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Aus der fiesehiehte des Hamburger Irrenwesens. Kriminelle fieisteskranke des 17. und 18. Jahrhunderts. Von Prof. Dr. Gerhard Schiifer (Hamburg-Langenhorn). (Eingerjangen am 7. ZTovember 1921.) In einer Festschrift zu Ehren Wollenbergs einen Abschnitt aus der Geschicht.e des hamburgischen Irrenwesens zu bringen, der sich mit kriminellen Geisteskranken befaSt, hut insofern eine Berechtigung, Ms Wollenbergs leidcr nur kurze Wirksamkeit in Hamburg doch yon grundlegender Bedeutung ffir die heutige Stellung der forensischen Psychiatrie in tIamburg gewesen ist. Seine aufkliirende Ti~igkeit f6rderte bei den Gerichten die Erkenntnis, duS es zweckm~[3ig sei, bei zweifelh~ften Geisteszusti~nden ein psychiatrisches Gutachten einzu- holen, und seiner fiberzeugenden Vertretung dieser Gutachten gelang es aueh, ihnen die ve/'diente Beachtung zu verschaffen. ~ber das hamburgische Irrenwesen friiherer Jahrhunderte findet sich eine ~bersicht in Kirchhoffs Gesehichte der deutschen Irren- pflege (Berlin 1890, Hirsehw~ld). Die Quellen flieften nur sp~rlieh. Von dem Zeitraume nach 1693, yon welchem Jabre an die Geisteskranken in dem sog. Pesthof untergebracht worden sein soUen, sagt Kirch- hoff (S. 136): ,,0bwohl keine n~heren Nachrichten fiber die folgenden 100 J~hre vorliegen, so ist doch als sicher anzunehmen, dal~ die Lage der Geistes- kranken sich nicht besserte, denn der Pesthof wurde immer mehr mit Siechen iiberftillt." In diesen dunklen Zeitraum, aus welchem mir nur ein Berieht yon 1729 des Dr. Lossau fiber die G~rtnerstoehter Jelmfels bekannt ist {vgl. Weygandt, Die Entwickelung der tIamburger Irrenfiirsorge, Psych. Neurol. Woehenschr. i920/21, N'r. 7 u. 8), werfen nur Doku- mente einiges Licht, die ich auf der Suche naeh Material zur Gesehichte des hamburgischen Irrenwesens im Archly des Allgemeinen Kranken- hauses St. Georg land : Die yon 1675 bis in die neueste Zeit fast ltiekenlos gefiihrten Protokolle der Leichnamsgesehworenen im Pesthof, deren Stellung dort der der heutigen Provisoren der Irrenanstalten iihnelte und deren Verhandlungen deshalb besonders ergiebig sind in den Fragen,

Aus der Geschichte des Hamburger Irrenwesens. Kriminelle Geisteskranke des 17. und 18. Jahrhunderts

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Page 1: Aus der Geschichte des Hamburger Irrenwesens. Kriminelle Geisteskranke des 17. und 18. Jahrhunderts

Aus der fiesehiehte des Hamburger Irrenwesens. K r i m i n e l l e f i e i s t e s k r a n k e des 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t s .

Von Prof. Dr. Gerhard Schiifer (Hamburg-Langenhorn).

(Eingerjangen am 7. ZTovember 1921.)

In einer Festschrift zu Ehren W o l l e n b e r g s einen Abschnitt aus der Geschicht.e des hamburgischen Irrenwesens zu bringen, der sich mit kriminellen Geisteskranken befaSt, hut insofern eine Berechtigung, Ms W o l l e n b e r g s leidcr nur kurze Wirksamkeit in Hamburg doch yon grundlegender Bedeutung ffir die heutige Stellung der forensischen Psychiatrie in tIamburg gewesen ist. Seine aufkliirende Ti~igkeit f6rderte bei den Gerichten die Erkenntnis, duS es zweckm~[3ig sei, bei zweifelh~ften Geisteszusti~nden ein psychiatrisches Gutachten einzu- holen, und seiner fiberzeugenden Vertretung dieser Gutachten gelang es aueh, ihnen die ve/'diente Beachtung zu verschaffen.

~ber das hamburgische Irrenwesen friiherer Jahrhunderte findet sich eine ~bersicht in K i r c h h o f f s Gesehichte der deutschen Irren- pflege (Berlin 1890, Hirsehw~ld). Die Quellen flieften nur sp~rlieh. Von dem Zeitraume nach 1693, yon welchem Jabre an die Geisteskranken in dem sog. Pesthof untergebracht worden sein soUen, sagt K i r c h - h o f f (S. 136):

,,0bwohl keine n~heren Nachrichten fiber die folgenden 100 J~hre vorliegen, so ist doch als sicher anzunehmen, dal~ die Lage der Geistes- kranken sich nicht besserte, denn der Pesthof wurde immer mehr mit Siechen iiberftillt."

In diesen dunklen Zeitraum, aus welchem mir nur ein Berieht yon 1729 des Dr. L o s s a u fiber die G~rtnerstoehter Jelmfels bekannt ist {vgl. W e y g a n d t , Die Entwickelung der tIamburger Irrenfiirsorge, Psych. Neurol. Woehenschr. i920/21, N'r. 7 u. 8), werfen nur Doku- mente einiges Licht, die ich auf der Suche naeh Material zur Gesehichte des hamburgischen Irrenwesens im Archly des Allgemeinen Kranken- hauses St. Georg land : Die yon 1675 bis in die neueste Zeit fast ltiekenlos gefiihrten Protokolle der Leichnamsgesehworenen im Pesthof, deren Stellung dort der der heutigen Provisoren der Irrenanstalten iihnelte und deren Verhandlungen deshalb besonders ergiebig sind in den Fragen,

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welche neben dem i~rztlichen Interesse auch das der Verwaltung in hohem MaBe beanspruchen.

Zu diesen Fragen gehSrt eine, die aueh heute noeh nicht vSllig gel6st ist, allerdings, den jetzigen Verhi~ltnissen entsprechend, neben den Xrzten hauptsgehlich den Juristen Serge macht, das ist die Unter- bringung jener mehr oder minder geisteskranken gemeingef~hrlichen Personen, vor denen die Gesellschaft gesehfitzt werden muB und die doch weder in die Gefa.ngnisse, noch in die Irrenanstalten zu gehSren scheinen.

Wie das eingangs erwiihnte Jahrhundert dariiber dachte, daftir habe ieh aus den mittlerweile dem Staatsarchiv einverleibten Protokollen einige Fi~lle herausgesucht, die ich im folgenden mit giitiger Genehmigung des Herrn Staatsrat Dr. t t a g e d o r n wiedergebe, und zwar, um der Darstellung ihre Eigenart zu erhalten, m6glichst wortgetreu.

Die erklgrenden Zusis verbindenden Abschnitte und aus der Urschrift abgeleitetefl Folgcrungen, die ieh hinzugeftigt babe, sind ats solche ohne weiteres kenntlich.

Gleich der erste Fall gibt Anlag zu des Festste]lung, dal3 die Geistes- lcranken nicht erst 1683, sondern mindestens schon ein Jahr friiher auf dem Pesthofe untergebrach~ waren. ES heil3t n~mlich in dem Protokoll: ,,Anne 1682 ady. 2. Marry Ist auff den Pesthoffe yon einem duramen Menschen eine Morthat an einem Blinden geschehen, der auff dem Gange fiir den Duramen mit ein Messer in der Hand vorbey gehet, sagend Kolunen ( = Kaldauen, Eingeweide, Verf.) Dieb, darauff nimpt er ihm das Messer und stoget ihm darmit in die Brust, dal3 er also baldt darauff stirbt, welches der lorovisor H. Paul Amsinck dem I-I. Gerichts Verwalter angcdeutet und sich befraget wie er sieh darin verhalten sell, darauff ein E. E. Raht sich der Sache angenommen, den Th~ter herein und nach dcr Fronerey bringen und den erstochenen beschreien lassen, darauff wie folget seint, d,ie Herren Leichnab Geschw. Beysammen gewesen." Nachdcm ein anderer unwesentlicher Punkt der Tagesord- nung erledigt war: , ,Begehret" 2) Herr Casten Busch (offenbar der Vorsitzende, Verf.) ,,was yon dem duramen gungen passiret wolle H. Paul Amsing reveriren H. Paul Amsinck antwortet dab er hingwesen des Rah~s protokol gelehsen, dab er zu guter Verwahrung biss zum ewigen Tagen und verstanden dal~ er auf dem Pesthoffe sell genommen werdcn. 3) H. Casten Busch, er habe die Herren desswegen fodern lassen, er k6nnte gar nicht demselben auff dem Pesthoffe, weft er tinter Botteles (Btittels, Verf.) Hand gewesen, urtheil und Recht fiber ihm ergangen, und dem Pesthoffe einen Schaden dadureh m6chte zugeftiget werden, eonsentiren und auffnehmcn. Beschlossen das I-Iauss sey nicht darzu." Da man sich offenbar bei den weittragenden Folgerungen eine sichere t~echt.sgrund- lage sehaffen wollte, ~Terliel3t Herr Casten Busch das ,,Memorial des

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Pesthoves" und dann wird ,,nochmahls Beschlossen", ,,dag solche Leute nieht darauff konnen genommen werden und ersuchen die Herren Leichnambs Geschw. Herrn Amsinck und Herrn Anckelman, der sich erbeut, Herrn Fegesack solches anzudeuten, damit keinen Sprueh zu Rahte desswegen mSge herausskommen und andere Gelegenheit m6ge geschaffet werden". Der Ra t scheint dem GehSr gegeben zu haben, denn es finder sieh weiteres nicht fiber diese Angelegenheit.

Erst 25 Jahre spgter tauehte die gleiehe Frage wieder auf. 1726 namlieh ,,D. 25 Sept: seint H. Leichnambs Geschworene alss H. Bauch H. Rohde H. 3/[611er H. Stolley H. Darnedden, H. Meckenh~usser H. Pfausch H. Paeher auf dem Rahthausse versammelt gewesen, da dann der praeses It . Baueh proponi: Daft der H. Sindieus Sehltiter, mit dem Herrn provisor Graven gesproehen und ibm angebraeht daft er s~o guht sein mSchte auf dem Pesthoffe anstalt zu machen, weil E. E. g a h t gewi]let wehre, Hennings, der nunmehro seine Straffe und 15j~hriger gefangensehafft zu Ritzebiittel iiberstanden, auf d e m Pest = hole in siehere Verwahrung bringen zu lassen, da ffir die Freunde dem Pest = hofe jghrl: 100 M. (Mark Bank:o, Verf.) Kost Geld zugeben sieh ver- bindlich maehen sollen, weill nun dieser Hennings Bekanndter Massen eine Infame Persohn der in Bfittels h~nden und 6ffentlieh am Kack (Pranger, vergl. J. L. v. Hef t , Hamburg, topographisch, politisch and historiseh beschrieben, Hamburg 1810, Briiggmann, S. 237, Verf.) aussgestriehen ist, so verlange er zu wissen, wass und wie den H. Sindieo zu antworten sey

Conelusum Well dieser Hennings eine Infame Persohn und bereits in Btittels h~nden gewesen, auch am Pranger 6ffentlich aussgestrichen ist, der Pest =-hoff abe t ftir keine gesunde Infame und aussgestrichene Persohnen, sondern fiir Ehrliche Armb Elende und Presshaffte Menschen gewitmet ist, den Speissemeister der sein Dienst mit grossem Gelde erkaufft auch nicht zu gemuhtet werden mag, mit solehen bSsen Infamen Leuten sich zu vermengen, vielweniger ihrer zu hiieten und aufsieht auf sie zu haben, welches seinem Ampte und Bestallung schnur Straeks zn wieder sein wfirde, alss ist dieses an seinen beyden H. Secretario bestens zu Dekli- niren." - - Es kSnnte, wenn yon ,,gesunden Infamen" die gede war, fraglich erseheinen, ob der Hennings iiberhaupt ein Geisteskranker war. In unserem Sinne war er das vermut]ieh ; in dem damaligen rech- nete man aber manche nicht dazu, die nach dem heutigen unbedingt dazu gehSren. So z. B. werden in einem Protokoll vom 19. VII . 1707 ,,die etwa mit der Bangigkeit ineommodiret oder sonstigen aecidentien" (also die ~r u. dgl.) ausdriicklich den ,,Tollen und Wahn- sinnigen" gegeniibergestellt. Ffir die ]etzteren, die eigentlichen Geistes- kranken, war d e m ,,Speisemeister" eine besondere Vergfitung ,zu

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g6nnen", w~hrend sie fiir die erstoren ,,niebt zu dulden" war . So wird man auch den Hennings wohl nur in de m Sinne als geistesgesundon Infamen angesehen haben, als or nicht geradezu toll und wahnsinnig war, wi~hrend man andererseits doch das Krankhafte an ihm, das seine Gemeingefi~hrlichkeit auch noch naeh 15 j~hriger Einsperrung vermuten lieg, erkannt haben muB, denn sonst ist nicht einzusehen, weshalb man ihn gerade auf dem Pesthofe in Kost und Verwahrung geben wollto. Auch in diesem Falle ist tier Posthof offenbar dare r bewahrt gebliebon, den unliebsamen Gast nehmen zu m/issen.

Anders im letzten der yon mir gefundenen F~lle, der, naeh den verh~ltnism~Big sehr umfangreichen, darfibcr aufgenommenen Proto- kollen, damals viel Staub aufgewirbelt hat.

,,Ao 1732 d. 8. Marty, ist auf vorherige Ansago des H. Prasidis Cord Rohde das L6bl. Collegium derer HIt . Leichnambs, als auch der I-I. Provisor Lucas Beckman auf dem Pesthoffe des Morgens umb 10 Uhr beysammen gewesen in completer anzahl, unb wegen des groben und i~rger]ichen exeessus, so der dumme Claus Lohmann unter wehrenden Gottes Dienst an Ihr well Ehrwiirden dem H. Pastor Wtirtzer ausgeiibet. Es wiirden beyde Sehriften, so d. H. Pastor dem praesidi gegeben 6ffent. lich verlesen" . . .

,,Promemria (sic, Verf.) Wegen dos in der Pest--hers Kirchen ohnl~tngst vorgefallenen

Excesses DaB der so genante dumme Class, am Sontage Quinquagesima ]aufonden 1732 Jahrs, den Pastoin aufm Posthofe naeh der Predigt beym singen der Collecte vor dem Altar bosshaftig attaquiret und mit F~usten geschlagen, Dossen sich Pastor auch nicht erwehren k6nnen, big ibm die Gemoine, welche anf~nglieh gleichsam dartiber orstarrot, zu h/life kommen. Weswegen Pastor ersuchet, das grebe Collegium derer" Ti t t : Herren Leichnambs ~ Gesehwornen, nebst denen Wohl- weison Herrn Praetoribus zu convociren und diesen greuliehen Exess vorzutragen, damit so wohl der b6se Bube, ~lss auch der Speissemeister aufm Pesthoffe gestrafft werden. Und zwar der Bube iim folgende Uhrsachon willen :

1) Well er den Pastoren also angegriffen, dag derselbe entweder den Ted, oder sonst einen unersotzliehen Schaden am Gemiithe, davon habon k6nte, woven er sieh noeh nieht frey sch~tzet, weil ihm der Schreck noch in allen Gliedern so wohl, alss im Gemiithe, lieget; dagegen die gobrauebende Medicamenta bissher noch wonig angeschlagen.

2) Woil der Bube an dem Heyh Amt sieh so entsetzlieh und dazu 5ffentlich, vergriffen, welches ja wohl mehr, alss ein St raf ten=Raub zu aehten ist.

3) Weft er andern seinesgleichen ein h6ehst = ~rgerlich Exempel gegeben, die es ihm bald nachthun, oder es wohl noch ~irger maehen

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m6chten, Da ohne dem das gemeine Volk, insonderheit solche elende und Gottlose Leute, alss auf dem Pesthole befindlich, den Predigern nieht gar zu gewogen daher Pastor seines Lebens ~ selbst bey seinem ohne dem so sehr besehwerliehen Ambte, nicht sieher w~re, wo dieser Missethgter nicht ernstlich gestraffet wiirde.

4) Weft zwischen dem Pastoren und diesem Buben gar keine Ver- gleichung ist, und dieser iim so viel mehr wieder gesehlagen oder ge- strafft werden mu~, da er sich nicht gescheuet, an dem Pastore seine Fauste zu fiben.

5) Weft er nieht lediglich alss ein Mensch ohne allen Begriff ange- sehen werden kan. Der ibm e r s t l i c h Pastor nicht ohngefi~hr aufge- stolen, sondern der Bube ist demselben mit vorsetzlieher Bossheit auf dem Altar naehgegangen. Z u m a n d e r n~ so ist er alle andere Leute vorbey gelauffen und hat s dessein den Pastoren angegriffen, zweifels- frey in Absieht, weft derselbe ihm nicht als% alss andere Leute wieder- stehen kSnte. I ) r i t t e n s , da endlich andere Leute zu getreten, den Pastoren zu retten, ist er weg gelauffen, wie das mit Zeugen dargethan werden kan. Und diss h~tte er auch nieht gethan, so er ohn allen Ver- stand gewest wi~re.

0 b nun zwar der Missethi~ter den Staupbesen sehr wohl verdienet, der ihm ~uch vielleicht wfirde zuerk~nt werden, wo Pastor~zu gerichte gehen miiste, so liel~e sieh doch Pastor gefallen, wen E. HochlSbl: Collegium ihn ~ufm Pest - - hole abstraffen lassen wolfe. Welches abet 5ffentlieh fiihr der Gemeine geschehen miiste, weft er die Bossheit 5ffentlieh gethan. Etwa, doch ohnmassgeblich, dergestalt, dal~ er einige Sontage nach der Predigt am Pfahl aufm Pest ~ hole getagelt, und so dan Zeitlebens in eine I~oje gelegt wiirde. Es w~ixe den, dass er ein- mah] vSlligen Verstand wieder bekiim% da er billig yore Hole ab, und zur Arbeit angewiesen wiirde, weft er ohne dem ein Baum ~ - S t a r k e r Kerl ist.

Der Speissemeister aber mfiste um folgender Uhrsache willen, etwa in eine Namhaffte Geld Straffe, dem Pesthoffe zum besten eondemniret werden.

1) Well er den Kerl, wenigstens w&hrenden Gottesdienstes, nicht einspeiren lassen, wie sein Amt erforderte, und Pastor offt eriinnert hat. Er abet dennoeh die duramen und bosshafften leute gewShlflieh also frey heriimgehen l&st, die nicht nur sonst viel Sehaden thun kSnnen, da sie mit brennenden Tobacks - - pfeiffen allenthalben hinlaufen, sondern aueh sich an Leuten vergreiffen~ wie nun dieser gantz excessive easus genug erwiescn hat. Pastor aber hat yore Pesthole den Begriff~ dal~, gleieh wie bettli~gerige ~ensehen ins Kranken Hauss, und die gehen kSnnen, in die Kammern, also Dumme und tolle in die Kojen, oder an~ dere Einsperrungen gehorn.

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2) Well der Speissemeister also Ursaches an diesem Excess und dem nach allerdings straffbahr ist, Dcnn so cr zum Exempcl seinen grol3en Hund, welchen er an der Ket te aufm Pesthole liegen hat, vorsctzlich gehen Hesse, und derselbe there Schadcn, w~re es ja yon ihm zu fordern. wie vielmehr, da Er einen solchen Ertz ~ B6sewieht ohngeacht alles Erinnerns, so frey gehcn ]assen, und nun daher die Bossheit kommen ist! So hat auch Gott der Herr selbst Exod. X X I . 29. verordnet, dal~, wo ein st6ssiger Ochse Schaden there, nicht allein der Ochss, sondern auch der Eigenthfimer, der ihn h~tte versberren sollen, zu straffen.

3) Weft cr den Buben noch dazu gegen dcm H. Provisore ent- schuldiget, und sein K i r c h e n = u. Abendmahl gehen vorscbiitzet, es sey dissmahl also geschehen u. s. f. worauss zu vermuthen, dass ihm die passirte rencontre fast nicht so gar fibel gefallen. Und ist auf solche kahle Einwenelungen gar leicht zu antworten. Alss e r s t l i c h , dass er vom Abendmi~hl schwi~tzet, so ist diescr Mensch niemahls aufm Pest- hole dazu gelassen worden. Z w e i t e n s , dass er fleissig zur Kirchen gangcn, ist eben quaestionis obes recht gewescn! Den er w~hrenden Gottcs Dienstes vielmehr h~tte eingesperret wcrden sollen. Es kommen auch Hunde in die Kirche, abet sie gehSren nicht hinein. Und ist dieser Bube, wie ein Hand, in der Kirche wi~hrender Predigt fiber alle Bi~nke gestiegen, 6ffters aus und ein gelauffen, hat unter der Predigt in der Kirchen Toback geschmaucht, u. s. f. D r i t t e n s dass er ein- wendet, es sey nun einmahl also geschehen, ist falsch, denn eben dieser :B6sewicht schon hiebevohr des Schulmeisters seiner Frauen kleiner Bruder hut wollen fiber die Gallerie oder Gang aufm Pesthole herunter werfen. Welches er vielleicht einem andern nach thun wollen, der scin eigen Kind hie also urns Leben gebracht.

Wo aber die Sache beym Hochl6bl: Collegio nicht debatt iret werden k6nte, hoffet Pastor, dass man ihm die nSthige Process ~ Kosten vom Pesthofe refundiren, und sich deswegen an dem Speissemeister erholcn werden, wel l ihm di]3 malheur aufm Pesthoffe, dutch des Speissemeisters verschuldung arriviret.

In dessen ersucht Pastor, ihm ein paar vernfinftige starke Leute yore 1)esthoffe zu zugeben, die sein wahr nehmen, wenn er in Amts- geschi~fften begriffen. Da er nicht gemeinet, seine Ehre und Leben also ferner zu hazardiren. Womit w~re es guht zu machen, wenn der Bube ein Messer ergriffen, und dem Pastoren in die Rieben gestol]en hi~tte! Oder auch dergleichen noeh kiinfftig gesch~he! Wie den wohl ehe solche Gottlose Menschen aufm I)esthoff sich selbst und a n d e r e umgebracht, dazu ~ama et vita pari passu ambulant . . 2'

Es folgen nun allerhand Erw~gungen, yon denen nicht sicher zu sagen ist, ob das Kollegium sic angestellt ha t , oder ob sie einen An- hang zum Memorial des Pastors bilden. Ich nehme ersteres an.

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46 (~. 5ehafer: Aus der (leschichte des Hamburger lrrenwese~ls.

,,Errinnerung wegen des pers6nliehen Erscheinens. Antw. worfim ~.~ Anzeigung der Saehe ist yore Tit. Herrn Praside naeh den 5Iemorial gesehehen. Verantwortung ist unn6htig, darinn Pastor ist pars laesa. [st aneh dazu Sonnabend. ~'Ian hat such die Tit. t th. Praetores wie ersueht, nieht dazu gebeten. Pastor wird nieht taers6nlieh denun- zieren. Einer sagt diss, der andere dass, worauf unm6glieh kurtz zu antworten, dem scheinet alss k6nte man nichts zu dem sagen, was man vorbey gehen lgsst~ Exemp: I-Iuss, will man etwas beantwortet haben, das kan sehrifftlieh besser gesehehen. Pastor bleibt indessen bey slier I-Ioehaehtung, sowohl des gesamten Collegiii alss eines jeden desselben ~em br i in sonderheit

Zwey Hauptsaehen sind zu debattiren, i) die Bestraffung des Delinquenten v. 2) des Speissemeisters fiber

beide punete sind im Memorial gewisse argumente angefiihret, welche m6ehten ponderiret werden. So denn zwey Neben - - Saehen, alss 1) kfinfftig bessere Ordnung wegen der Duramen v. Tollen auffm Pest- hole. 2) die Aeeordirung der Prozesskosten, wo die Saehe geriehttieh .wiirde. Denn Pastor ja nieht in eulpa ist, such nieht im geringsten. U n d e r die Affalre well sic das I-Ieil: Amt touehiret nieht wohl ohne seine prostitution yon Rev: Ministerio und allen ehr liebenden Leuten also hingehen lassen kan.

t t ierneehst ersuehet Pastor um sehrifftliehe Copiam des Conelusi weils ihn ja angehet, u n d e r billig diesen Excess hoeh empfindet."

Gegen die Anzeige des Pastoren miissen vor der Verhandlung ,,Einwendungen': erhoben worden sein, natfirlieh yon dem Speise- meister, wie, abgesehen yon der inneren Wahrseheinliehkeit, aus der ganzen Tendenz des zweiten Sehriftsatzes des Pastoren hervorgeht.

, ,Beantwortung der Einwendungen. 1) Wegen nieht Untersehreibung des Memorials. Antw: Es ist

keine formliche Klage, darff aueh yon dem Pastore nieht erwiesen worden, weil es res faeti publiei, so die gantze Gemeine gesehen. Pastoris absieht ist, das Hoeh = LSbl : Collegium m6ehte, such ohne sein gesueh, yon selbst die Saehe ahnden den er, alss ein Geistlieher, ungerne Kliiger seyn wolfe, wie er such nieht seyn will. Es ware den, dass manihmMeine Satisfaction geben wolte, so er abet nieht meinet oder besorget.

2) Sagt man: Pastoris Ehre kSnte yon einem tollen Kerl nieht be- sehimloft werden. Antw. Is t so viel, alss wenn man sagte: Ein toller Menseh kSnnte einen EhIliehen Mann nieht garstig machen, wen er ihn gleieh mit Unflath bewiirfe.

3) Pastor whre ~on dem Buben nieht geschlagen. Antw: So mug man einen ehrliehen Man erst sehlagen, e h e e r siell etwas soll zu Ge- miithe ziehen? Zudem hat er den Pastoren mit beiden zusammen gefasseten Fgusten zu beiden Seiten auss allen Kr~fften an das JcIaupt

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geschlagen, wie d a s mit Zeugen dargethan werden kan. Aber man reacher noch d~zu raillerie davon, alss da einer gesagt: der Kerl hat te dem Pastoren die Peruque ein wenig zureeht gesetzet, was man den maGhen wolte.

4) Es ware ein roller Kerl, der die That begangen, was man den- selben vie1 straffen solte? Antw: Herr BSckmann weiss, dass eben dieser roller Kerl: zur Zeit seiner Jahr Verwaltung eines Excesses hMber, der lange dicsem nicht beykommt, am Pfahl getagelt Worden. Pastor weiss, dass der dumme Jost, da er nach der Speissemeistersch geschlagen, ob er sic gleich nicht getroffen, ist in die Koje gelegt, v. biss dato nicht wieder zum vorschein kommen. Aber an dem Pastorn ist nichts ge- legen.

5) Er hat te nicht kSnnen in die Koje gesetzet werden, well e r v o r Jahren mit zum Abendmahl gangen. Antw: So das geschehen ware, entsehuldigte es nicht alas geringste, den wen er zum Abendmahl ge- schickt ist, kan er's empfangen, wen er abe t toll ist, muss er in die Koje. Ex. Peter Ziegler Aus (unleserlich, Verf.) In Summa: Pastor ist hoch empfindlich beleidiget: da will man mit solchen nichtigen Einwen- dungen 1) Er sol1 keine SatisfaGtion haben. 2) Noch Schimpf und ver- druss mehr dazu. Endlich nimt sieh Pastor diese teufliche Begeben- heit mehr zu gem/ihte, alss ware er tausend Thaler schiildig worden. Und wtirde sein Amt nochmehr, wig bissher, mit Seuffzen thnn, so man ihn hierin night assistircte. Er weiss selbst am besten, woher die ohn- langst gehabte t6dtliche Krankheit , so auf die Apoplexie geziehlet, bekommen. Und wet weiss, was auf diese 1%enGontre einmahl erfolgen mSchte, so es Gott nicht gn~tdig verhiite."

Nun ,,mtiste der Spefssemeister Hamelburg herein treten und wiirde Er gJ rage t , da eine Ordnung ware~ dass unter wehrendem Gottes Dienst alle duramen Leute eingesperret werden sollten, wariimb Er dan solehes nicht gethan, wo durch dann ein so sehandlieher Excess ware verhfi tet worden. Er antwortete, Er hat te befohlen, dass Sic solten eingesperret werden, und bewiess mit Zeugen, dass Ers noch vor ktirtzer Zeit gethan, J a gar aus der Kirehen geruffen h~tte Es zu thun, worauf Er eine scharfe reprimande krigte, fimb ins kiinfftige bessere Ordnung zu halten, und selber mit darauf zusehen.

Was nun das boshaffte und h6chst iirgerliche factum des duramen Claus Lohmanns betrifft, so ware Er zwar sehr hart zu bestraffen, Indem Er sich so gottlos an den H. Pastoren vergriffen und ein solehes Scandal in der Kirchen verfibet und zwar unterwehrendem Gottes Dienst, Es hat abet das LSbl: Collegium in Erwegung gezogen, dass Es ein dummer Kettle, So ohne Verstand lebet, und dahero commisera- tion mit Ihm zu haben ist, jedoch billig gestrafft werden muss, so woll zur Satisfaction des H. Pastoris alss auch zum Sehreck und Andenken

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48 G. Sch~tfer: Aus der Oeschichte des Hamburger Irrenwesens.

anderer duramen Leut% dass Sie sich daran spiegelln k6nnen, ob Er schon 14 tage in der Koje gesessen, und mit Wasser und Brod getr~nket und gespeiset worden, als ist beschlossen, dass Er so]l ~orgen als am Sontage l~eminiscere nach der Predigt eine Stunde am Pfahl geschlossen und braf getagelt werden, und soll Er die zwey darauf folgende Sontage nach der Predigt gleichfalls eine Stunde am Pfahl geschlossen, aber nicht getagelt werden. Von diesem Sohluss ist dem FI. Pastori durch den Schulmeister sofort Nachricht hinterbracht worden. Da d If. Pastor auch verlanget hat, daft Er drey Schliissel zu denen Cantzelln haben wolfe, damit Er dieselbe verschliessen k6nte, so seynd Siege. macht und Ihm iiberliefert, ~uch seynd dem H. Pastori zwey starke Kerrle zu seiner Sicherheit gegeben worden, welche Er wehrendem Gottes Dienst zu befehlen hat.

Worauf der Speissemeister Hamelburg wieder hereingefodert, und gesaget wiirde, was Er an den duramen Claus exequiren lassen solte, auch dass Er die 2 Leute, so d H. Pastor zu seiner Sicherheit hitte, Ihm wehrendem Gottes Dienst zu seiner disposition lassen, wie nicht weniger woll acht haben solte, das die duramen Leute unterwehren- dem Gottes Dienst eingesperret werden. Ihm wiedi'igen fall Es zu seiner schweren Verantwortung gereichen wiirde."

Dal] man die getroffenen Entscheidungen nach unseren Anschau- ungen nicht billigen kann, ist selbstverstindlich: ein Geisteskranker d~rf nicht~ geschlagen, an den Pfahl gebunden und bei Wasser und Brot eingesperrt werden. Man darf aber dem Kollegium aus seinem Urtefl keinen Vorwurf machen, im Gegenteil m.uf~ man anerkennen, dal~ es seine weitreichende (richterliche) Machtbdugnis mal~voll gebraucht hat. Die hentige Zeit ist in der ,,Hum~nit~t" gegen die kriminellen Geistes- kranken manchmal schon reichlich weir gegangen. Es ht~ngt das mit einem Mangel unserer Gesetzgebung zusammen, die strafrechtlich nut Geistesgesunde und Geisteskranke kennt. Ein grol~er Tell der Rechts- brecher abet paint nicht in dieses Schema, geh6rt vielmehr in ein Zwischen- gebiet zwischen Gesundheit und Krankheit; er muf~ als ,vermindert zurechnungsftthig" fiir sich beuIteilt werden und bedarf einer gesonderten Unterbringung in Anstalten oder Anstaltsabteilungen, welche diesen Verhi~itnissen in irgend einer Form Rechnung tragen. MSge eine kiin~tige ,Gesetzgebung bald den richtigen Weg hierzu finden.