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Universität Paderborn Lehrämter an Grundschulen sowie an Haupt- und Realschulen und den entsprechenden Jahrgangsstufen der Gesamtschulen Elemente der Geometrie Skript zur Veranstaltung Peter Bender WS 2012/13 Dieses Skript und viele Abbildungen wurden von Hans-Dieter Rinkens entwickelt so- wie von Peter Bender wesentlich neu bearbeitet und weiter entwickelt. Internet-Adresse: math-www.upb.de/~bender

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Universität Paderborn

Lehrämter an Grundschulen sowie an

Haupt- und Realschulen und den entsprechenden Jahrgangsstufen der Gesamtschulen

Elemente der Geometrie

Skript zur Veranstaltung

Peter Bender

WS 2012/13

Dieses Skript und viele Abbildungen wurden von Hans-Dieter Rinkens entwickelt so-wie von Peter Bender wesentlich neu bearbeitet und weiter entwickelt. Internet-Adresse: math-www.upb.de/~bender

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0. Einleitung 2 I. Fundamentale Eigenschaften ebener Figuren 6

I.1. Grundsätzliches zu Geraden und Strecken 6 I.2 Winkel 10 I.3. Kongruenz und Kongruenzabbildungen 14 I.4. Dreieck und Kreis 22 I.5. Dreieck und Geraden 34 I.6 Ortslinien 46 I.7 Strahlensätze und Ähnliches 54 I.8 Der Pythagoras-Satz und sein Umfeld 71

II. Abbildungen ebener Figuren 82

II.1. Grundsätzliches zu Abbildungen 82 II.2. Zentrische Streckungen 83 II.3. Kongruenzabbildungen 87

III. Symmetrie 99

III.1. Symmetrien und Gruppen 99 III.2. Regelmäßige Vielecke und ihre Symmetriegruppen 101 III.3. Bandornamente und ihre Symmetriegruppen 103 III.4. Reguläre Körper und ihre Symmetriegruppen

(der letzte Abschnitt ist nicht im Skript enthalten)

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0. Einleitung

Das Bild soll eine Orientierungshilfe für die Auswahl und Akzentuierung der Lernin-halte im Geometrieunterricht der gesamten Schulzeit sein. (Weiteres hierzu in den Veranstaltungen zur Didaktik der Geometrie bzw. zur Didaktik der Linearen Algebra.) Es kann auch eine Orientierungshilfe für die Veranstaltung "Elemente der Geometrie" sein, die die fachlichen Grundlagen für diese Auswahl und Akzentuierung sichern soll. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stehen • die Untersuchung der Formen unseres Anschauungsraums, • das Finden von konstruktiven Problemlösungen, insbesondere von Beweisen, • die Darstellung der dabei benutzten Methoden, • die Ausbildung gewisser Denkweisen.

Leitlinien des Geometrie -Unterrichts

Entdecken Ordnen von Zusammenhängen Begründen

Modellbildung Algorithmisierung

Allgemeine Lernziele

Fundamentale Aktivitäten

Symmetrien - Eigenschaften von Figuren/Körpern

Passung -

Raumlage -

Messen von Längen|Winkeln/Flächen...

Koordinaten ...

Fundamentale Ideen

Problemlösen durch

Berechnen

Umgangssprache Fachsprache Formalisierung

Beschreiben durch

Konstruieren mit Karopapier/Geodreieck/Zirkel Zirkel und Lineal Computer (Algebra) (TR/Computer)

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Ein erstes Beispiel: Der Fünfeckstern mit Umrahmung und ... • Die Figur sieht sehr regelmäßig aus. — Was heißt "regelmäßig"? Z.B. dass Strecken gleich lang, Winkel gleich groß sind und folg-lich aufeinander passen; oder dass es Spie-gel- und Drehsymmetrien gibt. • Offensichtlich sind einige Winkel gleich groß . — Was heißt hier "offensichtlich"? Wo-her wissen wir, dass sie gleich groß sind — auch ohne sie zu messen? Wie viele ver-schieden große Winkel gibt es? Gibt es einen Zusammenhang zwischen ihnen? • Offensichtlich sind einige Strecken gleich lang . — Was heißt hier "offensicht-lich"? Woher wissen wir, dass sie gleich lang sind — auch ohne sie zu messen? Wie viele verschieden lange Strecken gibt es? Gibt es einen Zusammenhang zwischen ihnen? • Wie konstruiert man eine solche Figur? Womit? Welches Wissen über die Figur brauchen wir dazu? • Wie bauen wir das Wissen über diese Figur auf? — Wir können messen — mit der allfälligen Mess-Ungenauigkeit . Oder wir können eine Eigenschaft der Figur aus anderen Eigenschaften schließen . — Was folgt woraus? Wir müssen die verschie-denen Eigenschaften bzw. Aussagen lokal ordnen . • Die Begründung erfolgt in der Umgangssprache . Wir gehen davon aus, dass uns gewisse Begriffe (wie z.B. der Winkelbegriff) und die damit verbundenen Grund-vorstellungen (z.B. das Winkelfeld, der Richtungsunterschied, die Richtungsände-rung) vertraut sind. Wir thematisieren hier weder, wie man diese Grundvorstellungen erwerben kann, noch wie man sie mit Hilfe anderer anschaulich evidenter Begriffe (etwa den Winkel als geordnetes Paar von Halbgeraden) "definieren" kann (das ge-schieht in der Veranstaltung "Didaktik der Geometrie"). Doch manchmal ist es sinn-voll, das begriffliche Instrumentarium zu schärfen. Dann führen wir Fachtermini ein (wie z. B. "Wechselwinkel" oder "Umfangswinkel" o.ä.) oder regeln sogar die Sprache durch Formalisierung .

0.0.01

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Ein erstes Problem ... mit vielen Problemen ... In ein von zwei geraden Linien begrenztes Feld ("Kanal") soll ein möglichst großes Objekt ("Werkstück") eingepasst werden. Die Stelle A im Innern des Kanals soll am Rand des Werkstücks liegen. Das Werkstück soll folgende Form haben: (K) Kreis (Q) Quadrat (D) gleichseitiges Dreieck Bei (Q) und (D) soll die Stelle A

(i) Eckpunkt sein, (ii) auf dem Rand liegen.

Was ist eine Lösung des Problems? Wenn man ein Verfahren angeben kann, auf Grund dessen man • zu jeder möglichen Stelle A • bei jeder möglichen geradlinigen Begrenzung des Kanals begründet entscheiden kann, • ob es ein, kein oder mehrere Werkstücke der geforderten Art gibt und • wie man es bzw. sie mitsamt den Berührpunkten an den Rändern des Kanals

konstruieren kann. Zur Lösung gehören also • eine Konstruktion , • eine Konstruktionsbeschreibung , • eine Begründung (Beweis der Richtigkeit der Konstruktion ).

0.0.02

A •

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Welchen Weg wir in dieser Veranstaltung nicht gehen: Keine axiomatische Geometrie Im Laufe der vielen Jahrhunderte, in denen sich die Menschen mit der Sprache der Formen, der Geometrie, auseinandergesetzt haben, kristallisierten sich gewisse Be-griffe und Aussagen als besonders wichtig heraus, weil sie sich als unabhängig von speziellen Figuren erwiesen und in vielen Begründungszusammenhängen auftauch-ten. Das Untersuchungsfeld, das man hinsichtlich seiner logischen Abhängigkeit ord-nete, wurde immer größer. Um einen "regressus ad infinitum", ein Rückwärtsgehen ohne aufzuhören, zu vermeiden, muss man gewisse Aussagen als "nicht zu bewei-sen", als Grundannahmen an den Anfang der Ordnung setzen: Axiome . Das Gleiche gilt für gewisse Begriffe, die nicht mehr durch andere zu erläutern, zu "definieren" sind: Grundbegriffe . Darin steckt eine gewisse Willkür, die auch im Laufe der Ge-schichte zu verschiedenen Geometrien geführt hat. Aus dem Ziel, eine globale Ordnung zu schaffen, ergibt sich ein axiomatischer Auf-bau der Geometrie : Mit Hilfe von Grundbegriffen und Axiomen werden weitere Be-griffe definiert und Aussagen bzw. Sätze bewiesen. Dieses Vorgehen bezeichnet man als deduktiv . Als historische Eckdaten und Persönlichkeiten sind zu nennen: Euklid (von Alexand-rien) schrieb um 300 v.Chr. das wohl erfolgreichste Lehrbuch der Geschichte, die "Elemente". David Hilbert , ein Göttinger Mathematiker, veröffentlichte 1899 eine vollständig axiomatisierte Theorie der klassischen Geometrie in seinem Buch "Grundlagen der Geometrie". Ein Aussagengebäude global zu ordnen, eine Theorie zu axiomatisieren, ist ein sehr schwieriges Geschäft. Das Fertigprodukt, eine axiomatische Theorie, zu präsentieren lässt davon nur wenig ahnen. Deshalb ist das nicht unser Weg. Welchen Weg wir in dieser Veranstaltung auch nicht gehen: Keine Analytische Geometrie Geometrische Sachverhalte lassen sich mit Hilfe von Koordinaten durch arithmeti-sche Ausdrücke beschreiben: Analytische Geometrie. Historisches Eckdatum ist das Jahr 1637, in dem der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes (latinisiert: Cartesius) sein Buch "Discours de la méthode pour bien conduire sa rai-son et chercher la vérité dans les sciences" ("Abhandlung über den Weg, seinen Verstand zu leiten und die Wahrheit in den (Natur-) Wissenschaften zu finden") mit einem 100-seitigen Teil "La géometrie" veröffentlichte. Dieser Weg ist einer der Zu-gänge zur Veranstaltung "Lineare Algebra".

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I. Fundamentale Eigenschaften ebener Figuren

I.1. Grundsätzliches zu Geraden und Strecken

Punkte und Geraden Die Grundgebilde, mit denen wir uns beschäftigen, sind Punkte und Geraden in der Ebene oder — nicht in diesem Durchgang — im Raum . Wir können Punkte und Ge-raden als eigenständige Gebilde auffassen, die durch die Lagebeziehungen "(Punkt) liegt auf (Gerade)" bzw. "(Gerade) geht durch (Punkt)" und "(Geraden) schneiden sich in (Punkt)" miteinander verknüpft sind. Statt der Umgangssprache können wir die for-malisierte Sprache der Mengenlehre zu Hilfe nehmen und die Geraden als Mengen von Punkten auffassen. "Der Punkt P liegt auf der Geraden g " bzw. " g geht durch P " wird dann kurz geschrieben " P∈g ". "Die Geraden g und h schneiden sich im Punkt P " lautet kurz " g∩h = {P} ". Für die Lagebeziehungen gelten dabei die folgenden Grundaussagen so-wohl in der Ebene wie im Raum: • Durch einen Punkt gehen un-

endlich viele Geraden. • Durch zwei (verschiedene)

Punkte geht genau eine Gerade.

I.1.01

I.1.02

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Parallelität Die Parallelität ist eine Lagebeziehung zwischen zwei Geraden. Nur in der Ebene gilt: • Zwei Geraden in der Ebene schneiden

sich entweder in genau einem Punkt, oder sie sind parallel .

Dies ist sozusagen die elementare Definition von Parallelität in der Ebene. Im Raum gibt es für zwei (verschiedene) Geraden, die sich nicht schneiden , eine weitere Möglichkeit: Wenn sie nicht in einer Ebene liegen, nennt man sie windschief . Für die Wissenschaftsgeschichte der Geome-trie von besonderer Bedeutung ist die folgen-de, selbstverständlich erscheinende Aussage, das sog. Parallelenaxiom : • Zu einer beliebigen Geraden g und einem beliebige n Punkt P gibt es ge-

nau eine Gerade durch P , die parallel zu g ist.

Der Versuch, diese Aussage aus anderen Grundaussagen (Axiomen) zu beweisen, führte in der Geschichte dazu, Geometrien zu ersinnen, in denen die anderen Axio-me gelten, das Parallelenaxiom aber nicht. Das war die Geburtsstunde der nicht-euklidischen Geometrien . Wenn P auf g liegt, dann handelt es sich bei de r Parallelen um g selbst. Ins-besondere gilt "natürlich": • Jede Gerade ist parallel zu sich selbst.

I.1.03

I.1.04

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Strecken und Längen Eine Strecke AB ist ein durch zwei Punkte A und B begrenztes Geradenstück bzw. (in der Mengensprache) die Menge aller Punkte, die auf der Geraden zwischen A und B liegen; man braucht hier also noch eine Lagebeziehung, diesmal von drei Punkten, die auf einer Geraden liegen: "(Punkt) liegt zwischen (zwei Punkten)". Mit dem Begriff "Strecke" ist auch immer die Vorstellung der Länge AB verknüpft. Zur Geometrie kommt nun auch die Zahl, die Arithmetik ins Spiel.

Wenn die Punkte A , B , C , D in dieser Rei-henfolge auf einer Geraden liegen, dann sagen wir "die Strecke AC ist länger als die Strecke AB und kürzer als die Strecke AD " und schreiben: AC>AB und AC<AD . Insbesondere folgt aus AC=AD , wenn C und D auf derselben Seite von A liegen, dass C und D denselben Punkt markieren, also C=D ist; — und das wer-den wir bei Beweisen schon einmal ausnutzen, um zu zeigen, dass zwei Punkte tat-sächlich zusammen fallen, d.h. dass es sich nur um einen einzigen Punkt handelt. Um den Abstand zweier Punkte A und B zu bestimmen, muss man die Länge der Strecke AB angeben. Für diese Länge gilt: • Die Strecke AB ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte A und B .

I.W. bedeutet dies: Wenn C ein belie-biger dritter Punkt ist, dann gilt stets: • AB≤≤≤≤AC+CB ;

die Gleichheit gilt genau dann, wenn C zwischen A und B liegt.

Dieselbe Ungleichung, noch einmal an-ders gesehen: Wir betrachten die drei Punkte als Eckpunkte eines Dreiecks; dann liest sich die Ungleichung so: • In einem Dreieck ist eine Seite immer kürzer als di e beiden anderen Seiten

zusammen, im degenerierten Sonderfall höchstens gen au so lang.

Man nennt diese Ungleichung daher auch die Dreiecksungleichung .

I.1.05

I.1.06

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Messen heißt Vergleichen Um den Abstand zweier Punkte A und B zu bestimmen, muss man die Länge der Strecke AB messen. Messen heißt: Mit der Länge einer Einheitsstrecke verglei-chen, möglichst so, dass für die Länge zweier Strecken AB und AC jeweils ein Vielfaches der Einheitslänge, zum Beispiel das m-Fache und das n-Fache heraus-kommt; dann kann man sagen, dass sich die beiden Strecken wie die beiden Zahlen m und n zueinander verhalten bzw. dass AC das n/m-Fache von AB be-trägt.

Pythagoras (um 570 – 495 v.Chr.) träumte davon, dass alles in der Welt sich mit Hilfe der natürlichen Zahlen und ihrer Verhältnisse — wir sagen heute den (positiven) rationalen Zahlen — messen lassen könne. Es war ein Schock für die Pythagoräer, als sie ent-deckten, dass das nicht geht: Sie betrachteten im Fünfeckstern die Entfer-nungen von einer festen

Spitze zu den übrigen Spitzen; es gibt zwei ver-schiedene Längen. Und beim Versuch, für beide ein gemeinsames Maß, eine Einheitslänge, zu fin-den, kamen sie zu dem grundsätzlichen Schluss: Eine solche kann es nicht geben. Ein anderes Beispiel für denselben Schluss liefern die Seitenlänge und Länge der Diagonale eines Quadrats: Sie sind "inkommensurabel ", was nichts anderes heißt als: Sie haben kein gemeinsames Maß. Man braucht zum Messen mehr als nur die natürlichen Zahlen; auch die Brüche hel-fen nicht viel weiter. Man braucht zusätzlich die irrationalen Zahlen , also insgesamt die (nicht-negativen) reellen Zahlen . Beim Beweis des Strahlensatzes werden wir das merken.

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I.2. Winkel Wenn zwei Geraden sich in einem Punkt schneiden, entstehen vier Halbgeraden, auch Strahlen genannt, und vier Winkel. Ein Winkel ist bestimmt durch zwei Halbgeraden (Schenkel), die von einem Punkt (Scheitel) ausgehen. Eigentlich muss man begrifflich das geometrische Objekt 'Winkel' (Winkelfeld; Teilmenge der Ebene) und das arithmetische Objekt 'Win-kelmaß' (Grad; Zahl) unterscheiden. Wir werden für 'Winkelmaß' hin und wieder auch 'Winkel' sagen und insbesondere durchweg dieselben (griechischen) Buchsta-ben verwenden. Zwei Grundvorstellungen sind mit dem Winkelbegriff verbunden: Aus einer statischen Sichtweise heraus ist er ein Winkelfeld, das Gebiet zwischen den beiden Halbgeraden, und das Winkelmaß ist der Unterschied zwischen zwei Richtungen, repräsentiert durch die beiden Halbgeraden, die vom Scheitel ausgehen. Beweglich gesehen, ist er die Fläche, die bei einer Richtungsänderung, einer Dre-hung (u.U., z.T., mehrfach) überstrichen wird, die die Richtung des ersten ("festen") Schenkels in die des zweiten ("freien") Schenkels überführt. Damit ist gleichzeitig eine Orientierung verbunden: Bei einer Drehung entgegengesetzt zum Uhrzei-gersinn nimmt man das Winkelmaß posi-tiv, bei einer Drehung im Uhrzeigersinn negativ. Wenn zwei Geraden sich in einem Punkt schneiden, entstehen vier Winkel; die ge-genüberliegenden heißen Scheitelwinkel, die benachbarten heißen Nebenwinkel.

Scheitelwinkel sind gleich groß.

Nebenwinkel ergänzen sich zu 180°. Zur Geschichte des Winkelmaßes Unser Winkelmaß von 90° für den rechten Winkel stammt noch von den (Babylonierinnen &) Babyloniern (ab 3. Jahrtausend v. Chr.). Sie betrachteten den Winkel im vollkommensten aller Dreiecke, dem mit drei gleich großen Winkeln, als Einheitswinkel. Da ihr Zah-lensystem ein Sechziger-System war, wählten sie als nächst kleinere Einheit (Grad) ein Sechzigstel dieses Einheitswinkels. Das passte wunderbar dazu, dass sechs dieser Einheitswinkel zusammen einen Kreis, al-so 360° ergeben, wo doch auch ihr Jahreskreis 360 Tage hatte.

I.2.01 Z

I.2.02 Z

I.2.03

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Nach der Französischen Revolution, ganz im Zeichen der Aufklärung, versuchte man, den rechten Winkel zum Maß aller Dinge zu machen und als nächst kleinere Einheit (Neugrad) in Anbetracht unseres Dezimalsystems ein Hundertstel des neuen Einheitswinkels zu wählen; ein rechter Winkel hat also 100 Neugrad, ein Vollwinkel 400 Neugrad.

... Nicht alles Neue setzt sich durch.

Winkelbezeichnungen

Wie sieht der Nullwinkel aus? — Wie muss man den Winkelbegriff modifizieren, da-mit es überhaupt überstumpfe Winkel und den Vollwinkel gibt? — Woher weiß man jeweils, welches der beiden Winkelfelder gemeint ist? Schneiden sich zwei Geraden unter vier gleich großen Winkeln oder — was Dassel-be ist — sind die Nebenwinkel gleich groß, dann stehen die Geraden senkrecht auf-einander; man sagt auch: sie sind orthogonal. Die Winkel heißen dann rechte Win-kel.

Zu einer Geraden g und einem beliebigen Punkt A kann man immer ge-nau eine Senkrechte zu g zeichnen, die durch A geht. (was heißt "genau eine"?)

Die Senkrechte nennt man auch Lot (-gerade) von A auf g , und den Schnittpunkt F der Senkrechten mit g nennt man den Lotfuß-punkt. Liegt statt einer Geraden eine Strecke vor und geht das Lot durch deren Mittelpunkt, dann nennt man dieses Lot Mittelsenkrechte.

I.2.04

I.2.05

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Zusammenhang zwischen Orthogonalität und Parallelität Zwischen Orthogonalität und Parallelität gibt es den Zusammenhang:

Zwei Geraden, die auf einer dritten senkrecht stehen, sind parallel zueinan-der.

Damit haben wir eine zweite Grundvorstellung von Parallelität, die gegenüber der ersten ("keinen Schnittpunkt haben") den Vorteil hat, dass sie anschaulicher ist und nicht so negativ klingt. Zusammenhang zwischen Parallelität und Winkeln Diese zweite Grundvorstellung von Paralle-lität lässt sich noch verallgemeinern und führt zu einem wichtigen Zusammenhang zwischen Parallelität und Winkeln.

Werden zwei Parallelen von einer dritten Geraden geschnitten, so gilt: Stufenwinkel sind gleich groß. Wechselwinkel sind gleich groß.

(Es fällt auf, dass wir die suggestiven Be-griffe Stufenwinkel und Wechselwinkel nicht definiert haben, bevor wir sie in Gebrauch genommen haben. — Der Grund ist, dass die Erklärung recht umständlich und damit unverständlich würde. Im Rahmen eines streng deduktiven Aufbaus dürfte das natür-lich kein Grund für das Versäumnis sein.) In beiden Aussagen wird von Parallelität auf Winkelmaßgleichheit geschlossen. Auch die Umkehrung der beiden Aussagen ist richtig. Formuliere sie! Die Umkehrung wird benutzt, um von Winkelmaßgleichheit auf Parallelität zu schließen. Wenn man also, ausgehend von einer Geraden, zwei verschiedene Gera-den an dieser mit gleich großen Stufen- oder gleich großen Wechselwinkeln ab-trägt, sind diese beiden Geraden automatisch parallel, d.h. sie schneiden sich nicht.

I.2.06 Z

I.2.07 Z

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Winkelsätze im Dreieck Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen den Winkeln an Parallelen und den Winkeln im Dreieck: Verlängere die Seite AB über B hinaus, und zeichne die Parallele zu AC durch B . Nun sollen die

Seite AB und der Winkel fest bleiben und der Punkt C auf

dem Schenkel von , der A gegenüber liegt, bewegt werden. Beobachte dabei die drei Winkel an B einerseits und die drei Dreieckswinkel bei A , B und C andererseits. (nach Arnheim 1969) Winkelmaßsummensatz:

Die Winkelmaßsumme im Dreieck beträgt 180° . Beweis: Verlängere die Seite c über B hinaus: Schenkel s ; zeichne Parallele zu

b durch B: Schenkel t . Es entstehen die Winkel * zwischen s und t sowie * zwischen t und a . Es gilt:

= * (Stufenwinkel an Parallelen), = * (Wechselwinkel an Parallelen),

*+ *+ =180° (gestreckter Winkel in B ). Also: + + =180° .

Im Dreieck kann es also höchstens einen Winkel 90° geben. Hat es einen stump-fen Winkel, nennt man es stumpfwinklig; hat es einen rechten Winkel, nennt man es rechtwinklig (obwohl es immer zwei spitze Winkel hat); sind alle drei Winkel spitz, heißt es spitzwinklig. Ein Außenwinkel ist der Winkel, den eine Dreieckseite mit der Verlänge-rung einer benachbarten Dreieckseite im Äußeren des Dreiecks bildet. Wie viele Außenwinkel gibt es an einer Ecke? Außenwinkelsatz:

Im Dreieck ist jeder Außenwin-kel so groß wie die beiden nicht anliegenden Innenwinkel zusammen.

Außenwinkelmaßsummensatz:

Im Dreieck beträgt die Summe von drei Außenwinkeln an drei Ecken 360° . Wie steht es mit der Verallgemeinerung der Begriffe "Innenwinkel" und "Außenwin-kel" sowie des Winkelmaßsummensatzes auf Vierecke, Fünfecke, ..., n-Ecke?

I.2.08 Z

I.2.09 Z

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I.3. Kongruenz und Kongruenzabbildungen Kongruenzsätze Zwei gleich lange Strecken nennt man auch kongruent (deckungsgleich), ebenso zwei gleich große Winkel. Einen intuitiven Begriff von Kongruenz von zwei Figuren (Punktmengen; z.B. Dreie-cke, 17-Ecke, Kreise, Ellipsen usw.) könnte man so fassen: Sie heißen kongruent, wenn man sämtlichen Punkten der einen Figur (Ecken, Randpunkten, inneren Punk-ten) die Punkte der anderen Figur so zuordnen kann, dass dabei entsprechende Streckenlängen, Winkelmaße, Flächeninhalte usw. erhalten bleiben, kurz: ... die bei-den Figuren deckungsgleich sind. — Nun ist eine effektive (oder nur gedankliche) Prüfung dieser (unendlich vielen) Erhaltungen ein Ding der Unmöglichkeit. Deswe-gen reduziert man die Klasse der Figuren auf Dreiecke und dort auf die Erhaltung von sechs "Stücken". Man weiß dann: wenn zwei Dreiecke in diesen sechs entspre-chenden "Stücken" übereinstimmen (wenn die entsprechenden kongruent sind), dann stimmen sie auch in allen anderen entsprechenden "Stücken" überein. Die Seitenlängen des Dreiecks hängen zusammen über die Dreiecksungleichung, die Winkelmaße des Dreiecks hängen zusammen über die Winkelmaßsummenglei-chung. Beziehungen zwischen Strecken(längen) und Winkel(maße)n werden über die Kongruenzsätze hergestellt: Zwei Dreiecke heißen kongruent, wenn sie in allen drei Seiten(längen) und allen drei Winkel (maße)n entsprechend übereinstimmen. (D.h., man kann den drei Ecken des einen Dreiecks so die drei Ecken des anderen Dreiecks zuordnen, dass die entsprechenden Seiten gleich lang, d.h. kongruent, und die entsprechenden Winkel gleich groß, d.h. kongruent, sind.) Kongruenzsätze Zwei Dreiecke sind insgesamt kongruent, wenn bei ihnen nur folgende sich gegenseitig entsprechende Stücke kongruent, d.h. gleich groß sind:

alle drei Seiten oder SSS

zwei Seiten und der eingeschlossene Winkel oder SWS

eine Seite und die beiden anliegenden Winkel oder WSW

eine Seite und überhaupt zwei entsprechend liegende Winkel oder SWW

zwei Seiten und der Winkel, der der größeren Seite gegenüber liegt SSWgr

I.3.01

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Liegt (bei SSW) der Winkel nicht der größeren Seite gegenüber, dann müssen zwei Dreiecke nicht kongruent sein, auch wenn sie in SSW übereinstimmen. Vielmehr gibt es zwei Kon-gruenztypen (s. I.3.02). Stimmen zwei Dreiecke in den drei Winkelma-ßen überein (WWW), dann müssen sie nicht kongruent sein. (Wieso ist dies plausibel?) Man kann die Kongruenzsätze auch so auf-fassen: Wenn zwei Menschen mit drei gegebenen "Stücken" jeder ein Dreieck konstruiert, so werden die beiden Dreiecke kongruent sein, d.h. automatisch in allen sechs "Stücken" ent-sprechend übereinstimmen, jedenfalls wenn es drei "Stücke" gemäß einem der o.a. Kon-gruenzsätze sind. ... jedoch i.A. nicht, wenn drei Winkelmaße ge-geben sind, oder (statistisch) in der Hälfte der Fälle, wenn SSW gegeben ist und der Winkel nicht der größeren Seite gegenüber liegt. Bei gewissen Vorgaben kann es sogar passieren, dass beide Menschen gar kein Dreieck zustande bringen, nämlich ...? Seiten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck Als Grundlage für zahlreiche Sachverhalte, mit denen wir uns noch befassen werden, benötigen wir folgenden scheinbar unauffälligen und plausiblen Satz, der eigentlich noch bewiesen werden müsste, den wir aber nicht beweisen werden. Er flankiert die Kongruenzsätze inhaltlich: Satz von der Seiten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck:

In jedem Dreieck liegt der größeren von zwei Seiten der größere Winkel sowie dem größeren von zwei Winkeln die größere Seite gegenüber.

Für die Anwendung des Kongruenzsatzes SSWgr ergibt sich daraus noch folgende Vereinfachung: Wenn man weiß, dass der fragliche Winkel recht oder stumpf, d.h.

90° ist, ist die Voraussetzung dieses Kongruenzsatzes automatisch erfüllt und braucht nicht mehr verifiziert zu werden. Dieser Winkel ist nämlich der größte im Dreieck und liegt damit ohne Weiteres der größten Seite gegenüber.

I.3.03

I.3.02 Z

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Mit Hilfe der Seiten-Winkel-Korrespondenz lässt sich beweisen:

Zu jeder Geraden g und jedem Punkt A mit Lot-fußpunkt F auf g ist die Strecke AF die kürzeste Verbindung zwischen A und g .

Ihre Länge nennt man den Abstand von A zu g .

Fast von selbst ergibt sich noch folgender allgemeinerer Satz:

Je weiter B auf g von F entfernt ist, umso länger ist die Strecke AB .

Nun ergibt sich eine dritte Grundvorstellung für den Begriff der Parallelität:

Parallele Geraden haben überall den gleichen Abstand. Das ist eine Eigenschaft, die wegen des "Überall" zum Nachweis von Parallelität nicht so praktisch, als Folgerung aus der Parallelität aber sehr nützlich ist. (Wie stellt man eigentlich den Abstand zwischen zwei — parallelen — Geraden fest?) Das gleichschenklige Dreieck Wenn nun in einem Dreieck zwei Seiten gleich lang sind, dann müssen auch ihre gegenüberliegenden Winkel gleich groß sein, denn wäre einer dieser beiden Winkel größer als der andere, dann müsste auch seine gegenüberliegende Seite größer als die andere sein. Mit dem entsprechenden Argument folgt auch: Sind zwei Winkel gleich groß, dann sind auch ihre gegen-überliegenden Seiten gleich lang. Ein Dreieck mit zwei gleich langen Seiten heißt gleichschenklig; die beiden gleich langen Seiten heißen Schenkel, die dritte Basis. Die beiden Winkel, die an der Ba-sis anliegen, heißen Basiswinkel, der dritte heißt Winkel an der Spitze.

Wenn ein Dreieck gleichschenklig ist (zwei Seiten gleich lang sind), dann sind die Basiswinkel gleich groß.

Wenn in einem Dreieck zwei Winkel gleich groß sind, dann ist es gleich-schenklig (sind zwei Seiten gleich lang).

I.3.04 Z

I.3.05

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Im gleichschenkligen Dreieck gilt folgender Spezialfall des Außenwinkelsatzes:

Im gleichschenkligen Dreieck ist der Außenwinkel an der Spitze doppelt so groß wie jeder der beiden Basis-winkel.

Dieser Satz wird später u.a. in der Form wie in Abb. I.3.06 genutzt.

Wir nehmen noch einmal Abb. I.3.04 zum Abstand eines Punktes A zu den Punkten einer Geraden g auf: Lassen wir beim Dreieck AMX die Ecke M von X weg laufen, wird der Außenwinkel in M größer. Er wird gerade dann genau doppelt so groß wie der Innenwinkel in X , wenn die beiden Seiten AM und XM gleich lang sind.

Geometrische Abbildungen

Wenn man in der Ebene zwei kongruente Figuren vor sich hat, z.B. zwei kongruente Dreiecke, dann hat man den Eindruck, dass man sie in folgendem Sinn zur Deckung bringen kann: Man schneidet ein Stück Pappe aus, das genau das eine Dreieck abdeckt, und legt es dann auf das andere Dreieck, so dass es dieses genau abdeckt. Die Bewegung des Stücks Pappe kann man zwar völlig willkürlich vornehmen, eventuell sogar zwischendurch aus der Ebene heraus, eventuell mit mehrmaligem Umklappen. Man kann sich aber auch vor-stellen, dass man das Stück Pappe auf eine "kanonische" Art bewegt, in der Zeichnung z.B. von I nach II mittels einer Verschie-bung entlang dem eingezeichneten Pfeil, oder von I nach III mittels einer Drehung um den Drehpunkt Z um 90° . Obwohl I und IV auch kongruent sind, kann man das Stück Pappe, das genau auf I passt, in der Ebene drehen, wie man will; man kriegt es nicht passend auf IV , sondern muss es (aus der Ebene heraus) wenden. Solche Bewegungsvorstellungen geben Anlass zu einer kraftvollen geometrischen Begriffsbildung, bei der man diese intuiti-ven Vorstellungen aber überwinden muss:

I.3.08 Z

I.3.06 Z

I.3.07 Z

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Geometrische Abbildungen: Jedem Punkt P der Ebene (jeweils der Urpunkt) wird ein Punkt P' der Ebene (sein Bildpunkt) zugeordnet (wie bei Abbildungen von R in R in der Sekundarstufe: jeder reellen Zahl wird eine reelle Zahl zugeordnet; durch die Abbildung bzw. Funktion f(x)=x2 z.B. wird jeder reellen Zahl x die reelle Zahl x2 zugeordnet). In aller Deutlichkeit: Die Punkte werden zugeordnet; sie bewegen sich nicht! — Da wir ja keine Analytische Geometrie betreiben und die Punkte keine Koordinaten haben, mit denen wir die Abbildungsvorschrift angeben könnten, benöti-gen wir andere Mittel zur Festlegung der Zuordnung, z.B.

Verschiebung (Translation) (entlang dem Verschiebungs-pfeil bzw. -vektor v ): Gegeben ist ein Pfeil v . An jedem Punkt P der Ebene wird nun ein dazu pa-ralleler, gleich langer und gleich orientierter Pfeil angesetzt. Die Pfeilspitze ist dann jeweils der Bildpunkt P' .

"Offensichtlich" werden durch eine Translation alle Strecken und Winkel in dazu kongruente abgebildet. Es werden überhaupt alle geraden Linien in ebensolche abgebildet. Jedes Dreieck wird in ein dazu kongruentes abgebildet. — Sprachregelung: Wenn bei einer Abbildung Längen, Winkelmaße, Geradheit o.ä. erhalten bleiben, nennt man diese Abbildung längen-treu, winkelmaßtreu, geradentreu usw.

Eine geometrische Abbildung, die, wie die Translationen, dieses leistet, nennt man Kongruenzabbildung. Es genügt sogar zu fordern, dass sie längentreu ist. Man kann nämlich beweisen, dass sich Winkelmaßtreue, Geradentreue, Flächeninhaltstreue usw. aus der Längentreue automatisch ergeben. Also definiert man: Eine geometrische Abbildung heißt Kongruenzabbildung, wenn sie längentreu ist. Translationen sind also Kongruenzabbildungen. (Das müsste bewiesen werden, ebenso bei den weiteren Typen. — Gibt es überhaupt weitere?)

(Geraden-, Achsen-) Spiegelung (an der Geraden bzw. Spiegelachse g ): Gegeben ist eine Gerade g . Fälle von jedem Punkt P aus das Lot auf g , er-halte Lotfußpunkt P0 , verdopple die Strecke PP0 , und erhalte als Endpunkt den Bildpunkt P' .

Geradenspiegelungen haben allerdings, anders als Translationen, die Eigenart, dass sie den Umlaufsinn (die Orientierung) verkehren: Mar-schiert man bei einem Dreieck von P über Q nach R , so bewegt man sich entweder mit dem oder gegen den Uhrzeigersinn (rechts oder links herum); die entsprechende Bewegung im Bild-dreieck hat dann genau den umgekehrten Um-laufsinn.

I.3.09 Z

I.3.10 Z

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Drehung (Rotation) (um das Dreh- bzw. Rotationszentrum Z um das (orientierte) Dreh- bzw. Rotations-

winkelmaß zwischen -180° und 180° ): Gegeben ist ein Punkt Z . Für jeden Punkt P zeichne Schenkel von

Z durch P , trage Winkel ab, er-halte neuen Schenkel, trage auf die-sem die Strecke ZP ab, und erhalte

P' . (In Abb. I.3.11 ist =60° ). Bei Drehungen bleibt der Umlaufsinn er-halten, egal um welchen Winkel gedreht wird, insbesondere auch bei einer 180°-Drehung. Bei einer Drehung ist der von einer Geraden g und ihre Bildgeraden h eingeschlossene Winkel so groß wie der Drehwinkel. – Dies sieht man folgendermaßen ein: Fälle das Lot vom Drehpunkt D auf g , und er-halte den Fußpunkt G (es wird sozusagen ein Griff an der Geraden befestigt und dann mit ihr mit ge-dreht). Wegen der allgemeinen Eigenschaften von Kongruenzabbildungen ist das Bild des Lots auf g dann das Lot auf h mit Fußpunkt H (wegen der Er-haltung des rechten Winkels). Betrachte nun die Win-kel in Abb. I.3.12. Außer den drei genannten Typen von Kongruenzab-bildungen der Ebene gibt es einen weiteren Typ, die Schubspiegelung (von der die Spiegelung ein Spezialfall ist). In Kap. II zeigen wir, dass es darüber hinaus keine weiteren Typen mehr gibt. Z.B. ist die Punktspiege-lung kein neuer Typ.

Punktspiegelung (am Zentrum Z ): Gegeben ist ein Punkt Z . Für jeden Punkt P zeichne Strecke von P nach Z , verdopple die Strecke PZ , und er-halte als Endpunkt den Bildpunkt P'.

Die Punktspiegelung an Z ist nichts ande-res als die Drehung an Z um 180° . In Abb. I.3.13 kann man die Bildpunkte auch durch eine Rotation um 180° erzeugen. Hat man zwei kongruente Dreiecke, so findet man immer eine Kongruenzabbildung (der ganzen Ebene auf sich), die das eine Dreieck auf das andere abbildet. Haben die beiden Dreiecke bei der passenden Zuordnung der Ecken denselben Umlaufsinn, gibt es eine Translation oder eine Rotation; haben sie verschiedenen Umlaufsinn,

I.3.11 Z

I.3.13 Z

I.3.12 Z

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dann gibt es eine Schubspiegelung, eventuell sogar eine Spiegelung, die das eine auf das andere Dreieck abbildet. Die triviale Abbildung, die jeden Punkt der Ebene auf sich selbst abbildet, also die Identität, ist auch eine Kongruenzabbildung und wird deshalb hier mitgezählt. Man kann sie als spezielle Translation (mit Verschiebungspfeil der Länge 0 ) und als spezielle Rotation (um ein beliebiges Zentrum mit Drehwinkelmaß 0° ) auffassen. Zwei Figuren, die durch eine Kongruenzabbildung aufeinander abgebildet werden, müssen nicht verschieden sein. Z.B. kann der Fünfeckstern in Abb. 0.0.01 durch eine Rotation um sein Zentrum Z um 72° auf sich selbst abgebildet werden; oder aber auch durch eine Spiegelung an einer Geraden, die durch eine Ecke und den Mittel-punkt der gegenüberliegenden Seite geht. Natürlich wird jede Figur durch die Identi-tät auf sich selbst abgebildet. Eine solche Figur (Punktmenge) ist dann Fixfigur (Fix-menge) unter der jeweiligen Abbildung. Bei einer Achsenspiegelung ist z.B. jeder Punkt der Spiegelachse Fixpunkt, und je-de Lotgerade zur Spiegelachse ist Fixmenge. Zwar sind alle Punkte auf einer sol-chen Lotgeraden (bis auf einen) von ihren Bildpunkten verschieden; die Gerade als Menge wird aber insgesamt auf sich selbst abgebildet. Die Spiegelachse ist auch Fixmenge; sie ist sogar Fixpunktmenge, weil jeder ihrer Punkte Fixpunkt ist. Eine Translation (wenn sie von der Identität verschieden ist) hat keine Fixpunkte, aber z.B. Fixgeraden in Translationsrichtung. Ist eine Figur nicht nur bezüglich der Identität, sondern mindestens bezüglich einer weiteren Abbildung Fixfigur, dann nennt man sie "symmetrisch" (bezüglich dieser Abbildung). Der Fünfeckstern ist rotations- und achsensymmetrisch. Jedes gleichschenklige Dreieck und jede Gerade ist achsensymmetrisch. Jedes Paralle-logramm ist punktsymmetrisch mit dem Diagonalenschnittpunkt als Zent-rum, aber i.A. nicht achsensymmetrisch; man könnte es auch als rotationssym-metrisch (mit einem Winkel von 180° ) bezeichnen. Der Fünfeckstern ist nicht punkt-, aber rotationssymmetrisch. Außer Kongruenzabbildungen gibt es noch andere, durchaus "ordentliche" geometri-sche Abbildungen, z.B.:

Zentrische Streckung (mit Zentrum Z und Streckfaktor k 0 ): Zeichne Gera-

de durch Z und P , ver- k -fache die Strecke ZP , und erhalte P' . Falls k<0, wähle P' auf der anderen Seite von Z .

Unter einer zentrischen Streckung ist das Bilddreieck i.a. nicht kongruent zum Urdrei-eck, sondern alle Bildstrecken sind k -mal so lang wie die Urstrecken. Aber die Bildwinkel sind alle kongruent zu den Urwinkeln. Geraden- und Winkelmaßtreue müssten wieder bewiesen werden. — Geraden sind strecksymmetrisch (Streckung

mit Zentrum Z auf der Geraden und Faktor k 1 ). Für k =1 hat man sogar Kon-gruenzabbildungen, für k=-1 die Punktspiegelung, für k=1 die Identität.

I.3.14

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Zusammenfassung der verschiedenen "Treuen":

Treue? Translation Spiegelung Rotation Zentrische Streckung

Abstands- ja ja ja nur, falls k =1

Winkelmaß- ja ja ja ja

Geraden- ja ja ja ja

Parallelen- ja ja ja ja

Kreis- ja ja ja ja

Flächeninhalts- ja ja ja nur, falls k =1

Umlaufsinn- ja nein ja ja

Übersicht über die bis jetzt angesprochenen Abbildungstypen:

Alle sind winkelmaßtreu (und geradentreu)

orientierungserhaltend -verkehrend Zentri- 180° Schubspiegelungen sche Ro- tationen Id Spiegelungen Stre- Translationen ckun- gen Kongruenzabbildungen

I.3.15 Z

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I.4. Dreieck und Kreis Mittelsenkrechte Wir betrachten in der Ebene zwei Punkte A und B und überlegen anschaulich: Wo be-finden sich die Punkte X , die näher an A liegen, wo die Punkte, die näher an B lie-gen, und wo die, die von A und B gleich weit entfernt sind? — Es ist die Mittelsenk-rechte der Strecke AB , die die Ebene in die entsprechenden drei Bereiche zerlegt. Begründen lässt sich das so: Wenn X auf der Mittelsenkrechten liegt, sind die beiden Dreiecke AMX und BMX kongruent nach dem Kongruenzsatz SWS . Das Dreieck ABX hat also zwei gleich lange Seiten AX und BX und zwei gleich große Winkel in A und in B . Wir bewegen nun X auf der Parallelen zur Seite AB nach links. Dann wird der Winkel in A größer und der in B kleiner. Gemäß der Seiten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck ist dann BX länger als AX . Nimmt man einmal nur die Mittelsenkrechte (und nicht die Halbebenen) in den Blick, dann kann man formulieren: • Wenn X auf der Mittelsenkrechten liegt, dann gilt AX=BX . • Wenn AX=BX gilt, dann liegt X auf der Mittelsenkrechten. Die beiden Aussagen zusammengefasst: • X liegt auf der Mittelsenkrechten. genau dann, wenn (gdw) AX=BX . Daraus folgt direkt für das gleichschenklige Dreieck (mit C statt X ): • In einem gleichschenkligen Dreieck geht

die Mittelsenkrechte der Basis durch die Spitze des Dreiecks.

• Geht in einem Dreieck die Mittelsenkrech-te einer Seite durch die gegenüberliegen-de Ecke, dann ist das Dreieck gleich-schenklig.

Wenn die beiden Seiten AC und BC nicht gleich lang sind, dann

• geht die Mittelsenkrechte der Seite AB nicht durch C , • geht das Lot von C auf die Seite AB nicht durch deren Mittelpunkt M , • steht die Gerade durch C und M nicht senkrecht auf der Seite AB und • ist diese Gerade nicht Winkelhalbierende in C .

I.4.01 Z

I.4.02 Z

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Während die ersten drei Aussagen auf der Hand liegen, werden wir die vierte Aussa-ge erst später (in I.5.) beweisen können. Sie besagt, dass wenn die beiden Winkel ACM und BCM gleich groß sind, dann auch die Seiten AC und BC gleich lang sein müssen. Den Kongruenzsatz SSW können wir hier jedenfalls nicht auf die bei-den Dreiecke AMC und BMC anwenden, weil in beiden der Winkel in C der grö-ßeren der beiden gegebenen Seiten gegenüber liegen müsste. Die Mittelsenkrechten gehören zu den besonderen Linien im Dreieck: Satz von den Mittelsenkrechten im Dreieck:

• In jedem Dreieck schneiden sich die drei Mittelsenkrechten in ei-nem Punkt.

• Jedes Dreieck besitzt einen Um-kreis, d.i. ein Kreis, der durch alle Eckpunkte geht. Der Mittelpunkt des Umkreises ist der Schnitt-punkt der Mittelsenkrechten.

Beweis: Zuerst zeichnen wir die bei-den Mittelsenkrechten der Seiten AB und AC . Die Punkte der einen sind von A und B , die der anderen von A und C gleich weit entfernt. Ihr Schnitt-punkt M (den gibt es immer; wieso?) ist also von allen drei Ecken A , B und C gleich weit entfernt. Insbesondere liegen die drei Ecken auf einem Kreis um M . Nun zeichnen wir die dritte Mittelsenkrechte, die der Seite BC . Würde M nicht auf ihr liegen, dann wäre M näher an B oder an C (weil nur die Punkte auf dieser Mittelsenkrechten von B und C gleich weit entfernt sind). Da aber M ja von B und C gleich weit entfernt ist, muss M auf dieser Mittelsenkrechten liegen. Wenn also ein echtes Dreieck vorliegt (d.h. A , B , C nicht auf einer Geraden liegen), gibt es einen Umkreis. Es gibt einen ein-zigen Umkreis, denn sein Mittelpunkt muss auf dem gemeinsamen Schnittpunkt M der drei Mittelsenkrechten liegen. # Verändert man nun das Dreieck ABC , so liegt sein Umkreismittelpunkt M 'mal inner-halb, 'mal auf dem Rand, 'mal außerhalb von ABC . Bei welcher Eigenschaft des Dreiecks tritt welcher Fall auf? — Wir kom-men später auf diese Frage zurück.

I.4.03 Z

I.4.04 Z

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Alternativer Beweis: Lege einen Kreis durch zwei Ecken des Dreiecks, etwa A und B . Der Kreismittelpunkt liegt dann auf der Mittelsenkrechten von AB . Vergrößere, oder verkleinere den Kreis, wobei er immer durch A und B gehen soll. Der Kreis-mittelpunkt bewegt sich dann auf der Mittelsenkrechten. Tue dies so lange, bis der Kreis auch noch durch die dritte Ecke geht. — Ende der Aktion. Es ist klar, dass man beim selben Umkreis landet, wenn man mit einem anderen Ecken-Paar beginnt; denn sein Mittelpunkt muss ja auf allen drei Mittelsenkrechten liegen. # Analogien zwischen Ebene und Raum Was in der Ebene der Kreis, ist im Raum die Ku-gel. Was in der Ebene das Dreieck, ist im Raum das Tetraeder. Es besteht aus vier, nicht notwen-dig regelmäßigen, Dreiecken. • Wo liegen alle Punkte, die von zwei Ecken

des Tetraeders gleich weit entfernt sind? • Besitzt jedes Tetraeder eine Umkugel? Winkel am Kreis Wir legen in der Ebene zwei Punkte A und B fest und messen für sämtliche Punkte X der Ebene, wie groß der Winkel AXB ist. Nun legen wir ein Winkelmaß fest (z.B. 28,6° , 50° , 90° , 120° ) und suchen alle Punkte X , deren Winkel AXB gerade dieses Maß hat. — Vermutung?

Nach diesen Präliminarien konzentrieren wir uns nun auf Kreise. Zunächst betrach-ten wir folgenden Sonderfall: Satz des Thales (Thales von Milet, um 600 v.Chr.): • Im Kreis sind alle Winkel über einem Durchmesser rechte.

Eigentlich zweifeln wir nicht an dieser Aussage, zumindest wenn wir sie mit der DGS verifiziert haben. Wie bei vielen Beweisen in der Elementargeometrie geht es auch

I.4.05

I.4.07 (Walter Dröge, Kassel)

I.4.06 Z

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hier weniger darum zu demonstrieren, dass der Satz wahr ist, sondern warum er wahr ist, d.h. die zunächst versteckten Zusammenhänge zwischen den Vorausset-zungen und der Aussage aufzuzeigen. Beweis: Gegeben ist also die Strecke AB , ein Kreis durch A und B , dessen Mittelpunkt M auf dem Mittelpunkt der Strecke AB liegt, einer der beiden Halb-kreise um M durch A und B sowie ein Punkt X auf dem Halbkreis ( A≠X≠B ). Mit der Strecke XM entstehen zwei gleichschenklige Dreiecke AMX und BMX mit jeweils zwei gleich großen Ba-siswinkeln α und β . Diese vier Winkel machen zusammen gerade die drei Win-kel des (großen) Dreiecks ABX aus. Die Hälfte davon ergibt die Winkel in A und B , die andere Hälfte den Winkel in X ; also hat dieser 90° . # Zweiter Beweis: Betrachtet man statt der Strecke XM den Strahl von X durch M , so entsteht zu den beiden gleichschenkligen Dreiecken AMX und BMX je ein Au-ßenwinkel an der Spitze, der doppelt so groß ist wie ein zugehöriger Basiswinkel, al-so mit Maßen 2·α und 2·β . Für diese ist 2·α+2·β=180° und damit für den Winkel AXB über dem Halbkreis α+β=90° . # Für die Aussage ist wesentlich, dass der Kreismittelpunkt M auf der Strecke AB liegt, dass diese also Kreisdurchmesser ist. — Während wir beim Vorgehen wie in Abb. I.4.06, das zu einer Einteilung der Ebene wie in I.4.07 führte, das Winkelmaß festlegten und dann beobachteten, dass alle Punkte mit diesem Winkelmaß auf ei-nem Kreisbogen liegen, gehen wir beim Thales-Satz umgekehrt vor: Wir fangen mit einem Kreisbogen an und beweisen, dass alle Punkte darauf dasselbe Winkelmaß haben, in dem Spezialfall des Thales-Satzes 90° . Wir werden jetzt also den Thales-Satz verallgemeinern, und zwar auf Kreis-bögen, deren Mittelpunkt M nicht notwendig auf der Strecke AB liegt (so dass also im Unterschied zur Si-tuation beim Thales-Satz die Strecken AM und BM nicht notwendig auf ein und derselben Geraden liegen). Sei X ( A≠X≠B ) ein Punkt auf einem solchen Kreisbogen. Den Winkel AXB nennen wir Umfangswinkel ξ und AMB Mittelpunktswinkel µ (über der Sehne AB ).

Wie beim (zweiten) Beweis des Thales-Satzes zeichnen wir die Halbgerade von X

I.4.08 Z

I.4.09 Z

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durch M , so dass wieder die beiden gleichschenkligen Dreiecke AMX und BMX und in M wieder die beiden Außenwinkel an deren Spitzen entstehen. Diese erge-ben zusammen den Mittelpunktswinkel µ=AMB . Jedes der beiden Dreiecke trägt einen seiner beiden Basiswinkel zum Umfangswinkel ξ=AXB bei, und schon haben wir einen Beweis geführt für den Satz vom Mittelpunktswinkel:

• Im Kreis ist der Mittelpunktswinkel doppelt so groß wie der Umfangswinkel, wenn diese beiden Winkel über derselben Sehne über demselben Bogen liegen.

Daraus folgt sofort der Umfangswinkelsatz:

• Im Kreis sind die Umfangswinkel über derselben Sehne über demselben Bogen gleich.

D.h. wenn man X den Kreisbogen entlang laufen lässt, ändert sich das Maß des Umfangswinkels nicht, weil dieser ja immer halb so groß wie der Mittel-punktswinkel ist und dieser sich bei festen Punkten A und B nicht än-dert (sondern nur seine Zerlegung in die beiden Dreiecksaußenwinkel). Allerdings liegt der Teufel im Detail. Der Punkt X kann auch so liegen, dass man den Beweis nicht so einfach sieht: X kann so liegen, dass der Umfangs-winkel sich nicht als Summe, sondern als Differenz ξ=β–α der Basiswinkel aus den beiden Dreiecken BMX und AMX ergibt. Dann ist auch der Mittel-punktswinkel die Differenz der ent-sprechenden Außenwinkel µ=2·β–2·α , und er ist erneut doppelt so groß wie der Umfangswinkel. (In der Druck-version haben wir da einen Umfangs-winkel von ξ=63,35°–7,25°=56,1° und einen Mittelpunktswinkel von µ=126,7°–14,5°=112,2° .) Oder X liegt auf dem kürzeren Kreis-bogen. Da sind dann die Außenwinkel der beiden Dreiecke BMX und AMX auf der anderen Seite bezüglich der beiden Schenkel MA und MB , aber Satz und Beweis stimmen immer noch.

I.4.10 Z

I.4.11 Z

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Haben wir also einen Punkt X auf dem einen Bogen und einen Punkt Y auf dem anderen Bogen, dann ergänzen sich die beiden Mittelpunktswinkel zu 360° und folglich die beiden Umfangswinkel zu 180° . Sind die beiden Bögen verschieden lang, dann ist der Umfangswinkel auf dem längeren Bogen spitz und der auf dem kürzeren stumpf. Sind die beiden Bögen gleich lang, dann sind sie Halbkreise, die beiden Mittelpunktswinkel je 180° und die beiden Umfangswinkel je 90° groß (dies ist der Thales-Satz, als Spezialfall des Umfangswinkelsatzes). Lasse den Punkt X um den ganzen Kreis laufen, und beobachte, wie sich die Win-kel ändern, insbesondere auf dem langen Bogen beim Übergang vom additiven zum subtraktiven Zustand, wobei Mittelpunkts- und Umfangswinkel immer gleich groß bleiben. Erst beim Übergang auf den kurzen Bogen (der nicht stetig ist, da für X=A und X=B keine Winkel definiert sind), gibt es eine sprunghafte Änderung, und auf diesem Bogen ist alles wieder konstant. (Cinderella misst dann allerdings nicht mehr die richtigen Winkel, und man muss das Winkelmessen neu festlegen.) • In jedem Kreis ergänzen sich zwei Umfangswinkel auf verschiedenen Sei-

ten derselben Sehne zu 180°. Wir wollen den Thales-Satz und den Umfangswinkelsatz erneut beweisen, und zwar führen wir genuin kinematische Beweise. Dabei machen wir noch einmal deut-lich, dass der Umfangswinkelsatz eine Verallgemeinerung des Thales-Satzes ist. Thales-Satz: In der Thalessatz-Figur lassen wir den Punkt X auf dem Halbkreis-Bogen laufen. Wir beweisen, dass dabei sich das Maß des Winkels AXB nicht ändert. Dazu betrachten wir die beiden (gleichschenkli-gen) Dreiecke AMX und BMX . Die Bewe-gung bis zum Endpunkt X' kann man als Drehung um M um das Winkelmaß δ auf-fassen, bei der die beiden Dreiecke AMX und BMX in die (ebenfalls gleichschenkligen) Dreiecke AMX' und BMX' überge-hen. Dabei nimmt in AMX der Winkel an der Spitze um δ ab, folglich die beiden Basiswinkel zusammen um δ , jeder einzelne Basiswinkel also um δ/2 zu. Entspre-chend nimmt in BMX der Winkel an der Spitze um δ zu, folglich die beiden Basis-winkel zusammen um δ , jeder einzelne Basiswinkel also um δ/2 ab. Der Winkel AXB setzt sich ja aus je einem Basiswinkel aus AMX und aus BMX zusammen, von denen also der eine um δ/2 zu- und der andere um δ/2 abnimmt, so dass ihr Maß zusammen konstant ist. Damit ist gezeigt, dass alle Winkel in X auf dem Halb-kreis gleichgroß sind, aber noch nicht, dass sie 90° groß sind.

Für einen bestimmten Punkt X kann man direkt das Maß zu 90° bestimmen, näm-lich bei dem, der auf dem Lot durch M liegt, wo die beiden gleichschenkligen Drei-ecke AMX und BMX rechtwinklig, ihre Basiswinkel also 45° groß sind. Umfangswinkelsatz: Der Beweis, nun in der Umfangswinkelsatz-Figur, kann wort-wörtlich übertragen werden, außer dem letzten Satz über die Rechtwinkligkeit. Hier muss man stattdessen noch zeigen, dass der Umfangswinkel halb so groß wie der

I.4.12 Z

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Mittelpunktswinkel ist. Dies ergibt sich z.B. wie bei Abb. I.4.09. Allerdings bräuchte man, wenn man dieses nutzt, den kinematischen Beweis nicht mehr, da dann ja der Umfangswinkelsatz direkt folgt. Mir kommt es hier nur auf den kine-matischen Beweis als solchen an. Am Anfang des Abschnitts hatten wir folgende Beobachtung gemacht: Eine Strecke AB legt ja zwei Halbebenen fest. In jeder der beiden Halb-ebenen liegen alle Punkte X , von denen aus man AB unter demselben Winkel sieht, auf ei-nem Kreisbogen. In der ganzen Ebene setzt sich die Menge aller Punkte X mit demselben Umfangswinkel aus zwei solchen Kreisbögen, unterbrochen nur durch die Punkte A und B , zusammen. Dieser Doppelbo-gen ist eine achsensymmetrische Figur. Alle Punkte innerhalb dieses Doppelbogens haben einen größeren, alle außerhalb einen kleineren Umfangswinkel über AB . Umkehrung des Umfangswinkelsatzes:

• Alle Punkte, von denen aus man eine Strecke unter demselben Blickwinkel sieht, liegen (in jeder der beiden durch die Strecke bestimmten Halbebenen) auf einem Kreisbogen. Die Punkte mit kleinerem Blickwinkel liegen außerhalb, die mit größerem Blickwinkel innerhalb dieses Kreisbogens. (Blickwinkel = Umfangswinkel)

Beweis: Sei AB eine Strecke, h eine der Halb-ebenen bezüglich AB und X ein Punkt inner-halb von h . Zeichne den Kreis durch A , B und X (den Umkreis des Dreiecks ABX ). Es ist klar, dass alle Punkte in h , die auf diesem Kreis lie-gen, denselben Umfangswinkel wie X haben. Mit Hilfe der Kongruenzsätze ist klar, dass in der anderen Halbebene die Punkte auf dem entspre-chenden Kreisbogen denselben Umfangswinkel haben. Wir nehmen nun einen Punkt C in h innerhalb des Kreisbogens, zeichnen die Halbgerade von B durch C , erhalten als Schnitt-punkt mit dem Kreisbogen den Punkt D und zeichnen die Strecken AC sowie AD . Im Dreieck ACD ist der Außenwinkel ACB in C (Umfangswinkel von C ) größer als der Innenwinkel ADC in D (Umfangswinkel von D ). — Bei einem Punkt C außerhalb des Kreisbogens vertauscht man einfach die Rollen von C und D und zeigt wie eben, dass nun der Umfangswinkel von D größer ist. #

I.4.15 Z

I.4.13 Z

I.4.14 Z

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Damit haben wir bewiesen, dass das Schwarz-Weiß-Grau-Bild von der Ebene (I.4.07) zutref-fend ist. Bewegt man in I.4.16 bei festen Punk-ten A und B den Punkt M , dann kriegt man sämtliche Kreisbögen in der Ebene über AB . Liegt speziell M auf AB , dann haben alle (von A und B verschiedenen) Punkte auf diesem Kreis einen rechten, alle Punkte innerhalb einen stumpfen und alle Punkte außerhalb einen spit-zen Umfangswinkel. Wenn man sich von der Strecke AB weg bewegt, werden die Umfangs-winkel immer kleiner. Man nennt einen Kreis (-bogen) über einer Seh-ne auch Fasskreis (-bogen), weil er in einer Halbebene bezüglich der Sehne alle Winkel gleichen Maßes "fasst". Konstruktion: Sucht man zu einer gegebenen Strecke AB einen Punkt X , von dem aus man diese unter einem bestimmten Winkel mit Maß ξ , z.B. 70° , sieht, konstruiert man einen der beiden zugehörigen Fasskreisbögen: zunächst das gleich-schenklige Dreieck AMB , dessen Winkel µ in der Spitze 2·ξ ( =140° ) beträgt, d.h. man legt in A und B je einen Basiswinkel mit Maß 90°–ξ ( =20° ) an; dann einen der beiden Kreisbögen von A nach B um M , hier den längeren (bei ξ>90° den kürzeren). # Nach dieser Konstruktion ist auch klar (auf Grund der Kongruenzsätze): • Sind in ein und demselben Kreis zwei Sehnen gleich lang, so sind ihre Um-

fangswinkel auf den langen Bögen gleich groß und die auf den kurzen Bö-gen ebenfalls (entsprechend modifiziert, wenn die Sehnen Durchmesser sind).

Nachdem wir den Umfangswinkelsatz und seine Umkehrung nun vollständig bewiesen haben, wollen wir zu seiner erneuten Plausibilisierung die Möglichkeiten der DGS noch einmal nutzen und an Abb. I.3.07 anknüpfen: Bei festen Punk-ten A und M und Gerade g durch M lassen wir X auf g laufen. Genau dann ist der Winkel AXg halb so groß wie der Winkel AMg , wenn die Strecke MX so lange wie die Strecke MA ist, wenn also A und X denselben Abstand von M haben. Dasselbe gilt für den Zusammenhang der Punkte B , X und M . Also: genau für die Punkte X auf dem Kreis (dem jeweiligen Kreis-bogen) um M durch A und B ist der Umfangs-winkel halb so groß wie der zugehörige Mittelpunktswinkel. Als Spezialfall der Umkehrung des Umfangswinkelsatzes erhalten wir die

I.4.17 Z

I.4.16 Z

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Umkehrung des Satzes von Thales:

• Alle Punkte, von denen aus man eine Strecke unter einem Blickwinkel von 90° sieht, liegen auf dem Kreis, dessen Durchmesser die Strecke ist.

• Anders ausgedrückt: Jeder der beiden Fasskreisbögen eines rechten Win-kels über einer Strecke ist ein Halbkreis über dieser Strecke.

Formuliere noch einmal den Thales-Satz zusammen mit seiner Umkehrung; sowie den Umfangswinkelsatz zusammen mit seiner Umkehrung. Eine Tangente steht ja senkrecht auf ihrem Berührradius. Zeichnet man in den beiden Endpunkten einer Sehne die Tangenten, dann gilt der Satz vom Sehnen-Tangenten-Winkel

• Die beiden Sehnen-Tangenten-Win-kel sind gleich dem Umfangswinkel über der Sehne.

Beweis: Ist ξ der Umfangswinkel, dann ist 2·ξ der Mittelpunktswinkel, und die beiden gleich großen Basiswinkel im Drei-eck AMB betragen zusammen 180°–2·ξ , jeder einzelne also 90°–ξ . Da der Winkel zwischen Berührradius und Tan-gente 90° groß ist und dieser Winkel durch die Sehne AB in zwei Teilwinkel zerlegt wird, von denen der eine 90°–ξ groß ist, bleibt für den anderen ξ übrig, und das ist gerade der sog. Sehnen-Tangenten-Winkel. # Eine andere Umkehrung des Umfangswinkelsatzes als die obige könnte man darin sehen, dass man in einem Kreis verschieden lange Sehnen betrachtet. • Ist in ein und demselben Kreis eine

Sehne kürzer als die andere, so ist ihr Umfangswinkel auf dem langen Bo-gen kleiner und auf dem kurzen Bo-gen größer als der jeweils entspre-chende Umfangswinkel der anderen Sehne (entsprechend modifiziert, wenn eine Sehne Durchmesser ist).

Beweis: Bei zwei Sehnen AB und C'D' kann man (genau) eine Sehne CD zeich-nen, die so lang wie C'D' ist und parallel zu AB verläuft, so dass M nicht zwischen AB und CD liegt. Dann hat man die Situation wie in I.4.19, und es ist (anschaulich) klar: Bewegt man die längere Sehne stetig parallel in Richtung der kürzeren, d.h. von M weg, wird sie immer kürzer, der Winkel über dem Bogen jenseits von M wird immer kleiner und der andere immer größer. #

I.4.18 Z

I.4.19 (Z)

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Umkreis und Umfangswinkel Den Umkreis eines Dreiecks ABC mit sei-nem Mittelpunkt M kann man für jede Seite als deren Fasskreis mit dem gegenüberlie-genden Winkel als Umfangswinkel auffas-sen. Der Winkel ist recht, wenn die zugehö-rige Seite durch M geht (Thales-Satz). Er ist spitz, wenn die Ecke auf dem langen Bogen, d.h. in derselben Halbebene wie M liegt, und er ist stumpf, wenn sie auf dem kurzen Bogen, d.h. in der anderen Halb-ebene als M liegt. Daraus: Für ein Dreieck ABC und seinen Um-kreismittelpunkt M gilt:

• Es ist spitzwinklig gdw M liegt im Inneren von ABC ,

• es hat einen rechten Winkel in C gdw M ist der Mittelpunkt von AB ,

• es ist stumpfwinklig gdw M liegt im Äußeren von ABC .

Aus gegebenen Seiten und Winkeln eines Dreiecks die übrigen zu berechnen, ist Sa-che der Trigonometrie. Ein wichtiges Hilfs-mittel dabei ist der Sinussatz:

• In einem Dreieck sind die Verhältnis-se der Seiten zum Sinus der gegen-überliegenden Winkel gleich, und zwar gleich dem doppelten Radius 2·r des Umkreises:

αsina

= βsin

b =

γsinc

= 2·r

(Daraus auch ba

α

sin

sin und a=2·r·sinα

usw. ─ Prüfe alle diese Verhältnisse, indem du in den Zeichnungen I.4.20–22 bei festen A und B zum einen C gegen c und zum anderen C gegen A laufen lässt.) Im spitzwinkligen Dreieck stellt der Sinus-satz eine Präzisierung der Seiten-Winkel-Korrespondenz dar: Im Bereich von 0° bis 90° ist nämlich die Sinusfunktion eine streng monoton steigende Funktion, d.h.: ist

I.4.20 Z

I.4.22 Z

I.4.21 Z

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dort ein Winkel größer als ein anderer, so ist sein Sinus größer, und dann ist nach dieser Bruchgleichung auch die Seite länger. Der Sinussatz ergibt sich aus folgendem Korrolar des Umfangswinkelsatzes: • Das Verhältnis von Sehne zu Durchmesser ist gleich dem Sinus des Um-

fangswinkels. Beweis: (i) Wir betrachten zunächst ein Dreieck ABC , dessen Winkel γ spitz ist, und seinen Umkreis mit Mittelpunkt M , so-dann das Dreieck ABC* , dessen Ecke C* auf demselben Kreisbogen wie C liegt, und zwar so, dass M auf der Seite AC* liegt. Nach dem Umfangswinkelsatz ist γ*=γ , und nach dem Thales-Satz über der Strecke AC* ist β*=90° . Das in B rechtwinklige Dreieck ABC* liefert gerade die Definition

des Sinus: sinγ*=r2

c⋅

(Gegenkathete durch

Hypothenuse), und es ist ja sinγ=sinγ* . (Hier zeigt sich die Kraft des Umfangswinkelsatzes!) (ii) Ist γ stumpf, dann liegt C auf dem kurzen Bogen bezüglich AB . Wähle C* auf dem langen Bogen wie im obigen Fall beschrieben. Es ist ja γ*=180°–γ spitz, und

wie oben ist sinγ*=r2

c⋅

, und wegen sinγ=sin(180°–γ) gilt auch nun die Behauptung.

(iii) Ist γ=90° , so hat man die Thalessatz-Konfiguration über der Seite c=AB , und es ist sinγ=1 . Wegen c=2·r folgt also auch hier die Behauptung. # Außerdem ergibt sich aus der letzten Aussa-ge mit Hilfe des Umkreises eine Flächeninhaltsformel für das Dreieck:

• Dreiecksflächeninhalt = Produkt der drei Seitenlängen durch vierfachen Umkreisradius.

Gemäß der Zeichnung gilt F = 21

·g·h =

21

·c·hc = 21

·c·a·sinβ = 21

·c·a·r2

b⋅

= r4cba

⋅⋅ .

(Man überlege sich, dass man zum selben Ergebnis kommt, wenn man z.B. mit a als Grundseite beginnt.)

I.4.23 (Z)

I.4.24 (Z)

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Vierecke mit Umkreis Nicht nur Dreiecke besitzen einen Umkreis, manche (nicht alle) Vierecke auch. Ein Vier-eck mit Umkreis heißt auch Sehnenvier-eck. Aus dem Umfangswinkelsatz folgt der Satz vom Sehnenviereck:

• Im Sehnenviereck ist die Summe der gegenüberliegenden Winkel gleich 180° .

Es gilt auch die Umkehrung. Beweis der Umkehrung: Sei in einem Vier-eck α+γ=180° und β+δ=180° . Wir können (in jedem Viereck, bei dem nicht drei Ecken auf einer Geraden liegen; und das ist hier gegeben, weil sonst ein Winkel 0° oder 180° wäre) einen Kreis z.B. durch die drei Ecken A , C , D zeichnen. Zu zeigen ist, dass dieser Kreis auch noch durch B ge-hen muss: Wir nennen die Halbebene bezüglich der Geraden durch A und C , in der D liegt, k und die andere h . Wegen der Winkel-vorgaben muss B in h liegen. Wegen der Umkehrung des Umfangswinkelsatzes ent-hält der Kreis sämtliche Punkte in h , deren Umfangswinkel bezüglich der Sehne AC das Maß β=180°–δ haben. Also enthält er auch B . Ein Parallelogramm besitzt nur dann einen Umkreis, wenn es ein Rechteck ist. Anders ausgedrückt: Wenn ein Parallelogramm kein Rechteck ist, dann hat es keinen Umkreis. Oder: Wenn ein Parallelogramm einen Umkreis hat, dann ist es ein Rechteck. Da jedes Rechteck ein Parallelogramm ist und einen Umkreis hat, gilt also: Ein Paral-lelogramm hat genau dann einen Umkreis, wenn es ein Rechteck ist. Nicht jedes Trapez, nicht jeder Drachen besitzt einen Umkreis. — Unter welchen zu-sätzlichen Bedingungen doch?

I.4.27 Z

I.4.25 (Z)

I.4.26 Z

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I.5. Dreieck und Geraden Mittelsenkrechten und Höhen Neben den Mittelsenkrechten gibt es im Dreieck weitere besondere Geraden, die wir bereits in der Schule kennen gelernt und in der Veranstaltung z.T. schon intuitiv genutzt haben. Wir werden sie nun nach und nach genauer untersuchen: Im Dreieck heißen die drei Lote von den Ecken A , B , C auf die gegenüber lie-genden Seiten a , b , c Höhen (-geraden), ihre Schnittpunkte mit den durch die Seiten bestimmten Geraden Höhenfußpunkte Ha , Hb , Hc (diese können auch außerhalb einer Dreieckseite oder in einer Ecke liegen; in welchen Fäl-len?) und die Strecken AHa , BHb , CHc bzw. deren Längen (= Abstände der Ecken von den gegenüberliegenden Sei-ten) Höhen ha , hb , hc . (Zwischen den Geraden, Strecken und Längen wird, wie gesagt, nicht immer unterschieden, wenn keine Irrtümer möglich sind.) Wir wollen nun zeigen, dass die drei Höhen eines Dreiecks sich in einem Punkt schneiden (den wir H nennen). Wir füh-ren den Beweis für das kleine Dreieck ABC in Abb. I.5.03 und benutzen dabei das große Dreieck A'B'C' als Hilfsfigur. Die beiden Dreiecke ABC und A'B'C' sind in einem tiefen Sinne verwandt: Aus-gehend von ABC kann man A'B'C' durch Zeichnen gewisser Parallelen er-zeugen. Wie?

Von der Parallelität kann man auf die Gleichheit gewisser Winkel schließen. Mit welchen Sätzen?

Das große Dreieck A'B'C' besteht aus vier kleinen Dreiecken. Alle vier Dreiecke haben entsprechend gleiche Winkel. Warum?

Zwei benachbarte kleine Dreiecke sind kongruent. Nach welchem Kongruenz-satz?

Also stimmen die vier kleinen Dreiecke auch in entsprechenden Seitenlängen über-ein. Dies noch etwas anders ausgedrückt: Die Eckpunkte des Dreiecks ABC sind die Seitenmitten im Dreieck A'B'C' .

I.5.03

I.5.01 Z

I.5.02 Z

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Demnach sind die Mittelsenkrechten des Dreiecks A'B'C' zugleich die Höhengera-den des Dreiecks ABC . ─ Wieso? Aus dem Satz von den Mittelsenkrechten folgt somit der Satz von den Höhen (-geraden) im Dreieck:

In einem Dreieck schneiden sich die Höhen (-geraden) in einem Punkt. Man kann auch, wenn man zuerst A'B'C' hat, durch Parallelenbildung das kleine Dreieck ABC erzeugen, dessen Ecken die Seitenmitten des großen Dreiecks und dessen Seiten parallel zu denen des großen Dreiecks sind. Konstruktion: (i) Dazu zeichnet man, etwa durch die Mitte A von B'C' , die beiden Parallelen zu C'A' und B'A' . Dass die beiden entstehenden Schnittpunkte B und C auf der Mitte von A'C' bzw. von A'B' liegen und dass die entstehende Strecke BC parallel zu B'C' ist, steht nicht automatisch fest, sondern ist zu beweisen. (ii) Die beiden Dreiecke CB'A (links oben) und BAC' (unten) sind kongruent nach

dem Stufenwinkelsatz bezüglich und und nach dem Kongruenzsatz WSW, weil die Seiten AB' und AC' gleich lang sind. Also sind AC und C'B sowie AB und B'C gleich lang.

(iii) Nach (i) hat der Winkel im Dreieck ABC in A das Maß 180°– – = . Mit dem

Kongruenzsatz SWS zu ergibt sich, dass das (innere) Dreieck ABC kongruent zu den beiden bisher betrachteten kleinen Dreiecken CB'A und BAC' ist. Also treten im

inneren Dreieck auch die beiden Winkel und auf, die Seite BC ist parallel zu C'B' und so lang wie AB' und AC', also halb so lang wie C'B' . (iv) Damit treten auch im kleinen Dreieck A'CB (rechts oben) entsprechend die Win-

kel , und auf, und wegen der gemeinsamen Seite BC mit dem inneren Drei-eck besteht auch hier Kongruenz (nach Kongruenzsatz WSW). (v) Alle vier kleinen Dreiecke sind also kongruent, die Strecken B'C und A'C sowie C'B und A'B sind auch kongruent, und BC ist parallel zu C'B'. — Damit halbieren also die drei Ecken des inneren Dreiecks die Seiten des großen, und die Seiten des inneren Dreiecks sind parallel zu denen des äußeren. # Bei dieser Konstruktion kann wieder Abb. I.5.03 verwendet werden. Lediglich der Entstehensprozess ist ein anderer als bei der Konstruktion von A'B'C' aus ABC . Ab jetzt (wo alles bewiesen ist) können wir mit Fug und Recht über die beiden Dreie-cke in I.5.03 sagen: Das kleine Dreieck ist das Seitenmittendreieck des großen. Die Seiten des kleinen sind halb so lang wie die des großen und parallel zu diesen. Geht man von einem der beiden Dreiecke aus, gibt es verschiedene Vorgehenswei-sen, das jeweils andere zu konstruieren (s.a. Übung). Naheliegend ist: Vom großen

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Dreieck die Seitenmitten nehmen; zum kleinen Dreieck die Parallelen zu den Seiten durch die gegenüberliegenden Ecken zeichnen. Dann ergeben sich jeweils alle Ei-genschaften. Führt man die beiden Vorgehensweisen abwechselnd durch, erhält man abwechselnd die beiden Dreiecke. In der elementaren Geometrie scheinen uns Konstruktionen näher zu liegen als Be-weise. Aber jetzt erkennt man deutlich, dass eine Konstruktion letztlich nichts ande-res als ein Beweis ist, nämlich der Beweis für die Korrektheit der Konstruktion. S.o. (i). Winkelhalbierenden "Einen Winkel halbieren" heißt, zu den beiden Schenkeln a und b einen dritten Schenkel c ("zwischen" a und b ) an-zugeben, so dass der Winkel zwischen a und c so groß wie der Winkel zwischen c und b ist; man nennt c die Winkel-halbierende. Problem bei überstumpfen Winkeln!? (Diese betrachten wir in diesem Abschnitt nicht.) Winkelhalbierende als Mittellinie

Ist Q eine beliebiger Punkt auf der Winkelhalbierenden, dann hat Q von den beiden Schenkeln a und b den gleichen Abstand.

Beweis: Sei Q ein beliebiger Punkt auf der Winkelhalbierenden. Wir fällen von Q aus die Lote auf a sowie b und erhalten die Lotfußpunkte A und B (die rechten Winkel liegen an A und an B und nicht an Q !). Nach dem Kongruenzsatz SWW sind die beiden Dreiecke SAQ und SBQ kongruent und folglich die beiden Stre-cken QA und QB gleich lang. # Wir betrachten in der Ebene zwei Geraden a und b , die nicht pa-rallel sind, sondern sich in einem Punkt S schneiden und vier Winkel definieren. Wir zeichnen die vier Winkelhalbierenden ein:

Die Winkelhalbierenden von Nebenwinkeln sind orthogonal.

Die Winkelhalbierenden von Scheitelwinkeln ergeben zusammen eine Ge-rade.

I.5.04 Z

I.5.05 Z

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Beweis: Zwei Nebenwinkel und ergeben ja zusammen 180° . Ihre Winkelhal-

bierenden schließen zusammen 2

und 2

, also 90° ein. Der zweite Teil ergibt

sich daraus, dass der Scheitelwinkel der Nebenwinkel des Nebenwinkels ist. # Für jeden Punkt X der Ebene stellen wir fest, ob er näher an a , näher an b oder von beiden gleich weit entfernt ist. Offenbar haben in jedem der vier Winkelfelder die Punkte auf der Winkelhalbierenden von den beiden Schenkeln denselben Abstand. Rückt X von der Winkelhalbierenden weg, nähert er sich auf offensichtliche Weise einem der Schenkel und entfernt sich vom anderen. Offensichtlich wird die Ebene durch die vier orthogonalen Winkelhalbierenden in vier Quadranten eingeteilt, in de-nen X näher an a bzw. näher an b liegt, während X auf den Winkelhalbierenden gleich weit von a und b entfernt ist.

In der Tat gilt auch die Umkehrung der Mittellinien-Eigenschaft der Winkelhalbierenden:

Hat Q in einem Winkelfeld den gleichen Abstand von den beiden Schen-keln a und b , dann liegt Q auf der Winkelhalbierenden.

Beweis: Sei Q ein Punkt, der von den beiden Schenkeln denselben Abstand hat. Wir fällen wieder von Q aus die Lote auf a sowie b und erhalten die Lotfußpunkte A und B . In den beiden entstehenden Dreiecken SAQ und SBQ sind die Seiten SQ identisch, die Seiten QA und QB gleich lang und die Winkel in A und in B sind gleich groß, nämlich 90° . Somit sind die Winkel in A bzw. in B die größten in den Dreiecken SAQ bzw. SBQ , sie liegen jeweils der größten Seite gegenüber, und wir können den Kongruenzsatz SSWgr anwenden (vgl. die Bemerkung auf S.15): SAQ und SBQ sind also kongruent, und damit sind die beiden entsprechenden Winkel in S kongruent, d.h. die Strecke SQ halbiert den Ausgangswinkel. # Beim Vergleich der beiden Beweise des Satzes "Winkelhalbierende als Mittellinie" und seiner Umkehrung stellt man fest: Beides Mal wurde ein Kongruenzsatz benutzt. Beim ersten war SWW gegeben und wurde eine Seitenkongruenz bewiesen. Beim zweiten war SSWgr gegeben und wurde eine Winkelkongruenz bewiesen. — Bei beiden Beweisen ergibt sich dieselbe Zeichnung I.5.04; lediglich deren Entstehensprozess ist unterschiedlich. Den Satz über die Mittellinien-Eigenschaft der Winkelhalbierenden und seine Umkeh-rung können wir so zusammenfassen: In jedem Winkelfeld gilt:

Q liegt auf der Winkelhalbierenden gdw Q hat den gleichen Abstand von den beiden Schenkeln a und b.

Hinweis: Jeder Winkel ist achsensymmetrisch mit der Winkelhalbierenden als Spiegelachse.

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Winkelhalbierenden im gleichschenkligen Dreieck

In einem gleichschenkligen Dreieck ist die Mittelsenkrechte der Basis zugleich Winkel-halbierende des Winkels an der Spitze. D.h.: wenn eine Gerade Mittelsenkrechte ist, dann ist sie Winkelhalbierende.

In einem gleichschenkligen Dreieck ist die Winkelhalbierende des Winkels an der Spitze zugleich Mittelsenkrechte der Basis. D.h.: wenn eine Gerade Winkelhalbierende ist, dann ist sie Mittelsenkrechte.

Beweis: Wir bezeichnen das gleichschenklige Drei-eck mit ABC , wobei AB Basis, C Spitze, M Mittelpunkt der Basis und P der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden in C mit der Basis ist. (Zu zeigen ist beides Mal: M=P .) Wir wissen bereits, dass im gleichschenkligen Dreieck die Basiswinkel gleich groß sind und dass die Mittelsenkrechte durch die Spitze C gehen muss. (i) Bei der ersten Aussage des Satzes vergleichen wir die beiden Dreiecke AMC und BMC . Außer den Winkeln in A und B sind auch die beiden Winkel in M gleich groß, nämlich 90° . Nach dem Winkelmaßsummensatz müssen auch die bei-den Winkel in C gleich groß sein, d.h. der Strahl von C durch M ist die Winkelhal-bierende des Winkels ACB . Außerdem ist P=M . (ii) Bei der zweiten Aussage des Satzes vergleichen wir die beiden Dreiecke APC und BPC . Außer den Winkeln in A und B sind nach der Voraussetzung auch die beiden Winkel in C gleich groß. Nach dem Winkelmaßsummensatz müssen auch die beiden Winkel in P gleich groß sein. Da diese beiden zusammen 180° erge-ben, ist jeder 90° groß. In den beiden Dreiecken stimmen nun fünf (!) "Stücke" ent-sprechend überein, und wir können mehrere Kongruenzsätze anwenden, damit auch noch das sechste "Stück" entsprechend übereinstimmt, z.B. WSW mit der Seite AC bzw. BC . Also ist M=P und die Gerade durch P und C die Mittelsenkrechte der Basis. # Im gleichschenkligen Dreieck ist die Mittelsenkrechte der Basis nicht nur zugleich Winkelhalbierende des Winkels in der Spitze, sondern auch Höhengerade durch die Spitze und Symmetrieachse. Problem: Teile in einem gleichschenkligen Dreieck ABC die Ba-sis AB durch zwei Teilpunkte P und Q in drei gleich lange Teile und verbinde P und Q mit der Spitze C .

Zeige: Die Strecken PC und QC sind gleich lang.

Frage: Sind auch die drei Teilwinkel an der Spitze gleich groß?

I.5.06

I.5.07

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Winkelhalbierenden und Inkreis Die Winkelhalbierenden gehören zu den besonderen Linien im Dreieck. Es gilt: Satz von den Winkelhalbierenden im Dreieck:

In einem Dreieck schneiden sich die Winkelhalbierenden in einem Punkt.

Jedes Dreieck besitzt einen Inkreis, d.h. einen Kreis, der alle Seiten be-rührt. Der Mittelpunkt des Inkreises ist der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden.

Beweis (vergleiche auch mit dem Beweis zum Umkreismittelpunkt): Das Dreieck ist die gemeinsame Schnittfläche der drei (unbeschränkten) Winkelfel-

der , und .

Zeichne die beiden Winkelhalbierenden der Winkel und (als Strahlen ab A bzw. ab B ). Ihre Punkte im Inneren des Dreiecks haben denselben Abstand von b und c bzw. von a und c . Der Schnittpunkt W der beiden (existiert auf jeden Fall im Inneren des Dreiecks) hat dann denselben Abstand von den drei Seiten des Drei-ecks, und es gibt einen Kreis um W , der die drei Seiten berührt, den Inkreis. W ist insbesondere auch von a und b gleich weit entfernt. Nach der Umkehrung des Satzes über die Winkelhalbierende als Mittellinie muss auch die Winkelhalbie-

rende von durch W gehen. Es gibt einen einzigen Inkreis, denn sein Mittelpunkt muss ja W sein. # Was heißt eigentlich "Berühren des Inkreises"? Fällt man das Lot von W auf eine der Dreiecksseiten, erhält man den Lotfußpunkt P . Alle Punkte Q auf dieser Drei-ecksseite sind ja weiter von W entfernt als P . Also ist P der einzige Punkt dieser Seite, der zugleich auf dem Kreis liegt: Seite und Kreis "berühren" sich; die Seite ist also Tangente zum Kreis. Zusätzlich ist ein Anschmiegen (Begriff aus der Analysis!) von Tangente und Kreis aneinander ersichtlich. Alternativer Beweis: Klemme einen kleinen Kreis in der Nähe einer Ecke zwischen die zwei Seiten. Der Kreismittelpunkt liegt dann auf der Winkelhalbierenden. Blähe den Kreis auf, wobei die Berühr-Eigenschaft erhalten bleiben soll. Der Kreismittelpunkt bewegt sich auf der Winkelhalbierenden von der Ecke weg, bis der Kreis auch noch die dritte Seite berührt. Es ist klar, dass man beim selben Inkreis landet, wenn man in einer anderen Ecke anfängt; denn sein Mittelpunkt muss ja auf allen drei Winkelhalbierenden liegen. #

I.5.08 Z

I.5.09 Z

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Winkelhalbierenden und Ankreis Verlängere im Dreieck ABC die drei Seiten a , b und c zu Geraden, und nenne die-se auch entsprechend a , b , c . Es entstehen drei Be-reiche außerhalb des Drei-ecks, die jeder von diesen drei Geraden begrenzt wer-den. Jeder solche Bereich ist die Schnittfläche zweier Dreieckaußenwinkel, z.B. der Außenbereich, der der Seite b anliegt, mit den bei-den Halbgeraden a und c . Die beiden Winkelhalbieren-den der beiden Außenwinkel in A und in C sind von b und c bzw. von a und b gleich weit entfernt. Sie schneiden sich in einem Punkt; wir nennen in Wb . Er ist von a , b und c gleich weit entfernt, und es gibt im betrachteten Außenbereich einen Kreis um Wb , der a , b und c berührt, der Ankreis. Darüber hinaus ist die Win-kelhalbierende des Innenwinkels in B , die im Dreieck beginnt, die Seite b schnei-det und im betrachteten Außenbereich weiterläuft, ja von a und c gleich weit ent-fernt und muss daher durch Wb gehen. Die Zeichnung erinnert uns daran, dass die Winkelhalbierenden der sechs Außen-winkel senkrecht auf den entsprechenden Winkelhalbierenden der drei Innenwinkel stehen. Die drei Ankreismittelpunkte bilden also ein Dreieck, auf dessen Seiten die Ecken des ursprünglichen Dreiecks ABC liegen, und dessen Winkelhalbierenden sind die Höhen des Ankreismittelpunktedreiecks WaWbWc .

I.5.10 Z

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Höhen und Winkelhalbierenden Wir haben gerade (lediglich mit ande-ren Bezeichnungen) ohne große An-strengung festgestellt: Wenn man zu einem Dreieck DEF sein Ankreis-mittelpunktedreieck ABC konstruiert, dann sind die Winkelhalbierenden des kleinen Dreiecks die Höhengeraden des großen Dreiecks. Die Aussage wird jetzt verallgemei-nert, indem wir nun direkt mit einem (großen) Dreieck ABC anfangen, oh-ne vorauszusetzen, dass es das Ankreismittelpunktedreieck eines anderen Dreiecks ist. Wir setzen voraus, dass es spitzwinklig ist, und betrachten sein Höhenfußpunktedreieck DEF . Dann gilt

In einem spitzwinkligen Dreieck sind die Höhen (-geraden) zugleich die Winkelhalbierenden im Höhenfußpunktedreieck.

Wir haben hier einen ähnlichen Zusammenhang wie den vom Anfang des Abschnitts: Dort gelangt man von einem (großen) Dreieck durch Seitenmitten-Bildung zu seinem (kleinen) Seitenmittendreieck und durch Parallelen-Bildung zum ursprünglichen Drei-eck zurück (entsprechend vom kleinen Dreieck zum großen und zurück). Dabei tau-schen die Mittelsenkrechten und die Höhengeraden jeweils ihre Rollen. Hier gelangt man von einem (großen) spitzwinkligen Dreieck durch Höhen-Bildung zu seinem (kleinen) Höhenfußpunktedreieck und durch Ankreis-Bildung wieder zum ur-sprünglichen Dreieck zurück (entsprechend vom kleinen Dreieck zum großen und wieder zurück). Dabei tauschen die Höhengeraden und die Winkelhalbierenden je-weils ihre Rollen. Es ist offensichtlich, dass man die Operation mit einem großen recht- oder stumpf-winkligen Dreieck nicht durchführen kann, und man kann zeigen, dass das Ankreismittelpunktedreieck immer spitzwinklig ist, egal, von welchem Dreieck man ausgeht.

I.5.11 Z

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Beweis des Satzes: D , E , F seien die Fußpunkte der Höhen durch A , B , C . Bekanntlich schneiden sich die Höhen in einem Punkt, dem Höhenschnittpunkt H . Voraussetzung: Das Dreieck ABC ist spitzwinklig; das bedeutet: Alle Höhen verlaufen bis zu ihrem Fußpunkt im Innern des Dreiecks ABC . Behauptung:

Die Winkel HFE und HFD sind gleich groß.

Die Winkel HDE und HDF sind gleich groß.

Die Winkel HED und HEF sind gleich groß. Beweis: Wir beweisen lediglich die 1. Aussage; die übrigen Beweise verlaufen in gleicher Weise. Der Beweis basiert auf zwei Ideen: Die beiden Dreiecke ACD und BCE haben je einen rechten Winkel (in D und in E ). Außerdem haben sie in C einen gemeinsamen Winkel. Folglich sind ihre beiden dritten Winkel DAC und EBC gleich groß. Nun betrachten wir das Viereck AFHE . Da seine Winkel in F und in E beide 90° groß sind, ist die Summe der Maße dieser beiden einander gegenüber liegenden Winkel 180° , und dann ist natürlich die Summe der Maße der beiden anderen ei-nander gegenüber liegenden Winkel, nämlich in A und in H , ebenfalls 180° . AFHE ist also ein Sehnenviereck, d.h. die vier Punkte A , F , H , E liegen auf einem Kreis. Diesen fassen wir als Fasskreis über der Sehne HE auf, so dass sich die beiden Umfangswinkel HAE und HFE als gleich groß erweisen. Aus einer analogen Überlegung (welcher?) folgt, dass die Winkel HFD und HBD gleich groß sind. Daraus folgt für die Winkelmaße (erläutere die einzelnen Gleichsetzungen) HFE = HAE = DAC = EBC = HBD = HFD . Also ist die Höhengerade FH des großen Dreiecks tatsächlich Winkelhalbierende im kleinen Dreieck DFE . #

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Zum Schluss drei "Minimal"-Aufgaben Der kürzeste Umweg Gegeben sind eine Gerade g und zwei Punkte A und B außerhalb der Geraden. Sei C ein beliebiger Punkt auf g . ("Beliebig" heißt bei der DGS-Konstruktion, dass man C auf g bewe-gen kann, ohne die Gerade g zu bewegen!) Bewege C auf der Geraden g , und miss die Länge des Weges von A über C nach B

(d.h. die Summe der Streckenlängen AC und CB ). — An welcher Stelle Cmin der Geraden g ist der Weg minimal? — Wie kann man den Punkt Cmin exakt kon-struieren? — Warum ist der Weg über Cmin dann minimal? Der kürzeste Rundweg Gegeben sind zwei sich schneidende Geraden g und h sowie ein Punkt A außerhalb der bei-den Geraden. Das Winkelfeld zwischen den bei-den Geraden, in dem A sich befindet, soll spitz sein. Sei B ein beliebiger Punkt auf g und C ein beliebiger Punkt auf h . Zeichne die Stre-cken AB , BC und CA , miss ihre Längen und bestimme die Länge des Rundweges von A über B und C nach A zurück. Bewege B auf g und C auf h . An welchen Stellen Bmin und Cmin ist der Rund-weg minimal? — Wie kann man die Punkte Bmin und Cmin exakt konstruieren? Was ist anders, wenn das Winkelfeld, in dem A sich befindet, recht oder stumpf ist? Das Problem von Fagnano (1775) Gegeben ist ein spitzwinkliges Dreieck DEF und auf jeder Dreiecksseite ein beliebiger Punkt (keine Ecke): A auf EF , B auf DF , C auf DE . — Zeichne den Rundweg ABCA , und miss seine Länge. Bewege A , B , C auf den jeweiligen Seiten des großen Dreiecks. — An welchen Stellen Amin , Bmin und Cmin ist der Rundweg mini-mal? — Wie kann man die Punkte Amin , Bmin und Cmin exakt konstruieren?

I.5.13 Z

I.5.12 Z

I.5.14 Z

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Satz von Fagnano

Im spitzwinkligen Dreieck ist der kürzeste Rundweg, der alle drei Seiten be-rührt, der zwischen den Höhenfußpunkten.

(Wäre das Dreieck nicht spitzwinklig, würden die Höhenfußpunkte nicht auf den Seiten - ohne die Ecken - liegen, und der Satz könnte gar nicht so formuliert werden.)

Beweis: (i) Wir spiegeln A an DF und erhalten A' sowie an DE und erhalten A" . Zunächst zeigen wir, dass die Strecke A'A" das Dreieck DEF durchquert, indem sie die Seiten DF und DE schneidet: Wegen der spitzen Winkel in F und in E liegen die Punkte A' und A" in dersel-ben Halbebene bezüglich der Geraden EF , in der auch die Ecke D liegt.

Nun nehmen wir den Winkel = A'DA" in den Blick: Er ist doppelt so

groß wie der Winkel =FDE im

Ausgangs-Dreieck; denn = w(A'DA)+w(ADA") = w(A'DF)+ w(FDA)+w(ADE)+w(EDA") =

2·w(FDA)+2·w(ADE) = 2· , und zwar gilt dies, weil DF und DE als Spiegelachsen die Winkel w(A'DA) und w(ADA") halbieren.

Da spitz ist, ist <180° , und damit ist der Winkel A'DA" in Rich-tung des Dreiecks FDE geöffnet. (ii) Die Streckenzüge ABCA und A'BCA" sind gleich lang (warum?). Unter allen Streckenzügen von A' nach A" ist die Strecke (gerade Verbindung) der kürzeste. D.h. bei festem A liefern die Schnittpunkte der Strecke A'A" mit den Dreiecks-seiten, in der Zeichnung Bmin und Cmin genannt, den kürzesten Rund-weg für diesen Punkt A .

(iii) Wir radieren nun den Rundweg aus und betrachten nur noch die Strecke A'A" , deren Länge ja die des Rundwegs ist und mit der wir die beiden Punkte B und C und damit den Rundweg jederzeit rekonstruieren können. Wir bewegen A auf seiner Seite (wobei sich A' und A" mit bewegen) und stellen fest, bei welcher Lage von A die Strecke A'A" am kürzesten ist.

Dazu nehmen wir das Dreieck A'DA" in den Blick: Es ist gleichschenklig; denn die beiden Seiten A'D und A"D sind beide Spiegelbilder der Strecke AD , also beide

so lang wie diese, also gleich lang. In (i) haben wir gezeigt, dass der Winkel in der

Spitze 2· groß ist. Daraus ergibt sich für die beiden Basiswinkel je 90°– .

I.5.16 Z

I.5.15 Z

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Dies gilt für jede Lage von A , d.h. wenn wir A wandern lassen, wandert zwar auch das Dreieck A'DA" , aber seine Gleichschenkligkeit und seine drei Winkelmaße

bleiben immer erhalten, da diese nur vom Winkel des Ausgangsdreiecks DEF abhängen und dieser ja fix ist. — Unter allen Lagen von A suchen wir nun diejenige, bei der die Basis A'A" des gleichschenkligen Dreiecks A'DA" am kürzesten ist. Dies ist gleichwertig damit, dass dessen Schenkel am kürzesten sind.

(Wenn in zwei Dreiecken alle drei Winkel entsprechend übereinstimmen, dann weiß man aus der Ähnlichkeitslehre, dass die drei Verhältnisse aus den Seiten des einen Dreiecks zu den entsprechenden des anderen Dreiecks gleich sind; d.h. wenn eine Seite des einen Dreiecks länger ist als die entsprechende Seite des anderen Drei-ecks, dann gilt dies für die beiden anderen Seiten auch. — Allerdings haben wir die Ähnlichkeitslehre in dieser Veranstaltung noch nicht behandelt. — Stattdessen kön-nen wir den Sinussatz benutzen: Wenn in zwei — spitzwinkligen — Dreiecken alle drei Winkel entsprechend übereinstimmen, dann sind die Sinus entsprechend gleich,

und man hat in den beiden Dreiecken sin

a =

sin

b =

sin

c sowie

sin

'a =

sin

'b =

sin

'c und daraus

'a

a =

'b

b =

'c

c .)

Die Schenkel A'D=A"D sind dann am kürzesten, wenn die Strecke AD am kürzes-ten ist. Dies ist der Fall, wenn A der Lotfußpunkt (= Höhenfußpunkt) von D auf EF ist. (iii) Dieselbe Betrachtung führen wir für die Punkte B und C durch. Angenommen, wir hätten einen minimalen Rundweg gefunden, wo B der Höhenfußpunkt ist, A aber nicht. Dann wäre das doch nicht ein minimaler Rundweg, denn durch Bewe-gung von A hin zu seinem Höhenfußpunkt könnte der Rundweg noch verkürzt wer-den. Also müssen alle drei Punkte A , B , C in ihren entsprechenden Höhenfuß-punkten liegen. # Das erste dieser Probleme kann man auch als Rundweg-Minimierung auffassen: Welches ist der kürzeste Rundweg von A über die Gerade und B zurück nach A ? Außerdem kann man noch ein nulltes (triviales) Rundweg-Problem betrachten: Ge-geben sind 3 verschiedene Punkte A , B und C . Welches ist der kürzeste Rund-weg von A über B und C zurück nach A ? Insgesamt haben wir jetzt vier Probleme, wo jeweils drei Stücke gegeben sind, zwischen denen ein kürzester Rundweg gesucht ist. Beim nullten Problem sind 3 Punkte und 0 Geraden gegeben. Beim Übergang zum jeweils nächsten Problem wird die Zahl der Punkte um 1 vermindert und die der Geraden um 1 erhöht, bis schließlich 0 Punkte und 3 Geraden gegeben sind. Wie wir gesehen haben, wird dabei das Rundweg-Problem immer schwieriger. Das ist plausibel: Bei einem Punkt weiß man genau die Stelle, über die der Rundweg gehen muss. Bei einer Gerade muss diese Stelle zuerst ermittelt werden, und je mehr Geraden dabei sind, desto größer ist die (durch Wechselwirkung zusätzlich gesteigerte) Unsicherheit.

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I.6. Ortslinien Ortslinien oder Ortskurven kann man auf zwei Arten charakterisieren: • statisch: als Menge aller derjenigen Punkte, die einer bestimmten Bedingung

genügen, • dynamisch: als Bahn eines sich bewegenden Punktes. (Eigentlich bedeutet

"dynamisch" in der Physik "unter Berücksichtigung von Kräften". Das ist hier ja nicht der Fall. Trotzdem ist die Bezeichnung gebräuchlich.)

Eigentlich ist die Rede vom sich bewegenden Punkt nicht korrekt . In der Ebene als Punktmenge bewegt sich nichts. Es sind wir, die wir Geometrie treiben, die wir uns die Bewegung einbilden, sie uns suggerieren, indem wir nacheinander die Punkte auf einer (gezeichneten oder gedachten) Linie betrachten oder indem wir eine Linie er-zeugen (mit dem Stift oder dem Computer zeichnen) und die Punkte (Pixel!) nach-einander betrachten, wie sie eingefärbt werden. Diese Einfärbung ist im Prinzip nichts anderes als das Stück Pappe, mit dem wir bei den geometrischen Abbildun-gen zwei Figuren miteinander verglichen haben. Es sind optische Hilfsmittel für uns. — Trotzdem werden wir uns auch in Zukunft der suggestiven Redeweise von sich bewegenden Punkten oder Figuren befleißigen, da wir ja jetzt wissen, was sie eigent-lich bedeutet. Dass man verschiedenen Punkten auf einer Linie denselben Buchstaben zuweist, z.B. B (mit der Vorstellung " B bewegt sich und ist 'mal da, 'mal dort"), ist eigentlich nicht korrekt. Man denkt sich vielmehr, dass man als die oder der Geometrietreiben-de zu verschiedenen Zeitpunkten t verschiedene Punkte betrachtet, und nennt die-se dann Bt . t kann z.B. eine Zahl zwischen 0 und 1 sein, und während man die Ortslinie durchläuft, vergeht die Zeit von 0 bis 1 , und man kommt durch die Punkte Bt von t=0 bis t=1 , d.h. man läuft von B0 bis B1 . t kann auch alle nicht-negati-ven Zahlen durchlaufen, z.B. bei einer Halbgeraden als Ortslinie, und t kann sogar negativ werden, etwa bei einer ganzen Gerade als Ortslinie. Beispiele für statisch definierte Ortslinien: Menge aller Punkte, Ortslinie • die von einer festen Geraden g den

Abstand a haben: die beiden Parallelen zu g im Abstand a

• die von zwei festen Punkten A und B denselben Abstand haben:

die Mittelsenkrechte von AB

• die von zwei Geraden g und h denselben Abstand haben:

die Mittelparallele , falls die Geraden par-allel sind, die vier Winkelhalbierenden

sonst • die von einem festen Punkt P den

Abstand a haben:

Kreis um P mit dem Radius a • von denen man eine Strecke AB un-

ter einem Blickwinkel von 90° sieht

Kreis mit dem Durchmesser AB • von denen man eine Strecke AB un-

ter einem festen Blickwinkel α sieht Doppelkreisbogen über der Sehne AB

und dem zugehörigen Mittelpunktswinkel 2·α (s. Abb. I.4.12)

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Die DGS erlaubt insbesondere, dynamisch definierte Ortslinien darzustellen. Ent-steht dabei eine bekannte Ortslinie (z.B. Gerade, Kreis), sollte man stets hinterfra-gen: Warum ist das so? Hätte man das auch ohne DGS vorhersagen können? 1. Beispiel: Gegeben zwei Punkte A und B sowie zwei sich schneidende Kreise um A bzw. B mit gleichem Radius. Sei P einer der Schnittpunk-te der beiden Kreise. — Verändere den Radius der beiden Kreise. Auf welcher Ortslinie bewegt sich P ? 2. Beispiel: Gegeben eine Gerade a und ein (fester) Punkt A . Sei B ein beliebiger Punkt auf a . Konstru-iere die Punkte C und D so, dass das Vier-eck ABCD ein Quadrat ist. — Bewege nun den Punkt B auf der Geraden a . Auf welchen Ortslinien bewegen sich die Eckpunkte C und D des Quadrats? Gib die Lage der Ortslinien relativ zu den Elementen a und A an. Lösung von Konstruktionsproblemen mit Hilfe von Ort slinien 3. Beispiel: Gegeben ein Kreis um M mit dem Radius r und ein Punkt A . Sei B ein beliebiger Punkt auf dem Kreis. Konstruiere die Punkte C und D so, dass ABCD ein Quadrat ist. (Es gibt zwei Möglichkeiten; entscheide dich für eine.) — Bewege nun den Punkt B auf dem Kreis. a) Auf welcher Ortslinie bewegt sich der Eck-punkt D des Quadrats? — Es ist "offensicht-lich" ein Kreis mit dem Radius r . — Wie könn-te man, zu gegebenem M und A , den Mittelpunkt dieses von D beschriebenen Kreises konstruieren? Lösung : Betrachte die Rotation (der ganzen Ebene) um A um 90° gegen den Uhrzeigersinn. Darauf kommt man auf Grund der Konstruktion von D aus B , und

I.6.01 Z

I.6.02 Z

I.6.03 Z

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zwar unabhängig davon, wo B liegt. Sei M' das Bild von M unter dieser Rotation. Jedes Bild D eines Kreispunkts B hat von M' denselben Abstand wie B von M , nämlich r . Also bilden die Bilder von B den Kreis um M' mit Radius r . Also ist M' das Bild von M unter dieser Rotation, und die Ortslinie von D ist der Kreis um M' mit Radius r . # Würde B auf irgendeiner anderen Linie laufen, dann wäre die Ortslinie von D die dazu kongruente, um 90° um A gedrehte Linie. — Eigentlich ist nicht das Quadrat ABCD , und schon gar nicht der Kreis das Wesentliche, sondern die Tatsache, dass D aus B durch die Rotation um A um 90° nach links festgelegt ist. b) Auf welcher Ortslinie bewegt sich der Eckpunkt C des Quadrats? — Es ist "of-fensichtlich" wieder ein Kreis, diesmal mit einem größeren Radius. Lösung: Die geometrische Abbildung, die B auf C abbildet, ist jedoch keine Rota-tion, sondern: Betrachte zunächst die Rotation um A um 45° gegen den Uhrzei-gersinn und anschließend die zentrische Streckung an A mit Faktor 2 . Mit der Hintereinanderausführung dieser beiden Abbildungen, einer sog. Drehstreckung , wird B auf C abgebildet, und zwar, egal, wo B liegt. Sei M" das Bild von M un-ter dieser Drehstreckung. Jedes Bild C eines Kreispunkts B hat von M" den 2 -fachen Abstand wie B von M , nämlich 2 ·r . Also bilden die Bilder den Kreis um M" mit Radius 2 ·r . Also ist M" gerade das Bild von M unter dieser Drehstre-ckung, und die Ortslinie von C ist der Kreis um M" mit Radius 2 ·r . # Eigentlich ist nicht das Quadrat ABCD , und schon gar nicht der Kreis das Wesentli-che, sondern die Tatsache, dass C aus B durch die Drehstreckung um A um 45° nach links mit dem Streckfaktor 2 festgelegt ist. 4. Beispiel: Gegeben drei verschiedene parallele Gera-den g, h, j ( h zwischen g und j ). ─ Kon-struiere drei Punkte A∈g , B∈h und C∈j , so dass das Dreieck ABC gleichseitig ist. Typisches Vorgehen : Lege einen Punkt A auf g fest, den Ausgangspunkt für die Kon-struktion (es ist klar, dass jeder Punkt auf g hierfür in Frage kommt). Dann lege ei-nen (halb-festen; was heißt das?) Punkt B auf h , und konstruiere, von der Seite AB ausgehend, eines der beiden gleichseitigen Dreiecke ABC . Der Punkt C wird nicht auf der Gerade j liegen. Selbst wenn, so wäre das reiner Zufall, und die Kon-struktion wäre keineswegs vollendet. Lasse B auf h laufen, und beobachte, auf welchem Typ Linie sich C bewegt. Bestimme die Lage der Ortslinie von C möglichst genau, und begründe, dass diese Ortslinie mit j genau einen Schnittpunkt hat. ─ Wie kann man die Ortslinie von C und diesen Schnittpunkt konstruieren?

I.6.04 Z

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Lösung : Betrachte die Rotation um A um 60° , so dass B auf C abgebildet wi rd, in der Zeichnung also nach links. Damit werden alle auf h liegenden Punkte B auf ihre entsprechenden Punkte C (jeweils im gleichseitigen Dreieck) abgebildet. Durch die Rotation wird auch die Gerade h auf ihre Bildgerade k abgebildet, die, wie wir von I.3.12 wissen, um 60° gegen h geneigt ist. Da alle B auf h liegen, müssen alle C auf k liegen, und jeder Punkt auf k ist ein Bildpunkt eines Punktes auf h , d.h. ganz k wird erfasst. Die Gerade k lässt sich einfach konstruieren: Fälle, wie bei I.3.12, das Lot von A auf h , erhalte den Lotfußpunkt H , konstruiere dessen Bildpunkt K unter einer Ro-tation um A um 60° . Dann ist die Senkrechte zu AK durch K die gesuchte Gera-de k und deren Schnittpunkt mit j der gesuchte Punkt C . Nun brauchen wir noch den endgültigen Punkt B : Zeichne Kreis um A mit Radius AC . Der richtige Schnittpunkt dieses Kreises mit h liefert die Lösung. # Ellipse Eine statische Definition der Ellipse ist die folgende: • Eine Ellipse ist die Menge aller Punkte der Ebene, deren Abstände von zwei

festen Punkten A und B eine konstante Summe hab en. (Was ist, wenn A=B ?) Eine praktische Umsetzung der statischen Definition ist die sog. (Gärtnerinnen- &) Gärtner-Konstruktion : Nimm einen Faden und befestige seine Enden an den Punkten A und B , aber so, dass er noch locker ist. Lege nun einen Bleistift so an den Faden an, dass er stramm wird. Bewege den Blei-stift nun entlang des strammen Fadens, der ja in seiner Länge immer konstant bleibt: Es wird eine (halbe) Ellipse gezeichnet. Wie macht man aus der statischen Definiti-on eine dynamische Version für die DGS? Lege die beiden Punkte A und B fest. Die konstante Abstandssumme r muss natür-lich größer als der Abstand AB sein. Zeichne den Kreis um A mit dem Radius r , den sog. Leitkreis , und einen beliebi-gen Punkt C darauf: AC ist sozusagen der Faden, nur am falschen Endpunkt C befestigt; wir müssen die Strecke AC irgendwo — in einem Punkt P — "knicken", so dass PC=PB ist. Das bedeutet: P ist der Schnittpunkt der Mittelsenkrechten g von BC mit der Strecke AC . Bewege nun C auf dem Leitkreis, dann bewegt sich P auf einer Ellipse. Die Mittelsenkrechte g von BC hat noch zwei weitere interessante Eigenschaften:

I.6.05 Z

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• Für jeden Punkt Q ( ≠P ) der Mittelsenkrechten g gilt: Die Summe der Ab-stände von Q nach A bzw. B ist größer als die Abstandssumme r von P . Beweis mit Hilfe der Dreiecksungleichung: Es ist AQ+QB=AQ+QC>AC=AP+PC=AP+PB , und das >-Zeichen gilt im Dreieck AQC . (Wo haben wir eine ähnliche Argumentation schon einmal genutzt?) Anschaulich: P ist der einzige Punkt, den die Gerade g mit der Ellipse gemein-sam hat; alle anderen Punkte von g liegen außerhalb der Ellipse. Man nennt deshalb g die Tangente an die Ellipse im Punkt P . — Hinweis wieder auf das Anschmiegen von Ellipse und Tangente aneinander.

• Der Winkel , den die Strecke AP mit der Mittelsenkrechten bildet, ist genau so groß wie der, den die Strecke BP mit ihr bildet. Begründung: g ist Winkelhalbierende im gleichschenkligen Dreieck BCP , also sind die beiden Winkel BPM und CPM gleich groß. CPM wiederum ist Scheitelwinkel des Winkels zwischen AP und g . # Anschaulich: Betrachtet man AP als einen Lichtstrahl und die Mittelsenkrechte g als einen Spiegel, dann läuft der reflektierte Strahl durch B . Egal, welche Richtung der Strahl AP hat, der mit dem Punkt P mitlaufende Spiegel g re-flektiert die Strahlen immer so, dass sie in B gebündelt werden. Das Gleiche gilt auch von B aus in Richtung A . Deshalb heißen A und B auch die Brennpunkte der Ellipse. Anwendungen : (i) Nierensteinzertrümmerer (Abbildung aus Griesel & Postel: Mathematik heute, 2000) Das Gerät ist ein halbes Ellipsoid. Im einen Brennpunkt werden die Schallwellen erzeugt. Das Gerät wird so an den menschlichen Körper angesetzt, dass der andere Brennpunkt genau im Nierenstein liegt. Dadurch werden die Schallwellen in diesem gebündelt, und sie können ihn wirkungsvoll zertrümmern. (ii) In einem Raum mit ellipsenförmigen Grundriss wird der Schall von einem Brennpunkt zum anderen besonders gut übertragen, und zwar besser als zu Punkten dazwischen.

Nutze den Zugmodus, und verändere den Kreisradius r (= Abstandssumme). — Wie ändert sich die Form der Ellipse? Wo liegen die Punkte X der Ebene, für die die Summe der Abstände von A und von B kleiner (größer) als bei den Punkten auf der Ellipse ist? (Begründung!)

Hinweis: Die Ellipse ist achsensymmetrisch bezüglich der Geraden durch A und B (Begründung!) und bezüglich der Mittelsenkrechten zu AB (d.h. A und B sind "gleichberechtigt", obwohl sie bei der Konstruktion der Ellipse unterschiedliche Rollen haben) (Begründung!) und punktsymmetrisch (Zentrum?).

I.6.06

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Hyperbel Ein scheinbar unsinniges Experiment: Star-te mit der DGS-Konstruktion der Ellipse, wie oben beschrieben, und lasse den Radi-us r des Leitkreises kleiner werden als den Abstand zwischen den Brennpunkten A und B . Es entsteht eine neuartige Ortslinie, eine Hyperbel . Eine genauere Analyse zeigt, dass sie folgender — statischen — Definiti-on genügt: • Eine Hyperbel ist die Menge aller

Punkte der Ebene, deren Abstände von zwei festen Pu nkten A und B ei-ne konstante Differenz haben. (Diese Abstandsdifferenz ist gerade der Radius r des Leitkreises.)

• Warum besitzt die Hyperbel zwei getrennte Äste? (Der linke Ast besteht aus al-len Punkten P mit AP–BP=-r , der rechte aus denen mit AP–BP=r .)

• Wenn der Punkt C entlang des Leitkreises bewegt wird, gibt es zwei Stellen, an denen die Mittelsenkrechte von BC parallel zu der Geraden AC verläuft. Da es dann keinen Schnittpunkt P gibt, wird aus der Tangente eine Asymptote an die Hyperbel.

• Wie läuft P , wenn C den ganzen Leitkreis durchläuft? Was passiert mit dem Punkt P speziell dann, wenn C die beiden besonderen Stellen überquert?

• Die (feste) Hyperbel (mit Abstandsdifferenz r ) mit ihren beiden Ästen teilt ja die Ebene in fünf Bereiche ein (linke Fläche, linker Ast, mittlere Fläche, rechter Ast, rechte Fläche). Wie kann man die fünf Bereiche mit Hilfe von Abstandsdifferen-zen charakterisieren? — Setze für alle Punkte X der Ebene die Abstandsdiffe-renz mit d=AX–BX (sie kann also <0 , =0 oder >0 sein) an. Wenn man in der Zeichnung von links nach rechts marschiert, gilt für d nacheinander: d<-r d=-r -r<d<r d=r d>r

• Wie verändert sich nun die Hyperbel, wenn man ihre Abstandsdifferenz r vari-iert? Was geschieht, wenn die Abstandsdifferenz gegen 0 geht?

Hinweis: Die Hyperbel ist achsensymmetrisch bezüglich der Geraden durch A und B (Begründung!) und bezüglich der Mittelsenkrechten zu AB (d.h. A und B sind "gleichberechtigt", obwohl sie bei der Konstruktion der Hyperbel unterschiedliche Rollen haben) (Begründung!) und punktsymmetrisch (Zentrum?).

I.6.07 Z

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Parabel Um eine Parabel — zunächst statisch — zu definieren, gehen wir von einer festen Geraden l , der "Leitgeraden ", und einem festen Punkt B außerhalb von l aus: • Eine Parabel ist die Menge aller Punkte der Ebene, deren Abstand zu dem

festen Punkt B gleich ihrem Abstand zur Leitgerad en l ist. Auch ohne zu zeichnen, erkennt man, dass • der Punkt "in der Mitte zwischen B und l " ein besonderer ist: Er hat den kür-

zesten Abstand zum Punkt B und den kürzesten Abstand zur Leitgerade l ; man nennt ihn den Scheitelpunkt der Parabel. Bezüglich der Senkrechten zur Leitgeraden durch den Scheitelpunkt liegen die Parabelpunkte symmetrisch (warum?). Deshalb nennt man diese Senkrechte auch die Achse der Parabel.

• die Parabel keine geschlossene Kurve sein kann; denn die Abstände werden immer größer, je weiter man sich vom Scheitelpunkt entfernt.

Wie macht man aus der statischen Definition eine dynamische für die DGS? Lege die Leitgerade l und den Punkt B fest. "Abstand" assoziiert "Lot". Sei C ein beliebi-ger Punkt auf l und c die Orthogonale zu l durch C . Dann muss es auf c einen Para-belpunkt P geben, für den also PC=PB ist. Also ist P der Schnittpunkt von c mit der Mittelsenkrechten g von CB . Bewege nun C auf der Leitgeraden, dann bewegt sich P auf der Parabel. Die Mittelsenkrechte g von CB hat noch zwei weitere interessante Eigenschaften: • Für jeden Punkt Q ( ≠P ) der Mittelsenkrechten g gilt: Der Abstand von Q zur

Leitgeraden l ist kleiner als der Abstand von Q zu B ; denn: alle Q auf g haben ja von C und B denselben Abstand; wenn nun Q≠P , dann ist Ql<QC=QB. Anders ausgedrückt: P ist der einzige Punkt, den die Para-bel mit der Geraden g gemeinsam hat; alle anderen Punkte der Parabel liegen in der von g bestimmten Halbebene, in der auch der Brennpunkt liegt. Man nennt deshalb g auch die Tangente an die Parabel im Punkt P . — Hinweis auch hier auf das Anschmiegen von Parabel und Tangente aneinander.

• Der Winkel, den die Strecke AP mit der Mittelsenkrechten bildet, ist genau so

groß wie der, den die Strecke BP mit ihr bildet. (Warum?) Anschaulich : Betrachtet man die Lotgerade zu l durch P als einen Lichtstrahl (in der Zeichnung von A Richtung P ) und die Mittelsenkrechte g als einen Spiegel, dann wird der Strahl an g reflektiert und läuft durch B . Alle Strahlen senkrecht zur Leitgeraden werden so in B gebündelt. Deshalb heißt B auch Brennpunkt der Parabel. (Argument wie bei der Ellipse)

I.6.08 Z

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Anwendung : (i) Im Brennpunkt des Parabolspiegels werden die Lichtstrahlen weit entfernter Himmelskörper oder die Radiowellen vom Fernseh-Satelliten ge-bündelt. (ii) Bei den Scheinwerfern eines Autos wird in einer punktförmigen Quelle Licht erzeugt und über einen paraboloiden Reflektor in parallelen Strahlen nach vorne geschickt (Umkehrung des Strahlenverlaufs gegenüber (i)).

Die Parabel teilt ja die Ebene in drei Bereiche ein. Wie kann man diese mit Hilfe von Abstandsdifferenzen charakterisieren? (Setze für alle Punkte X der Ebene die Diffe-renz mit d=lX–BX an.)

Warum heißen die Kegelschnitte "Kegelschnitte"? Man betrachtet einen räumlichen Doppel-kegel und schneidet ihn mit einer Ebene. Je nach dem, wie die Ebene zum Doppelkegel liegt, entsteht ein Kreis (als spezielle Ellip-se), eine (nicht-kreisförmige) Ellipse, eine Parabel oder eine Hyperbel (mit ihren bei-den Ästen). Abb. I.6.09 zeigt den Sachver-halt im Querschnitt. Bei ganz besonderen Lagen der Ebene entsteht als Schnittgebilde ein Punkt oder eine Doppelgerade (bei welchen Lagen?).

Von einem Lampenschirm, der das Licht nach oben und unten herauslässt, wird in normaler Stellung an einer Wand ein Schatten in Form einer Hyperbel und an der Decke ein Kreis geworfen. Durch Schiefhalten der Lampe kann man auch einen el-lipsen- und einen parabelförmigen Schatten erzeugen. (Probiere mit Taschenlampe!)

I.6.09

I.6.10 (nach Angela Schwenk, TFH Berlin)

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I.7. Strahlensätze und Ähnliches Strahlensatzfigur ("Zweistrahl") mit Strahlen und mit Geraden Der Name "Strahlensatz" bezieht sich ei-gentlich auf die Konfiguration in Abb. I.7.01, wo tatsächlich vom Scheitel S zwei Strahlen ausgehen, während bei der Figur in I.7.02 ja zwei Geraden vorliegen. Die Rede vom "Zweistrahl" ist in I.7.01 klar, und sie soll auch auf den Sachverhalt in I.7.02 übertragen werden, obwohl sie dort ungenau ist. Man kann die Konfiguration in I.7.02 auf die in I.7.01 zurückführen, indem man statt A' und B' (z.B. mit Hilfe einer Punktspiegelung an S ) die Punkte A" und B" jeweils auf der anderen Seite von S im jeweils selben Abstand von S betrachtet (I.7.03). Wegen des Kongruenzsat-zes SWS können dann alle Aussagen über die Kongruenz von Seiten und Winkeln (Parallelität), die mit der Konfiguration in I.7.01 gewonnen werden, auf die in I.7.02 übertragen werden. — Dieser Zusammenhang wird bei den folgenden Aussagen und Beweisen nicht immer extra erwähnt. Bei der Strahlensatzfigur (I.7.01 oder I.7.02) spielen, ausgehend vom Strahl a , drei Zahlen (Längenverhältnisse) eine Rolle: • SA:SA' (zwei Scheitelabschnitte auf einem Strahl) • SA:SB (zwei entsprechende Scheitelabschnitte auf den beiden Strahlen) • SA:AB (ein Scheitelabschnitt und die Strecke auf der entsprechenden

Querlaufenden) Es gilt der Satz ("Strahlensatz"): Wenn die beiden Querlaufenden parallel sind, dann gilt

• 1. Strahlensatz: SA:SA'=SB:SB' (beide Strahlen beteiligt) und

• 2. Strahlensatz: SA:SA'=AB:A'B' (ein Strahl mit zwei Scheitel-abschnitten und die beiden Querlaufenden beteiligt).

(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen) Durch einfache Umstellungen ergeben sich viele weitere Verhältnisgleichungen, die jeweils gleichwertig sind, d.h.: wenn man von einer ausgeht, erhält man jeweils die anderen:

I.7.03

I.7.01

I.7.02

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SA:SB=SA':SB' (1.) sowie SA:AB=SA':A'B' (2.) und weiter SB:SB'=AB:A'B' (2.) sowie SB:AB=SB':A'B' (2.). Betrachtet man zusätzlich noch die Abschnitte AA' und BB' auf den beiden Strah-len, so gilt weiter AA':SA=BB':SB (1.) und AA':BB'=SA:SB (1.) u.ä. wegen

SA

AA' =

SA

SASA' − =

SA

SA'−1 =

SB

SB'−1 =

SB

SBSB' − =

SB

BB' ,

aber i.a. nicht AA':SA=A'B':AB o.ä. (wieso nicht?). Diese Verhältnisgleichungen liefern alle nichts wesentlich Neues über den 1. und den 2. Strahlensatz hinaus. Man benötigt sie aber manchmal in der jeweiligen Form. Die beiden Strahlensätze und ihre Beweise bauen wir jetzt sukzessive auf. Die Umkehrungen der beiden Strahlensätze würde man etwa so formulieren: • Gegeben: Ein "Zweistrahl" und zwei (nicht notwendig parallele) Querlau-

fende (mit Schnittpunkten A , B , A' , B' wie in Abb. I.7.01 bzw. I.7.02). Umkehrung 1. Strahlensatz:

• Wenn SA:SA'=SB:SB' (oder eine entsprechende Verhältnisglei-chung mit Beteiligung beider Strahlen), dann sind die beiden Querlaufen-den parallel.

Umkehrung 2. Strahlensatz:

• Wenn SA:AB=SA':A'B' (oder eine entsprechende Verhältnisglei-chung mit Beteiligung eines Strahls und der beiden Querlaufenden), dann sind die beiden Querlaufenden parallel.

(Schluss von der Gleichheit von Zahlenverhältnissen auf die Parallelität)

Wir werden sehen: Die Umkehrung des 1. Strahlensatzes gilt nur unter einer (unauffälligen) Zusatz-Bedingung, und die Umkehrung des 2. Strahlensatzes gilt nicht.

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Zunächst Sonderfall des Strahlensatzes (mit Längenverhältnissen 1:2 )

• Gegeben ein "Zweistrahl" mit Scheitel S und zwei Querlaufende mit Schnittpunkten A und A' auf dem einen und entsprechend B und B' auf dem anderen Strahl. Die beiden Querlaufenden seien parallel. (i) Wenn SA' doppelt so lang wie SA ist, dann ist

1. SB' doppelt so lang wie SB und 2. A'B' doppelt so lang wie AB .

(ii) Wenn SB' doppelt so lang wie SB ist, dann ist 1. SA' doppelt so lang wie SA und 2. A'B' doppelt so lang wie AB .

(iii) Wenn A'B' doppelt so lang wie AB ist, dann ist 1. SA' doppelt so lang wie SA und 2. SB' doppelt so lang wie SB .

(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen) Warum braucht man hier, anders als beim allgemeinen Strahlensatz, die drei Teile (i), (ii) und (iii)? — Teil (ii) ist gleichwertig zu (i); da wird nur mit dem anderen Strahl angefangen. — Teil (iii) ist eine wesentlich andere Aussage. Da wird nämlich mit den Querlaufenden angefangen und auf die Verhältnisse auf den beiden Strahlen ge-schlossen. — Zusammenfassend: Wenn die beiden Querlaufenden parallel sind, dann gilt:

• Wenn eines der drei Verhältnisse SA':SA , SB':SB und

A'B':AB gleich 2 ist, dann sind die beiden anderen auch gleich 2 . (Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen) Beweis von (i): Gemäß der o.a. Vorbemerkung führen wir den Beweis entlang einer Konfiguration wie in I.7.01, also an einem echten Zweistrahl. — Wir wissen dann, dass er ohne Weiteres auch für unechte Zweistrahlen, also Konfigurationen wie in I.7.02, gilt. — Er stellt faktisch eine Wiederholung des Beweises bei der Erzeugung des Seitenmittendreiecks aus einem gegebenen Dreieck dar (s. im Anschluss an Abb. I.5.03). Wir gehen von der Figur in Abb. I.7.01 aus und setzen voraus, dass die bei-den Querlaufenden durch A und B bzw. durch A' und B' parallel sind und dass SA' doppelt so lang wie SA ist, A also die Strecke SA' hal-biert. Nun zeichnen wir als Hilfslinie die Parallele zu SB' durch A mit dem Schnittpunkt H auf der Geraden A'B' und verbinden H mit B . Dabei setzen wir nicht voraus, dass HB parallel zu SA' ist, sondern dieses folgt aus unseren Überlegungen im Anschluss an Abb. I.5.03 (zum großen und kleinen Dreieck): Dort haben wir in der Tat bewiesen, dass auch B die Strecke SB' halbiert und AB halb so lang wie A'B' ist. #

I.7.04

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Teil (ii) wird wie (i) bewiesen. — Beweis von Teil (iii) wird hier nicht geführt. Umkehrung der Teile (i)1. und (ii)1. des (1:2-) Sonderfalls des Strahlensatzes:

• Gegeben ein "Zweistrahl" mit Scheitel S und zwei Querlaufende mit Schnittpunkten A und A' auf dem einen und entsprechend B und B' auf dem anderen Strahl, so dass sich die Reihenfolgen der Punkte S, A, A' und der Punkte S, B, B' entsprechen. Wenn SA' doppelt so lang wie SA und SB' doppelt so lang wie SB ist, dann sind die beiden Querlaufenden parallel, und A'B' ist doppelt so lang wie AB .

(Schluss von der Gleichheit von Zahlenverhältnissen auf die Parallelität) Beweis: Kreis um A mit Radius SB und Kreis um B mit Radius SA ergibt Schnittpunkt H . Das Dreieck AHB ist nach dem Kongruenzsatz SSS kongruent zum Dreieck BSA . Daraus folgt wiederum (nach Umkehrung Wechselwinkelsatz), dass BH parallel zu SA und AH parallel zu SB sind. Als Stufenwinkel an parallelen Geraden sind die Winkel A'AH , ASB , HBB' gleich groß. Nach Voraussetzung sind die Strecken AA' und SA sowie BB' und SB jeweils gleich lang. Also sind die Dreiecke A'AH , ASB , HBB' kongruent. Daraus wiederum ergibt sich, dass A'H , AB , HB' parallel sind. Also liegen A', H, B' auf einer Geraden, und diese ist parallel zu AB . Wenn nun die Querlaufenden parallel sind, dann kann Teil (i)2. bzw. (ii)2. angewen-det werden, und A'B' ist doppelt so lang wie AB . # • Warum muss man für diese Umkeh-

rungen die Entsprechung der Rei-henfolgen von S, A, A' und von S, B, B' voraussetzen? — In Abb. I.7.06 ist SA' doppelt so lang wie SA , und sowohl SB" , als auch SB' ist doppelt so lang wie SB , aber nur mit B" er-gibt sich eine Parallele A'B" zu AB , während die Gerade A'B' nicht parallel zu AB ist. Dies liegt daran, dass S, B, B" in der entsprechenden Reihenfolge wie S, A, A' liegen, aber S, B, B' nicht. Statt der Entsprechung der Reihenfolgen kann man auch die Bedingung SA:AA'=SB:BB' (beide =1 oder, im unechten "Zweistrahl"-Fall, beide =3 ) fordern. Aus dieser Bedingung folgt nämlich unmittelbar die Entsprechung der Reihenfolgen.

• Warum ist die Umkehrung der Teile (i)2., (ii)2., (iii)1. und (iii)2. des 1:2-Son-derfalls des Strahlensatzes selbst dann nicht richtig, wenn man die Ent-sprechung der o.a. Reihenfolgen voraussetzt? — S. Abb. I.7.07: Es sind S, A, A' und S, B, B' und S, B, B" in den entsprechenden Reihenfolgen, SA' ist doppelt so lang wie SA , und A'B' sowie A'B" ist doppelt so lang wie AB .

I.7.05

I.7.06 Z

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Aber nur A'B" ist parallel zu AB , nicht dagegen A'B' . — Es gibt zwar nur die beiden Punkte B' und B" , die die Voraussetzungen einer (versuchten) Umkehrung des 2. Teils erfüllen, aber nur einer der beiden führt zu einer Pa-rallelen zu AB . Deshalb ist die Um-kehrung falsch.

Schwacher Strahlensatz (1:n-Sonderfall des Strahlensatzes für beliebige n∈∈∈∈N ) Schwacher Strahlensatz • Gegeben ein "Zweistrahl" mit Scheitel S und zwei Querlaufende mit

Schnittpunkten A und A' auf dem einen und entsprechend B und B' auf dem anderen Strahl. Die beiden Querlaufenden seien parallel.

(i) Wenn SA' n-mal (n∈∈∈∈N) so lang wie SA ist, dann ist 1. SB' n-mal so lang wie SB und 2. A'B' n-mal so lang wie AB .

(ii) Wenn SB' n-mal (n∈∈∈∈N) so lang wie SB ist, dann ist 1. SA' n-mal so lang wie SA und 2. A'B' n-mal so lang wie AB .

(iii) Wenn A'B' n-mal (n∈∈∈∈N) so lang wie AB ist, dann ist 1. SA' n-mal so lang wie SA und 2. SB' n-mal so lang wie SB .

(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen) Umkehrung der Teile (i)1. und (ii)1. des Schwachen Strahlensatzes:

• Gegeben ein "Zweistrahl" mit Scheitel S und zwei Querlaufenden mit Schnittpunkten A und A' auf dem einen und entsprechend B und B' auf dem anderen Strahl, so dass sich die Reihenfolgen der Punkte S, A, A' und der Punkte S, B, B' ent-sprechen.

Wenn SA' n-mal (n∈∈∈∈N) so lang wie SA und SB' n-mal so lang wie SB ist, dann sind die beiden Querlaufenden parallel, und A'B' ist n-mal so lang wie AB .

(Schluss von der Gleichheit von Zahlenverhältnissen auf die Paralle-lität) Bewiesen haben wir das alles bereits für n=2 . Das Vorwärtsarbeiten mit kongruenten Dreiecken muss jetzt einfach weiter getrieben werden. #

I.7.08 Z

I.7.07 Z

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Wie schon für n=2 geht es nun auch für beliebige n∈N bei der Umkehrung von (i)1. und (ii)1. nicht ohne Entsprechung der Reihenfolgen der relevanten Punkte auf den beiden Strahlen und funktioniert die Umkehrung der anderen Teile gar nicht (vgl. Abb. I.7.06–07). Der schwache Strahlensatz liefert ein Verfahren, eine gegebene Strecke SA' in n gleich lange Teilstrecken einzuteilen: Man zeichnet einen (zusätzlichen) Strahl ab S , trägt dort eine (kleine) Strecke ab S ab und trägt diese insgesamt n-mal ab, wo-mit man die Punkte B=B1, B2 ... usw. bis B'=Bn erreicht. Dann verbindet man B' mit A' und zeichnet alle Parallelen zu dieser Strecke B'A' durch die Punkte Bk .

So kann man auch einen beliebigen rationalen Anteil nm

(mit natürlichen Zahlen

m und n ) einer Strecke markieren. (Wie?)

Seitenhalbierende Die Verbindungsstrecke im Dreieck zwischen einer Ecke und der gegenüber liegen-den Seitenmitte heißt Seitenhalbierende. Als Folgerung aus dem 1:2-Sonderfall und seiner Umkehrung erhalten wir den Satz von den Seitenhalbierenden:

• In einem Dreieck schneiden sich die Seitenhalbierenden in einem Punkt, dem Schwerpunkt (wenn man ein Pappdreieck waagrecht hält und in die-sem Punkt unterstützt, verbleibt es in einem labilen Gleichgewicht).

• Der Schwerpunkt teilt jede Seiten-halbierende im Verhältnis 2:1 , wobei der längere Teil an der Ecke liegt.

Beweis: P, Q, R sind die Seitenmitten, AP und CR also zwei Seitenhalbierenden mit dem Schnittpunkt S . Zeichne die Gerade durch P und R . In die Beweisfigur kann man zweimal die 1:2-Strahlensatz-Figur "hineinsehen". (Wo liegt jeweils der Scheitel?) Dann gilt: • Scheitel B : Die Gerade AC ist parallel zu PR , und die Strecke AC ist doppelt

so lang wie PR ; denn ... • Scheitel S : Die Strecke CS ist doppelt so lang wie SR , und die Strecke AS

ist doppelt so lang wie SP , denn ... Zwischenstand: Der Schnittpunkt S der Seitenhalbierenden AP und CR teilt diese im Verhältnis 2:1 (mit dem längeren Teil an A bzw. C ).

I.7.09

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Wir können denselben Gedankengang für die Seitenhalbierenden AP und BQ durchführen mit dem Ergebnis: Der Schnittpunkt S* der Seitenhalbierenden AP und BQ teilt beide im Verhältnis 2:1 (längerer Teil an Ecke). Da AP in beiden Fällen im Verhältnis 2:1 geteilt wird (mit dem längeren Teil an der Ecke), muss S*=S sein. #

Seitenmittenparallelogramm Eine verblüffende Aussage macht der Satz (von Varignon) über das Seitenmit-tenparallelogramm:

• In einem (konvexen) Viereck ist das Seitenmittenviereck ein Parallelo-gramm. Sein Flächeninhalt ist halb so groß wie der des Vierecks. Sein Umfang ist gleich der Summe der Diagonalenlängen des Vierecks.

Beweisidee: Zeichne die Diagonalen des Vierecks ein, und sieh in die Zeichnung 1:2-Strahlensatz-Figuren hinein! # Gilt der Satz von Varignon auch für nicht-konvexe Vierecke ohne Überkreu-zung? — Gilt er auch für Vierecke mit Überkreu-zung? — Gilt er auch für Streckenzüge im Raum, die aus vier Strecken bestehen, die nicht notwendig in einer Ebene liegen?

I.7.10

I.7.11

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Strahlensätze: Der allgemeine Fall Die allgemeinen Strahlensatzfiguren sehen aus wie beim 1:2-Sonderfall (Abb. I.7.01, 02); nur ist jetzt nicht notwendig mehr A' doppelt so weit wie A von S entfernt. 1. Strahlensatz:

• Wenn ein "Zweistrahl" von zwei parallelen Geraden geschnitten wird, dann verhalten sich die Abschnitte auf dem einen Strahl wie die entsprechenden Abschnitte auf dem anderen Strahl. Auch: ... dann sind die Verhältnisse aller Abschnitte auf dem einen Strahl zu ih-rem je entsprechenden Abschnitt auf dem anderen Strahl gleich. D.h.: SA:SA':AA'=SB:SB':BB' (drei Verhältnisgleichungen!), auch: SA:SB=SA':SB'=AA':BB'

(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen) 2. Strahlensatz:

• Wenn ein "Zweistrahl" von zwei parallelen Geraden geschnitten wird, dann verhalten sich die Abschnitte auf den Parallelen wie die entsprechenden Scheitelabschnitte auf jedem der beiden Strahlen.

D.h.: SA:SA'=AB:A'B'=SB:SB' , auch: SA:AB=SA':A'B' und SB:AB=SB':A'B'

(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen) Warum kann der Satz nur stimmen, wenn die parallelen Abschnitte auf die Scheitel-abschnitte und nicht auf beliebige Abschnitte auf den Strahlen bezogen werden? Umkehrung des 1. Strahlensatzes:

• Wenn ein "Zweistrahl" von zwei Geraden so geschnitten wird, dass sich al-le drei Abschnitte auf dem einen Strahl wie die entsprechenden Abschnitte auf dem anderen Strahl verhalten, dann sind die beiden Geraden parallel. Auch: Wenn ..., dass alle drei Abschnitte auf dem einen Strahl dasselbe Verhält-nis zu ihrem entsprechenden Abschnitt auf dem anderen Strahl haben, dann ...

(Schluss von der Gleichheit von Zahlenverhältnissen auf die Parallelität) Die Voraussetzung bei der Umkehrung des 1. Teils des schwachen Strahlensatzes (und des 1:2-Sonderfalls), dass z.B. SA:SA'=SB:SB' (eine Verhältnisglei-chung) gilt und die Reihenfolgen von S, A, A' und S, B, B' sich entsprechen müs-sen, ist jetzt durch die scheinbar schärfere Voraussetzung SA:SA':AA'=

SB:SB':BB' (drei Verhältnisgleichungen) ersetzt. — In der Tat folgt aus die-sen die Entsprechung der Reihenfolgen (wieso?). Aber auch: aus der Entsprechung der Reihenfolgen und dem Zutreffen einer Verhältnisgleichung folgen die beiden ande-ren (wieso?). Also sind die Voraussetzun-gen gleichwertig. Dass diese Voraussetzung notwendig ist, haben wir schon beim 1:2-Sonderfall er-kannt (s. Abb. I.7.06). Hier noch eine Konfi-guration (I.7.12), wo man schon bei einem

I.7.12 Z

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echten Zweistrahl diese Notwendigkeit sieht: Zwar ist SA:AA'= SB:BB' , aber da die Reihenfolgen von S, A, A' und S, B, B' sich nicht entsprechen, sind AB und A'B' nicht parallel. Die Verhältnisgleichung stimmt auch, wenn man B' durch B" ersetzt, und da die Reihenfolgen von S, A, A' und S, B, B" sich ent-sprechen, sind AB und A'B" parallel. ( B" und B' sind die einzigen Punkte auf dem Strahl durch B , für die die Verhältnisgleichung gilt.) Die Umkehrung des 2. Strahlensatzes gilt nicht. Selbst wenn die beiden Reihenfolgen der relevanten Punkte auf den beiden Strahlen sich entsprechen, muss trotz der Gleichung SA:AB=SA':A'B' die Strecke A'B' nicht zu AB parallel sein. Außer der Paral-lelität (in Abb. I.7.13 durch den Punkt B" bestimmt) gibt es allerdings höchstens eine weitere Lage (die durch B' bestimmte). (Vgl. a. I.7.07.) Zum vollständigen Beweis der Strahlensätze benötigt man einen infinitesimalen Beweisgedanken. Das liegt daran, dass das Verhältnis von zwei Streckenlängen ir-rational sein kann. In solchen Fällen erhält man durch ganzzahliges Teilen und Anei-nanderlegen von Teilen des einen Abschnitts niemals exakt den anderen Abschnitt, sondern nur näherungsweise. Beweis des 1. Strahlensatzes a) Der rationale Fall, d.h. es gibt zwei na-türliche Zahlen m und n , so dass sich die Längen von SA und SA' wie m zu n verhalten. Mit dem Verfahren zur Streckenteilung er-zeugen wir eine Strecke x , deren Länge den m-ten Teil von SA und damit zu-gleich den n-ten Teil von SA' beträgt. (In der Zeichnung ist m=5 und n=8 .) Nach dem schwachen Strahlensatz verhal-ten sich die entsprechenden Abschnitte auf dem anderen Strahl entsprechend. b) Der irrationale Fall (d.h. das Verhältnis a =SA:SA' ist eine irrationale Zahl): Konstruiere, ausgehend von der Parallelen durch A' , durch fortgesetztes Halbieren der Strecke SA' und der entstehenden Teilstrecken, die A enthalten, eine Schar von Parallelen. Die Parallelen dieser Schar gehen zwar alle nicht durch A , sie schließen aber A (und auf dem anderen Strahl B ) beliebig eng ein.

I.7.14

I.7.13 Z

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Die rationalen Zahlen (Quotienten), die durch diese Schar von Parallelen auf dem Strahl durch A bestimmt werden, schließen die irrationale Zahl a beliebig eng ein. Auf dem Strahl durch B bestimmt nach dem gerade Bewiesenen jede Parallele die-selbe rationale Zahl (denselben Quotienten) wie auf dem Strahl durch A . Auf dem Strahl durch B schließen also diese rationalen Zahlen genau dieselbe irrationale Zahl ein wie auf dem Strahl durch A , nämlich a .

Jede Parallele, die, von S aus gesehen, vor A liegt, liegt auch vor B , und jede, die hinter A liegt, liegt auch hinter B . Also liegt B genau an der Stelle, wo das Verhältnis SB:SB'= a ist. (Das war die infinitesimale Betrachtungsweise.) # Beachte: In der Formulierung des 1. Strahlensatzes ist nur von "Abschnitten", nicht von Scheitelabschnitten die Rede. Es ist klar, dass man den Beweis auch mit ande-ren Abschnitten führen kann, z.B. SA gegenüber AA' oder SA' gegenüber AA' . Beweis der Umkehrung des 1. Strahlensatzes:

Voraussetzung: SA:SA'=SB:SB' , und S, A, A' liegen in der entsprechen-den Reihenfolge wie S, B, B' (diese Modifizierung der o.a. Voraussetzung ergibt sich nach der o.a. Bemerkung daraus, dass die Verhältnisgleichung ja für alle Abschnitte gelten soll). Behauptung: AB und A'B' sind pa-rallel. Beweis: Angenommen, A'B' wäre nicht parallel zu AB . Dann zeichne die Parallele zu AB durch A' ; sie schneide den zweiten Strahl in B* , d.h. A'B* ist parallel zu AB .

I.7.15 Z

I.7.16

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Nach dem 1. Strahlensatz ist aber SA:SA'=SB:SB* , und folglich SB'=

SB* , also B'=B* , und A'B' ist doch parallel zu AB . # Beim 2. Strahlensatz verzichten wir auf den Beweis.

Strahlenbüschel

• Ein Strahlenbüschel (bzw. Geraden-büschel) schneide aus jeder Paralle-len einer Parallelenschar Abschnitte in einer bestimmten Reihenfolge aus. Dann sind die Verhältnisse ent-sprechender Abschnitte auf je zwei Parallelen gleich.

Zum Beweis wählt man einen der Strahlen aus und wendet auf ihn nacheinander zu-sammen mit jedem anderen Strahl den 2. Strahlensatz an. Parallele Streifen

• Zwei parallele Streifen schneiden aus einer quer zu ihnen laufenden Gerade Abschnitte im Verhältnis ih-rer Breiten aus.

Auch hier liegt die Strahlensatzfigur zu Grunde; aber die Parallelen werden jetzt als die primären und die "Strahlen" als die se-kundären Objekte gesehen. Beweis der Aussage? Ähnliche Dreiecke Man kann auf die Strahlensatzfiguren (s. Anfang des Abschnitts) auch "mit anderen Augen" sehen; dann sieht man zwei Dreiecke SAB und SA'B' , die — Stufenwinkel an Parallelen! — in allen drei Winkelmaßen übereinstimmen. Die Strahlensätze be-sagen dann, dass die Verhältnisse entsprechender Seiten übereinstimmen. Auch die Umkehrung ist richtig. Deshalb kann man alle Aussagen zusammenfassen zum sog. Hauptsatz der Ähnlichkeitslehre (zum Namen "Ähnlichkeit" s.u.): • Zwei Dreiecke haben entsprechende gleich große Winkel

gdw entsprechende Seiten bilden gleiche Verhältnisse.

Wegen der Kongruenzsätze gilt der Hauptsatz auch für Dreiecke, die nicht "ineinan-der" liegen, und lautet, mit entsprechenden Bezeichnungen, allgemein:

I.7.17

I.7.18

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αααα = αααα' und ββββ = ββββ' und γγγγ = γγγγ' (es genügen zwei dieser Gleichungen; warum?) gdw

BC:CA:AB=B'C':C'A':A'B' (bzw. BC:B'C'=CA:C'A'=AB:A'B' )

Die Verhältnisse können zwischen den Seitenlängen jeweils eines Dreiecks gebildet werden, und die drei Verhältnisse im einen Dreieck sind dann denen im anderen Dreieck gleich. — Die Verhältnisse können aber auch zwischen den entsprechenden Seiten beider Dreiecke gebildet werden und sind dann alle gleich: Alle Seiten des ei-nen Dreiecks sind a-mal so lang wie die entsprechenden Seiten des anderen. # Der Satz folgt auch unmittelbar aus dem Sinussatz: Nach diesem hat man nämlich

in beiden Dreiecken αsin

a=

βsinb

=γsin

c= 2·r bzw.

'sin'aα

='sin

'bβ

='sin

'cγ

= 2·r' .

Division der beiden Gleichungsketten ergibt 'a

α

α

sin'sin=

'bb

·β

β

sin'sin=

'cc

·γ

γ

sin'sin=

'rr

.

Wenn nun die Winkelmaße entsprechend gleich sind, sind die entsprechenden Si-nus-Werte gleich, und es folgt direkt die Gleichheit der drei Seitenlängenverhältnisse. Sind umgekehrt die drei Seitenlängenverhältnisse gleich, dann stimmt auch das Ver-hältnis der beiden Umkreisradien mit diesen überein, und deswegen sind die Sinus-Werte entsprechender Winkel gleich. Zwischen 0° und 90° ist ja die Sinus-Funktion streng monoton steigend, und daher gilt: Sind zwei Winkel spitz, und haben sie denselben Sinus-Wert, dann sind sie iden-tisch. ─ Wenn also beide Dreiecke spitzwinklig sind, folgt aus der Gleichheit entspre-chender Sinus-Werte die Gleichheit der zugehörigen Winkelmaße. Sei nun einer der sechs Winkel, z.B. γ , nicht spitz. Dann ist c die längste Seite in ABC und damit c' die längste in A'B'C' , also γ' der größte Winkel in A'B'C' (Sei-ten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck). Die vier anderen Winkel sind jedenfalls spitz, und damit gilt α=α' und β=β' . Daraus folgt schließlich γ=γ' (Winkelsummensatz). #

• Zwei n-Ecke heißen ähnlich, wenn sie in entsprechenden Winkeln und im Verhältnis entsprechender Seiten übereinstimmen.

An Parallelogrammen kann man leicht se-hen, dass die Gleichheit entsprechender Winkelmaße allein nicht ausreicht, um "glei-che Form" im Sinne von Ähnlichkeit zu cha-rakterisieren. — Und wenn man das Quad-rat mit einer nicht-quadratischen Raute ver-gleicht, sieht man, dass die Gleichheit der Seitenlängenverhältnisse ebenfalls nicht ausreicht. — Der Hauptsatz der Ähnlich-keitslehre besagt dagegen, dass bei Drei-ecken eine der beiden Bedingungen bereits Ähnlichkeit erzwingt.

I.7.19

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Folgerungen aus den Strahlensätzen bzw. aus dem Hauptsatz der Ähnlichkeits-lehre

Für Dreiecke :

Noch ein Satz von den Winkelhalbierenden:

• Eine Winkelhalbierende teilt die gegenüber liegende Dreiecksseite im Ver-hältnis der beiden anliegenden Seiten.

Beweis: Sei AP die Winkelhalbierende von α . Zeichne durch C eine Parallele zu AP ; ihr Schnittpunkt mit der verlän-gerten Seite AB sei D . Dann gilt: Die Winkel CDA und PAB sind gleich groß (Stufenwinkelsatz), und die Winkel ACD und CAP sind gleich groß (Wechselwinkelsatz). Also ist AD=AC, weil im Dreieck ACD die diesen Seiten gegenüber liegenden Winkel gleich groß sind. Diese Gleichheit ergibt sich auch fol-gendermaßen: Zeichne die Winkelhal-bierende des Außenwinkels von α . Nach I.5.05 steht sie senkrecht auf der Winkelhalbierenden von α und damit senkrecht auf deren Parallele durch C (und D ). Möge sie diese in E schneiden. Dann sind die beiden Dreiecke AED und AEC nach Kongruenzsatz WSW kongruent, und damit ist AD=AC . Also gilt: PB:PC=AB:AD (1. Strahlensatz mit Scheitel B ) =AB:AC . # Satz über die Flächeninhalte ähnlicher Dreiecke

• Das Flächeninhaltsverhältnis zweier ähnlicher Dreiecke ist gleich dem Quadrat des Längenverhältnisses.

Beweis: Die Seiten des einen Dreiecks seien k-mal so lang wie die entsprechenden Seiten des anderen Dreiecks. Dann ist k auch das Verhältnis entsprechender Hö-hen. Sei g die Länge einer Seite und h die zugehörige Höhe im ersten Dreieck,

dann hat dieses den Flächeninhalt F = 21

·g·h . Wählt man im zweiten Dreieck die

entsprechenden Größen g' (=k·g) und h' (=k·h) , dann hat dieses den Flächeninhalt

F' = 21

·g'·h' = 21

·(k·g)·(k·h) = k2·(21

·g·h) = k2·F . #

I.7.20 Z

I7.21 Z

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Aus diesem Satz folgt (wie?) der Satz über die Flächeninhalte ähnlicher Vielecke

• Das Flächeninhaltsverhältnis zweier ähnlicher Vielecke ist gleich dem Quadrat des Längenverhältnisses.

Folgerungen aus den Strahlensätzen bzw. dem Hauptsatz der Ähnlichkeitslehre

Für Kreise :

Sekantensatz

• Schneiden sich zwei Sekanten innerhalb oder außerhalb eines Kreises, so ist das Produkt aus den Abschnitten der einen Se-kante gleich dem Produkt der Abschnitte der anderen Sekante.

Beweis durch Umstrukturierung der Wahrneh-mung: Statt der Sekanten die Winkel in den Blick nehmen! Die Winkel ABC und ADC sind gleich groß (Umfangswinkel über der — nicht eingezeich-neten — Sehne AC ). Also (?) haben die Dreiecke SBC und SDA insgesamt gleich große Winkel. Nach dem Hauptsatz der Ähnlichkeitslehre gilt SB:SC=SD:SA . Nun ist aus der Verhält-nis- eine Produktgleichung zu machen. # Wenn die Punkte C und D zusammenfallen, wird aus der einen Sekante eine Tangente. Der Winkel ADC existiert nicht mehr. Dennoch haben die Dreiecke SCA ( =SDA ) und SBC gleich große Winkel (nach dem Sehnen-Tangenten-Winkel-Satz), und wieder ist SB:SC=SD:SA (mit C=D ). Der Satz bleibt also auch in diesem Randfall gültig: Sekanten-Tangenten-Satz:

• Schneidet eine Sekante eine Tangente, so ist das Produkt aus den Abschnitten der Sekante gleich dem Quadrat über dem Tangentenabschnitt.

In geometrischer Sprache: ...so ist das Rechteck mit den beiden Sekantenabschnitten als Seiten so groß wie das Quadrat über dem Tangentenab-schnitt.

I.7.22 Z DS·SC=BS·SA≈51,4

I.7.23 Z

DS·SC=BS·AS≈106

I.7.24 Z

SC2=SA·SB≈55,8

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Dies liefert die Grundlage für folgende Konstruktion: Gegeben ein Rechteck. Kon-struiere ein dazu flächeninhaltsgleiches Quadrat! Der Kreis des Apollonius (Apollonius von Perga, ca. 262−190 v.Chr.) Im Kapitel I.6 über Ortslinien haben wir zu zwei verschiedenen Punkten A und B in der Ebene alle Punkte X mit konstanter Abstandsdifferenz bezüglich A und B betrachtet, d.h. zu einer positiven Zahl r alle X mit AX−BX= r . So sind wir auf Hyperbeln gestoßen mit dem Randfall der Mittelsenkrechten von AB bei r=0 . Nun wollen wir statt Abstandsdifferenzen Abstandsverhältnisse studieren: Zu zwei verschiedenen Punkten A und B und einer positiven reellen Zahl r sind alle Punk-te X der Ebene gesucht mit AX:BX= r . Einen solchen Punkt ─ wir nennen ihn P ─ findet man direkt auf der Strecke AB : Für rationale positive r haben wir im Anschluss an den schwachen Strahlensatz (I.7.08) eine Konstruktion kennen gelernt: Ist r=m/n die Darstellung als gewöhnlicher Bruch, dann muss man auf irgendeinem Strahl von A aus eine Strecke (m+n)-mal abtragen, usw. ─ Ist r irrational, so braucht man für eine geometrische Konstruktion irgendwo zwei Mus-terstrecken, deren Längenverhältnis r:1 lautet, und kann dann, analog zum rationalen Fall, mit Hilfe des 1. Strahlensatzes P zwischen A und B konstruieren. Außer für r=1 gibt es auf der Geraden gAB einen weiteren Punkt, Q , mit AQ:BQ= r . Für r<1 liegt er näher an A , für r>1 näher an B . Die Konstruktion verläuft entsprechend der von P . Man sagt, die beiden Punkte teilen die Strecke AB harmonisch im Verhältnis r . Bestimmt gibt es solche Punkte X mit AX:BX= r auch außerhalb von gAB : ─ Sei X irgendein Punkt außerhalb gAB . Dann haben wir im Dreieck ABX ein be-stimmtes Abstandsverhältnis AX:BX= rX . Der Schnittpunkt PX der Winkelhal-bierenden von ξ mit der Seite AB teilt diese dann im Verhältnis rX (nach dem o.a. Satz von den Winkelhalbierenden). Man müsste X so hinkriegen, dass rX=r ist. Vorher konstruieren wir aber noch den zugehörigen äußeren Teilungspunkt QX . Dazu muss natürlich rX≠1 sein, und wir betrachten o.B.d.A. den Fall rX<1 : Kreis um X mit Radius AX ; D sei dessen Schnitt-punkt mit BX ; Parallele zu AD durch X ; E sei deren Schnittpunkt mit gAB . Nach dem 1. Strahlensatz mit Scheitel in B , Schenkeln von B durch A und durch X sowie Quer-laufenden AD und EX gilt: AE:BE= DX:BX=AX:BX= rX , also ist E=QX .

I.7.26 Z

I.7.25 Z

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Der Strahl von X durch QX steht senkrecht auf dem Strahl von X durch PX (der Winkelhalbierenden von ξ ) und ist daher die Winkelhalbierende des Außenwin-kels in X . ─ Begründung: Da das Dreieck AXD gleichschenklig ist, steht die Win-kelhalbierende von ξ senkrecht auf der Basis AD , zu der ja der Strahl von X durch QX parallel ist. Zusammenfassung des Bisherigen: Für jedes echte Dreieck ABX gilt: Liegt X nicht auf der Mittelsenkrechten von AB , dann liefert die Winkelhalbierende von ξ zusammen mit der Winkelhalbierenden des Außenwinkels von ξ zwei Punkte P und Q , die die Strecke AB im Verhältnis AX:BX harmonisch teilen. Wegen der Orthogonalität der beiden Win-kelhalbierenden liegt X auf dem Thales-Kreis durch P und Q , und jeder Punkt X , der bei dieser Konstruktion dasselbe Tei-lungsverhältnis generiert, liegt auf demsel-ben Thales-Kreis. Diesen nennt man Kreis des Apollonius zur Strecke AB und dem Verhältnis r . Lässt man nun das Teilungsverhältnis r von 1 bis 0 gehen, wandert P vom Mit-telpunkt von AB in Richtung A . Q und der Apolloniuskreis-Mittelpunkt M wan-dern aus dem Unendlichen ebenfalls in Richtung A . Die beiden Randfälle sind die Mittelsenkrechte bei r=1 und der Nullkreis um A bei r=0 . Für r≥1 hat man alles entsprechend auf der anderen Seite der Mittelsenkrechten von AB . Man betrachtet ja jetzt alle Kehrwerte der bisher betrachteten Verhältnisse ≤1 , d.h. im Verhältnis AX:BX werden die Rollen von A und B vertauscht. Bei gegebenen A, B haben keine zwei Apollonius-Kreise Punkte gemeinsam. Jeder Punkt der Ebene liegt auf einem Apollonius-Kreis (inklusive der Randfälle). Man kann die komplette Ebene mit Apollonius-Kreisen als Ortslinien für Punkte X mit kon-stanten Abstandsverhältnissen AX:BX überdecken, mit der Mittelsenkrechten zu AB und den beiden Punkten A und B als Randfällen. Das ganze Bild ist sym-metrisch bezüglich dieser Mittelsenkrechten und bezüglich der Geraden gAB . Es er-innert stark an die Überdeckung der Ebene mit Hyperbeln als Linien konstanter Abstandsdiffe-renzen. Während aber alle Hyperbeln ins Un-endliche laufen (wir hatten uns bei den Para-beln überlegt, warum), sind die Ortslinien jetzt Kreise und verbleiben im Endlichen (wegen des konstanten rechten Winkels PXQ bei al-len Punkten X auf einer Ortslinie). Wir haben außerdem gerade begründet: Seien A, B zwei verschiedene Punkte, r≠1 eine positive Zahl, P, Q die Punkte der harmonischen Teilung von AB , k der zu-gehörige Apollonius-Kreis. Für alle Punkte X auf k (außerhalb gAB ) gilt: Die Halbgeraden von X durch P und durch Q sind die Winkelhalbierenden des

Winkels ξ im Dreieck AXB und von dessen Außenwinkel.

I.7.27 Z

I.7.28

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Durch einfaches Umstellen erhält man aus der Gleichung AP:BP=AQ:BQ für die harmonische Teilung von AB durch P und Q die Gleichung AP:AQ=BP:BQ , und man sieht, dass gleichzeitig die Strecke PQ von A und B harmonisch geteilt wird, allerdings i.a. in einem anderen Verhältnis.

Kreiskonstruktionen (lediglich Darstellung von möglichen Aufgaben) 1. Gegeben sind drei verschiedene Punkte. Konstruiere einen Kreis durch

diese Punkte. Gibt es für jede Lage der Punkte eine Lösung? Wie konstruiert man ggfs. eine Lösung? Welcher Satz gibt Hinweis und Begründung für ein Konstruktionsver-fahren? Gibt es mehrere Lösungen?

2. Gegeben sind drei verschiedene Geraden. Konstruiere einen Kreis, der die

drei Geraden berührt. Gibt es für jede Lage der Geraden eine Lösung? Wie konstruiert man gegebe-nenfalls eine Lösung? Welcher Satz gibt Hinweis und Begründung für ein Kon-struktionsverfahren? Gibt es mehrere Lösungen?

3. Gegeben sind zwei verschiedene Punkte und eine Gerade. Konstruiere ei-

nen Kreis durch die zwei Punkte, der die Gerade berührt. Unterscheide folgende Lagen: a) Beide Punkte liegen auf der Geraden. b) Ein Punkt liegt auf der Geraden. c) Kein Punkt liegt auf der Geraden, wobei die Punkte

(i) auf verschiedenen Seiten, (ii) auf derselben Seite der Geraden liegen.

Gibt es jeweils eine Lösung? Wie konstruiert man ggf. eine Lösung? Welcher Satz gibt Hinweis und Begründung für ein Konstruktionsverfahren? Gibt es meh-rere Lösungen? Steckbrief für c)(ii): Gesucht ist ein dritter Kreispunkt; dann können wir den Kreis konstruieren (wie?). Es ist naheliegend, als dritten Punkt den Berührpunkt der Tangente zu suchen. Fallunterscheidung: • Die beiden gegebenen Kreispunkte liegen auf einer Parallelen zur Tangente.

Einfacher Fall! • Die Gerade durch die beiden gegebenen Kreispunkte schneidet die Tangen-

te. Tipp zur Konstruktion des Berührpunktes: Sekanten-Tangenten-Satz! 4. Gegeben sind ein Punkt und zwei Geraden. Konstruiere einen Kreis durch

den Punkt, der die beiden Geraden berührt. Tipp: Zentrische Streckung.

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I.8. Der Pythagoras-Satz und sein Umfeld

Literatur u.a.: Peter Baptist: Pythagoras und kein Ende? (Leipzig 1997). — In seinem 1940 erschiene-nen Buch "The Pythagorean Proposition" hat der amerikanische Mathematiklehrer und College-Pro-fessor Elisha Scott Loomis ca. 370 Beweise zusammengetragen und klassifiziert. — Weitere Applets zu diesem Thema: IES Inc. Wieder einmal legen wir in der Ebene zwei Punkte A und B fest und betrachten die Verbindungsstrecke AB=c (wir bezeich-nen auch die Länge AB mit c ) sowie das Quadrat über c mit dem Flächeninhalt c2 . Für sämtliche Punkte X ( =C ) der Ebene (eigentlich nur: einer Halbebene be-züglich AB ) bilden wir die Verbindungs-strecken AC=b , BC=a , betrachten die Quadrate über b und a mit Flächeninhal-ten b2 und a2 , bilden die Summe a2+b2 und vergleichen diese schließlich mit dem Quadrat c2 . — Beobachtung? Offensichtlich spielen die Dreiecke mit ei-nem rechten Winkel in C eine besondere Rolle. Da haben die Seiten sogar eigene Namen: Hypotenuse heißt die dem rech-ten Winkel gegenüber liegende Seite c , Kathete heißt jede der beiden anliegenden Seiten an C . Satz des Pythagoras:

• Im rechtwinkligen Dreieck ist das Hypotenusenquadrat genauso groß wie die beiden Kathetenquadrate zusammen.

Zwar gilt in jedem echten Dreieck immer a+b>c , aber im rechtwinkligen Dreieck ist a2+b2=c2 , und wie wir beobachtet haben, gilt, wenn der Winkel in C stumpf ist, so-gar a2+b2<c2 , und nur wenn dieser Winkel spitz ist, gilt a2+b2>c2 . Als Mathematiklehrerin & -lehrer sollte man mindestens drei verschiedene Typen von Beweisen kennen: 1.Typ: Scherungsbeweise

1.1 Scherung — Drehung — Scherung von Parallelogrammen 1.2 Scherung — Schiebung — Scherung von Parallelogrammen 1.3 Scherung — Drehung — Scherung von Dreiecken ("Tänzerinnen"-Beweis) 1.4 Scherung — Schiebung — Scherung von Dreiecken ("Tänzerinnen"-Beweis)

2. Typ: Zerlegungs-Ergänzungs-Beweise 2.1 Zerlegung — Verschiebung von Quadratteilen 2.2 Ergänzung zum Quadrat — Verschiebung von dreieckigen Teilen (indischer

Beweis) 2.3 Zerlegung und Ergänzung (Stuhl der Braut, Clairaut um 1750)

3. Typ: Ähnlichkeitsbeweis (beliebige Flächen über den Seiten, die einander ähn-lich sind)

I.8.01 Z

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Bei allen nun folgenden Beweisen ist die DGS mehr oder weniger nützlich: zum Ver-anschaulichen, zum Strukturieren, zur Entwicklung von Vermutungen und Ideen, so-wie zur visuellen Veränderung der Gesamtfigur, dabei Erzeugung vieler Fälle und Verstärkung des Glaubens an den Beweis. — Der eigentliche Beweis wird fast durchweg mit Hilfe statischer Argumente geführt, auch wenn dies im Zuge einer Be-wegung oder Verformung geschieht. Diese Bewegung wird irgendwann angehalten, und es wird am statischen Bild argumentiert und dabei erst der Beweis geliefert. Le-diglich beim "Stuhl der Braut" wird die Bewegung als Beweisargument genutzt: dort wird gesagt, dass die kürzere Strecke immer länger und die längere immer kürzer wird, so dass sie irgendwann gleich lang sein müssen. 1.1 Scherung — Drehung — Scherung von Parallelogrammen Beweis: Wir zeichnen die Höhengerade hc (als komplette Gerade) und zerlegen damit das Hypotenusenquadrat (über c ) in zwei Rechtecke. Wir zeigen: jedes dieser beiden Rechtecke hat denselben Flächeninhalt wie das ihm anliegende Kathetenquadrat. Wir zeigen es für das linke: Wir beginnen mit dem Kathetenquadrat ACFG . Es hat denselben Flächeninhalt wie das Parallelogramm mit den Ecken G , A und B (dessen vierte Ecke wir T nennen). Auch das Kathetenquadrat ist ein Parallelo-gramm. Beide Parallelogramme haben die-selbe Grundseite AG und dieselbe Höhe AC . Der Flächeninhalt ist das Produkt aus Grundseite und Höhe und deshalb für beide Parallelogramme gleich. Nachträglich führen wir mit der DGS das Quadrat ACFG mit Hilfe einer Scherung (d.i. eine stetige Verformung, bei der der Flächeninhalt gleich bleibt) entlang der Sei-te AG in das Parallelogramm ABTG über. In der Schule haben wir die Flächenin-haltstreue einer Scherung nicht bewiesen, und wir benutzen sie hier lediglich zur Veranschaulichung. Dagegen haben wir die Flächeninhaltsformel für das Parallelo-gramm in der Schule sehr wohl bewiesen. Diese Formel hat hier also Beweiskraft, während die Scherung lediglich sehr anschaulich und suggestiv ist. Anschließend drehen wir das Parallelogramm ABTG um die Ecke A so weit, bis die Seite AB auf die Seite AD fällt (beide mit Länge c ), d.h. wir müssen um 90° drehen. — Wird dabei die Ecke G auf C abgebildet? — Jawohl, denn auch die beiden Seiten AG und AC haben dieselbe Länge, nämlich b , und sie schließen ebenfalls einen Winkel von 90° ein, der bei der Rotation gerade überwunden wird. Die vierte Ecke des Parallelogramms T wird auf S abgebildet (wieso liegt das Bild von T auf hc ?), und wir haben jetzt das Parallelogramm ADSC , dessen Fläche so groß wie die des Parallelogramms ABTG ist (weil diese beiden Parallelogramme durch eine Rotation aufeinander abgebildet worden sind und damit sogar deckungs-gleich, d.h. kongruent sind).

I.8.02 Z

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I.8.03 Z (von Tim Rinkens)

I.8.04 Z

Das Parallelogramm ADSC hat dieselbe Grundseite AD und dieselbe Höhe AQ wie das "Parallelogramm" ADLQ , d.h. auch die Flächeninhalte sind gleich. Insgesamt hat also das Kathetenquadrat ACFG denselben Flächeninhalt wie das Rechteck ADLQ . Zur Veranschaulichung führen wir jetzt wieder nachträglich eine Scherung entlang der Seite AD durch und transformieren so das Parallelogramm ADSC unter Erhal-tung des Flächeninhalts stetig in das Rechteck ADLQ , auch dies wieder zum Zwe-cke der Veranschaulichung und Beeindruckung. # Wir könnten den ganzen Beweis auch in um-gekehrter Richtung führen, d.h. ausgehend vom Rechteck über Scherung, Drehung und Scherung zum Kathetenquadrat. 1.2 Scherung — Schiebung — Scherung

von Parallelogrammen Wir verwenden dieselbe Ausgangsfigur wie in 1.1, fangen aber zur Abwechslung mit dem Rechteck ADLQ an, das durch die Höhenge-rade hc vom Hypotenusenquadrat abge-trennt wurde. Dieses "scheren" wir entlang DA in das Parallelogramm mit den Ecken D , A und C . Dieses neue Parallelogramm ver-schieben wir um c nach oben und scheren es dann in das Kathetenquadrat. In Abb. I.8.03 ist das für beide Rechtecke zugleich gemacht, und wir sehen eine Momentaufnahme, wo die beiden Recht-ecke nach der Scherung als Parallelo-gramme simultan auf dem Verschie-bungsweg nach oben sind. Sind sie oben angelangt, dann wird das eine nach links und das andere nach rechts geschert. 1.3, 1.4 Scherung — Drehung (bzw.

Schiebung) — Scherung von Dreiecken ("Tänzerinnen"-Be-weis)

Zum Beweis wird mit Dreiecken an Stel-le von Parallelogrammen gearbeitet. — Welche kleine Zusatzüberlegung ist er-forderlich? — Welchen kleinen Vorzug hat die Verwendung von Dreiecken?

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I.8.06

I.8.05 Z

2.1 Zerlegung — Verschiebung von Quadratteilen Wähle das größere der beiden Katheten-quadrate (oder, falls sie gleich groß sind, eines der beiden), und markiere seinen Mittelpunkt (z.B. als Schnittpunkt der bei-den Diagonalen). Zeichne durch den Mit-telpunkt eine Gerade, die parallel zur Sei-te c ist, und eine weitere Gerade senk-recht dazu. Das Kathetenquadrat wird so in vier Teile zerlegt. Verschiebe diese vier Teile einzeln in das Hypotenusenquadrat, und passe sie mit ihrem rechten Winkel genau in die jeweils entsprechende Ecke des Hypotenusen-quadrats. Zeige, dass in die jetzt noch freie Fläche im Hypotenusenquadrat genau das ande-re Kathetenquadrat passt (mit Hilfe von Aussagen über die Winkelmaße und Sei-tenlängen der verschobenen Teile). 2.2 Ergänzung zum Quadrat — Verschiebung von dreieckigen Teilen (indischer

Beweis) Zum rechtwinkligen Dreieck mit den Katheten a , b und der Hypotenuse c zeichnen wir ein Quadrat mit der Sei-tenlänge a+b . In dieses Quadrat passen wir nun vier Kopien des Dreiecks ein, einmal wie in Abb. I.8.06 im linken, dann wie im rechten Quadrat. Wieso bleiben als Restflächen ein bzw. zwei Quadrate? Um welche Qua-drate handelt es sich dabei? Die zugehörige arithmetische Gleichungskette macht den einfachen Beweis (aller-dings nur in Verbindung mit der Zeichnung) vollends trivial:

c2 = (a+b)2 – 4·

2ba ⋅

= a2+2·a·b+b2 – 2·a·b = a2+b2 .

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2.3 Zerlegung und Ergänzung (Stuhl der Braut, Clairaut um 1750)

Beweis: Zu einem rechtwinkligen Dreieck mit Katheten a und b und Hypotenuse c werden die beiden Kathetenquadrate nebeneinander gelegt wie in der Zeichnung. Auf der Strecke AICI mit der Länge a+b wird der Punkt HI im Abstand b von AI markiert. Es ist klar, dass die beiden Dreiecke HIDIAI und GIHICI kongruent zum ursprünglichen sind. Sie werden abgeschnitten und wie in der Zeichnung neu ange-legt. — Begründe, dass Alles passt und dass ein Quadrat mit Seitenlänge c ent-steht. — Wieso ist nun der Pythagoras-Satz bewiesen? # Dasselbe nun als Bewegungsbeweis (rechte Zeichnung). Vorgehen (mit Abschnei-den und Anlegen) wie eben. Nur wird H jetzt nicht festgelegt, sondern ist auf der Strecke AC beweglich. H soll von A nach C laufen. Dabei werden die Strecke AH und die dazu kongruente Strecke EL immer länger und die Strecke HC und die dazu kongruente Strecke FK immer kürzer. Was bleibt bei der Bewegung von H immer gleich? Wenn schließlich K mit L zusammen fällt (wird dieser Zustand zwin-gend erreicht?), dann lauten die Maße ... (wie?) und ist die entstandene Figur das Hypotenusenquadrat (wieso?). #

I.8.07 Z

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3. Ähnlichkeitsbeweis (beliebige Flächen über den Seiten, die einander ähnlich sind) Beweis: Mit den Bezeichnungen wie in Abb. I.8.08 sind die Dreiecke ABC , ACH und CBH ähnlich, weil sie alle einen rechten Win-kel und direkt sichtbar den Winkel α oder den Winkel β haben, woraus sich der jeweils andere Winkel zu β bzw. α ergibt. Da ent-stehen viele Verhältnisgleichungen, z.B.

bc

=ha

=qb

. Daraus c·q=b2 . Analog ergibt

sich c·p=a2 und durch Addition a2+b2=c·(p+q)=c·c=c2 . # Nun an Stelle dieser arithmetischen Schluss-weise ein Ähnlichkeitsbeweis mit Bewe-gungen: Über den drei Seiten a , b , c des in C rechtwinkligen Dreiecks sind zunächst Qua-drate gezeichnet. Sie sind zueinander ähn-lich, und ihre Flächeninhalte verhalten sich wie a2 zu b2 zu c2 . Die Zeichnung ist so angelegt, dass man durch Ziehen an D und E die Form des Hypotenusenquadrats ver-ändern kann und dass sich die Formen der Kathetenquadrate entsprechend ändern, d.h. dass die drei Flächen ähnlich bleiben und sich ihre Flächeninhalte immer wie a2 zu b2 zu c2 verhalten, d.h. es gibt immer ei-ne Zahl r , so dass die drei Flächeninhalte r·a2 , r·b2 und r·c2 lauten. Am Anfang bei den Quadraten beträgt r=1 . Bei den Fi-guren in der Zeichnung ist ungefähr r=0,3 , usw. Dies Alles gilt auch, wenn man z.B. E auf A zieht und dadurch Dreiecke erzeugt. Dabei gehen Q nach A und G nach C . Lässt man D wie in der Zeichnung, dann ist ungefähr r=0,15 . Nun kann man D noch ziehen, wobei P und F sich entsprechend bewegen, so dass die Dreiecke immer ähnlich bleiben. Man kann so-gar D auf die andere Seite der Hypotenuse ziehen, wobei das Dreieck ABD zwi-schendurch entartet ist. Dabei wandern P und F ebenfalls auf die andere Seite ih-rer jeweiligen Katheten (und diese beiden Dreiecke ACP und CBF sind im selben Moment wie das Hypotenusendreieck auch entartet). Nun zieht man speziell D auf C . Dann wandern P und F beide auf H , den Hö-henfußpunkt von C im Dreieck ABC . Diese beiden Punkte müssen dort hin wan-dern, weil ja die Kathetendreiecke ACP und CBF immer ähnlich zum Hypotenu-sendreieck ABD sein müssen und wir am Anfang des Abschnitts festgestellt haben, dass genau die Dreiecke AHC und CHB und ACB ähnlich sind. Auch jetzt gibt es ein r , so dass die drei Dreiecke die Flächeninhalte r·a2 , r·b2 und r·c2 haben, un-

I.8.09 Z

I.8.08

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gefähr 0,25 . Zugleich ist klar, dass die beiden Kathetendreiecke zusammen das Hypotenusendreieck ergeben, dass also r·a2+r·b2=r·c2 und damit insbesondere a2+b2=c2 ist. Dies ist genau die Pythagoras-Gleichung für die anfänglichen Quadra-te. # Rückblick: Weil die Gleichung r·a2+r·b2=r·c2 für eine bestimmte Metamorphose der drei Figuren gilt, gilt sie für alle anderen Metamorphosen auch: Wenn nur schön die Ähnlichkeit bewahrt wird, ist immer die Summe der Flächeninhalte der Kathetenfigu-ren gleich dem Flächeninhalt der Hypotenusenfigur, und dies gilt auch, falls diese die Form von Quadraten (oder Halbkreisen oder ...) haben. Zur "Satzgruppe des Pythagoras" gehören noch Kathetensatz des Euklid:

• Im rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat über der Kathete flächeninhalts-gleich zu dem Rechteck, das aus der Hypotenuse und dem anliegenden Hypotenusenabschnitt gebildet ist.

Der Hypotenusenabschnitt ist durch den Höhenfußpunkt festgelegt. Beim Beweistyp 1.1 wurde genau der Kathetensatz bewiesen. Höhensatz des Euklid:

• Im rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat über der Höhe auf der Hypote-nuse flächeninhaltsgleich zu dem Rechteck, das aus den beiden Hypote-nusenabschnitten gebildet ist.

In den ähnlichen Dreiecken AHC und CHB mit q=AH , p=BH , h=HC gilt qh

=hp

,

und daraus folgt h2=p·q (Bezeichnungen s. Abb. I.8.08).

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Die alten (Ägypterinnen &) Ägypter konstruierten einen rechten Winkel mit Hilfe des 12-Knoten-Seils (Hinweis: 3+4+5=12 und 32+42=52 ). Sie benutzten damit die Umkehrung des Satzes von Pythagoras:

• Ist in einem Dreieck das Quadrat über einer Seite so groß wie die Quadrate über den beiden anderen Seiten zusammen, so ist das Dreieck rechtwink-lig. (Der rechte Winkel liegt — natürlich! — dem großen Quadrat gegenüber.)

Beweis: Wir analysieren die Gleichung a2+b2=c2 (entsprechend ginge man vor bei a2+c2=b2 oder c2+b2=a2 ). Wir halten die Ecken A und B mit der Seite c fest und lassen C wandern. Wir betrachten den Streifen, den die beiden zu c senkrechten Geraden durch A und durch B bilden. Liegt C außerhalb des Streifens oder auf dem Rand, dann ist der Winkel in A oder B stumpf oder recht und entweder a≥c oder b≥c und jedenfalls a2+b2>c2 . Liegt C im Innern des Streifens, dann las-sen wir C auf einer Parallelen zu den Streifenrändern wandern: Wenn C sich der Seite c nähert, werden a und b kleiner, bis schließlich im Entartungsfall, wenn C auf c liegt, a+b=c und damit a2+b2<a2+2·a·b+b2=(a+b)2=c2 ist. Wandert nun C von c weg, werden a und b und damit a2+b2 kontinuierlich größer, und zwar be-liebig groß, wenn C nur weit genug wandert, insbesondere wird dieser Term also ir-gend wann einmal >c2 . Bei dieser Wanderung überschreitet C einen Punkt, bei dem gerade a2+b2=c2 ist. Wir wissen genau, wo dieser Punkt ist. Wo nämlich C den Kreis (mit dem Durchmesser AB ) passiert, ist nach dem Thales-Satz der Winkel ACB ein rechter, und nach dem Pythagoras-Satz gilt dort a2+b2=c2 . Insgesamt hat man: Vor und nach dem Erreichen dieses Kreises gilt die Pythagoras-Gleichung nicht, und genau beim Passieren des Kreises gilt sie. D.h.: Wenn die Glei-chung gilt, muss C auf dem Kreis liegen und damit der Winkel in C recht sein. # Zusammenfassung: Liegt C im Innern dieses Kreises, ist sein Winkel stumpf, und es ist a2+b2<c2 . Liegt C außerhalb, ist sein Winkel spitz, und es ist a2+b2>c2 . Liegt C auf der Kreislinie, ist sein Winkel recht, und es ist a2+b2=c2 .

I.8.10 Z

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Ist der Winkel in C nicht recht, so lässt sich die Ungleichung zwischen a2 , b2 und c2 unter Einbezug von cosγ wieder zu einer Gleichung machen, mit Hilfe vom Kosinussatz:

• In jedem Dreieck gilt: c2 = a2 + b2 – 2·a·b·cosγγγγ . Der Kosinussatz in dieser Form ist ein wichtiges Hilfsmittel, um aus gegebe-nen Seiten und Winkeln eines Drei-ecks die übrigen "Stücke" zu berech-nen. Speziell für γ=90° ist bekanntlich cosγ=0 , und wir haben die Pythago-ras-Gleichung. ─ Was passiert, wenn von da aus γ kleiner oder größer wird? ─ Wie lauten die Gleichungen des Kosinussatzes, wenn mit α oder β statt γ gearbeitet wird? Der Kosinussatz ist eine direkte (arithmetische) Konsequenz aus fol-gendem geometrischen Satz: (Geometrische) Verallgemeinerung des Kathetensatzes

• Errichte im Dreieck über jeder Seite das Quadrat, und zerlege jedes Qua-drat durch die zugehörige Höhengera-de in zwei Rechtecke. Dann gilt: Von diesen sechs Rechtecken sind immer jeweils die beiden Rechtecke, die an dieselbe Dreiecksecke sto-ßen, gleich groß.

Im rechtwinkligen Fall ist dies der Kathe-tensatz: Da die Höhengeraden durch die 90°-Ecke gehen, stimmen zwei davon mit den anliegenden Seiten überein, und die beiden Rechtecke an der 90°-Ecke haben je den Flächeninhalt 0 , ihre beiden Qua-dratergänzungen sind komplette Quadrate, nämlich die Kathetenquadrate. Diese sind also je so groß wie ihre zugeordneten Teil-rechtecke des Hypotenusenquadrats. Besser als beim Kosinussatz in seiner üblichen Formulierung wird hier die vollständi-ge "Gleichberechtigung" aller drei Seiten des Dreiecks klar. Im stumpfwinkligen Fall haben die beiden Rechtecke an der stumpfen Ecke "negati-ven" Flächeninhalt, und ihre beiden Quadrat-"Ergänzungen" sind größer als die Qua-drate.

I.8.11 Z

I.8.12 Z

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Beweis der Verallgemeinerung des Kathetensatzes: Wir setzen zunächst voraus, dass γ spitz ist. Nun gehen wir genau wie beim "Sche-rung-Drehung-Scherung"-Beweis des Pythagoras-Satzes vor, und zwar gemäß der dort abschließenden Bemerkung in der Richtung "von einem der beiden Teilrecht-ecke des Hypotenusenquadrats zum entsprechenden Kathetenquadrat" (Abb. I.8.02). Durch die Höhengerade hc wird das Quadrat über AB in zwei Rechtecke zerlegt. Wir arbeiten mit dem linken ADLQ : Wir ersetzen es (durch Scherung zu veran-schaulichen) durch das gleich große Parallelogramm ADSC und rotieren dies um 90° um A in das dazu kongruente Parallelogramm ABTG . In der Tat: A ist Fix-punkt. Durch die 90°-Rotation werden die Seiten AD und AC auf die Seiten AB und AG ihrer jeweiligen Quadrate abgebildet. Und das Bild von S liegt auf der Pa-rallelen zu AG durch B , also auf der Höhengeraden hb , und auf der Parallelen zu AB durch G , also ist es T . Das Parallelogramm ABTG wiederum wird durch das gleich große Parallelogramm AHbNG ersetzt (wieder durch Scherung zu veranschaulichen) ( Hb ist der Höhen-fußpunkt zu B ). Tatsächlich ist AHbNG ein Rechteck, und zwar bei Zerlegung des Quadrats über AC durch die Höhengerade hb in zwei Teilrechtecke das an A lie-gende. Der Unterschied zum genannten Pythagorassatz-Beweis besteht darin, dass sich am Schluss nicht das ganze Quadrat über AC ergibt, sondern eben nur das durch hb definierte Teilrechteck an A . Bei γ=90° läuft hb durch die Ecke C , und das "Teilrechteck" AHbNG ist mit dem Quadrat identisch. Dasselbe gilt für das Quadrat über der Seite BC . Auf beiden Sei-ten hat das "Restrechteck" (an C ) die Breite 0 und damit den Flächeninhalt 0 , und diese beiden "Restrechtecke" sind gleich groß (nämlich 0 ). Ist nun γ>90°, so funktioniert der Beweis immer noch in gleicher Weise. Nur optisch sieht der Sachverhalt anders aus: Die beiden Höhengeraden hb und ha verlaufen ja nun außerhalb des Dreiecks, das Rechteck AHbNG ist jetzt größer als das Quadrat und das "Restrechteck" hat negativen Flächeninhalt. Dies alles lässt sich durch Ziehen mit der DGS durch Übergang aus dem spitzwinkli-gen Fall sehr schön veranschaulichen. # Nun folgern wir den eigentlichen Kosinus-satz: (i) Zunächst im spitzwinkligen Fall: Das Quadrat über c ist ja so groß wie die Sum-me der beiden Quadrate über b und über a , abzüglich der beiden an C liegenden Rechtecke. — Wie groß sind diese? — Das an der Seite b hat die Seitenlängen b und

I.8.13 Z

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CHb . Im Dreieck CHbB ist in Hb ein rechter Winkel, CHb ist die Ankathete und CB=a die Hypotenuse zum Winkel γ , also ist CHb=a·cosγ , und damit hat dieses fragliche Rechteck den Flächeninhalt a·b·cosγ . Auf der rechten Seite der Gesamtfigur geht man in gleicher Weise vor. Dort kriegt man ebenfalls den Flächeninhalt a·b·cosγ . Addiert man Alles auf, erhält man endlich

c2=a2+b2–2·a·b·cosγ .

Diese Gleichung gilt, wie gesagt, für spitze Winkel γ und, wie wir wissen, noch für rechte Winkel γ . (ii) Im stumpfwinkligen Fall (γ >90° ) müs-sen ja die Flächeninhalte der beiden "überstehenden" Rechtecke noch zu a2 und b2 addiert werden, um c2 zu erhal-ten. — Wie vereinbart sich das mit dem Mi-nuszeichen in der Kosinusgleichung? — Natürlich ist der Flächeninhalt etwa des Rechtecks CFNHb nach wie vor b·CHb . Die Länge CHb hat, ähnlich wie vorhin, im rechtwinkligen Dreieck CHbB (mit rech-tem Winkel in Hb und γ'=180°–γ<90° in C ) den Wert a·cosγ' . Weil γ' der Neben-winkel von γ ist, gilt a·cosγ'=-a·cosγ>0 . Der Flächeninhalt lautet -a·b·cosγ>0 . Die-ser Wert ist zu addieren, und der Term gilt auch in diesem Fall. Was gibt es noch im Umfeld des "Pythagoras"? • Diophant (um 250): Wie findet man natürliche Zahlen a , b , c , für die

c2=a2+b2 gilt? Solche Zahlen heißen Pythagoräische Zahlen. Gibt es dafür eine Formel?

• Fermat (1601–1665) hat bei dem Versuch, den Pythagoras-Satz zu verallgemei-nern, festgestellt: Die Gleichung an+bn=cn besitzt für n>2 keine Lösung, die nur aus positiven natürlichen Zahlen besteht. Erst 1994 wurde die sog. Fermatsche Vermutung von Andrew Wiles endgültig bewiesen.

• Chaostheorie (2. Hälfte 20. Jhdt.): Ein Pythagoräisches Fraktal entsteht so: Be-trachte jedes Kathetenquadrat als neues Hypotenusenquadrat, wobei das neue rechtwinklige Dreieck zum alten ähnlich ist. Zeichne die neuen Kathetenquadra-te. Dann betrachte ... usw. Es entstehen faszinierende Bilder.

I.8.14 Z

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II. Abbildungen ebener Figuren

II.1. Grundsätzliches zu Abbildungen

Wir wollen uns nun etwas systematischer mit geometrischen Abbildungen befassen. "Abbildung" und "Funktion" (auch "Transformation" und "Operation") sind verschie-dene Namen für denselben Begriff, der charakterisiert ist durch die Angabe des De-finitionsbereichs ("was wird abgebildet?"), des Wertebereichs ("wohin wird abge-bildet?") und der Abbildungs- oder Funktionsvorschrift ("wie wird abgebildet?"). In unserem Fall besteht sowohl der Definitions- wie der Wertebereich aus den Punk-ten der Ebene. Wir betrachten dabei nur bijektive Abbildungen, d.h. solche, die je-den Punkt einem und nur einem Punkt zuordnen. (Gegenbeispiel: orthogonale Pro-jektion auf eine Gerade; zeichne eine Gerade, und ordne sämtlichen Punkten X der Ebene ihren Lotfußpunkt auf der Geraden zu; Beispiele: Translation, Spiegelung, Rotation, zentrische Streckung usw.). Man spricht auch von umkehrbar eindeutigen Zuordnungen. Diese besitzen immer eine Umkehr-Abbildung. Die Hintereinanderausführung (HAF) von Abbildung und Umkehr-Abbildung ergibt die

identische Abbildung (Identität ), bei der jeder Punkt auf sich selbst abgebildet wird. Wir bezeichnen Abbildungen mit kleinen griechi-

schen Buchstaben: , , und ihre Umkehr-

Abbildungen mit -1 etc. — Die HAF von und

("erst , dann ") bezeichnen wir mit .

Demnach gilt: ist Umkehr-Abbildung von

genau dann, wenn = = . Die HAF ist assoziativ, d.h. wenn man drei be-

liebige Abbildungen , , hintereinander

ausführt, dann kann man zum einen als

neue Abbildung auffassen und erst und

dann ausführen ( ) , oder man fasst

als neue Abbildung auf und führt sie nach

aus ( ) : Die resultierende Abbildung ist die-

selbe. Kurz: Es ist immer = . In Abb. II.1.01 ist die Assoziativität mit drei Trans-lationen, repräsentiert durch ihre Verschiebungs-vektoren, veranschaulicht. Dass das Anhängen

des Pfeils an = zum selben Ergebnis

führt wie das Anhängen des Pfeils = an

, müsste noch elementargeometrisch bewiesen werden (wie?). Beachte nach wie vor: durch jede Translation wird die ganze Ebene abgebildet!.

Die HAF ist i.A. nicht kommutativ, d.h. i.A.

. Abb. II.1.02 liefert ein Beispiel mit zwei Spiegelungen, wo g h(ABC) =

A'B'C' und h g(ABC) = A"B"C" (beachte wieder: es wird immer die ganze Ebene abgebildet.)

II.1.01

II.1.02 Z

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II.2. Zentrische Streckung

Eigenschaften einer zentrischen Streckung:

Z ist Fixpunkt, im Fall k 1 der einzige.

Geradentreue, d.h. das Bild einer Ge-raden ist wieder eine Gerade. Beweis: Wir betrachten eine Strecke AB , einen Punkt C auf ihr, und zei-gen, dass dann der Bildpunkt C' auf der Bildstrecke A'B' liegt. Da die Ver-hältnisgleichungen

ZA : ZA' = ZB : ZB' = ZC : ZC' gelten, müssen wegen der Umkehrung des 1. Strahlensatzes die Strecken A'B' , A'C' und B'C' parallel zu AB , AC und BC sein. Da AB , AC und BC untereinander parallel sind, müs-sen auch A'B' , A'C' und B'C' untereinanderparallel sein. Also liegen A' , C' und B' auf einer Geraden.

Bild- und Urgeraden sind parallel: Beweisführung analog "Geradentreue". Ins-besondere sind die Geraden durch Z Fixgeraden.

Winkeltreue: folgt nach Stufen- bzw. Wechselwinkelsatz direkt aus der Paralleli-tät von Bild- und Urgeraden. Insbesondere werden Dreiecke in dazu ähnliche abgebildet.

Kennt man von einem Punkt A ( Z ) den Bildpunkt A' , so kann man ohne Kenntnis des Streckfaktors k zu jedem anderen Punkt B den Bildpunkt kon-struieren (Bezeichnungen wie in Abb. II.2.01): Gerade BZ , Gerade AB , Paral-lele zu AB durch A' , Schnittpunkt mit Gerade BZ ist Bildpunkt B'.

k >1 Figuren werden vergrößert,

k =1 zentrische Streckung ist Kongruenzabbildung,

k <1 Figuren werden verkleinert, k>0 Bildpunkte auf derselben Seite bezüglich Z wie Urpunkte, k<0 Bildpunkte auf der anderen Seite bezüglich Z als Urpunkte, k=-1 zentrische Streckung ist Punktspiegelung, k=1 zentrische Streckung ist Identität, k=0 nicht erlaubt.

II.2.01 Z

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Den Zusammenhang zwischen der Ähnlichkeitslehre und der zentrischen Streckung stiftet der

Satz von den zentrisch ähnlichen Dreiecken:

Zwei Dreiecke, deren entsprechende Seiten parallel, aber nicht gleich lang sind, lassen sich durch eine zentrische Streckung aufeinander abbilden.

Was ist, wenn entsprechende Seiten nicht nur parallel, sondern auch noch gleich lang sind (in Abb. II.2.02 das Dreieck A"B"C" im Vergleich zu ABC )? — Dann lie-fert die Translation (mit dem Spezialfall der Identität) oder die Punktspiegelung (= Rotation um 180° ) die Abbildung des einen Dreiecks auf das andere. Für zwei zentrische Streckungen am selben Zentrum Z und den Faktoren k und j ist die HAF wieder eine zentrische Streckung an Z mit dem Faktor k·j .

Speziell wenn j=k

1 , handelt es sich bei der HAF um die Identität. Zwei zentrische

Streckungen sind invers zueinander, falls sie dasselbe Zentrum haben und für ihre

Streckfaktoren gilt: j=k

1 , insbesondere müssen dafür k und j beide positiv oder

beide negativ sein.

II.2.02 Z

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Besondere Linien und Punkte im Dreieck Wir knüpfen noch einmal an den Zusam-menhang zwischen Mittelsenkrechten und Höhengeraden in I.5 an und wenden auf die Konfiguration von Abb. I.5.03 (jetzt II.2.03) den Satz von den zentrisch ähnlichen Drei-ecken an: Es gibt eine zentrische Streckung, die ABC auf A'B'C' abbildet; der Streckfaktor ist k=-2 . Das Streckzentrum ist der Schnitt-punkt der Strecken AA' und BB' und liegt auch auf CC' . Diese Strecken sind die Sei-tenhalbierenden im Dreieck A'B'C' (auch im Dreieck ABC , wegen der zentrischen Streckung). — Damit haben wir einen neu-en Beweis für den Satz von den Seitenhalbierenden, wobei der Schwerpunkt gleich dem Streckzentrum ist. Bei der genannten zentrischen Streckung wird der Umkreismittelpunkt des Dreiecks ABC auf den Umkreismittelpunkt des Dreiecks A'B'C' abgebildet (warum?). Dieser ist aber zugleich Höhenschnittpunkt im Dreieck ABC . Also gilt der Satz von der Eulerschen Geraden:

Höhenschnittpunkt H , Schwerpunkt S und Umkreismittelpunkt M liegen auf einer Geraden.

Der Schwerpunkt teilt die Strecke zwischen Höhenschnittpunkt und Um-kreismittelpunkt im Verhältnis 2:1 , wobei das längere Stück am Höhen-schnittpunkt liegt.

II.2.04 Z

II.2.03 Z

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Mit Hilfe von zentrischen Streckungen folgt mit deutlich mehr Aufwand der

Satz vom Feuerbachschen Neun-Punkte-Kreis:

In einem Dreieck ABC liegen die drei Seitenmitten Ma, Mb, Mc (wichtig), die drei Höhenfußpunkte Ha, Hb, Hc (wichtig) und die drei Mitten Va, Vb, Vc der Verbindungsstrecken von den Ecken zum Höhenschnittpunkt (nebensäch-lich) auf einem Kreis.

Der Radius des Feuerbachschen Kreises ist halb so groß wie der Umkreis des Dreiecks.

Der Mittelpunkt F des Feuerbachschen Kreises liegt auf der Eulerschen Geraden in der Mitte zwischen dem Höhenschnittpunkt H und dem Um-kreismittelpunkt M .

Der Feuerbachsche Kreis berührt sowohl den Inkreis wie die drei Ankreise.

II.2.05 Z

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II.3. Kongruenzabbildungen

Wir wiederholen (ohne Beweise):

Kongruenzabbildungen sind geraden-, längen- und winkeltreu. Aus den Kongruenzsätzen folgt weiterhin der Satz von der Eindeutigkeit von Kongruenzabbildungen

Kennt man bei einer Kongruenzabbildung zu drei nicht-kollinearen Punkten ihre Bildpunkte, dann kennt man die Kongruenzabbildung insgesamt, d.h. auf allen Punkten der Ebene.

Anders ausgedrückt: Stimmen zwei Kongruenzabbildungen in der Ebene in drei nicht-kollinearen Punkten überein, dann sind sie identisch.

Etwas Ähnliches hatten wir schon bei der Funktionenlehre in der Sekundarstufe. Zur Bestimmung einer Funktion muss man zu jedem Element des Definitionsbereichs sein zugeordnetes Element im Wertebereich angeben, z.B. mit einer Funktionsvor-schrift. Wenn man diese nicht kennt, kann man sich mit einer Wertetabelle helfen, aber nicht, wenn der Definitionsbereich unendlich viele Elemente enthält. Wenn man aber einige Eigenschaften der Funktion kennt, braucht man vielleicht doch wieder nur für wenige Elemente ihre Bilder, um damit die ganzen Funktion zu bestimmen. Beispiel: Wenn man weiß, dass es eine lineare Funktion von R in R (eine Gerade) ist, dann genügt es, von zwei Zahlen x ihre Bilder f(x) zu kennen, und man kennt für alle anderen Zahlen ihre Bilder auch und damit die ganze Funktion. In der Geo-metrie der Ebene gilt: Wenn man weiß, dass die Abbildung eine Kongruenzabbildung

ist, dann genügt es, für drei nicht-kollineare Punkte P ihre Bildpunkte (P) zu kennen, und man kennt für alle anderen Punkte X der Ebene ihre Bildpunkte unter

. Der tiefere Grund ist (Be-weisskizze für den Satz): Wenn ein Punkt X bezüg-lich eines Dreiecks PQR eine bestimmte Lage hat, d.h. zu den drei Ecken P , Q , R je einen bestimmten Abstand, dann muss sein Bildpunkt X' zum Bilddrei-eck P'Q'R' die entspre-chende Lage, nämlich zu den drei Bildecken P' , Q' , R' die entsprechen-den Abstände haben. X liegt nämlich auf drei Kreisen um die drei Punkte P , Q , R , und der Bildpunkt X' muss auf drei Kreisen mit entsprechend gleichen Radien um die entsprechenden Bildpunkte liegen. Bereits wenn wir nur zwei Kreise, etwa um P' und Q' , betrachten würden, gäbe es für X' nur zwei Möglichkeiten. Von denen wird dann durch den dritten Kreis noch eine festgelegt. — Ist man überhaupt sicher, dass sich von den drei Kreisen um die Bildpunkte überhaupt immer zwei schneiden? Jawohl, wegen der Kongruenzsätze. — ... und dass sich alle drei Kreise um die Bildpunkte in einem Punkt schneiden? Ebenfalls: jawohl, wegen der Kongru-

II.3.01 Z

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enzsätze. — Ist man sicher, dass die drei Kreise nicht zwei verschiedene gemeinsa-me Schnittpunkte haben können? In der Tat gibt es nur dann einen eindeutigen Schnittpunkt, wenn P , Q , R und damit P' , Q' , R' ein echtes Dreieck bilden, d.h. nicht auf einer Geraden liegen. Wenn sie dagegen auf ei-ner Geraden liegen, dann gibt es für das Bild von X zwei Möglichkeiten, näm-lich in jeder der beiden Halbebenen bezüglich die-ser Geraden eine. Man hat dann nämlich für die Kon-gruenzabbildung nicht mehr Information, als wenn man nur von zwei Punkten ihre Bilder kennen würde. Dieser Satz erlaubt es, dass wir uns bei der Analyse von Kongruenzabbildungen auf deren Wirkung auf (echte) Dreiecke (sogar auf deren drei Ecken) beschränken. (Geraden-) Spiegelung Wir knüpfen an die Begriffe, Definitionen und Ergebnisse von I.3 an: Eigenschaften einer (Geraden-) Spiegelung

Die Geradenspiegelung ist Umkehrabbildung von sich selbst.

Für jeden Punkt P mit seinem Bildpunkt P' ist die Spiegelachse Mittelsenk-rechte der Strecke PP' .

Die einzigen Fixgeraden sind die Spiegel-achse und alle dazu senkrechten Geraden. Die Spiegelachse ist sogar Fixpunktgerade.

Wird eine Gerade h gespiegelt, dann ist die Spiegelachse g entweder Mittelparallele des Streifens zwischen h und Bildgerade h' oder Winkelhalbierende eines Winkels zwi-schen h und h' .

Die Geradenspiegelung verkehrt den Um-laufsinn.

Für jede Figur f ist die mit ihrem Bild f'

vereinigte Figur f f' achsensymmetrisch.

II.3.02 Z

II.3.03 Z

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Satz von den drei Spiegelungen

Zwei kongruente Dreiecke können durch Hintereinanderausführung von höchstens drei Spiegelungen aufeinander abgebildet werden.

Beweis (die Ecken der beiden kongrue-nten Dreiecke ABC und DEF seien passend benannt): 1. Mittelsenkrechte

von AD . Spie-gelung daran bildet A auf A' , B auf B', C auf C' ab, und zwar ist A'=D . (Falls schon vor 1. Schritt A=D , dann entfällt dieser Schritt, und es wird direkt A=A'=D , B=B' und C=C' genannt.)

2. Winkelhalbierende von B'DE . Spiegelung an ihr bildet A' auf A" , B' auf B" , C' auf C" ab, und zwar ist A"=A'=D Fixpunkt und B"=E , d.h. die Seiten A"B" und DE sind identisch). (Falls schon vor 2. Schritt B'=E , dann entfällt dieser Schritt, und es wird direkt D=A'=A" , E=B'=B" und C'=C" genannt.)

3. Gerade durch D und E . Spiegelung an ihr bildet A" auf A"' , B" auf B"', C" auf C"' ab. A"'=A"=A'=D sowie B"'=B"=E sind Fixpunkte, und C"'=F , weil

C"'D = C"'A"' = CA = FD und C"'E = C"'B"' = CB = FE . (Falls schon vor 3. Schritt C"=F , dann entfällt dieser Schritt, und es wird direkt D=A'=A"=A"' , E=B"=B"' und F=C"=C"' genannt.)

Mit der HAF von höchstens drei Spiegelungen kann man das Dreieck ABC auf das dazu kongruente Dreieck DEF abbilden. Es ist klar, dass bei jeder Spiegelung sich der Umlaufsinn verkehrt. Wenn also die beiden Dreiecke verschiedenen Umlaufsinn haben, braucht man eine ungerade Anzahl von Spiegelungen, d.h. 3 oder 1 . Wenn sie denselben Umlaufsinn haben, braucht man eine gerade Anzahl, also 2 oder 0 (im letzteren Fall sind die beiden Dreiecke von vorne herein identisch). Auf die ganze Ebene bezogen lautet der Dreispiegelungssatz:

Jede Kongruenzabbildung der Ebene kann als Produkt von höchstens drei Spiegelungen dargestellt werden.

Ist eine Kongruenzabbildung das Produkt einer geraden Anzahl von Spiegelun-gen, dann erhält sie die Orientierung aller Dreiecke; sie ist orientierungserhal-tend.

Ist eine Kongruenzabbildung das Produkt einer ungeraden Anzahl von Spiege-lungen, dann verkehrt sie die Orientierung aller Dreiecke; sie ist orientierungs-verkehrend.

II.3.04 Z

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Translation

Die Translationen sind genau die HAFen zweier Spiegelungen mit pa-rallelen Spiegelachsen.

Die Achsen stehen orthogonal auf dem Verschiebungspfeil, ihr Abstand ist halb so groß wie dessen Länge. Die Reihenfolge der beiden Spiegelungen ergibt sich aus der Orientierung des Verschiebungspfeils.

Es handelt sich um die Nullschiebung (= Identität = Nulldrehung) gdw die beiden Spiegelungen (und ihre Achsen) sind identisch.

Beweis: Seien die Achsen g1 und g2 mit Abstand a gegeben, sowie X irgendein Punkt der Ebene. Wir machen keine Fall-unterscheidung, in welchem Bereich X liegen kann, sondern führen den Beweis für eine beliebige Lage von X : Zeichne die Lotgerade durch X zu den beiden Spiegelachsen. Wir wissen bereits, dass der Zwischenbildpunkt X* (nach der ersten Spiegelung) und der endgültige Bildpunkt X' (nach der zweiten Spiegelung) auf dieser Lotgeraden liegen. Wir prä-gen der Lotgeraden die reellen Zahlen (eine Koordinate) so auf, dass ihr Schnitt-

punkt mit g1 den Wert 0 und ihr Schnittpunkt mit g2 den Wert a ( 0) erhält. Es ist dann für jede Zahl klar, wo sie auf der Lotgeraden zu liegen hat (außer im trivialen Fall a=0 , wo die beiden Spiegelgeraden übereinstimmen und wir als HAF direkt die Nullschiebung erhalten). Die Koordinate unseres Punkts X sei x . Zu zeigen ist, dass der endgültige Bildpunkt X' die Koordinate x+2·a hat! (Das gilt ja dann für jeden Punkt der Ebene, also für die ganze Translation.) Sehr leicht finden wir den Wert für den Zwischenpunkt X* , nämlich -x (auf der Koordinatengeraden an 0 gespiegelt; ist x>0 , dann -x<0 , und umgekehrt). Nun zur Spiegelung an g2 , d.h. auf der Koordinatengeraden an der Stelle a : Sei y die Koordinate irgendeines Punktes Y . Dann müssen wir die Differenz a–y bilden und auf der anderen Seite von a abtragen, d.h. a+a–y bilden. Falls y links von a liegt, dann ist a–y positiv, und der Wert a+a–y liegt rechts von a und geht aus y durch Spiegelung an a hervor. Falls y rechts von a liegt, dann ist a–y negativ und a+a–y liegt links von a , entsteht also auch aus y durch Spiegelung an a . Da Y=X* die Koordinate -x hat, hat X' die Koordinate a+a–(-x) = x+2·a .

II.3.05 Z

II.3.06 Z

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Eigenschaften einer Translation, die nicht die Nullschiebung ist:

Die Translation besitzt keinen Fixpunkt; denn ...

Alle Geraden in Verschiebungsrichtung sind Fixgeraden.

Gerade und Bildgerade sind parallel (wieso?).

Die Translation ist orientierungserhaltend, denn ...

Sind g1 und h1 zueinander parallele Geraden und g2 und h2 ebenfalls und mit gleicher Richtung und mit gleichem orientierten Abstand wie g1 und h1 ,

dann bilden die beiden HAFen g1 h1 und g2 h2 dieselbe Translation. Die letzte Aussage hat folgende praktische Bedeutung:

Wenn wir eine Translation als HAF zweier (Geraden-) Spiegelungen darstellen wollen, ist die einzige Bedingung, die wir erfüllen müssen, dass die beiden Ge-raden parallel sind, senkrecht zur Verschiebungsrichtung verlaufen und ihr Ab-stand halb so groß ist wie der Verschiebungspfeil lang; ansonsten dürfen sie beliebig liegen.

Eine Translation lässt sich also charakterisieren durch — einen Pfeil (Vektor) oder — zwei parallele Geraden.

Bildet eine Translation (mit ihrem Vektor) den Punkt X auf X" ab und möchte man danach eine zweite Translation ausführen, muss man den Pfeil dieser zweiten Transla-tion an X' hängen und erhält als dessen Spitze den nächsten Bildpunkt X" . — Dies zeigt, wie man bezüglich der ganzen Ebene die HAF zweier Translationen kriegt (s. Abb. II.1.01). Man zeichnet den ersten Pfeil ir-gendwohin und hängt den zweiten Pfeil mit seinem Anfang an die Spitze des ersten. Der "Überbrückungs"-Pfeil (vom Anfang des ersten zur Spitze des zweiten Pfeils) liefert dann die Abbildungsvorschrift für die HAF. (Wie sehen die Achsen für die bei-den Spiegelungen aus, die diese dritte Translation erzeugen?) Weiterhin erkennt man hier, dass bei der HAF zweier Translatio-nen das Kommutativgesetz gilt: Setzt man den zweiten Pfeil an X an, erhält man damit X* , und hängt man daran den ersten Pfeil, so landet man genau bei dem Punkt X" wie vorher. — Be-weisen lässt sich das elementargeometrisch: Ausgehend vom Dreieck XX'X" trägt man die Seite X'X" mit dem Winkel X'X"X an der Halbgeraden XX" an und erhält so X* . Daran trägt man den Winkel XX'X" an. Der neue Schenkel schneidet die Halbge-rade XX" in X** . Nach dem Kongruenzsatz WSW ist das Drei-eck XX*X** kongruent zum Dreieck XX'X" , und deshalb ist X**=X" . Was ist mit der HAF von drei Spiegelungen an drei Parallelen?

( 1 2) 3 = ( 4 3) 3 = 4 ( 3 3) = 4 , also eine Spiegelung an einer Parallelen zu den dreien.

II.3.07 Z

II.3.08 Z

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Rotation

Die Rotationen sind genau die HAFen zweier Spiegelungen mit Spiegelachsen, die sich schneiden.

Die Achsen schneiden sich im Rotati-onszentrum und schließen den halben Rotationswinkel ein. Die Reihenfolge der beiden Spiegelungen ergibt sich aus der Orientierung des Rotations-winkels.

Es handelt sich um die Nulldrehung (= Identität = Nullschiebung) gdw die beiden Spiegelungen (und ihre Achsen) sind identisch.

Es handelt sich um die Halbdrehung (= Punktspiegelung) gdw die beiden Spiegelachsen sind orthogonal.

Den Beweis führen wir nicht. Er geht ähnlich wie bei den Translationen. Die Rolle, die dort die Koordinatengerade mit ihren Längen spielte, spielt jetzt der Kreis mit sei-nen Winkelmaßen von -180° bis 180° . Plausibel kann man sich diesen Sachver-halt machen, indem man einen Punkt X auf h betrachtet und seinen Bildpunkt un-

ter h g konstruiert. Dabei erkennt man auch, ob mit dem oder gegen den Uhr-zeigersinn gedreht wird.

Zwei Rotationen mit demselben Drehpunkt D , deren (orientierte) Drehwinkel 1

und 2 sich um ein ganzzahliges Vielfaches von 360° unterscheiden, sind iden-

tisch, z.B. D,0° = D,360° oder D,180° = D,-180° oder D,280° = D,-80° oder D,1100° =

D,20° usw. Es kommt nicht auf den "Weg" an, wie man ihn sich vorstellt, wie einem Punkt sein Bildpunkt zugeordnet wird (wie oft, wie weit, in welcher Richtung wird D umrundet?), sondern nur, wo die jeweiligen Bildpunkte im Vergleich zu den Urpunk-ten liegen. (Solche Bewegungen wie Drehung, Verschiebung usw. sind nur mentale Krücken wie seinerzeit die Scherung beim Pythagoras-Satz.)

Wir legen fest: Es gibt nur Drehwinkel zwischen +180° (einschließlich) und -180° (ausschließlich). Das entspricht der Tatsache, dass man zwischen zwei Spiegelge-raden "den" Winkel zwischen erster und zweiter Gerade immer zwischen +90° (ein-schließlich) und -90° (ausschließlich) annehmen kann. Kommt, etwa durch die Ad-dition zweier Winkelmaße bei der HAF zweier Rotationen, rechnerisch doch einmal

ein Wert >180° oder -180° zustande, so muss man 360° subtrahieren bzw. ad-dieren (wodurch sich ja an der Abbildung nichts ändert!) und ist wieder im erlaubten Intervall.

In Abb. II.3.09 hat der Winkel von h nach g das Maß 30° , und es ist h g =

D,-60° eine Rotation um D im Uhrzeigersinn.

II.3.09 Z

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Eigenschaften einer Rotation, die nicht die Nulldrehung ist:

Der Schnittpunkt D der beiden Spiegelachsen ist der einzige Fixpunkt der Ro-tation; denn ...

Alle Kreise um D sind Fixkreise.

Jede Gerade g und ihre Bildgerade h schließen den Drehwinkel ein (s. I.3.12).

Die Rotation ist orientierungserhaltend, denn ...

Schneiden sich die Geraden g1 und h1 unter dem (orientierten) Winkel und die Geraden g2 und h2 ebenfalls (bei gleicher Orientierung!) und gehen alle vier Geraden durch denselben Punkt D , dann bilden die beiden HAFen

g1 h1 und g2 h2 dieselbe Rotation. Die letzte Aussage hat folgende praktische Bedeutung:

Wenn wir eine Rotation um den Winkel als HAF zweier (Geraden-) Spiegelungen darstellen wollen, ist die einzige Bedingung, die wir erfüllen müssen, dass die beiden

Geraden durch den Drehpunkt D gehen und sich dort unter einem Winkel von /2 (unter Beachtung der Orientierung!) schneiden; ansonsten dürfen sie beliebig lie-gen.

HAF zweier Rotationen: Wir betrachten die Rotation um D als HAF der beiden

Spiegelungen g1 und g2 sowie die Rotation um E als HAF der beiden Spiege-

lungen g3 und g4 . Wir ersetzen die Geradenpaare (g1; g2) und (g3; g4) durch die beiden Geradenpaare (h1; h2) und (h3; h4) in folgender Weise: Auch h1 und h2 schnei-den sich in D , und der Winkel von h1 bis h2 hat dasselbe Maß wie der von g1 bis g2 ; auch h3 und h4 schneiden sich in E , und der Winkel von h3 bis h4 hat das-selbe Maß wie der von g3 bis g4 . Aber h2 ist diejenige Gerade durch D , die auch durch E geht, und h3 ist diejenige Gerade durch E , die auch durch D geht. (Falls D=E ist, kann h2 beliebig gewählt werden und h3 muss mit h2 zusammenfallen.) Interessant ist nun der Winkel zwischen h1 und h4 : Sein Maß ist die Summe der

II.3.10 Z

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beiden Maße von h1 bis h2 und von h3 bis h4 , und das ist nichts anderes als die Summe der beiden Maße von g1 bis g2 und von g3 bis g4 . — Nun gilt für die

HAF 1. Drehung 2. Drehung :

( g1 g2) ( g3 g4) = ( h1 h2) ( h3 h4) = h1 ( h2 h3) h4 = h1

h4 = h1 h4 , und das ist eine Rotation um den doppelten Winkel von h1 bis h4, also um die Summe der beiden Drehwinkel der beiden Rotationen vom Anfang, um den Schnittpunkt F zwischen h1 und h4 .

Man kann prägnant schreiben: D, 1 E, 2 = F, 1+ 2 (falls 1+ 2 0° )

Falls 1+ 2>180° oder –180° , muss noch 360° subtrahiert bzw. addiert werden.

Außerdem muss noch von den ganzen Überlegungen der Fall 1+ 2=0° ausge-nommen werden. In diesem Fall sind nämlich h1 und h4 parallel, und bei der Abbil-

dung h1 h4 handelt es sich um eine Translation. Lediglich in dem trivialen Fall, dass sogar h1=h4 ist, dem Fall der Nullschiebung, hat man doch eine Drehung, nämlich die Nulldrehung.

Im Fall D=E (wieder mit beliebigen 1 und

2 ) ist D, 1 D, 2 = D, 1+ 2 ; d.h.:

die HAF zweier Rotationen um denselben Dreh-punkt ist wieder eine Rotation um diesen Dreh-punkt mit der Summe der beiden Drehwinkel als Drehwinkel. In diesem Fall gilt offensichtlich das Kommutativgesetz; denn auch bei der HAF in

umgekehrter Reihenfolge ergibt sich D,w1+w2 . Was ist mit der HAF von drei Spiegelungen, die sich in einem Punkt D schneiden?

( 1 2) 3 = ( 4 3) 3 = 4 ( 3 3)

= 4 , also eine Spiegelung an einer vierten Geraden, die ebenfalls durch D geht.

Punktspiegelung Wir wissen bereits, dass die Punktspiegelung eine Rotation um 180° ist, d.h.

Die Punktspiegelungen sind genau die HAFen zweier Spiegelungen mit ortho-gonalen Spiegelachsen mit deren Schnittpunkt als Spiegelzentrum.

Die Reihenfolge der beiden Spiegelungen

ist egal, denn Z,180° = Z,-180° . Eigenschaften einer Punktspiegelung:

Jede Gerade g und ihre Bildgerade h sind parallel.

Alle Geraden durch das Spiegelzentrum Z sind Fixgeraden.

II.3.11 Z

II.3.12 Z

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Selbstverständlich gelten alle Eigenschaften von Rotationen für den Spezialfall der Punktspiegelung. Insbesondere ist die Punktspiegelung orientierungserhaltend, im Gegensatz zu den Geradenspiegelungen.

Zusammenfassung zu den orientierungserhaltenden Kongruenzabbildungen Wir haben nun alle Fälle von Doppelspiegelungen untersucht. Aus dem Satz von den drei Spiegelungen folgt: Satz von den orientierungserhaltenden Kongruenzabbildungen:

Zwei gleichsinnig kongruente Dreiecke können entweder durch eine einzi-ge Rotation (im Spezialfall durch eine Punktspiegelung oder die Nulldre-hung) oder durch eine einzige Translation (im Spezialfall durch die Null-schiebung) aufeinander abgebildet werden, d.h.

jede orientierungserhaltende Kongruenzabbildung ist eine Rotation oder eine Translation.

Bildet man die HAF 1 2 zweier Spiegelungen, dann ist ihre HAF 2 1 in um-gekehrter Reihenfolge i.A. eine andere Abbildung, und zwar die Umkehrabbildung

der ersten; denn: ( 1 2) ( 2 1) = 1 ( 2 2) 1 = 1 1 = 1 1 = .

Die Vertauschbarkeit von 1 und 2 ist genau dann gegeben, wenn die beiden Spiegelachsen orthogonal (Punktspiegelung) oder identisch (Nulldrehung, Nullschie-bung) sind. Zu den HAFen von orientierungserhaltenden Kongruenzabbildungen: Es ist klar, dass die HAF zweier orientierungserhaltender Abbildungen (Translatio-nen und/oder Rotationen) wieder orientierungserhaltend (Translation oder Rotation) ist. Die HAF zweier Translationen sowie die HAF zweier Rotationen haben wir be-reits untersucht. — Betrachten wir nun noch die HAF einer Translation und einer (echten) Rotation: Das Bild einer Geraden ist nicht parallel zu ihr, weil ja die Rich-tung bei der Translation erhalten bleibt und durch die echte Rotation geändert wird. Also muss diese HAF eine Rotation sein, und zwar mit demselben Drehwinkel wie die Ausgangsrotation.

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Schubspiegelung Nun zu den Dreifachspiegelungen: Definition:

Eine Schubspiegelung ist eine Kongruenzab-bildung, die durch HAF (zuerst) einer Spiege-lung und (danach) einer Translation in Rich-tung der Spiegelgeraden entsteht.

Ist die Translation die Nullschiebung, dann handelt es sich bei der Schubspiegelung um den Spezialfall der Spiegelung. Eigenschaften einer Schubspiegelung, die nicht die Spiegelung ist:

Vertauscht man die Reihenfolge der HAF, erhält man dieselbe Kongruenz-abbildung; denn:

Es seien 1 die Spiegelung und 2 3 die Translation mit den beziehungs-weisen Spiegelachsen g1 , g2 , g3 , wo g2 und g3 zueinander parallel und beide orthogonal zu g1 sind. Dann gilt, weil die HAF von Spiegelungen an orthogonalen Achsen vertauschbar ist:

1 ( 2 3) = ( 1 2) 3 = ( 2 1) 3 = 2 ( 1 3) = 2 ( 3 1) =

( 2 3) 1 , und nun steht die Translation vorne und die Spiegelung hinten.

Die Schubspiegelung besitzt keinen Fixpunkt; denn ...

Die Spiegelgerade ist die einzige Fixgerade; denn ... Die Bedeutung der Schubspiegelung wird deutlich in folgendem Satz von den orientierungsverkehrenden Kongruenzabbildungen:

Zwei gegensinnig kongruente Dreiecke können durch eine einzige Schub-spiegelung (im Spezialfall durch eine Spiegelung) aufeinander abgebildet werden.

Jede orientierungsverkehrende Kongruenzabbildung ist eine Schubspiege-lung.

Beweis: Nach dem Satz von den drei Spiegelungen braucht man zur Abbildung zweier gegensinnig kongruenter Dreiecke entweder eine oder drei Spiegelungen. Bleibt die HAF von drei beliebigen Spiegelungen mit ihren Achsen g1 , g2 , g3 zu

untersuchen: 1 2 3 .

II.3.13 Z

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1. Fall: g1 und g2 schneiden sich im Punkt P . 1. Schritt: Wir betrachten zwei Geraden g'1 und g'2 durch P , die denselben orien-

tierten Winkel wie g1 und g2 einschließen, und erhalten so zwei Spiegelungen '1

und '2 , deren HAF '1 '2 dieselbe Rotation ist wie 1 2 . Und zwar wählen wir die beiden Geraden so, dass g'2 und g3 orthogonal sind mit Schnittpunkt Q .

Es ist ( 1 2) 3 = ( '1 '2) 3 = '1 ( '2 3) .

2. Schritt: Wir betrachten die beiden orthogonalen Geraden g"2 und g'3 durch Q ,

für die g"2 parallel zu g'1 ist, und erhalten so zwei Spiegelungen "2 und '3 , de-

ren HAF "2 '3 dieselbe Rotation (nämlich Punktspiegelung an Q ) ist wie

'2 3 . Dann ist '1 ( '2 3) = '1 ( "2 '3) = ( '1 "2) '3 . Da g'1 und g"2 untereinander parallel und senkrecht zu g'3 sind, liegt hier also das Produkt ei-ner Translation und einer Spiegelung mit Achse in Translationsrichtung vor.

2. Fall: g1 und g2 sind parallel. Wenn g3 auch noch parallel ist, liegt bei der HAF der drei zugehörigen Spiegelungen eine einzige Spiegelung vor, wie wir uns oben

II.3.14: vor 1. Schritt

II.3.15: vor 2. Schritt

II.3.16: nach 2. Schritt

II.3.17: gegebenenfalls vor 0. Schritt

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bei den Translationen klar gemacht haben (Abb. II.3.08). Sei also g3 nicht parallel zu den beiden anderen Geraden und habe mit g2 den Schnittpunkt R . 0. Schritt: Wir betrachten zwei Geraden g'2 und g'3 durch R , die denselben orien-

tierten Winkel wie g2 und g3 einschließen, und erhalten so zwei Spiegelungen '2

und '3 , deren HAF '2 '3 dieselbe Rotation ist wie 2 3 . Und zwar wählen wir die beiden Geraden so, dass g'2 die Gerade g1 schneidet. Den Schnittpunkt nennen wir P . — Dann haben wir die Konfiguration vom 1. Fall und arbeiten mit dem dort angegebenen 1. Schritt (mit leicht veränderter Bezeichnung) weiter. Zusammenfassung zu den Kongruenzabbildungen (der Ebene)

Es gibt 3 Typen von Kongruenzabbildungen (der Ebene): die Rotation (mit den Spezialfällen der Identität und der Punktspiegelung), die Translation (mit dem Spezialfall der Identität) und die Schubspiegelung (mit dem Spezi-alfall der Spiegelung).

Jede HAF von zwei dieser Kongruenzabbildungen kann durch eine einzige dieser Kongruenzabbildungen ersetzt werden.

orientierungserhaltend orientierungserhaltend =

orientierungsverkehrend orientierungsverkehrend = orientierungserhaltend ;

orientierungserhaltend orientierungsverkehrend =

orientierungsverkehrend orientierungserhaltend = orientierungsverkehrend .

Z.B.: Schubspiegelung Schubspiegelung = Translation/Rotation . Diese Gleichungen geben schon starke Hinweise, von welchem Typ die HAF zweier bestimmter Kongruenzabbildungen ist. Nach weiteren Betrachtungen, z.B. über die Existenz von Fixpunkten oder Neigung von Bild- und Urgeraden gegeneinander, hat man i.d.R. den Typ bestimmt, oft sogar die Abbildung selbst (mit Drehpunkt und Drehwinkel oder Verschiebungspfeil oder Schubspiegelachse mit Verschiebungs-pfeil). Ganz genau lassen sich diese Merkmale immer bestimmen, wenn man die beteiligten Abbildungen als HAF von (bis zu sechs) Spiegelungen in der Weise ana-lysiert, wie in Skript und Vorlesung mehrfach durchgeführt.

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III. Symmetrie

III.1. Symmetrien und Gruppen

heißt so viel wie Ebenmaß, richtiges Verhältnis, Harmonie. Definition: Eine Kongruenzabbildung der Ebene, die eine Figur auf sich abbil-

det, heißt Symmetrie (Kurzform für: Symmetrieabbildung) dieser Fi-gur. Eine Figur heißt symmetrisch, wenn es eine von der Identität verschiedene Symmetrie der Figur gibt.

Merke: 1. Nicht die einzelnen Punkte

der Figur müssen bei der Kongru-enzabbildung fix bleiben, sondern nur die Figur als Ganzes.

2. Jede Figur besitzt mindestens ei-ne Symmetrie, nämlich die identi-sche Abbildung, obwohl nicht jede Figur symmetrisch ist.

Fundamental sind die folgenden bei-den Aussagen: Satz von der Abgeschlossenheit der Menge der Symmetrien einer Figur

Die HAF zweier (mehrerer) Sym-metrien einer Figur ist wieder ei-ne Symmetrie dieser Figur.

Anders formuliert: Die Menge der Symmetrien einer Figur ist bezüglich der HAF (als Verknüpfung) abgeschlossen.

Satz von der Existenz der inversen Symmetrie

Jede Symmetrie einer Figur besitzt eine inverse Symmetrie. Das ist eine Kongruenzabbildung, deren HAF mit der Symmetrie die identische Abbil-dung ergibt.

Die HAF ist so etwas wie eine Rechenoperation in der Menge der Symmetrien einer Figur. Man kann Symmetrien daher auch mit algebraischen Mitteln untersuchen. Da-bei kommt als fundamentale algebraische Struktur die Gruppe ins Spiel.

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Definition:

Eine Menge zusammen mit einer Verknüpfung in dieser Menge heißt Grup-pe, wenn 1. die Verknüpfung abgeschlossen ist, d.h. das Ergebnis der Verknüpfung

zweier Elemente der Menge wieder ein Element der Menge ist, 2. die Verknüpfung assoziativ ist, 3. ein neutrales Element in der Menge existiert, dessen Verknüpfung mit

einem Element der Menge, gleich in welcher Reihenfolge, immer dieses Element ergibt,

4. zu jedem Element der Menge ein inverses Element in der Menge exis-tiert; das ist ein Element, dessen Verknüpfung mit dem Element, gleich in welcher Reihenfolge, das neutrale Element ergibt.

Die Anzahl der Elemente in einer endlichen Gruppe heißt Ordnung der Gruppe.

Die Menge der Symmetrien einer Figur (eines Kör-pers) mit der HAF als Verknüpfung bilden eine Gruppe.

Beispiel: Symmetriegruppe des Quadrats

{ ; a ; b ; c ; d ; 90° ; 180° ; -90° }

Erinnerung: 0° = . Definition:

Eine Teilmenge einer Gruppe, die mit derselben Verknüpfung ihrerseits ei-ne Gruppe ist, heißt Untergruppe.

Satz von Lagrange (1771)

Die Ordnung einer Untergruppe ist Teiler der Gruppenordnung. Beispiel:

Die Symmetriegruppe des Quadrats kann nur Untergruppen der Ordnung 4 , 2 und 1 haben.

Eine Gruppe der Ordnung 1 kann nur aus der identischen Abbildung bestehen.

Die Untergruppen der Ordnung 4 sind:

{ ; a ; b ; 180° } , { ; c ; d ; 180° } , { ; 90° ; 180° ; -90° } ,

Es gibt fünf Untergruppen der Ordnung 2 , nämlich ...

III.1.01

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101

III.2. Regelmäßige Vielecke und ihre Symmetriegruppen Definition:

Ein Vieleck (n-Eck) heißt regelmäßig, wenn es keine Über-kreuzungen hat, alle Eckpunkte auf einem Kreis liegen und alle Seiten gleich lang sind.

Symmetrien des regelmäßigen n-Ecks: n Drehungen:

Drehwinkel (360°/n)·k, k = 0, 1, 2, ..., (n–1)/2 für ungerade n

Drehwinkel (360°/n)·k, k = 0, 1, 2, ..., (n/2–1), n/2 für gerade n n Spiegelungen:

Ist n ungerade, gehen alle Spiegelachsen durch eine Ecke und die Mitte der gegenüberliegenden Seite.

Ist n gerade, geht die Hälfte der Spiegelachsen durch gegenüberliegende Ecken, die andere Hälfte durch gegenüberliegende Seitenmitten.

Definition:

Die Symmetriegruppe des regelmäßigen n-Ecks heißt auch Diedergruppe und wird mit Dn abgekürzt. (Di-eder = "Zweiflächner" als "Spezialfall" von Poly-eder = "Vielflächner"; gemeint ist Vorder- und Rückseite des n-Ecks als Fi-gur der Dicke 0 im Raum.)

Die Diedergruppe Dn hat die Ordnung 2n .

Die n Drehungen bilden eine Untergruppe der Ordnung n ; sie wird mit Cn abgekürzt; alle Symmetrien aus Cn lassen sich durch HAF aus der Elemen-tardrehung um 360°/n erzeugen (man sagt auch: Cn ist zyklisch).

Wieso bilden die n Spiegelungen keine Untergruppe? Beispiele:

D4 ist die Symmetriegruppe des Quadrats.

D3 ist die Symmetriegruppe des gleichseitigen Dreiecks.

D2 wäre die Symmetriegruppe des "regelmäßigen Zweiecks"(?). Die Symme-triegruppe D2 besteht aus der Identität, einer Drehung und zwei Spiegelungen. Aus der Abgeschlossenheit folgt, dass die Drehung eine Punktspiegelung ist und die beiden Spiegelachsen aufeinander senkrecht stehen. Figuren mit diesen Symmetrien sind z.B. Strecke (= "Zweieck"), Rechteck und Raute.

III.2.01

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In D2 ist jede Symmetrie zu sich selbst invers. ("Kleinsche Vierergruppe"). Man kann allgemein zeigen, dass eine Vierergruppe entweder Kleinsch oder zyklisch ist, also entweder D2 oder C4 .

C2 besteht nur aus der Identität und einer Punktspiegelung: Parallelogramm.

D1 besteht nur aus der Identität und einer Spiegelung: Drachen. Klassifikationssatz für endliche Gruppen ebener Kongruenzabbildungen

Die einzigen endlichen Gruppen ebener Kongruenzabbildungen sind die Diedergruppen Dn und ihre zyklischen Untergruppen Cn .

Die Beweisbedürfigkeit liegt bei dem Wort "einzigen". Sei G eine Gruppe ebener Kongruenzabbildungen, von der wir lediglich vorausset-zen, dass sie nur endlich viele Elemente enthält. 1. G kann keine echten Trans-

lationen und keine echten Schubspiegelungen enthal-ten; denn ... D.h. G enthält außer der Identität nur Drehungen und Spiegelungen.

2. Enthält G mehrere Drehun-gen, müssen sie alle ein ge-meinsames Drehzentrum haben; ...

3. Alle vorkommenden Drehun-gen in G werden von einer Elementardrehung erzeugt; ...

4. Wenn G eine Drehung und eine Spiegelung enthält, muss die Spiegelachse durch das Drehzentrum gehen; ...

5. Wenn G mehrere Spiege-lungen enthält, dann enthält G auch Drehungen; ...

6. Wenn G insgesamt n Dre-hungen einschließlich der Identität enthält, dann enthält G entweder keine Spiege-lungen oder n Spiegelun-gen.

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BANDORNAMENTBANDORNAMENTBANDORNAMENTBANDORNAMENTBANDORNAMENTBA

III.3. Bandornamente und ihre Symmetriegruppen

Typisch für Bandornamente ist die (theoretisch) unendliche Wiederholung eines Mus-ters entlang eines Streifens. Man kann z.B. ein Bandornament durch Abrollen eines Zylinders erzeugen, auf dessen Mantel ein Muster eingeprägt ist. Unendliche Wiederholung eines Musters entlang eines Streifens bedeutet beliebig häufige HAF einer bestimmten Translation — in beiden Richtungen, also mitsamt ihrer Inversen.

Sei eine Translation mit der Verschiebungslänge a . Wir kürzen die mehrmalige HAF wie bei der Potenz-Schreibweise bei der Multiplikation ab:

2 = , n+1 = n , 1 = , 0 = , -n = ( -1)n . Die Symmetrien eines Bandornaments bilden eine Gruppe, die wir als BO-Gruppe bezeichnen. Definition:

Eine BO-Gruppe ist eine Gruppe von Kongruenzabbildungen, in der es eine

Translation gibt, so dass sich jede Translation der Gruppe in der Form n mit ganzzahligem n darstellen lässt. Die Verschiebungslänge a von

heißt Elementardistanz.

Die Translationen einer BO-Gruppe bilden eine Untergruppe T = { n | n ganz}. Welche Symmetrien kann es sonst noch in einer BO-Gruppe geben? 1. Wenn eine BO-Gruppe eine Spiegelung enthält, kann die Spiegelachse nur ent-

weder in Translationsrichtung ("Längsachse") oder senkrecht dazu ("Querach-se") liegen; weil nur bei solchen Spiegelungen der Streifen mit seinen beiden Randgeraden auf sich selbst abgebildet wird. Eine BO-Gruppe kann außer Punktspiegelungen keine sonstigen Drehungen enthalten; denn ...

R R R R R R R

2. Es kann nur eine einzige Spiegelung l geben, deren Spiegelachse l in Trans-lationsrichtung liegt — wir wollen sie Spiegelung an der Längsachse oder Längs-spiegelung nennen —; denn ...

Mit l liegen auch die Schubspiegelungen ln in der BO-Gruppe; denn ...

T , vereinigt mit der Menge dieser Schubspiegelungen, bildet eine BO-Gruppe,

nämlich T l(T) .

D D D D D D D

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3. Wenn es eine Spiegelung q gibt, deren Spiegelachse q senkrecht zur Trans-

lationsrichtung liegt, dann gibt es davon unendlich viele, nämlich qn , deren

Spiegelachsen ("Querachsen") immer den Abstand a/2 , also halbe Elementar-distanz haben — wir wollen sie Querspiegelungen nennen. T , vereinigt mit der Menge dieser Querspiegelungen, bildet eine BO-Gruppe,

nämlich T q(T) ; denn ...

A A A A A A A

4. Wenn es eine Punktspiegelung P gibt, dann gibt es davon unendlich viele,

nämlich Pn , deren Spiegelzentren immer im Abstand a/2 , also halbe Ele-

mentardistanz, in Translationsrichtung liegen. T , vereinigt mit der Menge dieser Punktspiegelungen, bildet eine BO-Gruppe,

nämlich T P(T) ; denn ...

Z Z Z Z Z Z Z

5. Wenn eine BO-Gruppe zwei der drei Symmetrietypen l , q , P enthält, dann auch den dritten (warum?); dabei liegen die Spiegelzentren der Punktspiegelun-gen in den Schnittpunkten der Querachsen mit der Längsachse.

T l(T) q(T) P(T) bildet eine BO-Gruppe; denn ...

O O O O O O O

6. Kann es außer den unter 2. genannten noch andere Schubspiegelungen in einer

BO-Gruppe geben? Die HAF einer Schubspiegelung mit sich selbst ergibt eine Translation: Diese

muss in T liegen. Also: Wenn es eine solche Schubspiegelung l ' gibt, wo-

bei die Verschiebungslänge von ' möglichst klein sein soll, dann muss ihre

Spiegelachse in Richtung von liegen (Längsachse) und die Verschiebungs-

länge von ' muss a/2 , also gleich der halben Elementardistanz, sein.

Mit l ' liegen auch die Schubspiegelungen l ' n in der BO-Gruppe. T , vereinigt mit der Menge dieser Schubspiegelungen, bildet eine BO-Gruppe,

nämlich T l '(T); denn ...

b p b p b p b p b p b p b p

7. Wenn es in einer BO-Gruppe die Schubspiegelung l ' wie in 6. beschrieben gibt, dann kann diese Gruppe keine Längsspiegelung enthalten; denn ...

Wenn eine BO-Gruppe zwei der drei Symmetrietypen l ' , q , P enthält, dann auch den dritten; dabei liegen die Spiegelzentren der Punktspiegelungen in der Mitte zwischen den Schnittpunkten der Querachsen mit der Längsachse.

T l '(T) q(T) P(T) bildet eine BO-Gruppe; denn ...

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Klassifikationssatz für Bandornamente:

Es gibt sieben wesentlich verschiedene BO-Gruppen:

T = { n | n ganz}

T q(T)

T P(T)

T l(T)

T l(T) q(T) P(T)

T l '(T)

T l '(T) q(T) P(T)

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Prof. Dr. Peter Bender, Uni Paderborn, EIM-Mathematik WS 2012/13

Elemente der Geometrie Die Aufgaben sind immer nachvollziehbar zu lösen. Wenn der Lösungsweg nicht offensichtlich ist, sind durchweg Begründungen erforderlich.

0. Existenz irrationaler Zahlen: Zeige, dass 2 irrational ist, d.h. dass es keine

natürlichen Zahlen m und n gibt, so dass 2 =nm

.

1. Winkelsumme im n-Eck: Betrachte nur n-Ecke ohne überschlagene Seiten, also nicht solche wie das dritte Beispiel in Abb. I.7.11 im Skript. Betrachte nicht nur Dreiecke und Vierecke, sondern auch n-Ecke mit grö-ßerem n . Zeichne einige hin, und zerlege sie in Drei-ecke, und zwar in möglichst wenige. — Wie viele Drei-ecke ergeben sich? — Wie groß ist die Winkelmaß-summe im n-Eck? (Beide Antworten begründen!)

Nimm nun an, dass das n-Eck regelmäßig ist, d.h. insbesondere, dass alle seine n Winkel gleich groß sind. — Wie groß ist jeder Winkel im regelmäßigen n-Eck? — Gib die Ergebnisse von n=3 bis n=12 in einer Tabelle an, etwa so:

n-Eck 3 ... 12 Winkelmaßsumme 180° ... 1800° Winkel im regelmäßigen n-Eck 60° ... 150° Außenwinkelmaßsumme 360° ...

2. Außenwinkel im n-Eck (Fortsetzung von Aufg. 1.): Betrachte nur n-Ecke mit Winkeln <180° , zeichne an jede Ecke einen Außenwinkel, und berechne die Summe der Außenwinkelmaße. (Hinweis: Wie hängt das Maß eines Außenwin-kels mit dem Maß seines Innenwinkels zusam-men? Gib nun die Summe der Außenwinkel-maße mit Hilfe der Summe der Innenwinkel-maße für n=3, 4, ..., 12 an. Probiere zuerst mit speziellen und allgemeinen Vierecken; verall-gemeinere dann.)

3. Der kürzeste Umweg (s. Abb. I.5.12) (mit Cinderella bearbeiten!): Gegeben eine Gerade g und zwei Punkte A und B in einer der beiden Halbebenen. Sei C ein beliebiger Punkt auf g . ("Beliebig" heißt bei der DGS-Konstruktion, dass du C auf g bewegen kannst, ohne die Gerade g zu bewegen!) Bewege C auf der Geraden g , und miss die Länge des Weges von A über C nach B (d.h. die Summe der Streckenlängen AC und CB ). — An welcher Stelle Cmin der Geraden g ist der Weg minimal? — Wie kannst du den Punkt Cmin exakt konstruieren? — Warum ist der Weg über Cmin dann minimal? Hinweis: Spiegele B an g , und ...

4. Kongruenzsätze: Konstruiere (mit Cinderella ) ein Dreieck ABC mit

a) AB = 7 , AC = 5 , BC = 4 ; b) AB = 7 , AC = 2 , BC = 4 ;

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c) AB = 7 , α = 30° , BC = 5 ; d) AB = 5 , α = 30° , BC = 7 ;

e) AB = 7 , α = 70° , BC = 3 ; f) α = 128° , AB = 5 , β = 66° ;

g) α = 80° , β = 90° , γ = 30° ; h) α = 70° , β = 90° , γ = 20° .

Wenn es mehrere nicht-kongruente Lösungen gibt, gib mindestens zwei an. Wenn es gar keine Lösungen gibt, begründe.

5. Erforsche mit Cinderella den "Kongruenzsatz" SSW: Zeichne zunächst die fixe Seite c mit den Ecken A und B , und trage daran in A im Winkel von α=40° einen Strahl an. Lasse nun die Seitenlänge a variieren (Kreis um B mit ver-schiedenen Radien). Beschreibe die verschiedenen Fälle, die sich ergeben, wenn a immer größer wird ( 0, 1, 2, mehr? Lösungen, besondere Winkel, be-sondere Dreiecksarten?).

6. Abstand von einer Geraden: Betrachte eine Gerade g , einen Punkt A au-ßerhalb sowie den Lotfußpunkt F von A auf g (Skizze!; vgl. Abb. I.3.04 im Skript).

a) Beweise mit Hilfe eines Kongruenzsatzes (mit welchem?): Wenn B und C auf g auf verschiedenen Seiten von F liegen und von F gleichen Abstand haben, dann sind die beiden Strecken AB und AC gleich lang (Skizze!). Formuliere diese Aussage, falls nicht A und g , sondern ein Dreieck ABC gegeben ist (Skizze!); beginne so: Im Dreieck ABC wird das Lot von A auf die gegenüber liegende Seite BC gefällt, mit Lotfußpunkt F . — Wenn ...

b) Beweise mit Hilfe der Seiten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck: Die Strecke AF ist die kürzeste Verbindung zwischen A und g ;

c) und: je weiter B auf g von F entfernt ist, umso länger ist die Strecke AB . (Beweise dies zuerst, wenn "die" B alle auf einer Seite von F liegen, und dann, wenn "sie" auf zwei verschiedenen Seiten von F liegen.)

7. Beweise mit Hilfe eines Kongruenzsatzes (mit welchem?): Fällt man im gleich-schenkligen Dreieck das Lot von der Spitze C (mit Winkel γ ) auf die Basis AB , mit Lotfußpunkt F , dann

a) sind die beiden Teildreiecke AFC und BFC kongruent, und daraus:

b) wird die Basis AB halbiert (d.h. das Lot ist Mittelsenkrechte auf AB ),

c) wird der Winkel in C halbiert (d.h. das Lot ist Winkelhalbierende von γ ),

d) ist das Lot Symmetrieachse des Dreiecks ABC (d.h. durch Spiegelung an der Lotgeraden wird das Dreieck auf sich selbst abgebildet).

8. Geometrische Abbildungen: Zeichne ins Koordinatensystem das Urdreieck ∆=ABC und die sieben Bilddreiecke ∆1=A1B1C1 , ..., ∆7=A7B7C7 mit

∆ ∆1 ∆2 ∆3 ∆4 ∆5 ∆6 ∆7

A ( -8; 12) ( 4; 0) (14; 18) ( -4; 28) (24; 24) ( 7; 12) (-11; 12) (14; 0)

B ( 2; 12) ( 4; 10) (24; 18) ( -4; 18) (14; 24) (12; 12) (-16; 12) (14; 10)

C ( 2; 18) (10; 10) (24; 24) ( 2; 18) (14; 18) (12; 15) (-16; 9) (20; 10)

Gib für jedes Bilddreieck diejenige geometrische Abbildung an, mit der das Ur-dreieck auf es abgebildet wird, und zwar bei einer Spiegelung die Geradenglei-

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chung der Spiegelachse, bei einer Translation den Verschiebungsvektor als Ko-ordinatenpaar, bei Rotationen und Streckungen das Zentrum als Koordinaten-paar und außerdem den Rotationswinkel bzw. den Streckfaktor. (Hinweis: falls du die Schubspiegelung noch nicht kennst, lasse das 7. Bilddreieck weg.) Für die Ermittlung der Lösungen genügt zeichnerisches P robieren .

Fertige von der ganzen Situation (mit den Lösungen) eine Zeichnung mit Cin-derella (mit Koordinatensystem!) an; nur zur Not mit Bleistift und Papier.

9. Lege einen Translationsvektor v fest. Wähle zwei Punkte A, B , und konstruie-re ihre Bildpunkte A' , B' unter der entsprechenden Translation.

Beweise : Die Bildstrecke A'B' ist kongruent und parallel zur Urstrecke AB .

Benutze dazu den Parallelogrammsatz in folgender Version: Sind in einem Viereck zwei Seiten gleich lang und parallel, dann sind auch die beiden anderen Seiten gleich lang und parallel.

10. Der kürzeste Rundweg (Fortsetzung von Aufg. 3; s. Abb. I.5.13 im Skript): Ge-geben sind zwei sich schneidende Geraden g und h und ein Punkt A außer-halb der beiden Geraden. Das Winkelfeld zwischen den beiden Geraden, in dem A sich befindet, ist spitz. Sei B ein beliebiger Punkt auf g und C ein beliebi-ger Punkt auf h . Zeichne mit Cinderella die Strecken AB , BC und CA , miss ihre Längen und bestimme die Länge des Rundweges von A über B und C nach A zurück.

Bewege B auf g und C auf h . An welchen Stellen Bmin und Cmin hat der Rundweg minimale Länge? Wie kannst du die Punkte Bmin und Cmin exakt kon-struieren?

Hinweis: Spiegele A an g : erhalte A' ; spiegele A an h : erhalte A" . Usw.

Zusatz: Was ist anders, wenn das Winkelfeld, in dem A sich befindet, recht oder stumpf ist?

11. Dreiecksumkreis: Zeichne (mit Cinderella ) ein Dreieck und zwei Mittelsenk-rechten. Bezeichne deren Schnittpunkt mit M (bist du sicher, dass die beiden Mittelsenkrechten einen Schnittpunkt haben müssen? begründe dies!). Bevor du die dritte Mittelsenkrechte zeichnest, stelle dir vor , sie würde folgenderma-ßen entstehen: Vom Mittelpunkt der dritten Seite aus wird ein kleines Geraden-stück (Strecke) gezeichnet und sukzessive in beide Richtungen verlängert. Da-bei kommt man immer näher an M . Wenn man immer weiter zeichnet, kommt man dann links an M oder rechts an M vorbei oder durch M durch? Begrün-de deine Antwort, und zeichne dann die dritte Mittelsenkrechte.

Ziehe nun an den Ecken des Dreiecks, und beobachte, wie sich dabei M be-wegt. — Wann liegt M innerhalb des Dreiecks, wann außerhalb, wann auf einer Seite? Kann M in einer Ecke zu liegen kommen? Was passiert, wenn eine Ecke bis zu der ihr gegenüberliegenden Seite bewegt wird? — Alles begründen!

12. Analogien zwischen Ebene und Raum: Was in der Ebene der Kreis, ist im Raum die Kugel. Was in der Ebene das Dreieck, ist im Raum das Tetraeder, be-stehend aus vier (nicht notwendig regelmäßigen und nicht notwendig kongruen-ten) Dreiecken (s. Abb. I.4.05 im Skript).

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Wo im Raum liegen alle Punkte, die von zwei Ecken des Tetraeders gleich weit entfernt sind? — Besitzt jedes Tetraeder eine Umkugel?

Schreibe einen kleinen Aufsatz zum Thema "Mittelsenkrechte — Analogien zwi-schen Ebene und Raum", in dem du auch o.g. Fragen beantwortest!

13. Umfangswinkelsatz in der Ebene (mit Cinderella): Zeichne zwei Punkte A und B.

a) Zeichne einen Kreis durch A und B , so dass für alle Punkte X auf dem einen Kreisbogen gilt: der Winkel AXB (Umfangswinkel) ist 60° groß. — Beschreibe genau, wie du den Mittelpunkt dieses Kreises konstruierst.

b) Zeichne nun sämtliche Kreise durch A und B , so dass die entsprechenden Umfangswinkel 40°, 60°, 90°, 120° bzw. 140° gro ß sind. — Welche Be-ziehungen gelten zwischen den Mittelpunkten dieser Kreise?

14. Kinematischer Beweis zum Umfangswinkelsatz: Seien A, B zwei verschie-dene Punkte auf einem Kreis. Beweise gemäß Abb. I.4.13: Wenn X auf einem der beiden Kreisbögen von A nach B läuft, ändert sich das Maß des Winkels AXB nicht. ─ Orientiere dich an dem entsprechenden Beweis des Thales-Sat-zes, aber schreibe den Beweis nicht ab, sondern führe ihn selbstständig.

15. Dreieckskonstruktionen mit dem Umfangswinkelsat z und dessen Umkeh-rung (mit Cinderella): Beim Dreieck ABC ist die Seite AB mit der Länge 5 und deren gegenüberliegender Winkel γ=50° gegeben. Konstruiere bei jeder der folgenden Teilaufgaben zuerst AB und den Fasskreis für C . Konstruiere dann das Dreieck mit Cinderella, wenn zusätzlich gegeben ist:

a) Winkel α=70° . (Hier soll nicht β ausgerechnet, sondern der Umfangswin-kelsatz mit Umkehrung, ähnlich Aufgabe 13., genutzt werden.)

b) Umkreisradius r=4 .

c) Länge der Seite AC mit 6 .

Falls es keine Lösung gibt, erläutere. Falls es mehrere nicht-kongruente Lösun-gen gibt, konstruiere mindestens zwei davon.

Zu jeder Teilaufgabe ist eine Konstruktionsbeschreibung anzufertigen. Dabei soll, zwecks Übung, der Anfang, wo AB und der Fasskreis konstruiert werden, erneut aufgeschrieben werden, obwohl dies in Aufgabe 13. schon einmal geleis-tet wurde. — Gib bei allen drei Teilaufgaben die Cinderella-Konstruktionen und die Konstruktionsbeschreibungen mit ab.

16. Konstruiere mit Cinderella die Strecke APQB so, dass |AP| = |PQ| = |QB| . Füge einen Punkt C so hinzu, dass ein gleichschenkliges Dreieck ABC ent-steht.

a) Begründe: |CP| = |CQ| .

b) Sind auch die drei Teilwinkel an der Spitze gleich groß? Immer? Nie? Manchmal (wann)?

c) Erster Zusatz: Beweise die Beobachtung aus b)!

Hier eine Möglichkeit: Zeichne den Umkreis zu AQC , und verlängere die Strecke CP , bis sie

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den Kreis bei P' schneidet. Wieso weiß man, dass P' näher an A als an Q liegt? Was lässt sich also über die Länge der Sehnen AP' und P'Q aussagen? Entwickle nun mit den Folgerungen aus dem Umfangswinkelsatz ein vollständiges Argument!

d) Weiterer Zusatz: Bewege C auf dem Lot zu AB , und beobachte den Weg von P' dabei. – Beweise die Beobachtung. Hinweis: Wende den Umfangswinkelsatz auf die Sehne AC im Kreis durch A, Q, C an, und suche gleichschenklige Dreiecke.

Cinderella-Konstruktionen und schriftliche Begründu ngen abgeben.

Anmerkung : Die Lösung ist auch mit Hilfe des Sinus-Satzes möglich. Dieser Weg soll aber nur gegangen werden, wenn der o.a. Weg nicht zum Ziel führt.

17. a) Zeichne mit Cinderella einen Kreis mit festem Radius, zwei feste Punkte A und B auf der Kreislinie, auf einem der beiden Bögen einen dritten, beweg-lichen Punkt C sowie den Umfangswinkel ACB und seine Winkelhalbie-rende. Diese schneidet ja den Kreis in einem zweiten Punkt; nenne ihn D .

Bewege nun C auf dem Bogen. Was passiert mit D ? — Begründe!

Mache Dasselbe mit C auf dem anderen Bogen zwischen A und B .

b) Mache Dasselbe wie bei a) mit folgender Änderung: Statt der Winkelhalbie-renden von ACB zeichne eine Gerade g durch C , die innerhalb des Win-kelfelds ACB verläuft und mit der Geraden AC in einem festen Winkel steht (den man vor dem Zeichnen von g festlegen muss).

Bewege nun C auf dem Bogen. Was passiert mit D ? — Begründe!

c) Welche besondere Lage hat D in Teilaufgabe a)? — Begründe!

Cinderella-Konstruktion und schriftliche Begründung en abgeben.

18. Sehnenvierecke I:

a) Studiere das neben-stehende Haus der Vier-ecke, beschreibe seine Struktur, und gib für je-den Viereckstyp eine Definition an. Dabei soll deutlich werden, wie er als Spezialfall aus dem Vorgängertyp (im Stock-werk darüber) entsteht; z.B.: Der Drachen ist ein Viereck, bei dem eine der beiden Diagonalen von der anderen halbiert wird. Der spiegelsym-metrische Drachen ist ein Drachen mit orthogo-nalen Diagonalen.

Nenne für jeden Vier-eckstyp einige weitere besondere Eigenschaften (über die Definition hinaus).

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Führe nun bei jedem der folgenden vier Viereckstypen Trapez, spiegelsymme-trischer Drachen, Parallelogramm, Raute durch:

b) Konstruiere ihn mit Cinderella , und zwar so, dass die Konstruktion in c) daran angeschlossen werden kann.

c) Konstruiere in Cinderella einen Kreis durch 3 der 4 Ecken, ziehe die vier-te Ecke auf den Kreis, und vermute, welcher Sonderfall des Vierecktyps nun entsteht. (Hinweis auf den rechtwinkligen Drachen, der im Haus der Vier-ecke nicht aufgeführt ist!)

d) Begründe die Vermutung.

e) Konstruiere in Cinderella bei allen vier Viereckstypen den Sonderfall mit Umkreis , und zwar soll dabei zuerst der Umkreis gezeichnet werden.

Cinderella-Konstruktionen und schriftliche Konstruk tionsbeschreibungen zu b) und e) mit abgeben.

19. Sehnenvierecke II: Zeichne einen Kreis mit festem Radius und darin ein Seh-nenviereck ABCD . Zeichne die Winkelhalbierenden der Innenwinkel des Seh-nenvierecks. Die Schnittpunkte der Winkelhalbierenden benachbarter Winkel bil-den ein Viereck EFGH . — Ziehe an A, B, C, D , und beobachte.

Benenne zunächst noch für das Folgende die Winkel in ABCD mit α, β, γ=180°– α, δ=180°– β , sowie die Ecken im neuen Viereck mit E (aus den Win-kelhalbierenden von α und β entstanden), F (aus β und γ ), G (aus γ und δ ), H (aus δ und α ). Berechne den Winkel in E mit Hilfe der beiden (halben) Winkel in A und B , usw.

a) Ist EFGH ein Sehnenviereck? — Begründe.

b) Kann EFGH ein Quadrat sein? — Wann? — Wann nicht? — Begründe.

Hinweis: Benutze die Winkelberechnung aus a).

Cinderella-Konstruktion zu a) und schriftliche Begr ündungen abgeben.

20. Zu Abb. I.5.03 im Skript soll, ausgehend vom Dreieck ABC , das Dreieck A'B'C' anders als dort konstruiert werden, und zwar sollen nicht Parallelen zu den Sei-ten von ABC gezeichnet werden, sondern:

An die drei Seiten von ABC soll je ein kongruentes Dreieck konstruiert werden mit entsprechend gleichen Seitenlängen, z.B. B'C soll so lang sein wie AB , und B'A soll so lang sein wie CB . — Entsprechend sollen A' und C' kon-struiert werden. (mit Cinderella, Konstruktion abgeben)

Es entsteht ja ein Sechs eck mit den sechs Ecken B', A, C', B, A', C . — Was ist das Besondere an diesem "Sechseck" ? — Beweise diese Besonderheit!

21. Zeichne mit Cinderella ein Dreieck ABC mit sämtlichen 6 Außenwinkeln (s. Abb. I.5.10 im Skript). Konstruiere für alle 3 Innen- und alle 6 Außenwinkel die Winkelhalbierenden (wenigstens eine dieser Winkelhalbierenden nicht mit dem Cinderella-Button, sondern klassisch wie mit Zirkel und Lineal konstruieren!). Da gibt es einen Punkt innerhalb des Dreiecks und drei Punkte außerhalb des Dreiecks, wo sich je drei dieser Winkelhalbierenden schneiden. Im Dreieck ist es der Inkreismittelpunkt W . Um die drei Schnittpunkte außerhalb ( Wa , Wb , Wc )

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geht es jetzt. Wähle einen von ihnen aus, z.B. Wc ; führe die Aufgabe mit ihm durch, und schließe auf die anderen beiden:

a) Welche drei Winkelhalbierenden schneiden sich in Wc ? — Beweise, dass diese sich in Wc schneiden. Erläutere, was wohl ein Ankreis ist. Welche drei Geraden berührt der Ankreis mit Mittelpunkt Wc ? Konstruiere ihn mit Cinderella.

b) Wieso liegen die Ecken A , B , C des kleinen Dreiecks auf den Seiten des Ankreismittelpunkte-Dreiecks WaWbWc ?

c) Was sind die Höhen des Dreiecks WaWbWc ? Begründung?

d) Beweise : Das Ankreismittelpunkte-Dreieck WaWbWc ist immer spitzwinklig. (Hinweis: Betrachte z.B. das Dreieck AWaWc .)

Cinderella-Konstruktion mit abgeben.

22. Arbeite für den Satz von den Höhengeraden als Winkelhalbierende im Hö-henfußpunkte-Dreieck (Skript S. 41f) den Beweis für die 2. Aussage (auf S. 42) aus .

23. Ein Teil des Satzes von Fagnano (s.a. Abb. I.5.14, 15): Zeichne ein spitzwinkli-ges Dreieck DEF und den Höhenfußpunkt von D . Nenne ihn A . Beweise: Der kürzeste Rundweg von A über die Seite DF , die Seite DE und zurück zu A geht über die beiden anderen Höhenfußpunkte (bezeichne den von DF mit B und den von DE mit C ).

Anleitung: Spiegele A an DF und an DE ; nenne die beiden Bilder A' und A" . Gemäß Aufg. 10. liefert die Strecke A'A" den kürzesten Rundweg. Zu be-weisen ist, dass diese Strecke durch B und C geht. Zeige dazu, dass der Win-kel A'BC (entsprechend A"CB ) gestreckt ist (u.a. mit dem Satz, dass die Hö-hen von DEF die Winkelhalbierenden von ABC sind).

Zusatzfrage: Wieso handelt es sich hier nicht um den kompletten Satz von Fagnano, sondern nur um einen Teil?

24. Arbeite den Beweis zum Satz von Fagnano (Skript S. 43ff) durch, so dass du ihn in der nächsten Übungssitzung erläutern kannst.

25. Ortslinien mit Cinderella, mit plausiblen Überl egungen, ohne Beweise (I)

a) Zeichne einen Kreis k . Lege 3 Punkte A , B , C auf k , und verbinde sie zu einem Dreieck. Konstruiere den Höhenschnittpunkt H des Dreiecks. Bewege einen Eckpunkt auf k . — Welche Ortslinie beschreibt H ? Durch welche Punkte geht sie immer? Warum?

b) Zeichne mit Cinderella eine Gerade g , auf ihr 2 Punkte A , B und eine Parallele h . Lege einen Punkt C auf h , verbinde die 3 Punkte zu einem Dreieck, und konstruiere den Höhenschnittpunkt H . Bewege C auf h . Welche Ortslinie beschreibt der Höhenschnittpunkt? Ziehe h näher an und weiter weg von g . — Leitfragen für die Analyse:

Durch welche Punkte geht die Ortslinie immer? Warum? — In welchen Fäl-len meidet, berührt, schneidet sie h ? — Genau wann liegt H auf g ? Auf h ? Zwischen g und h ? Von g aus gesehen jenseits von h ? Von h aus gesehen jenseits von g ?

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26. Gegeben eine Gerade a und ein Punkt A außerhalb von a . Sei B ein belie-biger Punkt auf a . Konstruiere die Punkte C und D so, dass ABCD ein Qua-drat ist. Bewege den Punkt B auf a . — Auf welcher Ortslinie bewegt sich D ? Gib ihre Lage relativ zu a und A an, und konstruiere sie (d.h. ohne den Orts-linien-Button) (Konstruktionsbeschreibung und Begründung der Korrektheit der Konstruktion).

27. Gegeben ein Kreis j um M und ein Punkt A . Sei B ein beliebiger Punkt auf dem Kreis. Konstruiere den Punkt C so, dass ABC ein gleichseitiges Dreieck ist. — Bewege nun den Punkt B auf dem Kreis: Die Ortslinie von C ist eben-falls ein Kreis; nenne ihn k . — Erzeuge ihn mit dem Ortslinien-Button. — Verän-dere den Radius von j und die Lage von A .

Beschreibe nun, wie sich der Mittelpunkt N von k und der Kreis k konstruie-ren lassen (d.h. ohne den Ortslinien-Button), und begründe die Korrektheit der Konstruktion (d.h. beweise !).

28. Ortslinien mit Cinderella, mit plausiblen Überl egungen, ohne Beweise (II)

a) Zeichne mit Cinderella einen Kreis k mit dem Mittelpunkt A . Lege zwei Punkte B , C auf k , verbinde A, B, C zu einem Dreieck , und konstruiere dessen Höhenschnittpunkt H . Bewege B auf k . — Beobachte. — Zeichne die Ortslinie von H in Abhängigkeit von B . — Wann durchläuft H welche Orte? — Wann verschwindet H ins Unendliche?

b) Zeichne mit Cinderella 2 Punkte A und B sowie einen Kreis k und ei-nen Punkt C auf k . Verbinde die 3 Punkte zu einem Dreieck und kon-struiere dessen Höhenschnittpunkt H . Bewege C auf k . — Beobachte. — Zeichne die Ortslinie von H in Abhängigkeit von C , und bewege dann A und/oder B . — Betrachte viele Fälle, wie A und/oder B bezüglich der Kreislinie liegen können.

Bei b) nur eine Zeichnung mit Ortslinie abgeben, ni chts Schriftliches.

29. Gegeben ist ein Winkelfeld mit den Schenkeln g und h und im Inneren ein Punkt A . Aufgabe : Konstruiere ein gleichseitiges Dreieck mit einer Ecke auf A und den beiden anderen Ecken auf den beiden Schenkeln.

Die endgültige Cinderella-Zeichnung, aus der man di e Konstruktion erse-hen kann, sowie eine schriftliche Konstruktionsbesc hreibung und -begrün-dung abgeben.

Anleitung : Lege B auf g , und konstruiere zur Strecke AB eines der beiden gleichseitigen Dreiecke ABC . Wenn B auf g läuft, welche Ortslinie beschreibt dann C ? Typ der Linie, Neigung um wie viel Grad gegen welchen Schenkel? Begründung wie im Abschnitt über Konstruktionsprobleme (Skript S. 47ff)! — Lö-sche B und C wieder, konstruiere die Ortslinie als Bildgerade von g unter einer geeigneten Rotation um A und damit die endgültigen Punkte B und C .

30. Zeichne drei paarweise verschiedene parallele Geraden g, h, j , und zwar h zwischen g und j . Aufgabe : Konstruiere ein Quadrat ABCD , so dass A auf g , B auf h und C auf j liegt.

Die endgültige Cinderella-Zeichnung, aus der man di e Konstruktion erse-hen kann, sowie eine schriftliche Konstruktionsbesc hreibung und -begrün-dung abgeben.

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Gehe so vor : Wähle festen Punkt A auf g , wähle beweglichen Punkt B auf h , und konstruiere eines der beiden möglichen Quadrate ABCD . Wenn B auf h läuft, ... (weiter analog zu Aufg. 29.).

31. Erläuterung : In der Papier-und-Bleistift-Geometrie sind wir gewöhnt, in ein Win-kelfeld einen kleinen Bogen (mit dem Scheitel als Mittelpunkt) zu zeichnen, um dadurch zu verdeutlichen, welchen Winkel wir meinen. In unserer Cinderella-Version 1.4 funktioniert das nicht ohne Weiteres. Man muss dort vielmehr eine Ortslinie erzeugen: Zeichne eine Strecke vom einen zum anderen Schenkel und einen Kreis um den Scheitel. Lege den Urpunkt auf die Strecke, zeichne ei-ne Gerade vom Scheitel durch den Urpunkt, schneide diese Gerade mit dem Kreis und erhalte so den Bildpunkt. Führe nun die Ortslinien-Konstruktion zu die-sem Ur- und diesem Bildpunkt durch, und erzeuge so den gewünschten Bogen .

Aufgabe: a) Gib dir einen nicht-trivialen Winkel vor, und erzeuge, wie beschrie-ben, einen Bogen im Winkelfeld . Beschreibe dein Vorgehen!

b) Gib dir einen Kreis und zwei Punkte auf ihm vor. Erzeuge, wie beschrieben, den größeren der beiden Bögen (bzw. wenn sie gleichgroß sind, einen der beiden) auf dem Kreis zwischen den beiden Punkten. Beschreibe dein Vor-gehen!

c) Gib eine kurze Erläuterung, warum man in Cinderella Kreisbögen so um-ständlich erzeugen muss.

32. a) Zeichne zwei verschiedene Punkte A , B in der Ebene. Ordne jedem Punkt X der Ebene die Summe s = AX+BX seiner beiden Abstände zu A und zu B zu. Bewege X über die Ebene, stelle qualitativ fest, wie s sich ändert, und suche Linien, wo s konstant ist.

Nutze dazu den Abschnitt über Ellipsen im Skript, und konstruiere für min-destens vier verschiedene Werte von s die Ellipse (und zusätzlich für den Entartungsfall s = AB ). Mache dann alle Elemente außer A , B , den Leitkreisen und den Ellipsen unsichtbar.

b) Wie a), jedoch soll jetzt für jeden Punkt X der Ebene die Differenz d = AX–BX (die auch negativ sein kann!) betrachtet, der Abschnitt im Skript über Hyperbeln genutzt, mindestens vier verschiedene Hyperbeln (sowie der Entartungsfall d=0 ) konstruiert und wieder entsprechende Elemente (wie bei a)) unsichtbar gemacht werden.

Beides Mal Cinderella-Zeichnungen mit abgeben, und schriftlich andeuten, wie die Werte von s und d über die Ebene vertei lt sind.

c) Welche Beziehung besteht zwischen der funktionalen Betrachtung in b) und der Mittelsenkrechten von AB ?

33. a) Konstruiere einen funktionierenden Scheibenwischer gemäß der Vorlage (s.u.). Beschreibe die Konstruktion genau, insbesondere die Reihenfolge der Konstruktionsschritte und die Maße (Abstände |AB| und |AD| ).

b) (ähnlich Aufg. 29.) Zeichne einen Winkel mit Schenkeln g und h und im Inneren des Winkelfelds einen Punkt A . Lege einen Punkt B auf g , und ergänze die Strecke AB zu einem regelmäßigen Fünfeck ABCDE . Bewe-ge zunächst B auf g so, dass E auf h zu liegen kommt. ─ Nun kommt die Konstruktionsaufgabe:

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Konstruiere die Ortslinie von E in Abhängigkeit von B , und konstruiere so die endgültigen Punkte B auf g und E auf h .

Auf welchen geometrischen Zusammenhang kommt es für diese Konstrukti-on der endgültigen Punkte B und E nur an? (Nicht auf das ganze Fünfeck, sondern …)

c) Erfinde selbst eine Ortslinien-Aufgabe, durchaus in Anlehnung an Vorle-sung, Übung und Skript, aber doch etwas abweichend, und skizziere die Lö-sung.

34. Beweise Teil (iii) vom (1:2-) Sonderfall des Strahlensatzes (Skript S. 56f), ana-log zu Teil (i)1. (Das Vorgehen ist aber etwas anders als dort!)

35. Dreieck im Parallelogramm ABCD (Skizzen auf Papier mit abgeben!) .

a) Sei E die Seitenmitte von DC und S der Schnittpunkt der Diagonalen DB mit der Strecke AE . — Skizze ! — Wie groß ist die Fläche des Dreiecks ABS im Vergleich zur Fläche von ABCD ? — Begründe!

b) Wo auf der Geraden durch C und D muss der Punkt E liegen, damit der Flächeninhalt des Dreiecks ABS ein Sechstel des Flächeninhalts des Pa-rallelogramms beträgt? Gibt es auch auf dem Rand des Parallelogramms ei-nen solchen Punkt E ? Wo? — Skizze ! — Begründe!

36. Dreieck mit Schwerpunkt im Kreis (Cinderella-Ko nstruktion mit abgeben!): Gegeben ist ein Kreis um M mit dem Radius r . Lege drei Punkte A, B, C auf den Kreis, und zeichne das Dreieck ABC . Konstruiere die Seitenmitten D (ge-genüber A ), E (gegenüber B ), F und den Schwerpunkt S des Dreiecks.

Halte B und C fest, und lasse A laufen. — Wie bewegen sich D, E, F, S ? — Zuerst vermuten, dann Ortslinie zeichnen, dann genau beschreiben (Sind es Kreise? Lage der Mittelpunkte, Größe, durch welche Punkte gehend?), und be-weisen.

Verwende bei allen vier Beweisen die Idee der zentrische Streckung: Wo ist je-weils das Streckzentrum? Wie groß ist der Streckfaktor? Welcher Punkt (in sei-ner Bewegung) wird auf welchen Punkt (in dessen Bewegung) abgebildet? Wa-rum sind die Ortslinien vom selben Typ wie die Bewegungslinie von A ?

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37. Vierecksseitenmittelpunkte-Viereck (Satz von Varign on):

a) Zeichne ein unregelmäßiges konvexes Viereck ABCD (d.h. alle Innen-winkel <180° ). Zeichne die vier Seitenmittelpunkte E (zwischen A und B ), F , G , H , und verbinde sie zum Viereck EFGH . — Verziehe ABCD . Was fällt auf? — Beweise diese Auffälligkeit. — Zeichne dazu die Diagonale AC , und siehe zwei 1:2-Strahlensatz-Figuren in die Konfiguration. Zeichne dann die Diagonale BD , und siehe wieder zwei 1:2-Strahlensatz-Figuren hinein.

b) Verziehe nun das Viereck ABCD , so dass es nicht mehr konvex, aber nach wie vor ohne Überkreuzung ist. — Aufgabe wie a). — Wo liegt der Unterschied zu a)?

c) Verziehe nun das Viereck ABCD , so dass sich zwei Seiten überkreuzen . — Aufgabe wie a). — Wo liegt der Unterschied zu a) und zu b)?

d) Stelle dir nun ABCD als räumlichen (nicht-ebenen) Streckenzug vor. — Aufgabe wie a).

e) Das Viereck ABCD sei eine Raute, ein Rechteck, ein Quadrat. — Von wel-chem Typ ist dann jeweils das Viereck EFGH (mit Begründung)?

f) Kann man die in e) ermittelten Viereckstypen für EFGH aus jeweils allge-meineren Viereckstypen ABCD als aus Raute bzw. Rechteck bzw. Quadrat erhalten? Aus welchen? Begründung!

Hinweis zu e) und f): Benutze Aussagen über die Diagonalen von ABCD .

Skizzen (auch nur auf Papier möglich) mit abgeben.

38. Gegeben ist ein Winkelfeld (mit Scheitel C , Schenkeln a und b ) und darin ein Punkt P . — Konstruiere eine Gerade g , die die beiden Schenkel des Win-kelfelds schneidet ( a in A und b in B ) und folgende Bedingungen erfüllt:

a) g geht durch P , und CA : CB = 3 : 5 . (Hinweis: Trage von C aus auf a und b je eine Strecke ab, deren Längen im Verhältnis 3 : 5 stehen; ergänze zu einer Strahlensatzfigur, die P einbezieht.)

b) g geht durch P , und PA : PB = 3 : 5 . (Hinweis: Zeichne Parallele zu a durch P , suche den Scheitel S einer geeigneten Strahlensatzfigur.)

c) g geht nicht durch P , und P ist der Schwerp unkt des Dreiecks ABC .

Hinweis: Nutze, dass die Seitenhalbierenden im (noch nicht gezeichneten) Dreieck ABC von P im Verhältnis 1 : 2 geteilt werden. Eine Seitenhalbie-rende könnte wie in b) konstruiert werden. Dann muss man noch g kon-struieren. (Es gibt noch andere Möglichkeiten des Vorgehens.)

Fertige jeweils Skizze, Konstruktionsbeschreibung u nd Begründung an!

39. "Anti"-Strahlensätze: Zeichne einen echten Zweistrahl mit Scheitel S und Strahlen a und b , dazu zwei quer laufende Geraden (nicht durch S ), die a in A und A' sowie entsprechend b in B und B' schneiden, so dass

a) SA:AA'=SB:BB'

b) SA:SA'=AB:A'B'

c) AA':BB'=AB:A'B'

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gilt, aber die quer laufenden Geraden nicht parallel sind.

Jede dieser drei Konfigurationen ist ja ein Gegenbeispiel gegen einen bestimm-ten mathematischen Satz im Umfeld der Strahlensätze. Gegen welchen jeweils?

Welche Voraussetzung des jeweiligen Satzes wurde bei der jeweiligen Konfigu-ration außer Acht gelassen? Bzw. welcher Satz gilt tatsächlich nicht?

40. Gegeben ist ein Dreieck ABC sowie das Dreieck A'B'C' , das aus ABC durch Zeichnen der Parallelen zu den Seiten durch die jeweils gegenüber liegende Ecke entsteht (wie im Skript I.5.03; s. für die ganze Aufgabe auch S. 85). (Cin-derella-Konstruktion anfertigen und mit abgeben!)

a) Begründe (z.B. mit Strahlenbüschelsatz): Die Seitenhalbierendengeraden von ABC sind identisch mit denen von A'B'C' .

b) Mitteilung: Es gibt eine zentrische Streckung, die ABC auf A'B'C' abbil-det. — Aufgabe: Gib das Streckzentrum und den Streckfaktor an, mit Be-gründung.

c) Beweise (unter Nutzung von a) und b)), dass im Dreieck ABC der Schwer-punkt S , der Höhenschnittpunkt H und der Umkreismittelpunkt M auf ei-ner Geraden liegen (der sog. Eulerschen Geraden), dass S zwischen H und M liegt und H doppelt so weit von S entfernt ist wie M .

41. Schwerpunkt in Abhängigkeit von einer Ecke: Gegeben ist eine Gerade g parallel zu einer Strecke AB . Ein Punkt C auf g bildet mit A und B das Dreieck ABC .

Wie bewegt sich der Schwerpunkt S dieses Dreiecks, wenn C auf g wandert? — Finde (z.B. mit Hilfe von Cinderella ) eine Vermutung, und beweise sie.

Wie ändert sich der Flächeninhalt des Dreiecks dabei? — Vermute und beweise.

42. Diagonalen im konvexen Viereck: Beweise: Teilt eine Diagonale ein konvexes Viereck in zwei flächeninhaltsgleiche Dreiecke, so halbiert sie die andere Diago-nale.

43. Beweise: Im Dreieck verhalten sich zwei beliebige Höhen umgekehrt wie die Längen ihrer zugehörigen Seiten.

44. Rechtecksverwandlungen:

a) Gegeben ist ein Rechteck mit den Seitenlängen 3 cm und 5 cm . Konstruie-re mit Hilfe des Sekantensatzes ein flächeninhaltsgleiches Rechteck, dessen eine Seitenlänge 6 cm beträgt.

b) Zu dem in a) gegebenen Rechteck soll jetzt mit Hilfe des Sekanten-Tangen-ten-Satzes ein flächeninhaltsgleiches Quadrat konstruiert werden.

c) Gegeben ist ein Quadrat mit der Seitenlänge 4 cm . Konstruiere mit Hilfe des Sekanten-Tangenten-Satzes ein flächeninhaltsgleiches Rechteck, des-sen eine Seitenlänge 3 cm beträgt.

Fertige jeweils Skizze mit Cinderella (färbe die Re chtecks- inklusive die Quadratflächen), Konstruktionsbeschreibung und -beg ründung an!

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45. Blickwinkel: Ein Fotograf will von einer Straße (Gerade g ) aus die Fassade eines Hauses (Strecke CD ) fotografieren. Das Haus steht schräg zur Gerade (nicht parallel) und ist ein Stück von dieser entfernt.

Wo muss sich der Fotograf platzieren, damit der Blickwinkel auf die Fassade am größten ist? (Konstruiere den optimalen Standort des Fotografen!)

Hinweis (s.u. Zeichnung): Fasse CD als Sehne eines Kreises für den Um-fangswinkel auf. Auf welcher Linie müssen die Mittelpunkte aller solchen Kreise liegen? Betrachte denjenigen dieser Kreise, der g berührt (Skizze!). Begründe , wieso dieser Berührpunkt B der optimale Standort für den Fotografen ist. — Nun muss B konstruiert werden: Verlängere (in der Skizze) CD bis g , wo-durch der Schnittpunkt S entsteht, und sieh den Sekanten-Tangenten-Satz in die Figur hinein. Konstruiere nun wie in Aufg. 44.b) eine Strecke SA , für die |SA|2 = |SC|·|SD| . I.a. liegt A nicht auf g , und die Strecke SA muss noch dort hin übertragen werden: es ergibt sich der gesuchte Punkt B .

Fertige die Konstruktion mit Cinderella, Konstrukti onsbeschreibung und -begründung an! D D

C C

g Fotograf g S B

46. a) Zeichne eine Strecke AB , und teile sie harmonisch im Verhältnis 2 : 5 .

b) … im Verhältnis 1: 2 . (Dabei soll dieses Verhältnis geometrisch konstru-iert werden, z.B. mit Hilfe von Seite und Diagonale eines Quadrats.)

Cinderella-Konstruktionen, Konstruktionsbeschreibun gen und -begründun-gen abgeben!

47. Kreis des Apollonius: Zeichne eine Strecke AB und drei Punkte X außerhalb der Geraden durch A und B, für die gilt: AX:BX=2:5 . ─ Konstruiere die drei Schnittpunkte P der Winkelhalbierenden von AXB und die drei Schnitt-punkte Q der Winkelhalbierenden des Außenwinkels bei X im Dreieck AXB . ─ Begründe, dass die drei Punkte P identisch sind und die drei Punkte Q iden-tisch sind. ─ Konstruiere den Thales-Kreis über dem Durchmesser PQ , und be-gründe, dass die drei Punkte X auf ihm liegen.

Cinderella-Konstruktionen, Konstruktionsbeschreibun gen und -begründun-gen abgeben!

48. Führe sorgfältig folgende Beweise des Pythagoras-Satzes (aus dem Skript):

a) 1.2: Scherung — Schiebung — Scherung von Parallelogrammen, b) 1.3 oder 1.4: Scherung — Drehung (bzw. Schiebung) — Scherung von

Dreiecken.

(Teil b) kann man sehr kurz abhandeln, indem man sich auf a) bzw. auf 1.1 der Vorlesung beruft.)

49. Führe sorgfältig den sog. indischen Beweis des Pythagoras-Satzes (Skript 2.2).

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50. Hier ist ein Bilderbeweis für "die Möndchen des Hippokrates". Schreibe den Satz auf, und be-weise ihn sorgfältig mit deinen eigenen Worten, eventuell unter Benut-zung des Ansatzes

k·a2 + k·b2 + F(∆) – k·c2 = ...

(mit k=8π

; wieso?)

51. Verwandle ein Rechteck mit den Seitenlängen 4 und 9 in ein flächengleiches Quadrat (Cinderella-Konstruktionen anfertigen und mit abgeb en!) , mit Hilfe

a) des Katheten-, b) des Höhen-Satzes.

Konstruktionsbeschreibungen und -begründungen!

52. Beweise den Sekan-tensatz (für den Fall, dass die beiden Se-kanten sich innerhalb des Kreises schneiden) mit Hilfe der neben stehenden Zeichnung unter Benutzung des Höhensatzes.

53. Finde mindestens fünf verschiedene Tripel (a; b; c) natürlicher Zahlen, die die Pytha-goras-Gleichung a2+b2=c2 erfüllen. — Unter den zugehörigen rechtwinkligen Drei-ecken mit diesen Seitenlängen sollen mindestens drei nicht-ähnlich sein. — Be-weise für die angegebenen Tripel die jeweilige Ähnlichkeit oder Nicht-Ähnlichkeit der zugehörigen Dreiecke.

Hilfen: (i) Wie findet man leicht zu einem gegebenen Dreieck ein ähnliches? (ii) Setze speziell c=b+1 , und probiere, für welche b die Differenz

c2–b2 eine Quadratzahl ist.

54. Von den sechs Stücken eines Dreiecks a, b, c, α, β, γ sind jeweils drei gege-ben, und die anderen drei sollen (mit dem Taschenrechner auf zwei Stellen hin-ter dem Komma genau) berechnet werden, und zwar a) und b) mit dem Kosinus- sowie c) mit dem Sinus-Satz. Mache bei a) und b) die Probe mit Hilfe der Win-kelsumme und bei c) mit Hilfe des Kosinus-Satzes.

a) a=4 , b=5 , c=6 b) a=4 , b=5 , γ=120° c) a=4 , β=40° , γ=120°

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55. Vollziehe den Beweis des Kosinus-Satzes für γ>90° aus der Vorlesung nach . ─ Dabei soll Folgendes geleistet werden: Die Situation des Kosinus-Sat-zes soll mit Cinderella gezeichnet werden (Zeichnung mit abgeben ), und zwar beweglich in A, B, C . Die beiden Scherungen und die Drehung des Parallelo-gramms (wie in der Vorlesung vorgeführt) sollen nicht programmiert werden. An-hand dieser Zeichnung (wobei die genannten Bewegungen lediglich im Kopf nachzuvollziehen sind) soll der Kosinus-Satz für γ>90° schriftlich bewiesen werden.

56. Welcher Beweis wird mit den beiden Figuren in der Zeichnung rechts visuali-siert? – Führe ihn ausführ-lich und genau durch.