittel bedarfsorientierter Personalplanung mit dem kurzfristige perso-nelle Engpässe rasch behoben werden können. Mitarbeiter „just in time“ rekrutieren zukönnen, bietet die Möglichkeit, sowohl mittelfristigen (im Rahmen eines Konjunkturzy-klus) als auch kurzfristigen Nachfrageschwankungen (wie Schwankungen im Auftragsvo-lumen, wetterabhängiges Tourismusaufkommen) entsprechen zu können.

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PRAXISBEISPIELE

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Deutliche Tendenz zu flexibleren Beschäftigungsformen in den Jahren 2002 bis 2006 (ausgewählte Länder)

SelbständigLeiharbeit Teilzeit Befr. Verträge Erwerbstätige

EU-25 - 2006 - 18,7 14,7 15,0

AUT > 1,9 18,0 - 21,8 6,2 - 9,0 10,9 - 12,0

BE > 2,0 18,3 4,6 - 8,7 13,6 - 13,5

DK > 0,3 18,3 - 23,6 5,9 - 8,9 8,0 - 8,4

DE > 1,0 19,2 - 25,7 10,0 - 13,9 10,0 - 11,1

FR > 2,1 12,9 - 17,2 10,2 - 13,5 9,7 - 10,3

IT > 0,6 6,3 - 13,3 7,0 - 13,1 23,4 - 24,6

LU > 2,3 10,8 - 17,1 3,3 - 6,1 7,4 - 7,6

NL > 2,6 34,8 - 45,5 5,0 - 15,6 11,1 - 12,2

PT > 1,5 2,4 - 11,3 19,2 - 20,6 25,4 - 23,2

FI - 8,1 - 14,0 13,2 -16,4 12,3 - 12,3

SE 1,0 14,0 - 25,1 8,6 - 17,3 10,2 - 10,4

UK 4,7 22,2 - 25,5 3,2 - 5,8 11,4 - 13,0

Definition: Gesamtzahl der jeweiligen Beschäftigungsform als Prozentsatz der Beschäftigten insgesamt;

Leiharbeitsquote betrifft das Jahr 2004; Quellen: CIETT, AKE, Eurostat

Gleichzeitig übernimmt der Überlasser weitgehend das Arbeitgeberrisiko, der Beschäfti-ger zahlt nur für die tatsächlich gearbeiteten Stunden. Hinzu kommt, dass für den Be-schäftiger keine Such- und Auswahlkosten für das benötigte Personal anfallen.

In Österreich ist in den letzten Jahren eine kontinuierliche Zunahme von Zeitarbeitsver-hältnissen zu verzeichnen. Zum Stichtag 31. Juli vergangenen Jahres haben auf Basis derVerlautbarung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit in Österreich 1608 Un-ternehmen 66.688 Zeitarbeitskräfte überlassen, um 12,5 % (im Vorjahr noch 27 %!) mehrals zum gleichen Stichtag 2006. Der nach wie vor deutliche Anstieg bestätigt die anhal-tende Tendenz zur Flexibilisierung der Arbeit.

Gemessen an der Zahl der unselbständig Beschäftigten waren dies bereits 2,1 % (nach 1,9 %im Jahr 2006). Damit hat sich der Anteil seit 1998 von 1,0 % mehr als verdoppelt, und auchfür 2008 wird ein weiterer, wenn auch moderater Anstieg erwartet. Die Prognosen lassenbis 2010 ein weiteres Wachstum auf 3,5 % realistisch erscheinen – dies gilt auch, oder ge-rade, für Zeiten konjunktureller Abschwächung.

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Die überwiegende Anzahl an überlassenen Arbeitskräften entfällt mit rund 80 % traditio-nell auf Industrie und Gewerbe. Sehr stabil ist auch die Geschlechterverteilung mit einem19-%igem Frauen- und 81-%igem Männeranteil. Die größte Gruppe der überlassenen Ar-beitskräfte stellen mit nahezu 72 % die männlichen Arbeiter dar. In der Gruppe ausländi-scher Arbeitskräfte ist der ArbeiterInnenanteil sogar fast 95 %.

Rund 64 % der ArbeiterInnen stehen unter 6 Monaten in einem Beschäftigungsverhältnis,während die Angestellten zu mehr als 50 % über 12 Monate überlassen werden.

In diesem Bereich besteht auch eine deutliche Tendenz zur Übernahme in reguläre Dienst-verhältnisse. Bei Österreichs führendem internationalen Personaldienstleister Trenkwal-der liegt der so genannte Klebeeffekt im kaufmännischen Bereich bei nahezu 40 %, beiArbeitern bei ca. einem Drittel.

Zeitarbeit – Wege aus der Arbeitslosigkeit?Eine Studie von Dr. Berthold Vogel vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) in Göt-tingen hat Zeitarbeit aus Sicht der Beschäftigten dargestellt und dabei einen Schwerpunktauf den Aspekt der (Re-)Integration am Arbeitsmarkt gelegt. Eröffnen also der Einstieg inZeitarbeit und befristete Beschäftigungen neue Perspektiven auf eine stabile Arbeits-marktintegration oder setzen diese Beschäftigungsformen Prozesse beruflicher Gefähr-dung in Gang? Das Ergebnis der Forschungsarbeit ist in vieler Hinsicht praxisnah und ziel-gerichtet ausgefallen.

Die Studie unterscheidet vier Typen von Zeitarbeit.Erster Typ: Streben nach betrieblich-sozialem Aufstieg. Dem Eintritt in Zeitarbeit geht mehrheitlich eine stabile Beschäftigung infolge guter be-ruflicher Qualifikation voraus (oft eine handwerkliche Ausbildung). Der Weg in die Zeit-arbeit wird bewusst in Kauf genommen, um sich beruflich bzw. betrieblich zu verbessern;das heißt, eine instabile Beschäftigung dient dem eigenen betrieblichen und sozialen Auf-stieg. Die Befragten steuern mit Hilfe dieser Beschäftigungsform gezielt den lokalenGroßbetrieb an, der nicht nur verbesserte Bedingungen hinsichtlich Entlohnung oder Ar-beitszeit bietet, sondern dessen fest angestellte MitarbeiterIn zu sein, auch das eigene so-ziale Prestige erhöht (Zeitarbeit als Resultat strategischer Überlegung). Da die Übernah-mequoten des Großbetriebes aus Befristung und Zeitarbeit in eine Festanstellung erfah-rungsgemäß hoch sind, rechnen sie sich gute Chancen aus, ihr Ziel zu erreichen. Den Ty-pus des Um- und Aufsteigers aus dem Handwerk in die besseren Verdienstmöglichkeitender Großindustrie ist nicht neu – neu ist, dass der Um- und Aufstieg von einer Zwischen-phase der Befristung bzw. Zeitarbeit begleitet wird.

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Zweiter Typ: Suchen nach dem Einstieg in stabile Erwerbsarbeit. Vertreter dieses Typus suchen im Unterschied zum ersten Typ aus Arbeitslosigkeit oderPhasen der Nichterwerbstätigkeit aktuell einen Einstieg in eine stabile Erwerbsarbeit. Siesuchen nach einer Möglichkeit, Arbeitslosigkeit zu beenden, und akzeptieren Zeitarbeit alseinen Weg in stabile Erwerbsarbeit. Es steht daher die Frage der Entlohnung derzeit nichtim Vordergrund, sondern in erster Linie der Wiedereinstieg in Erwerbsarbeit – verbundenmit der Hoffnung, dass Zeitarbeit und Befristung eine kontrollierbare, mit der aktuellenLebenssituation in Einklang zu bringende Übergangsphase in der Erwerbsbiografie dar-stellen.

Dritter Typ: Durchhalten in dauerhafter Gefährdung.Im dritten Typus finden sich Zeitarbeiter und Befristete, deren Erwerbslaufbahn in denletzten Jahren verstärkt durch eine „Kette“ sich wiederholender Zeitarbeit geprägt war.Zeitarbeit und befristete Beschäftigung haben sich in den Erwerbsbiografien dieser Ar-beitskräfte verstetigt. Die Zwischenzone der Zeitarbeit ist zu einem dauerhaften Aufent-haltsort geworden. Zeitarbeit zieht Zeitarbeit nach sich, und damit kommen sie dem Ziel,einen Weg in dauerhafte Beschäftigung zu finden, nicht näher. Dennoch richten sich ihreAnstrengungen darauf, im Arbeitsmarkt zu verbleiben, um der wirtschaftlichen und so-zialen Gefahr von Arbeitslosigkeit zu entgehen.

Vierter Typ: Absteigen in beruflich und sozial deklassierende Beschäftigung. Die befristet Beschäftigten und Zeitarbeiter dieses Typs weisen in der Regel eine langjäh-rig stabile Erwerbskarriere auf, die aber auf Grund wirtschaftlicher oder persönlicherGründe unterbrochen wurde. Eine Rückkehr in stabile Beschäftigung ist seither nicht mehrgelungen. Dieser Typus ist, im Unterschied zu den Beschäftigten des dritten Typs, mit ei-nem beruflichen und sozialen Abstieg in seiner Erwerbsbiografie konfrontiert. Die aktu-elle Tätigkeit wird als weiterer deklassierender Tiefpunkt im bisherigen Erwerbslebenwahrgenommen. Um wieder einen Weg in die Erwerbsarbeit zu finden, sehen sie sich ge-zwungen, im Hinblick auf die Qualifikation der Tätigkeit und/oder der Entlohnung Kon-zessionen am Arbeitsmarkt zu machen, da sie ansonsten Gefahr laufen, völlig aus dem Er-werbsleben verdrängt zu werden. Diese Situation strahlt negativ auf die privaten und fami-liären Lebensverhältnisse aus. Zeitarbeit und Befristung werden daher als beruflicher Ab-stieg empfunden, der die wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen entsprechend belastet.

Die Studie zeigt somit unterschiedliche erwerbsbiografische Wege und persönliche Er-fahrungen auf, die mit Zeitarbeit verbunden sind. Einerseits dienen Zeitarbeit und befri-stete Beschäftigung als Brücke in ein stabiles Erwerbsleben, andererseits bietet Zeitarbeitjenen, die nur eingeschränkt konkurrenzfähig am Arbeitsmarkt sind, die Möglichkeit zu-mindest temporärer Beschäftigung.

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Zeitarbeitsfirmen – seit 1994 wichtige Kunden des AMSDer in den letzten Jahren zu beobachtende Trend zur Zeitarbeit schlägt sich auch im Ran-king der Top-ten-Kunden des AMS nieder. Dessen Geschäftsbericht 2006 weist unter den10 größten Kunden (gemessen an den gemeldeten offenen Stellen) allein 7 Arbeitskräfte-überlasser aus. Die Trenkwalder Österreich GmbH ist seit Mitte der 90er-Jahre der bei wei-tem größte Geschäftspartner des AMS Österreich – 2006 mit nahezu 8000 gemeldetenStellen und einer Besetzungsquote von fast 40 %. Der Durchschnitt bei allen Personal-dienstleistern lag 2006 bei 24 %. Auch diese Werte sind Ausdruck der besonderen, quali-tätsorientierten Geschäftspartnerschaft zwischen Trenkwalder und dem AMS-Österreich.

Im Jahr 2007 war eine deutliche Reduktion der Arbeitslosigkeit in Österreich zu ver-zeichnen und damit auch eine schwierigere Abdeckung der von Zeitarbeitsfirmen gemel-deten offenen Stellen – die Quote ging daher in der Branche auf knapp über 20 und beiTrenkwalder auf 35 % zurück.

Um die Zusammenarbeit auch formal zeitgemäß zu dokumentieren, haben beide Partnerden Abschluss einer Kooperationsvereinbarung vorbereitet, welche die Kommunikations-und Leistungsstandards, die Kontaktstellen und Reaktionszeiten als gemeinsam erarbeite-te Ziele verbindlich festlegt. Das AMS hat für seine wichtigen Kundenbeziehungen eineKey-Account-Betreuung eingerichtet und in ähnlicher Form existieren personell eindeuti-ge Zuständigkeiten aufseiten der Trenkwalder-Geschäftsführung und in deren operativemGeschäft zu den AMS-Geschäftsstellen, Bildungspartnern und Ausbildungszentren eben-so wie zu Sozialökonomischen Betrieben, Rehabilitationszentren und Beratungsstellen.

Eine ähnliche Zusammenarbeitsvereinbarung ist seitens der Bundesagentur für Arbeit inDeutschland mit den Zeitarbeitsfirmen im April 2006 vereinbart worden.

Laut der Richtlinie zur Entgegennahme offener Stellen nimmt das AMS Aufträge von Ar-beitskräfteüberlassern entgegen, wenn die Merkmale eines versicherungspflichtigenDienstverhältnisses vorliegen.

Neben der telefonischen Bekanntgabe offener Stellen bietet das AMS für seine Kunden eineinteraktive Kundenschnittstelle für Stellenveröffentlichungen und BewerberInnensuche an.

Nach einer zentralen Registrierung können mit dem AMS abgestimmte Jobprofile demFirmenprofil angefügt und als Auftrag zur Besetzung einer offenen Stelle oder auch meh-rerer Stellen definiert werden. Je nach Vereinbarung kann für jedes Jobprofil das Matchingin Selbstbedienung oder durch Experten des AMS durchgeführt werden. Es erfolgt eineautomatische Rückmeldung der Auftragsübernahme an das Unternehmen. Nach Durch-führung des Abgleichs mit der AMS-BewerberInnen-Datenbank werden über die interak-

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tive Schnittstelle die Treffer (Bewerberdaten – Name, Telefonnummer, E-Mail Adresse)angezeigt. Rückmeldungen über Bewerbungen werden durch das Unternehmen in codier-ter Form direkt in die AMS-Datenbank eingetragen.

Jobprofile können aktiviert (suche) oder deaktiviert (derzeit kein Bedarf) werden. Diesbringt beiden Marktpartnern erhebliche Kosten- und Zeitvorteile.

Die Zunahme flexibilisierter Arbeitsverhältnisse provoziert bei Arbeitnehmern natürlichnach wie vor Ängste und Unsicherheit. Daher kommt der kompetenten Beratung auf bei-den Marktseiten – durch Zeitarbeitsfirmen wie den Arbeitsagenturen hohe Bedeutung zu.Geschieht dies in geeignetem Rahmen, profitieren Wirtschaft, Arbeitsagentur und der in-dividuelle Arbeitsuchende gleichermaßen von der professionellen Kooperation.

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PRAXISBEISPIELE

III. Erlanger Hauptstraße – Straße ins LebenEine Aktivität der Erlanger Serviceclubs

Die oft scheinbar ausweglose Situation auf dem Arbeitsmarkt für Hauptschüler war An-lass, ein Projekt anzustoßen, um der wirtschaftlichen, sozialen und menschlichen Notla-ge junger Mitmenschen zu begegnen. Der Öffentlichkeit sollte vor Augen geführt wer-den, dass Jugendarbeitslosigkeit nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein gesell-schaftliches Problem darstellt. Die Mitmenschen sollten darüber hinaus aber auch wahr-nehmen, dass Hauptschüler meist besser sind als ihr Ruf.

Konkret sollte Hauptschülern der achten Jahrgangsstufe geholfen werden, sich rechtzei-tig mit Themen der Berufsbildung, der gesellschaftlichen Integration, der Persönlich-keitsbildung und der Lebensbewältigung auseinanderzusetzen – die Grundvoraussetzun-gen, um sich bessere Chancen beim Eintritt in das berufliche und gesellschaftliche Lebenzu erarbeiten. In dem Projekt wurden die Hauptschüler an Praktikanten- und Lehrstellenherangeführt, wobei den Vermittlungsbemühungen intensive Tests ihrer Befähigungenund Neigungen vorangingen.

Das Projekt wurde auf die Säulen Hauptschule-Gesellschaft und Hauptschule-Wirtschaftgestellt. Der Projektteil Hauptschule-Gesellschaft wurde unter Begleitung erfahrenerMitglieder der Erlanger Serviceclubs bearbeitet. Die Hauptthemen dabei waren Persön-lichkeitsbildung, gesellschaftliche Integration sowie Bewältigung von Problemen destäglichen Lebens. Zu Service- oder Wohltätigkeitsclubs haben sich vielerorts die ver-schiedensten Clubs wie Lions oder Rotary zusammengeschlossen. Die Erlanger Service-clubs wurden durch industrielle Sponsoren, die Kommune, kirchliche Organisationen unddurch verschiedene Vereine unterstützt.

Im Projekt Hauptschule-Wirtschaft wurden 240 Hauptschüler einem aussagefähigen psy-chologischen Eignungstest unterzogen. Nach dessen Ergebnissen wurden sie nach Befähi-gung und Neigung in Praktikumsstellen von Firmen aus den Club-Netzwerken vermittelt.

Unter Anleitung von Lehrkräften und Studenten der pädagogischen Hochschule sowiefachlicher Begleitung durch Entwicklungswissenschaftler wurden die Hauptschüler ge-führt. Psychologen, Mediziner, Fachkräfte aus Industrie und Wirtschaft, allesamt Mit-glieder des Erlanger-Serviceclubs, haben ihr Wissen zur Verfügung gestellt und die be-teiligten Hauptschüler systematisch gefördert. Die Ergebnisse ihrer Arbeit konnten dieHauptschüler an den 12 Präsentationsstandorten in der Erlanger Hauptstraße der Öffent-lichkeit vorführen.

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Obwohl die komplette Auswertung des Projekts andauert, lässt sich schon jetzt feststellen:

Das Projekt hat mitgeholfen, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen. Die Jugendlichenwaren mit Begeisterung dabei; die Arbeit hat sich für alle Beteiligten gelohnt.

Die Idee – passgenaue Lehrstellenvermittlung durch exakte Kompetenzermittlung –fand bei den beteiligten Arbeitgebern großen Zuspruch. Viele waren von den Qualifi-kationen der Hauptschüler überrascht. Vorurteile bezüglich Disziplin und Verhaltens-muster konnten deutlich abgebaut werden.

Die Jugendlichen waren durch ihre Beteiligung selbstsicherer geworden und konntenmit ihren eigenverantwortlichen Aktionen die Öffentlichkeit sensibilisieren und beein-drucken.

Die Erlanger Serviceclubs wollen ihre Aktion nachhaltig gestalten und sie deshalb bald-möglichst wiederholen. Die frühzeitig schon in das erste Projekt einbezogene Bundes-agentur für Arbeit wird für den zweiten Anlauf weitgehend die Kosten übernehmen. DieCo-Finanzierung ist durch Sponsorengelder gesichert. Ehrgeiziges Ziel ist es, das Erlan-ger Projekt zu einem Modellfall auszubauen, der landes- oder sogar bundesweit Vorbild-charakter hat.

Schon aus dem ersten Projekt ließen sich wertvolle Erkenntnisse ziehen: Unter anderemsoll beim nächsten Mal die medizinische Betreuung ausgebaut und intensiviert werden, umdie gesundheitliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu verbessern und ihre Chancen aufdem Arbeitsmarkt zu stärken. Des Weiteren wird an den psychologischen Tests gefeilt wer-den, um sie noch zielgenauer zu machen – auch die Vermittlung von Lehrstellen soll wei-ter verbessert werden.

Zudem treten immer wieder Probleme auf, wenn ein Jugendlicher in die Kompetenz meh-rerer staatlicher Stellen fällt. Die Hauptproblematik liegt in Bayern zum Beispiel in der Zu-ständigkeit dreier Ministerien – und zwar für Arbeit und Sozialordnung, Unterricht undKultus sowie Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz.

Die Hinführung zur Arbeitswelt muss für Hauptschüler bereits in der fünften Jahrgangs-stufe beginnen. Die interne Evaluation bezüglich der Ausbildungsreife von Hauptschülernmuss zu einer Selbstverständlichkeit werden. Es lohnt sich, möglichst viele junge Men-schen bereits während der Schulzeit besser und intensiver auf den Schritt ins Berufslebenvorzubereiten, anstatt sie mit teuren Maßnahmen nach Schulende auf einen Beruf vorzu-bereiten. Präventives Eingreifen verhindert später unverhältnismäßig hohe Folgekosten.

PRAXISBEISPIELE

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BÜRGER- UND FREIWILLIGENARBEIT

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Bürger- und Freiwilligenarbeit im Ehrenamt

In Deutschland übt nahezu jeder 3. Bürger verschiedenster Altersgruppen über 14 Jahrenicht selten über viele Jahre hinweg eine ehrenamtliche Tätigkeit aus. Auf Grund der letz-ten Ergebnisse des 2. Freiwilligensurveys der Bundesregierung aus dem Jahr 2004 ( Mei-nungsforschungsinstitut TNS Infratest Sozialforschung, im Auftrag des Bundesministeri-ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) sind das mehr als 23,4 Millionen Men-schen, die sich ehrenamtlich engagieren und freiwillig bestimmte Aufgaben und Tätigkei-ten zum Beispiel bei der Freiwilligen Feuerwehr, in Sportvereinen oder politischen Par-teien und im sonstigen allgemeingesellschaftlichen Leben im Rahmen der Vielfalt des Ver-einslebens übernehmen. So trifft man im sportlichen Bereich die ehrenamtliche Tätigkeitvor allem dort, wo es sich nicht um eine professionelle Sportausübung handelt und zwarauf Führungsebene, bei Übungsleitern und einzelnen Mitgliedern. Und auf dem Feld derPolitik finden sich sowohl Bürgermeister wie auch Stadt- und Gemeinderäte im Ehrenamt.

Engagement Einzelner so nötig wie nie zuvorGrundsätzlich lässt sich behaupten, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bewältigung ge-sellschaftlicher Aufgaben über die Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten geleistet wirdund somit in seiner Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Man kann da-von ausgehen, dass auf Grund der gravierenden gesellschaftlichen Strukturwandlungs-prozesse der letzten Jahrzehnte – beispielsweise dadurch gekennzeichnet, dass es dieGroßfamilie kaum noch gibt, die Institution der Ehe immer stärker beeinträchtigt ist, dieAlleinerziehung zunimmt, sich „Patchwork“-Familien bilden, die Wirtschafts- und Ar-beits(markt)-gegebenheiten usw. sich im steten Wandel befinden – das bürgerschaftliche,soziale Engagement zur Bildung neuer Strukturen und Netzwerke heute mehr denn je not-wendig ist.

Im Vergleich zum 1. Freiwilligensurvey aus dem Jahr 1999 hat sich ein Plus von 2 % eh-renamtlich engagierter Menschen ergeben; zugleich stieg die Bereitschaft zu einem derar-tigen Engagement von 26 auf 32 %. Da der Staat die zivilgesellschaftliche Verantwortung– zu der er über das ihm wesensimmanente Gemeinwohl-Prinzip verpflichtet ist – aus fi-nanziellen Gründen nicht mehr allein tragen kann, ist ihm diese Entwicklung in hohemMaße recht. Nimmt man die Herrschaftsform „Demokratie“ ernst, so beinhaltet sie ei-gentlich von vorneherein ein bürgerschaftliches Engagement, um die soziale Sicherung,das kulturelle Leben und die wirtschaftliche Gestaltung zum Wohle aller gewährleisten zukönnen.

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BÜRGER- UND FREIWILLIGENARBEIT

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Die genannte Studie zur Bürger- und Freiwilligenarbeit listet 14 verschiedene Bereiche eh-renamtlicher Aktivitäten auf:

11 % im Bereich Sport und Bewegung7 % in Kindergarten und Schule

5,5 % in Kultur und Musik5,5 % im Bereich Soziales Ehrenamt (stärkste Zunahme seit 1999)

5 % in Freizeit und Geselligkeit2 % im Bereich Politisches Ehrenamt

als weitere Bereiche gelten: Berufliche Interessenvertretung,Rettungsdienste/Feuerwehr, Naturschutz/Tierschutz, Gesundheitswesen und Justiz

Gerade wegen der uneingeschränkten Vielfalt ehrenamtlicher Tätigkeit herrscht jedochkein Konsens über die Inhalte des Ehrenamtes, was wiederum an den unterschiedlichenInteressiertheiten, Anliegen und Zielen zu liegen scheint.

Sicher lassen sich ein paar grundlegende Kriterien zur Charakterisierung ehrenamtlicher Tätigkeit nennen:

individuelle Bereitschaft,persönliches Engagement,spontane Handlungsbereitschaft unduneigennützige Mitarbeit.

Zudem kann man davon ausgehen, dass die ehrenamtlich Tätigen in aller Regel nicht im-mer ausgesprochen für den jeweiligen Bereich ausgebildet sind und die eigentliche Moti-vation aus spezifischem Interesse, Betroffenheit, religiös-karitativer Überzeugung, gesell-schaftlichem und sozialem Verantwortungsbewusstsein oder lediglich aus Freundschaftentspringt. Dabei stellen junge Menschen zwischen 14 und 24 Jahren eine der aktivstenGruppen in der Bevölkerung – mit 36 %, die sich bereits engagieren und 43 %, die zumEngagement bereit sind. Das Engagement erwerbstätiger Frauen hat seit 1999 besondersstark zugenommen.

Angesichts der demographischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte verwundert es nicht,dass ältere Menschen im Alter ab 60 Jahren die deutlichste Steigerung des freiwilligen En-gagements von 26 auf 30 % vorweisen. Zugleich ist ein ständiges Anwachsen des Enga-gementpotenzials der 60- bis 69-Jährigen zu erkennen.

Im Zusammenhang mit dem Gesamtthema dieses Memorandums gewinnt die Frage nachdem freiwilligen Engagement arbeitsloser Mitbürger an besonderem Interesse. Mit der in

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BÜRGER- UND FREIWILLIGENARBEIT

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den letzten Jahren auf sehr hohem Niveau angesiedelten Arbeitslosigkeit ist sowohl dieQuote als auch das Potenzial für ein freiwilliges Engagement im Ehrenamt deutlich von23 (1999) auf 27 % im Jahr 2004 gestiegen. Auffällig ist bei dieser Klientel, dass sich dasEngagementpotenzial von einst 37 auf 48 % überproportional deutlich auf ein außeror-dentlich hohes Niveau von 48 % gesteigert hat.

Arbeitslose erheben Anspruch auf gesellschaftliche TeilhabeAus diesen Zahlen leiten die Autoren des Freiwilligensurveys vor allem die Erkenntnis ab,dass Arbeitslose mit ihrem hohen Engagement auch einen deutlich verstärkten Anspruchauf gesellschaftliche Beteiligung erheben und zugleich ihre Interessen in den verschiede-nen Tätigkeitsfeldern stärker durchzusetzen versuchen. Damit unterscheiden sie sich in ih-rem gesellschaftlichen Engagement durchaus signifikant von den anderen Bevölkerungs-gruppen, denen es nicht zuletzt um das Bedürfnis geht, im Sinne des Gemeinwohls ande-ren Mitbürgern zu helfen, Spaß an dieser Tätigkeit zu haben und mit sympathischenGleichgesinnten zusammenzukommen.

Auch wenn grundsätzlich erkennbar ist, dass der Anteil freiwillig tätiger Arbeitsloser ge-genüber jenem der Erwerbstätigen um ca. 1 Drittel niedriger anzusetzen ist, so zeigt sich,dass dies vordringlich zu Lasten der Gruppe der Langzeitarbeitslosen geht. Diese Gruppeerweist sich ganz allgemein als weniger an allen Aktivitäten des gesellschaftlichen Lebensbeteiligt. Viele von ihnen haben sich quasi in ihr Schicksal ergeben, sehen die gesell-schaftlichen Bedingungen als schuldhaft an ihrem Schicksal an und sind deshalb auch zukeinem freiwilligen und zumeist unentgeltlichen Engagement für die Belange vorwiegendanderer bereit.

Dabei wäre es gerade für diese Klientel äußerst sinnvoll, durch ein entsprechendes Enga-gement die Bereitschaft erkennen zu lassen, nicht nur für sich, sondern auch für andere dazu sein und dadurch die Fähigkeit zur Re-Integrierung in das wirtschaftlich-gesellschaft-liche Leben unter Beweis zu stellen. Insofern ist das freiwillige Engagement, das „Volun-teering“ gerade für jene Bürger von großer Bedeutung, die über eine derartige Tätigkeitden Weg zurück in die Gesellschaft auch tatsächlich suchen.

Insbesondere die karitativen Verbände haben sich im Rahmen ihrer sozialen Arbeit dahin-gehend geöffnet, dass sie arbeitslosen Menschen die Möglichkeiten zur ehrenamtlichenTätigkeit einräumen. So hat der Deutsche Caritasverband (DCV) Freiwilligenzentren ein-gerichtet, bei denen Zehntausende Arbeitslose mehr als 15 Stunden in der Woche freiwil-lig tätig sind. Zum einen verfolgt man damit das Ziel, eine Chance zu bieten, den betrof-fenen Menschen vor Ausgrenzung zu bewahren und ihm eine Brücke zum Einstieg oderWiedereinstieg in das Erwerbsleben zu bauen. Zum anderen werden Menschen (laut DCV)

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BÜRGER- UND FREIWILLIGENARBEIT

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aufgenommen, die bereit sind, sich füreinander einzusetzen, die sich und anderen die Mög-lichkeit geben, sich zu entfalten, Zugänge zum Leben in der Gesellschaft zu schaffen undschließlich Unterstützung in Notzeiten zu leisten. Insgesamt läuft die Maßnahme auf das Be-mühen hinaus, Solidarität und solidarisches Verhalten in der Gesellschaft stiften zu wollen.

Es muss jedoch davor gewarnt werden, die ehrenamtliche Tätigkeit deshalb in größeremUmfang zu fordern, um in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit die (temporäre) Nicht-Verfüg-barkeit bzw. Nicht-Einsetzbarkeit der betroffenen Personen für den Arbeitsmarkt dadurchkompensieren – oder gar mit Leistungskürzungen des Arbeitslosengeldes oder der Ar-beitslosenhilfe sanktionieren zu wollen. Dies würde dem Recht auf Teilhabe des Bürgersin der Demokratie an der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch selb-ständig und frei gewählte Formen der Bürger- oder Freiwilligenarbeit zuwiderlaufen.

Wenn oben von ‚Volunteering’ die Rede war, so deshalb, weil damit der zumindest im in-ternationalen Raum übliche Begriff aufgegriffen wurde. In Deutschland tut man sich nachwie vor schwer, für das, was mit Volunteering gemeint ist, adäquate Bezeichnungen – un-ter einem Namen zusammengefasst – zu finden. Wir verwenden sowohl die Begriffe Frei-willigen- und Bürgerarbeit, Bürgerengagement, Selbsthilfe oder Ehrenamt:

(vgl. hierzu T. Bock u. H.-W. Bierhoff in: D. Rosenkranz / A. Weber (Hrsg.), Freiwilligenarbeit, München 2002)

Freiwilligenarbeit gilt als Engagement für selbstgewählte Aufgaben, an denen man per-sönlich interessiert ist und die man für sich und andere sinnvoll und nützlich hält,

Bürgerengagement geht auf traditionelle kommunale Selbstverwaltung zurück und fin-det sich im Kommunitarismus und dessen Zentriertheit auf das Gemeinwohl der Zivil-gesellschaft wieder,

Selbsthilfe ergibt sich aus dem Beweggrund, das eigene Schicksal wie auch das andererbeeinflussen und verändern zu wollen,

während das klassische Ehrenamt sich dem allgemeinen Wohl aller Betroffenen in Ver-bänden, Vereinen, in politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Gremien durch per-sönliches Engagement verschrieben hat. Als sonstige Ämter sind etwa Schöffen, Be-treuer und Bewährungshelfer in ehrenamtlicher Ausübung hinzuzuzählen.

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Fasst man all dies zusammen, so wäre die treffendste, im Sinne des Volunteers zu verste-hende Bezeichnung das Freiwilligenengagement. Nach Teresa Bock ist diese gekenn-zeichnet durch:

soziale BindungAnerkennungErlebnisseVerantwortung haben und Einfluss nehmen Verpflichtung gegenüber Menschen oder Dingen

Bürgerarbeit ist niemals Ersatz für ErwerbstätigkeitSetzt man all das Gesagte in Bezug zum Generalthema des Memorandums, so muss deut-lich herausgestellt werden, dass jegliche Form des sozialen Freiwilligenengagements nichtals Ersatz für die Ausübung eines Berufes bzw. einer ständigen bezahlten Erwerbstätigkeitverstanden werden darf. Die eigentliche Intention dürfte zum einen in der Suche nach so-zialen Kontakten mit Gleichgesinnten liegen, um der Gefahr der sozialen Ausgrenzungentgehen zu können; zum anderen ist es in der Regel ein wesensimmanentes soziales Ver-antwortungsgefühl, das einen aus innerer Überzeugung zum Handeln – zum Beispiel in ei-ner karitativen Hilfsorganisation – bringt.

Grundsätzlich ist das Freiwilligenengagement längerfristig über mehrere Monate oder Jah-re hinweg perspektivisch orientiert. Es stellt die temporäre Bindung an eine zumeist so-ziale Organisation, die zum Wohle anderer Einzelner wie auch von Gruppen tätig ist, her.Und schließlich gilt es als bedeutendes Charakteristikum festzuhalten, dass eine berufli-che Verpflichtung ebenso fehlt wie eine direkte Bezahlung der ausgeübten Tätigkeit.

Die Ausübung freiwilliger, ehrenamtlicher Tätigkeiten kann kein Ersatz für fehlende Er-werbstätigkeit darstellen. Sie gewinnt ihren besonderen Wert in ihrer Sozialkomponente,indem sie durchaus Perspektiven aufzuzeigen vermag, die Bereitschaft zu einer Tätig-keitsausübung fördert, der gesellschaftlichen Ausgrenzung begegnet und dem Ehrenamt-lichen/Volunteer das unbezahlbare Gefühl des Gebrauchtwerdens in einer der Solidaritätverpflichteten Gesellschaft vermittelt.

BÜRGER- UND FREIWILLIGENARBEIT

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WARUM MEMORANDEN-FORUM?

Warum Memoranden-Forum?

Es fehlt uns nicht an Wissen. Und trotzdem sind wir merkwürdig gehemmt, wenn es umdie Lösung aktueller Probleme geht.

„Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“ (Roman Herzog, Berlin 1997)

Es kommt darauf an, unverzüglich weiter zu handeln. Wichtiger als die Schnelligkeit istallerdings, dass weitgehend abgesicherte und richtige Reformen eingeleitet werden – ech-te Reformen, die grundsätzlich auch Vertrauensbildung der Bürger unterstützen. Insofernwird auch der Entscheidungsprozess für Reformbeschlüsse verbessert werden müssen.Wir müssen lernen, Reformen als permanenten Prozess zu gestalten. Voraussetzung dafürist eine Bereitschaft zur Veränderung. Dies fängt bei jedem Menschen selbst an. Reformenfolgen demnach dem Ziel, Verbesserungen mit kurz- oder langfristiger Wirkung zu ge-stalten.

Ein lebendiger Wohlfahrtsstaat erfordert Motivation und Bereitschaft zur aktiven Teilhabeder Bürger an Politik, Gesellschaft und Arbeitswelt in formellen und informellen Struktu-ren. Dafür müssen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen stimmen.

Als Mitglieder des Memoranden-Forums haben wir uns auf den Weg begeben, mit Dis-kussionsbeiträgen, praktischen Beispielen und unkonventionellen Ideen notwendige Ver-änderungen zu initiieren und zu begleiten. Dabei sind offener Dialog, passende Kritik undvorbildliche Beispiele wesentliche Elemente.

In Bezug auf die aktuelle Situation in Deutschland sehen wir als wirkliches Defizit einenschwächlichen Gesamtkonsens, unklare Zielformulierungen und diffuse Gesamtkonzep-te. Kommissionsergebnisse ohne einen gesellschaftsphilosophischen Überbau ersetzenkeine Politik.

Auch auf Grund der besonderen praktischen Wirkungsmöglichkeiten befassen wir uns ins-besondere mit den Chancen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und einer aktivierenden Be-schäftigungspolitik – darüber hinaus mit Gesellschaftsphilosophie und deren Rahmenbe-dingungen:Fortschreibung des Sozialstaats, Entwicklung von Veränderungsbereitschaft, Solidarge-

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meinschaft und Selbst-Verantwortung, Persönlichkeit durch Bildung, Bildung als Stand-ort-Faktor gehören zum Themenkreis.

Kritikfreudig, unparteiisch und offen freuen wir uns auf jede Kommunikation!

Das Collegium

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WARUM MEMORANDEN-FORUM?

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BISHER HERAUSGEGEBENE MEMORANDEN

Bisher herausgegebene Memoranden

Memorandum 1/2002:Das Hartz-Konzept: Chancen und Träume

Memorandum 2/2003:Krankenversicherung im Umbruch – Zwischen Solidarität und Subsidiarität

Memorandum 3/2003:Aktive Arbeitsmarktpolitik – Ein Weg zu mehr Beschäftigung

Memorandum 4/2004:Aktivierende Beschäftigungspolitik

Memorandum 5/2005:Jugend und Alter im Blickfeld einer konkurrierenden Arbeitswelt

Memorandum 6/2006:Wertewandel in Schule und Arbeitswelt

Exemplare werden auf Anforderung gerne kostenfrei zugeschickt.

MEMORANDEN-FORUM:

Bonner Impulse für Gesellschaft und Wirtschaftc/o Wolfgang Gärthe · Meisenweg 10 · 63741 Aschaffenburg

Internet: www.memoranden-forum.de

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Wir sind Euro. Seit 1966. Mit „Euro“ verbinden wir Weitsicht, Weltoffenheit, Toleranzund dynamisches Denken. Wir wirken mit an der Idee eines „Europa der freien undgebildeten Bürger“. Und das lange, bevor es „Mode“ wurde. Ein Grund stolz zu sein?Ein bisschen. Vor allem eine Verpflichtung für die Zukunft ...

■ Berufsvorbereitung, Ausbildung, Umschulung, Fort- und Weiterbildung sowohl im kaufmännischen, sprachlichen, gewerblichen und technischen Bereich, als auch im Gesundheits- und Sozialbereich in über 100 Euro-Schulen bundesweit und inOsteuropa (Tschechien, Slowakei, Polen) sowie mit Partnerschulen unter anderemin England, Frankreich, Irland, Italien, in den Niederlanden, Österreich, Portugal,der Schweiz und in Spanien.

■ Individueller Service für Unternehmen und Institutionen im Bereich Mitarbeit-erqualifizierung

■ Arbeitsvermittlung, Vermittlung von Praktika bundes- und europaweit.

Bundesweit zählen ■ 3 staatlich anerkannte Fachhochschulen für Management

(International School of Management Dortmund, Munich Business School und International Business School Berlin) und

■ 2 Fachakademien für Fremdsprachen (Würzburger Dolmetscherschule und Euro-Schulen Bamberg) sowie über

■ 84 staatlich anerkannte bzw. genehmigte Berufsfachschulen im kaufmännisch-sprachlichen Bereich, im IT-Bereich und im Bereich Gesundheit und Soziales

zur Qualitätsgemeinschaft Euro-Schulen-Organisation.

Ferner gehören dazu ■ 2 International Business Schools: Ihr Karrierevorsprung ■ 6 Euro-Business-Colleges: Die Alternative zur Universität ■ Euro-Sprachreisen: Weltweit für alle sprach- und reiseinteressierten Geschäftsleute

und Privatpersonen ■ Euro-Communication-Service: Übersetzungs- und Dolmetscherdienst aus allen

Sprachen in alle Sprachen ■ Euro-Umwelt-Consult: Know-how in Umweltfragen■ Logophon: Verlag für moderne Lehrmittel ■ did Deutsch-Institut: Deutsch lernen in Deutschland

www.eso.de

Euro-Schulen-Organisation

WIR QUALIFIZIEREN FÜR IHRE ZUKUNFT

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SeelzeLangenhagen

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