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Limbotanz der Niedrigpreise Die Billig-Welle hat die Autovermieter erfasst. Experten warnen vor den langfristigen Folgen der „Aldisierung“ VON HILMAR POGANATZ, BERLIN Markige Sprüche liegen bei den Autovermietern derzeit im Trend. Erich Sixt beherrscht das Klappern zum Handwerk genauso gut wie seine Konkurrenten: „Ich werde zuschauen, wie die Easycars dieser Welt Pleite gehen“, verkündete Deutschlands Mietwagen-Marktführer, als er Ende Mai die Konzerntochter Sixti an den Markt brachte, um den neuen Konkurrenten im Billigsegment das Wasser abzugraben. James Rothnie, Sprecher der britischen Easycar, die bereits in fünf europäischen Ländern im Billigsegment aktiv ist, spottete noch kurz zuvor in Anspielung auf Sixt: „Dinosaurier haben das Problem, dass sie nur weitere Dinosaurier gebären können“. Die vollmundige Ankündigung, noch in diesem Jahr in den deutschen Markt einzusteigen, haben die Briten indes zurückgenommen, nachdem nun schon drei deutsche Vermieter mit Tagespreisen unter 10 Euro werben: Sixti, die Berliner Navicar, und die VW- und Europcar-Tochter Interrent. Im letzten halben Jahr ist der Niedrigpreismarkt schlagartig gewachsen. Während die neuen Anbieter bereits hohe Umsätze prognostizieren, warnen Experten vor einer langfristig schädlichen „Aldisierung“ der Branche. Seitdem Navicar, Ableger des inzwischen gescheiterten Baudienstleisters MVS, im November Kampfpreise von neun Euro pro Tag für Frühbucher auf die Straße gebracht hat, ist auf dem Markt der Autovermieter eine Preisschlacht entstanden, die offenbar durch die Umwälzungen im Flugreiseverkehr angeregt wurde. Wie der Tiefpreis-Flieger Hapag-Lloyd Express wirbt auch Interrent damit, „günstiger als ein Taxi“ zu sein. Die Tarife setzen bei neun Euro pro Tag

Billig-Autovermieter Analyse

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Nach den Billigfliegern kamen die Billigautos. Eine Analyse des Trends. Aus der Financial Times Deutschland, 2003.

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Limbotanz der Niedrigpreise Die Billig-Welle hat die Autovermieter erfasst. Experten warnen vor den

langfristigen Folgen der „Aldisierung“

VON HILMAR POGANATZ, BERLIN

Markige Sprüche liegen bei den Autovermietern derzeit im Trend. Erich Sixt beherrscht das Klappern zum Handwerk genauso gut wie seine Konkurrenten: „Ich werde zuschauen, wie die Easycars dieser Welt Pleite gehen“, verkündete Deutschlands Mietwagen-Marktführer, als er Ende Mai die Konzerntochter Sixti an den Markt brachte, um den neuen Konkurrenten im Billigsegment das Wasser abzugraben. James Rothnie, Sprecher der britischen Easycar, die bereits in fünf europäischen Ländern im Billigsegment aktiv ist, spottete noch kurz zuvor in Anspielung auf Sixt: „Dinosaurier haben das Problem, dass sie nur weitere Dinosaurier gebären können“. Die vollmundige Ankündigung, noch in diesem Jahr in den deutschen Markt einzusteigen, haben die Briten indes zurückgenommen, nachdem nun schon drei deutsche Vermieter mit Tagespreisen unter 10 Euro werben: Sixti, die Berliner Navicar, und die VW- und Europcar-Tochter Interrent.

Im letzten halben Jahr ist der Niedrigpreismarkt schlagartig gewachsen. Während die neuen Anbieter bereits hohe Umsätze prognostizieren, warnen Experten vor einer langfristig schädlichen „Aldisierung“ der Branche.

Seitdem Navicar, Ableger des inzwischen gescheiterten Baudienstleisters MVS, im November Kampfpreise von neun Euro pro Tag für Frühbucher auf die Straße gebracht hat, ist auf dem Markt der Autovermieter eine Preisschlacht entstanden, die offenbar durch die Umwälzungen im Flugreiseverkehr angeregt wurde. Wie der Tiefpreis-Flieger Hapag-Lloyd Express wirbt auch Interrent damit, „günstiger als ein Taxi“ zu sein. Die Tarife setzen bei neun Euro pro Tag ein. Sixt, mit über 30 000 Wagen deutscher Branchenprimus, legt die Stange beim Schwindel erregenden Limbo-Tanz der Niedrigpreise sogar noch tiefer an. Den Ford Focus gibt es bei entsprechend früher Buchung ab acht Euro, den kleinen Smart ab fünf Euro am Tag.

„Diese Entwicklung ist direkt mit der Entwicklung bei den Low-Cost-Airlines vergleichbar“, meint der Bonner Tourismusexperte Bernhard Boeffgen, Partner der Strategieberatung Simon, Kucher & Partner. Die Billig-Autovermieter nutzten ähnlich wie Ryanair oder Germanwings die bekannten Einsparungspotenziale: Die Reduktion auf wenige Fahrzeugmodelle, bessere Kapazitätsauslastung durch lange Buchungsfristen, geringerer Service oder Buchung nur per Internet. Allerdings seien Kostenreduktionen nicht im gleichen Maße möglich wie in der Luftfahrt.

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Skeptiker warnen zwar, dass ein ungehemmtes Wachstum des Billigsektors den Autovermietern langfristig schaden werde; Die Vermieter jedoch wollen sich die Wachstumschancen im Privatkundengeschäft nicht entgehen lassen. Erich Sixt, der mit mehr als 1 000 „Sixti“-Autos eingestiegen ist, will noch im Sommer auf 1 500 aufstocken, und bis 2008 eine Flotte von 15 000 Niedrigpreis-Wagen aufbauen. Angepeilter Umsatz 2004: 10 Mio. Euro. Konkurrent Europcar ist mit lediglich 100 VW Golf-Modellen am Standort Berlin eingestiegen, will allerdings schnell wachsen. Angepeilter Umsatz im nächsten Jahr: 12 Mio. Euro. Navicar-Gründer Sigurd Schönherr verfügt aktuell über 1 200 Autos an 25 Stationen. Für das nächste Jahr sind 200 Standorte angepeilt. „Wir haben uns in den ersten Monaten schon viel schneller entwickelt als erwartet“, sagt Schönherr. Navicar erziele eine Flotten-Auslastung von bis zu 90 Prozent.

Die großen Erwartungen basieren auf der Annahme, durch die attraktiven Preise Kunden anlocken zu können, die sich zuvor keine Mietwagen geleistet haben. Zudem schöpfen sie aus den deutlichen Prognosen für den Markt der Billigflieger: Die Strategieberatung Monitor Group München prognostiziert den Billig-Airlines bis 2010 ein stabiles Wachstum von jährlich ungefähr 20 Prozent und stützt sich dabei auf die Befragung von 1 200 Flug-Kunden. „Zusätzliches Wachstum wird insbesondere durch die so genannten neuen Passagiere generiert“, erläuterte Thomas Herp, President Central Europe der Monitor Group bei der Vorstellung der Studie. Ihr zufolge würden 59 Prozent der Befragten ohne die neuen Angebote gar nicht mit dem Flugzeug verreisen. Eine Befragung von 234 Ryanair-Passagieren durch Simon-Kucher & Partner kam vor einem Jahr zu einem ähnlichen Ergebnis. Doch auch bei den Neukunden ist ein Vergleich mit Einschränkungen verbunden. Anders als die Billigflieger seien Navicar und Co. durch ihre restriktiven Bedingungen kaum geeignet für das Firmenkundengeschäft, das immerhin 45 Prozent des Mietwagenmarktes ausmacht, sagt Boeffgen.

Trotzdem: „Das untere Preissegment wächst weiter“, ist auch Roland Conrady, Professor für Touristik-Verkehrswesen an der Fachhochschule Worms, überzeugt. Mit 60 Prozent Neukunden sei in einem Land mit über 40 Millionen Privat-Pkws allerdings nicht zu rechnen. „Ich rechne ganz grob mit 30 bis 40 Prozent.“ Die „Aldisierung“ sei unaufhaltbar und greife auf alle Bereiche des Tourismus über: „Bald kommt das Thema Billighotels auf“, vermutet Conrady. Es sei jedoch fraglich, ob es sich dabei um gesundes Wachstum handele. So mache es kurzfristig durchaus Sinn, während der Rezession Überkapazitäten billig auf den Markt zu werfen. „Langfristig schaden sich die Anbieter jedoch massiv, weil sie das Preisniveau nachhaltig absenken“, fügt der

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Tourismusexperte hinzu. „Auf lange Sicht ist das kein vernünftiges Ertragsmanagement.“ Wenn die Konjunktur wieder anziehe, wolle man die „minderwertige Nachfrage“ schließlich gar nicht mehr bedienen wollen, käme aber dann von den einmal erreichten Tiefstpreisen nicht mehr ab.

Der Bundesverband der Autovermieter Deutschlands (BAV) ist noch kritischer: „Wir glauben nicht, dass sich der Kuchen im Mietwagengeschäft wesentlich vergrößern wird“, spielt Geschäftsführer Klaus Langmann-Keller auf die Marktentwicklung der letzten Jahre an. Der Umsatz der Autovermieter in Deutschland ist BAV-Schätzungen zufolge in den letzten drei Jahren von 2,35 Mrd. auf voraussichtlich nur noch 2 Mrd. Euro in 2003 zurückgegangen. Gleichzeitig ist die Zahl der Anbieter von 800 auf rund 650 geschrumpft. „Der Markt ist groß genug für mindestens drei Billigvermieter“, meint nichtsdestotrotz Navicar-Gründer Schönherr. Conrady hält diese Schätzung für ziemlich optimistisch. Allerdings räumt er wie Boeffgen besonders den unabhängigen Neugründungen wie Navicar bessere Chancen ein als den Ablegern der Etablierten: „In der Luftfahrt hat man gesehen, dass die Muttergesellschaften den Billigtöchtern stark ins Geschäft hineinregieren.“

Die Einstiegs-Euphorie weicht langsam einer größeren Vorsicht: Die britische Easycar, das Vorbild der neuen Billigvermieter, zögert inzwischen mit ihrem Einstieg in Deutschland. Auch der größte Autovermieter der Welt, die Ford-Tochter Hertz, hält sich beobachtend zurück. Avis plant indessen eine Neuauflage der Marke „Budget“ als Mittelding zwischen den neuen und alten Vermietern. Der Zeitschrift Capital sagte Dieter Woitscheck, Chief Operating Instructor von Avis-Europe, dass Budget bis Ende des Jahres an den Markt gehen könnte. Aber: „Budget wird kein Billiganbieter sein. “ Man wolle den Service nicht komplett reduzieren und „die enttäuschten Kunden der Low-Cost-Anbieter“ einfangen.

Georg Tacke und Michael Schleusener von Simon-Kucher weisen in einem Aufsatz zur Luftfahrt auf die gestiegene Bedeutung des „Preis-Image“ hin: Gebucht wird bei denen, die als günstig gelten. Die Ryanair-Studie hatte gezeigt, dass fast die Hälfte der befragten Passagiere sich gar nicht erst nach den Tarifen anderer Gesellschaften erkundigt hatte. Die Schlussfolgerung der Marktforscher dürfte den Etablierten zu denken geben: „Kunden, die keinen Preisvergleich mehr vornehmen, sind von anderen Anbietern nur noch schwer zu erreichen.“