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28 MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2012 (154. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN LESERFORUM 28 Beitrag Osteoporose im CME-Sonderheft der MMW Diese Aussagen widersprechen der DVO-Leitline In unserem CME-Sonderheft, MMW Nr.38/2011, S. 73 brachten wir einen Bei- trag zum Thema Osteoporose von Prof. Dr. med. R. Bartl, München. Unsere Leserin, Frau Prof. Dr. med. E. Baum, Marburg, ist mit den Empfehlungen nicht ganz einverstanden. Hier ihre Kritikpunkte und die Stellungnahme des Autors: _ Der Osteoporose-Artikel in der MMW Nr. 38/2011 enthält etliche Aus- sagen, die nicht mit der in Deutschland breit konsentierten Osteoporose-Leitli- nie des DVO von 2009 (www.dv-osteo- logie.org) übereinstimmen. Leider feh- len auch die Tabellen zur Diagnostik- und Therapieschwelle. Die Aussagen zur Diagnostik sind ansonsten unscharf (S. 74) und nicht völlig kongruent mit der DVO-Leitlinie. Kalzium und Vitamin D müssen nur supplementiert werden, wenn die Ver- sorgung durch Ernährung/Lebensstil (Sonnenlichtexposition) nicht ausreicht. Bei der Empfehlung für die Testosteron- substitution (S. 75) fehlt der Hinweis, dass diese vermutlich das kardiovasku- läre Risiko erhöht (oder man hätte das ganz weglassen sollen). Seite 77: Bei der Vertebro-Kyphoplastie fehlen die in der Leitlinie genannten Einschränkungen, bei intravenösen Bisphosphonaten fehlt der Hinweis auf die erhöhte Rate von Akute-Phase-Reaktionen und evtl. auch Kiefernekrosen – also sollte man bei Problemen mit Tabletten nicht unbe- dingt sofort auf diese Applikation über- wechseln. Die Angaben zur Knochen- dichtemessung unter der Behandlungs- dauer sind schlichtweg falsch – die Leit- linie wendet sich ausdrücklich gegen jährliche Kontrollen. Bei den Fragen S. 78 entspricht Ant- wort 4C nicht der Leitlinie und ebenso wenig Antwort 7A. Bei beiden Fragen ist somit keine Antwort richtig. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn ge- rade bei Fortbildungsartikeln und CME- Fragen für Nicht-Experten solche Un- stimmigkeiten mit der allgemein aner- kannten Leitlinie vermieden würden. Prof. Dr. med. Erika Baum, Leiterin der Ab- teilung Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Universität Marburg, Karl-von-Frisch-Straße 4, D-35032 Marburg Stellungnahme von Prof. Dr. med. R. Bartl, München: Gerne nehme ich Stellung zu den Kritik- punkten von Frau Prof. E. Baum zu meinem Osteoporose-Beitrag in der MMW 38/2011 „So halten Sie die Osteoporose in Schach“. Mein Artikel hatte zum Ziel, die derzeitige Strategie zur Prävention und Therapie der Osteoporose vorzustellen. Dass ich dabei nicht alle von Frau Kollegin Baum ver- missten Details berücksichti- gen konnte, lag an dem vom Verlag vorgegebenen Umfang MRT eines Patienten mit Osteoporose und multiplen, teils frischen Wirbel- körperfrakturen. © R. Bartl des Artikels. Bei einem Artikel von R. Bartl war auch nicht zu erwarten, dass dieser Autor die nationalen Leitlinien dogmenhaft und kritiklos übernimmt. Dieser Artikel war auch nicht als Ab- schrift der DVO-Leitlinien ge- dacht! Zu den Kritikpunkten von Frau Prof. Dr. Erika Baum: Die umfangreichen Tabellen zur „Diagnostik- und Thera- pieschwelle“ sind Empfeh- lungen des DVO und können bei Bedarf im Internet eingese- hen werden. Auf einen Ab- druck dieser Tabellen habe ich allein schon aus Platzmangel verzichtet. Es handelt sich dabei nicht um starre Vorschriften, sondern um Empfeh- lungen, die dem behandelnden Arzt ei- ne „Leitlinie“ in die Hand geben. Die Entscheidung, ob eine medikamentöse Therapie sinnvoll ist, trifft aber der Arzt individuell in Absprache mit dem Pa- tienten. So betrachtet gibt es in der praktischen Medizin immer „Unschär- fe“, die mit Tabellen allein nicht vermie- den werden kann. Kalziumsubstitution ist in der Tat nur nötig, falls auf Grund der Ernährungssi- tuation ein Mangel anzunehmen ist. Ich bevorzuge „kalziumreiche Kost“, und Prof. Dr. med. R. Bartl, München

Diese Aussagen widersprechen der DVO-Leitline

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28 MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2012 (154. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–LESERFORUM

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Beitrag Osteoporose im CME-Sonderheft der MMW

Diese Aussagen widersprechen der DVO-LeitlineIn unserem CME-Sonderheft, MMW Nr.38/2011, S. 73 brachten wir einen Bei-trag zum Thema Osteoporose von Prof. Dr. med. R. Bartl, München. Unsere Leserin, Frau Prof. Dr. med. E. Baum, Marburg, ist mit den Empfehlungen nicht ganz einverstanden. Hier ihre Kritikpunkte und die Stellungnahme des Autors:

_ Der Osteoporose-Artikel in der MMW Nr. 38/2011 enthält etliche Aus-sagen, die nicht mit der in Deutschland breit konsentierten Osteoporose-Leitli-nie des DVO von 2009 (www.dv-osteo-logie.org) übereinstimmen. Leider feh-len auch die Tabellen zur Diagnostik- und Therapieschwelle. Die Aussagen zur Diagnostik sind ansonsten unscharf (S. 74) und nicht völlig kongruent mit der DVO-Leitlinie.

Kalzium und Vitamin D müssen nur supplementiert werden, wenn die Ver-sorgung durch Ernährung/Lebensstil (Sonnenlichtexposition) nicht ausreicht. Bei der Empfehlung für die Testosteron-substitution (S. 75) fehlt der Hinweis, dass diese vermutlich das kardiovasku-läre Risiko erhöht (oder man hätte das ganz weglassen sollen). Seite 77: Bei der Vertebro-Kyphoplastie fehlen die in der Leitlinie genannten Einschränkungen, bei intravenösen Bisphosphonaten fehlt

der Hinweis auf die erhöhte Rate von Akute-Phase-Reaktionen und evtl. auch Kiefernekrosen – also sollte man bei Problemen mit Tabletten nicht unbe-dingt sofort auf diese Applikation über-wechseln. Die Angaben zur Knochen-dichtemessung unter der Behandlungs-dauer sind schlichtweg falsch – die Leit-linie wendet sich ausdrücklich gegen jährliche Kontrollen.

Bei den Fragen S. 78 entspricht Ant-wort 4C nicht der Leitlinie und ebenso wenig Antwort 7A. Bei beiden Fragen ist somit keine Antwort richtig.

Es wäre sehr zu begrüßen, wenn ge-rade bei Fortbildungsartikeln und CME-Fragen für Nicht-Experten solche Un-stimmigkeiten mit der allgemein aner-kannten Leitlinie vermieden würden.

■ Prof. Dr. med. Erika Baum, Leiterin der Ab-teilung Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Universität Marburg, Karl-von-Frisch-Straße 4, D-35032 Marburg

Stellungnahme von Prof. Dr. med. R. Bartl, München:Gerne nehme ich Stellung zu den Kritik-punkten von Frau Prof. E. Baum zu meinem Osteoporose-Beitrag in der MMW 38/2011 „So halten Sie die Osteoporose in Schach“.

Mein Artikel hatte zum Ziel, die derzeitige Strategie zur Prävention und Therapie der Osteoporose vorzustellen. Dass ich dabei nicht alle von Frau Kollegin Baum ver-missten Details berücksichti-gen konnte, lag an dem vom Verlag vorgegebenen Umfang

MRT eines Patienten mit Osteoporose und multiplen, teils frischen Wirbel- körperfrakturen.

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tldes Artikels. Bei einem Artikel von R. Bartl war auch nicht zu erwarten, dass dieser Autor die nationalen Leitlinien dogmenhaft und kritiklos übernimmt. Dieser Artikel war auch nicht als Ab-

schrift der DVO-Leitlinien ge-dacht!

Zu den Kritikpunkten von Frau Prof. Dr. Erika Baum:■ Die umfangreichen Tabellen zur „Diagnostik- und Thera-pieschwelle“ sind Empfeh-lungen des DVO und können bei Bedarf im Internet eingese-hen werden. Auf einen Ab-druck dieser Tabellen habe ich

allein schon aus Platzmangel verzichtet. Es handelt sich dabei nicht um starre Vorschriften, sondern um Empfeh-lungen, die dem behandelnden Arzt ei-ne „Leitlinie“ in die Hand geben. Die Entscheidung, ob eine medikamentöse Therapie sinnvoll ist, trifft aber der Arzt individuell in Absprache mit dem Pa- tienten. So betrachtet gibt es in der praktischen Medizin immer „Unschär-fe“, die mit Tabellen allein nicht vermie-den werden kann.■ Kalziumsubstitution ist in der Tat nur nötig, falls auf Grund der Ernährungssi-tuation ein Mangel anzunehmen ist. Ich bevorzuge „kalziumreiche Kost“, und

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nur bei Abneigung gegen Milch/Milch-produkte bzw. bei Laktoseintoleranz ist eine Substitution mit tgl. 500–1000 mg Kalzium anzuraten. Eine Vitamin D-Substitution mit tgl. 800–2000 IE Vita-min D ist nach Meinung der Experten bei allen älteren Patienten und vor allem unter medikamentöser Therapie Stan-dard. Eine ausreichende Vitamin D-Ver-sorgung durch „Ernährung/Lebensstil/Sonnenexposition“ ist einfach nicht zu erzielen! Ältere Patienten produzieren zu wenige Vitamin D-Vorstufen in der Haut und man würde bei diesen Pati-enten durch die notwendigen extrem langen Sonnenbäder nur das Hautrisiko erhöhen. Meiner Ansicht nach ist es un-verantwortlich, älteren Patienten eine konsequente Vitamin D-Substitution von tgl. 800–2000 IE Vitamin D von An-fang an nicht zu verschreiben.■ Testosteronmangel ist bekanntlich ein wichtiger Risikofaktor für Osteoporose bei Männern. Natürlich kann eine Hor-monsubstitution auch Nebenwirkungen haben, die ich in einem solchen Über-sichtsartikel nicht alle aufzählen kann. Das weiß aber doch jeder Kollege, der diesen Artikel liest. Selbstverständlich ist es für mich, dass vor Beginn einer Tes-tosteronsubstitution eine Abklärung und Beratung bei einem Andrologen/Urologen erfolgt, um vor allem ein Pros-tatakarzinom nicht zu übersehen und den Patienten über Vor- und Nachteile einer Testosterongabe zu informieren. Ob man, wie Frau Prof. Baum in ihrer Zuschrift reflektiert, das Testosteron-thema hätte ganz weglassen sollen, diese Frage hat sich mir nicht gestellt, und ich habe mich als Autor eben dafür ent-schieden.

Vertebro- und Kyphoplastie sind in bestimmten Situationen wertvoll■ Die Vertebro- und Kyphoplastie wer-den heute kritisch diskutiert, trotzdem sind sie in bestimmten Situationen wert-voll. Details zur Indikationsstellung und deren Einschränkungen findet der inte-ressierte Leser in der von mir angege-benen Literatur und in den DVO-Leitli-nien.■ Intravenöse Bisphosphonate (BP) sind heute in der Osteoporosetherapie den

oralen BP, insbesondere den Generika (Alendronat) aus Gründen der Compli-ance, der Pharmakokinetik, des Neben-wirkungsprofils, der Wirkpotenz und der praktischen Anwendung eindeutig vorzuziehen. Alendronat wird nur we-gen des geringeren Preises vor allem von den Kassen favorisiert, ist aber heute kein zeitgemäßes BP mehr, da gerade bei dem oralen Alendronat mit seiner kon-tinuierlichen kräftigen Knochenumbau-suppression Kiefernekrosen und Ermü-dungsbrüche beschrieben wurden.

Was ich mit meinen Patienten vor der Pharmakotherapie besprecheVor Einsatz eines intravenösen BP wer-den in meiner Praxis drei Punkte be-sprochen: Es darf kein schwerer Nieren-schaden vorliegen (Messung von Kreati-nin und GFR im Serum, langsame Infu-sion und reichlich trinken), zum Zeit-punkt der Infusion darf gerade kein Zahnimplantat gesetzt werden (Abstand von ca. einem halben Jahr, Absprache mit den Kierferchirurgen) und mögliche grippeartige Symptome in den fol-genden Tagen sind möglich. Diese Sym-ptome können unangenehm sein, sind aber nur sehr selten eine schwere NW! Mit diesem Konzept habe ich bei der

Osteoporosetherapie mit IV-BP in den letzten zehn Jahren keine schwerwie-gende Nebenwirkung beobachtet, insbe-sondere keine Niereninsuffizienz und keine einzige Kiefernekrose! Kieferne-krosen sind aber in der Tat ein großes Problem bei Tumorpatienten, die die zehnfache BP-Dosis bekommen und ab-wehrgeschwächt sind.■ Frau Prof. Baum behauptet, dass mei-ne Angaben zu Kontroll-Knochendich-temessungen „schlichtweg falsch“ seien. Mit dieser Bewertung wäre ich unter Kollegen doch zurückhaltender! Ich empfehle in meinem Beitrag „jährliche bzw. zweijährliche Kontrollmessungen“ und will damit ausdrücken, dass es durchaus Situationen gibt, in denen auch eine Kontrolle nach einem Jahr für den Patienten vorteilhaft sein kann. Starre Vorschriften sind auch nicht das Ziel der DVO-Empfehlungen! Insbeson-dere bei der intravenösen BP-Gabe (Jah-resinfusion) bevorzuge ich die jährliche Kontrolle, da ich dem Patienten allein schon aus psychologischen Gründen den Erfolg möglichst früh dokumentie-ren will (und kann) und ich eine mög-lichst kurze Therapiedauer anstrebe. Wann eine Kontrolle sinnvoll wird, ent-scheidet die individuelle Situation, wo-bei, das bestreite ich nicht, die DVO-Empfehlungen einen wertvollen Beitrag zur Entscheidungsfindung liefern.

Leitlinien sind keine VorschriftenNochmals: DVO-Leitlinien sind keine Vorschriften, die das ärztliche Tun als „falsch“ oder „richtig“ einstufen wollen, sondern Empfehlungen zu einer ratio-nalen Behandlung der Osteoporose. Da-für sind sie in der Tat wertvoll, nehmen aber dem behandelnden Arzt nicht die Verantwortung für eine individuelle, pa-tientenorientierte Diagnostik und The-rapie ab. Eine gewisse „Unschärfe“ in den ärztlichen Entscheidungen ist nie zu vermeiden und kann nur mit Erfahrung und Hinwendung zum individuellen Pa-tienten gelöst werden.

■ Prof. Dr. med. Reiner Bartl, Osteoporosezen-trum am Dom, Kaufingerstraße 15, D-80331 München

Kyphoplastie mit Aufrichtung zweierschmerzhaft eingebrochener Wirbel-körper.

© R

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