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Der Eislauf Die ersten Schlittschuhe, die sich Menschen, an die Füße banden, waren aus Knochen verfertigt; um genau zu sein, aus Schienbeinen oder Rippen von Rindern und Pferden, die kantig zugeschliffen worden waren. Diese Erfindung war, wie zahlreiche Funde in Nord- und Mitteleuropa zeigen, in der älteren Steinzeit gemacht worden. Nirgends indessen hat man mehr Knochenschlittschuhe gefunden als in Pfahlbausiedlungen, die, wie man weiß, in der Nähe von Gewässern standen. Im Winter, wenn das Wasser gefror, dienten die Schlittschuhe als Verkehrsmittel. Die Läufer stießen sich mit einem Stachelstock vor. wärts. Im 12. Jahrhundert erwähnt der dänische Historiker Saxo Grammaticus die Knochenschlitt- schuhe, und bis in 15. Jahrhundert finden sich An- gaben über sie. In einzelnen Gegenden des europä- ischen Nordens waren sie bis ins 19. Jahrhundert üblich. Die sportliche Betätigung auf dem Eis war be- reits den alten Nordgermanen bekannt. Im <Ilcims- kringla», den' von Snorri Sturluson gesammelten Königsgeschichten, wird ein Wortwettstreit geschil- dert, in dem sich ein gewisser Eystein seiner Schnel- ligkeit beim Eislauf rühmt. Olaus Magnus, der nor- dische Historiker und Geograph, berichtet über Eis- wettläufe und über die Preise, die für die Sieger ausgesetzt wurden: Schwerter, Silbergeschirr und Pferde. Im 13. Jahrhundert kam der Hotzschlittschuh mit Eisenschiene auf. Er wird in der isländischen Frith- jofsaga erwähnt. Man erkennt ihn auf der ältesten bildlichen Darstellung des Eislaufs, einem Holz- schnitt des Jahres 1498, der den verhängnisvollen Sturz der Jungfrau Lydwina sehen läßt. Es wird be- richtet: Zu Schiedam in Holland lebte im 14. Jahr- Der Sturz der Jungfrau Lydwina, die später zur Schutepatronin des Eislaufs erhoben wurde. hundert ein Mann namens Peter. Er war von ade- ligem Geblüt, aber so arm, daß er das Amt eines Nachtwächters ausüben mußte. Eine seiner Töchter hieß Lydwina; schon als zwölfjähriges Mädchen er- hielt sie Heiratsanträge, so schön war sie, doch ihr Herz hatte sich für den himmlischen Bräutigam ent- schieden und brannte nur für ihn. Immer wieder bat sie Gott, die allzu schwere Last der Schönheit von ihr tu nehmen; die Bitte wurde, so liest man, am 2. Februar 1395 erhört. An diesem Tag nämlich luden ihre Freundinnen sie ein, sich mit ihnen beim Eislauf zu ergötzen, wie es in jenen Gegenden ge- bräuchlich war. Widerwillig folgte sie der Aufforde- rung. Es geschah, daß sie von einer in schnellem Lauf daherkommenden Gefährtin umgefahren wurde und so unglücklich stürzte, daß sie eine Rippe brach und in unheilbares Siechtum fiel. Bis an ihr Lebens- ende, 38 Jahre lang, lag sie auf dem Krankenlager, abe r sie ertrug die Prüfung mit so bewundernswer- ter Geduld, daß ihre Frömmigkeit allum bekannt wurde und mancherlei Zeichen und Wunder gescha- hen. Lydwina ist später zur Schutzheiligen der Eis- läufer und Eisläuferinnen erhoben worden. Der Holzschlittschuh wurde, seinem wichtigsten Verbreitungsgebiet entsprechend, holländischer Schlittschuh genannt. In Mitteleuropa ist Holland zu Beginn der Neuzeit das klassische Land des Eislaufs geworden. In dem flachen, von ungezählten Kanälen durchzogenen Land spielte der Schlittschuh bald die Rolle eines wichtigen Verkehrsmittels. Noch zu Be- ginn des Zweiten Weltkriegs besaß die niederlän- dische Armee Schlittschuhläufereinheiten. In einem alten Reisebericht liest man: <Im Winter sieht man in Holland Händlerinnen und Milchfrauen über das Eis laufen. Sie tragen auf dem Kopf einen Topf oder Korb, in dem die Ware enthalten ist, und viele rauchen dabei ihre Pfeif e aus Tön. Keine aber tut je einen falschen Schritt, der die Last auf dem Kopf in Gefahr brächte* Der Eislauf war schon früh die beliebteste winterliche Volksbelustigung, und große und kleine Wettläufe fanden im ganzen Land statt. Kaum ein holländischer Maler oder Zeichner, dem an seiner Reputation gelegen war, unterließ es, Eisszenen im Bild darzustellen, in denen Eislauf er, Pickschlittenfahrer und Kolbenspieler nicht nur Staffage waren. Das Kolbenschlagen, holländisch kolven genannt, war ein Spiel, bei dem Eislauf er, die sich mit eisenbeschlagenen Stöcken bewaffnet hatten, eine Kugel vor sich her trieben. Es wird oft als Vor- gänger des Eishockeys bezeichnet, was aber nur be- dingt richtig ist. Viele dieser Eisbilder sind weit- berühmt geworden, etwa jene von Breughel, Adrian Brouwer, Van de Velde, Jan van Goyen und vom größten unter ihnen: Rembrandt. Von Romcyn de Hooghe, dem Maler, Radierer und EmaUleur aus Amsterdam, besteht ein Kupferstich, auf dem die Ausrüstung der Eisläuferinnen genau dargestellt ist. Um ihr Gesicht vor der Kälte xu schützen, trugen die Holländerinnen eine Art Schleiermaske, und die Hände steckten, statt in Handschuhen, in einem Pelz- muff. Noch bis weit in unser Jahrhundert hinein ist der Muff das modische Attribut der eleganten Schlittschuhläuferin geblieben. Zu Beginn des W.( Jahrhunderts kam der Eislauf in England auf, und in London wurde der erste " Eislaufclub der Welt gegründet. In Britannien waren es nicht die ernsten Maler, sondern die Karikaturi- sten, die sich der Schlittschuhläufer annahmen, und die steif wie Besenstiele dahingleitenden englischen Eiskavaliere und groteske Stürze auf dem Eis regten sie zu derbem Spott an. In Frankreich war der Eis- lauf ein ausgesprochenes Vergnügen der gehobenen Galante Szene auf dem Eis; Stich nach dem Gemälde cAmuscmcnt de Vhiven von Souchcr. Eislauf in England um 1830; Kupferstich von einem unbekannten Künstler. Stände, und die Anmut der Bewegungen mußte die Meister des Rokoko, wie Watteau und Boucher, gefangen nehmen. Galante Szenen, die sonst den Boudoirs vorbehalten waren, ließen sich nun mit Leichtigkeit auf das Eis verlegen. Die eifrigsten Verbreiter des Eislaufs in Mittel- europa, insbesondere in deutschen Landen, waren Klopstock und Goethe. Nicht nur daß sie die Schönheit diese r winterlichen Betätigung in ihrer Dichtung verherrlicht hätten, sie gingen höchst per» sönlich aufs Eis, und die am Fuß schwingenden Flügel des Stahls, nie man bei Klopstock liest, waren die mit einer Eisenschiene versehenen Holz- Schlittschuhe. Der Schlittschuh aus Stahl ist eine Erfindung der Amerikaner; sie ist um 1850 gemacht worden. Die ersten stählernen Schlittschuhe sind im Januar 1862 nach Europa gekommen. Sie haben dem Eislauf einen gewaltigen Auftrieb verliehen. Toni Peterhan s -io^d^fcicAs eATt esn J ö es cn\x O^lcc^ Neue Zürcher Zeitung vom 23.01.1960

Der Eislauf - files.static-nzz.ch · der Muff das modische Attribut der eleganten Schlittschuhläuferin geblieben. Zu Beginn des W.(Jahrhunderts kam der Eislauf in England auf, und

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Der EislaufDie ersten Schlittschuhe, die sich Menschen, an

die Füße banden, waren aus Knochen verfertigt; umgenau zu sein, aus Schienbeinen oder Rippen vonRindern und Pferden, die kantig zugeschliffen wordenwaren. Diese Erfindung war, wie zahlreiche Fundein Nord- und Mitteleuropa zeigen, in der älterenSteinzeit gemacht worden. Nirgends indessen hatman mehr Knochenschlittschuhe gefunden als inPfahlbausiedlungen, die, wie man weiß, in der Nähevon Gewässern standen. Im Winter, wenn das Wassergefror, dienten die Schlittschuhe als Verkehrsmittel.Die Läufer stießen sich mit einem Stachelstock vor.wärts. Im 12. Jahrhundert erwähnt der dänischeHistoriker Saxo Grammaticus die Knochenschlitt-schuhe, und bis in 15. Jahrhundert finden sich An-gaben über sie. In einzelnen Gegenden des europä-

ischen Nordens waren sie bis ins 19. Jahrhundertüblich.

Die sportliche Betätigung auf dem Eis war be-reits den alten Nordgermanen bekannt. Im <Ilcims-kringla», den' von Snorri Sturluson gesammeltenKönigsgeschichten, wird ein Wortwettstreit geschil-

dert, in dem sich ein gewisser Eystein seiner Schnel-ligkeit beim Eislauf rühmt. Olaus Magnus, der nor-dische Historiker und Geograph, berichtet über Eis-

wettläufe und über die Preise, die für die Sieger

ausgesetzt wurden: Schwerter, Silbergeschirr undPferde.

Im 13. Jahrhundert kam der Hotzschlittschuh mitEisenschiene auf. Er wird in der isländischen Frith-jofsaga erwähnt. Man erkennt ihn auf der ältestenbildlichen Darstellung des Eislaufs, einem Holz-schnitt des Jahres 1498, der den verhängnisvollen

Sturz der Jungfrau Lydwina sehen läßt. Es wird be-

richtet: Zu Schiedam in Holland lebte im 14. Jahr-

Der Sturz der Jungfrau Lydwina, die später zurSchutepatronin des Eislaufs erhoben wurde.

hundert ein Mann namens Peter. Er war von ade-ligem Geblüt, aber so arm, daß er das Amt einesNachtwächters ausüben mußte. Eine seiner Töchterhieß Lydwina; schon als zwölfjähriges Mädchen er-hielt sie Heiratsanträge, so schön war sie, doch ihrHerz hatte sich für den himmlischen Bräutigam ent-schieden und brannte nur für ihn. Immer wieder batsie Gott, die allzu schwere Last der Schönheit vonihr tu nehmen; die Bitte wurde, so liest man, am

2. Februar 1395 erhört. An diesem Tag nämlichluden ihre Freundinnen sie ein, sich mit ihnen beimEislauf zu ergötzen, wie es in jenen Gegenden ge-

bräuchlich war. Widerwillig folgte sie der Aufforde-rung. Es geschah, daß sie von einer in schnellemLauf daherkommenden Gefährtin umgefahren wurdeund so unglücklich stürzte, daß sie eine Rippe brachund in unheilbares Siechtum fiel. Bis an ihr Lebens-ende, 38 Jahre lang, lag sie auf dem Krankenlager,

a b er sie ertrug die Prüfung mit so bewundernswer-ter Geduld, daß ihre Frömmigkeit allum bekanntwurde und mancherlei Zeichen und Wunder gescha-

hen. Lydwina ist später zur Schutzheiligen der Eis-

läufer und Eisläuferinnen erhoben worden.

Der Holzschlittschuh wurde, seinem wichtigstenVerbreitungsgebiet entsprechend, holländischerSchlittschuh genannt. In Mitteleuropa ist Holland zuBeginn der Neuzeit das klassische Land des Eislaufsgeworden. In dem flachen, von ungezählten Kanälendurchzogenen Land spielte der Schlittschuh bald dieRolle eines wichtigen Verkehrsmittels. Noch zu Be-ginn des Zweiten Weltkriegs besaß die niederlän-dische Armee Schlittschuhläufereinheiten. In einemalten Reisebericht liest man: <Im Winter sieht manin Holland Händlerinnen und Milchfrauen überdas Eis laufen. Sie tragen auf dem Kopf einen Topf

oder Korb, in dem die Ware enthalten ist, und vielerauchen dabei ihre Pfe i fe aus Tön. Keine aber tutje einen falschen Schritt, der die Last auf dem Kopf

in Gefahr brächte* Der Eislauf war schon früh diebeliebteste winterliche Volksbelustigung, und große

und kleine Wettläufe fanden im ganzen Land statt.

Kaum ein holländischer Maler oder Zeichner,

dem an seiner Reputation gelegen war, unterließ es,

Eisszenen im Bild darzustellen, in denen Eislaufer,

Pickschlittenfahrer und Kolbenspieler nicht nurStaffage waren. Das Kolbenschlagen, holländischkolven genannt, war ein Spiel, bei dem Eislaufer, diesich mit eisenbeschlagenen Stöcken bewaffnet hatten,

eine Kugel vor sich her trieben. Es wird oft als Vor-gänger des Eishockeys bezeichnet, was aber nur be-dingt richtig ist. Viele dieser Eisbilder sind weit-berühmt geworden, etwa jene von Breughel, AdrianBrouwer, Van de Velde, Jan van Goyen und vomgrößten unter ihnen: Rembrandt. Von Romcyn deHooghe, dem Maler, Radierer und EmaUleur ausAmsterdam, besteht ein Kupferstich, auf dem dieAusrüstung der Eisläuferinnen genau dargestellt ist.Um ihr Gesicht vor der Kälte xu schützen, trugen

die Holländerinnen eine Art Schleiermaske, und dieHände steckten, statt in Handschuhen, in einem Pelz-

muff. Noch bis weit in unser Jahrhundert hinein istder Muff das modische Attribut der eleganten

Schlittschuhläuferin geblieben.

Zu Beginn desW.(Jahrhunderts kam der Eislauf

in England auf, und in London wurde der erste"

Eislaufclub der Welt gegründet. In Britannien warenes nicht die ernsten Maler, sondern die Karikaturi-sten, die sich der Schlittschuhläufer annahmen, unddie steif wie Besenstiele dahingleitenden englischen

Eiskavaliere und groteske Stürze auf dem Eis regten

sie zu derbem Spott an. In Frankreich war der Eis-

lauf ein ausgesprochenes Vergnügen der gehobenen

Galante Szene auf dem Eis; Stich nach dem Gemälde cAmuscmcnt de Vhiven von Souchcr.

Eislauf in England um 1830; Kupferstich von einem unbekannten Künstler.

Stände, und die Anmut der Bewegungen mußte dieMeister des Rokoko, wie Watteau und Boucher,gefangen nehmen. Galante Szenen, die sonst denBoudoirs vorbehalten waren, ließen sich nun mitLeichtigkeit auf das Eis verlegen.

Die eifrigsten Verbreiter des Eislaufs in Mittel-europa, insbesondere in deutschen Landen, warenKlopstock und Goethe. Nicht nur daß sie dieSchönheit dieser winterlichen Betätigung in ihrer

Dichtung verherrlicht hätten, sie gingen höchst per»

sönlich aufs Eis, und die am Fuß schwingendenFlügel des Stahls, nie man bei Klopstock liest,

waren die mit einer Eisenschiene versehenen Holz-Schlittschuhe. Der Schlittschuh aus Stahl ist eineErfindung der Amerikaner; sie ist um 1850 gemacht

worden. Die ersten stählernen Schlittschuhe sind imJanuar 1862 nach Europa gekommen. Sie haben demEislauf einen gewaltigen Auftrieb verliehen.

Toni Peterhans

-io^d^fcicAs eATt esnJ ö es cn\x O^lcc^

Neue Zürcher Zeitung vom 23.01.1960