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Aufklärung und Kritik, Sonderheft 13/2007 62 Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber (Swistal) Die Islamismuskompatibilität des Islam Anknüpfungspunkte in Basis und Geschichte der Religion 1. Einleitung und Fragestellung „Es ist ... notwendig“, so der Politik- wissenschaftler Bassam Tibi, „ ... zwi- schen Islam als einer Weltreligion, die eine der wichtigsten Weltzivilisationen hervorgebracht hat, und dem islamischen Fundamentalismus als politischer Ideolo- gie unserer Gegenwart auf der Schwelle zum 3. Jahrtausend zu unterscheiden.“ 1 Derartige Aussagen konnte man in den Medien nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 häufig lesen. Zutref- fend weisen sie darauf hin, dass man zwi- schen Islam als besonderer Religionsform und Islamismus als politischer Bestrebung unterscheiden sollte. Muslimische Auto- ren machten in gesonderten Veröffentli- chungen auch auf den Gegensatz zwi- schen den Handlungen von islamistischen Terroristen und den Geboten des Islam aufmerksam. 2 Und Vertreter islamischer Organisationen verneinten in gemeinsa- men Stellungnahmen jeden Zusammen- hang von Religion und Terror, da sich der Koran eindeutig gegen die Tötung un- schuldiger Menschen ausspreche. 3 So notwendig und zutreffend solche Un- terscheidungen sind, so sollten sie aber nicht generell die Zusammenhänge igno- rieren. Dazu gab es in der bisherigen De- batte nur wenige differenzierte Stellung- nahmen. Eine Ausnahme stammt von dem Journalisten Yassin Musharbash, der sich hierzu wie folgt äußerte: „Die Begründung für den Terror basiert auf denselben reli- giösen Quellen, an die alle frommen Mus- lime glauben, vor allem auf dem Koran und den Sammlungen der Aussprüche und Taten des Propheten. Mit dem bedeutsa- men Unterschied freilich, dass militante Islamisten diese Quellen selektiv auswer- ten und oft vollkommen konträr zur Mehr- heitsmeinung interpretieren – allerdings nicht willkürlich.“ 4 Ihm geht es also nicht um eine Gleichsetzung von Islam und Islamismus, sondern um die Anknüp- fungspunkte für den Islamismus in der Re- ligion des Islam. Genau dieser Gesichts- punkt steht auch im Zentrum der vorlie- genden Erörterung, fragt diese doch nach der Islamismuskompatibilität des Islam. Es geht dabei – um dies gleich einleitend klar zu stellen – nicht um eine Gleichset- zung von politischer Ideologie und reli- giöser Orientierung, sondern um die Aus- einandersetzung mit den Vereinbarkeiten zwischen beiden Bereichen. Zu diesem Zweck werden im Folgenden einige der damit gemeinten historischen, religiösen, politischen und sozialen Bestandteile des Islam hervorgehoben und in einen solchen Zusammenhang gestellt. Danach steht die Kommentierung und der Umgang mit den Juden als gesellschaftliche und religiöse Minderheit in der islamischen Welt im Zentrum des Interesses. Und schließlich soll es angesichts der zentralen Fragestel- lung um das Verständnis von Menschen- rechten und Religionsfreiheit sowie die Immunität gegen die Demokratisierungs- und Rechtsstaatstendenzen gehen. Vorab bedarf es aber einer Klärung bestimmter definitorischer und methodischer Ge- sichtspunkte: Letzteres bezieht sich auf das Kompatibilitätstheorem, ersteres auf die Begriffsbestimmung von Islamismus.

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Aufklärung und Kritik, Sonderheft 13/200762

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber (Swistal)Die Islamismuskompatibilität des Islam

Anknüpfungspunkte in Basis und Geschichte der Religion

1. Einleitung und Fragestellung„Es ist ... notwendig“, so der Politik-wissenschaftler Bassam Tibi, „ ... zwi-schen Islam als einer Weltreligion, dieeine der wichtigsten Weltzivilisationenhervorgebracht hat, und dem islamischenFundamentalismus als politischer Ideolo-gie unserer Gegenwart auf der Schwellezum 3. Jahrtausend zu unterscheiden.“1

Derartige Aussagen konnte man in denMedien nach den Terroranschlägen vom11. September 2001 häufig lesen. Zutref-fend weisen sie darauf hin, dass man zwi-schen Islam als besonderer Religionsformund Islamismus als politischer Bestrebungunterscheiden sollte. Muslimische Auto-ren machten in gesonderten Veröffentli-chungen auch auf den Gegensatz zwi-schen den Handlungen von islamistischenTerroristen und den Geboten des Islamaufmerksam.2 Und Vertreter islamischerOrganisationen verneinten in gemeinsa-men Stellungnahmen jeden Zusammen-hang von Religion und Terror, da sich derKoran eindeutig gegen die Tötung un-schuldiger Menschen ausspreche.3

So notwendig und zutreffend solche Un-terscheidungen sind, so sollten sie abernicht generell die Zusammenhänge igno-rieren. Dazu gab es in der bisherigen De-batte nur wenige differenzierte Stellung-nahmen. Eine Ausnahme stammt von demJournalisten Yassin Musharbash, der sichhierzu wie folgt äußerte: „Die Begründungfür den Terror basiert auf denselben reli-giösen Quellen, an die alle frommen Mus-lime glauben, vor allem auf dem Koranund den Sammlungen der Aussprüche und

Taten des Propheten. Mit dem bedeutsa-men Unterschied freilich, dass militanteIslamisten diese Quellen selektiv auswer-ten und oft vollkommen konträr zur Mehr-heitsmeinung interpretieren – allerdingsnicht willkürlich.“4 Ihm geht es also nichtum eine Gleichsetzung von Islam undIslamismus, sondern um die Anknüp-fungspunkte für den Islamismus in der Re-ligion des Islam. Genau dieser Gesichts-punkt steht auch im Zentrum der vorlie-genden Erörterung, fragt diese doch nachder Islamismuskompatibilität des Islam.Es geht dabei – um dies gleich einleitendklar zu stellen – nicht um eine Gleichset-zung von politischer Ideologie und reli-giöser Orientierung, sondern um die Aus-einandersetzung mit den Vereinbarkeitenzwischen beiden Bereichen. Zu diesemZweck werden im Folgenden einige derdamit gemeinten historischen, religiösen,politischen und sozialen Bestandteile desIslam hervorgehoben und in einen solchenZusammenhang gestellt. Danach steht dieKommentierung und der Umgang mit denJuden als gesellschaftliche und religiöseMinderheit in der islamischen Welt imZentrum des Interesses. Und schließlichsoll es angesichts der zentralen Fragestel-lung um das Verständnis von Menschen-rechten und Religionsfreiheit sowie dieImmunität gegen die Demokratisierungs-und Rechtsstaatstendenzen gehen. Vorabbedarf es aber einer Klärung bestimmterdefinitorischer und methodischer Ge-sichtspunkte: Letzteres bezieht sich aufdas Kompatibilitätstheorem, ersteres aufdie Begriffsbestimmung von Islamismus.

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2. Definition und Typologie von Ideo-logie und Strategie des IslamismusDabei handelt es sich um eine Sammel-bezeichnung für unterschiedliche Strö-mungen einer politischen Bewegung5 , dieihren ideologischen Ursprung in inner-islamischen Reformbestrebungen im letz-ten Drittel des 19. Jahrhunderts und ihreorganisatorischen Wurzeln in der 1928 inÄgypten gegründeten „Muslimbruder-schaft“6 hat. Allen später entstandenenStrömungen ist die Absicht eigen, den Is-lam nicht nur zur verbindlichen Leitliniefür das individuelle, sondern auch für dasgesellschaftliche Leben zu machen. Diesbedeutet notwendigerweise die Aufhe-bung einer Trennung von Religion undStaat als Ausdruck der Säkularisierungund die institutionelle Verankerung derreligiösen Grundlagen im Sinne eines is-lamischen Staates. Damit einher geht dieAblehnung der Prinzipien von Individua-lität, Menschenrechten, Pluralismus, Sä-kularisierung und Volkssouveränität.7 In-sofern nimmt der Islamismus eine Front-stellung gegen das normative Selbstver-ständnis offener Gesellschaften und de-mokratischer Verfassungsstaaten ein.Bei allen darauf bezogenen ideologischenGemeinsamkeiten lassen sich hinsichtlichder politischen Artikulations- und Hand-lungsweise aber Unterscheide ausmachen.Entgegen eines weit verbreiteten Ein-drucks sind weder alle Islamisten gewalt-tätig noch terroristisch ausgerichtet. Statteiner solchen Pauschalisierung empfiehltsich eine Unterscheidung von gewaltbe-reiten und reformorientierten Varianten8 ,die sich wiederum in zwei weitere Sub-gruppen differenzieren lassen: zu demletztgenannten Typus gehört eine kultu-relle Form, die über das Engagement imAlltagsleben Akzeptanz für ihre Auffas-

sungen mobilisieren will, und eine politi-sche Variante, die über Parteipolitik gro-ße Unterstützung für sich unter Wählernanstrebt. Die gewaltbereite Form kann da-nach unterschieden werden, ob ihre An-hänger regional oder transnational ausge-richtet sind. Als Kriterium für die Unter-scheidung gilt hierbei der Zielort solcherAktivitäten, die sich auf das Herkunfts-land beschränken oder weit darüber hin-aus gehen können.9

Diese Differenzierung wie die Gesamt-unterscheidung des Islamismus über denHandlungsstil soll lediglich als idealty-pisch gelten: Es lassen sich nicht nurMischformen ausmachen; mitunter wech-selten einzelne islamistische Personen-gruppen im Laufe ihrer Aktivitäten auchvon der einen in die andere Kategorie. Fürden hier zu erörternden Zusammenhangspielen die unterschiedlichen strategi-schen Vorgehensweisen im Islamismusaber keine bedeutende Rolle, da es pri-mär um den ideologischen Gesichtspunktund dessen Verknüpfung mit der Religi-on des Islam geht. Allenfalls hinsichtlichder Frage einer Legitimation von Gewaltoder des „Dschihad“ verdienen die unter-schiedlichen Handlungsstile im Islamis-mus besondere Aufmerksamkeit. Die fol-gende Analyse fragt dem gegenüber nachden Bestandteilen der Religion in Basisund Geschichte, die zur Legitimation ei-ner Ablehnung von Demokratie im Sinneeiner extremistischen Zielsetzung durchdie unterschiedlichen Anhänger dieserpolitischen Bewegung dienen.

3. Das Essentialismusproblem und dasKompatibilitätstheoremBevor darauf näher eingegangen wird,zunächst noch einige Ausführungen zuzwei methodischen Problemen: Der erste

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Gesichtspunkt bezieht sich auf die insbe-sondere von muslimischen Autoren undislamischen Organisationen hervorgeho-benen Gegensätze zwischen politischerIdeologie und religiöser Orientierung. Indiesem Zusammenhang wird vielfach ar-gumentiert, der Islamismus widersprechevor allem in seiner gewaltgeneigten Formdem „wahren Islam“.10 Doch wie willman Aussagen über den eigentlichen oderessentiellen Kern dieser Religion ma-chen? Allein das Bestehen unterschiedli-cher Varianten, wovon die Schiiten undSunniten nur die bekanntesten Formensind, veranschaulicht die mangelnde Ein-heit und Stringenz des Islam. Auch dieHinweise auf die Entstehungsphase derReligion und das Wirken des ProphetenMohammed verschaffen keine Klarheit,werden doch auch diese Ereignisse undGrundlagen gerade von Muslimen unter-schiedlich bis widersprüchlich gedeutet.Daher lassen sich keine Aussagen über das„eigentliche Wesen“ des Islam machen.Derartige Annahmen entsprechen eineressentialistischen Anmaßung, die allge-mein als methodisches Verfahren von demErkenntnistheoretiker Karl R. Popper kri-tisiert wurde: Danach bestehe die Aufga-be der Wissenschaft in der Entdeckungund Beschreibung der wahren Natur derDinge, also ihrer verborgenen Realität.Dies ist aber nach Popper im Sinne einerkritischen Prüfung anhand der Realitätwissenschaftlich nicht möglich. Allenfallskönnten Aussagen über die Rolle einesUntersuchungsobjektes in konkretenKontexten gemacht werden.11 Und in derTat zeigt sich dies inhaltlich auch im hierzu erörternden thematischen Feld: Unter-schiedliche islamische Gruppen und Per-sonen beanspruchten zu verschiedenenZeiten, das „eigentliche Wesen“ des Is-

lam erkannt zu haben. WissenschaftlicheEinschätzungen dieser Religion lassensich demnach nur für deren Funktion undRolle unter bestimmten Bedingungen for-mulieren.Als zweiter methodischer Gesichtspunktsoll noch einmal gesondert das mit demKompatibilitiätstheorem konkret Gemein-te erläutert werden: Die genutzte Termi-nologie findet häufig im Bereich der Com-puter-Technik Anwendung und beziehtsich auf die Vereinbarkeit von Hard- undSoftware. Im vorliegenden Kontext gehtes daher um die formalen und inhaltlichenAnknüpfungspunkte im Islam, welcheeine Deutung in Richtung Islamismusmöglich machen. Vorstellbar können dem-nach ebenso andere Interpretationen seinund insofern wird auch keine Identitätzwischen den beiden Bereichen postuliert.Gleichzeitig geht es dabei aber um eineKritik an der Argumentation, wonach essich beim Islamismus nur um einen„Missbrauch“ des eigentlichen Islam han-dele. Derartige Aussagen versuchen, mitdem Kompatibilitätstheorem gemeinteZusammenhänge zu leugnen. Wenn aberInhalte in einer so breiten Form unter-schiedlich auslegbar sind, dann sind de-ren Normen entweder nicht klar definiertund/oder auch so angelegt.

4. Absolutheitsansprüche und Aus-grenzungstendenzen im KoranZu den formalen Merkmalen der islamis-tischen Ideologie gehören Absolutheits-ansprüche und Ausgrenzungstendenzen12 ,die man auch schon im Text des Koran anden verschiedensten Stellen findet. Fürerstere bezogen auf die Auffassung deseigenen Glaubens als einzigem Weg zumHeil stehen folgende Beispiele: „Undwem Gott nicht Licht schafft, der hat kein

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Licht.“ „Es sind Worte aus eurem Mund,Gott aber spricht die Wahrheit, und errechtleitet auf den Pfad.“ „Oh, ihr, die ihrglaubt, gehorcht Gott und seinem Gesand-ten; wendet euch von ihm nicht ab, undihr höret.“ „Und wer Gott gehorcht undseinem Gesandten, den führt er in Gär-ten, darunterhin Ströme fließen; und wersich abwendet, den straft er mit qualvol-ler Strafe.“ „Er ist es, der den Gesandtenmit der Rechtleitung gesandt und mit derwahren Religion, sie überwinden zu las-sen die Religionen alle, und sollte es zu-wider sein den Götzendienern.“ Und: „Ihrseid das beste Volk, das aus der Mensch-heit hervorging ...“13

Als Beispiele für die Ausgrenzungsten-denzen können folgende Zitate gelten:„Sind die heiligen Monate vorüber, danntötet die Götzendiener, wo ihr sie auchfindet, fanget sie ein, belagert sie und stelltihnen nach aus jedem Hinterhalt.“ „Wahr-lich, diejenigen, die unsere Verse verleug-nen, werden wir im Fegefeuer braten las-sen; sooft ihre Haupt gar wird, umwech-seln wir sie auf eine andere Haut, auf dasssie die Pein kosten.“ „Verheißen hat Gottden Heuchlern und den Heuchlerinnen,sowie den Ungläubigen das Feuer derHölle, in der sie ewig verbleiben.“ „Undwenn ihr denen begegnet, die ungläubigsind – ein Schlag auf den Nacken, bis ihrsie niedergemacht habt; dann zieht fest dieFesseln.“ „Bekämpft die an Gott nichtglauben und an den Jüngsten Tag, dienicht heilig halten, was Gott geheiligt undsein Gesandter, und nicht anerkennen dieReligion der Wahrheit von denen, die dieSchrift empfingen, bis sie Tribut aus derHand zahlen und gering sind.“ „Und sobekämpft sie, bis keine Verführung mehrist und die Religion ganz Gottes.“14

Gegen die Interpretation dieser Zitate imvorgenannten Sinne könnten einige Ein-wände erhoben werden: Erstens fändensich im Koran noch andere Stellen, diedem entgegen für die Akzeptanz andererReligionen eintreten.15 Hierbei handelt essich allerdings um quantitativ weitaus ge-ringere Textanteile. Außerdem entstam-men sie meist den frühen mekkanischenSuren, also aus der Zeit, wo Mohammedein gesellschaftlich isolierter und politischmachtloser Religionsstifter war.16 Zwei-tens könnte darauf verwiesen werden,dass die erwähnten Aussagen im Kontextvon zeitgenössischen Konflikten gesehenwerden müssten. Dies trifft zwar zu, er-klärt sich so doch die inhaltliche Ausrich-tung. Gleichwohl wertet man den Koranals direktes Wort Gottes und damit des-sen Aussagen als überhistorische Gebo-te. Und drittens wäre der Einwand vor-stellbar, die erwähnten Forderungen bezö-gen sich nur auf die religiöse, nicht aberauf die gesellschaftliche Ebene. Dem wi-dersprechen aber sowohl die Formulie-rungen wie die Praktiken.

5. Der Totalitätsanspruch für die gesell-schaftliche und politische EbeneAls weiteres formales Merkmal der isla-mistischen Ideologie kann das identitäreGesellschaftsverständnis gelten, welchesauf politische Homogenität und sozialenKollektivismus hinausläuft.17 Ansatz-punkte dafür gibt es bereits im Islam, gehtdieser doch im religiösen Selbstverständ-nis von einem Totalitätsanspruch für diegesellschaftliche und politische Ebeneaus. Islam bedeutet so viel wie „Unter-werfung“, Muslim meint „Einer, der sichAllah unterwirft“.18 So heißt es denn auchim Koran: „O ihr, die ihr glaubt, gehorchetGott, gehorchet den Gesandten und den

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Befehlshabern unter euch.“19 In dieserPerspektive beansprucht Gott den ganzenMenschen, der sich ihm um des einzigenWeges zum Lichte willen dankbar hinge-ben soll. Derartige Ansprüche vertretenauch andere Religionen, hier kommt alsBesonderheit die Forderung nach bedin-gungslosem Gehorsam gegenüber demPropheten und seinen Vertretern hinzu.Damit deutet sich schon an, dass die Ein-und Unterordnung nicht auf den religiö-sen Bereich begrenzt sein soll.Der erwähnte Totalitätsanspruch beziehtsich nämlich darauf, dass Gottes Rechtund Wille in allen Lebensbereichen durch-gesetzt werden soll. Dies gilt nicht nur fürdas individuelle Religionsverständnis,sondern für die gesamte Gesellschaft. DerReligionswissenschaftler Adel TheodorKhoury bemerkte dazu: „So kennt der Is-lam keine Trennung von Religion undStaat, von Glaubensgemeinschaft und po-litischer Gesellschaft. Die islamische Ge-meinschaft und auch alle Gemeinschaf-ten, die im islamisch regierten Staat le-ben, stehen unter dem Gesetz Gottes undhaben nach seinen Bestimmungen zu han-deln.“20 Da sich Gott nun aber nicht di-rekt artikuliert, geben seine menschlichenInterpreten die inhaltlichen Vorgaben fürdie Gestaltung der Gesellschaft aufgrundihrer Deutung der religiösen Schriften. Sieleiten daraus Bestimmungen für die Ge-staltung des alltäglichen Lebens, derrechtlichen Ordnung und der politischenStruktur ab. Die besondere Auslegung solldie gesamte Gesellschaft einheitlich prägen.Insofern läuft dieses Selbstverständnis desIslam auf die Etablierung einer theokrati-schen Herrschaft21 hinaus.22 Noch einmalKhoury dazu: „Aufgrund dieser Bindungdes politischen Lebens in der islamischenGesellschaft an das von Gott in seiner

Offenbarung erlassene und von Muham-mad in seiner Überlieferung zur Anwen-dung gebrachte und authentisch interpre-tierte Gesetz wird der islamische Staat alsTheokratie bezeichnet.“23 Dieses Ver-ständnis lehnt nicht nur die Trennung vonReligion und Staat ab, sondern sieht imIslam auch das leitende Prinzip für dieGesellschaftsordnung.24 Dass in Koranoder Sunna kein konkretes Modell für einsolches Systems enthalten ist, wider-spricht dieser Einschätzung nicht, geht esdoch um die Umsetzung der Vorgabenunabhängig von besonderen Strukturen.Im Laufe der islamischen Geschichte kames in der Realität allerdings immer wie-der zu Aufweichungen dieser Prinzipien25,welche von heutigen Islamisten aus ihremreligiösen Verständnis heraus durchausnachvollziehbar kritisiert werden.

6. Die Verknüpfung von Krieg, Politikund Religion durch MohammedDie historische und religiöse Grundlagefür das Verständnis des Islam als Gesell-schaftsordnung findet sich bereits in derEntstehungsphase der Religion, verknüpf-te doch deren Begründer Mohammed inder zweiten Phase seines Wirkens bereitsPolitik und Religion. Nach der in den is-lamischen Geschichtswerken geschilder-ten Berufung zum Propheten ab 610 ge-wann er zwar erste Anhänger und trat ab613 auch in dieser Funktion öffentlich auf,blieb aber in der Gesellschaft von Mekkaeher isoliert und bemühte sich vergeblichum eine Vergrößerung seines Einflusses.Mohammeds Wirken blieb in jener Zeitdarauf beschränkt, durch Ansprachen undWerbung die Bewohner der Stadt zu ei-ner Abkehr von ihrem alten und der Hin-wendung zu dem neuen Glauben zu be-kehren. Als sozialer Akteur agierte er so-

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mit in dieser Phase wie die meisten ande-ren Religionsbegründer, die lediglichdurch Taten und Worte um neue Anhän-ger warben. Nach seiner als Hidschra be-zeichneten Auswanderung nach Medinaerfolgte allerdings ein Wandel:Nicht zufällig gilt das entsprechende Jahr622 als Beginn der islamischen Zeitrech-nung, wird danach doch gerade die poli-tische Dimension der Religion deutlich.Inwieweit man hier im Unterschied zurvorherigen Phase von einem Wandel vom„Propheten“ zum „Staatsmann“ oder nurvon einer Schwerpunktverlagerung derAktivitäten sprechen kann, wird in derForschung kontrovers diskutiert und sollhier nicht näher erörtert werden.26 Auf-grund einer besonderen Konfliktsituationvor Ort fiel ihm die Funktion einesSchiedsrichters oder Schlichters bei Aus-einandersetzungen zwischen arabischenStämmen zu. Sein erfolgreiches Wirken,wobei Mohammed seinen Anspruch als„Gesandter Gottes“ und „Propheten“deutlich herausstrich, führte ihm zahlrei-che Anhänger zu. Gleichzeitig nahm derReligionsbegründer nun eine dezidiertpolitische Rolle ein, in dem er die Inte-gration der dortigen Stämme in eine theo-kratische Gemeinschaft unter seiner Füh-rung erfolgreich vorantrieb.Insofern hatte Mohammed ein Gemein-wesen auf Basis des Islam begründet unddamit die enge Verzahnung von Religionund Staat bereits zu einem genuinen Fun-dament des Islam gemacht. Aus dem Reli-gionsgründer wurde aber nicht nur einPolitiker, sondern auch ein Feldherr. Dernun folgende Siegeszug des Islam gingbereits zu dieser Zeit mit militärischenMitteln einher, führte dessen Begründerdoch eine Reihe von Feld- und Raubzü-gen gegen die Mekkaner bis zur endgül-

tigen Einnahme der Stadt 630 durch. Der-artige kriegerische Unternehmungen stell-ten für die damalige Zeit in der dortigenRegion aber keine Besonderheiten dar. Bi-lanzierend bemerkte die Islamwissen-schaftlerin Gudrun Krämer zu dieser Pha-se: „Von Beginn an scheint Muhammadin Medina eine Doppelstrategie verfolgtzu haben, die die religiöse Mission mitpolitischen und militärischen Maßnahmengegen Kritiker und Widersacher jeglicherNatur verband, ... die teils mit Gewalt,teils mit diplomatischen Mitteln angegan-gen wurden.“27

7. Die zwei Traditionslinien der islami-schen EroberungskriegeEntscheidend für den hier zu erörterndenKontext ist die Etablierung eines ausge-dehnten Staatswesens auf religiöserGrundlage mit kriegerischen Mitteln. Andas damit verbundene Selbstverständnisknüpften Mohammeds Nachfolger in derFrühphase des Islam, die von heutigenIslamisten als eine Art „goldenes Zeital-ter“ ihrer Religion angesehen wird, an. Eskam neben einer Reihe von innerislami-schen Machtkämpfen zu einer Welle vonEroberungskriegen, die sich bis 656 nochauf Gebiete in Ägypten, Iran, Nordafrikaund Syrien beschränkte. Danach setzteallerdings eine immer stärkere Ausdeh-nung der Expansionen ein: Sie fanden bis740 ihren Höhepunkt in den letztlich ge-scheiterten Versuchen, über Spanien hin-aus nach Europa einzudringen. Im Unter-schied zu den späteren christlichen Erobe-rungszügen beabsichtigte man allerdingsnicht die Unterworfenen zu einer Konver-sion zum Islam zu zwingen.28 Christenund Juden erhielten meist den noch näherzu beschreibenden Status von „Schutz-befohlenen“.

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Die zweite Traditionslinie islamischer Ex-pansion ging vom Osmanischen Reichaus: Für deren Höhepunkte stehen dieEroberung von Konstantinopel 1453 unddem Sieg über die Ungarn 1526 sowie dieallerdings zweimal gescheiterte Belage-rung von Wien 1529 und 1683.29 In wel-chem Maße es den in beiden Phasen akti-ven Verantwortlichen um eine bloßeMachtexpansion oder um die Verbreitungder Religion ging, lässt sich schwer sa-gen. Entscheidend für den hier zu erör-ternden Zusammenhang ist allerdings,dass die jeweiligen Expansionskriege imNamen des Islam erfolgten und es auchkeine gegenteiligen Aussagen auf Basisdieser Religion gab. Nimmt man die be-reits in der Frühphase des Islam angeleg-te enge Verbindung mit militärischen Mit-teln und politischen Zielsetzungen hinzu,entspricht das skizzierte Vorgehen durch-aus dem seinerzeitigen Selbstverständnisder Religion. Der Islam stellte somit kei-neswegs nur einen besonderen Glaubenfür Individuen dar, sondern trat als kriegs-führende Macht zur Unterwerfung auf.Gleiches gilt für die seinerzeitigen Expan-sionen im Namen des Christentums, wo-mit in dieser Hinsicht kein Unterschiedbesteht. Von einem solchen muss man al-lerdings hinsichtlich des historischen Be-wusstseins in den gegenwärtigen christ-lichen und islamischen Gesellschaftensprechen: Während in den ersteren durchdie Wirkung von Aufklärung und Demo-kratisierung etwa in Kolonialismus undKreuzzügen eine verwerfliche Vorgehens-weise gesehen wird, besteht in der isla-misch geprägten Welt kein breiter entwi-ckeltes kritisches Bewusstsein über dieseZeit. Es gab auch keine öffentlichen Er-klärungen des Bedauerns und Entschuldi-gens von hohen Repräsentanten des Islam.

Ganz im Gegenteil stehen die „Heldenta-ten“ muslimischer Feldherrn hoch imKurs, was sich auch an der Namensge-bung für viele Moscheen in Europa able-sen lässt. Hierzu gehören etwa die nachdem Eroberer des christlichen Konstanti-nopel benannten Einrichtungen mit derBezeichnung „Eroberer (Fatih-)Moschee“.30

8. Der „Heilige Krieg“ als integralerBestandteil der ReligionDies erklärt sich zu gewissen Teilen auchdadurch, dass das „Dschihad“-Verständ-nis im Sinne eines „Heiligen Krieges“ einintegraler Bestandteil der Religionsauf-fassung und -geschichte ist. Auch darankönnen gegenwärtige Islamisten direktanknüpfen. Dschihad bedeutet als arabi-scher Begriff zunächst nur so viel wie„Bemühung, ein bestimmtes Ziel zu er-reichen“. Darüber hinaus unterscheidetman die Auffassung von einem „großen“und „kleinen Dschihad“, wobei ersteresdas Bemühen des Gläubigen um ein be-sonders moralisches Verhalten im Sinnedes Islam meint. Der „kleine Dschihad“meint demgegenüber im islamischenRecht die legitime Form der Kriegsfüh-rung zur Erweiterung des islamischenHerrschaftsbereichs oder dessen Vertei-digung. Insofern verdient Beachtung, inwelchem Sinne dieser Begriff jeweils be-nutzt wird. Große Verbreitung fand dieAnnahme, ein Verständnis von „Dschi-had“ als „Heiliger Krieg“ habe in derGeschichte dominiert, aber entsprechenicht dem koranischen Sinn.31

Die Überprüfung der Verwendungskon-texte kommt allerdings zu einem anderenErgebnis: Insgesamt ist an 35 Stellen von„Dschihad“ die Rede, lediglich in zweiFällen in der eigentlichen Grundbedeu-tung von „sich abmühen, sich anstrengen“

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und an vier weiteren Stellen in einem somöglicherweise deutbaren Sinne. „An al-len anderen“, so die Orientalistin RotraudWielandt, „d.h. an mehr als 80% derkoranischen Fundstellen geht jedoch ausdem Kontext zweifelsfrei hervor, dass dasWort ... tatsächlich nichts anderes als einmilitärisches Vorgehen bezeichnet, alsoim Sinne von ‘Krieg führen’ zu verstehenist.“32 Bei dem heute insbesondere vonMuslimen in den europäischen Ländernvertretenen „Dschihad“-Verständnis, dasauf die Bemühung um eine bessere Ein-haltung der Glaubensmoral abstellt, han-delt es sich somit um eine durchaus be-grüßenswerte Neuinterpretation. Sie kannsich allerdings weder auf das eigentlicheKonzept im Koran noch auf die histori-sche Wirksamkeit stützen.Hier lässt sich allenfalls noch fragen, obmit der Legitimation des gewalttätigenVorgehens durch das „Dschihad“-Kon-zept eine angreifende oder nur eine ver-teidigende Dimension gemeint ist. Selbstwenn sich manche Formulierungen wieim letztgenannten Sinne lesen, sind siedoch angesichts der beschriebenen zeit-genössischen Vorgehensweise von Mo-hammed in einem angreifenden Sinne zuinterpretieren. Dafür stehen ebenso dieobigen Koran-Zitate, die nicht nur Aus-grenzungs-, sondern auch Bekämpfungs-vorschriften enthalten. Hier stellvertre-tend dafür ein weiteres Beispiel: „O ihr,die ihr glaubt, bekämpfet die euch Be-nachbarten von den Ungläubigen undlasset sie bei euch Strenge finden, undwissen, dass Gott mit den Gottesfürchti-gen ist.“33 Gegenwärtig dürften sich diemeisten Muslime von dem Gebot einesreligiös motivierten Angriffskriegs gegenAndersgläubige gelöst haben, die gewalt-geneigten Islamisten können sich gleich-

wohl auf diese authentische Grundlageihrer Religion berufen.

9. Der gesellschaftliche Status der„Schutzbefohlenen“Die oben anhand von Koran-Zitaten ver-deutlichten Absolutheitsansprüche undAusgrenzungstendenzen im Koran erklä-ren auch den Umgang mit Andersgläubi-gen wie den Christen und Juden, die denStatus von „Schutzbefohlenen“ erhiel-ten.34 Da der Islam sich als Offenbarungs-religion im Sinne des eigentlichen undwahren Erbes der bereits zuvor bestehen-den monotheistischen Religionen ansah,erfuhren Angehörige dieser beiden Reli-gionen im Unterschied zu den im Koranmit dem Tod bedrohten Heiden eine hö-here Wertschätzung. Als Anhänger einer„Buchreligion“ glaubten sie im muslimi-schen Selbstverständnis an eine wahre,aber verfälschte Offenbarung. Die damitverbundene religiöse Auffassung erklärtmit, warum Anhänger beider Religionenzwar geduldet und toleriert, nicht aber an-erkannt und gleichgestellt wurden. Esging hier demnach entgegen weit verbrei-teter Auffassungen immer nur um einerelative Akzeptanz innerhalb der dortigenGesellschaften:Der angesprochene Status des „Schutzbe-fohlenen“ bezog sich auf einen „Schutz-vertrag“, der den Stellenwert von Ange-hörigen einer anderen Offenbarungsreli-gion als Minderheit in einer islamisch ge-prägten Mehrheitsgesellschaft bestimm-te. Einerseits gewährte man ihnen die Si-cherheit der eigenen Person und des per-sönlichen Besitzes, gestattete ihnen dieAusübung ihrer Religion und sicherte ih-nen die Möglichkeit zur Regelung inter-ner Angelegenheiten zu. Andererseits gingder „Schutzvertrag“ mit der Notwendig-

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keit einer regelmäßigen Tributzahlung undmit der Einhaltung diskriminierender Be-stimmungen einher. Zu letzterem gehörteetwa das Verbot für Nichtmuslime zumBesitz eines muslimischen Sklaven, die aufnichtmuslimische Frauen beschränkteMöglichkeit zu einer gemischtreligiösenEhe oder die Erhebung besonders hoherAbgaben und Zölle. Auch die Vorschriftzum Tragen bestimmter Kleidungsstückein der Öffentlichkeit gehörte zu den dis-kriminierenden Praktiken.Insofern handelte es sich bei dem „Schutz-vertrag“ nicht um eine vertragliche Ver-einbarung unter Gleichen, sondern umeinen Akt der gesellschaftlichen Abwer-tung. Die Muslime sahen in den Christenund Juden bis ins 19. Jahrhundert hineinsomit „Bürger zweiter Klasse“, sie wur-den benachteiligt und diskriminiert, aberauch geduldet und toleriert. In der ver-gleichenden Betrachtung mit dem christ-lichen Europa hebt sich in der historischenRückschau hier die islamische Welt posi-tiv ab. Dort konnten die Juden weitausfreier und sicherer leben als in den euro-päischen Ländern, bildete sich doch kei-ne aggressive und tiefverwurzelte Juden-feindschaft heraus. Auch kam es bis aufwenige Ausnahmen nicht zu einem ähn-lichen Ausmaß von Pogromen und Ver-treibungen wie etwa zur Zeit der Kreuz-züge im christlich geprägten Europa. Dierelative religiöse und soziale Toleranz fürdie Juden unter dem Islam35 sollte aller-dings auch nicht idealisiert werden, eshandelte sich lediglich um die Duldungvon Diskriminierten und Verachteten.

10. Judenfeindliche Einstellungen inder Entstehungsphase des IslamDie Juden bilden ein besonderes Feind-bild der Islamisten, kann man doch mitt-

lerweile von einem islamistischen Antise-mitismus sprechen.36 Er stützt sich aufbereits in der Entstehungsphase des Islamvorhandene Einstellungen. Im Koran fin-det man eine Reihe von abwertenden unddiffamierenden Kommentaren zu den Ju-den: Ihnen wird unterstellt, sie verfälsch-ten das Wort Gottes, hätten den mit ihmgeschlossenen Bund gebrochen und ihreneigenen Propheten getötet.37 Und schließ-lich verdienen auch die im Koran erfol-genden Hinweise auf eine Geschichte Be-achtung, wonach Juden aufgrund ihresVerhaltens in Affen und Schweine ver-wandelt worden seien.38 Gerade daraufspielen Islamisten in ihrer gegenwärtigenAgitation immer wieder an.39 Zwar wer-den andere Religionen weitaus stärker ab-gewertet und Christentum und Judentumerhalten als „Buchreligionen“ eine relati-ve Wertschätzung. Der Koran beschreibtdie Juden im Vergleich zu den Christenaber im Sinne einer Herabstufung weit-aus negativer.40

Wie kam es zu derartigen Verleumdun-gen und Zerrbildern im Koran? Die Ur-sachen dafür lagen in den politischen undreligiösen Umständen der damaligen Zeitin Gestalt der Auseinandersetzung Mo-hammeds mit den Juden.41 Nachdem ervon Mekka nach Medina emigrierte, ver-suchte der Begründer des Islam, seine bis-herige Bekehrungsarbeit dort bei den un-terschiedlichen Gruppen und Stämmenfortzusetzen. Dabei ging Mohammed zu-nächst davon aus, dass der Islam in be-deutenden Fragen mit dem Judentumübereinstimme. Um dessen Anhänger fürseine Religionsauffassung zu gewinnen,nahm er im Bereich des Kultus sogar ge-wisse Angleichungen in Richtung des Ju-dentums vor. Mohammeds hohe Erwar-tungen wurden allerdings nicht erfüllt:

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Lediglich einige wenige Einzelgängerwandten sich ihm zu, die überwiegendeMehrheit der Juden blieb ihrem Glaubentreu. Aus dieser Erfahrung erklären sichdie verbitterten Bemerkungen über derenMinderwertigkeit und Unbelehrbarkeit imKoran.Darüber hinaus ergab sich noch ein krie-gerisches Nachspiel, das gegen drei jüdi-sche Stämme im Siedlungsgebiet um Me-dina gerichtet war. Mohammed führtegegen sie nacheinander einen Angriffs-krieg, der mit deren erfolgreicher Unter-werfung endete. In den ersten beiden Fäl-len mussten die Juden ihre Besitztümerabgeben und danach in die Emigrationgehen. Gegen den dritten Stamm gingman weitaus brutaler vor, wurden dochnicht nur die Frauen und Kinder versklavt,sondern über 600 Angehörige regelrechtabgeschlachtet. Hinsichtlich einer Ein-schätzung dieser Ereignisse gilt es aberzu bedenken, dass die Motive primärmachtpolitischer Natur waren und eineAuslöschung des Judentums in seinerGesamtheit kein Ziel darstellte. WelcheSeite in diesem Konflikt im Vorfeld eineBündnisvereinbarung gebrochen hat, lässtsich heute aufgrund der Überlieferungs-problematik nicht mehr sagen.42 Entschei-dend für die hier zu erörternde Problema-tik ist lediglich das in der Entstehungs-phase des Islams bereits bestehende Ne-gativ-Bild von den Juden.

11. Antijüdische Diffamierungen undMassaker in der Geschichte des IslamSo erklärt sich auch die Existenz einerReihe von Schmähschriften, die ab dem9. Jahrhundert Verbreitung fanden.43 In-haltlich boten sie keine Neuerungen, son-dern knüpften an die Aussagen über dieJuden aus dem Koran an. Mitunter findet

man darin aber auch Übersteigerungen, dievon den Angehörigen der religiösen Min-derheit angeblich ausgehende besondereGefahren unterstellten. Hierzu gehörtenetwa Warnungen, wonach sich Muslimenicht mit Juden einlassen sollten, be-absichtigten diese doch möglicherweisedie Tötung der Anhänger des Islam. EinBeispiel für eine gegen die Juden gerich-tete Schmähschrift stellen die Aussagenvon Abu Ishaq in einem 1066 in Granadageschriebenen Gedicht dar: Danach ge-statte der Glaube den Muslimen die Tö-tung der Juden, hätten diese doch Verträ-ge gebrochen.44 Bereits zu dieser Zeitzeigte sich, dass die Aussagen im Koranunabhängig von ihrem konkreten zeitli-chen Entstehungskontext als allgemeineRechtfertigung zu einer pauschalen Dif-famierung von Juden dienten.Von einer ausgeprägten Verbreitung der-artiger Veröffentlichungen kann aber nichtausgegangen werden. In den klassischenislamischen Schriften jener Zeit, seien siehistorischer, literarischer, philosophischeroder religiöser Art, finden sich derartigeAussagen allenfalls am Rande. Bei denAutoren handelte es sich häufig um Musli-me, die ursprünglich christlichen oderjüdischen Glaubens gewesen waren undin der Abgrenzung von diesen ihre Hin-wendung zum Islam betonen wollten.Darüber hinaus richteten sich religiöseStreitschriften in der damaligen Zeit pri-mär gegen das Christentum als aus isla-mischer Sicht weitaus bedeutsamere„Konkurrenzreligion“. Dem Judentumund seinen Vertretern widmete man aufGrund von dessen relativer Bedeutungs-losigkeit kein sonderliches Interesse. In-sofern nahm das Negativ-Bild von denJuden nicht ähnliche Dimensionen wiezeitgleich im christlich geprägten Mittel-

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alter an.45 Trotzdem bestand aber ein in-haltlich ausgeprägtes Ressentiment gegendiese religiöse Minderheit.So erklären sich auch bestimmte Massa-ker an Juden in der islamisch geprägtenWelt. Einige Beispiele seien zur Veran-schaulichung genannt: Zwischen 1010und 1013 wurden Hunderte von Juden inden muslimischen Teilen Spaniens umge-bracht; in Fez massakrierte man 1033mehr als 6.000 Angehörige der religiösenMinderheit; und bei den muslimischenUnruhen in Granada kamen um die 4.000Juden ums Leben. Auch gewalttätige Ver-treibungen mit allerdings teilweiser Rück-kehr prägten das Schicksal der religiösenMinderheit, so etwa 1016 in Kairouan,1145 in Tunis oder 1232 in Marrakesch.46

Auch hier standen Massaker und Vertrei-bungen in keinem Verhältnis zu den zeit-gleichen und späteren Vorgehensweisengegen die Juden in Europa, das einen hin-sichtlich der Gewaltpotentiale weitausstärkeren Antisemitismus kannte. Gleich-wohl gab es eben auch in der islamischgeprägten Welt bereits in dem genanntenZeitraum ein solches Vorgehen gegen dieAngehörigen dieser religiösen Minder-heit.

12. Das Spannungsverhältnis von Islamund MenschenrechtenNeben den bislang genannten Bestandtei-len des Islam, die den Islamisten als An-knüpfungspunkte zur Legitimation ihrerEinstellungen und Handlungen dienen,bedarf es auch einer Beachtung der Ge-sichtspunkte, die ihn teilweise gegenüberDemokratie und Menschenrechten immu-nisieren. Begonnen werden soll mit demletztgenannten Aspekt, wobei zunächstBegründung und Inhalte Beachtung ver-dienen: Die moderne Auffassung von

Menschenrechten geht davon aus, dassbestimmte Rechte allen Menschen alsMenschen unabhängig von einem göttli-chen und staatlichen Willen eigen sind.Dazu gehört neben anderen das Recht auffreie Meinungsäußerung und die Inan-spruchnahme der Religionsfreiheit. Gera-de der individualistische Aspekt steht imSpannungsverhältnis mit dem kollektivi-stischen Moment des Islam, das im Indi-viduum primär den Bestandteil einerGlaubensgemeinschaft sieht. Insofernbesteht keine entwickelte Auffassung voneiner davon unabhängigen mündigen undsouveränen Person als Träger der Men-schenrechte.Weitaus bedeutsamer ist allerdings in die-sem Kontext das Konfliktverhältnis deserwähnten Menschenrechtsverständnisseszur politischen Ordnung. Das traditionelleislamische Verständnis geht von einer all-seitigen Prägung des gesellschaftlichenLebens durch die Religion aus, was denStaat als Herrschaftsinstitution einschließt.Dieser soll sich an den göttlichen Gebo-ten orientieren und sie zum Maßstab fürdie Regelung des sozialen Miteinandersmachen. In diesem Sinne könnten Men-schenrechte allenfalls islamisch, nichtaber universell verstanden werden. DerPolitikwissenschaftler Ludger Kühnhardtbemerkte denn auch: „Menschenrechteerscheinen als eine Art Privileg Allahs andie Menschen, bleiben einer theokratie-ähnlichen Staatsauffassung unterworfenund sind ihrem Wesen eher Pflichten alsRechte.“47 Dies bedingt nicht notwendi-gerweise, dass es nicht Diskriminierungs-verbote, Freiheitsrechte und Schutzgaran-tien gibt, sie stehen aber immer unter demVorbehalt der besonderen Deutung desIslam.

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Menschenrechte gelten in dieser Perspek-tive auch nicht als angeborene Rechte,sondern sind abhängig von der Recht-gläubigkeit im islamischen Sinne. Inso-fern hängt auch der Grad menschlicherRechtsansprüche zum einen vom diesbe-züglichen Konsens des Individuums undzum anderen von der Auslegung des isla-mischen Rechts durch entsprechende Ge-lehrte ab. Zutreffend bemerkte der bereitserwähnte Bassam Tibi: „Das Fehlen derMenschenrechte in der Welt des Islamliegt einerseits aktuell an den verschiede-nen bestehenden Herrschaftsformen ori-entalischer Despotien und andererseitshistorisch-kulturell an dem Fehlen einerTradition von Pluralismus und eines Be-griffes individueller Menschenrechte imIslam.“48 Daran haben auch spätere Inter-pretationsversuche der Menschenrechtewie etwa in der Islamischen Menschen-rechtserklärung von 1981 nichts geändert.Die dort genannten Grundrechte solltennur unter der Vorgabe Geltung besitzen,dass sie nicht im Widerspruch zur Deu-tung des Islam stehen.49

13. Anspruch und Grenzen der Religi-onsfreiheit im IslamDerartige Einschränkungen lassen sichanhand des Anspruchs und der Grenzender Religionsfreiheit im Islam verdeutli-chen. Zuvor um einer besseren Veran-schaulichung willen eine kurze Definiti-on des mit diesem Grundrecht gemeintenVerständnisses: Es schließt die freie Wahleiner Religion, die ungestörte Religions-ausübung und religiöse Vereinigungsfrei-heit ein. Dazu gehört demnach auch dieMöglichkeit zu einem anderen Glaubenüberzutreten oder Religion in einem sä-kularen Sinne ganz aufzugeben. Außer-dem gilt die Einschränkung, dass Religi-

onsfreiheit dort ihre Grenzen hat, wo inihrem Namen andere Grundrechte in Fra-ge gestellt werden.50 Umstritten mag fol-gender weiterer Gesichtspunkt sein: Hin-zu kommt noch für die staatliche Seiteeine institutionelle Trennung von Religi-on und Staat, führt doch die einseitigeBevorzugung einer bestimmten Glau-bensrichtung zu einem Bruch mit demPrinzip der Gleichrangigkeit der Religi-onsfreiheit, die allen Glaubensformen dengleichen Status zuweist.51

Da der Islam in seinem religiösen Selbst-verständnis für eine einheitliche Gesell-schaft von Muslimen konzipiert wurde,lässt sich allenfalls stark eingeschränktvon der Akzeptanz der Religionsfreiheitsprechen.52 Wie bereits die oben ausführ-licher zitierten Stellen im Koran zu Abso-lutheitsansprüchen und Ausgrenzungs-tendenzen verdeutlichten, steht man an-deren Glaubensrichtungen und Skeptikernmit großer Ablehnung gegenüber. Demwidersprechen auch nicht die weitaus ge-ringeren Koran-Zitate, die eine freie Aus-wahl von Glaubensformen betonen, oderder Status der „Schutzbefohlenen“, dernur mit einer Toleranz als „Bürger zwei-ter Klasse“ verbunden war. So geht dieDiskriminierung anderer Glaubensrich-tungen und Religionsgemeinschaften inheutigen islamischen Ländern durchausmit den Geboten des Koran konform.53

Islamisten auf der Bewegungs- wie Sys-temebene können sich demnach mit ih-ren Auffassungen durchaus auf die Grund-lagen ihres Glaubens berufen.Noch deutlicher zeigt sich das gespannteVerhältnis zur Religionsfreiheit im obendefinierten Sinne bei der Einschätzungvon Apostaten, wozu sich der Koran wiefolgt äußert: „Wahrlich, die an die VerseGottes nicht glauben, wird Gott nicht

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rechtleiten, qualvolle Strafe ist ihnen ...Wer Gott verleugnet, nachdem er desGlaubens war, jedoch nicht, wer gezwun-gen wird, während sein Herz im Glaubenfest bleibt, sondern wer sich trotzig zumUnglauben bekennt – Gottes Zorn übersie, schwere Pein ist ihnen.“ Dass derar-tige Ankündigungen keineswegs nur fürdie religiöse, sondern auch für die weltli-che Sphäre interpretierbar sind, veran-schaulicht folgendes weitere Zitat: „Wen-den sie sich aber ab, so ergreifet sie undtötet sie, wo ihr sie auch findet ...“54 Auchwenn gegenwärtig die Todesstrafe fürApostasie nur noch in seltenen Fällen ver-hängt wird, gilt die Abkehr vom Islam alsschwere Sünde. Gleichwohl billigt der of-fizielle Islam den Muslimen nicht zu, ih-ren einmal angenommenen Glauben auchwieder abzulegen.55

14. Die Immunität gegenüber der De-mokratisierung in der islamischen WeltNach dem Blick auf die Menschenrechteund die Religionsfreiheit nun der Blickauf die Demokratie in der islamisch ge-prägten Welt56: Hierbei fällt zunächst auf,dass die dortigen Länder von den unter-schiedlichen Demokratisierungswellen imLaufe der Geschichte nicht betroffen wa-ren.57 Vielmehr erwiesen sie sich im Ver-gleich mit anderen Regionen der Welt alsrelativ immun gegenüber solchen Ent-wicklungen. Dies kann nicht dadurch er-klärt werden, dass das moderne Demo-kratieverständnis allein durch die christ-liche Religion und die westliche Kulturgeprägt ist. Schon der Hinweis auf De-mokratien im konfuzianischen Japan, demhinduistischen Indien oder islamischenMali widerlegt diese Annahme. Auch diein diesem Kontext häufig erfolgende Her-vorhebung der ökonomischen Unterent-

wicklung als Resultat der Kolonialisierungträgt nicht, gab es doch in etlichen sol-cher Länder wie etwa Indien, Südkoreaoder Taiwan neben einem wirtschaftlichenAufstieg auch einen politischen Wandel hinzur Demokratie.Betrachtet man diesbezügliche Entwick-lungen weltweit, fällt auf der empirischenEbene die angedeutete Besonderheit derislamischen Welt auf. Der Politikwissen-schaftler Wolfgang Merkel stellte bei derAuswertung entsprechender Daten fol-gendes fest: „Während in der nicht isla-mischen Welt drei Viertel der Staaten de-mokratisch genannt werden können,sind in der islamischen Welt drei Viertelder Länder Diktaturen.“58 Dieser Zusam-menhang wird noch bestätigt durch denBlick auf den Trend der letzten 25 Jahre,erwies sich doch in dieser Zeit die ara-bisch-islamische Kernkultur als besondersresistent gegenüber Demokratisierungs-und Rechtsstaatstendenzen. Dies wirft dieFrage nach dem Einflussfaktor des Islamsfür das Phänomen auf. Hier besteht durch-aus eine Kausalität, nicht nur eine Paral-lelität. Darauf machen andere Untersu-chungen aufmerksam, wonach weitausstärker die religiöse Prägung der dortigenGesellschaften als die sozioökonomischenRahmenbedingungen deren mangelndeDemokratisierung erklären.59

Welche inhaltlichen Bestandteile des Is-lam könnten zu dieser Situation beigetra-gen haben? Merkel nannte in seiner Ana-lyse eine Reihe von Gesichtspunkten: Daszentrale Problem für die Vereinbarkeit mitder Demokratie sei die fehlende Aufklä-rung im Islam, die wiederum aus der man-gelnden Trennung von Religion und Staatresultiere. Beide Bereiche hätten sichnicht als eigene Teilbereiche ausdifferen-ziert. Das theozentrische Weltbild ist nach

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Merkel hinsichtlich der Legitimität politi-scher Herrschaftsformen nicht oder nichthinreichend durch eine anthropozentri-sche Auffassung ersetzt worden. Dies seieine wichtige Voraussetzung für Demo-kratie und Volkssouveränität. Als beson-ders problematisch gilt darüber hinaus diefrühe Verschmelzung von Gesetz undReligion. Bilanzierend und verallgemei-nernd bemerkte Merkel: „Eine dezidiertnicht säkularisierte religiöse Kultur oderZivilisation behindert die Verbreitung de-mokratiestützender Normen und Verhal-tensweisen in der Gesellschaft.“60

15. Schlusswort und ZusammenfassungDie vorstehenden Ausführungen habenbewusst einen einseitigen Blick auf denIslam geworfen, ging es doch primär umdie Hervorhebung von Anknüpfungs-punkten in dieser Religion für die islamis-tische Deutung. Dass sich sowohl ingrundlegenden Schriften, historischerEntwicklung und gesellschaftlichen Rea-litäten noch ganz andere Auffassungenfinden, sollte nicht ignoriert werden.Gleichwohl zeigten die Erörterungenauch: Ein rigoroser Trennungsstrich zwi-schen Islam und Islamismus lässt sichnicht ziehen. Gerade diese Religion wieshistorisch betrachtet bereits in der Konsti-tuierungsphase starke politische Dimen-sionen auf, welche Islamisten heute zurLegitimation ihrer Einstellungen undHandlungen dienen.61 Insofern bestehteine Kompatibilität, passen doch be-stimmte Bestandteile der islamischenReligion sehr wohl zu Versatzstücken derislamistischen Ideologie. Daraus lässt sichaber keine Gleichsetzung vornehmen,wären dann doch alle Muslime als Isla-misten anzusehen.62

Deren Bezüge auf die Religion gestattet

die Interpretationsvielfalt des Koran: Dar-in finden sich zahlreiche unklare bis wi-dersprüchliche Aussagen, die eine ganzunterschiedliche Deutung des Islam mög-lich machen. In seinem Namen lassen sichdie verschiedensten Einstellungen undHandlungen legitimieren, wofür die Ge-schichte und Gegenwart der Religionzahlreiche Beispiele liefert. Mitunter bil-den Aussagen in bestimmten Suren dengenauen Gegensatz zu Positionen in an-deren Suren. Zu solchen Inhalten und hi-storischen Gegebenheiten gehören auchtragende Bestandteile des religiösenSelbstverständnisses des Islam, welchevon politischen Extremisten in dessenNamen aufgegriffen werden. Gegenwär-tig bemühen sich zahlreiche muslimischeReformer um Islam-Deutungen im Sinneeiner Liberalisierung.63 Dabei heben sieebenso einseitig die dafür kompatiblenBestandteile der Religion hervor, um sounter ihren Mitmuslimen eine größere Ak-zeptanz für Werte wie Demokratie64 ,Menschenrechte und Pluralismus zu be-wirken.Wer in dieser Auseinandersetzung dieHegemonie erlangt, lässt sich gegenwär-tig nicht sagen. Der Trend der letzten Jahr-zehnte geht aber eher in Richtung derIslamisten. Das Problem der liberalenDeutungen besteht auch darin, dass siesich auf die gleiche Grundlagen wie dieIslamisten berufen und deren Inhalte undTraditionen den Islamisten mehr entge-gen kommen. So anerkennenswert die Be-mühungen der Reformer beim Anknüp-fens an die geteilten Werte des Islam beianderen Muslimen aus strategischenGründen sind, so vermeiden sie einegrundlegendere Auseinandersetzung mitdem Islam im Sinne von Aufklärung undKritik. Eine Abwendung von Fanatismus

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und Islamismus und eine Hinwendung zuDemokratie und Menschenrechten setztdie inhaltliche Auseinandersetzung mitdiesen Bestandteilen und einen politi-schen Lernprozess zu deren Überwindungvoraus. Dafür gibt es in der islamischenWelt kaum Potentiale, Hoffnungen könn-ten sich wohl weitaus mehr auf die stilleMacht der Individualisierung und Säku-larisierung gründen.

Anmerkungen:1 Bassam Tibi, Fundamentalismus im Islam. EineGefahr für den Weltfrieden?, Darmstadt 2000,S. 2.2 Vgl. Hadayatullah Hübsch, Fanatische Krie-ger im Namen Allahs. Die Wurzeln des islamis-tischen Terrors, München 2001.3 Vgl. Weitere Verdächtige festgenommen, in:Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. August2006, S. 2.4 Yassin Musharbash, Die neue Al-Qaida. Innen-ansichten eines lernenden Terrornetzwerks, Köln2006, S. 24.5 Vgl. Nazih Ayubi, Politischer Islam. Religionund Politik in der arabischen Welt, Freiburg2002; Gilles Kepel, Das Schwarzbuch des Dschi-had. Aufstieg und Niedergang des Islamismus,München 2002.6 Vgl. Brynjar Lia, The Society of the MuslimBrothers in Egypt. The Rise of an Islamic MassMovement 1928-1942, Reading 1998; RichardP. Mitchell, The Society of the Muslim Brothers,New York 1993.7 Vgl. Olaf Farschid; Islam als System: Grund-züge islamistischer Ideologie, in: Senatsverwal-tung für Inneres (Hrsg.), Islamismus. Diskussi-on eines vielschichtigen Phänomens, Berlin2005, S. 14-26; Herbert Landolin Müller, Isla-mismus – eine totalitäre Ideologie? Versuch einerAnnäherung an ein globales Phänomen, in: UweBackes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Gefährdungen derFreiheit. Extremistische Ideologien im Vergleich,Göttingen 2006, S. 407-439.8 Vgl. Bassam Tibi, Der neue Totalitarismus.„Heiliger Krieg“ und westliche Sicherheit, Darmstadt2004, S. 14f. und 75, wo in diesem Sinne ein„jihadistischer“ und „institutioneller Islamismus“ un-

terschieden wird.9 Vgl. Guido Steinberg, Der nahe und der ferneFeind. Die Netzwerke des islamistischen Terro-rismus, München 2005, S. 9f. und 236f.10 Vgl. exemplarisch als Belege die Angaben inAnm. 2 und 3.11 Vgl. Karl R. Popper, Die offene Gesellschaftund ihre Feinde. Bd. 1: Der Zauber Platons(1945), München 1980, S. 59-61.12 Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Gemeinsamkei-ten im Denken der Feinde einer offenen Gesell-schaft. Strukturmerkmale extremistischer Ideo-logien, in: Robert Chr. Van Ooyen/Martin H. W.Möllers (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliche Sicherheit2006/2007, Frankfurt/M. 2006, S. 35-49, hier S.38f. und 44-46. Die argumentative Basis für dieAusgrenzungstendenzen stellt der dualistischeRigorismus dar.13 Sure 24, Vers 40; Sure 33, Vers 4; Sure 8, Vers20; Sure 48, Vers 17; Sure 9; Vers 33; Sure 3,Vers 106. (Alle Koran-Zitate nach: El Koran dasheißt die Lesung. Die Offenbarungen des Mo-hammed ibn Abdallah des Propheten Gottes. ZurSchrift gebracht durch Abdelkaaba AbdallahAbu-Bekr übertragen durch Lazarus Gold-schmidt im Jahre der Flucht 1334 oder 1916 derFleischwerdung, Berlin o. J.)14 Sure 9, Vers 5; Sure 4, Vers 59; Sure 9, Vers69; Sure 47, Vers 4; Sure 9, Vers 29; Sure 8, Vers40.15 Vgl. „Keine Nötigung in der Religion, ist dochdas Rechtgehen vom Irregehen so deutlich (zuunterscheiden).“ (Sure 2, Vers 257) und „Eucheure Religion und mir meine Religion“ (Sure109, Vers 6).16 Dies gilt allerdings nicht für das erste Zitat inder vorherigen Fußnote, das immer wieder alsBeleg für religiöse Toleranz im Islam angeführtwird und aus einer medinischen Sure stammt.17 Vgl. Pfahl-Traughber, Gemeinsamkeiten imDenken der Feinde einer offenen Gesellschaft(Anm. 12), S. 43f.18 Vgl. Malise Ruthven, Der Islam. Eine kurzeEinführung, Stuttgart 2000, S. 11f.19 Sure 4, Vers 62.20 Adel Theodor Khoury, Der Islam und die west-liche Welt. Religiöse und politische Grundfra-gen, Darmstadt 2001, S. 112.21 Vgl. Peter Stockmeier, Theokratie, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht – Wirt-

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schaft – Gesellschaft, Bde. 5, Freiburg 1989, Spal-ten 447-450.22 Vgl. exemplarisch zu solchen Systemen derGegenwart Guido Steinberg, Saudi-Arabien.Politik, Geschichte, Religion, München 2004;Wahied Wahdat-Hagh, „Die Islamische RepublikIran“. Die Herrschaft des politischen Islam alseine Spielart des Totalitarismus, Münster 2004.23 Khoury, Der Islam und die westliche Welt(Anm. 20), S. 113.24 Vgl. Ernest Gellner, Leben im Islam. Religi-on als Gesellschaftsordnung, Stuttgart 1985.25 Zutreffend bemerkte der IslamwissenschaftlerHeinz Halm: „Der vielzitierte Slogan ‘Der Is-lam ist eine Religion und ein Staat’ ... ist also einideologisches Postulat, aber keine Beschreibungder historischen Wirklichkeit“. Heinz Halm, DerIslam. Geschichte und Gegenwart, München2000, S. 57.26 Vgl. Hartmut Bobzin, Mohammed, München2000, S. 93.27 Gudrun Krämer, Geschichte des Islam, Mün-chen 2005, S. 22.28 Vgl. ebenda, S. 29-35.29 Vgl. Josef Matuz, das Osmanische Reich.Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt 1985,S. 60, 118f. und 184f.30 Vgl. Rainer Glagow, Islamischer Dschihad undTerrorismus, in: Berndt Georg Thamm, Terro-rismus. Ein Handbuch über Täter und Opfer,Hilden 2002, S. 381-431, hier S. 385.31 Vgl. Bassam Tibi, Kreuzzug und Djihad. DerIslam und die christliche Welt, München 1999,S. 52.32 Rotraud Wielandt, Islam und Gewalt, in: HansWaldenfels/Heinrich Oberreuter (Hrsg.), Der Is-lam – Religion und Politik, Paderborn 2004, S.37-48, hier S. 40.33 Sure 9, Vers 124.34 Vgl. John Bunzl, Juden im Orient. JüdischeGemeinschaften in der islamischen Welt und ori-entalische Juden in Israel, Wien 1989, S. 14-18.35 Vgl. Leon Poliakov, Geschichte des Antise-mitismus. Bd. III: Religiöse und soziale Tole-ranz unter dem Islam, Worms 1979.36 Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Der Ideologie-bildungsprozess beim Judenhass der Islamisten.Zum ideengeschichtlichen Hintergrund einerForm des „Neuen Antisemitismus“, in: MartinH. W. Möllers/Robert Chr. Van Ooyen (Hrsg.),

Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004/2005, Frank-furt/M. 2005, S. 189-208, hier S. 190-196.37 Vgl. Sure 4, vers 48; Sure 5, Vers 16; Sure 4,Vers 154, Sure 5, Vers 16, Sure 3, Vers 20, Sure4, Vers 155.38 Vgl. Sure 5 Vers 65; Sure 7, Vers 166.39 Vgl. Aluma Solnick, Based on Koranic Ver-ses, Interpretations, and Traditions, MuslimCleric State: The Jews are the Descendants ofApes, Pigs and other Animals, in: Memri, SpecialReport, Nr. 11 vom 1. November 2002 (Internet:http://memri.org) (Ausdruck vom 21. Mai 2004).40 Vgl. Sure 5, Vers 84.41 Vgl. Rudi Paret, Mohammed und der Koran.Geschichte und Verkündigung des arabischenPropheten, 6. Auflage, Stuttgart 1985, S. 113-124.42 Vgl. Bobzin, Mohammed (Anm. 26), S. 32-49, 103-108.43 Vgl. Haggai Ben-Shammai, Jew-Hatred in theIslamic Tradition and the Koranic Exegesis, in:Shumuel Almog (Hrsg.), Antisemitism Throughthe Ages, Oxford 1988, S. 161-169.44 Vgl. Bernard Lewis, Die Juden in der islami-schen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20.Jahrhundert, München 1987, S. 48. Die dort vor-genommene Kommentierung steht allerdings imWiderspruch zum Text des Gedichtes.45 Vgl. Bernard Lewis, „Treibt sie ins Meer!“Die Geschichte des Antisemitismus, Berlin -Frankfurt/M. 1987, S. 149.46 Vgl. Robert S. Wistrich, Antisemitism. TheLongest Hatred, London 1991, S. 196.47 Ludger Kühnhardt, Die Universalität der Men-schenrechte, Bonn 1987, S. 141.48 Bassam Tibi, Im Schatten Allahs. Der Islamund die Menschenrechte, München 1994, S. 47.49 Vgl. Ibn Warraq, Warum ich kein Muslim bin,Berlin 2004, S. 241-276.50 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Religions-freiheit, in: Hans Gasper/Joachim Müller/Fie-derike Valentin (Hrsg.), Lexikon der Sekten, Son-dergruppen und Weltanschauungen, Freiburg 6.Auflage 2000, S. 899-904.51 Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Der fundament-alistische Charakter von Religionen und dieGrenzen der Religionsfreiheit im säkularenRechtsstaat. Eine demokratietheoretisch undideologiekritisch ausgerichtete Erörterung an-hand von Christentum und Islam, in: Eric Hilgendorf

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(Hrsg.), Wissenschaft, Religion und Recht. HansAlbert zum 85. Geburtstag, Berlin 2006, S. 177-199, hier S. 189-191.52 Vgl. Khoury, Der Islam und die westliche Welt(Anm. 20), S. 120-124.53 Vgl. Ursula Spuler-Stegemann (Hrsg.), Feind-bild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnah-me, Freiburg 2004.54 Sure 16, Vers 106 und 108; Sure 4, Vers 91.55 Vgl. Kohoury, Der Islam und die westlicheWelt (Anm. 20), S. 123.56 Vgl. Arnold Hottinger, Gottesstaaten undMachtpyramiden. Demokratie in der islamischenWelt, Paderborn 2000.57 Vgl. Samuel P. Huntington, The Third Wave.Democratization in the Late Twentieth Century,Oklahoma 1991.58 Wolfgang Merkel, Religion, Fundamentalis-mus und Demokratie, in: Wolfgang Schluchter(Hrsg.), Fundamentalismus, Terrorismus, Krieg,Weilerswist 2003, S. 61-85, hier S. 68.59 Vgl. Christopher Clague/Suzanne Gleason/Stephen Knack, Determinants of Lasting Demo-cracy in Poor Countries, in: Center for Institu-tional Reform and the Informal Sector, WorkingPaper Nr. 209, 1997, S. 31 und 36f.60 Merkel, Religion, Fundamentalismus undDemokratie (Anm. 58), S. 64.61 Vgl. Wolfgang Günter Lerch, Helfer und Aus-gewanderte. Wie Islamisten und Dschihadistensich der frühislamischen Geschichte bedienen,in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. Juli2006, S. 8.62 Diesen Gesichtspunkt verkennt bei der In-einssetzung von Islamismus und TotalitarismusJaya Gopal, Gabriels Einflüsterungen. Eine hi-storisch-kritische Bestandsaufnahme des Islam,Freiburg 2004, S. 391-430, eine der wenigenatheistischen Darstellungen zum Islam.63 Vgl. Katajun Amirpur/Ludwig Ammann(Hrsg.), Der Islam am Wendepunkt. Liberale undkonservative Reformer einer Weltreligion, Frei-burg 2006.64 Vgl. Khadija Katja Wöhler-Khalfallah, Der is-lamische Fundamentalismus, der Islam und dieDemokratie. Algerien und Tunesien: das Scheiternpostkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und dasStreben nach einem ethischen Leitfaden für Politikund Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 121-138.