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STREIT DER WOCHE www.taz.de [email protected] 14 FREITAG/SONNABEND/SONNTAG, 30. APRIL/1./2. MAI 2010 DIE TAGESZEITUNG Brauchen wir die Pille noch? VERHÜTUNG Nach ihrer Zulassung vor 50 Jahren in den USA wurde die Antibabypillle als Meilenstein der Emanzipation gefeiert. Heute ist sie das Verhütungsmittel Nummer eins – trotz Risiken für die Gesundheit rechten Auf- marsch am 1. Mai in Berlin stattgefunden hat, ist ein Blo- ckadetraining von Neonazis. Fotos und Videoclips im Inter- net zeigen die Rechtsextremis- ten, wie sie das Durchbrechen von Blockaden üben. Nun ist es nicht das erste Mal, dass Neona- zis von der linken Szene abkup- fern. Den Autonomenlook ha- ben sie übernommen, das Auf- treten in einem geschlossenen schwarzen Block auch. Und selbst die Parole „Kapitalismus ist Krise“ wird von den Rechten genutzt. uf den ersten Blick gibt es keinen großen Unterschied zum Blockadetraining von lin- ken AktivistInnen: Ein Teil wird mit Polizeiknüppeln ausgestat- tet. Die anderen dürfen so blei- ben wie sie sind: Kapuzenpullis, Sonnenbrille, Baseballcaps und mit schwarzen Tüchern verhüllt bis über die Nase. Sie stellen ganz offensichtlich die Demonstran- ten dar. Es wird auf einer abgelegenen Waldlichtung in Brandenburg trainiert. Nicht so öffentlich wie der Görlitzer Park in Berlin- Kreuzberg. Erst auf den zweiten Blick fällt auf: Was da knapp eine Woche vor dem angekündigten A Carl Djerassi, 86, Chemieprofessor in den USA, ge- nannt „Mutter der Pille“, weil er die Antibabypille erfand Die pharmazeutische Industrie hat leider das Interesse verloren, grundsätzlich neue Verhütungs- methoden für Frauen und für Männer zu entwickeln. Sie rich- tet den Blick voll und ganz auf die Krankheiten in den reichen, al- ternden Länder. Die europäische Familie hat heute im Schnitt nur 1,5 Kinder – was weniger mit der Pille oder anderen Verhütungs- mitteln als vielmehr mit Berufs- wünschen und Lebensent- würfen junger Paare zu tun hat. Daher ist es offensichtlich, wie NEIN nächste frage Die sonntazfrage wird vorab online gestellt. Immer am Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante LeserInnenantwort aus und drucken sie in der nächsten sonntaz taz.de/sonntazstreit Barbara Streidl, 37, Journalistin, Musikerin und eine der Autorin- nen von „Wir Al- phamädchen“ Wie wäre es mit einer Quote für die Pille? Die gynäkologische Praxen, besorgte Mütter und en- gagierte Medien davon abhält, jedem jungen Mädchen automa- tisch zum ersten Lippenstift ein hormonelles Verhütungsmittel in die Schultasche zu packen. Besser erklärt man den Mädchen wichtig Verhütung in diesen Ge- sellschaften ist, vorausgesetzt man predigt nicht die totale se- xuelle Abstinenz: So hat die Pille 50 Jahre nach der Zulassung eine größere Bedeutung als je zuvor. Annähernd 100 Millionen Frau- en auf der Welt haben sich für sie entschieden. Brauchen wir die Pille? Diese Frage sollte den Frau- en in den katholisch geprägten Ländern Lateinamerikas gestellt werden. Hier ist die Zahl der ille- galen Abtreibungen weltweit ei- ne der höchsten. Und diese skan- dalöse Situation in Lateinameri- ka würde sich verbessern, wenn sie ermutigt würden, effektive Verhütungsmittel wie die Pille zu nutzen. Tut die katholische Kirche das nicht, macht es früher oder später die Gesellschaft. erst mal, dass die Pille zwar vor einer Schwangerschaft bewahrt, aber nicht vor ansteckenden Krankheiten (Herpes, HPV, HIV). Das können nur Kondome. Die helfen auch, ein Bewusstsein da- für zu entwickeln, was Sexualität ist. Eben nicht etwas, was alle tun, so ich auch. Sondern etwas, für das ich mich entscheide – oder dagegen. Deshalb ist das Allzeit-bereit-Gefühl, das mit der Pille verbunden sein kann, sehr problematisch. Ebenso wie die Meinung, Verhütung sei doch Frauensache. Fotos: Broze/Reporters/laif, Stanford, SPD, Losier, privat (4), Füssenich JA Gewaltübung auf der Waldlichtung Vor dem 1. Mai üben linke AktivistInnen Verhaken und Verketten in Blockadetrainings. Wie vieles andere haben die Neonazis sich das Konzept abgeschaut. Mit einem Unterschied: Die Rechten setzen auf Gewalt Einen Unter- schied gibt es beim rechten Blockadetrai- ning jedoch: Während linke Aktivisten vor al- lem das Ineinanderhaken üben und trainieren, nicht gleich in Panik das Weite zu suchen, so- bald Polizisten auftauchen, ist das rechte Blockadetraining vor allem auf eins gerichtet: auf kon- frontative Gewalt. Ein zweites Dresden wollten sie nicht noch einmal erleben, heißt es in den einschlägigen Webforen der Rechten, nachdem sich ihr Aufmarsch anlässlich des 65. Jahrestags der Luftangrif- ...................................... FELIX LEE ÜBER POLITIK VON UNTEN Manuela Schwesig, 35, Sozialministe- rin in Mecklen- burg-Vorpom- mern und stellver- tretende SPD-Bundesvorsitzende Die Kritik gerade konservativer Kreise an der Pille ist im Laufe der Jahrzehnte weitgehend ver- stummt, und das ist gut so. Aktu- ell diskutieren wir über die Pille im Zusammenhang mit der kos- tenfreien Vergabe dieses Verhü- tungsmittels an Frauen, die sich die Pille aus finanziellen Grün- den nicht leisten können. Wenn durch diese Notlage ungewollte Schwangerschaften entstehen oder Frauen abtreiben müssen, müssen wir dafür sorgen, dass Frauen unterstützt werden und kostenfrei an die Antibabypille kommen. Kritisch sehe ich die suggerierte Planbarkeit des Kin- derwunsches: Frauen glauben zuweilen, der richtige Zeitpunkt für Kinder könnte geplant wer- den, bis es oft „zu spät“ für Nach- wuchs ist. Wir müssen dafür sor- gen, dass Kinder in der Gesell- schaft immer willkommen sind. Oswalt Kolle, 81, Autor und Filme- macher. Gilt als deutscher „Sex- papst“ und „Auf- klärer der Nation“ Die Pille hat historische Bedeu- tung: Die ganze Frauenemanzi- pation wäre ohne sie nicht mög- lich gewesen. Sie hat die Frauen befreit, aber sie hat auch mich befreit. Wir alle, eine ganze Gene- ration, hatten uns von Monat zu Monat gehangelt mit der Angst: Hat es wieder geschnackelt? Und dann, wenn eine Schwanger- schaft eintrat, die Frage: Wie kriegt man eine Abtreibung hin? So war die Pille eine Befreiung aus der Not. Vielen Männern machte sie Angst, weil die Frauen nun selbst entscheiden konnten, ob sie verhüten. Vorher waren die Frauen darauf angewiesen, wie die Männer sich verhielten. Felicitas Rohrer, 25, Pillenopfer. Aus Gesundheits- gründen kann sie ihren Beruf als Tier- ärztin nicht ausüben Nein, weil die Pille tödliche Risi- ken birgt. Ich habe die Pille Yas- minelle acht Monate lang ge- nommen und bin im Juli 2009 fast an einer doppelten Lungen- embolie gestorben. Ich war für 20 Minuten klinisch tot und musste notoperiert werden. Bei mir ist erwiesen, dass nur die Pil- le dafür verantwortlich ist. Ich besitze keine Blutgerinnungs- störungen, habe nie geraucht und immer Sport gemacht. Heu- te muss ich nicht nur mit der Nahtoderfahrung und den Nar- ben fertig werden – ich muss ei- nen Kompressionsstrumpf tra- gen, die Venen meines linken Beins sind irreparabel geschä- digt, ich bin auf Medikamente angewiesen und in psychologi- scher Behandlung. Was ich esse, wie ich mich bewege, was ich an- ziehe, wie ich lebe – nichts ist mehr wie früher. Ich muss den Rest meines Lebens dafür bü- ßen, die Pille genommen zu ha- ben. Und ich bin kein Einzelfall. Das, was ich und andere durch- machen mussten, rechtfertigt keine Pille der Welt. Michael Mander, 21, Verkäufer und Musiker, hat die sonntazfrage vorab auf taz.de kommentiert Ich würde nicht jeden Tag Hor- mone einnehmen, die meinen Körper verändern, also würde ich auch nicht wollen, dass mei- ne Freundin das tut. Die Hormo- ne sind extremst gesundheits- schädigend und bringen den Hormonhaushalt total durch- einander, zum Beispiel kann es nach dem Absetzen sehr lange dauern, bis die Frau wieder schwanger werden kann. Zudem kann die Einnahme Krebs för- dern. Man kann auch nicht wirk- lich sagen, dass die Menschen über die schädlichen Wirkungen der synthetischen Hormone in- formiert sind. Meine ehemalige Freundin wurde darüber damals beim Frauenarzt nicht aufge- klärt, die Hersteller feiern ihre Produkte sogarals „gesund“. Für mich ist die Pille nur ein weiteres Produkt, mit dem man die Ver- hütung auf die Frau abschiebt – welcher Mann würde bitte eine gesundheitsschädigende Pille für den Mann nehmen? Eben! Aber mit den Frauen kann man’s machen, beziehungsweise sie lassen es mit sich machen. fe auf Dresden am 13. Februar we- gen der vielen linken Blockaden nicht in Bewegung setzen durfte. In den Achtzigerjahren haben militante Neonazis Wehrsport- übungen abgehalten und woll- ten damit den bewaffneten Kampf proben. So weit ist es mit der rechten Szene derzeit nicht. Aber Polizei und Gegendemons- tranten sollten sich am Samstag darauf gefasst machen, dass die Rechten ein ganzes Stück mili- tanter auftreten werden als in jüngerer Zeit von ihnen ge- wohnt. Der Autor ist Redakteur für sozia- le Bewegungen Foto: W. Borrs Gabriele Marx, 58, Frauenärz- tin und Autorin von „Die Pille – Vom Aufgang bis zum Untergang“ Heute ist der Umstand, Frau zu sein, fast schon ein Grund für Hormongaben: In der Pubertät zur Zyklusregulation, dann zur Schwangerschaftsverhütung, weiter bei unerfülltem Kinder- wunsch und später in den Wech- seljahren. Nützt das den Frauen oder eher den Herstellern? Viele Paare wählen die natürlichen Wege der Empfängnisregelung. Wenn die Selbstbeobachtung des Zyklus gelernt wird und die we- nigen fruchtbaren Tage auf- grund körperlicher Symptome sicher gefunden werden, ist die- se Vorgehensweise sehr sicher. Die meiste Zeit braucht man kei- ne Verhütungsmittel. Sie hat kei- ne Nebenwirkungen, sie vermit- telt der Frau Wahrnehmung ih- res Zyklusgeschehens und ist ein partnerschaftlicher Weg. DIE SONNTAZ FRAGE Wolfgang Be- cker-Brüser, 61, Arzt, Apotheker und Herausge- ber des „arznei- telegramms“ Fast eindeutig ja: Die Pille ist ei- ne der zuverlässigsten Metho- den zur Empfängnisverhütung. Nur: Sie ist keine Zuckerpille. So tun aber manche Pillenprodu- zenten, wenn sie den Lifestylebe- reich in den Vordergrund rü- cken: reine Haut, schöne Haare und schlanke Figur. Die uner- wünschten Wirkungen bleiben unterm Tisch. Das ist einer der Gründe, warum viele Frauen nicht die sicherste, am besten verträgliche Pille nehmen. Wer Präparate mit Östrogen und dem Gestagen Desogestrel, Ges- toden oder Drospirenon ein- nimmt, sollte sich überlegen, auf Levonorgestrel-haltige Produkte umzusteigen (meist auch preis- werter). Das kann das Risiko von Venenthrombosen nahezu hal- bieren. So wird die seltene – aber lebensbedrohliche Schadwir- kung noch seltener. Frau (und Partner) sollte regelmäßig hin- terfragen, ob nicht doch eine nicht-hormonelle Verhütungs- methode in Frage kommt.

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STREIT DER WOCHEwww.taz.de

[email protected] FREITAG/SONNABEND/SONNTAG, 30. APRIL/1./2. MAI 2010 ! DIE TAGESZEITUNG

Brauchenwir die Pillenoch?

VERHÜTUNG Nach ihrer Zulassungvor 50 Jahren in den USA wurde

die Antibabypillle als Meilensteinder Emanzipation gefeiert. Heute

ist sie das VerhütungsmittelNummer eins – trotz Risiken für

die Gesundheit

rechten Auf-marsch am 1.Mai in Berlinstattgefundenhat, ist ein Blo-ckadetraining von Neonazis.

FotosundVideoclipsimInter-net zeigen die Rechtsextremis-ten, wie sie das Durchbrechenvon Blockaden üben. Nun ist esnicht das erste Mal, dass Neona-zis von der linken Szene abkup-fern. Den Autonomenlook ha-ben sie übernommen, das Auf-treten in einem geschlossenenschwarzen Block auch. Undselbst die Parole „Kapitalismusist Krise“ wird von den Rechtengenutzt.

uf den ersten Blick gibt eskeinen großen Unterschied

zum Blockadetraining von lin-ken AktivistInnen: Ein Teil wirdmit Polizeiknüppeln ausgestat-tet. Die anderen dürfen so blei-ben wie sie sind: Kapuzenpullis,Sonnenbrille, Baseballcaps undmit schwarzen Tüchern verhülltbisüberdieNase.Siestellenganzoffensichtlich die Demonstran-ten dar.

Es wird auf einer abgelegenenWaldlichtung in Brandenburgtrainiert. Nicht so öffentlich wieder Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg. Erst auf den zweitenBlick fällt auf: Was da knapp eineWoche vor dem angekündigten

A

Carl Djerassi, 86,Chemieprofessorin den USA, ge-nannt „Mutter

derPille“,weilerdieAntibabypille erfand

Die pharmazeutische Industriehat leider das Interesse verloren,grundsätzlich neue Verhütungs-methoden für Frauen und fürMänner zu entwickeln. Sie rich-tetdenBlickvollundganzaufdieKrankheiten in den reichen, al-terndenLänder.DieeuropäischeFamilie hat heute im Schnitt nur1,5 Kinder – was weniger mit derPille oder anderen Verhütungs-mitteln als vielmehr mit Berufs-wünschen und Lebensent-würfen junger Paare zu tun hat.Daher ist es offensichtlich, wie

NEIN

nächste frage!

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt.Immer am Dienstagmittag. Wir wählen eine interessanteLeserInnenantwort aus und drucken sie in der nächsten sonntaztaz.de/sonntazstreit

Barbara Streidl,37, Journalistin,Musikerin undeine der Autorin-

nen von „Wir Al-phamädchen“

Wie wäre es mit einer Quote fürdie Pille? Die gynäkologischePraxen, besorgte Mütter und en-gagierte Medien davon abhält,jedemjungenMädchenautoma-tisch zum ersten Lippenstift einhormonelles Verhütungsmittelin die Schultasche zu packen.BessererklärtmandenMädchen

wichtig Verhütung in diesen Ge-sellschaften ist, vorausgesetztman predigt nicht die totale se-xuelle Abstinenz: So hat die Pille50 Jahre nach der Zulassung einegrößere Bedeutung als je zuvor.Annähernd 100 Millionen Frau-en auf der Welt haben sich für sieentschieden. Brauchen wir diePille?DieseFragesolltedenFrau-en in den katholisch geprägtenLändern Lateinamerikas gestelltwerden. Hier ist die Zahl der ille-galen Abtreibungen weltweit ei-ne der höchsten. Und diese skan-dalöse Situation in Lateinameri-ka würde sich verbessern, wennsie ermutigt würden, effektiveVerhütungsmittel wie die Pillezu nutzen. Tut die katholischeKirchedasnicht,machtesfrüheroder später die Gesellschaft.

erst mal, dass die Pille zwar voreiner Schwangerschaft bewahrt,aber nicht vor ansteckendenKrankheiten (Herpes, HPV, HIV).Das können nur Kondome. Diehelfen auch, ein Bewusstsein da-fürzuentwickeln,wasSexualitätist. Eben nicht etwas, was alletun, so ich auch. Sondern etwas,für das ich mich entscheide –oder dagegen. Deshalb ist dasAllzeit-bereit-Gefühl, das mitder Pille verbunden sein kann,sehr problematisch. Ebenso wiedie Meinung, Verhütung seidoch Frauensache.

Fotos: Broze/Reporters/laif, Stanford, SPD, Losier, privat (4), Füssenich

JA

Gewaltübung auf der WaldlichtungVor dem 1. Mai üben linke AktivistInnen Verhaken und Verketten in Blockadetrainings. Wie vieles andere haben die

Neonazis sich das Konzept abgeschaut. Mit einem Unterschied: Die Rechten setzen auf Gewalt

Einen Unter-schied gibt esbeim rechtenBlockadetrai-ning jedoch:

Während linke Aktivisten vor al-lem das Ineinanderhaken übenund trainieren, nicht gleich inPanik das Weite zu suchen, so-bald Polizisten auftauchen, istdas rechte Blockadetraining vorallem auf eins gerichtet: auf kon-frontative Gewalt.

Ein zweites Dresden wolltensie nicht noch einmal erleben,heißt es in den einschlägigenWebforen der Rechten, nachdemsich ihr Aufmarsch anlässlichdes 65. Jahrestags der Luftangrif-

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FELIX LEE ÜBERPOLITIK VON UNTEN

Manuela Schwesig,35, Sozialministe-rin in Mecklen-burg-Vorpom-

mern und stellver-tretende SPD-Bundesvorsitzende

Die Kritik gerade konservativerKreise an der Pille ist im Laufeder Jahrzehnte weitgehend ver-stummt, und das ist gut so. Aktu-ell diskutieren wir über die Pilleim Zusammenhang mit der kos-tenfreien Vergabe dieses Verhü-tungsmittels an Frauen, die sichdie Pille aus finanziellen Grün-

den nicht leisten können. Wenndurch diese Notlage ungewollteSchwangerschaften entstehenoder Frauen abtreiben müssen,müssen wir dafür sorgen, dassFrauen unterstützt werden undkostenfrei an die Antibabypillekommen. Kritisch sehe ich diesuggerierte Planbarkeit des Kin-derwunsches: Frauen glaubenzuweilen, der richtige Zeitpunktfür Kinder könnte geplant wer-den, bis es oft „zu spät“ für Nach-wuchs ist. Wir müssen dafür sor-gen, dass Kinder in der Gesell-schaft immer willkommen sind.

Oswalt Kolle, 81,Autor und Filme-macher. Gilt alsdeutscher „Sex-

papst“ und „Auf-klärer der Nation“

Die Pille hat historische Bedeu-tung: Die ganze Frauenemanzi-pation wäre ohne sie nicht mög-lich gewesen. Sie hat die Frauenbefreit, aber sie hat auch michbefreit. Wir alle, eine ganze Gene-

ration, hatten uns von Monat zuMonat gehangelt mit der Angst:Hat es wieder geschnackelt? Unddann, wenn eine Schwanger-schaft eintrat, die Frage: Wiekriegt man eine Abtreibung hin?So war die Pille eine Befreiungaus der Not. Vielen Männernmachte sie Angst, weil die Frauennun selbst entscheiden konnten,ob sie verhüten. Vorher warendie Frauen darauf angewiesen,wie die Männer sich verhielten.

Felicitas Rohrer,25, Pillenopfer.Aus Gesundheits-gründen kann sie

ihren Beruf als Tier-ärztin nicht ausüben

Nein, weil die Pille tödliche Risi-ken birgt. Ich habe die Pille Yas-minelle acht Monate lang ge-nommen und bin im Juli 2009fast an einer doppelten Lungen-embolie gestorben. Ich war für20 Minuten klinisch tot undmusste notoperiert werden. Beimir ist erwiesen, dass nur die Pil-le dafür verantwortlich ist. Ichbesitze keine Blutgerinnungs-störungen, habe nie geraucht

und immer Sport gemacht. Heu-te muss ich nicht nur mit derNahtoderfahrung und den Nar-ben fertig werden – ich muss ei-nen Kompressionsstrumpf tra-gen, die Venen meines linkenBeins sind irreparabel geschä-digt, ich bin auf Medikamenteangewiesen und in psychologi-scher Behandlung. Was ich esse,wie ich mich bewege, was ich an-ziehe, wie ich lebe – nichts istmehr wie früher. Ich muss denRest meines Lebens dafür bü-ßen, die Pille genommen zu ha-ben. Und ich bin kein Einzelfall.Das, was ich und andere durch-machen mussten, rechtfertigtkeine Pille der Welt.

Michael Mander,21, Verkäufer undMusiker, hat diesonntazfrage

vorab auf taz.dekommentiert

Ich würde nicht jeden Tag Hor-mone einnehmen, die meinenKörper verändern, also würdeich auch nicht wollen, dass mei-ne Freundin das tut. Die Hormo-ne sind extremst gesundheits-schädigend und bringen denHormonhaushalt total durch-einander, zum Beispiel kann esnach dem Absetzen sehr langedauern, bis die Frau wiederschwanger werden kann. Zudem

kann die Einnahme Krebs för-dern. Man kann auch nicht wirk-lich sagen, dass die Menschenüber die schädlichen Wirkungender synthetischen Hormone in-formiert sind. Meine ehemaligeFreundin wurde darüber damalsbeim Frauenarzt nicht aufge-klärt, die Hersteller feiern ihreProdukte sogar als „gesund“. Fürmich ist die Pille nur ein weiteresProdukt, mit dem man die Ver-hütung auf die Frau abschiebt –welcher Mann würde bitte einegesundheitsschädigende Pillefür den Mann nehmen? Eben!Aber mit den Frauen kann man’smachen, beziehungsweise sielassen es mit sich machen.

feaufDresdenam13.Februarwe-gen der vielen linken BlockadennichtinBewegungsetzendurfte.

In den Achtzigerjahren habenmilitante Neonazis Wehrsport-übungen abgehalten und woll-ten damit den bewaffnetenKampf proben. So weit ist es mitder rechten Szene derzeit nicht.Aber Polizei und Gegendemons-tranten sollten sich am Samstagdarauf gefasst machen, dass dieRechten ein ganzes Stück mili-tanter auftreten werden als injüngerer Zeit von ihnen ge-wohnt.

! Der Autor ist Redakteur für sozia-le Bewegungen Foto: W. Borrs

Gabriele Marx,58, Frauenärz-tin und Autorinvon „Die Pille –

Vom Aufgang biszum Untergang“

Heute ist der Umstand, Frau zusein, fast schon ein Grund fürHormongaben: In der Pubertätzur Zyklusregulation, dann zurSchwangerschaftsverhütung,weiter bei unerfülltem Kinder-wunsch und später in den Wech-seljahren. Nützt das den Frauen

oder eher den Herstellern? VielePaare wählen die natürlichenWege der Empfängnisregelung.Wenn die Selbstbeobachtung desZyklus gelernt wird und die we-nigen fruchtbaren Tage auf-grund körperlicher Symptomesicher gefunden werden, ist die-se Vorgehensweise sehr sicher.Die meiste Zeit braucht man kei-ne Verhütungsmittel. Sie hat kei-ne Nebenwirkungen, sie vermit-telt der Frau Wahrnehmung ih-res Zyklusgeschehens und ist einpartnerschaftlicher Weg.

DIESONNTAZFRAGE

Wolfgang Be-cker-Brüser, 61,Arzt, Apothekerund Herausge-

ber des „arznei-telegramms“

Fast eindeutig ja: Die Pille ist ei-ne der zuverlässigsten Metho-den zur Empfängnisverhütung.Nur: Sie ist keine Zuckerpille. Sotun aber manche Pillenprodu-zenten, wenn sie den Lifestylebe-reich in den Vordergrund rü-cken: reine Haut, schöne Haareund schlanke Figur. Die uner-wünschten Wirkungen bleibenunterm Tisch. Das ist einer der

Gründe, warum viele Frauennicht die sicherste, am bestenverträgliche Pille nehmen. WerPräparate mit Östrogen unddem Gestagen Desogestrel, Ges-toden oder Drospirenon ein-nimmt, sollte sich überlegen, aufLevonorgestrel-haltige Produkteumzusteigen (meist auch preis-werter). Das kann das Risiko vonVenenthrombosen nahezu hal-bieren. So wird die seltene – aberlebensbedrohliche – Schadwir-kung noch seltener. Frau (undPartner) sollte regelmäßig hin-terfragen, ob nicht doch einenicht-hormonelle Verhütungs-methode in Frage kommt.