1
12 | 8. JÄNNER 2015 • NR. 1-2 RAIFFEISENZEITUNG WIRTSCHAFT Digitaler Darwinismus Was Unternehmen beachten müssen, um sich im Wettbewerb mittels gezielter Digitalisierung zu differenzieren, und wie sich das Kundenverhalten verändert, erläutert Karl-Heinz Land, Co- Autor von „Digitaler Darwinismus – Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell“. 2014 haben 84 Prozent der Öster- reicher das Internet genutzt - und dies mit der wachsenden Smartphone- Verbreitung immer und überall. 88 Prozent der Männer und 80 Prozent der Frauen sind im World Wide Web unterwegs. In der Al- tersgruppe der 14- bis 19-Jährigen gibt es statistisch gesehen keine Internet-Verwei- gerer. Aber auch innerhalb der nachfolgen- den Altersstufen gehört das Netz durch- schnittlich bei weit über 80 Prozent zum Alltag. Vor diesem Hintergrund sollte sich jedes Unternehmen mit der Frage befassen, wie die angebotenen Produkte und Dienst- leistungen und auch Services sowie die ei- gene Kommunikation digital verfügbar ge- macht werden können. INTERVIEW: PATRICIA OTUKA-KARNER Was genau meint „Digitaler Darwinismus“? Karl-Heinz Land: Die Definition für digitalen Darwinismus ent- spricht jener der Evolutionstheorie: So wie es in der Evolution Entwicklungen gab, die, wie Charles Darwin formulierte, zum Aussterben des Unfitten führten, so gibt es auch im digitalen Dar- winismus ‚adapt or die‘ oder ‚survival of the fittest‘. Digitaler Darwinismus tritt immer dann auf, wenn Technologie und Ge- sellschaft sich schneller verändern, als Organisationen fähig sind sich anzupassen. Das trifft gerade jene, die sehr träge und „fett“ geworden sind und sich nur noch mit sich selbst beschäftigen und Innovationen abstoßen. Ein gutes Beispiel sind hier der Me- diensektor oder der Handel. Der Handel hat 18 oder 20 Jahre geguckt, was die Amazons und Zalandos so tun, obwohl sie alle Opportunitäten gehabt hätten, das Internet auch zu nutzen. Der größte Verhinderer von Innovation ist Erfolg, vor allem der Erfolg der Vergangenheit. Warum haben Sie begonnen sich mit diesem Thema zu beschäftigen? Land: Ich war selbst 20, 30 Jahre in der IT-Branche unterwegs und habe Unternehmen geholfen, Performances anhand von Da- ten sichtbar zu machen und Trends zu erkennen, welche Kunden gute Kunden sind. Dann habe ich ein eigenes Unternehmen ge- gründet. Ich lebte damals im Silicon Valley und habe 2005 die ganzen Startups beobachtet, wie das 2004 gegründete Facebook oder einen meiner Untermieter, youtube, die damals sieben Mit- arbeiter hatten. Nach Verkauf meines Unternehmens habe ich mich zunehmend auch philosophisch mit dem Thema auseinan- dergesetzt. Es entstanden da erstmals Unternehmen, die gar kei- ne Software mehr zum Verkauf entwickeln wollten. Apple, Goog- le und Co entwickelten Software für ihre eigenen neuen Geschäfts- modelle und haben damit einen bestehenden Markt attackiert, wie spotify die Musik- oder Airbnb die Hotelindustrie. Und ich fragte mich: „Was passiert hier?“ – Airbnb zum Beispiel besitzt kein einziges Hotel, keine einzige Couch, haben aber 810.000 Apartments bzw. Zimmer zur Verfügung und rund 600 Mitarbei- ter. Sie sind fünf Jahre alt. Die Hilton-Gruppe dagegen ist 40, 50 Jahre alt und hat bei 600.000 Zimmern 310.000 Angestellte. Letz- tes Jahr hat Airbnb dennoch erstmals mehr Zimmer verkauft als alle Hiltons gemeinsam. Airbnb ist noch nicht an der Börse, aber laut der letzten Wertung rund 19,8 Milliarden US-Dollar wert, die Hilton Group ca. 15 oder 16 Milliarden. Wie können sich nun Unternehmen optimal auf die Digitalisierung vorbereiten, um noch mitzuhalten? Oder ist der Zug abgefahren? Land: Der Zug ist noch nicht komplett abgefahren. Händler oder Ban- ken haben noch gute Chancen, wenn sie bereit sind sich zu verändern. Etablierte Geschäfte haben Kapital, was gerade in der EU viele Junge nicht haben. Ein großer Vorteil ist auch, dass die Etablierten ihr Ge- schäft verstehen und eine große Kundenreichweite haben. Und dann können sie zusätzlich schauen, was die anderen machen, als Bank etwa schauen, wie es die jungen Online-Banker machen. Das heißt, die bestehenden Strukturen nutzen und Neues überneh- men? Land: Ja. Der Geschäftsführer einer US-Hotelgruppe hat in einem Interview gesagt, dass sie sehr doof waren und hat sich gefragt, warum sie nicht früher auf die Idee gekommen sind, Privatun- terkünfte, etwa wenn die Hotels bei Messen ausgebucht sind, zuzumieten, wie es Airbnb heute macht. Er sagte, dass sie jetzt dieses Modell übernehmen und ebenfalls nutzen. Auch Banken können hier noch viel übernehmen. Wenn etwa das Handy in Zukunft das neue Zahlungsmittel sein wird. Das neue „mobile Schweizertaschenmesser“ sozusagen, das von Münzgeld, Schei- nen, Kreditkarte über Ausweis und Schlüssel sowie Social Engine alles kann, dann muss ich heute schon überlegen, wie ich meinen Kunden hier das beste Service bieten kann. Ich muss Banken- funktionen anbieten, die die Kunden nützlich finden. Die Bevölkerung und damit der Kunde sind heute digital und durch die zunehmende Digitalisierung verändert sich das Kundenverhal- ten. Was erwarten sich Kunden heute? Land: In meinem Buch schreibe ich ein ganzes Kapitel über das Prinzip „Ich, Alles, Sofort und Überall“. Der neue „connected, informed and all powerful consumer“ hat eine klare Erwartungs- haltung, das bedeutet, dass der Kunde wertgeschätzt werden will. Wenn ich einmal im Jahr zum Metzger gehe, um die Weihnachts- gans abzuholen, dann grüßen mich dort die Verkäufer mit vollem Namen. Sie sprechen meinen Namen aus, das ehrt mich, das findet jeder toll. Kunden erwarten sich Personalisierung und wol- len nur das angeboten bekommen, was sie interessiert. Es ist der Wunsch nach dem Tante-Emma-Laden, wo der Verkäufer weiß, welche Zigarren der Opa raucht und dass die Mama montags die Tomaten kauft. Das will ich auch im digitalen Kontext haben, das System soll erkennen, was ich brauche, das ist „convenience“. Aber der Preis ist, dass ich dabei meine Privatsphäre verliere. „Privacy“ versus „convenience“ also: Die persönliche Ansprache soll nur mit Erlaubnis passieren. Aber meine These ist, dass „con- venience“ der Treiber für alles ist. Die Kunden sind bequem. Was müssen Unternehmen beachten, um sich im Wettbewerb mit- tels gezielter Digitalisierung zu differenzieren? Land: So lange man das Internet als Feind empfindet, so lange kann man keine Symbiose eingehen. Das Internet ist ein zusätz- licher Kanal, den man einfach anders bedienen muss. Es ist auch eine Chance, egal ob für den Handel, die Banken oder die Mu- sikbranche. Man muss nur herausfinden, was der richtige Weg ist, und dafür braucht es eine Auseinandersetzung mit den Kun- den. Bei Neuland bieten wir dafür verschiedene Reflexionsme- thoden wie den „Digital Readiness Index“. BUCHTIPP: Kreutzer Ralf, Land Karl-Heinz: „Digitaler Darwinismus: Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke“ Springer Gabler: 2013 ISBN: 978-3-658-01259-5 NEULAND/ WWW.NEULAND.ME

Digitaler Darwinismus - RAIFFEISENZEITUNG

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Was Unternehmenbeachten müssen, umsich im Wettbewerbmittels gezielterDigitalisierungzu differenzieren,und wie sich dasKundenverhaltenverändert, erläutertKarl-Heinz Land, Co-Autor von „DigitalerDarwinismus – Derstille Angriff auf IhrGeschäftsmodell“.

Citation preview

Page 1: Digitaler Darwinismus - RAIFFEISENZEITUNG

12 | 8. JÄNNER 2015 • NR. 1-2 RAIFFEISENZEITUNG

WIRTSCHAFTDigitaler Darwinismus

Was Unternehmen beachten müssen, um sich im Wettbewerb

mittels gezielter Digitalisierung

zu differenzieren, und wie sich das Kundenverhalten

verändert, erläutert Karl-Heinz Land, Co-Autor von „Digitaler Darwinismus – Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell“.

2014 haben 84 Prozent der Öster-reicher das Internet genutzt -

und dies mit der wachsenden Smartphone-Verbreitung immer und überall. 88 Prozent der Männer und 80 Prozent der Frauen sind im World Wide Web unterwegs. In der Al-tersgruppe der 14- bis 19-Jährigen gibt es statistisch gesehen keine Internet-Verwei-gerer. Aber auch innerhalb der nachfolgen-den Altersstufen gehört das Netz durch-schnittlich bei weit über 80 Prozent zum Alltag. Vor diesem Hintergrund sollte sich jedes Unternehmen mit der Frage befassen, wie die angebotenen Produkte und Dienst-leistungen und auch Services sowie die ei-gene Kommunikation digital verfügbar ge-macht werden können.

INTERVIEW: PATRICIA OTUKA-KARNER

Was genau meint „Digitaler Darwinismus“?Karl-Heinz Land: Die Defi nition für digitalen Darwinismus ent-spricht jener der Evolutionstheorie: So wie es in der Evolution Entwicklungen gab, die, wie Charles Darwin formulierte, zum Aussterben des Unfi tten führten, so gibt es auch im digitalen Dar-winismus ‚adapt or die‘ oder ‚survival of the fi ttest‘. Digitaler Darwinismus tritt immer dann auf, wenn Technologie und Ge-sellschaft sich schneller verändern, als Organisationen fähig sind sich anzupassen. Das trifft gerade jene, die sehr träge und „fett“ geworden sind und sich nur noch mit sich selbst beschäftigen und Innovationen abstoßen. Ein gutes Beispiel sind hier der Me-diensektor oder der Handel. Der Handel hat 18 oder 20 Jahre geguckt, was die Amazons und Zalandos so tun, obwohl sie alle Opportunitäten gehabt hätten, das Internet auch zu nutzen. Der größte Verhinderer von Innovation ist Erfolg, vor allem der Erfolg der Vergangenheit.

Warum haben Sie begonnen sich mit diesem Thema zu beschäftigen?Land: Ich war selbst 20, 30 Jahre in der IT-Branche unterwegs und habe Unternehmen geholfen, Performances anhand von Da-ten sichtbar zu machen und Trends zu erkennen, welche Kunden gute Kunden sind. Dann habe ich ein eigenes Unternehmen ge-gründet. Ich lebte damals im Silicon Valley und habe 2005 die ganzen Startups beobachtet, wie das 2004 gegründete Facebook oder einen meiner Untermieter, youtube, die damals sieben Mit-arbeiter hatten. Nach Verkauf meines Unternehmens habe ich mich zunehmend auch philosophisch mit dem Thema auseinan-dergesetzt. Es entstanden da erstmals Unternehmen, die gar kei-ne Software mehr zum Verkauf entwickeln wollten. Apple, Goog-le und Co entwickelten Software für ihre eigenen neuen Geschäfts-modelle und haben damit einen bestehenden Markt attackiert, wie spotify die Musik- oder Airbnb die Hotelindustrie. Und ich fragte mich: „Was passiert hier?“ – Airbnb zum Beispiel besitzt kein einziges Hotel, keine einzige Couch, haben aber 810.000 Apartments bzw. Zimmer zur Verfügung und rund 600 Mitarbei-ter. Sie sind fünf Jahre alt. Die Hilton-Gruppe dagegen ist 40, 50 Jahre alt und hat bei 600.000 Zimmern 310.000 Angestellte. Letz-tes Jahr hat Airbnb dennoch erstmals mehr Zimmer verkauft als alle Hiltons gemeinsam. Airbnb ist noch nicht an der Börse, aber laut der letzten Wertung rund 19,8 Milliarden US-Dollar wert, die Hilton Group ca. 15 oder 16 Milliarden.

Wie können sich nun Unternehmen optimal auf die Digitalisierung vorbereiten, um noch mitzuhalten? Oder ist der Zug abgefahren?Land: Der Zug ist noch nicht komplett abgefahren. Händler oder Ban-ken haben noch gute Chancen, wenn sie bereit sind sich zu verändern. Etablierte Geschäfte haben Kapital, was gerade in der EU viele Junge nicht haben. Ein großer Vorteil ist auch, dass die Etablierten ihr Ge-schäft verstehen und eine große Kundenreichweite haben. Und dann können sie zusätzlich schauen, was die anderen machen, als Bank etwa schauen, wie es die jungen Online-Banker machen.

Das heißt, die bestehenden Strukturen nutzen und Neues überneh-men?Land: Ja. Der Geschäftsführer einer US-Hotelgruppe hat in einem Interview gesagt, dass sie sehr doof waren und hat sich gefragt, warum sie nicht früher auf die Idee gekommen sind, Privatun-terkünfte, etwa wenn die Hotels bei Messen ausgebucht sind, zuzumieten, wie es Airbnb heute macht. Er sagte, dass sie jetzt dieses Modell übernehmen und ebenfalls nutzen. Auch Banken können hier noch viel übernehmen. Wenn etwa das Handy in Zukunft das neue Zahlungsmittel sein wird. Das neue „mobile Schweizertaschenmesser“ sozusagen, das von Münzgeld, Schei-nen, Kreditkarte über Ausweis und Schlüssel sowie Social Engine alles kann, dann muss ich heute schon überlegen, wie ich meinen Kunden hier das beste Service bieten kann. Ich muss Banken-funktionen anbieten, die die Kunden nützlich fi nden.

Die Bevölkerung und damit der Kunde sind heute digital und durch die zunehmende Digitalisierung verändert sich das Kundenverhal-ten. Was erwarten sich Kunden heute?Land: In meinem Buch schreibe ich ein ganzes Kapitel über das Prinzip „Ich, Alles, Sofort und Überall“. Der neue „connected, informed and all powerful consumer“ hat eine klare Erwartungs-haltung, das bedeutet, dass der Kunde wertgeschätzt werden will. Wenn ich einmal im Jahr zum Metzger gehe, um die Weihnachts-gans abzuholen, dann grüßen mich dort die Verkäufer mit vollem Namen. Sie sprechen meinen Namen aus, das ehrt mich, das fi ndet jeder toll. Kunden erwarten sich Personalisierung und wol-len nur das angeboten bekommen, was sie interessiert. Es ist der Wunsch nach dem Tante-Emma-Laden, wo der Verkäufer weiß, welche Zigarren der Opa raucht und dass die Mama montags die Tomaten kauft. Das will ich auch im digitalen Kontext haben, das System soll erkennen, was ich brauche, das ist „convenience“. Aber der Preis ist, dass ich dabei meine Privatsphäre verliere. „Privacy“ versus „convenience“ also: Die persönliche Ansprache soll nur mit Erlaubnis passieren. Aber meine These ist, dass „con-venience“ der Treiber für alles ist. Die Kunden sind bequem.

Was müssen Unternehmen beachten, um sich im Wettbewerb mit-tels gezielter Digitalisierung zu differenzieren?Land: So lange man das Internet als Feind empfi ndet, so lange kann man keine Symbiose eingehen. Das Internet ist ein zusätz-licher Kanal, den man einfach anders bedienen muss. Es ist auch eine Chance, egal ob für den Handel, die Banken oder die Mu-sikbranche. Man muss nur herausfi nden, was der richtige Weg ist, und dafür braucht es eine Auseinandersetzung mit den Kun-den. Bei Neuland bieten wir dafür verschiedene Refl exionsme-thoden wie den „Digital Readiness Index“.

BUCHTIPP: Kreutzer Ralf, Land Karl-Heinz: „Digitaler Darwinismus: Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke“ Springer Gabler: 2013 ISBN: 978-3-658-01259-5

NEU

LAN

D/

WW

W.N

EULA

ND

.ME