12
7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 1/12 Deutschland. Ein Wintermärchen Wechseln zu: Navigation , Suche HeinrichHeine zur Zeit der Winterreise1843/44 Deutschland. EinWintermärchen [1]  (1844) ist ein satirisches Versepos des deutschen Dichters Heinrich Heine (1797–1856). Dessen äußerenRahmenbildet eine Reise, die der Autor imWinter 1843 unternahm [2]  und die ihn von Paris nach Hamburg führte. [3] Der Untertitel Ein Wintermärchen  spielt an auf William Shakespeares Alters-Romanze The Winter's Tale (1623) und deutet an, dass Heine seinen Gedichtzyklus als Gegenstück zudemdrei Jahre früher entstandenenVersepos Atta Troll. Ein Sommernachtstraum verstand, das seinen Untertitel ebenfalls einemWerk Shakespeares verdankt: der Komödie AMidsummer Night's Dream (1600). Die formale Verwandtschaft der beiden Epen zeigt sichzusätzlichdarin, dass auch das Wintermärchen , wie der  Atta Troll , genau 27 Capita  umfasst, deren Strophen ebenfalls aus Vierzeilern bestehen. [4] Inhaltsverzeichnis  [ Verbergen ] 1 Entstehungsgeschichte 2 Inhalt 2.1 Übersicht 2.2 Zu den einzelnen Kapiteln 3 Form 4 Rezeption 5 Literatur 5.1 Textausgaben 5.2 Sekundärliteratur 6 Fußnoten 7 Weblinks Entstehungsgeschichte [ Bearbeiten ] Unzufrieden mit den politischen Verhältnissen im Deutschland der

Deutschland.ein Wintermarchen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 1/12

Deutschland. Ein Wintermärchen

Wechseln zu:Navigation,Suche

Heinrich Heine zur Zeit der Winterreise 1843/44

Deutschland. Ein Wintermärchen[1] (1844) ist ein satirisches

Versepos des deutschen DichtersHeinrich Heine (1797–1856). Dessen

äußeren Rahmen bildet eine Reise, die der Autor im Winter 1843

unternahm[2] und die ihn von Paris nach Hamburg führte.[3]

Der UntertitelEin Wintermärchen spielt an aufWilliam Shakespeares 

Alters-RomanzeThe Winter's Tale (1623) und deutet an, dass Heine

seinen Gedichtzyklus als Gegenstück zu dem drei Jahre früher

entstandenen VerseposAtta Troll. Ein Sommernachtstraum verstand,

das seinen Untertitel ebenfalls einem Werk Shakespeares verdankt: der

KomödieA Midsummer Night's Dream (1600). Die formale

Verwandtschaft der beiden Epen zeigt sich zusätzlich darin, dass auchdasWintermärchen, wie der Atta Troll, genau 27Capita umfasst, deren

Strophen ebenfalls aus Vierzeilern bestehen.[4]

Inhaltsverzeichnis [Verbergen]

← 1 Entstehungsgeschichte

← 2 Inhalt

← 2.1 Übersicht

← 2.2 Zu den einzelnen Kapiteln

← 3 Form← 4 Rezeption

← 5 Literatur

← 5.1 Textausgaben

← 5.2 Sekundärliteratur

← 6 Fußnoten

← 7 Weblinks

Entstehungsgeschichte[Bearbeiten]

Unzufrieden mit den politischen Verhältnissen imDeutschland der

Page 2: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 2/12

Restaurationszeit, die ihm als getauftem Juden keine Möglichkeit für

eine juristische Tätigkeit boten, und auch um derZensur zu entgehen,

emigrierte Heine 1831 nachFrankreich.

Abdruck in „Neue Gedichte“ 1844

1835 verbot ein Beschluss des deutschenBundestags seine Schriften

zusammen mit den Veröffentlichungen der Dichter desJungen

Deutschland. Ende 1843 kehrte er noch einmal für wenige Wochen

nach Deutschland zurück, um seine Mutter und seinen VerlegerJulius

Campe inHamburg zu besuchen. Auf der Rückreise entstand, zunächstals Gelegenheitsgedicht, der erste Entwurf zuDeutschland. Ein

Wintermärchen, den er im Laufe der nächsten drei Monate zu einem

höchst humoristischen Reiseepos weiterentwickelte, zuversifizierten

Reisebildern, die eine höhere Politik atmen als die bekannten

 politischen Stänkerreime.[5]. Sein damaliger Verleger allerdings fand

das Werk von Anfang an zu radikal und warnte seinen Schützling:Sie

werden viel für diese Gedichte zu leiden haben (...) Nicht zu gedenken,

dass Sie den Patrioten neue Waffen gegen sich in die Hände gebenund so die Franzosenfresser wieder in die Schranken rufen, auch die

Moralisten werden über Sie herfallen (...) Wahrlich, ich habe nie so bei

einem Ihrer Artikel geschwankt als eben bei diesem, nämlich was ich

tun oder lassen soll.[6]

Das fertige Versepos erschien 1844 beim VerlagHoffmann und Campe 

in Hamburg. Nach derZwanzig-Bogen-Klausel, einer Zensurrichtlinie

derKarlsbader Konferenz von 1819, unterlagen Manuskripte von mehr

als zwanzigBogen, also mehr als 320 Seiten[7], vor dem Druck nicht

der Zensur. Daher brachte der VerlagDeutschland. Ein Wintermärchen 

zusammen mit anderen Gedichten im BandNeue Gedichte heraus.

Trotzdem musste sich Heine zu seinem Bedauern vor der

Veröffentlichung seines Werkes „dem fatalen Geschäfte des

Umarbeitens“ unterziehen und den Versen zahlreiche „Feigenblätter“

anheften, um dem voraussehbaren allgemeinen „Naserümpfen“ etwas

vorzubeugen und sich gegen den Vorwurf zu wehren, ein „Verächter des

Vaterlands“ und parteiischer „Freund der Franzosen“ zu sein.[8]

Page 3: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 3/12

Schon am 4. Oktober 1844 wurde das Buch in Preußen verboten und

beschlagnahmt. Am 12. Dezember 1844 erließ KönigFriedrich Wilhelm

IV. vonPreußen einen Haftbefehl gegen Heine. In der Folgezeit wurde

das Werk wiederholt von denZensurbehörden verboten. In anderen

Teilen Deutschlands war es zwar in Form einer – ebenfalls bei

Hoffmann und Campe erschienenen – Separatausgabe erhältlich, doch

musste Heine es kürzen und umschreiben.

Inhalt[Bearbeiten]

Erste Separatausgabe

Übersicht[Bearbeiten]

Der folgende Überblick der Kapitel zeigt den groben Verlauf und die

Hauptstationen derliterarischen Kutschfahrt: Capita I – II: Französisch-

deutsche Grenze; Caput III: Aachen; Capita IV – VII: Köln; Capita VIII –

XIII: Westfalen (Mülheim, Hagen, Unna, Paderborn); Capita XIV – XVII:

Exkurs über Kaiser Barbarossa; Caput XVIII: Minden; Caput XIX:

Bückeburg und Hannover; Capita XX – XXVI: Hamburg; Caput XXVII:

Epilog.

Dietatsächliche Hinreise, die nicht „im traurigen Monat November“(Caput I, erste Strophe), sondern bereits im Oktober stattfand und

„welche höchst langweilig und ermüdend war“[9], nahm jedoch den

kürzeren Weg über Brüssel, Münster, Osnabrück und Bremen nach

Hamburg.[10] Erst die Rückfahrt (vom 7. bis 16. Dezember) verlief über

die oben angegebenen Stationen.

Heine verknüpft seine Reisebeschreibung anhand regionaler,

historischer und autobiografischer Fakten mit politischen und

philosophischen Betrachtungen. Dabei stellt der Ich-Erzähler seine

Page 4: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 4/12

„illegalen“ Gedanken in den Vordergrund, die er sozusagen versteckt als

„Konterbande“ (Schmuggelgut), wider das Verbot, mit sich führte.

Deutschland. Ein Wintermärchen zeigt Heines bilderreiche poetische

Sprache in enger Verbindung mitsarkastischer Kritik an den Zuständenin seiner Heimat. Der Autor stellt seine liberale gesellschaftliche Vision

dem trüben „Novemberbild“ des reaktionären Heimatlandes gegenüber.

Er kritisiert vor allem den deutschenMilitarismus und reaktionären

Chauvinismus gegenüber den Franzosen, derenRevolution er als

Aufbruch in ein sozialeres Europa versteht. Er bewundert Napoleon als

Vollender der Revolution und Verwirklicher der Freiheit. Sich selbst sieht

er nicht als Feind Deutschlands, sondern als patriotischen Kritiker aus

Vaterlandsliebe:Pflanzt die schwarz-rot-goldne Fahne auf die Höhe desdeutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freienMenschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben.

Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland eben so sehr wie ihr.[11]

Zu den einzelnen Kapiteln[Bearbeiten]

Caput I: Nach dreizehn Jahren im Exil steht H.[12] nicht ohne Rührung,

zum ersten Mal wieder an der deutschen Grenze und fühlt sichwie

durch Zaubersäfte wunderbar erstarkt. Angesichts eines kleinenHarfenmädchens, dasmit wahrem Gefühl und falscher Stimme die alte

Leier vomirdischen Jammertal singt, verspricht er seinen deutschen

Freunden (mit dem nun folgenden Versepos) einneues Lied, besseres

Lied:Wir wollen hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten.

Caput II: Bevor H., voller Euphorie, im Gepäck nurHemden, Hosen und

Schnupftücher, doch im Kopfein zwitscherndes Vogelnest / Von

konfiszierlichen Büchern, deutschen Boden betreten kann, wird sein

Gepäck von den preußischen Zöllnernvisitieret undbeschnüffelt:IhrToren, die Ihr im Koffer sucht! / Hier werdet Ihr nichts entdecken! / Die

Contrebande, die mit mir reist, / Die hab ich im Kopfe stecken.

Caput III: Imlangweiligen Nest Aachen begegnet H. erstmals wieder

preußischen Soldaten:Noch immer das hölzern pedantische Volk, /Noch immer ein rechter Winkel / In jeder Bewegung, und im Gesicht /

Der eingefrorene Dünkel. H. lästert über deren Schnurrbärte (Der Zopf,

der ehmals hinten hing, / Der hängt jetzt unter der Nase) und macht sich

ironisch lustig über den Helm, die Pickelhaube:Ein königlicher Einfall

Page 5: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 5/12

wars! / Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze! / Nur fürcht ich, wenn ein

Gewitter entsteht, / Zieht leicht so eine Spitze / Herab auf Euer

romantisches Haupt / Des Himmels modernste Blitze!

Der unfertige Kölner Domzur Zeit Heinrich Heines

Caput IV: Auf der Weiterreise nachKöln spottet H. über die

anachronistische deutsche Gesellschaft, die lieber rückwärtsgewandt

den seit demMittelalter unvollendetenKölner Dom fertig baue, als sich

der neuen Zeit zu stellen. Dass die Arbeiten an dem mittelalterlichen

Bauwerk im Zuge derReformation eingestellt wurden, bedeutet für den

Dichter den eigentlichen Fortschritt: Die Überwindung des traditionellen

Denkens und das Ende der geistigen Unmündigkeit. H. ersetzte in derSeperatausgabe die letzte Strophe aus der Edition Neue Gedichte

durch fünf neue, in denen er Kritik an derHeiligen Allianz übte.

Caput V: H. trifft auf denRhein, alsVater Rhein deutsche Ikone und

deutscher Erinnerungsort. Der Flussgott zeigt sich aber als

unzufriedener alter Mann, des deutschtümelnden Geschwätzes

überdrüssig. Er sehnt sich nach den fröhlichen Franzosen zurück,

fürchtet jedoch deren Persiflage wegenNikolaus Beckers politisch

kompromittierendenRheinlieds, das den Fluss als reine Jungfrau

darstelle, die sich ihren Jungfernkranz nicht rauben lassen wolle. Doch

da kann ihn H. beruhigen: Die Franzosen seien inzwischen noch ärgere

Philister geworden als die Deutschen.Sie singen nicht mehr, sie

springen nicht mehr und tränken jetzt Bier und läsenFichte undKant.

Caput VI: H. bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass einmal

gedachte Gedanken nicht wieder verloren gehen können und

revolutionäre Ideen sich auf Dauer auch in der Realität durchsetzen. Alsausführendes Organ seiner revolutionären Gedanken lässt H. einen

Page 6: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 6/12

Dämon auftreten, der wie einLiktor ein Beil vor sich hertrage und ihm

schon lange als schattenhafter Begleiter folge, immer präsent und auf

ein Zeichen wartend, um das Urteil des Dichters sofort zu vollstrecken:

 „Ich bin die Tat von deinem Gedanken.“

Caput VII: H. träumt von einer Exekution. Gefolgt von seinemstummen

Begleiter wandert H. durch Köln. Zuletzt erreicht er den Dom mit seinem

Dreikönigenschrein und zerschmettert die armen Skelette des

 Aberglaubens. Die Heiligen Drei Könige können dabei als Anspielung

auf die reaktionäreHeilige Allianz der Großmächte Preußen, Österreich

und Russland gesehen werden.

Caput VIII: H. fährt mit der Kutsche über denPostkurs von Köln nach

Hagen. Die Reise führt zunächst durch Mülheim (jetztKöln-Mülheim),das in H. seine frühere Begeisterung fürNapoléon Bonaparte in

Erinnerung ruft. Dessen Umgestaltung Europas hatte auch in H. die

Hoffnung auf Vollendung der Freiheit wachgerufen.

Hermannsdenkmal bei Detmold

Caput IX: InHagen genießt H. diealtgermanische Küche mit

Sauerkraut, Kastanien, Grünkohl, Stockfischen, Bücklingen und

Würsten, gewürzt mit satirischen Spitzen gegen metaphorische

Schweinsköpfe -Noch immer schmückt man den Schweinen bei uns /

Mit Lorbeerblättern den Rüssel[13] - und eine allzu fromme Gans:Sie

blickte mich an so bedeutungsvoll, / So innig, so treu, so wehe! / Besaß

eine schöne Seele gewiß, / Doch war das Fleisch sehr zähe.[14]

Page 7: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 7/12

Caput X: H. singt ein gutmütiges Loblied aufdie lieben, guten

Westfalen[15]:Sie fechten gut, sie trinken gut, / Und wenn sie die Hand

dir reichen / Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie; / Sindsentimentale Eichen.

Caput XI: H. reist durch denTeutoburger Wald. InDetmold sammelt

man Geld für den gerade begonnenen Bau desHermannsdenkmals.

Auch H. spendet und phantasiert darüber, was wohl geschehen wäre,

wenn der CheruskerArminius die Römer nicht besiegt hätte: Römische

Kultur hätte das deutsche Geistesleben durchdrungen, und stattdrei

Dutzend Landesväter[n] gäbe es jetzt wenigstens einen richtigen Nero.

Das Caput ist – verdeckt – auch eine Attacke auf die Kulturpolitik des

‚Romantikers auf dem Thron‘, Friedrich Wilhelm IV.; denn fast alle indiesem Zusammenhang genannten Persönlichkeiten (z. B. Raumer,

Hengstenberg;Birch-Pfeiffer,Schelling,Maßmann,Cornelius)

residieren in Berlin.

Caput XII: Als im Teutoburger Wald auf mitternächtlicher Fahrt die

Kutsche plötzlich ein Rad verliert und eine Reparaturpause eingelegt

werden muss, hält H. den ringsum hungrig heulenden Wölfen eine

persiflierende Dankesrede.

Caput XIII: BeiPaderborn erscheint dem reisenden im Morgennebel ein

Kruzifix. Christus, der „arme jüdische Vetter“ hatte weniger Glück als H.,

den eine liebevolle Zensur bisher vor einer Kreuzigung bewahrt hat.

Kaiser Barbarossa

am Fuße des Kyffhäuserdenkmals

Caput XIV: H. erinnert sich an seine alte Amme, die ihm von traurigen

Märchen und vom KaiserRotbart erzählte, der imKyffhäuser lebe und

mit Ross und Reiter darauf warte, dereinstGermania von ihren Ketten

Page 8: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 8/12

zu befreien.

Caput XV: Ein feiner Dauerregen wiegt den Reisenden in den Schlaf. Er

träumt das Ammenmärchen von Barbarossa weiter. Doch da präsentiert

sich der mythische Kaiser nicht mehr als mutiger Haudegen, sondernals seniler Greis, der stolz darauf ist, dass seine Fahne noch nicht von

den Motten gefressen worden ist, sich aber ansonsten kaum um

Deutschlands innere Not bekümmert. Da es ihm ohnehin noch an einer

ausreichenden Anzahl von Schlachtrossen fehlt, lässt er sich Zeit mit

dem Befreiungsschlag und vertröste H. mit den Worten:Wer heute nichtkommt, kommt morgen gewiß, / Nur langsam wächst die Eiche, / Und

chi va piano, va sano[16], so heißt / Das Sprüchwort im römischen

Reiche.Caput XVI: H. informiert den Kaiser darüber, dass zwischen Mittelalter

und Neuzeit, zwischen Barbarossa und 1843 dieGuillotine für die

Abschaffung manch gekrönter Häupter sorgte. Der Kaiser ist empört,

spricht vonHochverrat undMajestätsverbrechen und verbietet H.

weitere respektlose Reden. Doch der lässt sich nicht einschüchtern:

Das beste wäre, du bliebest zu Haus / Hier in dem alten Kyffhäuser - /

Bedenk ich die Sache ganz genau, / So brauchen wir gar keine Kaiser.

Caput XVII: Wieder aus seinem Schlummer erwacht, bereut H. seinen

Streit mit Kaiser Rotbart. Er bittet ihn im Stillen um Verzeihung und fleht

ihn an, dasalte heilige römische Reich wiederherzustellen, denn dessen

modriger Plunder undFirlefanze sei allemal noch besser als das jetzige

politische Zwitterwesen, dasweder Fleisch noch Fisch sei.

Caput XVIII: In der bedrohlichen preußischen FestungMinden fühlt sich

H. ähnlich gefangen wie damals Odysseus in der Höhle des einäugigen

Riesen Polyphem. Das Essen und das Bett sind so schlecht, dass erunruhig schläft und davon albträumt, wie Prometheus an einen Felsen

gekettet zu sein und vom preußischen Adler die Leber herausgehackt

zu bekommen.

Caput XIX: Nach einem Besuch des Geburtshauses seines Großvaters

inBückeburg reist H. weiter nachHannover, wo sich König Ernst

August, bestens geschützt durch die Feigheit seiner Untertanen, zu

Tode langweilt und sich, an das freiere großbritanische [sic] Leben

 gewöhnt, am liebsten selbst erhängen möchte.[17]

Page 9: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 9/12

Caput XX: H. ist am Ziel seiner Reise. InHamburg quartiert er sich bei

seiner Mutter ein. Diese bringt sogleich ein deftiges Essen auf den

Tisch und stellt ihm, typisch Mutter,mitunter verfängliche Fragen:

Versteht deine Frau die Haushaltung? (...) Welchem Volk wirst du den

Vorzug geben? (...) Zu welcher Partei gehörst du mit Überzeugung? Der

Sohn jedoch gibt nur ausweichende Antwort:Der Fisch ist gut, lieb

Mütterlein, / Doch muss man ihn schweigend verzehren; / Man kriegt so

leicht eine Grät in den Hals, / Du darfst mich jetzt nicht stören.

Caput XXI: H. tut sich in Hamburg schwer, die alten Stätten seiner

Jugendzeit wiederzufinden, da die halbe Stadt vor kurzem einem Brand

zum Opfer gefallen ist. Man hat jedoch reichlich Schadenersatz

eingestrichen. Umso höhnischer mokiert er sich über das heuchlerischeSelbstmitleid der Hanseaten.

Mosaik der Hammonia

am Portal des Hamburger Rathauses

Caput XXII: H. blickt nostalgisch zurück. Die Zeiten haben sich

verändert. Die Hamburger erscheinen ihmwie wandelnde Ruinen und

viele seiner ehemaligen Bekannten sind alt geworden oder schon nicht

mehr da.

Caput XXIII: H. singt ein Loblied aufs gute Essen und Trinken - und

seinen Verleger Campe, der ihn zu beidem einlädt. In weinseliger

Stimmung erscheint ihmHammonia, Hamburgs Schutzheilige, die ihn

mit auf ihrKämmerlein nimmt.

Caput XXIV: Hammonia offenbart H., dass er nach dem Tode

Klopstocks ihr Lieblingsdichter sei, und erkundigt sich nach den

Gründen für Heines Reise. Der gesteht ihr, seineKrankheit undWunde 

Page 10: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 10/12

seien sein Heimweh und seine Vaterlandsliebe:Die sonst so leichte

französische Luft, / Sie fing an mich zu drücken; / Ich mußte Atem

schöpfen hier / In Deutschland, um nicht zu ersticken.

Caput XXV: Die Göttin verspricht, ihrem Besucher das zukünftigeDeutschland zu zeigen, wenn er zu schweigen gelobe. An Stelle eines

Eides verlangt sie zur Besiegelung einen frivolen Liebesdienst:Heb auf

das Gewand und lege die Hand / Hier unten an meine Hüften, / Und

schwöre mir Verschwiegenheit / In Reden und in Schriften!

Caput XXVI: Mit glühenden Wangen zeigt Hammonia H. ihren

 Zauberkessel, der sich als Nachttopf Karls der Großen entpuppt und

dessen Gestank derdeutsche Zukunftsduft sei. Hastig schließt die

verliebte Göttin den Deckel und gibt sich dem Poeten in einem Rauschwilder Ekstase hin, die den Genius des Dichters zu neuen

schöpferischen Visionen begeistert. Kein Wunder, dass an dieser Stelle

der Zensor einschreitet und der Leser über alles Weitere unaufgeklärt

bleibt.

Caput XXVII: Zum Ende seines Wintermärchen entwirft H. ein

optimistisches Bild zukünftiger Leser-Generationen: Das alte

Geschlecht der Heuchelei wird verschwinden, denn schonknospet die

 Jugend, welche versteht / Des Dichters Stolz und Güte, / Und sich an

seinem Herzen wärmt, / An seinem Sonnengemüte. - Mit den letzten

Strophen stellt sich Heine in die Tradition vonAristophanes undDante 

und spricht dann den König von Preußen direkt an:Beleid’ge lebendige

Dichter nicht, / Sie haben Flammen und Waffen, / Die furchtbarer sind

als Jovis Blitz, / Den ja der Poet erschaffen. Mit der Androhung der

ewigen Verdammnis des Königs schließt das Epos.

Form[Bearbeiten]Das Werk besteht, neben einemVorwort[18] und einemNachtrag[19],

aus 27 „Kapiteln“ (Capita I – XXVII) mit mehr als 500 Strophen, die in je

vier Verse aufgeteilt sind und Ähnlichkeit mit der sogenannten

Nibelungenstrophe haben. Der erste und dritte Vers jeder Strophe

weisen je vier Hebungen auf, der zweite und vierte je drei. DasMetrum 

wird überwiegend vonJamben bestimmt. Die Zahl der unbetonten

Senkungen variiert jedoch (wie es typisch fürVolkslieder ist), sodassder Rhythmus des Epos häufig vomAnapäst mitgeprägt wird und so

Page 11: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 11/12

freier undprosa-ähnlicher wirkt. Auch das Reimschema ist einfach –

Vers 2 und 4 sind durch einenKreuzreim verbunden, Vers 1 und 3

reimlos. Nach demselben Schema verteilen sich dieKadenzen: die

Zeilen 1 und 3 klingen immer männlich aus, die Zeilen 2 und 4 immer

weiblich.

Rezeption[Bearbeiten]

Heines Versepos war bis in unsere Zeit hinein in Deutschland sehr

umstritten. Vor allem im Jahrhundert seiner Entstehung betrachtete man

das Werk als „Schmähschrift“ eines heimatlosen „Vaterlandsverräters“,

Miesmachers und Schandmauls. Diese Sichtweise vonDeutschland.

Ein Wintermärchen fand sich später besonders in der Zeit desNationalsozialismus, die Heine als „jüdischen Nestbeschmutzer“ sah

und verbannte, bis ins dümmlich Groteske übersteigert.

Die moderne Zeit sieht in Heines Werk – möglicherweise aufgrund

eines entspannteren Verhältnisses zu Nationalismus und

Deutschtümelei vor dem Hintergrund der europäischen Integration – ein

bedeutendes politisches Gedicht in deutscher Sprache, souverän in

Witz, Bildwahl und Sprache.

Ein Großteil des Reizes, den das Versepos heute ausübt, liegt darin

begründet, dass seine Botschaft nicht eindimensional, sondern

vieldeutig die Gegensätze in Heines Denken engagiert zum Ausdruck

bringt. Der Dichter zeigt sich als Mensch, der seine Heimat liebt und als

kreativen Kontrast zum leichtlebigen Frankreich sucht. So wie der Riese

Antäus (Caput I, letzte Strophe) den Kontakt zur Erde braucht, so

schöpft auch Heine seine Kraft und Gedankenfülle aus dem Kontakt

zum Heimatland.

Exemplarisch wird hier der Bruch sichtbar, den dieJulirevolution für das

intellektuelle Deutschland bedeutete: Der frische Wind der Freiheit

erstickt in den reaktionären Bestrebungen derRestauration, der schon

eingetretene „Frühling“ weicht einer neuen Frostperiode der Zensur,

Unterdrückung, Verfolgung und Exilierung; der Traum von einem

demokratischen Deutschland ist auf ein ganzes Jahrhundert hinaus

ausgeträumt.

Deutschland. Ein Wintermärchen markiert einen Höhepunkt der

Page 12: Deutschland.ein Wintermarchen

7/24/2019 Deutschland.ein Wintermarchen

http://slidepdf.com/reader/full/deutschlandein-wintermarchen 12/12

politischen Dichtung desVormärz. Es istein Bekenntnis zur

Lebensfreude und Gegenwärtigkeit in Gleichheit und Freiheit, bloßes

Amüsement jedoch wäre eineunangemessene Reaktion, weil sie den

aufklärerischen Ernst Heines verkennt.[20] War das Werk jahrzehntelang

als antideutsches Pamphlet des „Wahlfranzosen“ Heine verpönt, so gilt

es heute als bewegendes lyrisches - und teilweise visionäres - Zeugnis

des Exilanten und Emigranten Heinrich Heine, in dem er nicht zuletzt

den Untergang Preußens durch dessen Militarismus vorausahnt. Es hat

im Laufe der Jahrhunderte über zwanzig Nachahmer gefunden, der

bekannteste darunterWolf Biermann, der 1972 das Motiv der

Wintermärchen-Reise auf seine Ausweisung aus der DDR und seine

Übersiedlung in die BRD, ebenfalls nach Hamburg, übertrug.

Dem deutschen RegisseurSönke Wortmann diente der Titel 2006 als

Vorbild für seinen DokumentarfilmDeutschland. Ein Sommermärchen.

Katja Riemann verknüpfte Auszüge ausDeutschland. Ein

Wintermärchen mit Liedern aus dem ZyklusDie Winterreise zuWinter.

Ein Roadmovie, das bei denRuhrfestspielen 2012 uraufgeführt wurde.