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bulletin 6 Wittenberg, Zürich, Genf Wem gehört die Reformation? 10 Migrationsarbeit Das Pilotprojekt zum Rückführungsmonitoring war ein Erfolg 16 Dialog Religiöse Spannungen sind bis auf weiteres auszuhalten, sagt Ratspräsident Gottfried Locher 32 Vernehmlassung Bekenntnis Ein enttäuschender Rücklauf bedeutet doch einen Meilenstein in der Geschichte der Schweizer Kirchen Das Magazin des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes Nr. 1 / 2012 sek · feps

bulletin Nr. 1/2012

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bulletin 1/2012 - Wem gehört die Reformation

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6 –Wittenberg, Zürich, Genf

Wem gehört die Reformation?10 – Migrationsarbeit

Das Pilotprojekt zum Rückführungsmonitoring war ein Erfolg

16 – Dialog

Religiöse Spannungen sind bis auf weiteres auszuhalten, sagt Ratspräsident Gottfried Locher

32 – Vernehmlassung Bekenntnis

Ein enttäuschender Rücklauf bedeutet doch einen Meilenstein in der Geschichte der Schweizer Kirchen

Das Magazin des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes

Nr. 1/2012

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Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK Sulgenauweg 26 CH-3000 Bern 23Telefon +41 (0)31 370 25 25

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– Lesen, hören und sehen Sie Ihren Kirchenbund im bulletin online! www.sek.ch

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– Editorial

Willkommen in unserem bulletin! Sie kennen es schon? Dann freuen Sie sich auf eine neue Erfah-rung. Das bulletin des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes erscheint nun im dreizehnten Jahr. Im März 2000 wurde es ins Leben gerufen, um aufzuzeigen, was unsere Kirchen gemeinsam und über Kan-tons- und Landesgrenzen hinweg tun. Geschichten, Hintergründe, Debatten: In unserem bulletin lesen Sie Wesentliches aus dem Leben der protestantischen Welt. Nun gestalten wir es neu. Stärker als bisher richten wir die Themen an den tatsächlichen Fragen unserer Kirchen aus. Was Sie beschäftigt, das soll auch im bul-letin stehen. Eine gesamtschweizerische Sicht ergänzt lokale und regio-nale Themen. Wo sinnvoll nehmen wir internationale Erfahrungen mit auf. Stärker als bisher informiert das bulletin über aktuelle Projekte des Kirchenbundes. Denn der Kirchenbund, das sind seine Kirchen. Was wir im Namen unserer Kirchen öffentlich sagen, was wir im Namen unserer Kirchen tun: darüber berichtet das bulletin. Zweimal pro Jahr, jeweils im Sommer und im Herbst. Und damit beginnen wir: Lesen Sie über die Herausforderungen des kommenden Reformationsjubiläums, über unsere Menschenrechts-arbeit und den Einsatz für Flüchtlinge, über unsere Erfahrungen mit dem Pilotprojekt des Rückführungsmonitorings, über das Rousseau-Jahr und über Bekenntnisse in den Kirchen. Lesen Sie mit und nehmen Sie teil an einer Kirche, die auch national und international präsent ist. Ihre Kirche. Im Namen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, seines Rates und seiner Mitarbeitenden, wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.

Gottfried Wilhelm LocherPräsident des Rates

Titelbild: John Calvin Bobble Head, Figur mit beweglichem Kopf, Calvin College, Grand Rapids, Michigan, USA. Eigene Bildmontage.

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4 bulletin Nr. 1/2012

– bulletin Nr. 1/2012

Themendieser Ausgabe – Wittenberg, Zürich, Genf

Wem gehört die Reformation? 6

– MigrationsarbeitRoter Faden Menschenrechte 10

– Religiöse Spannungen in EuropaChristlich, angstfrei, fremdenfreundlich 16

68 %

32 %

– Fakten aus dem KirchenbundFrauen und Männer im kirchlichen Dienst 18

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– Reformation heuteDie Reformation hat Europa verändert. Was macht seitdem eine Kirche zur Kirche? 20

– Rousseau-Jahr 2012Von der Lust am treffenden Wort 24

– Flüchtlingssonntag 2012Gastfreundschaft ist eine zwei - schneidige Sache 28

– Vernehmlassung BekenntnisWie machen die Reformierten ihren Glauben erkennbar? 30

– Glaube in der WeltDie evangelischen Kirchen des Nahen Ostens 34

– «Wo bist du, Adam?»Zur Diskussion der Menschenwürde aus ökumenischer Sicht 36

– bulletin Nr. 1/2012Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK 41

– Organisation Evangelische Kirchen in der Schweiz 42Rat des Kirchenbundes 43Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kirchenbundes 44– Umstrukturierung Eine neue Organisation für den Kirchenbund 46Die Kirchen des Kirchenbundes 48– Evangelisch Kirche sein Legislaturziele des Rates 2011–2014 50

6 bulletin Nr. 1/2012

– Wittenberg, Zürich, Genf

Wem gehört die Reformation?

Bei so viel Personenkult sehen viele Reformierte rot: der (deutsche) Reformator Martin Luther im Taschenformat.

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2017 und 2019 … Mit dem Nä-herrücken der 500-Jahr-Jubiläen wird die Frage «Wem gehört die Refor-

mation?» überraschend aktuell. Doch bereits das Calvin-Jubiläum 2009 hat es vor Augen geführt: Es ging in erster Linie darum, den Genferinnen und Genfern – und den frankophonen Christinnen und Christen – einen Teil ihrer verkannten, von Falschinformationen, Vorurteilen und Klischees überlagerten Geschichte auf ungewohnt neue Art zu präsentieren. Wiederentdeckt haben wir bei dieser Gelegenheit auch die weltweite Ausstrahlung Calvins und seinen Einfluss in Bereichen weit über die Theologie im strikten Sinn hinaus. Zahlreiche Menschen überall in der Welt beriefen sich plötzlich auf Calvin. Damit wurde deutlich, dass die Reformation zuallererst eine vielgestaltige Bewegung mit zahlreichen Schwer-punkten ist, in deren Mittelpunkt die Suche nach dem Sinn des Lebens, der Einheit der Kirche und der gesell-

schaftlichen Wirkmacht des Evangeliums steht. Nament-lich das weltweite Echo auf das Erbe Calvins veranlasste 2009 den Kirchenbund zur Aussage: «Ohne Calvin wäre die Reformation deutsch geblieben.»

Nun, da in Deutschland die Vorbereitungen für «Lu-ther 2017» in vollem Gang sind, mag es sinnvoll sein, sich ernsthaft mit der eingangs gestellten Frage zu befassen – nicht zuletzt mit Blick auf den 2019 zu feiernden Beginn von Zwinglis Wirken vor 500 Jahren. Wenn wir beobach-ten, wie die Verantwortlichen in Deutschland 2017 planen, fallen zwei einander widerstrebende Tendenzen auf: Die eine will alles auf Luther und seine Person zentrieren. 2017 wird zum Höhepunkt einer Lutherdekade, worin das Cal-vin-Jahr im besten Fall den Apéro bildet und das Zwingli-Jubiläum 2019 keinen Platz mehr findet. Als würde 2017 die Zeit stillstehen. Die weltweite Dimension kommt nur 2016 zum Zug; die ursprünglich für 2013 vorgesehene ökumeni-sche Dimension ist aus der Planung verschwunden und hat einem Jahr der Toleranz Platz gemacht.

In Deutschland heisst die Reformationsdekade (noch) Lutherdekade. Diese Konzentration lässt das Calvin-Jahr 2009 zum Apéro verkommen und hat für das Zwingli-Jubiläum 2019 keinen Platz. Unklar ist zudem, worum es geht, wenn von «Reformation» gesprochen wird.

Von SeRge FoRneRoD

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Die andere Tendenz fokussiert auf die von Luther aktualisierte befreiende Botschaft und deren Sinn, den es für die Kirche von heute neu zu entdecken gilt; sie ringt aber auch um ein mehrwertiges, internationales und po-lyzentrisches Verständnis der Reformation. Doch trotz all diesen Anstrengungen und Versprechungen der Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD hinsicht-lich einer «Reformationsdekade» figurieren «Luther 2017» und «Lutherdekade» nach wie vor als offizielle Bezeich-nungen. In den nächsten Monaten sollte deutlicher wer-den, was die deutschen Veranstalter, Kirchen und Staat, tatsächlich gemeinsam feiern wollen und wie die übrigen aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen darin ei-nen Platz finden werden.

Was ist die Reformation?Diese Situation wirft ein Schlaglicht auf die man-

gelnde Klarheit, wenn es um das Verständnis des Begriffs «Reformation» damals und heute geht. Für die einen: al-lein die Figur Luther. Für die anderen: ein Prozess mit im-menser Auswirkung auf das Denken, die Kultur und die Geschichte Euro-pas. Für die Katholiken: ein Drama und eine noch immer nicht verwun-dene Spaltung. Für die Protestanten: der Anfang einer langen Reihe von Spaltungen in konfessionelle Unter-abteilungen. Aber auch der Anfang einer eigenen institutionellen und theologischen Existenz, die dem protestantischen Selbst-verständnis nach Gott allein Rechenschaft schuldig ist. Gerne aber überspringen die Protestanten leichten Fusses fünfzehn Jahrhunderte christlicher Geschichte und Tra-ditionen.

Ganz klassisch formuliert ist die evangelische Kirche «die katholische Kirche, die durch die Reformation hin-durchgegangen ist». Aber sie ist vor allem «nicht katho-lisch» oder genauer «nicht römisch». Unter Ausblendung der geschichtlichen Realität stehen zwei statische institu-tionelle Sichtweisen einander gegenüber. Die Protestan-ten ignorieren die Kontinuität zwischen dem, was Luther, Zwingli oder Calvin im ausgehenden Mittelalter, aus dem sie hervorgegangen sind, schreiben und denken konnten. Sie ignorieren aber auch die Kontinuität der Reformato-ren, auf die sie sich berufen, mit anderen erfolgreichen oder gescheiterten Reformbestrebungen innerhalb der katholischen Kirche der damaligen Zeit. Die katholische

Kirche ihrerseits vergisst, dass die Reformation auch zu ihrer Veränderung beigetragen hat. Negativ, indem sie als Reaktion auf diese Bewegung immer «römischer» und immer weniger katholisch wurde; positiv, indem sie Po-sitionen entwickelte und Einsichten vertiefte, von denen einige schliesslich zumindest in Teilen Eingang in das Zweite Vatikanum fanden.

Die Reformation zu feiern ist die ökumenische Aufgabe schlechthin

Die moderne historische Forschung hat aufgezeigt, in welchem Masse wir Gefangene von Vorstellungen und Bildwelten, ja von konfessionellen Mythologien sind, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufberei-tet worden sind. Als Beispiel für mangelnde Klarheit in Bezug auf die Reformations-Definition liesse sich die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre an-führen, die 1999 vom Lutherischen Weltbund und vom Vatikan, später auch vom Weltrat Methodistischer Kir-chen unterzeichnet wurde. Wenn es bei der Reformation

wirklich um die Rechtfertigungs-lehre ging, weshalb hat diese Er-klärung dann keine wesentlichen Fortschritte im ökumenischen Di-alog gebracht?

Richtig ist, dass die Reforma-tion zur Gründung der protestan-tisch genannten Kirchen führte, doch daraus zu schliessen, dass sie

heute alle der reformatorischen Zielsetzung entsprechen, ist falsch. Die Reformation ist in erster Linie eine Bewe-gung, welche die Übereinstimmung des kirchlichen Le-bens mit ihrer Quelle, dem Evangelium, sucht. In diesem Sinn machen es sich die Protestanten zu einfach, wenn sie sich mit der «Protestbotschaft» der Reformation begnü-gen und sich nicht mehr wirklich auf eine erneuerte Les-art des Evangeliums für heute berufen. Heute die Refor-mation feiern, kann nur eines bedeuten: das Evangelium für die Kirche und die Welt von heute neu interpretieren. Gerade das aber ist definitionsgemäss die ökumenische Aufgabe schlechthin.

Inwiefern können die Jubiläen den Schweizer Kirchen schon 2017 Impulse verleihen?

Unter diesem Blickwinkel betrachtet, muss es für sämtliche Schweizer Kirchen ein gemeinsames und dringliches Anliegen sein, 500 Jahre Reformation in ei-

– «Ohne Calvin wäre die Reformation deutsch geblieben.»

Wem gehört die Reformation?

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nem nachkonfessionellen oder konfessionsübergreifen-den Geist zu begehen. Die Kirchen in Europa bedürfen neuer Impulse. Reformbedürftig sind in erster Linie ihre Zukunftsvision und die Kerninhalte ihrer Botschaft – und erst in zweiter Linie ihre Strukturen. Die europäische Ge-sellschaft ist pluralistisch und multikulturell geworden, doch umso virulenter sind die Fragen nach dem Sinn des Lebens, seiner Rechtfertigung und nach den Modalitäten des Zusammenlebens in der Gesellschaft. Es ist wichtiger, unsere gemeinsamen spirituellen Schätze zu entdecken, als auf dem Trennenden zu beharren. Selbstkritik ist auch den Protestanten als Pensum aufgetragen. Wie haben sie, die sich mit ihrer Offenheit in ökumenischen Fragen brüsten, die theologischen Konsens- und Kompromisspa-piere der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa oder des Ökumenischen Rates aufgenommen? Wie steht es um den dogmatischen Föderalismus unserer Landes-kirchen? Die faule Zufriedenheit gegenüber unseren zahl-reichen Grenzen, die Pflege unserer internen Normen auf kantonaler und lokaler Ebene, gelten sie nicht seit langem als unfehlbares Dogma unter dem Deckmantel des Föde-ralismus und aus Respekt vor einer lokalen Vielfalt, die mehr von Provinzialität denn von Authentizität zeugt?

Ja, auch die Evangelische Kirche in der Schweiz braucht die Reformation. Sie gehört ihr, nicht umgekehrt. Luther, Calvin und Zwingli waren Suchende. Ihre Su-che galt der Erforschung des Evangeliums und nicht der Gründung einer Kirche. <

Weiterführende Informationen

Video-Interview: 3 Fragen an den Autoren Serge Fornerod, Leiter Aussenbeziehungen und Projektleiter der Reformationsjubiläen http://player.vimeo.com/video/42827411

– Migrationsarbeit

Roter Faden Menschenrechte

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Kommen Asylsuchende und andere Migrantin-nen und Migranten in die Schweiz, treffen sie auf Angebote und Projekte der evangelischen Kirchen. Ich nehme Sie auf einen Migrations-

parcours mit – im Wissen darum, dass Migrationspro-zesse so unterschiedlich verlaufen wie es Menschen gibt, die migrieren. Ausgangspunkt dieses Migrationsparcours sind die Empfangs- und Verfahrenszentren, Abschluss – nur als letzte der angewendeten Massnahmen – sind die Ausschaffungen auf den sogenannten Sonderflügen.

Ankunft: Seelsorge in den Empfangs- und Verfahrenszentren

Fliehen Flüchtlinge in die Schweiz, dann können sie in einem der fünf Empfangs- und Verfahrenszentren EVZ oder in den Transitzonen der Flughäfen Genf und Zürich ein Asylgesuch stellen.

Die Kirchen sind in den EVZ präsent. Die ökumeni-schen Seelsorgedienste sind die einzigen nicht-staatlichen Akteure, die Zutritt zu den EVZ haben. Obwohl die Seel-sorgedienste derzeit noch nicht interreligiös ausgerichtet sind, nehmen sie für alle Asylsuchenden eine seelsorgerli-che und vor allem auch sozialdiakonische Funktion wahr. Sie sind zentral bei der Konfliktbewältigung. Genauso selbstverständlich leisten sie mit dem Betrieb von soge-nannten Kaffeetreffs einen Beitrag zum sozialen Aus-tausch zwischen den Asylsuchenden. Die Seelsorgediens-te tragen mit ihrem Engagement deshalb wesentlich zum Zusammenleben in den EVZ bei.

Durchsetzung des Rechts auf Rechte: Rechtsberatungsstellen

Fällt ein Asylentscheid negativ aus, können sich Asylsuchende in den Rechtsberatungsstellen beraten las-

Die Aufmerksamkeit war gross, als der Kirchenbund im Juni 2011 bekannt gab, das Mandat für das halbjährige Pilotprojekt Rückführungsmonitoring zu übernehmen. Das Projekt ist inzwischen abgeschlossen. grund für einen Rückblick und die einordnung in das kirchliche engagement im Migrationsbereich.

Von SIMon RöthLISbeRgeR

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sen. Die Rechtsberatung hat einen zentralen Stellenwert bei der Überprüfung der staatlichen Entscheide. Über die Rechtsberatungsstellen können Rekurse eingereicht werden. Eine beachtliche Erfolgsquote untermauert de-ren hohen Stellenwert. Die Kirchen, insbesondere die reformierten Kirchen und das Hilfs-werk der Evangelischen Kirchen der Schweiz HEKS, gehören zu den wich-tigsten Geldgebern der Rechtsbera-tungsstellen.

Integratives Angebot: Migrationskirchen

Asylsuchende sowie andere Mi-grantinnen und Migranten nehmen ihre Religion und ihren Glauben mit. Viele schliessen sich entweder beste-henden Glaubensgemeinschaften an oder bilden neue. So ist vielleicht auch der Asylsuchende, welcher sich auf einer Rechtsberatungsstelle beraten lässt, Mitglied einer Migrationskirche.

Migrationskirchen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Der Kirchenbund hat deshalb 2010 eine Studie dazu veröffentlicht, in der die vornehmlich

von Einwanderinnen und Einwanderer aus Afrika, La-teinamerika oder Asien in den letzten Jahren gegründeten neuen Migrationskirchen im Fokus stehen. Gemäss der Studie gibt es in der Schweiz über 300 solcher Kirchen. Migrationskirchen können wesentliche Teile des Lebens-

umfelds von Migrantinnen und Mi-granten sein. Sie sind wichtige Orte, an welchen sie sich zu Hause und akzeptiert fühlen, soziale Kontakte pflegen und wo sie eine spirituelle Heimat finden. Die persönlichen Ressourcen von Migrantinnen und Migranten werden gestärkt.

Vermutlich zeigt sich die Be-deutung von neuen Migrationskir-chen sowohl in sozialer als auch in spiritueller Hinsicht bei denjenigen am deutlichsten, die in prekären

aufenthaltsrechtlichen Verhältnissen leben und grund-sätzlich schlechte Voraussetzungen für ihre Integration haben: Asylsuchende, abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers, welchen es am Lebensnotwendigsten fehlt.

Meist sind es die grösseren Kirchen des Kirchen-bundes, die im Bereich Migrationskirchen aktiv geworden sind. Die Migrationskirchen sind strukturell meist nicht Teil der evangelischen und reformierten Ortskirchen – eine Ausnahme bildet die Evangelisch-methodistische Kirche, welche Migrationsgemeinden in Regelstrukturen eingebunden hat.

Prekäre Lebenssituation: Sans-PapiersEinige abgewiesene Asylsuchende tauchen unter

und werden zu Sans-Papiers. Auch gibt es Arbeitsmig-rantinnen und Migranten, die Ihren Aufenthaltsstatus verloren haben. Vielleicht sie sind irregulär eingereist und leben seit Jahren oder Jahrzehnten in der Schweiz. Trotz ihres unsicheren Status sind viele gut integriert, andere befinden aber sich in äusserst prekären Lebensverhältnis-sen.

Die öffentlichkeitswirksamen Kirchenbesetzungen der Sans-Papiers-Bewegung vor rund zehn Jahren haben das Bewusstsein um die schwierigen Lebenssituationen erhöht. Aus den Unsichtbaren sind Sichtbare geworden.

Sans-Papiers halten sich zwar irregulär in der Schweiz auf, sie sind aber nicht rechtlos: Grundrechte oder das Recht auf Schulbildung für Kinder gelten auch für sie. Verschiedene Kirchen des Kirchenbundes setzen

– Migration: So engagiert sich der Kirchenbund Das Engagement des Kirchenbundes im Bereich Migration ist vielfältig: Es kommt in seinen Grundla-gendokumenten und Stellungnahmen ebenso zum Ausdruck wie in der kontinuierlichen Gremien- und Hintergrundarbeit. Der Kirchenbund ist in der Eidge-nössischen Kommission für Migrationsfragen EKM, der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR und der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa KKME/CCME vertreten. Zudem organisiert der Kirchenbund den Austausch über Migrationsfra-gen zwischen den Mitgliedkirchen und ist Mitglied der «Nationalen Plattform für einen Runden Tisch der Sans-Papiers».

Migrationsarbeit

– Die Kirche soll die Menschen nicht auf sich allein gestellt lassen, wenn sie sich in ausweglosen Situationen befinden.

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sich konkret für einzelne Sans-Papiers ein und haben massgeblich dazu beigetragen, Beratungsstellen aufzu-bauen.

Ultima ratio: Ausschaffungen und deren Überwachung

Wenn der Entscheid über das Asylgesuch negativ ausfällt oder die Aufenthaltsbewilligung entzogen wurde, die Rekurse abgelehnt sind und sich die Betroffenen wei-gern, selbständig auszureisen, dann kann es sein, dass es zu einer zwangsweisen Ausschaffung auf einem Sonder-flug kommt.

Ausschaffungen finden statt. Der Kirchenbund hat hingegen verschiedentlich deutlich gemacht, dass Aus-schaffungen immer die letzte der angewendeten Mass-nahmen sein müssen. Härtefallregelungen und die frei-willige und selbstbestimmte Rückkehr mit Rückkehrhilfe sollen im Vordergrund stehen. Und kommt es dennoch zur Ausschaffung, müssen Menschenwürde und Men-schenrechte der Betroffenen zwingend gewahrt bleiben. Aus seinem Engagement für die Rechte der Betroffenen begründet sich auch der Einsatz des Kirchenbundes in diesem Grenzbereich: Die Kirche soll die Menschen nicht auf sich allein gestellt lassen, wenn sie sich in ausweglosen Situationen befinden.

Die Ausschaffung per Sonderflug ist jedoch nicht die Regel, sondern die Ausnahme: 2011 fanden 9 461 kon-trollierte Ausreisen auf dem Luftweg statt. 6 141 Personen begleitete die Po-lizei bis zum Flugzeug. 165 Personen kamen auf einen Sonderflug.

Der Kirchenbund wurde durch das Bundesamt für Migration BFM angefragt, ein Pilotprojekt für eine systematische Beobachtung dieser Sonderflüge durchzuführen. Ziel war die Beobachtung von zwangsweisen Rückführungen auf dem Luftweg. Die Rechtskonformität und Verhält-nismässigkeit der Staatshandlungen sollten vor dem Hintergrund der gel-tenden Grundrechte beobachtet und Erkenntnisse für ein dauerhaftes Monitoring gewonnen werden.

10 Sonderflüge haben die Beobachtenden, die der Kirchenbund im Konsens mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH und dem BFM ausgewählt hat, be-

gleitet. Ebenfalls beobachtet wurden ausgewählte Trans-porte vom Aufenthaltsort zum Flughafen. Insgesamt wur-de die Ausschaffung von 61 Personen beobachtet.

Der Kirchenbund etablierte und leitete ausserdem das «Fachgremium» als begleitendes Diskussionsgefäss der Akteure. An den Sitzungen wurden anhand der Beobachterberichte die Abläufe der zwangsweisen Rückführungen ana-lysiert und die brisanten Themen, z.B. die Verabreichung vom Beruhi-gungsmittel Dormicum, diskutiert. Im Fachgremium waren die Beob-achtenden, das BFM, die Konferenz der Kantonalen Polizeikomman-danten KKPKS, die Vereinigung der Migrationsämter VKM sowie der Kirchenbund und die SFH vertre-ten.

Das Fachgremium erarbeitete Empfehlungen zur Verbesserung der Situation sowohl für die Auszuschaf-fenden als auch für die Vollzugsbehörden. Letzteren wird grundsätzlich eine professionelle Arbeitsweise attestiert. Handlungsbedarf zeigt sich bei Systemfragen: Beispiels-

– Gerade durch diesen Ein satz und dem nicht Zurück schrecken vor gesellschaftspolitisch diskursiven Themen gewinnen die Kirchen an Glaubwürdigkeit.

Pressekonferenz zum Abschluss des Pilotprojekts und zur Folgelösung des Ausländerrechtlichen Vollzugs monitorings, Bern, 22. März 2012, v. l. n. r: Geschäftsleiter Philippe Woodtli sowie der Migrationsbeauftragte Simon Röthlisberger, beide Kirchenbund, Beobachterin Martina Caroni, BFM-Direktor Mario Gattiker

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weise bei der Information der Auszuschaffenden über den Ablauf des Sonderflugs oder bei der Bereitstellung medi-zinischer Informationen. Weiter machen die Empfehlun-gen deutlich, dass bei den Anwendungen von Zwangs-massnahmen nicht schematisch, sondern dem Einzelfall angemessen gehandelt werden muss.

Das Pilotprojekt erzielte eine positive Wirkung. Es brachte Trans-parenz in den Bereich der Sonderflü-ge. Die Berichte der Beobachtenden führten zu konkreten Empfehlungen für die Praxis. Die Beobachtenden gewannen das Vertrauen der Voll-zugsbehörden. Schliesslich wurden Systemfragen für ein zukünftiges und dauerhaftes Monitoring erörtert.

Das Pilotprojekt zeigte deutlich die Notwendigkeit eines breit abge-stützten Austauschgefässes, um die Beobachtendenbe-richte aus staatlicher wie nichtstaatlicher Perspektive zu diskutieren und Folgerungen abzuleiten. Das Fachgremi-um ist deshalb ein Schlüsselelement des Monitorings.

Der Kirchenbund hat sich in Gesprächen für eine dauerhafte Folgelösung des Monitorings eingesetzt. Die Übernahme der Verantwortung für das Monitoring durch die Nationale Kommission zur Verhütung von Fol-ter NKVF und die Weiterführung des Fachgremiums als

Forum in erweiterter Zusammensetzung sind positive Entwicklungen. Der Kirchenbund wird auf Anfrage der NKVF weiter Mitglied im neuen Forum sein. Die NKVF ist eine unabhängige Kommission mit einem übergeord-neten Mandat mit einer soliden rechtlichen Grundlage.

Sie ist deshalb die ideale Organisa-tion für das zukünftige Monitoring. Der Kirchenbund hat damit ein zentrales Ziel erreicht, nämlich ei-nen substantiellen Beitrag zu einem dauerhaften Monitoring zu leisten.

Rahmenbedingungen beeinflussen: institutionelle Mitarbeit

Der Entscheid, ob jemand die Schweiz verlassen muss oder nicht, ist wesentlich durch die Mi-

grationsgesetzgebung, sei dies das Ausländer- oder das Asylgesetz, bestimmt. Aber auch für Arbeitsmigrantin-nen und Migranten oder anerkannte und vorläufig auf-genommene Flüchtlinge ist es zentral, wie die Gesetz-gebung gute Rahmenbedingungen für ihre Integration schafft und wie die zuständigen Behörden Ermessens-spielräume ausnutzen.

In den ausserparlamentarischen Kommissionen gegen Rassismus EKR und für Migrationsfragen EKM bringen sich Vertreter des Kirchenbundes auf einer ins-titutionellen Ebene ein. Weiter nimmt der Kirchenbund kontinuierlich zu den wesentlichen Gesetzesentwürfen Stellung. So setzte er sich schon in der Vernehmlassung zur Übernahme der EU-Richtlinie für die Überwachung von Sonderflügen ein oder machte sich für die Einfüh-rung klarer Kriterien und einer transparenten humani-tären Praxis bei der Härtefallregelung von Sans-Papiers stark.

Umfassende PräsenzDiese nicht abschliessende Skizzierung der Arbeits-

felder macht deutlich: Die Kirchen sind in unterschied-lichsten Themen präsent, in dem sie mit Seelsorgediensten und der Unterstützung von Migrationskirchen spirituelle Bedürfnisse abdecken oder bei der Unterstützung von Sans-Papiers, der Rechtsberatungsstellen oder eben bei der Begleitung von Sonderflügen sich einbringen. Der Fokus des kirchlichen Einsatzes liegt klar bei der Ermög-lichung eines würdevollen Lebens in der Schweiz. Aber

Migrationsarbeit

Mit einer Broschüre hat der Kirchenbund 10 Antworten ge-geben – auf Fragen, die ihm zum Rück-führungsmonitoring gestellt wurden.

– Das Pilotprojekt erzielte eine positive Wirkung. Es brachte Transparenz in den Bereich der Sonderflüge.

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sind die verschiedenen Engagements widersprüchlich? Kann man sich für Sans-Papiers einsetzen und gleichzei-tig Ausschaffungen beobachten?

Es gibt Kohärenz und einen roten Faden, der diese Arbeitsfelder verbindet: Der Einsatz für Menschenrechte und Menschenwürde – sowohl bei Sans-Papiers als auch bei denjenigen, die die Schweiz verlassen müssen.

Gerade durch diesen Einsatz und dem nicht-Zu-rückschrecken vor gesellschaftspolitisch diskursiven The-men gewinnen die Kirchen an Glaubwürdigkeit, wenn sie ihrer Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der Menschenrechte nicht nur mit Worten, sondern mit Taten Nachdruck verschaffen. <

Weiterführende Informationen

Video-Interview: 3 Fragen an den Autoren Simon Röthlisberger, Beauftragter für Migration http://player.vimeo.com/video/42123907

2 Fragen an Philippe Woodtli,

Geschäftsleiter http://player.vimeo.com/video/42820947

Der Kirchenbund gibt 10 Antworten auf 10 Fragen zum Rückführungsmonitoring. www.10antworten.ch

16 bulletin Nr. 1/2012

Ohne gemeinsame Werte kein friedliches Zusammenleben, darüber war man sich in Davos einig. Am Jahrestreffen des Weltwirt-schaftsforums diskutierten Fachleute aus

verschiedenen Kulturen über das Thema «Religiöse Span-nungen in Europa überwinden». Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die verschiedenen Religionen zu solch gemein-samen Werten etwas beitragen könnten, oder ob sie nicht doch eher dazu neigten, das je Trennende zu betonen. Für eine sehr engagierte Diskussion war damit gesorgt.

Erstens: Unterschiedliches Verständnis von «Religionsfreiheit»

In Europa existieren nennenswerte Meinungsunter-schiede über die Rolle der Religion im öffentlichen Raum. Diese Unterschiede bestehen ausdrücklich auch zwischen Vertretern verschiedener Religionen. Für eine christlich geprägte Mehrheit in Europa ist der Begriff staatlicher Säkularität in gewissem Sinne wertneutral, lässt er doch den freien Ausdruck persönlich und gemeinschaftlich gelebter Religiosität zu. Ob ein solches Verständnis des religiös neutralen Staates aber von allen in Europa wach-senden Formen des Islams geteilt wird, ist unklar. Jeden-falls verunsichert der Blick auf muslimisch dominierte Länder, wo Religionsfreiheit für Andersgläubige nicht im selben Umfang geschützt wird wie in Westeuropa, viele Menschen. Die Wahrnehmung, dass in einigen Ländern Christen unter Repressionen leiden müssen, obwohl dort Religionsfreiheit behauptet wird, kann die Beziehungen zwischen den Religionen in unserem Land belasten.

Zweitens: Spannungen sind bis auf weiteres auszuhalten

Zum Wesen jeder Religion gehört auch eine Art von Wertekatalog in individual- und sozialethischen Fragen. Verschiedene Religionen tragen verschiedene Wertesyste-me in sich. Diese Werte müssen sich nicht grundsätzlich widersprechen, und es gehört zu den wichtigsten Aufga-ben des interreligiösen Dialogs, diesbezügliche Gemein-samkeiten zu finden und zu fördern. Davon hängt der Religionsfrieden entscheidend mit ab. Dennoch bleibt es eine Tatsache, dass unterschiedliche Werte bestehen blei-ben, auch in ganz grundlegenden Fragen wie etwa dem Geschlechterverhältnis. Intellektuell redlich ist also, die Verschiedenheit der Religionen nicht wegzureden. Bis auf weiteres werden auch Spannungen in Grundsatzfragen ungelöst bleiben. Toleranz ohne Ehrlichkeit führt nicht zu religiösem Frieden.

Drittens: «Fundamental» ist nicht «fundamentalistisch»

Religionen sind von Natur aus fundamental. Religi-on will letztgültige, eben grundlegende Antworten geben. Würde sie darauf verzichten, so könnte sie nicht mehr leisten, was ihr den Namen gibt: religio, Rückbindung. Aber: Es gilt, die entscheidende Grenze zwischen funda-mental und fundamentalistisch zu beachten. Fundamen-talismus interessiert sich primär für die Differenz, nicht für das Fundament. Um im Bild zu bleiben: Dem Fun-damentalisten geht es nicht um die frei gewählte Rück-bindung, sondern um die erzwungene Fesselung an eine

– Religiöse Spannungen in Europa

Christlich, angstfrei, fremdenfreundlich Wenn die Christen in europa sich an ihre eigenen grundwerte und traditionen erinnern, fällt die öffnung gegenüber dem Fremden leichter.

Von gottFRIeD LoCheR

angebliche Wahrheit. An dieser Grenze hört die Toleranz auf. Es gilt zu betonen: Religiosität und Fundamentalis-mus sind zweierlei.

Viertens: Spannungen werden erst erträglich, wenn man sich kennt

Für den religiösen Frieden in Europa ist es entschei-dend, dass sich die Menschen unterschiedlichen Glaubens auch tatsächlich begegnen. Nur wer sich kennt, sieht hin-ter dem Anderen auch den Menschen. Was banal klingt, ist in Wirklichkeit ein echtes Problem: Parallelgesellschaften verhindern gerade, dass Begegnungen in den vielen Berei-chen des Lebens stattfinden können. Man kennt sich dann eben doch nicht wirklich und ist entsprechend weniger ge-willt, sich auf Fremdes einzulassen. Was im Alltag gilt, gilt auch für den interreligiösen Dialog. Dabei ist es erfreulich, an wie vielen Orten Menschen versuchen, einander auch über Religionsgrenzen hinweg kennen zu lernen und zu verstehen. Nicht nur lokal, auch national und auf offiziel-ler Ebene gibt es in der Schweiz eine solche Initiative: den Schweizerischen Rat der Religionen. Dort versuchen die gewählten Vertreter der verschiedenen Religionen genau dies zu tun: Wir sprechen miteinander, wir essen mitein-ander, wir erfahren Trennendes und Verbindendes. Und wir erleben einander als wertvolle Mitmenschen.

Fünftens: Bewusst christlich heisst bewusst angstfrei

Paradoxerweise bin ich der Meinung: Wenn wir be-wusst christlich leben, fördern wir den Religionsfrieden.

Wir Christen sollten uns darauf besinnen, was in unserem Evangelium steht. Wir sollten uns an christliche Tugenden erinnern und unsere eigenen Traditionen wiederbeleben. Denn wenn wir das tun, wächst das Vertrauen in die eige-ne religiöse Identität. Mehr Gewissheit in Glaubensfragen ist eine Voraussetzung für freien und offenen Umgang mit Menschen anderen Glaubens. In gewissem Sinne könnte man sagen: «Christlichere» Christen begegnen dem Islam offener und toleranter. «Christlicher»: Der Begriff ist kein ethischer Komparativ, sondern Ausdruck einer bewusste-ren, reflektierten Glaubenshaltung. Männer und Frauen, die ihren eigenen Glauben kennen und ihm vertrauen, begegnen Andersgläubigen angstfreier. Sie wissen um die Wahrheit, dass ihnen Christus im Fremden und als Frem-der begegnen kann. <

Weiterführende Informationen

Video: Der Autor, Kirchenbundspräsident Gottfried Locher, diskutiert zum Thema am Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums im Januar 2012 in Davos: http://www.youtube.com/watch?v=ShQlZ6KumB0

Das Schweizer Volk hat 2009 dafür gestimmt, den Neubau von Minaretten zu verbieten. So steht es nun in der Bundesverfassung. Die hitzige Debatte hat gezeigt: Wer sich selbst nicht kennt, lässt sich nicht auf Fremdes ein.

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18 bulletin Nr. 1/2012

– Fakten aus dem Kirchenbund

Frauen und Männer im kirchlichen Dienst

Pfarrerinnen/Pfarrer im Gemeindedienst Total 1959

Diakoninnen/Diakone Total 739

Stand Zahlen: 2010

♂ 94 ♀ 60

♂ 14 ♀ 11

♂ 52 ♀ 27

♂ 18 ♀ 9

♂ 316 ♀ 167

♂ 21 ♀ 9

♂ 27 ♀ 17

♂ 9 ♀ 5

♂ 63 ♀ 35

♂ 22 ♀ 13

♂ 17 ♀ 17

♂ 4 ♀ –

♂ 2 ♀ –

♂ 25 ♀ 20

♂ 2 ♀ 3

♂ 17 ♂ 17

♂ 12 ♀ 20

♂ 60 ♀ 86

♂ 2 ♂ 2

♀ 3 ♀ 1

♂ 1 ♀ –

♂ 6 ♀ 5

♂ 2 ♀ 8

♂ 8 ♀ 5

♂ – ♀ –

♂ – ♀ –

♂ 71 ♀ 26

♂ 28 ♀ 16

♂ 8 ♀ 2

♂ 17 ♀ 7

♂ 9 ♀ –

♂ 64 ♀ 19

♂ 2 ♀ –

♂ 129 ♀ 42

♂ 10 ♀ 1

♂ 7 ♀ 9

♂ 243 ♀ 120

♂ 10 ♀ 1

♂ 69 ♀ 20

♂ 28 ♀ 26

♂ – ♀ 8

♂ 3 ♀ 5

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Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. Gallen

Evangelisch-reformierte Kirche Kanton Schaffhausen

Evangelisch-reformierte Kantonalkirche Schwyz

Evangelisch-Reformierte Kirche Kanton Solothurn

Chiesa Evangelica Riformata nel Ticino

Evangelische Landes kirche des Kantons Thurgau

Evangelisch-Reformierte Landes kirche Uri

Église Évangélique Réformée du canton de Vaud

Evangelisch-reformierte Kirche des Wallis

Reformierte Kirche Kanton Zug

Evangelisch reformierte Landeskirche des Kantons Zürich

Église Évangélique Libre de Genève

Evangelisch-methodistische Kirche in der Schweiz

Reformierte Landeskirche Aargau

Evangelisch-Reformierte Landeskirche beider Appenzell

Reformierte Kirche Baselland

Reformierte Kirche Basel-Stadt

Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn

Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Freiburg

Église Protestante de Genève

Evangelisch-Refor mierte Landeskirche des Kantons Glarus

Evangelische Landeskirche Graubünden

Reformierte Kirche Kanton Luzern

Église réformée évangélique du canton de Neuchâtel

Evangelisch-Reformierte Kirche Nidwalden

Evangelisch-Reformierte Kirche Obwalden

Pfarrerinnen/ Pfarrer

Pfarrerinnen/ Pfarrer

Diakoninnen/ Diakone

Diakoninnen/ Diakone

20 bulletin Nr. 1/2012

Zumindest unter Gebildeten gilt die Reformation seit Ernst Troeltsch als wichtige Etappe auf dem Weg zur Moderne, zu Demokratie und Men-schenrechte. Auch die Kultur der Schweiz ver-

steht man nicht ohne Kenntnis der Reformation und der Geschichte der Konfessionen und ihrer Auseinanderset-zungen. Dabei geht jedoch leicht vergessen, dass die Re-formation primär ein theologisches und kirchliches Er-eignis war, wenn auch ein stark von den politischen und gesellschaftlichen Umständen bestimmtes.

Für die reformierten Kirchen sind 500 Jahre Refor-mation in 2017 sowie die Reformationsjubiläen in 2019 und den Folgejahren die Gelegenheit für die Frage, wie

die Wahrheit des christlichen Glaubens heute formuliert und gelebt werden kann. Wo liegt der Grund, dass es re-formierte Kirchen gibt? Weshalb wird an verschiedenen Universitäten reformatorische Theologie gelehrt? Ziel dieses Abenteuers, den theologischen Glutkern der Refor-mation immer wieder neu zu entdecken, ist jedoch nicht die konfessionelle Selbsterhaltung, vielmehr die Wahr-nehmung des Auftrags der einen Kirche für die Welt.

Worum ging es denn in der Reformation?Den Reformatoren erschienen Gott, Mensch und

Welt von Gottes Wort her radikal in neuem Lichte. Die Kirche sollte klarer Gott die Ehre geben und dadurch

– Reformation heute

Die Reformation hat Europa verändert. Was macht seitdem eine Kirche zur Kirche?«Unter uns gesagt, ist an der ganzen Sache nichts interessant als Luthers Charakter, und es ist auch das einzige was einer Menge wirklich imponiert. Alles übrige ist ein verworrener Quark, wie er uns noch täglich zur Last fällt», schrieb der alte goethe im hochgefeierten Lutherjahr 1817 an einen Freund. Da hat heutzutage die Reformation im westlichen europa schon eine bessere Presse.

Von MARtIn hIRZeL

22 bulletin Nr. 1/2012

dem Leben dienen. Die neue Sicht der Bibel als leben-diges Wort sowie die Betonung der Wichtigkeit der Pre-digt und der Gemeinde waren dafür die Voraussetzung; anstossgebend war jedoch die Hoffnung, dass Gott sel-ber für sein Wort einsteht.

Die enge Verbindung der Theologie mit dem kirch-lichen und gesellschaftlichen Leben war folgenreich. Das theologische Nachdenken der Reformatoren führte zu grundlegenden, das religiöse, individuelle, soziale und politische Leben nachhaltig prägenden Unterscheidun-gen, zum Beispiel von Gott und Mensch oder Kirche und Staat. Die heutige Relevanz dieses Denkens zu erweisen, ohne die problematischen Seiten auszublenden; dazu bie-tet das Reformationsjubiläum eine gute Gelegenheit.

Als Christ lebenDie Rede vom «gnädigen Gott» war für Luther,

Zwingli und Calvin zentral. Heute ist das Bewusstsein für die Wirklichkeit Gottes nicht mehr selbstverständlich. Heutigen Menschen befreiend und sinnstiftend von Gott zu erzählen, ist für unsere Kirchen die grosse missiona-rische Herausforderung. Menschen sollen erfahren: Gott selber stellt sicher, dass sie vor ihm bestehen können. Rechtfertigung nach reformatorischem Verständnis meint: Das Gelingen des Lebens und seine Vollendung über die Grenze dieses Daseins hinaus hängt nicht an der eigenen Leistung. Es hängt am Gottvertrauen, das sich der Begeg-nung mit Jesus Christus verdankt.

Der befreite Mensch, so sagen die Reformatoren, liebt seine Mit-menschen und Gott. Luther sagt dies so: Das rechte Handeln folgt notwendigerweise aus dem fröhlichen Glauben. Was Luther damals meinte, gilt heute umso mehr: neu zur Sprache zu bringen, was «christliche Freiheit» und «Rechtfertigung» meinen. Für die Formu-lierung dieser Kernbotschaften der Reformation helfen neben der Predigt auch andere Kommunikationsmedien: das persönliche Zeugnis, das diakonische Handeln, aber etwa auch die Musik.

Von der christlichen Freiheit her gilt es immer wie-der neu die Frage zu stellen: Was sollen und dürfen wir als Christen tun? Zwingli zum Beispiel relativierte aus seiner christlichen Freiheit heraus Handlungsnormen wie die Fastengebote der Stadt Zürich. Mit dem gleichen

Vertrauen zu Gott und mit Blick auf die gesellschaftlichen Probleme seiner Zeit stellte er die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit.

Was Kirche zur Kirche machtDie ökumenische Erklärung von Reuilly aus dem

Jahr 1999 sagt: Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die mit Gott und miteinander versöhnt sind. Sie ist die Ge-meinschaft derer, die in der Kraft des Heiligen Geistes an Jesus Christus glauben und durch Gottes Gnade gerecht-fertigt sind. Das Hören auf das Wort Gottes und die Nach-folge der christlichen Gemeinschaft macht die Kirche für die Reformatoren zur «versöhnten Gemeinschaft». Was darüber hinaus über Kirche zu sagen ist, ergibt sich für reformatorisches Denken wesentlich aus ihrem Auftrag. Dazu gehören Verkündigung, Lehre, Leitung und Diako-nie.

Welche Gestalt soll die Kirche haben?Die Reformatoren nahmen im 16. Jahrhundert für

die Wahrnehmung des Auftrags der Kirche die Hilfe des Staates in Anspruch. In der Schweiz war die Entwicklung

der Kirche besonders eng verbun-den mit der Entwicklung der politi-schen und demokratischen Struktu-ren. Mit zunehmender Entflechtung von Kirche und Staat stellt sich den reformierten Kirchen der Schweiz die Frage: Wie kann Kirche heute gestaltet werden, damit sie ihrem Auftrag gerecht wird? Reformierte müssen heute ganz neu lernen, dass die Kirche eine konkrete Gestalt braucht, damit die Verkündigung

des Evangeliums durch Predigt und Sakrament gewähr-leistet ist. Dazu müsste das Motto «Ecclesia reformata semper reformanda» neu ernstgenommen werden: nicht als Argument für den ständigen Wandel und damit die unverbindliche Formlosigkeit, vielmehr als Einladung zur bewussten Erneuerung der kirchlichen Formen und Strukturen in kritisch-konstruktiver Auseinandersetzung mit den kirchlichen Traditionen.

Reformation und ÖkumeneZum Reformationsjubiläum 2017 und dem Nach-

denken über die Botschaft der Reformation heute ge-hört die ökumenische Perspektive dazu. Sonst laufen wir

– Die enge Verbindung der Theologie mit dem kirchlichen und gesellschaftlichen Leben war folgenreich.

Reformation heute

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Gefahr zu vergessen, dass es den Reformatoren um die Erneuerung der einen, heiligen, katholischen und apo-stolischen Kirche ging. Und wir würden aus den Augen verlieren, dass das Streben nach Einheit der Kirche und die Überwindung der schmerzlichen Trennungen we-sentlich zu unserem kirchlichen Auftrag gehören. Ohne die ökumenische Perspektive würden wir auch vergessen, dass sich die römisch-katholische Kirche nicht nur unter expliziter Abgrenzung gegenüber der Reformation, son-dern auch unter impliziter Aufnahme einzelner Anliegen entwickelt hat.

Die ökumenische Verpflichtung, die Teilhabe beider Konfessionen an der Reformation und die gemeinsamen Herausforderungen der Kirchen in der modernen Gesell-schaft für die Verkündigung machen das Reformations-jubiläum zu dem ökumenischen Anlass schlechthin, um darüber nachzudenken, wie die Kirchen besser die Ein-heit der Kirche nachleben können. Es ist Zeit zu fragen: Welche gemeinsame Zukunft wollen wir? <

Weiterführende Informationen

Video-Interview: 3 Fragen an den Autoren Martin Hirzel, Beauftragter für Ökumene und Religionsgemeinschaften http://player.vimeo.com/video/42824313

24 bulletin Nr. 1/2012

«Ich habe Religion, mein Freund, und das ist auch gut so», betont Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) 1758 in einem Brief an den Genfer Pfarrer Jacob Vernes. Die Aussage

ist, obwohl apologetisch, aufrichtig gemeint; und sie hat-te ihren Preis, nämlich den Spott der Mainstream-Philo-sophen seiner Zeit, seien sie agnostisch, atheistisch oder zumindest antiklerikal. Würde Rousseau seine durchaus berechtigte Angst vor der Zensur und Polizei der Berner Obrigkeit überwinden und beim Kirchenbund am Sul-genauweg 26 anklopfen, dann wäre er dort irgendwie zu Hause – allen damals von ihm ausgelösten und bis heu-te nicht verstummten Kontroversen zum Trotz. Deshalb hat es durchaus seine Richtigkeit, wenn der Kirchenbund mit der Beteiligung an einigen der zahlreichen program-mierten Feierlichkeiten sein Interesse an Rousseau diskret signalisiert. Wie üblich stellt der Kirchenbund bei dieser

Gelegenheit den Mitgliedkirchen, etwa Genf und Neu-enburg, die in seinem Team versammelte theologische Kompetenz zur Verfügung.

Dass Jean-Jacques Rousseau ein bedeutender Ver-treter der reformierten Tradition ist, lässt sich an mindes-tens vier Aspekten ablesen: an seinem Verständnis von Gesetz und Gesellschaftsvertrag, an seinem religiösen Empfinden für die Harmonie der Schöpfung, an seiner Kritik der Zivilisation und der gesellschaftlichen Konven-tionen – letztlich reformierte Bildkritik –, sowie an seiner Introspektion, anders gesagt, an seiner unter anderem in den Bekenntnissen beschriebenen Selbstbeobachtung der eigenen psychischen und spirituellen Verfasstheit.

Mit seinem Contrat social (1762) gehört Rousseau zu den grossen Staatstheoretikern des modernen Rechts. Wie bei seinem englischen Vorläufer John Locke (1632–1704) – ein reformierter Denker auch er – wird bei Rous-

– Rousseau-Jahr 2012

Von der Lust am treffenden WortDie evangelischen Kirchen feiern 300 Jahre Jean-Jacques Rousseau: Philosoph, Denker, glaubender. Sein steter Wunsch nach Austausch liess den bedeutenden Vertreter reformierter tradition auch problematische gedanken aussprechen.

Von otto SChäFeR

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26 bulletin Nr. 1/2012

seau das Verständnis von menschlicher Gesellschaft und Staat weitgehend durch die Bundestheologie und das presbyterianisch-synodale System der aus der calvini-schen Reformation hervorgegangenen Kirchen bestimmt: Souveränität wird nicht von oben aufoktroyiert, sondern kommt von unten als Resultat des vertraglichen Zusam-menschlusses freier Individuen. Für Rousseau kann die politische Ausübung dieser Freiheit nicht delegiert wer-den. In seinem Verständnis vom Gemeinschaftswillen orientiert er sich am Modell der Landsgemeinde in der Schweiz: Repräsentative Demokratie und autonome Exe-kutive stehen unter Verdacht. Zugleich ist er ein glühen-der Pro-Europäer und reflektiert als einer der ersten Phi-losophen die institutionalisierte Befriedung des gesamten Kontinents.

Im fünften Spaziergang seiner Träumereien eines einsamen Spaziergängers (1776–1778) kommt Rousseau auf seinen kurzen Aufenthalt auf der St. Petersinsel im Bielersee zu sprechen und beschreibt den Seelenfrieden, den die Betrach-tung der Natur auslöst: Das Geräusch der Wellen und die Bewegung des Wassers versenkten meine Seele «in eine entzückende Träumerei, in der mich die Nacht oft überraschte, ohne dass ich ihr Nahen bemerkt hätte». In einer solchen Verfassung genügt man sich selbst «wie Gott» – die Mystik eines Rousseau knüpft an an das antike Erbe, an den Trost der Philosophie des Boetius und an den noch weiter zurückliegenden Traktat «Über die Gemütsruhe des Plutarch», eines von Rousseau besonders geschätzten Autors. Aber auch Calvin mit sei-nem Diktum von der Natur als dem «Theater zum Ruh-me Gottes» ist gegenwärtig, ebenso die Calvinisten des 16. Jahrhunderts, die dem Gedanken der allgemeinen Offen-barung Gottes im «Buch der Natur» so innig verbunden sind, dass sie noch den geringsten Grashalm als «Abbild Gottes» (Pierre Viret) sehen.

Die Zivilisationskritik Rousseaus hat reformierte Wurzeln

Für Rousseau ist die Zivilgesellschaft verderbt: «Kurzum: der Leser wird verstehen, […] warum der ur-sprüngliche Mensch nach und nach verschwindet und die Gesellschaft den Augen des Weisen nichts mehr als ein Gemisch gekünstelter Menschen und künstlicher Leiden-schaften zeigt», so der Philosoph in seiner Abhandlung

«Über die Ungleichheit» (1754/55). Ohne je für ein (un-mögliches) «Zurück zur Natur» zu plädieren, sieht Rous-seau in der Bezugnahme auf einen fiktiven Naturzustand, ja auf das konkrete Leben der «Wilden» ein wichtiges Korrektiv zur Hypertrophie des Scheins in zivilisierten Gesellschaften. Die heute so oft beschworene «freiwillige Einfachheit» – Rousseau hat sie zu seiner Zeit als einen ihm zusagenden kargen und ländlichen Lebensstil prak-tiziert. Die Zivilisationskritik bei Rousseau nimmt zwar Impulse aus einem breiten Schrifttum gerade auch katho-lischer Schriftsteller auf; verankert ist sie jedoch in einer starken reformierten Tradition. Das bekannteste Beispiel für diese Tradition ist der Roman «Robinson Crusoe» von Daniel Defoe (1660–1731) mit seinem reformierten Fröm-migkeitsprofil und der Figur des Freitags, einer Verkör-perung des «guten Wilden». In seinem Erziehungsroman «Emile» (1762) rät Rousseau nachdrücklich zur Lektüre des Robinsons, für ihn das einzige Buch, das jungen Men-

schen nicht künstliche Systeme und konventionelle Phrasen aufzwingt und sie so verdirbt.

Der Citoyen de Genève gibt Anlass zur Debatte

Schliesslich unterbreitet Jean-Jacques Rousseau als einer der ers-ten Autoren seiner Leserschaft aus-

führliche autobiografische Gedanken, einschliesslich der Beobachtung seiner intimsten Erfahrungen. Nicht um-sonst wurde die öffentliche Lesung der zwischen 1765 und 1770 verfassten Bekenntnisse untersagt, und zwar unter dem Druck von Personen, die Indiskretionen und Ab-rechnungen befürchteten. In dieser Hinsicht ist Rousseau ein Erbe der Gewissensprüfung, wie sie sich in der refor-mierten Tradition entfaltete mit der seltenen (jährlich viermaligen) Feier des Abendmahls und der damit ein-hergehenden Angst, es unwürdig zu empfangen. Bekannt sind weitere calvinistische Zeugnisse von peinlich genau-er und herzzerreissender Selbstbeobachtung, zuweilen in Form eines Tagebuchs. Solche Schriften waren aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Es ist eines der zahlrei-chen Paradoxa – und nicht das geringste –, dass Rousseau unter dem Vorwand der Enthüllung des wahren Selbst zur Verfeinerung der Selbststilisierung, also des von ihm so heftig abgelehnten Scheins, beigetragen hat.

Es ist dies nicht der einzige problematische Aspekt im Denken des Stars so vieler Gedenkfeiern. Zu Recht hat

– «Ich habe Religion, mein Freund, und das ist auch gut so.»

Rousseau-Jahr 2012

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Karl Barth bei Rousseau einen Rationalismus verurteilt, der zwar weniger platt ist als bei vielen seiner Zeitgenos-sen, sich aber gleichwohl der Offenbarung verschliesst. Gegen Rousseau ist daran festzuhalten, dass der Glaube immer vom Handeln eines seiner Geschichte mit Israel und Jesus Christus treu bleibenden Gottes abhängt und nicht vom menschlichen Gefühl, und sei es noch so er-füllt von zweifellos aufrichtigen Emotionen. Der Citoyen de Genève gibt Anlass zur Debatte – sei es seine Idee einer Zivilreligion (dargelegt im Glaubensbekenntnis eines sa-voyardischen Vikars) oder der mögliche kollektivistische Terror, den die Französische Revolution aus dem Diktat des Gemeinschaftswillens hergeleitet hat, oder der zu-weilen fast schon groteske Züge annehmende posthume Persönlichkeitskult. Sich auf diese Debatte einzulassen, bedeutet, Rousseau zu ehren. Denn eines ist gewiss: Sein Denken ist dialogisch angelegt und wenn es noch immer zu uns spricht, dann deshalb, weil es von der Lust am treffenden Wort und am Austausch der Gedanken durch-drungen ist. <

Weiterführende Informationen

Video-Interview: 3 Fragen an den Autoren Otto Schäfer, Beauftragter für Theologie und Ethik http://player.vimeo.com/video/42825830

28 bulletin Nr. 1/2012

Immer am dritten Wochenende im Juni rufen die Flüchtlingstage das Schicksal von Flüchtlingen in Erinnerung. Über 200 Schweizer Städte und Ge-meinden beteiligen sich an der 1980 durch die

Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH begründeten Aktion. Helfen ist unsere humanitäre Pflicht, sagen seit vielen Jah-ren die Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihrem parallelen Aufruf zum Flüchtlingssabbat und Flüchtlings-sonntag. Auch 2012. Folgend lesen Sie den Aufruf.

«Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.»

Gastfreundschaft ist eine zweischneidige Sache. Denn mit dem Gast kommt eine fremde Person ins

Haus, die nicht zur Familie oder zum Haushalt gehört. Das Risiko, die falsche Person hereingebeten zu haben, kann nicht ausgeschlossen werden. Das macht misstrau-isch. Der Gast könnte sich sogar als Feind entpuppen. Wir kennen diese Haltung, sie ist auch nicht unbegrün-det, wir machen ja alle unsere Erfahrungen – und die sind nicht immer gut.

Wer wünscht sich nicht den Besuch von Engeln? So fremd sie auch sein mögen, wir hätten nichts zu be-fürchten. Der Vers aus dem Hebräerbrief steht in einem Abschnitt unter der Überschrift «Ermahnungen für den Alltag». Es geht also nicht um Weihnachtsengel, Theater oder Kunstwerke, sondern um Engel im Alltag. Offen-bar sind sie auf den ersten Blick oder auch gar nicht zu erkennen. Wir wissen nicht, in welchem Menschen sich ein Engel verbirgt. Und weil es den Menschen nicht an-

– Flüchtlingssonntag 2012

Gastfreundschaft ist eine zweischneidige SacheDer Aufruf der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Flüchtlingssonntag und Flüchtlingssabbat vom 16. und 17. Juni 2012 schliesst sich wie jedes Jahr der Kampagne zum Flüchtlingstag der Schweizerischen Flüchtlingshilfe an.

zusehen ist, könnte jeder Mensch, der vor unseren Woh-nungstüren steht, ein Engel sein. Mit jedem Menschen, dem wir die Tür vor der Nase zuschlagen, könnten wir ei-nen Engel weggeschickt haben. Auch das ist ein Risiko – aus biblischer Sicht das weitaus größere und schwerwie-gendere.

Es ist viel davon die Rede, dass Asylsuchende unsere Gastfreundschaft ausnutzen, missbrauchen und sich nicht wie Gäste aufführen. Das kommt vor, das ist unser Risiko als Gastgeber. Niemand spricht davon, dass die Asylsu-chenden jene Engel sind, die uns als Gäste beehren. Das kommt vor, sagt der Hebräerbrief und auch das ist unser Risiko als Gastgeber. Der Gedanke, es könnte ein Engel sein, ist auch ein Weg, fremden Menschen zu begegnen. Gerade weil sich Engel nicht zu erkennen geben, können wir eigentlich gar nicht anders, als das von jedem Men-

schen, der uns um Gastfreundschaft nachfragt, anzuneh-men.

Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben sich schon 1985 gemeinsam verpflichtet: «Die Achtung der Menschenwürde jeder Person, ungeachtet ihrer Ras-se, Sprache, Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sozia-len Stellung gehört zu den Grundsätzen unseres Staates und unserer Kultur. Dieser Grundsatz hat sich besonders in unserem Verhalten gegenüber den Schwachen und Be-nachteiligten, auch gegenüber den Asylsuchenden und Flüchtlingen zu bewähren.» (Auf Seiten der Flüchtlinge, 1985). <

«Der Gedanke, es könnte ein Engel sein, ist auch ein Weg, fremden Menschen zu begegnen». Seit mehr als 30 Jahren finden öffent-liche Aktionen rund um den Flüchtlingstag statt.

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Kennen, erkennen, bekannt machen – all das steckt im deutschen Verb «bekennen». Ein Bekenntnis – verstanden in seiner religiösen Bedeutung als Eintreten für eine Glaubens-

lehre – drückt aus, was Menschen in der Heiligen Schrift erkennen, und was sie in ihren eigenen Worten wiederge-ben. Bekenntnisse sind «Gottes Wort in unsere Sprache und Denkmuster übersetzt» (Alexis Salgado). Bekennt-nisse machen etwas bekannt, sie werden laut und öffent-

lich – so im Gottesdienst – gesprochen. Dadurch tragen Bekenntnisse den Glauben weiter: sie verbinden christ-liche Gemeinschaften durch die Jahrhunderte gelebten Glaubens.

Die christliche Texttradition ist reich an Bekennt-nissen. Neben dem Grundbekenntnis der christusgläubi-gen Gemeinde, dem Glauben daran, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, finden sich in den biblischen Schriften zahlreiche weitere Bekenntnisse: der Glaube an

Der Rücklauf ist enttäuschend. nur fünf Prozent der 3700 mit einem Fragebogen bedienten Pfarrpersonen, Kirchenbehörden und Fachstellen haben sich zum «Werkbuch bekenntnis» geäussert. gleichzeitig bedeutet es einen Meilenstein in der geschichte der Schweizer Kirchen, dass jetzt die Diskussion über glaubensbekenntnisse landesweit eröffnet wird.

Von ChRIStInA tUoR-KURth

– Vernehmlassung Bekenntnis

Wie machen die Reformierten ihren Glauben erkennbar?

Gottedienst und Gottes-dienst – andere Form, gleiches Bekenntnis? Die Reformierten der Schweiz sind uneins.

32 bulletin Nr. 1/2012

den einen Gott, an Gott den Schöpfer von Himmel und Erde, der Glaube an das Ende von Armut und Ungerech-tigkeit, an die Erlösung aus Leiden und Tod.

In der Geschichte des Christentums sind Bekennt-nisse immer auch von ihrer jeweiligen Zeit mitgeprägt. In der Anfangszeit des reformierten Glaubens dienten sie als Sammlung von Argumenten, die eine Entscheidung der politischen Instanzen zugunsten der Reformation her-beiführen sollte. Daneben enthielten Bekenntnisschriften in der Reforma-tionszeit auch Verurteilungen gegen andere reformatorische Strömungen.

Seit dem 20. Jahrhundert sind es auch politische oder ethische Fragestellungen, die innerhalb der Kirchen zum Bekennen aufrufen. Gewaltsysteme wie der Nationalsozia-lismus und die Apartheid, der nuk-leare Rüstungswettlauf, die wachsen-den globalen Ungerechtigkeiten und die ökologische Zerstörung wirkten als mächtige Impulse für Bekenntnisse. Eberhard Busch spricht hier von einer «neuen Bekenntnisfreudigkeit».

In unserem Jahrhundert löst ein weiterer Moment die Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf die Bekennt-nistradition der Kirchen aus: Verschiedene Studien der

letzten Jahre attestieren den christlichen Kirchen in der Schweiz keine rosige Zukunft: Gesprochen wird von Ver-wässerung des Glaubens, von Unkenntlichkeit kirchli-chen Profils, vom Abbruch konstitutiver Glaubenstradi-tionen, von Unfähigkeit, über den Glauben zu sprechen.

Eine schweizweite Diskussion zum Bekenntnis wird eingeleitet

Den Abbruch von Glaubens-traditionen hat im Jahr 2006 eine Gruppe namhafter Persönlichkeiten aus Theologischen Fakultäten und Kirchenleitungen unter der Leitung von Pfr. Dr. Matthias Krieg (Zürich) aufgenommen. In Anlehnung an das book of confessions der Presbyte-rianischen Kirche der USA hat sie eine Sammlung von vierundzwan-zig Glaubensbekenntnissen aus Ge-schichte und Gegenwart der christli-chen Kirchen zusammengestellt, das

«Werkbuch Reformierte Bekenntnisse». 2011 bereits in einer zweiten Auflage beim Theologischen Verlag Zürich erschienen, will es die Diskussion um ein gemeinsames Glaubensbekenntnis in den reformierten Kirchen der Schweiz anstossen. Ziel ist eine Debatte über die Grund-lagen und tragenden Inhalte des eigenen Glaubens: Wie können wir über unseren Glauben reden? Worauf können wir uns dabei beziehen? Worin besteht die reformierte Prägung unseres Glaubens und woher kommt sie? Woran werden wir für andere erkennbar?

Die Arbeit mit dem Werkbuch soll zudem Antwort darauf geben, welche Texte in eine Sammlung von Refe-renztexten aufgenommen werden, und welchen Stellen-wert eine solche Sammlung in Zukunft einnehmen kann, dies auch im Blick auf die anstehenden Reformationsju-biläen.

Es ist ein Meilenstein in der Geschichte der Schwei-zer Kirchen, dass jetzt die Diskussion über Glaubensbe-

– In der Geschichte des Christentums sind Bekenntnisse immer auch von ihrer jeweiligen Zeit mitgeprägt.

«Das Credo von Kappel» ist ein Vorschlag im Werkbuch Bekenntnis auf Grundlage eines Gedichts des Pfarrers und Schriftstellers Kurt Marti.

Vernehmlassung Bekenntnis

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kenntnisse landesweit eröffnet wird. Nie zuvor wurde eine gesamtschweizerische Diskussion darüber geführt, dass im Verlauf des sogenannten Apostolikumstreites im 19. Jahrhundert in den reformierten Kirchen der Schweiz die Bekenntnisbindung nach und nach aufge-hoben wurde.

Im Sommer 2009 hat der Rat des Kirchenbundes von seiner Abgeordnetenversammlung die Aufgabe über-nommen, das Werkbuch Reformierte Bekenntnisse bei den Mitgliedkirchen in eine Vernehmlassung zu geben. Diese Vernehmlassung dauerte von Juli 2010 bis Juni 2011. Von den insgesamt 3700 mit einem Fragebogen bedien-ten Adressen – Pfarrpersonen, Behördenpräsidien und Erwachsenenbildungsfachstellen – erfolgte ein enttäu-schend kleiner Rücklauf von etwas mehr als fünf Prozent. Darunter sind auch solche Stimmen mitgezählt, die sich ausserhalb des Fragebogens mit einem Kommentar in die Diskussion eingebracht haben.

Das Gespräch ist eröffnetTrotz des mageren Rücklaufs hat das Werkbuch Re-

formierte Bekenntnisse bei den Teilnehmenden an der Vernehmlassung Gefallen gefunden. Die Auseinanderset-zung mit der Sammlung führte zu zahlreichen Gesprächen über die Funktionen von Bekenntnissen und über Beken-nen grundsätzlich, auch ausserhalb des Rahmens dieser Vernehmlassung. Die Ergebnisse der Vernehmlassung selbst lassen sich so zusammenfassen: Das erste, von der Initiativgruppe formulierte Ziel wurde erfüllt, das Werk-buch vermochte die Initialzündung zu einer schweizwei-ten Diskussion um reformiertes Bekenntnis geben. Ge-rade die ökumenische Bedeutung der Bekenntnisse, als Verbindung zu anderen Kirchen, wird von vielen Teilneh-menden als wichtig erachtet. Hinsichtlich der Frage einer verbindlichen Sammlung an Bekenntnistexten, bei der sich die Initiativgruppe ebenfalls Antwort erhoffte, laufen die Meinungen jedoch auseinander. Mehrheitlich wird gegen die Einführung eines gemeinsam gesprochenen Bekenntnisses im sonntäglichen Gemeindegottesdienst votiert, wobei in Spezialgottesdiensten ein Bekenntnis als angebracht erscheint. Auch wenn aus ökumenischen Überlegungen dem Apostolikum und dem Nicäno-Kon-stantinopolitanum eine wichtige Funktion beigemessen wird, lässt sich keine eindeutige Tendenz für oder gegen ein bestimmtes Bekenntnis ausmachen. Negativ zu ver-merken ist freilich, dass sich Mitglieder der reformierten Kirchen der französischsprachigen Schweiz, in denen das

Apostolikum Bestandteil des Gemeindegottesdienstes ist, nur mit rund 8 % beteiligt haben. Diese gelebte Praxis ist damit in den Antworten zu wenig repräsentiert.

Das einmal angestossene Gespräch geht weiter. Ver-schiedene Kirchen haben das Thema Bekenntnis in ihre Legislaturziele aufgenommen. Der Kirchenbund regt in seinem Bericht zuhanden der Abgeordnetenversamm-lung an, eine lebendige Kultur des Bekennens zu pflegen. Dem Abbruch der christlichen Tradition in der Schweiz kann durch ein deutlicheres Profil der reformierten Kir-chen entgegengewirkt werden, zu dem das Bekenntnis ein Mittel ist. Doch sind Bekenntnisse keine Pflichttexte, son-dern interpretationsbedürftige Sprach- und Denkangebo-te, über die breit und in grosser Vielfalt diskutiert werden muss. <

Weiterführende Informationen

Video-Interview: 3 Fragen an die Autorin Christina Tuor-Kurth, Leterin Institut für Theologie und Ethik http://player.vimeo.com/video/42822793

Der Kirchenbund präsentiert online eine Sammlung von Projekten und Dokumenten rund um das Werkbuch Bekenntnis. www.ref-credo.ch

34 bulletin Nr. 1/2012

– Glaube in der Welt

Die evangelischen Kirchen des Nahen Ostens

Von SeRge FoRneRoD *

Die evangelischen Kirchen des nahen ostens machen sich gedanken über ihre Zukunft in einem mitten im Umbruch befindlichen Umfeld. Angesichts der unterschiedlichen Formen und Verläufe, die der «arabische Frühling» in den einzelnen Ländern nimmt, sehen sich die Christen, und insbesondere die evangelischen Christen, mit neuen herausforderungen konfrontiert.

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Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen im Mittleren Osten (Fellowship of Middle East Evangelical Churches FMEEC) hat alle Mit-gliedkirchen der Region zu einer Tagung

vom 12. bis 15. Februar 2012 zum Thema «Evangelische und christliche Präsenz im Nahen Osten» nach Beirut eingeladen. Zum einen hatte man vor, die überaus unter-schiedliche nationale Situation der Protestanten in diesen Ländern zu erörtern, zum anderen sollten gemeinsame Leitlinien angesichts der fortdauernden wie beendeten Revolutionen erarbeitet werden. Nahezu hundert Teil-nehmer aus rund fünfzehn Kirchen sowie einige westliche Beobachter sind der Einladung gefolgt. Vertreten war die Region von Algerien bis zum Iran, von Kuwait über Syri-en, Irak und Palästina bis nach Ägypten.

Zwei Tage lang wurde ausgehend von konkreten Ein-zelfallberichten sowie von Analysen zu den geopolitischen, aber auch zu den derzeit gegebenen interreligiösen und ökumenischen Faktoren intensiv diskutiert. Angesichts der Angst der Christen, zu Geiseln bzw. zu Verlierern der aktuellen Entwicklung zu werden, sprach sich die Konfe-renz in ihrer Schlusserklärung für ein gutes Einvernehmen sowie eine gute Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinschaften «auf der soliden Grundlage einer auf die Gleichheit der Menschenrechte gegründeten Koexis-tenz» aus und rief zur Schaffung eines «auf Gerechtigkeit, Freiheit sowie der Achtung und dem Schutz der Men-schenrechte» beruhenden Friedens im Nahen Osten auf. Die Konferenz appellierte «vor allem an die derzeitigen Machthaber, auf die Errichtung von Rechtsstaaten in der Region hinzuwirken: Staaten, die auf einem zeitgemässe-ren Demokratieverständnis (...) und somit auf der Gleich-heit der allen gleichermassen zugestandenen Bürgerrechte gründen (...): Staaten, die ohne jede Diskriminierung allen Bewohnern des Nahen Ostens gleiche Chancen auf Arbeit und Wohlstand bieten. Nur in einem solchen Nahen Osten werden alle Gemeinschaften, evangelische wie nichtevan-gelische, vor allem aber unsere Jugend in den Genuss von Sicherheit und Wohlstand kommen und weder in Perspek-tivlosigkeit und Angst noch mit der Versuchung auszu-wandern leben.»

Die Situation dieser Minderheit innerhalb der christlichen Minderheit macht diese angreifbarer und lässt sie zur potenziellen Zielscheibe ungestrafter Ge-waltakte werden. Doch die Loyalität der Protestanten dem Schicksal ihrer jeweiligen Nation gegenüber sowie ihr Verantwortungsbewusstsein für die Verteidigung und

Förderung der Rechtsstaatlichkeit beweisen unter solchen Umständen durchaus Mut. Das ist anerkennens- und be-grüssenswert. Diese Gemeinschaft von Kirchen ist über die ökumenische Solidarität unter den Kirchen der Region hinaus auch an der Herstellung guter Beziehungen zu ge-mässigten Muslimen interessiert. Die Verbundenheit mit den evangelischen Kirchen Europas ist für diese Kirchen eine wertvolle Stütze. Die FMEEC als Schwesterorganisa-tion der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE hat durch diese Tagung sowohl die bedrängte Lage zahlreicher von den Medien vergessener und übersehener Gemeinschaften als auch die Existenz eines Netzwerks der Unterstützung und der internationalen Solidarität unter den Kirchen der einzelnen Regionen unserer Welt sichtbar gemacht.

Der Kirchenbund konnte sich an dieser Tagung be-teiligen. Zum einen ging es ihm darum, den im Herbst 2010 anlässlich der Reise einer Delegation in den Nahen Osten begonnenen Ausbau der Beziehungen zu den Kir-chen der Region fortzuführen und insbesondere die ein-zelnen Kirchen dabei zu unterstützen, in einem gefähr-lich labilen politischen Umfeld ihre Stimme zu erheben. Zum anderen sollten die Kirchen des Kirchenbundes über die Situation der Christen in der ganzen Region un-terrichtet werden. Die politische Lage im Nahen Osten lässt sich nicht auf den israelisch-palästinensischen Kon-flikt reduzieren. Die verschiedenen Entfaltungsformen des «arabischen Frühlings» bringen nicht ausschliess-lich Hoffnungen auf mehr Demokratie und Achtung der Menschenrechte mit sich. Die Christen und insbesonde-re die ultraminoritären evangelischen Christen zählen auf unseren Beistand und unsere Aufmerksamkeit, damit sie am Umbau ihrer jeweiligen Gesellschaft mitwirken können und als Minderheit in ihren Ländern respektiert werden. <

* SeRge FoRneRoD ist Leiter Aussenbeziehungen beim Kirchenbund

36 bulletin Nr. 1/2012

Mit der Frage «Wo bist du?» (1. Mose 3, 9) beginnt Gott in der Bibel seinen Dialog mit den Menschen. Es ist das Gespräch Gottes mit dem Mensch nach dem Sün-

denfall. Die Frage «Wo bist du?» richtet sich an den Men-schen diesseits von Eden zwischen Katastrophen und Alibis, die rechtfertigen sollen, warum es gar nicht anders sein kann.

Die Frage nach dem «Wo» des Menschen klingt ungewohnt. Denn wenn heute über Menschenwürde ge-

sprochen wird, geht es in der Regel darum, «wer» oder «was» der Mensch ist. Auch auf diese Fragen gibt die Bibel bereits ganz am Anfang eine wegweisende Antwort: «Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich. […] Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie.» (1. Mose 1, 26f.) Und Psalm 8, 6 bekräftigt: «Du hast ihn wenig geringer gemacht als Gott, mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt.» Das klingt grossartig – aber stimmt das auch?

– «Wo bist du, Adam?»

Zur Diskussion der Menschenwürde aus ökumenischer Sicht.In seinen tag- und nachtbüchern notiert theodor haecker am 31. März 1940: «eine Weltkatastrophe kann zu manchem dienen. Auch dazu, ein Alibi zu finden vor gott. Wo warst du, Adam? Ich war im Weltkrieg.» Die Suche nach Adam, dem Menschen, begann aber weder erst im Zweiten Weltkrieg noch endete sie danach. Die Frage gehört zum Menschen, sie beschäftigt ihn von Anfang an.

Von FRAnK MAthWIg

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Aus dem Paradies verwiesen – würdelos? Adam und Eva, 1780 Kupferstich des däni-schen Künstlers Nicolai Abildgaard.

38 bulletin Nr. 1/2012

Der Selbstverständlichkeit, mit der wir von der Gott ebenbildlichkeit des Menschen sprechen, stellen sich zumindest zwei Beobachtungen unbequem in den Weg. Erstens begegnet diese Auszeichnung des Menschen nur in 1. Mose 1, 26f. 1. Mose 5, 1.3 und 9, 6 nehmen die Stel-le lediglich wieder auf. Und zweitens bleibt strittig, was dort eigentlich über den Menschen ausgesagt wird: Ist er als Ebenbild Gottes (hebräisch zäläm, griechisch eikon, lateinisch imago) ausgezeichnet oder durch seine Gottähnlichkeit (demuth, homoiosis, similitudo)? Für die grie-chischen und lateinischen Kirchenvä-ter standen die erstgenannten Begriffe für das menschliche Leben, die letzt-genannten für ein gottentsprechendes Leben. Die erste Bezeichnung bezieht sich auf den Menschen als Geschöpf Gottes, die zweite bildet einen Mass-stab für das menschliche Verhalten und Handeln. In 1. Mose 1, 26 werden beide Vorstellungen in einem Atemzug genannt. Aber passt diese Beziehung noch auf den Menschen nach dem Sündenfall, der ihn Gott ganz und gar «unähnlich» ge-macht hat? War der Mensch nur Ebenbild Gottes oder ist er es noch? Mit diesem Problem beschäftigt sich die

christliche Theologie seit ihren Anfängen. Und das Pro-blem betrifft auch die kirchlich-theologische Diskussion über Menschenwürde und Menschenrechte, in der von einer engen Verbindung zwischen Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde oder sogar ihrer Identität ausgegan-gen wird.

Das Verhältnis zwischen der christlichen Theolo-gie und Kirche und den Menschenrechten hat eine lange

wechselvolle Geschichte. Bis heute wird kontrovers darüber diskutiert, welchen Anteil dem Christentum am Aufkommen der Idee univer-saler Menschenrechte zukommt. Keine Meinungsverschiedenhei-ten bestehen darüber, dass erst die Erfahrungen des schier endlosen menschlichen Elends im Zweiten Weltkrieg den Menschenrechten endgültig zum Durchbruch ver-holfen haben. Seither gehören die

grossen christlichen Kirchen zu ihren engagierten An-wältinnen. Das geschieht in weitgehender ökumenischer Einigkeit, wie auch die jährlichen ökumenischen Verlaut-barungen der drei grossen Landeskirchen in der Schweiz anlässlich des Menschenrechtstages zeigen.

Diese Übereinstimmung hat aber Grenzen, wie die jüngste Diskussion über die Menschenwürde zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche ROK und der Ge-meinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE zeigt. Auslöser für die Auseinandersetzung sind die im Juli 2008 vorgelegten «Grundlagen der Lehre der Russischen Or-thodoxen Kirche über die Würde, die Freiheit und die Menschenrechte». Im Mai 2009 veröffentlichte die GEKE ihre Reaktion unter dem Titel «Menschenrechte und christliche Moral», an welcher der Kirchenbund massgeb-lich beteiligt war.

Die bisherige Diskussion hat die bestehenden theo-logischen Differenzen zwischen den beteiligten Kirchen und Konfessionen bestätigt. Diese Unterschiede werden auf dem Gebiet der Menschenrechte greifbar in unter-schiedlichen Auffassungen über Umfang, Status, Reich-weite und Geltungsbedingungen von Menschenrechten. Die vertraute Konfrontationslinie im kirchlichen Koor-dinatensystem Europas lässt sich etwa so zuspitzen: der Westen für die Freiheit, der Osten für die Moral. Zwei we-sentliche Veränderungen dürfen dabei nicht übersehen werden: Die Debatte zeugt erstens von einer deutlich ge-

– Der Westen Europas steht für die Freiheit, der Osten für die Moral.

«Wo bist du, Adam?»

2007 hat der Kirchen-bund seine Position zu den Menschenrechten vorgelegt. Erhältlich unter www.sek.ch/onlineshop.

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wachsenen Sensibilisierung für die Sache der Menschen-rechte. Und zweitens werden die unterschiedlichen Auf-fassungen im Rahmen eines Gesprächs greifbar, das von beiden Seiten aktiv angestrebt wurde und mit grossem Engagement geführt wird.

Gottebenbildlichkeit vs. GottähnlichkeitDie Positionen zwischen ROK und GEKE unter-

scheiden sich erheblich. Auf den ersten Blick scheint dort lediglich der alte Streit um die menschliche Freiheit im Gewand der Menschenwürde neu aufzuflammen. Die Protestanten betonen – im Anschluss an Reformation und Aufklärung – die (relative) Autonomie der Person, die Russisch-Orthodoxen relativieren und kritisieren – in Übereinstimmung mit der Römisch-Katholischen Kirche – ein solches, in ihren Augen überzogenes Frei-heitsverständnis. Tatsächlich geht es um mehr. Im Raum steht die theologische Frage nach der anfangs erwähnten Doppeldeutigkeit von 1. Mose 1, 26: Die GEKE versteht Menschenwürde als Gottebenbildlichkeit, die jedem Menschen von Gott zugesprochen wird. Die ROK stimmt dem grundsätzlich zu, macht aber die Menschenwürde darüber hinaus von der Frage abhängig, ob sich die Men-schen in ihrem konkreten Handeln an dem moralischen Massstab der Gottähnlichkeit orientieren. Gottebenbild-lichkeit und Gottähnlichkeit ergänzen sich für die ROK: Gottebenbildlichkeit hat der Mensch als Geschöpf Gottes, Gottähnlichkeit schafft der Mensch durch sein sittliches Verhalten.

Für die GEKE macht Gott den Menschen zu sei-nem Ebenbild. Für die ROK macht sich der Mensch Gott ähnlich. In diesem Punkt stehen sich beide theologischen Positionen diametral gegenüber. Es stellt sich die Frage, ob und wie beide Vorstellungen in eine Beziehung gesetzt werden können.

Der Theologe Jürgen Moltmann hat in diesem Zu-sammenhang für ein relationales Verständnis beider Vorstellungen plädiert: Gottebenbildlichkeit meint dann das «Menschenverhältnis Gottes», Gottähnlichkeit dage-gen das «Gottesverhältnis des Menschen». In der Gott-ebenbildlichkeit setzt sich Gott in ein Verhältnis zum Menschen, «dass dieser sein Bild auf Erden wird». Weil Gott die Beziehung stiftet, kann nur Gott sie beenden. Gottebenbildlichkeit ist von Gott gegeben und nicht vom Menschen gemacht. Weil Gott den Menschen zu seinem Ebenbild begabt, fällt diese Auszeichnung nicht in die Verhandlungsmasse der Menschen. Das bedeutet: Die

Würde des Menschen ist für Menschen unantastbar und gilt unbedingt. Die Gottähnlichkeit zeigt sich im konkre-ten Verhalten der eigenen Person in ihrer Beziehung ge-genüber Gott. Sie wird also durch das menschliche Han-deln bedingt und ist auf die partikulare «Lebensheiligung der Christen» bezogen.

Aus evangelischer Sicht ergibt sich für das moderne Würdeverständnis ein Dreischritt: 1. Menschen nehmen ihr würdebegabtes Leben aus den Händen Gottes. 2. Das Heil der Menschen ist weder mit ihrer Würde gegeben, noch durch ein aktives Gott-ähnlich-Werden erreichbar. Vielmehr verdankt es sich allein dem Heilshandeln Got-tes in Jesus Christus, dem Bild Gottes (2. Korinther 4, 4; Kolosser 1, 15). 3. Erst in diesem, an Christus orientierten Abbild-Werden (Römer 8, 29; 2. Korinther 3, 18) sind die Gläubigen fähig, Gott in ihrem konkreten Handeln nach-zufolgen. Was die russisch-orthodoxe Tradition unter die moralische Kategorie des Gott-ähnlich-Werdens fasst, beschreibt Martin Luther als «fröhlichen Wechsel», der die Werke des Glaubens «aus freier Liebe umsonst» her-vorbringt. Nicht die Gottähnlichkeit, sondern die Chris-tuszugehörigkeit bildet bei dem Reformator den Bezugs-punkt für das christliche Ethos. Die Befreiungstat Gottes bildet den Grund und Ausgangspunkt für die Moral, nicht ihr Ziel.

Die Diskussion um die Menschenrechte muss weitergehen

Die Diskussion über die theologischen Fundamen-te des modernen Würdebegriffs übersieht allerdings häu-fig die Titelfrage: «Wo bist du Adam?» Wo ist der Ort, der der Würde des Menschen entspricht? Das ist eine theo-logische Frage, die längst nicht nur von theologischem Interesse ist. Der Ort des würdebegabten Menschen kann kein anderer sein, als bei den Menschen selbst: Ecce homo! (Johannes 19, 5) Hier müsste die Menschen-rechtsdiskussion weitergehen – auf beiden Seiten. Die Kontroverse darf nicht diejenigen übersehen, um deren Schutz es geht. Gegen die Gefahr des Übersehens der Opfer von Menschenrechtsverletzungen gibt es nur ein Mittel: Führen wir unsere theologisch-ethischen Dispute im Angesichts eines geschundenen, seiner elementarsten Rechte beraubten Menschen und stellen uns ernsthaft die Fragen: Welche Relevanz hat die Frage der Definition von imago oder similitudo im Angesicht eines gefolterten po-litischen Oppositionellen? Welche Rolle spielt die mora-lische Dimension der Würde im Angesicht der Frauen,

40 bulletin Nr. 1/2012

die Opfer systematischer Vergewaltigungen werden? Welchen Sinn macht eine theologische Debatte über die Grenzen menschlicher Freiheit, wenn Korruption und Unterdrückung ganze Gesellschaftsschichten ins Elend und in Gewaltverhältnisse treiben? Wenn diese Fragen wirklich Thema würden, dann wäre die Diskussion tat-sächlich dort angekommen, wo sie hingehört: bei den Menschen und zuerst bei den Opfern von Menschen-rechtsverletzungen. <

Weiterführende Informationen

Video-Interview: 3 Fragen an den Autoren Frank Mathwig, Beauftragter für Theologie und Ethik http://player.vimeo.com/video/42821463

Der Stein des Anstosses: Rudolf Uertz/Lars Peter Schmidt (Hg.), Die Grundlagen der Lehre der Russischen Orthodoxen Kirche über die Würde, die Freiheit und die Menschenrechte, Moskau 2008.

Die Antwort der GEKE: Menschenrechte und christliche Moral www.leuenberg.eu/de/node/2925

Beiträge aus der sich anschliessenden Diskussion

Igumen Philarète Bulekov, Die ökumenische Diskussion über die Menschenrechte www.bogoslov.ru/de/text/480131.html

Frank Mathwig, Menschenrechte und Ökumene. Zur Diskussion zwischen ROK und GEKE, in: G2W 10/2009, S. 22–24

Barbara Hallensleben, Russische Beiträge zur westlichen Menschenrechtsdebatte, in: G2W 10/2009, S. 25–27

Barbara Hallensleben/Nikolaus Wyrwoll/Guido Vergauwen, Zur Ambivalenz der Menschenrechte. Missverständnisse der «Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa», in: SKZ 177/2009, S. 497–502

Frank Mathwig, Weniger ist mehr. Zur Kritik an der GEKE-Antwort auf die Menschenrechtsgrundsätze der russischen orthodoxen Kirche, SKZ 177/2009, S. 563–566

Stefan Tobler, Menschenrechte als kirchentrennender Faktor? Die Debatte um das russisch-orthodoxe Positionspapier von 2008, in: ZThK 107/2010, S. 325–347

«Wo bist du, Adam?»

bulletin Nr. 1/2012

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK

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42 bulletin Nr. 1/2012

– Organisation

Evangelische Kirchen in der SchweizDer Schweizerische evangelische Kirchenbund ist der Zusammen schluss der 24 reformierten Kantonalkirchen, der evangelisch-methodistischen Kirche und der Église Évangélique Libre de genève in der Schweiz. Damit repräsentiert der Kirchenbund rund 2,4 Millionen Protestantinnen und Protestanten. er nimmt Stellung zu Politik, Wirtschaft und glaubensfragen und ist unter anderem Ansprechpartner des bundesrates.

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund nimmt die gemeinsamen Interessen seiner Kirchen wahr und vertritt sie auf nationaler und internationaler Ebene. Politisch ist der Kirchenbund als Vertreter des Schweizer Protestantis-mus unter anderem Gesprächspartner der Bundesbehör-den.

Der Kirchenbund nimmt politisch Stellung und äus-sert sich in eigenen Publikationen zu theologischen und ethischen Gegenwartsfragen. Auf religiöser Ebene vertritt er seine Kirchen in der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen WGRK, in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE, in der Konferenz Europäischer Kirchen KEK und im Ökumenischen Rat der Kirchen ÖRK. Der Kirchenbund pflegt Beziehungen zu den Partnerkirchen im In- und Ausland, zur jüdischen und islamischen Gemeinschaft, zur Bischofskonferenz sowie zu den Hilfswerken und Missionsorganisationen.

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Pfr. Dr. theol. Gottfried Locher, Präsident

Pfrn. Kristin Rossier Buri, VizepräsidentinAusbildung und Begleitung der Räte der Église Évangé-lique Réformée du canton de Vaud im gesamtkirchlichen Amt (Personalamt)

Dr. theol. h. c. Peter Schmid, VizepräsidentPräsident des Fachhochschul-rates der FachhochschuleNordwestschweiz FHNW

Pfrn. Rita Famos-PfanderPfarrerin der Evangelisch reformierten Landeskirchedes Kantons Zürich seit 1993

Regula KummerVizepräsidentin des Evangelischen Kirchenrates des Kantons Thurgau (Ressort Diakonie und Werke)

Pfr. Daniel de RocheSynodalratspräsident der Evangelisch-ReformiertenKirche des Kantons Freiburg

Lini Sutter-AmbühlRechtsanwältin, Präsidentin des Kirchenrates derEvangelisch-Reformierten Landeskirche Graubünden

Rat des Kirchenbundes

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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kirchenbundes

Beatrice Bienz Administrative Assistentin des Ratspräsidenten

Jacqueline BlaserAdministrative Assistentin am Empfang

Jacqueline DählerMitarbeiterin Buchhaltung

Manuel ErhardtWebassistent

Dipl. theol. u. Journalist Thomas Flügge Beauft ragter für Öffentlich-keitsarbeit

Pfr. Serge Fornerod, MPALeiter Aussenbeziehungen und stellvertretender Geschäftsleiter

Nicole Freimüller- HoffmannAdministrative Assistentin des Leiters Kommunikation

Anke Grosse-Frintrop Leiterin Zentrale Dienste

Pfr. Dr. theol. Martin HirzelBeauftragter für Ökumene und Religionsgemeinschaften

Pfr. Simon HofstetterWissenschaftlicher Assistent im Bereich Recht und Gesellschaft

Dr. rer. pol. Hella HoppeBeauftragte für Ökonomie

Pfr. Matthias HügliBeauftragter für Kirchenbeziehungen

Michèle LaubscherSachbearbeiterin im Institut für Theologie und Ethik

Pamela LiebenbergSachbearbeiterin im Bereich Kirchen

Prof. Dr. theol. Frank MathwigBeauftragter für Theologie und Ethik

Christine MaurerMitarbeiterin am Empfang

Helene MeyerhansAdministrative Assistentin Ratsarbeit

Christiane RohrAdministrative Assistentin in den Bereichen Kirche sowie Aussenbezie-hungen und Ökumene

Lic. phil. hist. Simon RöthlisbergerBeauftragter für Migration

Pfr. Dr. sc. agr. Otto SchäferBeauftragter für Theologie und Ethik

Anja ScheuzgerSachbearbeiterin im Institut für Theologie und Ethik

Lic. phil. Cornelia SchnabelPersönliche Mitarbeiterin des Ratspräsidenten

Mirjam SchweryMitarbeiterin am Empfang

Dr. utr. iur. RA Christian TappenbeckBeauftragter für Recht und Gesellschaft

PD Dr. theol. Christina Tuor-KurthLeiterin des Instituts für Theologie und Ethik

Cécile UhlmannBeauftragte für Rechnungswesen

Pfr. Simon WeberPressesprecher und Leiter Kommunikation

Eva WernlyAdministrative Assistentin des Geschäftsleiters

Pfr. Philippe WoodtliGeschäftsleiter

Brigitte WegmüllerAdministrative Assistentin der Leiterin des Instituts für Theologie und Ethik

46 bulletin Nr. 1/2012

– Umstrukturierung

Eine neue Organisation für den Kirchenbund

KommunikationLeitung: Simon Weber

Die Stabsstelle Kommuni-kation übernimmt Quer-schnittsaufgaben in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit und der Publizistik. Der Leiter der Stabsstelle Kom-munikation ist gleichzeitig der Pressesprecher des Kirchenbundes.

Zentrale DiensteLeitung: Anke Grosse-Frintrop

Die Stabsstelle Zentrale Dienste stellt die administ-rativen und infrastrukturel-len Basisleistungen für die gesamte Geschäftsstelle zur Verfügung. Die Folgearbei-ten zu den Empfehlungen der AV-Kommission sind hier angesiedelt.

Mit dem Jahr 2012 wurden Aufbau und Abläufe der geschäftsstelle des Kirchen-bundes umstrukturiert. neu gibt es sechs organisationseinheiten. Aus der Abteilung Kirchenbeziehungen wurden die bereiche Kirchen, Aussenbeziehungen und ökumene sowie Recht und gesellschaft. geblieben sind das Institut für theologie und ethik sowie die Stabsstellen Kommunikation und Zentrale Dienste. Die Aufgabengebiete jeder organisationseinheit sind in einem sogenannten grundauftrag festgehalten, welcher vom Präsident erlassen wird. Der Rat genehmigt das jeweilige Jahresprogramm.

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Die Kirchen wählen ingesamt 70 Delegierte, die sie in der Abgeordne-tenversammlung AV vertreten. Die AV ist das Parlament (Legislative) des Kirchenbundes. Sie tagt zwei Mal pro Jahr.

Der Rat ist das Exekutivorgan des Kirchenbundes. Er tagt in der Regel ein Mal pro Monat zwei Tage.

> Präsident: Gottfried Locher

> Vizepräsidentin: Kristin Rossier Buri > Vizepräsident: Peter Schmid> Rita Famos-Pfander> Regula Kummer> Daniel de Roche> Lini Sutter-Ambühl

Rat

Der Geschäftsleiter führt die Geschäfts-stelle und ist als Verbindungsperson für die Kommunikation zwischen Abgeordnetenversammlung, Rat und Geschäftsstelle verantwortlich. Er sorgt dafür, dass die Beschlüsse der Abgeord-

netenversammlung und des Rates an den richtigen Stellen der Geschäftsstelle umgesetzt werden. Ebenso ist er dafür verantwortlich, dass die Arbeiten der Geschäftsstelle frist- und formgerecht dem Rat vorgelegt werden, welcher sie

dann gegebenenfalls an die Abgeordne-tenversammlung weiterleitet.

> Geschäftsleiter, sowie Sekretär des Rates und der Abgeordneten - ver sammlung: Philippe Woodtli

geschäftsleitung

Institut für theologie und ethikLeitung: Christina Tuor-Kurth

Das Institut für Theologie und Ethik leistet Grundla-genarbeiten in Theologie und Ethik an der Schnitt-stelle zwischen universitärer Theologie und Fachstellen der Kirchen. Das Glaubens-buch, welches im Advent 2013 erscheinen soll, wird im Institut erarbeitet.

KirchenBeauftragter: Matthias Hügli

Der Bereich Kirchen fokus-siert die Beziehungspflege zu den Kirchen. Gefordert ist Schnittstellenarbeit im gesamten Bereich des Schweizerischen Protestan-tismus. Die Organisations-einheit befindet sich noch in der Aufbauphase.

Aussenbeziehungen und ökumeneLeitung: Serge Fornerod

Die Aussenbeziehungen sind verantwortlich für die inter-nationale Arbeit des Kirchen-bundes in der Weltgemein-schaft Reformierter Kirchen WGRK, in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Eu-ropa GEKE, in der Konferenz Euopäischer Kirchen KEK und im Ökumenischen Rat der Kirchen ÖRK. Die Aus-senbeziehungen pflegen die bilateralen Beziehungen zu den ökumenischen Schwester-kirchen im In- und Ausland. Die Arbeiten zum Refor-mationsjubiläum werden in diesem Bereich geleistet.

Recht und gesellschaftBeauftragter: Christian Tappenbeck

Der Bereich Recht und Gesellschaft arbeitet im Kir-chenrecht, an der Schnitt-stelle zu staatlichem Recht und in aktuellen politischen Fragen. Die Verfassungsre-vision des Kirchenbundes und die Bearbeitung der Motion Diakonie sind die-sem Bereich zugewiesen.

26 Kirchen

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Reformierte Landeskirche AargauKirchenratspräsidentin: Claudia Bandixen 75 Kirchgemeinden183 341 Mitglieder

Reformierte Kirchen Bern-Jura-SolothurnSynodalratspräsident: Andreas Zeller 213 Kirchgemeinden693 531 Mitglieder

Evangelische Landeskirche GraubündenKirchenratspräsidentin: Lini Sutter-Ambühl 120 Kirchgemeinden71 920 Mitglieder

Evangelisch-Reformierte Landeskirche beider AppenzellKirchenratspräsident: Kurt Kägi-Huber 20 Kirchgemeinden25 675 Mitglieder

Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons FreiburgSynodalratspräsident: Daniel de Roche 16 Kirchgemeinden40 628 Mitglieder

Reformierte Kirche Kanton Luzern Synodalratspräsident: David A. Weiss 8 Kirchgemeinden42 633 Mitglieder

Reformierte Kirche BasellandKirchenratspräsident: Martin Stingelin 35 Kirchgemeinden97 582 Mitglieder

Église Protestante de GenèveKirchenpräsidentin: Charlotte Kuffer 31 Kirchgemeinden79 576 Mitglieder

Église réformée évangélique du canton de NeuchâtelPrésident du Conseil synodal: Gabriel Bader 12 Kirchgemeinden62 865 Mitglieder

Reformierte Kirche Basel-StadtKirchenratspräsident: Lukas Kundert 10 Kirchgemeinden32 000 Mitglieder

Evangelisch-Refor mierte Landeskirche des Kantons GlarusKirchenratspräsident: Ulrich Knoepfel 13 Kirchgemeinden15 531 Mitglieder

Evangelisch-Reformierte Kirche NidwaldenKirchenratspräsidentin: Karin Gerber-Jost 3 Kirchgemeinden4514 Mitglieder

– Evangelische Kirchen in der Schweiz

Die Kirchen des Kirchenbundes

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Evangelisch-Reformierte Kirche ObwaldenPräsidentin des Verbandes der ev.-ref Kirchgemeinden von OW: Therese Meierhofer-Lauffer 2 Kirchgemeinden2821 Mitglieder

Evangelisch-Reformierte Kirche Kanton Solothurn Synodalratspräsidentin: Verena Enzler 23 Kirchgemeinden29 555 Mitglieder

Église Évangélique Réformée du canton de VaudPrésidente du Conseil: Esther Gaillard 83 Kirchgemeinden251 716 Mitglieder

Église Évangélique Libre de Genève Président du Conseil Synodal: Raymond Bourquin 6 Kirchgemeinden680 Mitglieder

Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. GallenKirchenratspräsident: Dölf Weder 55 Kirchgemeinden114 193 Mitglieder

Evangelische Landes kirche des Kantons ThurgauKirchenratspräsident: Wilfried Bührer 66 Kirchgemeinden98 753 Mitglieder

Evangelisch-reformierte Kirche des WallisPrésident du Conseil synodal: José Marti 10 Kirchgemeinden17 883 Mitglieder

Evangelisch- methodistische Kirche in der SchweizBischof: Patrick Streiff 120 Kirchgemeinden6162 Mitglieder

Evangelisch-reformierte Kirche Kanton SchaffhausenKirchenratspräsidentin: Frieder Tramer 31 Kirchgemeinden32 109 Mitglieder

Chiesa Evangelica Riformata nel Cantone TicinoPresidente del Consiglio sinodale: Tobias E. Ulbrich 3 Kirchgemeinden7172 Mitglieder

Reformierte Kirche Kanton ZugKirchenratspräsidentin: Monika Hirt Behler 7 Kirchgemeinden17 929 Mitglieder

Evangelisch-reformierte Kantonalkirche SchwyzKirchenratspräsident: Felix Meyer 6 Kirchgemeinden18 156 Mitglieder

Evangelisch-Reformierte Landes kirche UriKirchenratspräsident: Dieter Kolthoff3 Kirchgemeinden1838 Mitglieder

Evangelisch reformierte Landeskirche des Kantons ZürichKirchenratspräsident: Michel Müller 181 Kirchgemeinden472 970 Mitglieder

Stand Zahlen: 2010

50 bulletin Nr. 1/2012

Impressum Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK CH-3000 Bern 23Telefon +41 (0)31 370 25 [email protected], www.sek.ch

Auflage: 5000 deutsch, 1900 französisch

Leiter Kommunikation: Simon WeberRedaktion: Thomas FlüggeAdministration: Nicole Freimüller-HoffmannGestaltung/Layout: Meier Media Design, Zürich

Übersetzung aus dem Französischen: Elisabeth Mainberger-Ruh, Marianne WolterKorrektorat: Elisabeth EhrenspergerDruck: Schlaefli & Maurer AG, Interlaken

Bilder: S. 43/45 Daniel Rihs

Evangelisch Kirche sein: Legislaturziele des Rates 2011–2014

Der Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes hat sich Ziele gesetzt. Sechs an der Zahl für die Legislatur bis 2014. Evangelisch Kirche sein – das möchte der Kirchenbund: evangelisch verwurzelt, verbunden, ansprechend, ökumenisch, präsent und wachsam.

Die Legislaturziele des Kirchenbundes finden Sie hier im Heft. Sie können sie lesen und diskutieren – zuhause, in Ihrer Gemeinde, am Arbeitsplatz. Sie können sie aufklappen und aufhängen – zum Beispiel im Schaukasten Ihrer Kirchgemeinde.

Weitere Exemplare erhalten Sie jederzeit auf www.sek.ch/onlineshop als Download oder per Post.

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Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK Sulgenauweg 26 Postfach CH-3000 Bern 23Telefon +41 (0)31 370 25 25 Fax +41 (0)31 370 25 [email protected]

www.sek.ch

Wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen Leib bilden, so ist es auch mit Christus. (1. Kor. 12, 12)

Ihr seid das Salz der Erde. (Mt. 5, 13)

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK bezeugt Jesus Christus als seinen alleini-gen Herrn. Er erkennt in der Heiligen Schrift das Zeugnis der göttlichen Offenbarung. Er bekennt, dass wir errettet sind durch Gnade und gerechtfertigt durch den Glauben. Der Kirchenbund weiss sich aufgerufen, im Glauben an das kommende Reich Gottes die Forderung und Verheissung der Christusbotschaft in unserem Volke zu vertreten. (Verfassung des Kirchenbundes)

Liebe Leserin, lieber Leser

Reformierte und methodistische Kirchen aus der ganzen Schweiz verkündigen das Evangelium gemeinsam – über zwei Millionen Menschen in 26 Kirchen. Tag für Tag geben sie den christlichen Glauben weiter, übersetzen ihn in die heutige Zeit und ins heutige Leben. Landauf und landab engagieren sich Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche in vielen hundert Kirchgemeinden. Sie alle, wir alle sind der Schweizerische Evangelische Kirchenbund. Im Kirchenbund sind wir über Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinaus gemeinsam Kirche. Ich freue mich deshalb, Ihnen namens des Rates die Legislaturziele für die Jahre 2011 bis 2014 vorzulegen. Zugegeben: Legislaturziele sind nicht das Evangelium, dafür verjähren sie doch etwas zu geschwind. Zudem steht hier längst nicht alles, was wir tun; auch Wich tiges – z. B. die Beziehung zu unseren Hilfs- und Missions-werken – bleibt ungenannt, weil es sich bewährt und wir es unver-ändert weiterführen. Aber: diese Legislaturziele beschreiben, was wir verändern, bewegen und entwickeln wollen. Hier können Sie nachlesen, welche Schwerpunkte wir setzen. Sie werden sehen: Vor uns stehen grosse Aufgaben. Im Namen des Rates danke ich Ihnen herzlich für Ihre Begleitung unserer Arbeit.

Gottfried LocherPräsident des Rates SEKvenena

Schweizerischer Evangelischer KirchenbundSchweizerischer Evangelischer Kirchenbund

Legislaturziele 2011–2014 Evangelisch Kirche sein

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6 –Wittenberg, Zürich, Genf

Wem gehört die Reformation?10 – Migrationsarbeit

Das Pilotprojekt zum Rückführungsmonitoring war ein Erfolg

16 – Dialog

Religiöse Spannungen sind bis auf weiteres auszuhalten, sagt Ratspräsident Gottfried Locher

32 – Vernehmlassung Bekenntnis

Ein enttäuschender Rücklauf bedeutet doch einen Meilenstein in der Geschichte der Schweizer Kirchen

Das Magazin des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes

Nr. 1/2012

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Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK Sulgenauweg 26 CH-3000 Bern 23Telefon +41 (0)31 370 25 25

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– Lesen, hören und sehen Sie Ihren Kirchenbund im bulletin online! www.sek.ch

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