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Das Lehren der Anderen

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Page 1: Das Lehren der Anderen

Das größte Problem entsteht aber immer dann, wenn die Di-daktik sich verselbstständigt und völlig vom Fach abkoppelt. Dies ist in jüngster Zeit in der Physik besonders deutlich geworden bei der Debatte um den Karlsruher Physikkurs (KPK). Es ging sogar so weit, dass die Deutsche Physi-kalische Gesellschaft ein Gutach-ten in Auftrag gegeben hat, wel-ches dann dringend vom Einsatz dieses Kurses in der Schule abriet. Was war geschehen?

Es hatte sich ein Kreis von Di-daktikern zusammengefunden und die Physik „vereinfacht“, damit sie angeblich leichter zu verste-hen sei. Dabei wurden etablierte Begriffe umdefiniert, und es kam

sogar zu groben fachlichen Feh-lern im KPK. Die überwiegende Zahl der Physikdidaktiker vertritt die Auffassung, dass man so et-was machen könne, denn Physik sei ja ein rein menschliches Kon-strukt, das nach Belieben durch ein anderes ersetzt werden kann – eine merkwürdige Auffassung für eine Wissenschaft, die sich an der Natur orientiert, bei der es also ein objektives „Wahr“ oder „Falsch“ geben sollte.

Letztlich ist dieser Streit um den KPK nur das Ergebnis eines Prozesses, bei dem auch wir Fach-physiker ein gehöriges Maß an Mitschuld haben, denn wir haben uns nicht gekümmert. Der Bereich Schule wurde zu den Didaktikern „abgeschoben“, und man hat sich auf seine vermeintlich viel span-nendere Forschung konzentriert.

In der Physik findet nun nach dem KPK-Desaster ein großes Um-denken statt mit dem Ziel, die Di-

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Nachrichten aus der Chemie| 62 | April 2014 | www.gdch.de/nachrichten

Die Didaktik integrieren

VV Die Didaktik hat in den Na-turwissenschaften einen extrem hohen Stellenwert: Sie muss oft-mals komplizierte und auch schwer vorstellbare Zusammen-hänge so veranschaulichen, dass sie einerseits für Schüler be-greifbar und andererseits da-durch aber nicht falsch werden. Dies ist eine wichtige und sehr herausfordernde Aufgabe, wel-che mit aller Macht und aller Kreativität angegangen werden sollte. Doch was macht die über-wiegende Mehrzahl der Didakti-ker im Mint-Bereich? Genau dies nicht.

In der Physik verzetteln sich die meisten Didaktiker in „Lehr-Lernforschung“, die zum Ziel hat herauszufinden, wie Schüler ler-nen. Dabei handelt es sich eher um ein Gebiet weit außerhalb der Physik, als um ein Gebiet der Physik, welches sich an den ho-hen Standards des Faches orien-tiert. Meistens sind die Ergebnis-se dieser Lehr-Lernforschung ent-weder unbrauchbar oder trivial wie die Erkenntnis, dass im Phy-sikunterricht mehr experimen-tiert werden sollte – wer hätte das gedacht bei einer empiri-schen Naturwissenschaft?

daktik wieder stärker an das Fach zu binden und sie auf ihre eigent-liche Aufgabe auszurichten. Denn die Didaktik ist weder ein eigen-ständiges Fach noch eine eigen-ständige Wissenschaft, sondern gehört voll integriert in das Fach und in die Fachwissenschaft.

Und die anderen Mint-Fächer? In der Mathematik sehe ich ähnli-che, gravierende Fehlentwicklun-gen. Dies wurde gerade jüngst in Nordrhein-Westfalen deutlich bei der Diskussion um den graphikfä-higen Taschenrechner mit Com-puteralgebrasystem (CAS), der in der Schule eingeführt werden soll. Da eine Fertigkeit wie Integrale zu lösen ja nicht so wichtig sei, kön-ne man dies auch durch einen Ta-schenrechner ersetzen, wurde mir selbst aus dem Bereich der Mathe-matikdidaktik gesagt. Naturwis-senschaftler, Ingenieure und Fach-mathematiker, also die eigentli-chen Fachleute, sind aber sehr wohl der Meinung, dass das Inte-grale Lösen essenziell ist. Sie wur-den aber bei der bereits beschlos-senen Einführung der Taschen-rechner nicht einmal gefragt, son-dern die Didaktiker haben dies ei-genständig empfohlen. Dies ist nur ein Beispiel, an dem man se-hen kann, dass auch die Mathema-tikdidaktik auf keinem guten Weg ist.

Bei der Chemie kenne ich mich übrigens nicht so gut aus. Aber hier ist die Welt, wie wir in die-sem Heft der Nachrichten aus der Chemie lesen, ja noch in bester Ordnung ...

Professor Metin Tolan, TU Dortmund

Communicator-Preisträger 2013

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